2 Verschleppt

Der Falke war bald außer Sicht, und auf der Straße waren keine anderen Reisenden, aber wie sehr Perrin auch zur Eile mahnte, die gefrorenen Furchen, die nur darauf warteten, das Bein eines Pferdes und den Hals des Reiters zu brechen, ließen keine große Geschwindigkeit zu. Der Wind trug Eis und das Versprechen von Neuschnee am nächsten Tag heran. Der Nachmittag war zur Hälfte vorbei, als Perrin abbog und zwischen den Bäumen durch Schneewehen ritt, in die die Pferde gelegentlich bis zu den Knien versanken, und die letzte Meile zu dem Lager im Wald zurücklegte, wo er die Männer von den Zwei Flüssen und die Aiel, die Mayener und Ghealdaner zurückgelassen hatte. Und Faile. Aber nichts war so, wie er es erwartet hatte. Wie immer gab es eigentlich vier Lager, die zwischen den Bäumen verstreut waren, aber die qualmenden Lagerfeuer der geflügelten Wachen um Berelains gestreiftes Zelt lagen verlassen zwischen umgeworfenen Kesseln und im Schnee liegen gelassener Ausrüstungsgegenstände da, und auf dem zertrampelten Boden, der Alliandres Soldaten bei seinem Aufbruch an diesem Morgen zugewiesen worden war, waren die gleichen Anzeichen eines hastigen Aufbruchs zu sehen. Die einzigen Lebenszeichen an beiden Orten waren die Pferdeknechte und Hufschmiede und Wagenfahrer, die sich dick vermummt um die Pferdeleinen und hochrädrigen Nachschubwagen drängten. Sie alle starrten in die Richtung, die auch Perrins Aufmerksamkeit gefangen hatte.

Fünfhundert Schritte von dem steinigen, flachen Hügel mit den niedrigen Zelten der Weisen Frauen entfernt hatten sich die in Grau gekleideten Mayener aufgebaut, alle neunhundert von ihnen, die Pferde stampften ungeduldig mit den Hufen auf, und die roten Umhänge und die langen roten Wimpel ihrer Lanzen flatterten im kalten Wind. Etwas näher am Hügel und ein Stück seitlich versetzt bildeten die Ghealdaner ein lanzenbewehrtes Rechteck von beinahe gleicher Größe, nur dass ihre Lanzen grüne Wimpel aufwiesen. Die grünen Mäntel und die Rüstungen der berittenen Soldaten erschienen fade im Vergleich zu den roten Helmen und roten Brustpanzern der Mayener, aber ihre Offiziere funkelten in ihren silbernen Rüstungen und scharlachroten Mänteln und Umhängen. Eine beeindruckende Zurschaustellung von Männern bei einer Parade, aber das hier war keine Parade. Die Beflügelten Wachen standen den Ghealdanern gegenüber, und die Ghealdaner wiederum dem Hügel. Und die Hügelkuppe wurde von den Männern von den Zwei Flüssen umringt, die ihre Langbogen in Händen hielten. Noch hatte keiner von ihnen den Bogen gespannt, aber jeder Mann hatte einen Pfeil eingelegt und war bereit. Es war Wahnsinn.

Perrin trieb Steher so weit zum Galopp an, wie es dem Pferd möglich war, und pflügte von den anderen gefolgt durch den Schnee, bis er die Spitze der ghealdanischen Formation erreicht hatte. Berelain war dort, in einem pelzbesetzten roten Umhang, und Gallenne, der einäugige Hauptmann der Beflügelten Wachen; Annoura war an ihrer Seite, ihre Aes Sedai-Beraterin, und sie alle stritten anscheinend mit Alliandres Erstem Hauptmann, einem kleinen, hartgesottenen Burschen namens Gerard Arganda, der den Kopf so heftig schüttelte, dass die weißen Federn auf seinem funkelnden Helm bebten. Die Erste von Mayene schien bereit, Nägel zu zerkauen, Annouras Aes Sedai-Gelassenheit ließ Sorge durchschimmern, und Gallenne betastete den mit einem roten Federbusch versehenen Helm, der an seinem Sattel hing, als wollte er ihn doch aufsetzen. Bei Perrins Anblick verstummten sie und drehten ihre Pferde ihm zu. Berelain saß aufrecht im Sattel, aber ihr schwarzes Haar wehte im Wind. Ihre weiße Stute mit den schlanken Fesseln zitterte; an ihren Flanken gefror der Schweiß eines schnellen Ritts.

Bevor Perrin sie fragen konnte, was beim Licht sie dort eigentlich zu tun glaubten, ergriff Berelain mit maskenhaftem Gesicht und einer starren Förmlichkeit, die ihn verdutzt blinzeln ließ, das Wort.

