41.

Ein Vieh! hämmerten ihre Gedanken. Ein Vieh.

Selbst die Bezeichnung Tier war noch zu gut für ihn. Sie hatte es unten gedacht, die ganze Zeit über, und sie dachte es jetzt noch, als wäre dieses Wort etwas, woran sie sich fest klammern konnte. Er war zu einem Vieh geworden, einem ekelhaften, abstoßenden Monstrum, an dem nichts Menschliches mehr war.

Sie hatte sich, nachdem er endlich - endlich - von ihr abgelassen hatte, ins Schlafzimmer geschleppt, sich eingeschlossen und die Tür zusätzlich durch einen unter die Klinke geschobenen Stuhl gesichert. Zu Anfang hatte sie geweint, aber die Tränen waren rasch versiegt, und jetzt war sie nicht einmal mehr fähig, Haß zu empfinden.

Selbst um einen Menschen zu hassen, bedurfte es einer gewissen Beziehung zu ihm, irgendeiner Brücke, über die man sich verständigen, miteinander kommunizieren konnte, und es gab nichts mehr, was sie mit Stefan verband. Nichts.

Das Böse, das wie ein übler Geruch seit Tagen über dem Hof lastete, hatte ihn in seinen Klauen, hatte ihn entmenschlicht, zu einem Tier, mehr noch, zu einem ... Ding werden lassen, vor dem sie aller höchstens noch Ekel empfinden konnte. Vielleicht nicht einmal mehr das.

Nein, dachte sie, nicht einmal mehr das. Alles, was sie noch fühlte, war ein leises Gefühl der Verwunderung, daß sie für diesen Menschen jemals etwas empfunden haben sollte.

Sie richtete sich langsam auf dem zerwühlten Bett auf und sah sich im Zimmer um. Die vertrauten Umrisse erschienen ihr fremd und böse, wie alles an diesem Haus. Aber vielleicht hatte Belderson ja recht. Vielleicht war sie die Fremde, und ihr wurde langsam klar, daß sie der Eindringling, der störende Faktor war. Nur kam diese Erkenntnis um eine klitzekleine Kleinigkeit zu spät.

Mühsam stand sie auf, schluckte einen Schmerz laut hinunter und schleppte sich zum Fenster. Der Hof war leer, und er war noch immer nicht richtig hell; diese sonderbare, farbenfressende Dämmerung lastete noch über den Gebäuden;alles kam ihr ebenso fremdartig und böse vor wie dieses Zimmer. Von Stefan oder Andy war keine Spur zu sehen. Sie waren irgendwo im Haus. Mit etwas Glück, dachte sie, konnte sie fliehen, ehe er es merkte.

Und dann? Und vor allem - wie? Stefan hatte den Wagenschlüssel, und sie war auch sehr sicher, daß er den Reserve-Schlüssel aus seiner Schreibtischschublade genommen hatte. Er kannte sie. Er würde ihr nicht den Gefallen tun, sie zu unterschätzen. Und eine Flucht zu Fuß war unmöglich. Nicht fünf Kilometer durch diesen Wald. Draußen auf dem Gang wurden Schritte laut. Es klopfte.

Liz reagierte nicht. Sie starrte aus dem Fenster. Über den Wipfeln der Bäume wurde es allmählich vollkommen hell, aber irgendwie schien die Dämmerung den Hof vergessen zu haben. Der graue Vorhang aus Dunkelheit und Blässe blieb.

Das Klopfen wiederholte sich, ein wenig ungeduldiger jetzt, drängender. »Geh weg«, sagte sie, ohne sich um zudrehen. »Laß mich allein.« Ihre Stimme war ganz ruhig, und sie war selbst fast ein wenig erstaunt darüber. Sie sollte Angst haben. Wenn es Stefan war, der hereinkam, würde er sie schlagen.

Aber es war nicht Stefan.

»Ich bin es, Ma'am. Peter.«

»Peter?« Sie drehte sich langsam vom Fenster weg, musterte die geschlossene Tür und setzte sich widerwillig in Bewegung. Das Gehen fiel ihr noch immer schwer; sie spürte jeden einzelnen Schlag, den er ihr versetzt hatte. »Warten Sie. Ich ... ich komme.«

Sie schob den Stuhl beiseite, drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür. Heyning huschte mit einer raschen Bewegung ins Zimmer, drückte die Tür wieder ins Schloß und drehte den Schlüssel herum. Er atmete erleichtert auf.

