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Er jagte über die schneebedeckten Ebenen, die Nase im Wind, auf der Jagd nach einem Geruch, nach diesem ganz speziellen Geruch. Der fallende Schnee schmolz nicht länger auf seinem ausgekühlten Fell, aber die Kälte konnte ihn nicht aufhalten. Die Ballen seiner Pfoten waren taub, doch seine brennenden Beine arbeiteten wie wild und trugen ihn immer schneller vorwärts, bis das Land vor seinen Augen verschwamm. Er musste sie finden.

Plötzlich landete ein großer grauer Wolf mit zerfledderten Ohren und den in vielen Kämpfen davongetragenen Narben direkt aus dem Himmel neben ihm, um die Sonne zu jagen. Ein ebenfalls großer grauer Wolf, der allerdings nicht so groß wie er war. Seine Zähne würden die Kehlen derjenigen durchbeißen, die sie geraubt hatten. Seine Kiefer würden ihre Knochen zermalmen!

Dein Weibchen ist nicht hier, übersandte ihm Springer, aber du bist viel zu intensiv hier, und du hast deinen Körper schon viel zu lange verlassen. Du musst zurück, Junger Bulle, oder du wirst sterben.

Ich muss sie finden. Sogar seine Gedanken schienen zu keuchen. Wenn er an sich dachte, dann nicht als Perrin Aybara. Er war Junger Bulle. Einst hatte er hier den Falken gefunden und das konnte er wieder schaffen. Er musste sie finden. Neben diesem Verlangen war der Tod bedeutungslos.

Es blitzte Grau auf, als sich der andere Wolf gegen ihn warf, und obwohl Junger Bulle der größere von ihnen war, war er auch müde, und er stürzte schwer. Er kämpfte sich im Schnee auf die Füße, knurrte und warf sich auf Springers Kehle. Nichts war wichtig außer dem Falken.

Der narbige Wolf flog wie ein Vogel in die Luft und Junger Bulle stürzte erneut. Springer landete hinter ihm im Schnee.

Hör zu, Welpe! ermahnte ihn Springer energisch. Dein Verstand ist vor Furcht ganz verdreht! Sie ist nicht hier, und wenn du noch länger bleibst, wirst du sterben. Finde sie in der Welt der Wachenden. Du kannst sie nur dort finden. Geh zurück und finde sie!

Perrin riss die Augen auf. Er war todmüde, und sein Leib fühlte sich hohl an, aber verglichen mit der Leere in seiner Brust war der Hunger bloß ein Schatten. Er war ganz leer, fühlte sich sogar sich selbst entfremdet, als wäre er eine andere Person, die zusah, wie Perrin Aybara litt. Über ihm wogte ein mit blauen und goldenen Streifen verziertes Zeltdach im Wind. Das Zeltinnere war von Zwielicht erfüllt und voller Schatten, aber Sonnenlicht verlieh der hellen Plane einen goldenen Schimmer. Und der gestrige Tag war genauso wenig ein Albtraum gewesen wie Springer. Beim Licht, er hatte Springer töten wollen. Im Wolfstraum war der Tod ... endgültig. Die Luft war warm, aber er zitterte. Er lag auf einer weichen Matratze, in einem großen Bett mit wuchtigen Eckpfosten, die mit vergoldeten Schnitzereien übersät waren. Durch den Geruch der in den Kohlenpfannen brennenden Holzkohle hindurch konnte er ein moschusartiges Parfüm wahrnehmen. Und die Frau, die es benutzte. Sonst war niemand da.

Ohne den Kopf vom Kissen zu heben sagte er: »Haben sie sie gefunden, Berelain?« Sein Kopf fühlte sich zu schwer an, um ihn zu heben.

Einer der .Faltstühle quietschte leicht, als sie sich bewegte. Er war oft mit Faile hier gewesen, um Pläne zu besprechen. Das Zelt war groß genug für eine Familie, und Berelains aufwendige Möblierung hätte selbst in jeden Palast gepasst; alles war mit aufwendigem Schnitzwerk versehen und vergoldet. Allerdings wurden Möbel, Tische und Stühle und sogar das Bett von Holzpflöcken zusammengehalten. Man konnte alles auseinander nehmen und auf einem Wagen verstauen, aber solche Pflöcke sorgten nicht gerade für besondere Stabilität.

