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Was haben wir denn hier?«, sagte die harte Stimme einer Frau. Faile blickte auf und starrte sie an, den heißen Tee für den Augenblick vergessend.

Zwei Aiel mit einer sehr viel kleineren Gai'schain in der Mitte traten aus dem Schneegestöber hervor; sie sanken zwar bis zu den Waden in dem weißen Teppich ein, der den Boden bedeckte, brachten aber trotzdem energische, weitausholende Schritte zustande. Das heißt, zumindest die beiden größeren Frauen; die Gai'schain stolperte mühsam voran in dem Bemühen, mit ihnen Schritt zu halten, und eine ihrer größeren Begleiterinnen hatte eine Hand auf ihrer Schulter, um dafür zu sorgen, dass sie es auch schaffte. Alle drei waren einen genaueren Blick wert. Die Frau in Weiß hielt den Kopf demütig so tief gesenkt, wie es möglich war, und ihre Hände steckten in den breiten Ärmeln, wie es sich für eine Gai'schain gehörte, aber ihr Gewand hatte den unerhörten Schimmer von schwerer Seide. Gai'schain war jeder Schmuck verboten, doch um ihre Taille schmiegte sich ein breiter, aufwendig gearbeiteter Gürtel aus Gold und Feuertropfen, und die Falten der hochgeschlagenen Kapuze gaben einen kurzen Blick auf die dazu passende Kette frei, die fast ihren ganzen Hals bedeckte. Außer Königen konnten sich nur wenige derartigen Schmuck leisten.

Aber so seltsam dieser Anblick auch war, Faile konzentrierte sich auf die beiden anderen. Etwas sagte ihr, dass es sich bei ihnen um Weise Frauen handelte. Sie strahlten zu viel Autorität aus, um etwas anderes zu sein; es waren Frauen, die gewohnt waren, Befehle zu erteilen, die unverzüglich befolgt wurden. Aber davon abgesehen erregte schon ihre bloße Anwesenheit Aufmerksamkeit. Die Frau, die die Gai'schain vorwärts stieß und einen dunkelgrauen Schal um den Kopf gewickelt hatte, war ein strenges, blauäugiges Adlerweibchen; sie wies eine beeindruckende Größe auf, war fast so groß wie die meisten Aielmänner, doch ihre Begleiterin war mindestens eine halbe Handspanne größer als Perrin! Dabei konnte man sie aber nicht als massig bezeichnen — wenn man von einer Ausnahme absah. Das sandgelbe Haar, das von einem breiten dunklen Tuch zweckgebunden wurde, reichte ihr bis zur Taille, und ihr brauner Schal lag auf ihren Schultern und klaffte so weit auf, dass er die Ansätze gewaltiger Brüste zeigte, die aus dem Ausschnitt der hellen Bluse ragten. Wie schaffte sie es nur, dass sie sich keine Erfrierungen zuzog, da sie in diesem Wetter so viel Haut entblößte? All die schweren Ketten aus Gold und Elfenbein mussten sich wie Eis anfühlen!

Als sie vor den knieenden Gefangenen stehen blieben, bedachte die Frau mit dem scharf geschnittenen Adlergesicht die Shaido, die sie mitgebracht hatten, mit einem tadelnden Blick und machte mit der freien Hand eine knappe, entlassende Geste. Aus irgendeinem Grund hielt sie die Gai'schain weiterhin fest an der Schulter gepackt. Die drei Töchter des Speers wandten sich sofort ab und eilten auf den Tross der vorbeiziehenden Shaido zu. Einer der Männer schloss sich ihnen an, aber Rolan und der Rest tauschten hoffnungslose Blicke aus, bevor sie ihrem Beispiel folgten. Vielleicht hatte das etwas zu bedeuten, vielleicht auch nicht. Falle wusste plötzlich, wie sich jemand fühlte, der in einem Mahlstrom gefangen war und verzweifelt nach Strohhalmen griff.

»Noch mehr Gai'schain für Sevanna, das haben wir hier«, sagte die unglaublich große Frau amüsiert. Sie hatte ein markantes Gesicht, das einige vielleicht als hübsch bezeichnet hätten, aber verglichen mit der anderen Weisen Frau erschien sie weich und nachgiebig. »Sevanna wird nicht zufrieden sein, bis die ganze Welt Gai'schain ist, Therava. Nicht, dass ich etwas dagegen einzuwenden hätte.« Sie lachte.

Die Weise Frau mit den Adleraugen lachte nicht. Ihr Gesicht war wie gemeißelt. Ihre Stimme war so hart wie Stein. »Sevanna hat bereits zu viele Gai'schain, Someryn. Wir haben zu viele Gai'schain. Sie sorgen dafür, dass wir uns kriechend fortbewegen, wo wir doch laufen sollten.« Ihr stählerner Blick glitt die Reihe der Knienden entlang.

Faile zuckte zusammen, als sie gemustert wurde; schnell senkte sie den Kopf und versteckte ihr Gesicht hinter dem Becher. Sie hatte Therava noch nie zuvor gesehen, aber dieser Blick hatte ihr verraten, mit wem sie es hier zu tun hatte. Diese Frau war begierig, jede Herausforderung ihrer Autorität auf der Stelle ein für allemal zu vernichten, und sie war dazu fähig, aus einem ganz normalen Blick eine Herausforderung herauszulesen. Schlimm genug, wenn sich irgendein dummer Adliger bei Hof so verhielt oder jemand, der einem auf der Straße begegnete, aber wenn Therava ein persönliches Interesse an ihnen entwickelte, würde eine Flucht mehr als nur schwierig werden. Trotzdem beobachtete Faile die Frau aus den Augenwinkeln. Dabei kam es ihr so vor, als würde sie eine giftige Natter beobachten, deren Schuppen in der Sonne glitzerten und die sich keine dreißig Zentimeter vor ihrem Gesicht zusammenrollte.

Demut, dachte sie. Ich knie hier demütig und denke nur daran, meinen Tee zu trinken. Du brauchst mich kein zweites mal zu mustern, du kaltäugige Hexe. Sie hoffte, dass die anderen ebenfalls das sahen, was sie erkannt hatte.

Alliandre hatte es nicht. Sie versuchte schwankend, auf den geschwollenen Füßen zu stehen, dann sank sie mit einem Stöhnen zurück auf die Knie. Trotzdem kniete sie aufrecht im fallenden Schnee und hielt mit hoch erhobenem Kopf die dunkle Wolldecke so fest, als würde es sich um einen kostbaren Seidenschal handeln, der ein prächtiges Gewand verbarg. Die nackten Beine und das vom Wind zerzauste Haar machten den Eindruck zwar etwas zunichte, trotzdem war sie die personifizierte Arroganz auf einem Thronpodest.