»Lord Perrin, Eure Gemahlin und ich waren mit Königin Alliandre auf der Jagd, als wir von Aiel angegriffen wurden. Mir gelang die Flucht. Bis jetzt ist noch kein Mitglied der Gruppe zurückgekehrt, obwohl es möglich ist, dass die Aiel Gefangene gemacht haben. Ich habe eine Abteilung Lanzenreiter losgeschickt, um die Lage zu erkunden. Wir waren etwa zehn Meilen südöstlich, also müssten sie bei Einbruch der Nacht hier wieder eintreffen.«

»Faile wurde gefangen genommen?«, sagte Perrin mit belegter Stimme. Schon bevor sie von Ghealdan nach Amadicia aufgebrochen waren, hatten sie von plündernden, alles niederbrennenden Aiel gehört, aber es war immer woanders gewesen, im nächsten Dorf oder übernächsten, wenn nicht sogar noch weiter entfernt. Nie nahe genug, um sich deswegen Sorgen zu machen. Nicht, wenn er Rand al'Thors verfluchte Befehle auszuführen hatte! Und nun konnte man sehen, welcher Preis dafür zu zahlen war.

»Warum seid ihr alle noch hier?«, verlangte er lautstark zu wissen. »Warum sucht ihr nicht nach ihr?« Ihm wurde bewusst, dass er schrie. Er wollte heulen, sie in Stücke reißen. »Zum Henker mit euch allen, worauf wartet ihr?« Berelains Nüchternheit, so als würde sie berichten, wie viel Futter für die Pferde noch da war, trieb ihm die Zornesröte ins Gesicht. Vor allem deshalb, weil sie Recht hatte.

»Wir wurden von zwei- oder dreihundert von ihnen überfallen, Lord Perrin, aber Ihr wisst genauso gut wie ich, dass sich ein Dutzend oder mehr solcher Banden in der Gegend herumtreiben. Wenn wir sie mit einer Streitmacht verfolgen, könnten wir uns einer Schlacht mit Aiel gegenübersehen, die uns schwere Verluste kostet, ohne überhaupt zu wissen, ob es diejenigen sind, die Eure Gemahlin in ihrer Gewalt haben. Oder ob sie überhaupt noch am Leben ist. Das müssen wir zuerst in Erfahrung bringen, Lord Perrin, oder alles andere ist schlimmer als nutzlos.«

Wenn sie noch am Leben war. Er zitterte; plötzlich saß die Kälte tief in seinem Inneren. In seinen Knochen. Seinem Herzen. Sie musste noch am Leben sein. Sie musste es. Oh, Licht, er hätte sie nach Abila mitkommen lassen sollen. Annouras Gesicht mit dem breiten Mund war eine Maske des Mitgefühls, eingerahmt von dünnen tarabonischen Zöpfen. Plötzlich wurde er sich des Schmerzes in seinen Fingern bewusst, die sich um die Zügel verkrampften. Er zwang sich dazu, sie zu lockern, spreizte die Finger in seinen Handschuhen.

»Sie hat Recht«, sagte Elyas leise und lenkte seinen Wallach näher heran. »Beherrsch dich. Mach bei den Aiel einen dummen Fehler und du forderst den Tod heraus. Reißt möglicherweise eine Menge Männer mit dir ins Verderben. Sterben ist sinnlos, wenn deine Frau eine Gefangene bleibt.« Er versuchte, seinen Tonfall zuversichtlicher klingen zu lassen, aber Perrin konnte seine Anspannung riechen. »Aber egal, wir werden sie finden, Junge. Womöglich ist sie ihnen ja entkommen, eine Frau wie sie. Versucht zu Fuß zurückzukommen. Das dürfte dauern in einem Kleid. Die Kundschafter werden Spuren finden.« Elyas strich mit den Fingern durch seinen langen Bart und kicherte verächtlich, »Wenn ich nicht mehr als die Mayener finde, esse ich Baumrinde. Wir werden sie für dich zurückholen.«

Perrin ließ sich nicht täuschen. »Ja«, sagte er rau. Niemand konnte den Aiel zu Fuß entkommen. »Geht jetzt. Beeilt Euch.« Nicht im mindesten. Der Mann rechnete damit, Failes Leiche zu finden. Sie musste noch am Leben sein und das bedeutete, sie war eine Gefangene, aber besser eine Gefangene als ...

Sie konnten nicht miteinander sprechen, wie sie es mit den Wölfen taten, aber Elyas zögerte, als könnte er Perrins Gedanken lesen. Aber er versuchte nicht, ihnen zu widersprechen. Sein Wallach brach in einem schnellen Tempo in südöstlicher Richtung auf, so schnell, wie es der Schnee erlaubte, und nach einem raschen Blick auf Perrin schloss sich Aram ihm mit finsterer Miene an. Der ehemalige Kesselflicker mochte Elyas nicht, aber er betete Faile fast an, und sei es nur aus dem Grund, dass sie Perrins Gemahlin war.

Es würde nichts bringen, die Tiere lahm zu reiten, dachte Perrin und sah ihnen stirnrunzelnd nach. Er wollte, dass sie liefen. Er wollte mit ihnen laufen. In seinem Inneren schienen sich haardünne Risse auszubreiten. Falls sie mit der falschen Nachricht zurückkehrten, würde er zerbrechen. Zu seiner Überraschung galoppierten die drei Behüter so schnell hinter Elyas und Aram her, dass der Schnee hoch aufspritzte und ihre einfachen Wollumhänge im Wind flatterten; als sie die beiden eingeholt hatten, passten sie ihr Tempo an das ihre an.