Unter dem Parfüm roch Berelain nach Überraschung, da er von ihrer Anwesenheit wusste, doch ihre Stimme klang beherrscht. »Nein. Eure Späher sind noch nicht zurückgekehrt, und meine ... Als sie bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zurück waren, habe ich eine volle Kompanie ausgeschickt. Sie fanden meine Männer tot. Sie sind in einen Hinterhalt geraten, wurden getötet, bevor sie mehr als fünf oder sechs Meilen zurücklegen konnten. Ich habe Lord Gallenne befohlen, die Wachen um das Lager zu verstärken. Arganda hat ebenfalls eine starke berittene Wache aufgestellt, aber er hat auch Patrouillen ausgeschickt. Gegen meinen Rat. Der Mann ist ein Narr. Er glaubt, niemand außer ihm kann Alliandre finden. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt glaubt, dass es die anderen tatsächlich versuchen. Vor allem nicht die Aiel.«

Perrin ergriff die weichen Wolldecken, die ihn zudeckten, und zerknüllte sie in den Fäusten. Gaul würde sich nicht überraschen lassen, oder Jondyn, nicht mal von einem Aiel. Sie waren noch immer auf der Jagd. Das bedeutete, dass Faile am Leben war. Hätten sie ihre Leiche gefunden, wären sie schon längst wieder zurück. Er musste das glauben. Er hob eine der blauen Decken an. Darunter war er nackt. »Gibt es hierfür eine Erklärung?«

Ihre Stimme veränderte sich nicht, aber in ihrem Geruch kam Vorsicht zum Vorschein. »Ihr und Euer Soldat wärt erfroren, hätte ich Euch nicht gesucht, nachdem Nurelle mir die Nachricht über meine Späher brachte. Keiner hatte den Mut, Euch zu stören; anscheinend habt Ihr jeden, der es versuchte, wie einen Wolf angeknurrt. Als ich Euch fand, wart Ihr so durchgefroren, dass Ihr kein Wort mehr verstehen konntet, und der andere Mann stand kurz davor, auf das Gesicht zu fallen. Eure Dienerin Lini hat sich um ihn gekümmert — er brauchte nur eine heiße Suppe und Decken —, aber ich ließ Euch herbringen. Ohne Annoura hättet Ehr vermutlich mindestens ein paar Zehen verloren. Sie ... Selbst nachdem sie Euch Heilte, hatte sie Angst, Ihr könntet sterben. Ihr habt geschlafen wie ein Mann, der bereits tot ist. Sie sagte, Ihr würdet Euch anfühlen wie jemand, der seine Seele verloren hat, ganz kalt, egal mit wie vielen Decken man Euch zudeckte. Ich habe es ebenfalls gespürt, als ich Euch berührte.«

Eine zu ausführliche Erklärung, und doch nicht ausreichend. Wut flammte auf, eine distanzierte Wut, aber er unterdrückte sie. Faile war immer eifersüchtig gewesen, wenn er gegenüber Berelain die Stimme erhob. Die Frau würde es nicht schaffen, dass er sie anschrie. »Grady oder Neald hätten tun können, was auch immer nötig war«, sagte er tonlos. »Sogar Seonid und Masuri waren näher.«

»Ich dachte zuerst an meine eigene Beraterin. Die anderen kamen mir erst in den Sinn, als ich beinahe hier war. Spielt es überhaupt eine Rolle, wer das Heilen besorgt hat?«

So plausibel. Und wenn er die Frage stellen würde, warum die Erste von Mayene höchstpersönlich in einem halbdunklen Zelt über ihn wachte statt ihre Dienerin oder einer ihrer Soldaten oder seinetwegen auch Annoura, würde sie die nächste plausible Antwort parat haben. Er wollte sie nicht hören.

»Wo ist meine Kleidung?«, fragte er und stützte sich auf die Ellbogen. Seine Stimme ließ noch immer jeden Ausdruck vermissen.