»Ich bin Alliandre Maritha Kigarin, Königin von Ghealdan«, verkündete sie lauthals, jeder Zoll eine Königin, die vor einer Horde schurkischer Wegelagerer stand. »Ihr tätet gut daran, mich und meine Gefährten gut zu behandeln und diejenigen zu bestrafen, die so grob mit uns umgesprungen sind. Ihr werdet ein großes Lösegeld für uns erzielen, größer, als ihr es euch vorstellen könnt, und eine Amnestie für eure Verbrechen. Meine Lehnsherrin, ihre Dienerin und ich beanspruchen bis zum Abschluss der Verhandlungen eine angemessene Unterkunft. Die anderen können bescheidener untergebracht werden, solange sie unversehrt bleiben. Ich werde kein Lösegeld bezahlen, wenn ihr die niedrigsten Diener meiner Lehnsherrin misshandelt.«

Faile hätte am liebsten gestöhnt — hielt diese Närrin diese Leute denn für einfache Straßenräuber? —, aber dafür blieb ihr keine Zeit.

»Stimmt das, Galina? Ist sie eine Königin der Feuchtländer?« Eine weitere Frau ritt hinter den Gefangenen aus dem Wald, der Hufschlag ihres großen schwarzen Wallachs war im Schnee kaum zu hören. Faile hielt sie für eine Aiel, war sich aber nicht sicher. Es war schwer zu sagen, solange die Frau auf dem Pferd saß, aber sie schien mindestens so groß wie Faile zu sein, und das waren nur wenige Frauen der Aiel, vor allem nicht, wenn sie diese grünen Augen in einem von der Sonne verbrannten Gesicht aufwiesen. Aber dennoch ...

Auf den ersten Blick schien der dunkle Rock zu einer Aiel zu gehören, aber es handelte sich um einen Reitrock, der genau wie die cremefarbene Bluse aus Seide zu bestehen schien, und unter dem Saum ragten rote Stiefel hervor. Das breite, zusammengefaltete Tuch, das ihre langen blonden Haare zurückhielt, bestand aus rotem Brokat, und darüber schob sich ein daumenbreiter Reifen aus Gold und Feuertropfen. Im Gegensatz zu dem Goldgeschmeide und dem geschnitzten Elfenbein der Weisen Frauen bestanden ihre Ketten aus dicken Perlen und Smaragden, Saphiren und Rubinen, und sie ruhten auf beinahe genauso viel entblößtem Busen wie bei Someryn. Die Armreifen, die fast bis zu ihren Ellbogen reichten, unterschieden sich auf die gleiche Weise von denen der Weisen Frauen; darüber hinaus trugen Aiel keine Ringe, aber an jedem ihrer Finger funkelten Edelsteine. Statt einem dunklen Schal flatterte ein heller, blutroter Umhang, der mit goldenen Stickereien verziert und mit weißem Fell gesäumt war, im Wind. Allerdings saß sie mit der für eine Aiel typischen Unbeholfenheit im Sattel. »Und die Lehnsherrin einer Königin? Bedeutet das, dass die Königin mit einem Eid an sie gebunden ist? Das muss dann aber eine wahrlich mächtige Frau sein. Antworte mir, Galina.«

Die in Seide gekleidete Gai'schain krümmte die Schultern und bedachte die Frau auf dem Pferd mit einem unterwürfigen Lächeln. »Eine wahrhaft mächtige Frau, wenn eine Königin ihr Gehorsam schwört, Sevanna«, sagte sie eifrig. »So etwas habe ich noch nie gehört. Doch ich glaube, dass sie diejenige ist, die sie zu sein behauptet. Ich habe Alliandre vor Jahren einmal gesehen, und das Mädchen, an das ich mich erinnere, könnte durchaus zu dieser Frau herangewachsen sein. Und sie wurde zur Königin von Ghealdan gekrönt. Ich weiß nicht, was sie in Amadicia macht. Sowohl die Weißmäntel wie auch Roedran würden sie augenblicklich gefangen nehmen, wenn sie ...«

»Lina, es reicht«, sagte Therava energisch. Die Hand auf Galinas Schulter spannte sich sichtlich an. »Du weißt, wie ich es hasse, wenn du plapperst.«

Die Gai'schain zuckte zusammen, als wäre sie geschlagen worden, und sie schloß den Mund. Als sie zu der viel größeren Frau herauflächelte, kroch sie noch erbärmlicher in sich zusammen, als sie es bei Sevanna getan hatte. In ihren Augen blitzte auch Furcht auf. Dunkle Augen. Sie war auf keinen Fall eine Aiel. Therava schien die Unterwürfigkeit der Frau nicht einmal zu bemerken; eine Hündin war zurechtgewiesen worden und hatte gehorcht. Die Aufmerksamkeit der Weisen Frau galt allein Sevanna. Someryn widmete der Gai'schain einen Seitenblick, ihre Lippen verzogen sich verächtlich, dann richtete sie den Schal auf ihrer Brust und konzentrierte sich ebenfalls auf Sevanna. Aiel gaben nicht viel mit ihrem Mienenspiel preis, aber es war offensichtlich, dass sie Sevanna nicht mochte und ihr zugleich großes Misstrauen entgegenbrachte.

Falles Blicke folgten über dem Becherrand ebenfalls der Reiterin. In gewisser Weise war es so, als würde man Logain oder Mazrim Taim sehen. Auch Sevanna hatte ihren Namen mit Blut und Feuer an den Himmel geschrieben. Cairhien würde Jahre brauchen, um sich von dem zu erholen, was sie dort angerichtet hatte, und die Auswirkungen waren bis nach Andor und Tear und darüber hinaus spürbar. Perrin hatte einem Mann namens Couladin die Schuld dafür gegeben, aber Faile hatte genug von dieser Frau gehört, um sich vorstellen zu können, wer dahintersteckte. Und niemand bestritt, dass Sevanna die Schuld für die vielen Toten bei den Quellen von Dumai trug. Perrin war dort beinahe gestorben. Dafür hatte Faile noch eine persönliche Rechnung mit ihr offen. Vielleicht würde sie ja Rolan seine Ohren lassen, wenn sie dafür diese Rechnung begleichen konnte.

Die auffallend gekleidete Frau ritt langsam die Reihe der knienden Gefangenen ab und ihre grünen Augen blickten beinahe genauso kalt wie die Theravas. Plötzlich erschienen die Geräusche, welche die Hufe des schwarzen Pferdes im Schnee verursachten, auffallend laut. »Wer von euch ist die Dienerin?« Eine seltsame Frage. Maighdin zögerte mit zusammengebissenen Zähnen, bevor sie die Hand unter ihrer Decke hervorschob. Sevanna nickte nachdenklich. »Und die ... Lehnsherrin?«

Einen Augenblick lang dachte Faile daran, die Frage einfach zu ignorieren, aber Sevanna würde auf die eine oder andere Weise in Erfahrung bringen, was sie wissen wollte. Zögernd hob sie die Hand. Und zitterte, aber diesmal nicht wegen der Kälte. Therava beobachtete alles mit ihrem bösartigen Blick, passte genau auf. Was Sevanna tat, was diejenigen taten, die sie aufgerufen hatte.

