18 Ein Angebot

Die Tage, nachdem der Gholam versucht hatte, ihn zu töten, nahmen einen Rhythmus an, der Mat fast in den Wahnsinn trieb.

In den Straßen sprach man von einem Mann, der nicht weit außerhalb der Stadt von einem Wolf getötet worden war, man hatte ihm die Kehle herausgerissen. Niemand war deswegen besorgt, sondern lediglich neugierig, man hatte schon jahrelang keine Wölfe mehr in der Nähe von Ebou Dar gesehen. Mat machte sich Sorgen. Die Stadtleute mochten ja glauben, dass sich ein Wolf so nahe an die Stadtmauern heranwagen würde, aber er wusste es besser. Der Gholam war nicht verschwunden. Harnan und die anderen Rotwaffen weigerten sich stur abzureisen; sie behaupteten, ihm den Rücken decken zu können, und Vanin weigerte sich, ohne überhaupt einen Grund anzugeben, es sei denn, man würde die gemurmelte Bemerkung, dass Mat ein gutes Auge für schnelle Pferde habe, als solchen verstehen. Allerdings hatte er ausgespuckt, nachdem er es gesagt hatte.

Riselle, deren olivfarbenes Gesicht hübsch genug war, um einen Mann schlucken zu lassen, und deren große feuchte Augen wissend genug waren, um seinen Mund auszutrocknen, erkundigte sich nach Olvers Alter. Als Mat ihr daraufhin antwortete, er sei fast zehn, wirkte sie überrascht und klopfte sich nachdenklich gegen die vollen Lippen, aber falls sie etwas an dem Unterricht des Jungen änderte, so kam er trotzdem jedes Mal zurück und ließ sich gleichermaßen aufgeregt über ihren Busen und die Bücher aus, die sie ihm vorlas. Mat war der festen Überzeugung, dass Olver sogar seine abendliche Partie Schlangen und Füchse für Riselle und die Bücher aufgegeben hätte. Und wenn der Junge aus den Gemächern stürmte, die einst Mat gehört hatten, schlüpfte oft Thom mit der Harfe unter dem Arm hinein. Das allein reichte schon aus, um Mat mit den Zähnen knirschen zu lassen, aber das war nicht einmal die Hälfte davon.

Thom und Beslan gingen häufig zusammen aus, ohne ihn zum Mitkommen einzuladen, und waren dann den halben Tag oder die halbe Nacht weg. Keiner von ihnen verlor noch ein weiteres Wort über ihre Pläne, obwohl Thom immerhin den Anstand hatte, verlegen auszusehen. Mat hoffte, dass sie keine Leute für nichts und wieder nichts in den Tod schickten, aber sie zeigten nur wenig Interesse an seiner Meinung. Beslan starrte ihn nur finster an, wenn er ihn sah. Juilin schlich sich weiterhin in die oberen Etagen und wurde von Suroth erwischt, was ihm eine Prügelstrafe einbrachte; sie banden ihn im Stall mit den Handgelenken an einen Querpfosten und züchtigten ihn mit Riemen. Mat sorgte dafür, dass Vanin seine Striemen behandelte — der Mann behauptete, die Behandlung von Menschen sei dieselbe wie bei Pferden —, und warnte ihn, dass es das nächste Mal schlimmer ausgehen konnte, aber der Narr trieb sich noch am selben Abend wieder in den oberen Stockwerken herum, obwohl ihn das Gewicht seines Hemdes auf dem Rücken schmerzvoll zusammenzucken ließ. Es konnte sich nur um eine Frau handeln, obgleich sich der Diebefänger beharrlich weigerte, etwas zu sagen. Mat vermutete, dass es sich um eine der seanchanischen Adligen handelte. Eine der Palastdienerinnen hätte ihn in seinem Gemach besuchen können, da Thom so oft weg war.

Natürlich nicht Suroth oder Tuon, aber sie waren nicht die einzigen Seanchaner im Palast, die dem hochrangigen Blut angehörten. Die meisten Adligen hatten in der Stadt Zimmer oder ganze Häuser gemietet, aber einige hatten Suroth als Gefolge begleitet, und das Mädchen hatte ebenfalls eine Hand voll mitgebracht. Trotz ihrer Frisuren und der Art und Weise, wie sie auf alle herabsahen, die keine rasierten Schläfen hatten, sah mehr als nur eine der Frauen nach einem netten Arm voll aus. Immer vorausgesetzt, dass sie den Männern mehr Beachtung schenkten als den Möbeln. Auch wenn es unwahrscheinlich erschien, dass eine jener hochmütigen Frauen einen Mann, der im Dienstbotenquartier schlief, auch nur eines zweiten Blickes würdigen würde, nun, das Licht wusste, dass Frauen einen seltsamen Geschmack hatten, was Männer anging. Ihm blieb keine Wahl, als Juilin in Ruhe zu lassen. Wer auch immer die Frau war, sie würde möglicherweise dafür sorgen, dass er doch noch den Kopf verlor, aber diese Art Fieber musste sich erst ausbrennen, bevor ein Mann wieder vernünftig denken konnte. Frauen taten dem Verstand eines Mannes seltsame Dinge an.

Die neu eintreffenden Schiffe spien tagelang einen schier endlosen Strom aus Menschen, Tieren und Fracht aus; wären sie alle geblieben, hätte er ausgereicht, um die mächtigen Stadtmauern von innen heraus zu sprengen, aber sie flössen mit ihren Familien und ihrem Handwerkszeug und Viehbestand durch die Stadt hinaus ins Landesinnere, dazu bereit, Wurzeln zu schlagen. Soldaten wurden ebenfalls durchgeschleust, Tausende von ihnen, wohlgeordnete Reihen aus Infanterie und Kavallerie mit dem Benehmen von Veteranen, die in mit hellen Farben lackierten Rüstungen nach Norden und nach Osten über den Fluss weitermarschierten. Mat gab es auf, sie zu zählen. Manchmal sah er auch seltsame Kreaturen, allerdings wurden die meisten von ihnen oberhalb der Stadt ausgeladen, um die Straßen zu meiden. Torrn, dreiäugige, bronzegeschuppte Katzen in der Größe von Pferden, die richtige Pferde allein schon durch ihre Anwesenheit durchgehen ließen, und Corlm, die wie haarige, flügellose Vögel von Mannsgröße aussahen, deren lange Ohren ständig zuckten und deren gebogene Schnäbel sich nach frisch gerissenem Menschenfleisch zu verzehren schienen, und gewaltige S'redit mit ihren langen Nasen und noch längeren Stoßzähnen.