»Was wollen Sie?« fragte Liz schwach. Sie wußte nicht einmal mehr, ob sie ihm trauen konnte.

Peter legte warnend den Zeigefinger über die Lippen. »Leise, Ma'am. Ihr... Ihr Mann könnte uns hören!«

»Und?«

Peter sah mißtrauisch in die Runde, als befürchte er, Stefan doch noch irgendwo zu sehen. Er war sehr blaß.

»Was wollen Sie?« fragte Liz zum zweiten Mal. Ihr wurde schwindelig. Als sie die Tür geöffnet hatte, hatte sie gehört, daß der Plattenspieler unten im Wohnzimmer noch immer lief, und es war noch immer die gleiche Platte Heaven And Hell. Ein Omen? Nein. Was war die Steigerung des Wortes Omen? Peter sah sie unsicher an. Er war nervös, wie immer, wenn sie mit ihm sprach, und er hatte Angst, fast so viel Angst wie sie. Aber sie spürte auch, daß er trotzdem zu allem entschlossen schien. Sie erinnerte sich, daß Stefan einmal gesagt hatte, Feiglinge, die zu weit getrieben wurden, könnten zu den größten Helden werden. Die Waffe des DINGs im See war zweischneidig, denn Verzweiflung konnte auch Kraft geben.

»Also?« Sie bemühte sich wenigstens, halbwegs gefaßt zu klingen, und redete sich ein, daß er ihr blaugeschlagenes Gesicht nicht bemerken würde.

»Ich, ich habe alles gesehen«, sagte er schließlich. Seine Stimme schwankte, und sie spürte, wie schwer, wie unglaublich schwer es ihm fiel, dieses Geständnis zu machen. Aber selbst das konnte sie nicht mehr treffen. Die Erniedrigung war total gewesen; es gab nichts mehr, womit man sie jetzt noch hätte demütigen können. Stefan hätte es genausogut auf dem Marktplatz von Schwarzenmoor tun können. »Haben Sie das?«

Er nickte. »Ich konnte nicht eher kommen. Sie... waren die ganze Zeit unten. Im Wohnzimmer.«

»Sie?«

»Ihr Mann und ...« Er ballte die Faust, sprach aber nicht aus, was er eigentlich hatte sagen wollen. Liz fühlte sich schuldig. Stellvertretend für Stefan empfand sie Scham und Ekel, nicht nur vor ihm, sondern auch vor sich selbst.

»Sie müssen weg«, sagte Peter plötzlich.

»Muß ich das?« Konnte sie das überhaupt noch?

Er nickte, ungeduldig und ängstlich zugleich. »Sie ... sind in Gefahr«, wiederholte er. »Sie müssen weg hier.«

Liz lächelte, setzte sich auf die Bett kante und zog die Knie an den Körper. Ihr Blick wurde leer. »Nein«, sagte sie ruhig, aber die Worte galten weniger Peter als ihr selbst. Die Banshee würde sie nicht fortlassen. »Ich bin nicht in Gefahr. Jetzt nicht mehr. Aber das können Sie nicht verstehen, Peter.« Es gab nichts mehr, was sie noch treffen konnte. Alles, was sie einmal geliebt hatte, all das, was einmal ihre Welt, ihr Leben ausgemacht hatte, war zerstört. Vernichtet, unwiederbringlich fort. Nicht einmal der Tod konnte sie noch erschrecken. Sie wunderte sich fast, daß sie so kalt und emotionslos über ihre Lage nachzudenken imstande war. Wenn sie die Ereignisse der vergangenen Tage an sich vorüberziehen ließ, dann erschien es ihr beinahe, als wäre all dies nicht ihr geschehen, sondern einer anderen, fremden Liz. Einer Liz, mit der sie wenig mehr als den Namen gemein hatte. Schock,dachte sie. Das muß das sein, was sie meinen, wenn sie sagen, jemand steht unter Schock. Es war seltsam, wie leichtes zu ertragen war.

»Bitte, Ma'am!« Peters Stimme nahm einen gehetzten Klang an. »Wir müssen fort, bevor es dunkel wird!«

Bevor es dunkel wurde? Aber die Sonne ging doch gerade erst auf .»Warum?« Erst danach fiel ihr auf, daß er wir gesagt hatte, nicht Sie.