Eine Kerze auf einem kleinen Tisch neben Berelains Stuhl stellte die einzige Lichtquelle des Zeltes dar, aber obwohl sich seine Augen vor Müdigkeit wie mit Sand gefüllt anfühlten, reichte sie für ihn aus. Berelain war durchaus dezent gekleidet; das dunkelgrüne Reitgewand wies einen hohen Kragen auf, der in einer dichten Spitzenkrause endete, die sich an ihr Kinn schmiegte. Wenn sich Berelain in Zurückhaltung übte, war das so, als würde man einem Berglöwen ein Schafsfell überstreifen. Ihr Gesicht lag zur Hälfte im Schatten, war wunderschön und nicht im mindesten vertrauenswürdig. Sie würde sich an ihre Versprechen halten, aber wie eine Aes Sedai aus ihren eigenen Gründen, und die Dinge, für die sie keine Versprechen abgab, konnten der Dolchstoß sein, der einen in den Rücken traf.

»Auf der Truhe«, sagte sie und gestikulierte mit einer Hand, die fast völlig von blasser Spitze verborgen wurde. »Ich habe sie von Rosene und Nana säubern lassen, aber Ihr habt Ruhe und Essen nötiger gebraucht als Kleidung. Und bevor wir etwas essen und die Lage besprechen, will ich, dass Ihr eines wisst. Keiner wünscht sich mehr als ich, dass Faile noch am Leben ist.« Ihr Ausdruck war so offen und ehrlich, dass er ihr hätte glauben können, wäre sie eine andere gewesen. Sie roch sogar nach Ehrlichkeit!

»Ich brauche jetzt meine Sachen.« Er wälzte sich herum, um sich auf der Bettkante mit um die Beine gewickelten Decken aufzusetzen. Die Kleider, die er getragen hatte, lagen fein säuberlich zusammengefaltet auf einer von Eisenbändern zusammengehaltenen Reisetruhe, die fast bis zur Unkenntlichkeit mit Schnitzereien und vergoldeten Verzierungen versehen war. Sein pelzverbrämter Umhang war über das eine Ende der Truhe drapiert, und seine Axt lehnte neben seinen Stiefeln auf den mit einem hellen Blumenmuster versehenen Teppichen, die den Fußboden bedeckten. Licht, er war müde. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange er im Wolfstraum gewesen war, aber wach war wach, soweit es den Körper betraf. Sein Magen knurrte laut. »Und was zu essen.«

Berelain gab einen erzürnten Laut von sich, stand auf und glättete die Röcke. Ihr hoch erhobenes Kinn drückte ihr Missfallen aus. »Annoura wird nicht erfreut mit Euch sein, wenn sie von ihrer Besprechung mit den Weisen Frauen zurückkehrt«, sagte sie entschieden. »Ihr könnt die Aes Sedai nicht einfach ignorieren. Ihr seid nicht Rand al'Thor, was sie Euch auch früher oder später beweisen werden.«

Aber sie trat aus dem Zelt und ließ eine Woge kalte Luft herein. In ihrer Verärgerung machte sie sich nicht einmal die Mühe, einen Umhang mitzunehmen. Als der Eingang kurz aufklaffte, sah er, dass es noch immer schneite. Nicht so heftig wie in der vergangenen Nacht, aber die weißen Flocken schwebten gleichmäßig herab. Jetzt würde selbst Jondyn Schwierigkeiten haben, Spuren zu finden. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken.

Vier Kohlenpfannen wärmten die Luft im Zelt, aber sobald er die Teppiche berührte, kroch die Kälte in seine Füße, und er eilte zu seinen Kleidungsstücken. Eigentlich wankte er zu ihnen, auch wenn er keineswegs herumtrödelte. Er war so müde, dass er sich auf den Teppich hätte legen und weiterschlafen können. Darüber hinaus fühlte er sich so schwach wie ein neugeborenes Lamm. Vielleicht hatte auch der Wolfstraum etwas damit zu tun — wo er doch seinen Körper verlassen und sich so energisch darin hineinbegeben hatte —, aber vermutlich hatte das Heilen alles noch schlimmer gemacht. Da er seit dem gestrigen Frühstück nichts mehr gegessen und die Nacht stehend im Schnee verbracht hatte, hatte er keine Reserven mehr, auf die er zurückgreifen konnte. Und jetzt zitterten seine Hände bei einer einfachen Aufgabe wie dem Überstreifen der Leibwäsche.