Perrin schaffte es, Masuri und Seonid dankbar zuzunicken, und schloss Edarra und Carelle mit ein. Wer auch immer den Vorschlag gemacht hatte, es gab keinen Zweifel, wer die Erlaubnis erteilt hatte. Dass keine der Schwestern versuchte, das Kommando zu übernehmen, zeigte deutlich, wie weit die Weisen Frauen die Kontrolle übernommen hatten. Sie hätten es bestimmt gern getan, aber ihre behandschuhten Hände blieben gefaltet auf den Sattelknäufen liegen, und keine zeigte Ungeduld, und sei es durch ein Augenzwinkern.

Nicht jeder schaute den davonreitenden Männern nach. Annoura wechselte sich darin ab, ihn mitfühlend anzusehen und die Weisen Frauen aus den Augenwinkeln zu betrachten. Im Gegensatz zu den beiden anderen Schwestern hatte sie keine Versprechen gemacht, aber sie behandelte die Aielfrauen beinahe genauso vorsichtig wie diese sie. Gallennes Blick war auf Berelain gerichtet, und er erwartete das Zeichen, das Schwert zu ziehen, das er fest umklammert hielt, während sie mit unleserlichem Gesicht Perrin beobachtete. Grady und Neald hatten die Köpfe zusammengesteckt und warfen grimmige Blicke in seine Richtung. Balwer saß so ruhig wie ein Spatz im Sattel, versuchte unsichtbar zu sein und lauschte konzentriert.

Arganda zwängte seinen großen Rotschimmel an Gallennes schwarzem Hengst vorbei und ignorierte den zornigen Blick des einäugigen Mayeners. Die Lippen des Ersten Hauptmannes bewegten sich wütend hinter dem funkelnden Visier seines Helms, aber Perrin hörte nichts. Er dachte nur an Falle. Oh, Licht, Faile! Um seine Brust schienen sich Stahlbänder zu legen. Er war der Panik nahe, hielt sich nur noch mit den Fingerspitzen am Abgrund fest.

Verzweifelt sandte er seine Gedanken aus und suchte nach Wölfen. Elyas würde das bereits versucht haben —Elyas wäre bei einer solchen Nachricht nicht in Panik verfallen —, aber er musste es selbst tun.

Und er fand sie auch, die Rudel von Dreizehe und Kaltes Wasser, Zwielicht und Springhorn und anderen.

Mit der Bitte um Hilfe floss auch der Schmerz aus ihm heraus, nur um wieder viel stärker anzuwachsen. Sie hatten von Junger Bulle gehört, und sie verspürten Mitleid wegen des Verlusts seines Weibchens, aber sie gingen den Zweibeinern aus dem Weg, die das ganze Wild verscheuchten und für jeden allein angetroffenen Wolf den Tod bedeuteten. Es waren so viele Rudel von Zweibeinern in der Gegend, zu Fuß und auf den Vierbeinern mit den harten Füßen, dass sie nicht sagen konnten, ob die von ihm Gesuchten darunter waren. Für sie waren Zweibeiner eben Zweibeiner, die mit Ausnahme derjenigen, welche die Macht lenken oder mit ihnen sprechen konnten, alle gleich waren. Trauere, sagten sie ihm, und lebe dein Leben weiter, und triff sie im Wolfstraum wieder.

Die Bilder, die sein Verstand in Worte umwandelte, verblichen eines nach dem anderen, bis nur noch eines da war. Trauere und triff sie im Wolfstraum wieder. Und dann war auch das weg.

»Hört Ihr überhaupt zu?«, fuhr Arganda ihn grob an. Er war kein Adliger mit angenehmem Äußeren und sah trotz seiner Seidengewänder und den goldenen Verzierungen auf dem silbernen Brustpanzer genau wie das aus, was er auch war, ein ergrauender Soldat, der als Junge die Lanze ergriffen hatte und vermutlich zwei Dutzend Narben davongetragen hatte. Seine dunklen Augen wiesen beinahe den fiebrigen Blick von Masemas Leuten auf. Er roch nach Zorn und Angst. »Diese Wilden haben auch Königin Alliandre verschleppt!«

»Wir werden Eure Königin finden, wenn wir meine Frau finden«, sagte Perrin und seine Stimme war so kalt und hart wie die Schneide seiner Axt. Falle musste noch am Leben sein. »Vielleicht erklärt Ihr mir ja, was das hier alles zu bedeuten hat. Es sieht so aus, als wärt Ihr zum Angriff bereit. Und zwar auf meine Leute.« Er trug auch für andere Dinge die Verantwortung. Das zuzuge ben war so bitter wie Galle. Außer Faile war alles egal. Alles! Aber die Männer von den Zwei Flüssen waren seine Leute.

Arganda ließ sein Pferd einen Satz machen und packte mit seiner behandschuhten Hand Perrins Ärmel. »Ihr hört mir jetzt zu! Die Erste Lady Berelain berichtete, dass Königin Alliandre von Aiel entführt wurde, und Aiel verkriechen sich hinter Euren Bogenschützen. Ich habe Männer, die ihnen nur allzu gern ein paar Fragen stellen würden.« Sein erhitzter Blick glitt einen Augenblick lang zu Edarra und Carelle hinüber. Vielleicht dachte er, dass dort Aiel waren, die nicht von Bogenschützen umgeben wurden.