»Bitte! Ich ... ich erkläre es Ihnen unterwegs. Glauben Sie mir!«

Liz lächelte sanft. »Jetzt.«

»Es ist keine Zeit mehr.«

»Doch«, sagte sie ruhig. »Es ist Zeit. Erzählen Sie.«

Peter rang verzweifelt mit den Händen. »Sie... hätten niemals hier herkommen dürfen«, sagte er schließlich. Die Art, in der er die Worte aussprach, schien Erklärung genug zu sein, wenigstens für ihn. Er trat ein paar mal unschlüssig von einem Bein auf das andere, griff dann in die Jackentasche und hielt ihr ein kleines, braunes Lederetui hin. Liz' Augen weiteten sich ungläubig. »Die Wagenschlüssel!«

»Ich habe sie Ihrem Mann gestohlen«, gestand Peter. »Er hat es nicht gemerkt.« Liz fragte Peter lieber nicht, wie er an Stefans Jacke gekommen war, ohne daß er es merkte. Und der Anblick der Schlüssel gab ihr für einen Moment sogar neuen Mut. Sie stand auf, streckte zögernd die Hand aus und sah Heyning durchdringend an. »Warum tun Sie das?« fragte sie. »Stefan wird Sie umbringen, wenn er es erfährt.« Sie meinte das ganz ernst. Er würde ihn töten. Ihn und sie. Peter wich ihrem Blick aus. »Weil Sie mir leid tun«, sagte er schließlich. Dann fuhr er herum, öffnete mit einem Ruck die Tür und trat auf den Gang hinaus.

Liz folgte ihm. Das Haus war still bis auf das monotone Dröhnen des Plattenspielers. Sie gingen die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Die Hoftür stand offen. Eine kühle Brise wehte von draußen herein, bewegte die Vorhänge und ließ die Illusion von Leben in dem leeren Zimmer entstehen.

Sie sah, daß Peter ein paar Sachen gepackt und in einem Rucksack neben der Tür deponiert hatte, als bereitete er sich auf eine längere Flucht vor. Oder darauf, niemals wiederzukommen.

Die Sonne stand als schmaler, orangeroter Streifen über dem Horizont, als sie aus dem Haus traten. Peter schien alles gründlich vorbereitet zu haben - einer der großen Flügel des Scheunentores stand offen, das flache Haifischmaul des Jaguars lugte einen halben Meter hervor; ein schnelles, elegantes Raubtier, das sie in die Freiheit katapultieren würde.

Peter lief mit raschen Schritten vor ihr her, so schnell, daß sie Mühe hatte, ihm zu folgen. Sie spürte, daß er Angst hatte. Auf den wenigen Metern vom Haus bis zur Scheune sah er sich ein halbes Dutzend Mal gehetzt um, als fürchte er, verfolgt zu werden.

Aber sie erreichten die Scheune unbehelligt. Liz fummelte mit zitternden Fingern am Kofferraum herum, wartete ungeduldig, bis Peter sein Gepäck verstaut hatte, und warf den Deckel unnötig hart zu. »Was ist mit Andy?«

Peter schüttelte den Kopf. »Sie bleibt hier. Ihr Mann würde es merken, wenn wir sie mitnehmen würden.«

»Hier?« wiederholte Liz ungläubig. »Hier bei Stefan? Sie wissen...«

»Ich weiß es«, antwortete er. »Aber es geht nicht anders. Er würde keinen von uns weglassen. Ich komme morgen mit Ohlsberg zurück und hole sie. Er wird ihr nichts tun. Und nun lassen Sie uns fahren...«

Es hätte viel gegeben, was sie hätte sagen können. Aber sie nickte nur stumm, setzte sich hinter das Steuer und drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor erwachte dröhnend zum Leben. Liz schaltete die Scheibenwischer ein und trat die Kupplung. Und Stefan erschien unter der Tür.