Jondyn würde sie finden. Oder Gaul. Und zwar lebend. Alles andere war egal. Er fühlte sich wie betäubt.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass Berelain noch einmal selbst zurückkehrte, aber ein kalter Luftschwall, der ihr Parfüm mit sich trug, drang ins Zeltinnere, noch während er damit beschäftigt war, seine Hosen anzuziehen. Ihr Blick fühlte sich auf seinem Rücken wie streichelnde Finger an, aber er zwang sich dazu weiterzumachen, als sei er allein. Er würde ihr nicht die Befriedigung geben, zusehen zu können, wie er sich beeilte, nur weil sie ihn beobachtete. Er würdigte sie keines Blickes.

»Rosene bringt warmes Essen«, sagte sie. »Ich fürchte, wir haben nur Hammeleintopf, aber ich habe ihr gesagt, sie soll genug für drei Männer auftischen.« Sie zögerte und er hörte, wie sich ihre Schuhe auf dem Teppich bewegten. Sie seufzte leise. »Perrin, ich weiß, dass Ihr leidet. Es gibt Dinge, die Ihr sagen möchtet, die Ihr aber keinem anderen Mann sagen könnt. Ich habe nicht gesehen, dass Ihr Euch an Linis Schulter ausweint, also biete ich Euch meine an. Wir könnten einen Waffenstillstand schließen, bis Faile gefunden ist.«

»Einen Waffenstillstand?« Er beugte sich vorsichtig herab, um einen Stiefel anzuziehen. Vorsichtig, damit er nicht umkippte. Dicke Wollsocken und Ledersohlen würden seine Füße bald wieder erwärmt haben. »Wozu brauchen wir einen Waffenstillstand?« Sie schwieg, während er den anderen Stiefel anzog und die Stulpen oberhalb der Knie umschlug, und ergriff erst wieder das Wort, als er die Schnüre seines Hemds zugezogen und es sich in den Hosenbund gestopft hatte.

»Also gut, Perrin. Wenn Ihr es so haben wollt.« Was auch immer das bedeuten sollte, sie klang sehr entschlossen. Plötzlich fragte er sich, ob ihn seine Nase im Stich gelassen hatte. Ihrem Geruch zufolge war sie beleidigt, war das zu glauben? Andererseits schimmerte in diesen großen Augen ein Funken Wut. »Seit kurz vor Tagesanbruch treffen die Männer des Propheten ein«, sagte sie mit scharfer Stimme. »Soweit ich weiß, ist er selbst noch nicht hier. Bevor Ihr ihm das nächste Mal gegenübertretet ...«

»Sie treffen ein?«, unterbrach er sie. »Masema hat zugestimmt, nur eine Ehrenwache mitzubringen, einhundert Mann.«

»Wozu auch immer er sich bereit erklärt hat, als ich das letzte Mal nachgesehen habe, waren es drei- oder viertausend Mann — ein Heer von Raufbolden, anscheinend jeder Mann aus der näheren und ferneren Umgebung, der einen Speer tragen kann —, und mehr strömen' aus jeder Richtung herbei.«

Eilig zog er den Mantel über, schnallte den Gürtel darüber zu und richtete das Gewicht seiner Axt an seiner Hüfte. Es fühlte sich immer schwerer an, als es sollte. »Das werden wir ja sehen! Ich werde sein mörderisches Ungeziefer doch nicht als unnötigen Ballast mitschleppen!«

»Verglichen mit dem Mann selbst ist sein Ungeziefer lediglich ein Ärgernis. Die Gefahr liegt bei Masema.« Ihre Stimme war kühl und beherrscht, aber in ihrem Geruch bebte energisch kontrollierte Furcht — wie immer, wenn sie von Masema sprach. »In diesem Punkt haben die Schwestern und die Weisen Frauen Recht. Braucht Ihr dafür mehr Beweise als das, was Ihr mit eigenen Augen gesehen habt? Nun denn, er hat sich mit den Seanchanern getroffen.«