Raken und die größeren To'raken starteten von ihren Landeplätzen unterhalb des Rahad, gewaltige Echsen, die fledermausähnliche Flügel spreizten und Männer auf den Rücken transportierten. Die Namen waren mühelos aufzuschnappen; jeder seanchanische Soldat diskutierte begeistert über die Notwendigkeit, Späher auf Raken auszusenden oder über die Fähigkeiten der Corlm bei der Spurensuche, ob S'redit für mehr als den Transport schwerer Lasten zu gebrauchen und Torrn zu intelligent waren, um vertrauenswürdig zu sein. Er erfuhr viele interessante Dinge von Männern, die das wollten, was alle Soldaten wollen, einen Schluck zu trinken und eine Frau und ein Spiel, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Diese Soldaten waren tatsächlich Veteranen. Seanchan war ein Imperium, das größer als alle Nationen zwischen dem Aryth-Meer und dem Rückgrat der Welt zusammen war, und das alles unter einer Kaiserin vereint, aber mit einer Geschichte beinahe ständiger Revolten und Rebellionen, die die Soldaten in Übung hielten. Die Bauern würde man schwerer loswerden.

Natürlich rückten nicht alle Soldaten wieder ab. Eine starke Garnison blieb, nicht nur Seanchaner, sondern auch stahlverschleierte tarabonische Lanzenreiter und amadicianische Pikenträger, die ihre Brustpanzer bemalt hatten, damit sie seanchanischen Rüstungen ähnelten. Und neben Waffenmännern aus Tylins Haus auch Altaraner. Gemäß den Verlautbarungen der Seanchaner war Tylin genauso die Herrscherin über die Altaraner aus dem Landesinneren mit den roten Strichen kreuz und quer über den Brustpanzern wie über die Männer, die den Tarasin-Palast bewachten, was die Königin aber seltsamerweise nicht zu erfreuen schien. Die Leute aus dem Landesinneren waren darüber auch nicht besonders begeistert. Sie und die Männer in Mitsobars Grün und Weiß belauerten sich wie fremde Kater in einem kleinen Zimmer. Man tauschte überhaupt viele finstere Blicke aus, Taraboner und Amadicianer, Amadicianer und Altaraner und umgekehrt; seit langer Zeit gereifte, langjährige Animositäten brodelten an die Oberfläche, aber es ging nie weiter als drohend geschwungene Fäuste und ein paar Flüche.

Fünfhundert Mann der Totenwache waren von den Schiffen gekommen und aus einem bestimmten Grund in Ebou Dar geblieben. Die üblichen Verbrechen, mit denen man in jeder großen Stadt rechnen musste, hatten unter den Seanchanern einen dramatischen Rückgang erlebt, aber die Totenwächter patrouillierten die Straßen, als erwarteten sie, dass Beutelschneider, Schläger und vielleicht schwer bewaffnete Banden von Briganten aus den Bürgersteigen in die Höhe schnellten. Die Altaraner und Amadicianer und Taraboner hielten ihr Temperament unter Kontrolle. Nur ein Narr diskutierte mit der Totenwache, und das auch nur einmal. Und ein weiteres Kontingent der Wache hatte in der Stadt Quartier bezogen, ausgerechnet einhundert Ogier in Rot und Schwarz. Manchmal patrouillierten sie zusammen mit den anderen und manchmal wanderten sie mit den langschäftigen Äxten auf den Schultern einfach nur umher. Sie waren nicht wie Mats Freund Loial. Oh, sie hatten die gleichen breiten Nasen und die mit Haarbüscheln bewachsenen Ohren und langen Brauen, die neben Augen von der Größe von Teetassen herabhingen, aber die Gärtner sahen einen Mann an, als würden sie darüber nachdenken, ob er nicht an ein paar Gliedmaßen beschnitten werden musste. Keiner war so närrisch, auch nur einmal den Versuch zu unternehmen, mit den Gärtnern ins Gespräch zu kommen. Seanchaner strömten aus Ebou Dar hinaus und Nachrichten hinein. Selbst wenn sie auf dem Dachboden schlafen mussten, produzierten sich die Kaufleute in den Schankräumen der Gasthäuser, rauchten ihre Pfeifen und erzählten die Dinge, die nur sie wussten. Solange es nicht ihre Profite beeinträchtigte. Die Leibwächter der Kaufleute interessierten sich nur wenig für Profite, von denen sie nichts abbekamen, und erzählten alles, und einiges davon entsprach sogar der Wahrheit. Matrosen erzählten ihre Geschichten allen, die ihnen einen Krug Ale bezahlten oder, noch besser, heißen gewürzten Wein, und wenn sie genug getrunken hatten, erzählten sie noch mehr, über Häfen, in denen sie angelegt hatten, und Geschehnisse, von denen sie Zeugen geworden waren, und später dann von den Träumen, die sie das letzte Mal gehabt hatten, nachdem sie ihren benebelten Kopf ausgelüftet hatten. Doch es war unverkennbar, dass es in der Welt außerhalb von Ebou Dar brodelte wie auf dem Meer der Stürme. Von überall kamen Geschichten über sengende und plündernde Aiel und marschierende Heere in Tear und Murandy, in Arad Doman und Andor, und in Amadicia, das noch immer nicht völlig unter seanchanischer Kontrolle stand, während es im Herzen von Altara Dutzende bewaffneter Gruppen gab, die zu klein waren, um als Heer bezeichnet zu werden. Keiner schien sich sicher zu sein, wer gegen wen kämpfen wollte — mal abgesehen von den Männern in Altara und Amadicia. Und es gab einigen Zweifel, was Altara betraf. Altaraner hatten die Gabe, sich Schwierigkeiten zunutze zu machen, um Stetigkeiten mit Nachbarn zu regeln.