Die Szene war so alptraumreif, als hätte Stefan sie sorgsam einstudiert. Die Banshee war ein perfekter Regisseur, Spielberg ein Stümper gegen sie: Stefan trat ohne eine Spur von Hast in die Scheune hinein, ein schwarzer tiefenloser Schatten vor dem Orange rot des Morgenhimmels, der von Liz' niedriger Sitzposition im Jaguar aus betrachtet noch größer und bedrohlicher wirkte. Er machte nur einen einzigen Schritt in die Scheune hinein, gerade weit genug, daß die grellen Licht bündel der Halogenscheinwerfer ihn erfaßten, blieb stehen und verschränkte mit einem siegessicheren Lächeln die Arme vor der Brust. Peter, der gerade im Begriff gewesen war, die Tür zu öffnen und sich auf den Beifahrersitz zu werfen, erstarrte mitten in der Bewegung. Für einen Moment glaubte Liz auf seinen Zügen echtes Entsetzen zuerkennen.

»Ihr wollt weg?« fragte Stefan im Plauderton. »So früh schon?«

Eine Sekunde, eine einzige Sekunde nur, war Liz entschlossen, einfach Gas zu geben und ihn schlichtweg über den Haufen zu fahren. Aber dann nahm sie statt dessen den Fuß von der Kupplung und drehte den Zündschlüssel wieder herum. Das grelle Halogen licht der Scheinwerfer erlosch. Dunkelheit kroch wieder in die Scheune. Stefan trat mit einem raschen Schritt neben den Wagen, beugte sich über sie und zog den Zündschlüssel vollends ab Dann richtete er sich wieder auf und ging auf Heyning zu.

»Bitte... ich ... lassen Sie mich erklären«, stotterte Peter. »Wir wollten nur...« Stefans Schlag kam völlig warnungslos. Seine Faust traf den fast zwei Köpfe kleineren und leichteren Mann in den Magen, und als er zusammenbrach, schlug Stefan ihm die gefalteten Hände in den Nacken. Heyning stieß ein würgendes, abgehacktes Keuchen aus, fiel vorn über und blieb reglos liegen.

Auch dann noch, als Stefan ihm mehrmals hintereinander mit aller Gewalt in die Rippen trat.

Endlich fiel die Lähmung von Liz ab. Sie sprang aus dem Wagen, gleichermaßen schockiert wie angeekelt von seiner Brutalität. Mit zwei, drei schnellen Schritten war sie um den Jaguar herum und kniete neben Heyning auf dem Boden. Sie versuchte ihn auf den Rücken zu drehen, aber er war schwerer, als sie erwartet hatte.

»Du... Ungeheuer!« flüsterte sie mit nur mehr mühsam beherrschter Stimme. Ihre Augen begannen sich mit Tränen zu füllen, aber sie kämpfte jetzt nicht mehr dagegen an. Heyning stöhnte leise. Er öffnete die Augen, aber sein Blick schien durch sie hindurch zugehen. Seine Augen waren glasig. Stefan hatte mit aller Kraft zugeschlagen. Sie war sicher, daß er ihm ein paar Rippen gebrochen hatte, wenn nicht mehr.

Liz bettete Peters Kopf in ihrem Schoß und strich mit einer fast zärtlichen Geste über seine Stirn. Sie fühlte sich heiß und fiebrig an. »Du hättest ihn umbringen können.« Stefan gab ein abfälliges Geräusch von sich. »Und?« fragte er.

»Warum?« murmelte Liz. Ihre Stimme streikte, und sie war sich nicht einmal sicher, ob Stefan selbst dieses Wort verstanden hatte. »Er wollte mir nur helfen.«

»Ich mag es nicht, wenn mich meine Angestellten hintergehen«, erklärte Stefan gleichmütig. »Aber du...«

»Und außerdem mag ich es nicht, wenn meine eigene Frau versucht, mich als Hampelmann hinzustellen«, fuhr er kalt fort. »Ich habe deine Launen jetzt lange genug ertragen. Ich habe dir gesagt, daß ich hier bleiben werde, bis ich es für richtig halte, wegzugehen. Ich habe dir gesagt, daß ich auf deine Hirngespinste keine Rücksicht mehr nehme. Und ich habe dir gesagt, daß es keinen Sinn hat, wenn du versuchst, die Kranke zu spielen. Du bist genauso gesund wie ich!« schrie er mit plötzlich neu aufflammender Wut. »Du bist ebensowenig verrückt wie Peter oder Ohlsberg oder irgendjemand hier, und ich habe keine Lust mehr, deine dämlichen Spielchen mitzumachen. Du verläßt diesen Hof, wenn ich es sage, und keine Sekunde eher!« Er trat drohend auf sie zu, packte sie brutal am Oberarm und riß sie auf die Füße. »Ich weiß genau, was dir fehlt!« brüllte er. »Zu Hause in Frankfurt warst du immer der Mittelpunkt, die bewunderte Partyschönheit, um die sich alles dreht! Die Frau des berühmten Schriftstellers, nicht? Aber wir sind hier nicht in Frankfurt, verstehst du? Du bist hie reine ganz normale Frau, nicht mehr und nicht weniger, und das paßt dir nicht! Deine kindischen Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen, ziehen nicht mehr! Du bist so wenig krank wie ich!«