Diese Nachricht traf Perrin wie ein Hammer, vor allem nach Balwers Neuigkeiten über die Kämpfe in Altara. »Woher wisst Ihr das?«, fragte er barsch. »Von Euren Diebefängern?« Sie hatte da ein Pärchen, das sie aus Mayene hatte kommen lassen, und sie schickte sie in jedem Dorf und jeder Stadt los, um so viel in Erfahrung zu bringen, wie sie konnten. Beide entdeckten kaum die Hälfte von dem, was Balwer immer mitbrachte. Nicht, dass sie ihn über ihre Erkennmisse jemals unterrichtet hätte.

Berelain schüttelte bedauernd den Kopf. »Falles... Gefolgsleute. Drei von ihnen stießen kurz vor dem Angriff der Aiel zu uns. Sie hatten mit Männern gesprochen, die eine gewaltige Flugkreatur landen sahen.« Sie zitterte etwas zu offensichtlich, aber ihrem Geruch nach zu urteilen war es eine ehrliche Reaktion. Das war keine Überraschung; er hatte einst einige der Bestien mit eigenen Augen gesehen und ein Trolloc konnte nicht mehr wie ein Schattengezücht aussehen. »Eine Kreatur, die einen Passagier trug. Sie verfolgten ihren Flug bis nach Abila, bis zu Masema. Ich glaube nicht, dass es das erste Treffen war. Für mich klang es, als wäre das eine alltägliche Sache.«

Plötzlich verzogen sich ihre Lippen zu einem leicht spöttischen, flirtenden Lächeln. Diesmal passte ihr Geruch zu ihrer Miene. »Es war nicht sehr nett von Euch, mich glauben zu machen, dass Euer kleiner vertrockneter Sekretär mehr herausfindet als meine Diebefänger, da doch zwei Dutzend Eurer Augen-und-Ohren sich als Falles Untertanen maskieren. Ich muss zugeben, Ihr habt mich reingelegt. Es gibt in Euch immer neue Überraschungen zu entdecken. Warum seht Ihr so verblüfft aus? Habt Ihr nach all dem, was wir gesehen und gehört haben, allen Ernstes geglaubt, Ihr könntet Masema vertrauen?«

Perrins bohrender Blick hatte wenig mit Masema zu tun. Diese Neuigkeit konnte viel oder auch gar nichts bedeuten. Vielleicht glaubte der Mann ja, er könnte auch die Seanchaner zum Lord Drachen bringen. Verrückt genug dazu war er ja. Aber ... Faile hatte diese Narren spionieren lassen? Sie hatten sich in Abila eingeschlichen? Und das Licht allein wusste, wo sonst noch. Natürlich hatte sie immer behauptet, dass Spionieren die Arbeit der Ehefrau war, aber den Palastklatsch zu sammeln war eine Sache; das hier war etwas ganz anderes. Zumindest hätte sie es ihm sagen können. Oder hatte sie Stillschweigen bewahrt, weil ihre Untertanen nicht die Einzigen waren, die an Orten herumschnüffelten, wo sie nichts zu suchen hatten? Das sähe ihr ähnlich. Faile hatte wirklich das Temperament eines Falken. Vielleicht machte es ihr sogar Spaß, selbst zu spionieren. Nein, er würde nicht wütend auf sie werden, bestimmt nicht zu diesem Zeitpunkt. Licht, sie würde es für einen Spaß halten.

»Ihr könnt diskret sein, das weiß ich zu schätzen«, murmelte Berelain. »Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass es Teil Eurer Natur ist, aber Diskretion kann eine feine Sache sein. Vor allem jetzt. Meine Männer wurden nicht von Aiel getötet, es sei denn, Aiel würden neuerdings mit Armbrüsten und Äxten kämpfen.«

Sein Kopf ruckte hoch und er starrte sie trotz aller Vorsätze an. »Das erwähnt Ihr so ganz nebenbei? Gibt es sonst noch etwas, das Ihr vergessen habt, mir zu sagen, irgendetwas, das Euch entfallen ist?«

»Wie könnt Ihr das fragen?« Beinahe hätte sie gelacht. »Ich müsste mich nackt ausziehen, um noch mehr zu enthüllen, als ich bereits getan habe.« Sie breitete die Arme weit aus und wand sich wie eine Schlange, als wollte sie es demonstrieren.