Die Nachrichten, die die Stadt am meisten erschütterten, waren jene über Rand. Mat versuchte sein Bestes, nicht an ihn oder Perrin zu denken, aber es fiel schwer, diese seltsamen Farbwirbel in seinem Kopf zu vermeiden, wenn der Wiedergeborene Drache in aller Munde war. Der Wiedergeborene Drache war tot, behaupteten einige, ermordet von Aes Sedai, von der ganzen Weißen Burg, die sich in Cairhien auf ihn gestürzt hatte, oder war es in Illian geschehen oder in Tear? Nein, sie hatten ihn entführt und er wurde in der Weißen Burg gefangen gehalten. Nein, er war aus freiem Willen zur Weißen Burg gegangen und hatte dem Amyrlin-Sitz die Treue geschworen. Dem Letzteren wurde oft Glauben geschenkt, weil eine große Zahl von Männern behauptete, eine von Elaida höchstpersönlich unterzeichnete Proklamation gesehen zu haben, die genau das verkündete. Mat hatte da seine Zweifel, dass Rand tot sein oder zumindest die Lehnstreue geschworen haben sollte. Aus irgendeinem nicht näher zu bestimmenden Grund war er davon überzeugt, zu wissen, falls Rand den Tod fand, und was das andere anging, so konnte er sich nicht vorstellen, dass sich der Mann der Weißen Burg auch nur freiwillig auf hundert Meilen näherte. Wiedergeborener Drache oder nicht, er hatte mehr Verstand.

Diese Nachrichten — und zwar sie alle — brachten Unruhe unter die Seanchaner wie ein in einen Ameisenhaufen gestoßener Stock. Hochrangige Offiziere eilten zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Korridore des Tarasin-Palasts; sie hatten die seltsamen Helme unter die Arme geklemmt, ihre Stiefel knallten laut auf die Bodenfliesen, und ihre Gesichter waren ernst. Kuriere rasten aus Ebou Dar, auf Pferden und To'mken. Sul'dam und Damane fingen an, in den Straßen zu patrouillieren, statt nur an den Toren Wache zu stehen, und nahmen die Jagd auf Frauen, welche die Macht lenken konnten, wieder auf. Mat ging den Offizieren aus dem Weg und nickte den Sul'dam höflich zu, wenn er ihnen auf den Straßen begegnete. Wie auch immer Rands Situation aussah, in Ebou Dar konnte er nichts daran ändern. Zuerst musste er aus der Stadt hinaus.

Am Morgen nach dem Tag, an dem der Gholam ihn hatte töten wollen, verbrannte Mat jede einzelne der langen rosafarbenen Schleifen im Kamin, sobald Tylin ihre Gemächer verlassen hatte. Er verbrannte auch einen pinkfarbenen Mantel, den sie für ihn hatte anfertigen lassen, sowie zwei Paar rosafarbene Hosen und einen Umhang in derselben Farbe. Der Gestank brennender Wolle und Seide erfüllte die Räume, und er öffnete ein paar Fenster, um ihn hinauszulassen, aber eigentlich war es ihm egal. Er verspürte große Erleichterung, hellblaue Kniebundhosen und einen bestickten grünen Mantel und einen blauen Umhang mit wahrhaft überladener Verzierung zu tragen. Nicht einmal die ganze Spitze störte ihn. Wenigstens war sie nicht rosa. Er wollte nie wieder etwas mit dieser Farbe auch nursehen.

Er stülpte sich den Hut auf den Kopf und hinkte aus dem Tarasin-Palast, fest entschlossen, das Loch zu finden, in dem er all das verstecken konnte, was er für eine Flucht benötigte, und wenn er jede Schenke, Seemannskneipe und jedes Gasthaus der Stadt zehnmal besuchen musste. Selbst im Rahad. Hundert Mal! Graue Möwen und schwarzflügelige Scherenschnäbel wirbelten durch einen bleiernen Himmel, der mehr Regen versprach; ein eiskalter Wind, der den Geruch von Salzwasser mit sich trug, peitschte über den Mol Hara und wirbelte Umhänge nach oben. Er stapfte auf die Pflastersteine, als wollte er jeden einzelnen spalten. Licht, wenn es sein musste, würde er Luca in dem begleiten, was er am Leib trug. Vielleicht würde Luca ihn seine Passage als Possenreißer abarbeiten lassen! Vermutlich würde der Mann sogar darauf bestehen. Aber wenigstens würde er so in der Nähe von Aludra und ihren Geheimnissen bleiben können.

Er ging den ganzen Platz entlang, bevor ihm bewusst wurde, dass ihn seine Schritte zu einem großen weißen Gebäude geführt hatten, das er gut kannte. Das Schild über der bogenförmigen Tür verkündete den Namen Die Wanderin. Ein großer Bursche in einer rotschwarzen Rüstung trat heraus, einen Helm unter dem Arm mit drei schmalen schwarzen Federn, und wartete darauf, dass man ihm sein Pferd brachte. Seine Schläfen waren grau und sein Gesicht gutmütig, aber er sah Mat nicht an, und Mat vermied es, in seine Richtung zu schauen. Ganz egal, wie angenehm der Mann oberflächlich auch erscheinen mochte, gehörte er dennoch zur Totenwache; darüber hinaus handelte es sich um einen Bannergeneral. Wegen der Nähe zum Palast war jedes Zimmer der Wanderin von hohen seanchanischen Offizieren belegt und aus diesem Grund war er seit seiner Genesung nicht mehr hier gewesen. Normale seanchanische Soldaten waren keine üblen Burschen, stets dazu bereit, die halbe Nacht bei einem Glücksspiel zu verbringen und eine Runde zu bezahlen, wenn sie an der Reihe waren, aber die hochrangigen Offiziere hätten genauso gut Adlige sein können. Andererseits, irgendwo musste er anfangen.