»Dann bin ich sehr krank«, sagte Liz ruhig. Und rammte ihm das Knie zwischen die Beine.

Stefan quietschte wie ein abgestochenes Schwein. Er krümmte sich, schnappte japsend nach Luft und wimmerte vor Schmerz.

Aber er ließ ihren Arm nicht los.

Liz versuchte mit aller Gewalt, sich loszureißen, schlug nach seinem Gesicht und stieß ein zweites Mal mit dem Knie zu, als sie nicht los kam. Aber diesmal sah er den Tritt kommen. Im letzten Moment drehte er sich zur Seite, so daß ihr Knie nur gegen seinen Hüftknochen krachte, was ihr selbst wahrscheinlich mehr weh tat als ihm. Dann schlug er zurück, nur mit der flachen Hand, aber mit entsetzlicher Kraft. Liz taumelte rücklings gegen den Wagen, fiel halb über die Kühlerhaube und glitt haltlos zu Boden. Ihre Fingernägel verursachten helle, an dünne Schreie erinnernde Laute, als sie versuchte, sich am glatten Lack des Jaguars festzuklammern, und es nicht schaffte. »Du verdammtes Miststück!« brüllte er. Sein Gesicht war grau vor Schmerz, als er auf sie zu taumelte. Liz versuchte hochzukommen, denn sie wußte, daß er sie umbringen würde, wenn er sie jetzt zu fassen bekam, aber er war schneller. Er packte sie, schleuderte sie abermals zu Boden - und griff mit einer plötzlichen, überraschenden Bewegung in ihren Ausschnitt. Das Geräusch des reißenden Stoffes schien sich wie ein glühendes Messer in Liz' Gehirn zu bohren. Sie weigerte sich einfach zu begreifen, was er tat.

Sie wehrte sich verzweifelt, aber gegen seine überlegenen Kräfte hatte sie nicht die geringste Chance. Stefan riß ihr die Kleider vom Leib, schleuderte sie zu Boden, als sie sich hochzustemmen versuchte, und stürzte sich mit einem krächzenden Schrei auf sie. »Vielleicht ist es das, was dir fehlt!« brüllte er.

Sie schrie, trat, kratzte und biß. Ihre Fingernägel krallten sich in sein Gesicht und hinterließen dünne, blutige Spuren, aber dann lockerte sie ihren Griff wieder, denn trotz der übermächtigen Panik gab es eine Angst, die noch stärker war: die verrückte Vorstellung, daß sie ihm das Gesicht herunterreißen würde, wenn sie zu fest Zugriff, und daß darunter etwas unsagbar Entsetzliches zum Vorschein kommen könnte. Nach einer Weile hörte sie ganz auf, sich zu wehren. Stefan lag schnaubend auf ihr, ein Vieh, das nun auch äußerlich jede Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen zu verlieren begann: sein Gesicht war rot, hektisch aufgedunsen, und zuckte, in seinen Augen loderte Schlimmeres als der Wahnsinn, und die Laute, die er von sich gab, waren keine Töne, wie sie eine menschliche Kehle produzieren konnte.

Der Schmerz war entsetzlich. Sie hatte Angst vor Schmerzen gehabt, aber sie hatte auch nicht gewußt, daß Vergewaltigen so entsetzlich weh tat. Und dazu kam die Demütigung. Das Gefühl des Ekels, als er sich über sie warf, als sie seinen Körper auf sich spürte, sein verzerrtes Gesicht, seinen keuchenden, hektischen Atem, ein Ekel, der selbst schon beinahe die Intensität von Schmerz erreichte.

Schließlich hörte sie auf zu schreien.

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