Perrin knurrte angewidert. Faile wurde vermisst, allein das Licht wusste, ob sie noch lebte — Licht, lass sie lebendig sein! —, und Berelain wählte diesen Augenblick, um sich schlimmer zur Schau zu stellen als je zuvor? Aber sie war nun einmal, wer sie war. Er sollte dankbar dafür sein, dass sie sich sittsam benommen hatte, bis er fertig mit Anziehen war.

Sie betrachtete ihn nachdenklich und zeichnete mit der Fingerspitze ihre Unterlippe nach. »All dem zum Trotz, was Ihr vielleicht gehört habt, Ihr werdet erst der dritte Mann sein, der mein Bett teilt.« Ihr Blick war... verschleiert... und doch hätte sie genauso gut sagen können, dass er der dritte Mann war, mit dem sie heute gesprochen hatte. Ihr Geruch.... Ihm fiel nur ein Vergleich ein: ein Wolf, der einen Hirsch betrachtete, der sich im Unterholz verfangen hatte. »Bei den anderen beiden ging es um Politik. Ihr werdet ein Vergnügen sein. In mehrerlei Hinsicht als einer«, endete sie mit einem überraschend scharfen Tonfall.

Genau in diesem Augenblick kam Rosene in eine Wolke aus eiskalter Luft gehüllt in das Zelt gestolpert. Sie hatte den blauen Umhang zurückgeworfen und trug ein ovales, mit einem weißen Leinenruch bedecktes Silbertablett. Perrin schloss den Mund und betete darum, dass sie nichts von dem Gesagten mitbekommen hatte. Die lächelnde Berelain schien das nicht zu kümmern. Die stämmige Dienerin stellte das Tablett auf dem größten Tisch ab, lüpfte den mit blauen und goldenen Streifen versehenen Rock und machte einen tiefen Hofknicks vor Berelain und einen weniger tiefen vor ihm. Der Blick ihrer dunklen Augen verweilte einen Moment lang auf ihm, und sie lächelte genauso zufrieden wie ihre Herrin, bevor sie den Umhang zusammenraffte und nach einer kurzen Geste Berelains wieder hinauseilte. Sie hatte also gelauscht. Von dem Tablett wehte der Duft von Hammeleintopf und Gewürzwein. Perrins Magen knurrte erneut, aber er wäre nicht hier geblieben, um zu essen, selbst wenn er ein gebrochenes Bein gehabt hätte.

Er warf sich den Umhang über die Schultern und stapfte hinaus in den leichten Schneefall, wobei er sich die schweren Handschuhe überzog. Dichte Wolken verbargen die Sonne, aber dem Licht nach zu urteilen war der Tag schon mehrere Stunden alt. Man hatte Pfade in den Schnee gegraben, doch die weißen Flocken, die vom Himmel fielen, sammelten sich auf den kahlen Ästen und versahen das Grün mit neuen Mänteln. Dieser Sturm war noch lange nicht vorbei. Licht, wie konnte diese Frau nur so mit ihm sprechen? Warum sollte sie so sprechen, warum gerade jetzt?

»Vergesst nicht«, rief ihm Berelain hinterher und machte keinerlei Anstalten, ihre Stimme zu dämpfen, »Diskretion.« Er zuckte leicht zusammen und beschleunigte seine Schritte.

Wenige Schritte von dem großen gestreiften Zelt entfernt wurde ihm bewusst, dass er vergessen hatte, nach dem Aufenthaltsort von Masemas Männern zu fragen. Überall um ihn herum wärmten sich die Beflügelten Wachen mit voller Rüstung und Umhängen versehen an den Lagerfeuern auf, ganz in der Nähe ihrer angeleinten, fertig gesattelten Pferde. Ihre Lanzen standen griffbereit zu mit stählernen Spitzen versehenen Kegeln aneinander gelehnt, an denen rote Wimpel im Wind flatterten. Trotz der Bäume hätte man durch jede Reihe Lagerfeuer eine schnurgerade Linie ziehen können; sie hatten auch noch alle die gleiche Größe, soweit das menschenmöglich war. Die Ausrüstungswagen, die sie sich nach der Ankunft im Süden besorgt hatten, waren alle beladen, die Pferde angeschirrt, und sie standen ebenfalls in schnurgeraden Reihen.