Der Schankraum war beinahe genau so, wie er ihn in Erinnerung hatte, mit einer hohen Decke und trotz der frühen Stunde von den Lampen an den Wänden hell erleuchtet. Die hohen Bogenfenster waren mit schweren Läden verschlossen, um die Wärme drinnen zu behalten, und in beiden großen Kaminen prasselten Feuer. Ein feiner Nebel aus Pfeifenrauch erfüllte die Luft und aus der Küche kam der Duft köstlicher Gerichte. Zwei Frauen mit Flöten und ein Bursche mit einer Trommel zwischen den Knien spielten eine schnelle, schrille Ebou Dari-Weise. Gar kein so großer Unterschied zu der Zeit, als er hier gewohnt hatte, was das anging. Aber alle Stühle waren nun mit Seanchanern besetzt; einige trugen Rüstungen und andere lange, bestickte Mäntel. Sie tranken, unterhielten sich und studierten auf Tischen ausgebreitete Karten. An einem Tisch schien eine Frau mit grauem Haar und der, Flamme einer Der'sul'dam auf der Schulter Rapport zu erstatten und an einem anderen nahm eine dürre Sul'dam mit einer rundgesichtigen Damane zu ihren Füßen Befehle entgegen. Eine Anzahl Seanchaner hatten die Seiten des Schädels und den Hinterkopf so rasiert, dass es den Anschein hatte, als hätten sie eine Schüssel aufgesetzt, und das hinten übrig gebliebene Haar fiel in einem breiten Schweif nach unten, der bei den Männern bis zur Schulter und bei den Frauen oft bis zur Taille reichte. Das waren einfache Lords und Ladys, keine Hoch- irgendwas, aber das spielte letztlich keine Rolle. Ein Lord war ein Lord, und davon abgesehen hatten sogar die Männer und Frauen, die aufstanden, um bei den Schankmädchen Nachschub an Getränken zu bestellen, den glatt rasierten, geringschätzigen Gesichtsausdruck von Offizieren, was wiederum bedeutete, dass die Leute, für die sie Getränke bestellten, Ränge bekleideten, die hoch genug waren, um einem Mann Ärger zu bereiten. Einige von ihnen bemerkten ihn und runzelten die Stirn und er wäre beinahe wieder gegangen.

Dann sah er die Wirtin die geländerlose Treppe im rückwärtigen Teil des Raumes herunterkommen, eine imposante Frau mit haselnussbraunen Augen und großen goldenen Ohrringen, deren Haar mit grauen Strähnen durchsetzt war. Setalle Anan war keine Ebou Dari, vermutlich nicht mal Altaranerin, aber sie trug den Hochzeitsdolch, der mit dem Griff nach unten von einer silbernen Halskette in den tiefen, schmalen Ausschnitt ragte, und an ihrer Taille hing eine lange, gebogene Klinge. Sie wusste, dass er angeblich ein Lord war, aber Mat war sich nicht sicher, ob sie es noch immer glaubte oder ob es etwas nützen würde, wenn sie den ganzen Unsinn auch weiterhin schluckte. Auf jeden Fall erblickte sie ihn im gleichen Augenblick und lächelte, es war ein freundliches, einladendes Lächeln, das ihr Gesicht noch hübscher machte. Da blieb nichts anderes mehr zu hin, als zu ihr herüberzugehen, sie zu begrüßen und sich nach ihrer Gesundheit zu erkundigen, das Ganze aber nicht zu auffällig zu machen. Ihr muskulöser Mann war Kapitän eines Fischerboots mit mehr Duell-Narben, als Mat darüber nachdenken wollte. Sie erkundigte sich sofort nach Nynaeve und Elayne und wollte dann zu seiner Überraschung wissen, ob er etwas über die Kusinen gehört habe. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie überhaupt von ihnen wusste.

»Sie haben Nynaeve und Elayne begleitet«, flüsterte er und hielt vorsichtig Ausschau um sicherzugehen, dass die Seanchaner ihnen keine Aufmerksamkeit schenkten. Er wollte nicht zu viel sagen, aber an einem Ort über die Kusinen zu sprechen, an dem Seanchaner zuhören konnten, verursachte ihm eine Gänsehaut. »Soweit ich weiß, sind sie alle in Sicherheit.«

»Gut. Es würde mir Leid tun, wäre auch nur eine von ihnen an den Kragen gelegt worden.« Das dumme Weib senkte nicht einmal die Stimme!

»Ja, das ist gut«, murmelte er und erklärte eilig seine Wünsche, bevor sie noch lauthals verkünden konnte, wie sehr sie sich darüber freute, dass Frauen, die die Macht lenken konnten, den Seanchanern entkommen waren. Er freute sich ebenfalls darüber, aber er freute sich nicht so sehr, dass er sich freiwillig in Ketten legen ließ.