Faile konnte nicht verstehen, wie sich jemand dieses sezierenden Blickes nicht bewusst sein konnte, doch Sevanna tat zumindest so, als würde sie nichts bemerken, als sie ihren Wallach hinter die Reihe lenkte. »Mit diesen Füßen können sie nicht gehen«, sagte sie schließlich. »Ich sehe nicht ein, dass sie mit den Kindern reiten. Galina, Heile sie.«

Faile hätte beinahe den Becher fallen gelassen. Sie stieß ihn dem Gai'schain entgegen und tat so, als hätte sie das ohnehin vorgehabt. Er war sowieso leer. Der Narbige füllte ihn gelassen aus seinem Lederbeutel voller Tee nach. Heilen? Sie meinte doch sicherlich nicht...

»Also gut«, sagte Therava und versetzte der Gai'schain einen Stoß, der sie nach vorn taumeln ließ. »Mach es schnell, kleine Lina. Ich weiß, dass du mich nicht enttäuschen willst.«

Galina konnte einen Sturz vermeiden, aber sie musste sich den Gefangenen entgegenkämpfen. An einigen Stellen sank sie bis zu den Knien ein, ihr Gewand schleifte über den Schnee, aber sie war entschlossen, ihr Ziel zu erreichen. Auf ihrem runden Gesicht spiegelten sich Furcht und Abscheu und ... Eifer? Konnte das sein? Es war eine widerwärtige Kombination.

Sevanna beendete ihre Umrandung und blieb dort stehen, wo Faile sie sehen konnte. Sie stand den Weisen Frauen genau gegenüber. Der eisige Wind zupfte an ihrem Umhang, aber sie schien ihn genauso wenig zu bemerken wie den Schnee, der auf sie herab wehte. »Therava, ich habe gerade die Nachricht erhalten.« Ihre Stimme war ruhig, obwohl ihre Augen Blitze schleuderten. »Heute Abend lagern wir zusammen mit den Jonine.«

»Eine fünfte Septime«, erwiderte Therava ausdruckslos. Auch bei ihr hatte es den Anschein, als würden Schnee und Wind nicht existieren. »Fünf, während achtundsiebzig in alle Winde verstreut bleiben. Ihr solltet Euren Schwur nicht vergessen, die Shaido wieder zu vereinigen, Sevanna. Wir werden nicht für alle Zeiten warten.«

Jetzt waren es keine Blitze mehr. Sevannas Augen waren wie grüne Vulkane, die Lava spuckten. »Ich tue immer, was ich sage, Therava. Das solltet Ihr nicht vergessen. Und denkt daran, dass ihr mich beratet. Ich spreche für den Clanhäuptling.«

Sie zerrte ihren Wallach herum, stieß dem Tier die Absätze in die Flanken und versuchte ihn dazu zu bewegen, zu dem Strom aus Menschen und Wagen zurückzugaloppieren, obwohl das kein Pferd bei diesem tiefen Schnee gekonnt hätte. Das Tier schaffte es, sich etwas schneller als im Schritttempo zu bewegen, aber nicht sehr. Therava und Someryn sahen mit erstarrten Gesichtern zu, wie Pferd und Reiterin in dem fallenden weißen Schleier verschwanden.

Für Faile war das ein wichtiges Gespräch gewesen. Sie erkannte Spannungen und gegenseitigen Hass, wenn sie sie sah. Eine Schwäche, die man sich vielleicht zunutze machen konnte, falls sie herausbekam, wie sie das anstellen musste. Und es hatte den Anschein, als wären doch nicht alle Shaido hier. Obwohl... Wenn man nach der endlosen Reihe ging, die an ihnen vorbeizog, schienen es mehr als genug zu sein. Galina traf bei ihnen ein und alle Überlegungen traten in den Hintergrund.

Galina glättete ihr Gesicht zu einem fahrigen Anschein von Gelassenheit und packte wortlos Failes Kopf mit beiden Händen. Faile vermochte nicht zu sagen, ob sie aufstöhnte oder nicht. Die Welt schien an ihr vorbeizufliegen, als sie aus der Hocke hochkam. Stunden rasten vorbei, vielleicht krochen auch Herzschläge. Die in Weiß gekleidete Frau trat zurück, und Faile stürzte kopfüber auf die braune Decke und blieb keuchend auf der rauen Wolle liegen. Ihre Füße schmerzten nicht mehr, aber jede mithilfe der Macht erfolgte Heilung verursachte Hunger, und sie hatte seit dem gestrigen Frühstück nichts mehr zu sich genommen. Sie hätte tellerweise Essen herunterschlingen können, ganz egal was. Sie war nicht länger müde, aber ihre Muskeln hatten sich aus Pudding in Wasser verwandelt. Sie stieß sich mit Armen hoch, die unter ihrem Gewicht zusammenbrechen wollten, und zog sich mit unsicheren Bewegungen die grau gestreifte Decke um den Leib. Sie fühlte sich durch das, was sie gesehen hatte, bevor Galina sie gepackt hatte, mindestens genauso benommen wie durch das Heilen selbst. Dankbar ließ sie zu, dass der Narbige ihr den dampfenden Becher an den Mund hielt. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Finger ihn hätten halten können.

Galina verschwendete keine Zeit. Eine benommene Alliandre versuchte gerade, von der Stelle aufzustehen, wo sie aufs Gesicht gefallen war; ihre rot gestreifte Decke war unbemerkt zu Boden gefallen. Ihre Striemen waren natürlich verschwunden. Maighdin lag noch immer zwischen ihren beiden Decken; ihre zuckenden Gliedmaßen ragten in jeder Richtung heraus, während sie kraftlos versuchte, sich zu sammeln. Chiad, die Galinas Hände auf dem Kopf hatte, sprang auf die Füße; sie fuchtelte mit den Armen herum und stieß keuchend den Atem aus. Die gelbe Schwellung in ihrem Gesicht verschwand, noch während Falle zusah. Als Galina sich zu Bain begab, brach die Tochter des Speers wie von einer Axt getroffen zusammen, obwohl sie sich bereits im nächsten Augenblick wieder regte.

Faile konzentrierte sich auf den Tee und auf rasendes Nachdenken. Das Gold an Galinas Finger war ein Schlangenring. Wäre das Heilen nicht gewesen, hätte sie ihn bloß für ein seltsames Geschenk von demjenigen gehalten, der dieser Frau all den Schmuck gegeben hatte. Galina war eine Aes Sedai. Sie musste es sein. Aber was tat eine Aes Sedai hier und dann auch noch im Gewand einer Gai'schain? Ganz zu schweigen davon, dass sie anscheinend dazu bereit war, Sevanna das Handgelenk zu lecken und Theravä die Füße zu küssen! Eine Aes Sedai!