Die Bäume verbargen den Hügelkamm nicht vollständig. Dort oben standen noch immer Männer von den Zwei Flüssen auf Wache, aber die Zelte waren abgebaut, und er konnte beladene Packpferde ausmachen. Er glaubte auch einen schwarzen Mantel zu sehen; einer der Asha'man, auch wenn er nicht erkennen konnte, welcher es war. Zwischen den Ghealdanern standen Gruppen von Männern, die zum Hügel hinaufstarrten, doch erschienen sie genauso bereit wie die Mayener. Die beiden Lager wiesen sogar den gleichen Grundriss auf. Aber nirgendwo gab es Anzeichen, dass sich Tausende von Männern versammelten, gab es einen breiten

Trampelpfad im Schnee, dem man folgen konnte. Was das anging, es gab überhaupt keine Fußspuren zwischen den drei Lagern. Wenn Annoura bei den Weisen Frauen war, dann hielt sie sich schon seit geraumer Zeit auf dem Hügel auf. Worüber unterhielten sie sich? Vielleicht wie sie Masema umbringen konnten, ohne dass er Wind davon bekam. Er schaute zurück zu Berelains Zelt, aber bei dem Gedanken, dorthin zurückzukehren, stellten sich seine Nackenhaare auf.

Nicht weit entfernt stand ein weiteres gestreiftes Zelt, das noch nicht abgebaut war; es gehörte Berelains beiden Dienerinnen. Trotz des stetigen Schneefalls saßen Rosene und Nana in ihren Umhängen und mit hochgeschlagenen Kapuzen auf Faltstühlen davor und wärmten ihre Hände an einem kleinen Feuer. Sie ähnelten sich wie ein Ei dem anderen; keine von ihnen war hübsch, aber sie hatten Gesellschaft, was vermutlich auch der Grund war, warum sie sich nicht drinnen um eine Kohlenpfanne drängten. Zweifellos bestand Berelain bei ihren Dienerinnen auf mehr Sittsamkeit, als sie selbst zustande brachte. Normalerweise schienen Berelains Diebefänger kaum mehr als drei zusammenhängende Worte zu sagen, zumindest soweit es Perrin betraf, aber sie waren recht munter und lachten zusammen mit Rosene und Nana. Das Paar war schlicht gekleidet und so unauffällig, dass man ihnen selbst dann keinen zweiten Blick geschenkt hätte, wenn man auf der Straße mit ihnen zusammengestoßen wäre. Perrin war sich noch immer nicht sicher, wer von den beiden Santes und wer Gendar war. Ein kleiner Topf an der einen Seite des Feuers roch nach Hammelfleisch; er versuchte ihn zu ignorieren, aber sein Magen knurrte trotzdem.

Das Gespräch verstummte, als er näher kam, und bevor er das Feuer erreichte, schauten Santes und Gendar mit ausdruckslosem Gesicht von ihm hinüber zu Berelains Zelt, dann zogen sie ihre Umhänge zu und eilten fort, wobei sie seinen Blick mieden. Rosene und Nana sahen von Perrin zu dem Zelt und kicherten hinter vorgehaltenen Händen. Perrin wusste nicht, ob er erröten oder brüllen sollte.

»Wisst ihr zufällig, wo sich die Männer des Propheten sammeln?«, fragte er. Bei ihren hochgezogenen Brauen und dem Grinsen fiel es ihm schwer, seine Stimme unbeteiligt zu halten. »Eure Herrin hat vergessen, es mir genau zu sagen.« Die beiden tauschten Blicke aus, bei denen die Kapuzen im Weg waren, und kicherten wieder hinter vorgehaltenen Händen. Er fragte sich, ob sie zurückgeblieben waren, bezweifelte aber, dass Berelain solch alberne Gänse lange um sich herum dulden würde.