»Der Erste Hauptmann ist... überreizt«, murmelte Berelain und legte eine Hand auf Perrins anderen Arm. »Ich habe ihm erklärt, dass keiner der hier anwesenden Aiel etwas damit zu tun hat. Ich bin sicher, ich kann ihn davon überzeugen ...«

Perrin schüttelte sie ab und riss seinen Arm von dem Ghealdaner los. »Arganda, Alliandre hat mir den Treueid geleistet. Ihr habt ihr den Treueid geleistet, was mich zu Eurem Herrscher macht. Ich sagte, ich werde Alliandre finden, wenn ich Faile finde.« Wie die Schneide einer Axt. Sie war am Leben. »Ihr befragt niemanden und fasst auch niemanden an, bis ich es Euch befehle. Ihr werdet jetzt Folgendes tun: Ihr führt Eure Männer zurück in Euer Lager, und zwar sofort, und seid zum Aufbruch bereit, wenn ich den Befehl gebe. Solltet Ihr dann nicht bereit sein, wird man Euch zurücklassen.«

Arganda starrte ihn an, sein Atem ging schwer. Wieder schweifte sein Blick ab, diesmal zu Grady und Neald, dann richtete er ihn ruckartig auf Perrins Gesicht. »Wie Ihr befehlt, mein Lord«, sagte er steif. Er wendete sein Pferd, brüllte seinen Offizieren Befehle zu und war bereits davongaloppiert, noch bevor sie die ihren geben konnten. Die Ghealdaner lösten sich eine Reihe nach der anderen aus dem Verband und folgten ihrem Ersten Hauptmann. In Richtung ihres Lagers, obwohl sich erst noch erweisen musste, ob Arganda dort bleiben würde. Und ob es nicht noch viel schlimmer sein würde, wenn er es tat.

»Ihr habt das sehr gut gemacht, Perrin«, sagte Berelain. »Eine schwierige Situation und eine qualvolle Zeit für Euch.« Jetzt war sie überhaupt nicht mehr formell. Nur eine Frau voller Anteilnahme, mit einem mitfühlenden Lächeln. Oh, Berelain hatte tausend Gesichter.

Sie streckte eine rot behandschuhte Hand nach ihm aus und er ließ Steher zurückweichen, bevor sie ihn berühren konnte. »Schluss damit, verdammt!«, knurrte er. »Meine Frau wurde entführt! Ich habe keine Geduld für Eure kindischen Spielchen!«

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Ihre Wangen röteten sich, und sie veränderte sich erneut, wurde die Nachgiebigkeit in Person. »Nicht kindisch, Perrin«, murmelte sie mit amüsierter Stimme. »Zwei Frauen kämpfen um Euch und Ihr seid der Preis? Man sollte glauben, Ihr würdet Euch geschmeichelt fühlen. Kommt, Lordhauptmann Gallenne. Ich nehme an, wir sollten uns ebenfalls bereit halten, auf Befehl loszureiten.«

Der Einäugige galoppierte an ihrer Seite zurück zu den Beflügelten Wachen, zumindest so weit der Schnee einen Galopp zuließ. Er beugte sich zu ihr herüber, als würde er Befehle entgegennehmen. Annoura blieb stehen, wo sie war, und hielt die Zügel ihre braunen Stute locker in der Hand.

Der Mund unter ihrer Hakennase war wie ein rasiermesserscharfer Strich. »Manchmal seid Ihr ein großer Narr, Perrin Aybara. Eigentlich sogar sehr oft.«

Er hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, und es war ihm auch egal. Manchmal schien sie sich damit abgefunden zu haben, dass Berelain einem verheirateten Mann hinterherjagte, manchmal schien es sie sogar zu amüsieren, und sie half ihr dabei, ihn allein anzutreffen. In diesem Augenblick ekelten ihn die Erste und die Aes Sedai förmlich an. Er trat Steher in die Flanken und galoppierte wortlos von ihr fort.

Die Männer auf dem Hügel machten ihm gerade genug Platz, damit er durchkam; sie murmelten untereinander und sahen zu, wie die tiefer gelegenen Lanzenreiter auf ihre Lager zuritten, dann gingen sie noch einmal auseinander, um die Weisen Frauen, die Aes Sedai und die Asha'man passieren zu lassen. Unerwarteterweise lösten sie jedoch nicht die Formation auf, um ihn zu umringen, wofür er dankbar war. Der ganze Hügel roch nach Vorsicht und Misstrauen. Oder zumindest der größte Teil davon.

Der Schnee war zertreten worden, bis einige Stellen von ein paar gefrorenen Klumpen abgesehen ganz frei und andere zu Glatteis geworden waren. Die vier Weisen Frauen, die bei seinem Aufbruch nach Abila zurückgeblieben waren, standen vor einem der niedrigen Aiel-Zelte; es waren hoch gewachsene, gelassene Frauen mit dunklen Wollschals um die Schultern, die zusahen, wie die beiden Schwestern gemeinsam mit Carelle und Edarra abstiegen und dem Geschehen um sie herum scheinbar keinerlei Beachtung schenkten. Die Gai'schain, die ihnen anstelle von Dienern aufwarteten, gingen leise und unterwürfig ihrer gewohnten Tätigkeit nach und verbargen ihre Gesichter in den Kapuzen ihrer weißen Kutten. Ein Bursche klopfte sogar einen Teppich aus, der an einer zwischen zwei Bäumen gespannten Leine hing! Das einzige Zeichen, dass die Aiel kurz vor einem Kampf gestanden hatten, waren Gaul und die Töchter des Speeres. Sie hatten auf den Fersen gehockt und die Shoufa und die schwarzen Schleier verbargen Kopf und Gesicht bis auf ihre Augen. Als Perrin aus dem Sattel sprang, erhoben sie sich.