Kopfschüttelnd setzte sie sich auf die Stufen und legte die Hände auf die Knie. Ihre dunkelgrünen Röcke, die auf der linken Seite nach oben genäht waren, entblößten rote Unterröcke. Wenn es darum ging, Farben zu wählen, schienen die Ebou Dari selbst Kesselflicker zu übertreffen. Das Gewirr seanchanischer Stimmen kämpfte gegen die schrille Musik an und sie saß da und sah ihn streng an. »Ihr kennt unsere Bräuche nicht, das ist das Problem«, sagte sie. »Liebchen sind in Altara eine alte und ehrwürdige Tradition«, erklärte sie. »Viele junge Männer oder Frauen haben einen letzten Flirt als Liebchen, werden verwöhnt und lassen sich mit Geschenken überhäufen, bevor sie sesshaft werden. Aber Ihr müsst wissen, dass ein Liebchen entscheidet, wann es geht. Tylin sollte Euch nicht so behandeln, wie sich die Leute erzählen. Aber ich muss sagen, sie kleidet Euch gut«, fügte sie nachdenklich hinzu. Sie machte eine kreisende Bewegung mit der Hand. »Hebt Euren Umhang an und dreht Euch um, damit ich Euch ansehen kann.«

Mat nahm einen tiefen, beruhigenden Atemzug. Und dann noch drei. Das Blut, das in sein Gesicht schoss, war die reine Wut. Kein Erröten. Mit Sicherheit nicht! Licht, wusste denn die ganze Stadt Bescheid? »Habt Ihr einen Raum für mich oder nicht?«, verlangte er mit erstickter Stimme zu wissen.

Wie sich herausstellte, hatte sie einen. Er konnte ein Regalbrett in ihrem Keller benutzen, der ihr zufolge das ganze Jahr über trocken blieb, und da war der kleine Hohlraum unter dem steinernen Küchenboden, wo er früher seine Truhe mit dem Gold verwahrt hatte.

Der Mietpreis bestand darin, seinen Umhang hochzuhalten und sich umzudrehen, damit sie besser sehen konnte. Sie grinste wie eine Katze! Einer der seanchanischen Frauen, einer Frau in roter und blauer Rüstung mit einem Gesicht wie ein Bussard, gefiel das Schauspiel so sehr, dass sie ihm eine fette Silbermünze mit einer seltsamen Prägung zuwarf. Einem abweisenden Frauengesicht auf der einen und einer Art schwerem Stuhl auf der anderen Seite.

Aber egal, er hatte seinen Ort, um Kleidung und Geld aufzubewahren, und als er wieder im Palast in Tylins Gemächern war, fand er heraus, dass er auch Kleidung hatte, die er dort unterbringen konnte.

»Ich fürchte, die Gewänder meines Lords sind in einem schrecklichen Zustand«, sagte Nerim bekümmert. Der dünne Cairhiener hätte ein Geschenk von Feuertropfen mit der gleichen Begeisterung angekündigt. Sein langes Gesicht war in ewiger Trauer. Allerdings behielt er die Tür im Auge für den Fall, dass Tylin zurückkehrte. »Alles ist ziemlich schmutzig und ich fürchte, der Schimmel hat einige der besten Mäntel meines Lords verdorben.«

»Sie waren alle in einem Wandschrank, zusammen mit Prinz Beslans Kinderspielzeug, mein Lord«, warf Lopin lachend ein und zupfte an den Aufschlägen eines dunklen Mantels von der Art, wie Juilin sie trug. Der langsam kahl werdende Mann war das genaue Gegenteil von Nerim, stämmig statt knochig, dunkel statt blass, und sein Kugelbauch hüpfte ständig vor Lachen. Nach Naleseans Tod hatte es so ausgesehen, als wollte er mit Nerim im Seufzen wetteifern, so wie sie um alles wetteiferten, aber die vergangenen Wochen hatten ihn wieder zu seinem alten Selbst gemacht. Zumindest so lange keiner seinen ehemaligen Herrn erwähnte. »Sie sind aber verstaubt, mein Lord. Ich bezweifle, dass jemand an dem Wandschrank war, seit der Prinz seine Spielzeugsoldaten weggeräumt hat.«

Mit dem Gefühl, dass er endlich eine Glückssträhne hatte, befahl Mat ihnen, seine Kleidung rüber in die Wanderin zu schaffen, immer nur ein paar Stücke auf einmal, und bei jedem Transport einen Beutel Gold mitzunehmen. Sein Speer mit dem schwarzen Schaft, der zusammen mit dem entspannten Bogen von den Zwei Flüssen in einer Ecke von Tylins Schlafgemach stand, würde bis zuletzt warten müssen. Die Waffen herauszubekommen würde vielleicht genauso schwierig werden wie selbst herauszuschaffen. Einen Bogen konnte er immer wieder neu herstellen, aber er würde auf keinen Fall den Ashandarei zurücklassen.

Ich habe für das verdammte Ding einen zu hohen Preis bezahlt, um ihn hierzulassen, dachte er und fuhr über die Narbe, die das Tuch um seinen Hals verbarg. Eine der ersten von viel zu vielen. Beim Licht, es wäre nett gewesen, sich vorstellen zu können, dass ihn mehr erwartete als weitere Narben und Schlachten. Und eine Frau, die er nicht wollte oder gar kannte. Da musste es doch mehr als das geben. Aber zuerst ging es darum, mit heiler Haut aus Ebou Dar herauszukommen. Das stand an oberster Stelle.

Lopin und Nerim verließen ihn unter ständigen Verbeugungen und mit dem Gegenwert zweier fetter Geldbeutel in der Kleidung verborgen, um keine verräterischen Ausbuchtungen hervorzurufen, aber sie waren kaum weg, als Tylin erschien und wissen wollte, warum seine Leibdiener durch die Korridore stürmten, als wollten sie ein Wettrennen veranstalten. Wäre er lebensmüde gewesen, hätte er ihr sagen können, dass das Wettrennen entscheiden sollte, wer das Gasthaus als Erster mit seinem Gold erreichen würde, oder vielleicht auch nur, wer als Erster anfangen würde, seine Kleidung zu reinigen. Stattdessen beschäftigte er sich damit, sie abzulenken, und bald verjagte das auch alle anderen Gedanken aus seinem Kopf, mal abgesehen von dem Eindruck, dass sein Glück endlich auch für etwas anderes als Glücksspiele gut war. Um das Maß voll zu machen, hätte Aludra ihm vor seinem Aufbruch nur noch das geben müssen, was er wollte. Tylin steigerte sich regelrecht in das hinein, was sie gerade tat, und eine Zeit lang vergaß er Feuerwerk und Aludra und die Flucht. Eine Zeit lang.