Galina stand nun über der schlaff daliegenden Arrela, der Letzten in der Reihe, keuchte etwas von der Anstrengung, so viele so schnell Geheilt zu haben, und sah zu Theravä herüber, als würde sie sich ein Lob erhoffen. Ohne auch nur einen Blick an sie zu verschwenden, steckten die beiden Weisen Frauen die Köpfe zusammen und gingen plaudernd zu dem Tross der Shaido zurück. Die Aes Sedai wartete einen Augenblick lang, runzelte dann die Stirn und hob ihr Gewand, um so schnell sie nur konnte hinter ihnen herzueilen. Aber sie blickte mehr als nur einmal zurück. Faile hatte das Gefühl, dass sie es auch noch dann tat, nachdem der fallende Schnee einen Vorhang zwischen ihnen gebildet hatte.

Weitere Gai 'schain kamen heran, ein Dutzend Männer und Frauen, und nur einer war ein Aiel, ein dürrer Rotschopf mit einer dünnen weißen Narbe, die sich von der Schläfe bis zum Kiefer hinunterzog. Falle erkannte klein gewachsene, blasse Cairhiener und möglicherweise Amadicianer oder Altaraner — sie waren größer und dunkelhäutiger — und sogar eine bronzehäutige Domani. Die Domani und eine der anderen Frauen trugen breite Gürtel aus funkelndem goldenem Kettengeflecht um die Taille; am Hals hatten sie Kragen aus dem gleichen Material. Einer der Männer ebenfalls! Aber egal, Schmuck an Gai'schain erschien im Augenblick nicht weiter von Bedeutung, in Anbetracht der Decken und Kleidung, die sie brachten, war es bestenfalls eine Merkwürdigkeit, Einige der Neuankömmlinge trugen Körbe mit Brot und gelbem Käse und Trockenfleisch und die Gai'schain, die bereits mit ihren Lederbeuteln voller Tee vor Ort waren, sorgten für Getränke, mit denen man alles herunterspülen konnte. Faile war nicht die Einzige, die sich mit ungebührlicher Hast den Mund voll stopfte, während sie sich zugleich anzog, und zwar mit mehr Augenmerk auf Schnelligkeit als auf Schicklichkeit. Das weiße Gewand mit der Kapuze und die beiden dicken Untergewänder erschienen wunderbar warm, genau wie die dicken Wollstrümpfe und weichen Aielstiefel, deren Verschnürung bis zu ihren Knien reichte —sogar die Stiefel waren weiß gebleicht worden! —, aber das konnte nicht das Loch in ihrem Leib füllen. Das Fleisch war so zäh wie Stiefelleder, der Käse beinahe steinhart und das Brot auch nicht viel weicher, und doch schmeckte es wie ein Festmahl! Ihr Mund sehnte sich nach jedem Bissen.

Während sie einen Mund voll Käse kaute, verknotete sie den letzten Stiefelriemen, stand auf und glättete das Gewand. Als sie nach mehr Brot griff, holte eine der Frauen, die Gold trugen — sie war pummelig, unscheinbar und hatte einen müden Blick —, aus dem Sack über ihrer Schulter einen der Gürtel aus Goldgeflecht. Falle schluckte hastig und trat zurück. »Ich möchte lieber keinen haben, vielen Dank.« Sie hatte das ungute Gefühl, dass es ein Fehler gewesen war, diese Schmuckstücke als unwichtig zu betrachten.

»Es spielt keine Rolle, was du willst«, erwiderte die Pummelige müde. Ihr Akzent war amadicianisch und gebildet. »Du dienst jetzt der Lady Sevanna. Du wirst tragen, was man dir gibt, und tun, was man dir sagt, oder man wird dich bestrafen, bis du deinen Irrtum einsiehst.«

Ein paar Schritte entfernt wehrte Maighdin die Domani ab und weigerte sich, den Kragen anlegen zu lassen. Alliandre wich mit erhobenen Händen und einem entsetzten Gesichtsausdruck vor dem Mann mit dem Goldgeflecht zurück. Er hielt ihr einen der Gürtel entgegengestreckt. Glücklicherweise sahen sie beide Falle an. Vielleicht hatten die Prügel im Wald doch etwas Gutes bewirkt.

Faile atmete mühsam aus und nickte ihnen zu, dann erlaubte sie der pummeligen Gai'schain, ihr den breiten Gürtel anzulegen. Mit ihr als Vorbild ließen die beiden anderen die Arme sinken. Für Alliandre schien es ein Schlag zu viel zu sein; sie stand da und starrte ins Leere, während man ihr Gürtel und Kragen anlegte. Maighdin gab sich alle Mühe, die schlanke Domani mit einem finsteren Blick zu durchbohren. Faile versuchte aufmunternd zu lächeln, aber das Lächeln fiel ihr schwer. Für sie klang das Zuschnappen des Kragenverschlusses wie die Verriegelung einer Kerkertür. Gürtel und Kragen konnte man genauso leicht wieder ablegen, wie sie angelegt worden waren, aber Gai'schain, die der Lady Sevanna dienten, würden bestimmt genau beobachtet. Eine Katastrophe jagte die nächste. Von diesem Augenblick an musste es besser werden. Es musste einfach.

Kurz darauf trampelte Falle zusammen mit einer stolpernden, wie betäubt dreinblickenden Alliandre und einer murrenden Maighdin auf unsicheren Beinen durch den Schnee. Sie waren von Gai'schain umgeben, die Lasttiere führten, auf den Rücken große, zugedeckte Körbe transportierten und beladene Karren zogen, die man auf Holzschlitten geschnallt hatte. Die Wagen waren ebenfalls auf Schlitten oder Kufen gesetzt; die Räder hatte man oben auf der schneebedeckten Fracht befestigt. Die Shaido mochten keine Erfahrung mit Schnee haben, aber sie hatten gelernt, wie man darin reisen musste. Weder Falle noch die beiden anderen mussten etwas tragen, allerdings hatte die pummelige Amadicianerin ihnen klar gemacht, dass sich das vom nächsten Tag an ändern würde. Wie viele Shaido sich auch immer in der Marschreihe befinden mochten, es hatte den Anschein, als wäre eine große Stadt unterwegs, wenn nicht sogar eine Nation. Kinder bis zum Alter von zwölf oder dreizehn fuhren oben auf den Karren und Wagen, aber jeder andere ging zu Fuß. Alle Männer trugen den Cadin'sor, aber die meisten Frauen trugen Röcke und Blusen und Schals wie die Weisen Frauen, und die meisten Männer trugen nur einen einzigen Speer oder auch gar keine Waffen und sahen weicher als die anderen aus. Weich bedeutete, dass sie Steine darstellten, die weicher als Granit waren.