Dannil Lewin kam angelaufen; er kaute an den Enden des dicken Schnurrbarts herum, der seine Nase noch größer aussehen ließ, als sie ohnehin schon war. In der einen Hand hielt er den Bogen, mit der anderen steckte er einen Pfeil zurück in den Köcher an seinem Gürtel. »Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen, Perrin«, sagte er aufgeregt. Er war bei den Quellen von Dumai dabei gewesen und in der Heimat Trollocs gegenübergetreten, aber das alles hier ging über seinen Horizont. »Als wir herausgefunden hatten, was geschehen war, waren diese Ghealdaner bereits auf dem Weg, also schickte ich Jondyn und ein paar der anderen los —Hu Marwin und Get Ayliah —, und befahl den Cairhienern und Euren Dienern, mit den Wagen einen Kreis zu bilden und in seinem Schutz zu bleiben. Ich hätte die Leute, die Lady Faile sonst immer auf Schritt und Tritt folgen, beinahe fesseln müssen; sie wollten sofort hinter ihr her, obwohl keiner von ihnen einen Fußabdruck von einer Eiche unterscheiden kann. Dann habe ich jeden hergebracht. Ich dachte, diese Ghealdaner würden uns angreifen, bis schließlich die Erste mit ihren Männern dazukam. Die müssen verrückt sein, wenn sie glauben, einer unserer Aiel würde Lady Faile etwas antun.« Selbst wenn sie ihn hochleben ließen, erhielt Faile von den Männern von den Zwei Flüssen fast immer eine ehrende Erwähnung.

»Das hast du gut gemacht, Dannil«, lobte ihn Perrin und warf ihm Stehers Zügel zu. Hu und Get waren gute Waldläufer und Jondyn Barran konnte dem gestrigen Wind folgen. Gaul und die Töchter marschierten hintereinander in Einerreihe los. Sie waren noch immer verschleiert. »Befiehl jedem dritten Mann hier zu bleiben«, sagte Perrin hastig zu Dannil; nur weil er Arganda eben mit einem Blick in seine Schranken gewiesen hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass der Mann seine Absichten geändert hatte. »Und schick den Rest los, um das Lager abzubrechen. Ich will losreiten, sobald wir Nachricht erhalten.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte er los, um Gaul einzuholen. Er gebot dem größeren Mann mit ausgestreckter Hand Einhalt. Aus irgendeinem Grund kniff Gaul die grünen Augen über dem Schleier zusammen. Sulin und die restlichen Töchter, die sich hinter ihm befanden, stellten sich auf die Fußballen.

»Finde sie für mich, Gaul«, sagte Perrin. »Ihr alle, bitte findet heraus, wer sie entführt hat. Wenn jemand Aiel verfolgen kann, dann ihr.«

Die Angespanntheit in Gauls Blick verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war, und auch die Töchter entspannten sich wieder. Zumindest so sehr, wie sich ein Aiel entspannen konnte. Es war seltsam. Sie konnten doch wohl nicht glauben, dass er sie auf irgendeine Weise dafür verantwortlich machte.

»Wir alle wachen eines Tages aus dem Traum auf«, sagte Gaul sanft, »aber wenn sie noch träumt, werden wir sie finden. Aber wenn Aiel sie raubten, müssen wir los. Sie werden sich beeilen. Selbst... in so was.« Er legte beträchtlichen Abscheu in die letzten Worte und trat gegen einen Schneeklumpen.

Perrin nickte, trat rasch zur Seite und ließ die Aiel loslaufen. Er bezweifelte, dass sie dieses Tempo eine lange Zeit durchhalten konnten, aber er war davon überzeugt, dass sie es länger als sonst jemand konnten. Als die Töchter des Speers ihn passierten, drückte jede von ihnen hastig mehrere Finger in Lippenhöhe gegen den Schleier und berührte dann seine Schulter. Sulin, die direkt hinter Gaul kam, nickte ihm sogar zu, aber keine sagte auch nur ein Wort. Faile würde gewusst haben, was das mit dem Küssen der Finger zu bedeuten hatte.

Aber an ihrem Aufbrach gab es noch etwas anderes, das seltsam war, wie ihm auffiel, als die letzte Tochter an ihm vorbei war. Sie ließen sich von Gaul führen. Normalerweise hätte jede von ihnen ihn mit dem Speer durchbohrt, bevor sie das zugelassen hätte. Warum nur ...? Vermutlich hatten Chiad und Bain Faile begleitet. Bain war Gaul völlig gleichgültig, aber mit Chiad war es schon eine andere Sache. Die Töchter hatten Gauls Hoffnung, dass Chiad den Speer zur Seite legen würde, um ihn zu heiraten, nicht im mindesten unterstützt — ganz im Gegenteil! —, aber vielleicht war das ja der Grund.