Nach einigem Suchen fand er in der Stadt schließlich einen Glockengießer. In Ebou Dar gab es einige Gongmacher, aber nur einen Glockengießer, der eine Gießerei außerhalb der Westmauer hatte. Der Glockenmacher, ein kadaverhafter, ungeduldiger Kerl, schwitzte in der Hitze seines gewaltigen Schmelzofens. Der lange Raum, aus dem die Gießerei bestand, hätte durchaus eine Folterkammer sein können. Ketten baumelten von den Dachbalken, aus dem Schmelzofen schössen unvermutet Flammen hervor, die flackernde Schatten an die Wände warfen und Mat halb blind machten. Und sobald er das Bild des lodernden Feuers fortblinzelte, ließ ihn die nächste Eruption die Augen zusammenkneifen. Schweißgebadete Arbeiter gössen flüssige Bronze aus dem Kessel des Schmelzofens in eine rechteckige Form von der halben Größe eines Mannes, die auf Rädern in Position gebracht wurde. Überall standen andere große Gussformen zwischen einer Vielzahl kleinerer Gussformen herum.

»Mein Lord belieben zu scherzen.« Meister Sutoma rang sich ein Kichern ab, aber er sah nicht amüsiert aus mit seinem feuchten schwarzen Haar, das in seinem Gesicht klebte. Sein Kichern klang so hohl, wie seine Wangen aussahen, und er bedachte seine Arbeiter mit misstrauischen Blicken, als befürchtete er, sie würden sich hinlegen und schlafen, wenn er sie nicht streng im Auge behielt. In dieser Hitze hätte nicht einmal ein Toter schlafen können. Mats Hemd klebte feucht auf seiner Haut und er fing an, seinen Mantel an einigen Stellen durchzuschwitzen. »Ich weiß nichts über Illuminatoren, mein Lord, und ich will auch nichts davon wissen. Feuerwerk, überflüssiger Unsinn. Nicht wie Glocken. Wenn mich mein Lord jetzt entschuldigen würde? Ich bin sehr beschäftigt. Die Hochlady Suroth hat dreizehn Glocken für einen Siegessatz bestellt, die größten Glocken, die je gegossen wurden. Und Calwyn Sutoma wird sie gießen!« Dass es sich um den Sieg über seine Heimatstadt handelte, schien Sutoma dabei nicht im Mindesten zu stören. Seine letzten Worte ließen ihn grinsen und die Hände reiben.

Mat versuchte, Aludra umzustimmen, aber die Frau hätte genauso gut ebenfalls aus Bronze gegossen sein können. Nun ja, sie fühlte sich beträchtlich weicher als Bronze an, als sie ihm endlich erlaubte, einen Arm um sie zu legen, aber die Küsse, die sie erbeben ließen, brachten ihre Entschlossenheit nicht ins Wanken.

»Also, soweit es mich angeht, ich halte nichts davon, einem Mann mehr zu sagen, als er wissen muss«, sagte sie atemlos neben ihm auf der gepolsterten Bank in ihrem Wagen. Mehr als Küsse ließ sie nicht zu, aber darin war sie dann doch sehr enthusiastisch. Die dünnen, mit Perlen versehenen Zöpfe, die sie wieder trug, waren alle durcheinander. »Männer klatschen, nicht wahr? Bla, bla, bla, und du weißt auch nicht, was du als Nächstes sagst. Und vielleicht habe ich dir ja dieses Rätsel nur gestellt, damit du zurückkommst, hm?« Und sie machte sich daran, ihr Haar noch weiter in Unordnung zu bringen, und seines gleich mit.

Nachdem er ihr vom Schicksal des Gildehauses in Tanchico erzählt hatte, stellte sie keine Nachtblumen mehr her. Er stattete Meister Sutoma noch zwei Besuche ab, aber beim zweiten ließ der Glockengießer vor ihm die Tür verrammeln. Er goss die größten Glocken, die er je hergestellt hatte, und er würde nicht zulassen, dass ein dämlicher Ausländer mit dämlichen Fragen ihm dabei in die Quere kam.

Tylin fing an, die ersten beiden Fingernägel einer jeden Hand Grün zu lackieren, allerdings verzichtete sie darauf, sich die Seiten des Kopfes zu rasieren. Irgendwann würde sie auch das tun, vertraute sie ihm an und strich ihr wogendes Haar mit beiden Händen zurück, um sich im Spiegel an der Wand ihres Schlafgemachs zu betrachten. Aber zuerst wollte sie sich mit der Vorstellung anfreunden. Sie passte sich an die Seanchaner an und er konnte ihr das nicht zum Vorwurf machen, ganz egal, wie viele finstere Blicke Beslan seiner Mutter zuwarf.

Es war unmöglich, dass sie wegen Aludra einen Verdacht haben konnte, aber am Tag nachdem er die Illuminatorin geküsst hatte, verschwanden die großmütterlichen Dienerinnen aus ihren Gemächern und wurden durch weißhaarige, dem Greisenalter nahe Frauen ersetzt. Tylin rammte nachts ihren Gürteldolch mit der gebogenen Klinge in einen ihrer Bettpfosten, wo sie ihn griffbereit hatte, und dachte in seiner Hörweite laut darüber nach, wie er wohl in dem durchsichtigen Gewand eines Da'covale aussehen würde. Grinsende Dienerinnen sagten ihm lediglich, Tylin hätte den Dolch in den Bettpfosten gerammt, wenn sie ihm mitteilen sollten, dass die Königin seine Anwesenheit in ihren Gemächern wünschte, und bald ging er jeder Frau in einer Livree, die ihm mit einem Lächeln auf dem Gesicht entgegenkam, aus dem Weg. Es konnte keine Rede davon sein, dass er es verabscheute, von Tylin ins Bett gezogen zu werden; einmal davon abgesehen, dass sie eine Königin und damit genauso arrogant wie jede andere Adlige war. Und der Tatsache, dass sie ihn sich wie eine Maus fühlen ließ, die von einer Katze zum Schoßtier auserkoren worden war. Aber es gab nur eine gewisse Anzahl von Stunden mit Tageslicht, allerdings mehr, als er es im Winter von zu Hause gewöhnt war, und eine Zeit lang musste er sich fragen, ob sie alle davon ausnutzen wollte.