Nachdem die Amadicianerin gegangen war, ohne ihren Namen verraten oder wesentlich mehr gesagt zu haben als gehorcht oder werdet bestraft, wurde sich Falle bewusst, dass sie Bain und die anderen im Schneegestöber aus den Augen verloren hatte. Niemand unternahm den Versuch, sie an einem bestimmten Ort festzuhalten, also marschierte sie von Alliandre und Maighdin begleitet müde die Kolonne entlang. Die Hände gefaltet in den Ärmeln zu halten machte das Gehen sehr schwer, vor allem, wenn man sich durch tiefen Schnee bewegen musste, aber es hielt sie warm. Zumindest wärmer als die Alternative. Der Wind sorgte dafür, dass sie ihre Kapuzen hochgeschlagen behielten. Trotz der goldenen Gürtel schenkte kein Gai'schain und auch kein Shaido ihnen einen zweiten Blick. Obwohl sie die Marschreihe ein Dutzend Mal oder sogar noch öfters abschritten, blieb ihre Suche erfolglos. Überall gingen Leute in weißen Gewändern, sogar mehr als ohne, und ihre Gefährtinnen hätten unter jeder der tiefen Kapuzen stecken können.

»Wir werden sie heute Abend suchen müssen«, sagte Maighdin schließlich. Sie stapfte auf ziemlich linkische Weise durch den tiefen Schnee. Ihre blauen Augen leuchteten hell in den Tiefen der Kapuze und sie hielt die breite Goldkette um ihren Hals mit einer Hand fest, als wollte sie sie abreißen. »Wo alle anderen einen Schritt gehen, machen wir zehn. Oder sogar zwanzig. Es wird uns nichts nutzen, wenn wir heute Abend im Lager so erschöpft sind, dass wir uns nicht mehr bewegen können.«

Die Entschiedenheit in Maighdins Stimme riss sogar Alliandre so weit aus ihrer Benommenheit, dass sie eine Braue hob. Faile schaute ihre Dienerin lediglich an, aber das reichte bereits, um Maighdin erröten und stottern zu lassen. Was war bloß in diese Frau gefahren? Nun gut, es war nicht das, was sie von einer Dienerin erwartete, aber wenn es darum ging, eine Gefährtin zu haben, die bei der Flucht half, war Maighdins Temperament nicht zu verachten. Wirklich schade, dass die Frau so wenig Macht lenken konnte. Einst hatte Faile große Hoffnungen damit verbunden, bis sie erfahren hatte, dass Maighdins Fähigkeit so geringfügig war, dass sie nutzlos war.

»Heute Abend, Maighdin«, stimmte sie ihr zu. Oder wie viele Abende sie auch immer dazu benötigten. Das erwähnte sie nicht. Eilig sah sie sich um, um sich zu vergewissern, dass die Leute in ihrer Nähe nicht nahe genug waren, um sie zu belauschen. Die Shaido, ob nun mit Cadin 'sor oder ohne, bewegten sich entschlossen durch den fallenden Schnee und drängten einem ungesehenen Ziel entgegen. Die Gai'schain — die anderen Gai'schain — marschierten mit einer anderen Absicht. Gehorcht oder werdet bestraft. »So, wie man uns ignoriert«, fuhr Faile fort, »müsste es möglich sein, sich am Wegrand abzusetzen; vorausgesetzt, man macht es nicht direkt unter den Augen der Shaido. Sollte eine von euch eine Gelegenheit sehen, ergreift sie. Die Gewänder werden euch helfen, euch im Schnee zu verbergen, und sobald ihr ein Dorf gefunden habt, wird das Gold, das sie uns so großzügig gegeben haben, dafür sorgen, dass man euch zu meinem Mann zurückbringt. Er wird uns folgen.« Sie hoffte nur, dass er nicht zu schnell war. Oder ihnen zumindest nicht zu nahe kam. Die Shaido stellten ein Heer dar. Verglichen mit anderen sicherlich ein kleines Heer, aber es war größer als Perrins.

Alliandres Gesicht verhärtete sich vor Entschlossenheit. »Ich werde nicht ohne Euch gehen«, sagte sie leise. Leise, aber bestimmt. »Ich nehme meinen Treueschwur nicht leicht, meine Lady. Ich werde mit Euch zusammen entkommen oder gar nicht!«

»Sie spricht für uns beide«, sagte Maighdin. »Ich mag nur eine einfache Dienerin sein« — sie rang sich das Wort mit Verachtung ab —, »aber ich werde niemanden in der Gewalt dieser... dieser Banditen zurücklassen!« Ihr Tonfall war mehr als nur entschlossen, er duldete keine Widerrede. Wenn das hier überstanden war, würde Lini mit ihr ein langes Gespräch führen müssen, bevor sie wieder den ihr zustehenden Platz einnehmen konnte!

Faile wollte etwas erwidern — nein, sie wollte einen Befehl geben; Alliandre war durch ihren Eid zum Gehorsam verpflichtet und Maighdin ihre Dienerin, ganz egal, wie verrückt die Gefangenschaft sie auch gemacht hatte! Sie würden ihre Befehle befolgen! Aber sie sprach die Worte nicht aus.

Dunkle Schatten schoben sich durch den Strom der Shaido, und der fallende Schnee setzte sich zu einer Gruppe von Aielfrauen zusammen, deren Gesichter von ihren Schals eingerahmt wurden. Therava führte sie an. Ein gemurmeltes Wort von ihr, und die anderen verlangsamten ihre Schritte, um hinter ihr zu bleiben, während sie sich Falle und ihren Gefährtinnen anschloss. Theravas glühender Blick ließ sogar Maighdin verzagen; nicht, dass sie sie lange ansah. In ihren Augen waren sie es nicht wert, überhaupt angesehen zu werden.

»Ihr denkt an Flucht«, sagte sie. Keine von ihnen machte Anstalten, darauf etwas zu erwidern. »Versucht nicht, es abzustreiten!«, fügte die Weise Frau mit verächtlicher Stimme hinzu.

»Wir wollen versuchen, so zu dienen, wie man es von uns erwartet, Weise Frau«, sagte Faile vorsichtig. Sie hielt den Kopf unter ihrer Kapuze gesenkt und achtete darauf, den Blick der größeren Frau zu meiden.