Perrin grunzte erbost über sich selbst. Chiad und Bain, und wer noch? Selbst blind vor Furcht wegen Faile hätte er wenigstens danach fragen müssen. Wenn er sie zurückbekommen wollte, musste er die Angst besiegen und die Augen aufmachen. Aber es war, als wollte er einen Baum mit den Händen erwürgen.

Auf dem flachen Hügel wimmelte es nun vor Aktivität. Jemand hatte bereits Steher fortgeführt, und die Männer von den Zwei Flüssen verließen den Ring um die Hügelkuppe, strömten zu ihrem Lager und riefen einander zu, was sie im Fall des Angriffs der Lanzenreiter getan hätten. Gelegentlich hob ein Mann die Stimme und fragte nach Faile, ob jemand wusste, ob die Lady in Sicherheit war, wo man nach ihr suchte, aber die anderen brachten ihn dann stets mit besorgten Blicken in Perrins Richtung zum Schweigen. Die Gai'schain gingen inmitten der ganzen Hektik stoisch ihren Aufgaben nach. Ohne den nötigen Befehl hätten sie das auch getan, während um sie herum die Schlacht tobte, keiner hätte die Hand gehoben, um zu helfen oder zu behindern. Die Weisen Frauen waren zusammen mit Seonid und Masuri in einem der Zelte verschwunden und die Eingänge waren nicht nur heruntergezogen, sondern verschnürt. Sie wollten nicht gestört werden. Zweifellos würden sie über Masema sprechen. Womöglich schmiedeten sie Pläne, wie sie ihn töten konnten, ohne dass Rand oder er erfuhren, dass sie es gewesen waren.

Er hieb gereizt die Faust in die offene Handfläche. Er hatte Masema doch tatsächlich vergessen. Der Mann sollte sich ihnen vor Einbruch der Dunkelheit anschließen, mit einer hundert Mann starken Ehrenwache. Mit etwas Glück würden die Späher aus Mayene bis dahin zurück sein, Elyas und die anderen kurz darauf.

»Mein Lord Perrin?«, sagte Grady hinter ihm und er drehte sich um. Die beiden Asha'man standen vor ihren Pferden und spielten unschlüssig mit den Zügeln. Grady holte tief Luft und sprach weiter, nachdem Neald zustimmend genickt hatte. »Wir beide könnten ein großes Gebiet absuchen, wenn wir Reisen. Und wenn wir die Entführer finden, nun, ich bezweifle, dass selbst ein paar hundert Aiel zwei Asha'man daran hindern könnten, sie zurückzuholen.«

Perrin wollte ihnen befehlen, sofort anzufangen, aber dann überlegte er es sich anders. Grady war ein Bauer gewesen, aber niemals ein Jäger oder Waldläufer. Neald hielt jeden Ort ohne eine Steinmauer darum für ein Dorf. Sie konnten einen Fußabdruck von einer Eiche unterscheiden, aber selbst wenn sie Spuren fanden, würde vermutlich keiner von ihnen bestimmen können, in welche Richtung sie führten. Natürlich konnte er sie begleiten. Er war nicht so gut wie Jondyn, aber... Er könnte gehen und sich Dannil mit Arganda auseinandersetzen lassen. Und mit Masema. Ganz zu schweigen von den Intrigen der Weisen Frauen.

»Geht packen«, sagte er leise. Wo war Balwer? Nirgendwo in Sicht. Es war kaum wahrscheinlich, dass er losgezogen war, um Faile zu suchen. »Vielleicht werdet ihr hier gebraucht.«

Grady blinzelte überrascht und Nealds Mund blieb offen stehen.

Perrin gab ihnen keine Gelegenheit zur Widerrede. Er ging auf das niedrige Zelt mit dem zugebundenen Eingang zu, der von außen nicht zu öffnen war. Wenn die Weisen Frauen ungestört bleiben wollten, wollten sie ungestört bleiben, egal ob ein Clanhäuptling kam oder sonst jemand. Und das galt auch für einen Feuchtländer, der schwer an der Last des Lords von den Zwei Flüssen trug. Er zückte das Gürtelmesser und bückte sich, um die Bänder zu zerschneiden, aber bevor er die Klinge in den engen Spalt zwischen den beiden Zeltplanen schieben konnte, gerieten sie in Bewegung, als würde sie jemand von innen öffnen. Er richtete sich auf und wartete.

Das Zelt öffnete sich und Nevarin schlüpfte heraus. Ihr Schal war um ihre Taille geknotet, aber abgesehen von ihrem zu Nebel erstarrenden Atem gab sie keinerlei Anzeichen, dass sie die eiskalte Luft spürte. Sie sah das Messer in seiner Hand und stemmte mit klirrenden Armreifen die Fäuste in die Hüften. Sie war beinahe knochendürr, hatte langes, sandfarbenes Haar, das von einem dunklen, zusammengefalteten Tuch zurückgebunden wurde, und war fast eine Handspanne größer als Nynaeve — aber sie erinnerte ihn stets an sie. Sie versperrte den Eingang.