Glücklicherweise fing Tylin an, immer mehr Zeit mit Suroth und Tuon zu verbringen. Ihre Annäherung schien in Freundschaft geendet zu haben, zumindest, soweit es Tuon betraf. Niemand konnte mit Suroth befreundet sein. Tylin schien das Mädchen adoptiert zu haben oder das Mädchen hatte sie adoptiert. Tylin erzählte ihm nur wenig über das, worüber sie sich unterhielten, blieb stets nur ganz allgemein und manchmal nicht mal das, aber sie zogen sich stundenlang ganz allein zurück und spazierten in leise Unterhaltungen vertieft oder manchmal sogar lachend durch die Palastkorridore. Oft gingen Anath oder Selucia, Tuons blonde So'jhin, hinter ihnen her, und gelegentlich auch zwei finster dreinblickende Männer der Totenwache.

Er konnte sich die Beziehung zwischen Suroth, Tuon und Anath noch immer nicht erklären. In der Öffentlichkeit benahmen sich Suroth und Tuon wie Gleichgestellte, sprachen sich gegenseitig mit Namen an und lachten über die Spaße der anderen. Tuon gab Suroth niemals einen Befehl, zumindest nicht in seiner Gegenwart, aber Suroth schien Tuons Vorschläge als Befehle aufzufassen. Anath hingegen setzte Tuon gnadenlos mit scharfer Kritik zu und nannte sie eine Närrin oder schlimmeres.

»Das ist die schlimmste Art der Dummheit, Mädchen«, hörte er sie eines Mittags in einem der Korridore sagen. Tylin hatte auf ihr plumpes Herbeizitieren verzichtet — bis jetzt — und er versuchte, sich aus dem Palast zu schleichen, bevor sie sich dazu entschied. Vorsichtig schob er sich an den Wänden entlang und spähte um jede Ecke. Er hatte geplant, Sutoma und danach Aludra einen Besuch abzustatten. Die drei Seanchanerinnen — vier, wenn man Selucia mitzählte, aber er glaubte nicht, dass sie es auf diese Weise gesehen hätten — standen direkt hinter der nächsten Abzweigung in einer Gruppe zusammen. Während er nach Dienerinnen mit einem breiten Lächeln im Gesicht Ausschau hielt, wartete er ungeduldig darauf, dass sie endlich weitergingen. Worüber sie sich auch immer unterhielten, sie würden es nicht zu schätzen wissen, wenn er dabei in sie hineinplatzte. »Die nähere Bekanntschaft mit dem Riemen wird Euch auf den richtigen Weg zurückbringen und Euren Kopf von diesem Unsinn befreien«, fuhr die hoch gewachsene Frau mit eiskalter Stimme fort. »Bittet darum und hört auf damit.«

Mat steckte sich den Finger ins Ohr und schüttelte den Kopf. Er musste sich verhört haben. Selucia, die ruhig und mit vor der Taille gefalteten Händen dastand, verzog jedenfalls keine Miene.

Suroth stieß jedoch ein Keuchen aus. »Dafür werdet Ihr sie bestrafen!«, verlangte sie wütend und starrte förmlich Löcher in Anath hinein. Oder versuchte es zumindest. Nach der Beachtung zu urteilen, die die große Frau ihr schenkte, hätte sie genauso gut ein Möbelstück sein können.

»Ihr versteht nicht, Suroth.« Tuons Seufzer versetzte den Schleier, der ihr Gesicht bedeckte, in Bewegung. Bedeckte, aber nicht verbarg. Sie sah... resigniert aus. Es hatte Mat zutiefst verblüfft, als er erfahren hatte, dass sie nur wenige Jahre jünger als er war. Er hätte mehr als zehn geschätzt. Nun, auf jeden Fall sechs oder sieben. »Die Omen sagen etwas anderes, Anath«, fuhr das Mädchen ruhig und nicht im Mindesten wütend fort. Sie gab lediglich eine Tatsache wieder. »Seid versichert, ich werde es Euch wissen lassen, wenn sie sich verändern.«

Jemand tippte ihm auf die Schulter; er wandte den Kopf und blickte in das Gesicht einer Dienerin, die ihn breit angrinste. Nun, eigentlich war er gar nicht so versessen auf seinen Ausflug gewesen.

Tuon bereitete ihm Kopfzerbrechen. Oh, wenn sie einander in den Korridoren begegneten, machte er stets seinen besten Kratzfuß und sie ignorierte ihn dafür so ausführlich, wie Suroth oder Anath es taten, aber er hatte den Eindruck gewonnen, als würden sie sich etwas zu oft in den Korridoren über den Weg laufen.

Eines Nachmittags betrat er Tylins Gemächer, nachdem er herausgefunden hatte, dass die Königin mit Suroth in irgendeiner Besprechung war, und im Schlafgemach überraschte er Tuon dabei, wie sie seinen Ashandarei untersuchte. Der Anblick, wie sie die in den schwarzen Schaft eingravierten Worte der Alten Sprache befingerte, ließ ihn erstarren. An jedem Ende der Worte war ein aus einem dunkleren Metall gefertigter Rabe eingelassen, zwei weitere waren auf der leicht gekrümmten Klinge eingraviert. Für die Seanchaner waren Raben ein kaiserliches Siegel. Mit angehaltenem Atem versuchte er sich rückwärts zu bewegen, ohne einen Laut zu verursachen.