»Du kennst dich etwas in unseren Gebräuchen aus.« Therava klang überrascht, aber das war schnell wieder vergessen. »Gut. Aber wenn du wirklich glaubst, ich würde dir abnehmen, dass du demütig dienst, dann hältst du mich für eine Närrin. Ich kann erkennen, dass ihr für Feuchtländerinnen über reichlich Kampfgeist verfügt. Einige unternehmen niemals einen Fluchtversuch, aber nur die Toten schaffen es. Die Lebenden werden immer zurückgebracht. Immer.«

»Ich werde Eure Worte beachten, Weise Frau«, sagte Faile unterwürfig. Immer? Nun, irgendwann musste es ein erstes Mal geben. »Wir alle.«

»Oh, sehr gut«, murmelte Therava. »Jemanden, der so blind ist wie Sevanna, könntest du vielleicht überzeugen. Aber wisse Folgendes, Gai'schain. Feuchtländer sind nicht wie die anderen, die Weiß tragen. Statt nach einem Jahr und einem Tag Dienst entlassen zu werden, dient ihr, bis ihr zu alt und verbraucht seid, um arbeiten zu können. Ich bin eure einzige Hoffnung, diesem Schicksal zu entgehen.«

Faile stolperte im Schnee, und hätten Alliandre und Maighdin nicht ihre wild rudernden Arme ergriffen, wäre sie gestürzt. Therava befahl ihnen mit einer ungeduldigen Geste, nicht stehen zu bleiben. Faile verspürte Übelkeit. Therava würde ihnen zur Flucht verhelfen? Chiad und Bain hatten stets behauptet, dass die Aiel nichts vom Spiel der Häuser wüssten und die Feuchtländer verachteten, weil sie es spielten, aber Faile erkannte, auf welch unsicherem Terrain sie sich plötzlich bewegte. Ein Terrain, in dem sie versinken konnte, wenn sie einen falschen Schritt machte.

»Ich verstehe nicht, Weise Frau.« Sie wünschte, ihre Stimme hätte plötzlich nicht so heiser geklungen.

Aber vielleicht war es ja gerade diese Heiserkeit, die Therava überzeugte. Leute wie sie glaubten immer zuerst an Furcht als Antrieb, bevor sie andere Möglichkeiten in Betracht zogen. Auf jeden Fall lächelte sie. Es war kein herzliches Lächeln, nur das Verziehen schmaler Lippen, und das einzige Gefühl, das es zum Ausdruck brachte, war Zufriedenheit. »Ihr drei werdet aufpassen und zuhören, so lange ihr Sevanna dient. Jeden Tag wird eine Weise Frau euch befragen, und ihr werdet jedes Wort wiederholen, das Sevanna zu wem auch immer gesagt hat. Wenn sie im Schlaf spricht, werdet ihr wiederholen, was sie gemurmelt hat. Stellt mich zufrieden und ich sorge dafür, dass man euch zurücklägst.«

Faile wollte nichts damit zu tun haben, aber eine Weigerung kam nicht infrage. Wenn sie sich weigerte, würde keine von ihnen die Nacht überleben. Da war sie sich sicher. Therava würde kein Risiko eingehen. Möglicherweise würden sie nicht einmal bis zum Einbruch der Dunkelheit überleben; der Schnee würde drei weiß gekleidete Leichen schnell verbergen, und sie bezweifelte stark, dass irgendjemand in Sichtweite auch nur protestieren würde, wenn sich Therava dazu entschied, an Ort und Stelle ein paar Hälse durchzuschneiden. Davon abgesehen konzentrierte sich sowieso jeder nur darauf, sich durch den Schnee nach vorn zu bewegen. Möglicherweise würde es nicht mal einer mitbekommen.

»Wenn sie davon erfährt...« Faile schluckte. Die Frau bat sie, einen trügerischen Klippenrand entlangzugehen. Nein, sie befahl es ihnen. Töteten Aiel Spione? Es war ihr niemals eingefallen, Chiad oder Bain danach zu fragen. »Werdet Ihr uns beschützen?«

Die Frau mit den harten Zügen ergriff Falles Kinn mit stählernen Fingern und zog sie in die Höhe, bis sie auf Zehenspitzen stand. Dann sah sie ihr in die Augen. Failes Mund wurde trocken. Dieser Blick verhieß Schmerzen. »Wenn sie davon erfährt, Gai'schain, werde ich euch persönlich kochen. Sorgt also dafür, dass sie es nicht bemerkt. Heute Abend werdet ihr in ihrem Zelt bedienen. Ihr und hundert andere, also werdet ihr nicht viele Pflichten haben, die euch von den wichtigen Dingen ablenken.«

Therava musterte sie einen Augenblick lang sorgfältig, dann nickte sie zufrieden. Sie sah drei weiche Feuchtländer, die zu schwach waren, um etwas anderes zu tun als zu gehorchen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sie Faile los und wandte sich ab, und Augenblicke später waren sie und die anderen Weisen Frauen vom Schnee verschluckt worden.

Eine Zeit lang kämpften sich die drei Frauen schweigend voran. Faile sprach nicht mehr davon, dass eine von ihnen allein entkam, noch gab sie irgendwelche Befehle. Sie war davon überzeugt, dass sich die anderen wieder dagegen sträuben würden. Davon abgesehen, wenn sie sich jetzt fügten, würde es so aussehen, als hätte Therava es geschafft, dass sie es sich aus Angst vor ihr anders überlegt hatten. Faile kannte die anderen Frauen gut genug, um sicher zu sein, dass sie eher sterben würden als zuzugeben, dass die Frau ihnen Angst eingejagt hatte. Ihr machte Therava auf jeden Fall Angst. Und ich würde eher meine Zunge verschlucken, bevor ich es laut zugeben würde, dachte sie grimmig.

»Ich frage mich, was sie mit dem ... Kochen gemeint hat«, brach Alliandre schließlich das Schweigen. »Ich habe mal gehört, dass die Weißmäntel Gefangene am Spieß über einem Feuer rösten.« Maighdin wiegte sich mit den Armen und erschauderte, und Alliandre löste eine Hand lange genug aus dem Ärmel, um ihr auf die Schulter zu klopfen. »Macht Euch keine Sorgen. Wenn Sevanna hundert Diener hat, kommen wir vermutlich gar nicht in Hörweite heran. Und selbst wenn wir etwas aufschnappen, können wir uns immer noch überlegen, was wir weitererzählen, damit es nicht zu uns zurückverfolgt werden kann.«

Maighdin lachte bitter unter ihrer weißen Kapuze. »Ihr glaubt, wir hätten wenigstens in kleinen Dingen Entscheidungsfreiheit. Das haben wir aber nicht. Ihr müsst lernen, was es bedeutet, keine Wahl zu haben. Diese Frau hat uns nicht ausgesucht, weil wir Kampfesgeist haben.« Sie spuckte das Wort beinahe aus. »Ich wette, Therava hat jedem von Sevannas Dienern diesen Vortrag gehalten. Wenn wir ein Wort vergessen, das wir hätten hören müssen, wird sie es erfahren, da könnt Ihr sicher sein.«

»Vielleicht habt Ihr Recht«, sagte Alliandre nach einem Augenblick des Nachdenkens. »Aber Ihr werdet nie wieder in diesem Tonfall mit mir sprechen, Maighdin. Unsere Umstände sind schwierig, um es höflich auszudrücken, aber Ihr werdet nicht vergessen, wer ich bin.«

»Bis wir entkommen, seid Ihr Sevannas Dienerin«, erwiderte Maighdin. »Wenn Ihr Euch nicht jede Minute als Dienerin betrachtet, könnt Ihr genauso gut sofort auf diesen Spieß klettern. Und lasst noch etwas Platz für Faile und mich, weil sie uns dann ebenfalls dorthin befördern werden.«

Alliandres Kapuze verbarg ihr Gesicht, aber ihr Rücken versteifte sich mit jedem Wort mehr. Sie war intelligent und sie wusste, wie sie das, was sie zu tun hatte, erreichen konnte, aber sie hatte das Temperament einer Königin, wenn sie sich nicht zusammennahm.