»Perrin Aybara, Ihr seid ungestüm.« Ihre helle Stimme war ausgeglichen, aber er hatte den Eindruck, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, ihm eins hinter die Ohren zu geben. »Auch wenn das unter den Umständen verständlich ist. Was wollt Ihr?«

»Wie...?« Er musste innehalten, um zu schlucken. »Wie wird man sie behandeln?«

»Das kann ich nicht sagen, Perrin Aybara.« Ihre Miene war ohne jedes Mitleid, ja sogar ausdruckslos. Darin hätten Aiel den Aes Sedai noch Unterricht geben können. »Feuchtländer zu Gefangenen zu machen ist gegen die Tradition, die einzige Ausnahme bilden die Baummörder, obwohl sich auch das geändert hat. Das Gleiche gilt für das wahllose Töten. Aber viele haben sich geweigert, die vom Car'a'carn enthüllten Wahrheiten zu akzeptieren. Einige sind von der Trostlosigkeit erfasst worden und haben ihre Speere niedergeworfen, aber vielleicht nehmen sie sie wieder auf. Andere sind einfach gegangen, um so zu leben, wie sie glauben, dass wir leben sollten. Ich kann nicht sagen, welche Sitten von jenen, die Clan und Septime verlassen haben, eingehalten oder verworfen werden.« Nur am Ende zeigte sie so etwas wie eine Gefühlsregung, als sie jene erwähnte, die Clan und Septime verließen.

»Licht, Frau, Ihr müsst doch eine Vorstellung haben! Sicherlich könnt Ihr eine Vermutung äußern ...«

»Verliert nicht den Kopf!«, unterbrach sie ihn mit scharfer Stimme. »So reagieren Männer in solchen Situationen oft, aber wir brauchen Euch. Es wird Eurem Stand bei den Ghealdanern und Mayenern nicht guttun, wenn wir Euch fesseln müssen, bis Ihr Euch beruhigt habt. Geht in Euer Zelt. Wenn Ihr Eure Gedanken nicht kontrollieren könnt, dann trinkt, bis Ihr nicht mehr denken könnt. Und stört uns nicht beim Rat.« Sie duckte sich zurück in das Zelt, und die Eingänge wurden ruckartig zusammengezogen und fingen an zu zucken, als sie wieder verschnürt wurden.

Perrin betrachtete den Eingang nachdenklich, fuhr mit dem Daumen über die Messerklinge und rammte sie dann in die Scheide. Wenn er dort hereinplatzte, würden sie womöglich genau das tun, was Nevarin ihm angedroht hatte. Und sie konnten ihm nicht sagen, was er wissen wollte. Er glaubte nicht, dass sie zu so einem Zeitpunkt vor ihm Geheimnisse haben würden. Schon gar nicht, wenn es um Faile ging.

Auf dem Hügel war es ruhiger geworden, jetzt, da die meisten der Männer von den Zwei Flüssen gegangen waren. Der Rest von ihnen beobachtete noch immer wachsam das tiefer gelegene Lager der Ghealdaner; sie stampften gegen die Kälte mit den Füßen auf, aber keiner sprach. Die umherhuschenden Gai'schain machten kaum Geräusche. Sowohl das Lager der Ghealdaner wie auch das der Mayener wurde teilweise von Bäumen verdeckt, aber Perrin konnte sehen, dass man Wagen belud. Er entschied, trotzdem weiterhin Wachen aufzustellen. Möglicherweise wollte Arganda nur sein Misstrauen beschwichtigen. Ein Mann, der so roch, konnte ... irrational handeln, beendete er den Gedanken trocken.

Für ihn gab es auf dem Hügel nichts mehr zu tun, also machte er sich auf den Weg zu seinem eine halbe Meile entfernten Zelt. Das Zelt, das er mit Faile teilte. Er stolperte genauso oft, wie er normal ging, musste sich mühsam weiterkämpfen, wenn der Schnee bis zu seinen Beinen reichte. Er hielt den Umhang eng um sich gezogen, nicht nur, damit er nicht im Wind flatterte, sondern auch um mehr Wärme zu haben. Aber da war keine Wärme, Als er im Lager der Zwei Flüsse eintraf, herrschte dort emsiges Treiben. Die Wagen bildeten noch immer einen großen Kreis, und Männer und Frauen von Dobraines Gütern in Cairhien beluden sie, während andere die Pferde fürs Satteln vorbereiteten. Die Cairhiener, die wegen der Witterung so sehr vermummt waren, dass sie doppelt so dick wie gewöhnlich erschienen, schenkten ihm kaum einen Blick, aber jeder Mann von den Zwei Flüssen, der ihn erblickte, hielt inne, um ihn offen anzustarren, bis jemand ihm einen Stoß gab, damit er sich wieder seiner Tätigkeit zuwandte. Perrin war froh, dass keiner das in diesen Blicken liegende Mitleid zusätzlich mit Worten ausdrückte. Hätte es jemand getan, wäre er vermutlich zusammengebrochen und hätte geweint. Zumindest glaubte er das.