Das verschleierte Gesicht fuhr zu ihm herum. Eigentlich war es ein hübsches Gesicht, es hätte sogar wunderschön sein können, wenn sie je aufgehört hätte auszusehen, als würde sie gleich ein Stück Holz abbeißen. Er fand nicht länger, dass sie wie ein Junge aussah —diese engen breiten Gürtel, die sie stets trug, sorgten dafür, dass man sah, welche Kurven es hier gab —, aber sie hätte genauso gut einer sein können. Es kam nur selten vor, dass er einer erwachsenen Frau begegnete, die jünger als seine Großmutter war, und sich nicht zumindest beiläufig fragte, wie es wohl wäre, mit ihr zu tanzen, sie vielleicht sogar zu küssen. Das passierte ihm sogar bei diesen hochnäsigen Vertreterinnen des seanchanischen Blutes, aber bei Tuon hatte er noch nicht einmal annähernd an so etwas gedacht. Eine Frau musste etwas haben, um das man seinen Arm legen konnte, warum sich sonst überhaupt die Mühe machen?

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Tylin so etwas besitzt«, sagte sie kühl und stellte den Speer mit der langen Klinge wieder neben seinen Bogen. »Also muss er Euch gehören. Was ist das? Wie kommt Ihr in seinen Besitz?« Dieses kalte Fordern von Informationen ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Das verdammte Weib hätte genauso gut einem Diener Befehle erteilen können. Licht, soweit er wusste, kannte sie nicht einmal seinen Namen! Tylin hatte erzählt, dass sie ihn seit ihrem Kaufangebot nie wieder erwähnt hatte.

»Man nennt es einen Speer, meine Lady«, sagte er und widerstand dem Drang, sich gegen den Türrahmen zu lehnen und die Daumen in den Gürtel zu stecken. Schließlich gehörte sie dem seanchanischen Blut an. »Ich habe ihn gekauft.«

»Ich werde Euch das Zehnfache des Preises geben, den Ihr bezahlt habt«, sagte sie. »Nennt ihn.«

Beinahe hätte er gelacht. Er wollte es, und bestimmt nicht vor Vergnügen, so viel stand fest. Kein Würdet Ihr ihn vielleicht verkaufen, bloß ein Ich will ihn kaufen und das werde ich dafür bezahlen. »Der Preis bestand nicht aus Gold, meine Lady.« Unwillkürlich griff er nach dem schwarzen Halstuch, um sich zu vergewissern, dass es die gezackte Narbe an seinem Hals verbarg. »Nur ein Narr würde ihn einmal bezahlen, geschweige denn zehnmal.«

Sie musterte ihn einen Augenblick lang, und ihr Gesichtsausdruck blieb unleserlich, egal wie durchsichtig der Schleier auch war. Und dann hätte er sich genauso gut auch in Luft aufgelöst haben können. Sie schoss an ihm vorbei, als wäre er nicht länger da, und rauschte aus den Gemächern.

Das war nicht das einzige Mal, dass er sie allein antraf. Natürlich folgten ihr nicht bei jeder Gelegenheit Anath oder Selucia oder Wächter, aber er hatte den Eindruck, dass es ihm viel zu oft passierte, dass er sich entschied, wegen irgendetwas umzukehren und ihr plötzlich allein begegnete und sie ertappte, wie sie ihn musterte, oder er verließ unvermutet einen Raum und stieß vor der Tür auf sie. Mehr als nur einmal schaute er beim Verlassen des Palasts über die Schulter und sah ihr verschleiertes Gesicht aus einem Fenster blicken. Gut, es hatte nichts von einem Starren an sich. Sie sah ihn an und rauschte davon, als hätte er zu existieren aufgehört, spähte aus einem Fenster und wandte sich sofort ab, sobald er sie bemerkte. Er war wie ein Kandelaber in einem Korridor, ein Pflasterstein im Mol Hara. Aber es fing an, ihn nervös zu machen. Schließlich hatte die Frau angeboten, ihn zu kaufen. So etwas konnte einen Mann schon nervös machen.

Doch selbst Tuon konnte das immer stärker werdende Gefühl nicht verhindern, dass die Dinge endlich in die richtigen Bahnen gelenkt wurden. Der Gholam kehrte nicht zurück, und Mat kam zu dem Schluss, dass er sich vielleicht einer leichteren ›Ernte‹ zugewandt hatte. Auf jeden Fall mied er dunkle und einsame Orte, wo das Ungeheuer eine Chance hatte, ihn zu erwischen. Sein Medaillon war eine schöne Sache, aber eine ordentliche Menschenmenge war besser. Bei seinem letzten Besuch bei Aludra hatte sie beinahe etwas verraten — davon war er überzeugt —, bevor sie die Beherrschung wiederfand und ihn hastig hinauswarf. Es gab nichts, das einem eine Frau nicht sagen würde, wenn man sie lange genug küsste. Er hielt sich von der Wanderin fern, um Tylins Verdacht nicht zu erregen, aber Nerim und Lopin brachten heimlich seine eigenen Kleidungsstücke in den Keller des Gasthauses. Stück für Stück wanderte der Inhalt der mit Eisenbän-dem beschlagenen Kiste unter Tylins Bett über den Mol Hara in den verborgenen Hohlraum unter der Gasthausküche.

Jedoch fing der Hohlraum unter dem Küchenboden an, ihm Sorgen zu machen. Er war gut genug gewesen, um die Truhe zu verbergen. Ein Mann konnte sein Stemmeisen zerbrechen bei dem Versuch, dort hineinzugelangen. Aber er hatte in dem Gasthaus gewohnt. Jetzt würde man das Gold einfach in das Loch kippen, nachdem Setalle die Küche geräumt hatte. Was war, wenn jemand anfing Fragen zu stellen, warum sie alle hinausjagte, wenn Lopin und Nerim kamen? Jeder konnte die Bodenfliese hochheben, wenn man wusste, wo man suchen musste. Es drängte ihn, sich zu vergewissern. Später, viel später, sollte er sich fragen, warum ihn die verdammten Würfel nicht gewarnt hatten.

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