Bevor sie explodieren konnte, ergriff Faile das Wort. »Bis es uns gelingt, hier wegzukommen, sind wir alle Dienerinnen«, sagte sie entschieden. Licht, das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein Streit unter den beiden. »Aber Maighdin, Ihr werdet Euch entschuldigen. Sofort!« Ihre Dienerin murmelte mit abgewandtem Kopf etwas, das man als Entschuldigung durchgehen lassen konnte. Sie akzeptierte es. »Und was Euch angeht, Alliandre, ich erwarte von Euch, dass Ihr eine gute Dienerin seid.« Alliandre gab einen Laut von sich, den man als halben Protest interpretieren konnte, aber Faile ignorierte ihn. »Wenn wir überhaupt eine Gelegenheit zur Flucht erhalten wollen, müssen wir tun, was man uns sagt, hart arbeiten und so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich auf uns ziehen.« Als hätten sie nicht bereits alle Aufmerksamkeit der Welt erregt; zumindest hatte es den Anschein. »Und wir werden Therava über alles informieren, und sei es, wie oft Sevanna niest. Ich weiß nicht, was Sevanna tun wird, wenn sie es herausfindet, aber ich glaube, wir alle haben eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was Therava tun wird, wenn wir ihren Unmut erregen.«

Das reichte, damit alle wieder schwiegen. Sie hatten eine ziemlich genaue Vorstellung, wozu Therava fähig war, und der Tod würde womöglich nicht einmal das schlimmste sein.

Stunden später hatte sich der Schneefall bis auf ein paar verirrte Flocken fast vollständig gelegt. Dunkle, wogende Wolken verbargen noch immer die Sonne, aber Faile entschied, dass es gegen Mittag war, weil man ihnen zu essen gab. Keiner blieb stehen, aber Hunderte von Gai'schain bahnten sich mit Körben und Ranzen voller Brot und Trockenfleisch und Lederbeuteln —die diesmal Wasser statt Tee enthielten, das kalt genug war, um ihre Zähne schmerzen zu lassen — Wege durch die Marschreihe. Seltsamerweise fühlte sich Faile nicht so hungrig, wie sie nach dem stundenlangen Marsch durch den Schnee eigentlich hätte sein müssen. Perrin war einmal Geheilt worden und ihn hatte danach zwei volle Tage der Heißhunger geplagt. Vielleicht lag es ja daran, dass ihre Verletzungen so viel unbedeutender gewesen waren. Ihr fiel auf, dass Alliandre und Maighdin kaum mehr als sie aßen.

Die Heilung ließ sie an Galina denken; alle sich stellenden Fragen ließen sich auf ein ungläubiges Warum zusammenstreichen. Warum sollte eine Aes Sedai — sie musste eine Aes Sedai sein — für Sevanna und Therava im Staub kriechen? Oder für sonst jemanden? Eine Aes Sedai würde ihnen bei der Flucht helfen können. Oder auch nicht. Sie könnte sie auch verraten, falls es ihren Zwecken diente. Aes Sedai taten, was sie für richtig hielten, und das musste man akzeptieren, es sei denn, man hieß Rand al'Thor. Aber er war Ta'veren und darüber hinaus der Wiedergeborene Drache; sie war eine Frau mit derzeit sehr beschränkten Möglichkeiten, der eine ziemlich ernste Gefahr im Nacken saß. Ganz zu schweigen von den Hälsen derjenigen, für die sie verantwortlich war. Jede Hilfe würde willkommen sein, von jedem. Der kalte Wind glitt an ihr ab, während sie intensiv über Galina nachdachte, und der Schnee fing wieder an zu fallen, diesmal nur stärker, bis sie keine zehn Schritte weit sehen konnte. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie dieser Frau vertrauen konnte.

Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass eine andere in Weiß gekleidete Frau, die fast vom Schneefall verborgen wurde, sie ansah. Allerdings reichte der Schnee nicht aus, um diesen breiten juwelengeschmückten Gürtel zu verdecken. Falle berührte ihre Gefährtinnen und nickte in Galinas Richtung.

Als Galina bemerkte, dass man sie gesehen hatte, kam sie zu ihnen herüber und stapfte zwischen Faile und Alliandre weiter. Sie ließ noch immer jede Anmut vermissen, aber sie schien mehr an den Marsch im Schnee gewöhnt zu sein als sie. Jetzt war ihr nichts mehr von der Katzbuckelei anzumerken. Die Züge ihres runden, im Schatten der Kapuze liegenden Gesichts waren hart, ihre Augen blickten scharf. Ständig drehte sie den Kopf und sah misstrauisch in alle Richtungen, um zu sehen, wer sich in der Nähe befand. Sie sah aus wie ein Hauskätzchen, das vorgab, ein Leopard zu sein. »Ihr wisst, wer ich bin?«, verlangte sie zu wissen. Ihre Stimme war jedoch so leise, dass man sie in zehn Schritten Entfernung nicht mehr hören konnte. »Was ich bin?«

»Ihr scheint eine Aes Sedai zu sein«, sagte Faile vorsichtig. »Andererseits habt Ihr hier für eine Aes Sedai eine seltsame Stellung.« Weder Alliandre noch Maighdin schienen auch nur im mindesten überrascht zu sein. Offensichtlich hatten sie den Großen Schlangenring gesehen, an dem Galina nervös mit dem Daumen herumspielte.

Die Wangen der Aes Sedai röteten sich und sie versuchte, es wie Wut aussehen zu lassen. »Was ich hier tue, ist für die Burg von größter Wichtigkeit, Kind«, sagte sie kalt. Ihr Gesichtsausdruck besagte, dass sie Gründe hatte, die andere nicht einmal im Ansatz begreifen konnten. Ihre Blicke huschten umher, versuchten das Schneetreiben zu durchdringen. »Ich darf nicht versagen. Das ist alles, was ihr zu wissen braucht.«

»Wir müssen wissen, ob wir Euch vertrauen können«, sagte Alliandre beherrscht. »Ihr müsst in der Burg ausgebildet worden sein, sonst könnntet Ihr nicht Heilen, aber Frauen können sich den Ring verdienen, ohne die Stola zu erringen, und ich kann nicht glauben, dass Ihr eine Aes Sedai seid.« Anscheinend war Faile nicht die Einzige, welche die Frau vor Rätsel gestellt hatte.