Hier schien es auch nichts für ihn zu tun zu geben. Sein großes Zelt — seines und Failes — war bereits abgebaut und zusammen mit der Einrichtung auf einen Wagen verladen worden. Basel Gill schritt die Wagen mit einer langen Liste in den Händen ab. Der untersetzte Mann hatte die Aufgabe des Shambayan übernommen und führte Failes — und Perrins — Haushalt wie ein Eichhörnchen seinen Futtervorrat. Da er aber mehr an Städte als ans Reisen gewöhnt war, litt er unter der Kälte und trug nicht nur einen Umhang, sondern zusätzlich einen dicken Schal um den Hals, einen breitkrempigen Schlapphut und dicke Wollhandschuhe. Aus irgendeinem Grund zuckte Gill bei seinem Anblick zusammen und murmelte etwas davon, sich um die Wagen kümmern zu müssen, bevor er so schnell davoneilte, wie er nur konnte. Seltsam.

Perrin fiel etwas ein, und er suchte Dannil und gab dann den Befehl, die Männer auf dem Hügel jede Stunde abzulösen und dafür zu sorgen, dass jeder eine heiße Mahlzeit bekam.

»Kümmert Euch zuerst um die Männer und die Pferde«, sagte da eine dünne, aber feste Stimme. »Aber danach müsst Ihr Euch um Euch selbst kümmern. Es ist heiße Suppe im Kessel, dann ist da noch ein Laib Brot, und ich habe noch ein Stück geräucherten Schinken beiseite gelegt. Ein voller Bauch wird Euch weniger wie ein umherstreifender Mörder aussehen lassen.«

»Danke, Lini«, sagte er. Ein umherstreifender Mörder? Licht, er fühlte sich wie ein Toter, nicht wie ein Mörder. »Ich esse später.«

Failes Gesindevorsteherin war eine zerbrechlich wirkende Frau, deren Haut wie Pergament aussah und die das weiße Haar in einem Knoten oben auf dem Kopf trug, aber sie hielt sich aufrecht, und ihre dunklen Augen blickten klar und scharf. Doch jetzt wurde ihre Stirn von Sorgenfalten durchfurcht und ihre Hände verkrampften sich viel zu sehr in ihren Umhang. Sie würde sich um Faile Sorgen machen, das mit Sicherheit, aber ...

»Maighdin hat sie begleitet«, sagte er und benötigte nicht ihr Nicken zur Bestätigung. Es hatte den Anschein, als wäre Maighdin stets in Falles Nähe zu finden. Faile hatte sie einst als einen Schatz bezeichnet. Und Lini schien die Frau als ihre Tochter zu betrachten, obwohl Maighdin dies manchmal nicht so sehr zu genießen schien wie Lini. »Wir bekommen sie zurück«, versprach er. »Sie alle.« Diesmal brach seine Stimme beinahe. »Kümmert Euch wieder um Eure Arbeit«, fuhr er grob und eilig fort. »Ich werde gleich essen. Ich muss vorher ...« Er ging weiter, ohne den Satz zu beenden.

Es gab nichts, was er tun konnte. Nichts, woran er denken konnte. Mit Ausnahme von Faile. Ihm war kaum bewusst, in welche Richtung er ging, bis ihn seine Schritte aus der Wagenburg hinaustrugen.

Einhundert Schritte jenseits der Seile für die Pferde ragte ein niedriger, steiniger Hügel wie ein schwarzer Gipfel aus dem Schnee. Von dort oben würde er die Spuren sehen können, die Elyas und die anderen hinterlassen hatten. Von dort würde er sie zurückkehren sehen.

Er hatte die schmale Hügelkuppe noch nicht erreicht, als ihm seine Nase nicht nur verriet, dass er nicht allein war, sondern auch, wer dort oben stand. Der andere Mann hatte nicht auf seine Umgebung geachtet. Perrin war mit knirschenden Schritten fast schon oben, bevor er an der Stelle aufsprang, wo er auf den Fersen gekauert hatte. Tallanvors behandschuhte Hand knetete den langen Schwertgriff und er sah Perrin unsicher an. Für gewöhnlich war der große Mann, der in seinem Leben schon viele Nackenschläge hatte hinnehmen müssen, sehr selbstsicher. Vielleicht erwartete er eine Beschimpfung, weil er bei Failes Entführung nicht an Ort und Stelle gewesen war, obwohl sie ihn als Leibwächter abgelehnt hatte. Sie hatte außer Bain und Chiad jede Leibwache abgelehnt und die beiden zählten anscheinend nicht. Vielleicht glaubte er auch nur, zurück zu den Wagen geschickt zu werden, damit Perrin allein sein konnte. Perrin bemühte sich, weniger wie ein — wie hatte Lini es doch genannt? — umherstreifender Mörder auszusehen. Tallanvor war in Maighdin verliebt und hätte sie bald geheiratet, falls Failes Vermutung richtig war. Der Mann hatte das Recht, hier Wache zu halten.

Sie standen auf dem Hügel, während sich die Dämmerung herabsenkte, und in dem verschneiten Wald, den sie beobachteten, rührte sich nichts. Die Dunkelheit brach herein, ohne dass sich etwas tat, vor allem aber traf Masemas nicht ein, doch Perrin dachte nicht einmal an den Propheten. Der zunehmende Mond beleuchtete den weißen Schnee, verbreitete scheinbar genauso viel Licht wie der Vollmond. Bis tief treibende Wolkenfetzen ihn dann verbargen und stetig dichter werdende Mondschatten über den Schnee glitten. Es fing an zu schneien. Schnee, der alle Spuren begraben würde. Die beiden Männer standen schweigend in der Kälte, sahen dem Schneefall zu und warteten und hofften.

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