Nach weiterem ausgiebigem Gekichere, das von schnellen Blicken auf ihn, zueinander und zu Berelains Zelt hinüber unterbrochen wurde, bequemte sich Nana zu der Auskunft, dass sie es zwar nicht genau wisse, sie vermutete aber, es befände sich in dieser Richtung, wobei sie nach Südwesten deutete. Rosene war fest davon überzeugt, dass ihre Herrin gesagt hatte, es sei mehr als zwei Meilen entfernt. Oder vielleicht auch drei. Sie kicherten noch immer, als er ging. Vielleicht waren sie ja tatsächlich zurückgeblieben.

Müde stapfte er um den Hügel herum und dachte darüber nach, was er nun zu tun hatte. Der tiefe Schnee, durch den er nach Verlassen des Lagers der Mayener gehen musste, verbesserte seine schlechte Laune auch nicht gerade. Genauso wenig wie die Entscheidungen, zu denen er kam. Sie wurde erst besser, als er das Lager seiner Leute erreichte.

Alles war so, wie er es angeordnet hatte. In Umhänge gehüllte Cairhiener saßen auf beladenen Wagen mit den Zügeln um die Handgelenke gewickelt oder unter die Oberschenkel geklemmt, während andere kleine Gestalten die Reihen der Ersatzpferde abschritten und die Tiere beruhigten. Die Männer von den Zwei Flüssen, die sich nicht oben auf dem Hügel befanden, kauerten an Dutzenden Lagerfeuern zwischen den Bäumen; sie waren für den Ritt gekleidet und hielten die Zügel ihrer Pferde. Im Gegensatz zu den Soldaten in den anderen Lagern ließen sie jede Ordnung vermissen, aber sie hatten gegen Trollocs und Aiel gekämpft. Jeder der Männer hatte den Bogen auf den Rücken geschnallt und trug an der Hüfte einen vollen Köcher, dessen Gewicht manchmal von einem Schwert oder einem Kurzschwert ausbalanciert wurde. Überraschenderweise saß Grady an einem der Feuer. Für gewöhnlich hielten sich die Asha'man von den anderen Männern fern, was umgekehrt genauso galt. Keiner sagte ein Wort, alle konzentrierten sich darauf, warm zu bleiben. Die mürrischen Gesichter verrieten Perrin, dass weder Jondyn oder Gaul oder Elyas noch sonst jemand zurückgekehrt war. Noch bestand die Chance, dass man sie zurückbrachte. Oder zumindest den Ort fand, an dem sie gefangen gehalten wurden. Einen Augenblick lang schien es, als wären das die letzten erfreulichen Gedanken, die er an diesem Tag haben würde. Der Rote Adler von Manetheren und sein eigenes Wolfskopfbanner hingen im fallenden Schnee schlaff an zwei Standarten herunter, die an einem Wagen lehnten.

Er hatte diese Flaggen auf die gleiche Weise bei Masema benutzen wollen, wie er nach Süden gezogen war — er wollte sich in aller Öffentlichkeit verbergen. Wenn ein Mann verrückt genug war, um den Versuch zu unternehmen, Manetherens uralte Pracht wieder auferstehen zu lassen, ließen es alle dabei bewenden und suchten nicht nach einem tieferliegenden Grund, warum er mit einem kleinen Heer durch das Land zog. Und so lange er nicht verweilte, waren sie viel zu froh darüber, den Verrückten Weiterreisen zu sehen, als dass sie den Versuch unternahmen, ihn aufzuhalten. Es gab bereits genug Probleme im Land, ohne sich noch mehr aufzuladen. Sollte jemand anders kämpfen und bluten und Männer verlieren, die man bei der kommenden Frühlingsaussaat brauchen würde. Manetherens Grenzen hatten fast bis zum heutigen Murandy gereicht, und mit etwas Glück hätte er in Andor sein können, wo Rand mit fester Hand seinen Einfluss ausübte, bevor er die Täuschung aufgeben musste. Das hatte sich jetzt geändert und er kannte den Preis für Änderungen. Es war ein sehr hoher Preis. Er war bereit, ihn zu zahlen, nur würde er es nicht sein, der ihn bezahlte. Aber er würde deswegen Albträume haben.

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