Galinas volle Lippen verhärteten sich, und sie hielt Alliandre die Faust vors Gesicht, um ihr zu drohen oder den Ring zu zeigen. Oder beides. »Glaubt Ihr, sie würden Euch anders behandeln, weil Ihr eine Krone tragt? Weil Ihr eine getragen habt?« Jetzt gab es keinen Zweifel mehr an ihrer Wut. Sie vergaß, nach Lauschern Ausschau zu halten, und ihr Tonfall war ätzend. Speichel sprühte, als sie sich in ihre Tirade hineinsteigerte. »Ihr werdet Sevanna Wein bringen und ihr den Rücken waschen wie alle anderen auch. Ihre Diener sind alles Adlige oder reiche Kaufleute oder Männer und Frauen, die wissen, wie man Adlige bedient. Jeden Tag lässt sie fünf von ihnen auspeitschen, um den Rest zu motivieren, sodass sie ihr alle Informationen zutragen in der Hoffnung, ihre Gunst zu gewinnen. Beim ersten Fluchtversuch werden sie Eure Fußsohlen so lange mit Ruten schlagen, bis Ihr nicht mehr gehen könnt, und Euch danach so verdreht wie eine Schmiedearbeit an einem Wagen aufhängen, bis es wieder geht. Das zweite Mal wird schlimmer sein, und das dritte dann noch schlimmer. Es gibt da einen Burschen, der gehörte zu den Weißmänteln. Er hat neun Fluchtversuche unternommen. Ein harter Mann, aber als sie ihn das letzte Mal zurückholten, bettelte und schluchzte er, bevor sie überhaupt anfingen, ihn für die Bestrafung auszuziehen.«

Alliandre nahm die Ansprache nicht gut auf. Sie blies sich auf und schaute indigniert und Maighdin knurrte: »Haben sie das mit Euch gemacht? Ob Ihr nun eine Aes Sedai oder eine Aufgenommene seid, Ihr seid ei ne Schande für die Burg!«

»Halt den Mund, wenn Höhergestellte reden!«, fauchte Galina.

Licht, wenn das so weiterging, würden sie sich gleich alle anbrüllen. »Wenn Dir uns bei der Flucht helfen wollt, dann sagt es«, wandte sich Faile an die in Seide gekleidete Aes Sedai. Sie bezweifelte nicht, dass die Frau eine war. Nur alles andere. »Wenn nicht, was wollt Ihr dann von uns?«

Vor ihnen tauchte ein Wagen aus dem Schnee auf, der dort, wo sich einer der Schlitten gelöst hatte, schräg stand. Angeleitet von einem Shaido mit den Armen und Schultern eines Schmieds brachten die Gai'schain einen Hebel in Stellung, um den Wagen so weit anzuheben, dass man den Schlitten wieder an Ort und Stelle festzurren konnte. Faile und die anderen gingen schweigend weiter.

»Alliandre, ist das wirklich Eure Lehnsherrin?«, wollte Galina wissen, sobald sie außer Hörweite der um den Wagen versammelten Männer waren. Ihr Ge —sicht war noch immer vor Wut gerötet, ihr Tonfall schneidend. »Wer ist sie, dass Ihr dieser Frau die Treue geschworen habt?«

»Ihr könnt mich fragen«, sagte Faile kalt. Man sollte die Aes Sedai mitsamt ihrer verfluchten Geheimniskrämerei zu Asche verbrennen! Manchmal glaubte sie, eine Aes Sedai würde einem nicht mal sagen, dass der Himmel blau war, solange sie keinen Vorteil darin sah. »Ich bin Lady Faile t'Aybara und mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Wollt Ihr uns helfen?«

Galina stolperte, fiel auf ein Knie und sah so bohrend zu Faile auf, dass sie sich fragte, ob sie nicht einen Fehler gemacht hatte. Im nächsten Augenblick wusste sie, dass es so war.

Die Aes Sedai kam mit einem hässlichen Lächeln auf die Füße. Sie schien nicht länger wütend zu sein. Tatsächlich sah sie so zufrieden aus wie Therava, und was noch viel schlimmer war, fast auf die gleiche Weise. »T'Aybara«, wiederholte sie nachdenklich. »Ihr seid Saldaeanerin. Es gibt da einen jungen Mann. Perrin Aybara. Euer Mann? Ja, ich sehe, dass ich ins Schwarze getroffen habe. Das würde allerdings Alliandres Eid erklären. Sevanna hat großartige Pläne für einen Mann, der mit Eurem Mann in Verbindung steht. Rand al'Thor. Wenn sie wusste, dass sie Euch in ihrer Gewalt hat... Oh, keine Sorge, von mir wird sie es nicht erfahren.« Ihr Blick wurde härter, und plötzlich erschien sie tatsächlich wie eine Leopardin. Eine hungrige Leopardin. »Nicht, wenn Ihr alle das tut, was ich Euch befehle. Ich werde Euch sogar helfen, hier wegzukommen.«

»Was wollt Ihr von uns?«, fragte Faile eindringlicher, als ihr zumute war. Licht, da war sie wütend auf Alliandre gewesen, weil sie durch die Nennung ihres Namens Aufmerksamkeit auf sie gezogen hatte, und jetzt hatte sie das Gleiche getan. Oder Schlimmeres. Und ich glaubte, ich würde mich verbergen, indem ich den Namen meines Vaters nicht benutzte, dachte sie erbost.

»Nichts zu Schwieriges«, erwiderte Galina. »Ihr habt Therava bemerkt? Natürlich habt ihr das. Jeder bemerkt Therava. Sie bewahrt etwas in ihrem Zelt auf, einen glatten weißen Stab, der etwa eine Elle lang ist. Er befindet sich in einer roten Truhe mit Messingreifen, die nie verschlossen ist. Bringt ihn mir, und ich nehme euch alle mit, wenn ich gehe.«

»Das scheint keine große Sache zu sein«, sagte Alliandre voller Zweifel. »Aber warum holt Ihr ihn dann nicht selbst?«

»Weil ich euch dazu habe!« Galina wurde sich bewusst, dass sie schrie, und sie zuckte zusammen; ihre Kapuze rutschte hin und her, als sie in der vom Schnee eingehüllten Marschreihe nach Lauschern suchte. Keiner schien auch nur in ihre Richtung zu blicken, aber ihre Stimme senkte sich zu einem wilden Zischen. »Tut ihr es nicht, lasse ich euch hier, bis ihr grau und faltig seid. Und Sevanna wird von Perrin Aybara erfahren.«

»Das wird vielleicht dauern«, sagte Faile verzweifelt. »Wir werden uns nicht einfach in Theravas Zelt schleichen können, nur weil uns danach ist.« Licht, das Letzte, was sie auf der Welt wollte, war auch nur in die Nähe von Theravas Zelt zu gehen. Aber Galina hatte gesagt, dass sie ihnen helfen würde. Sie mochte ja unausstehlich sein, aber Aes Sedai konnten nicht lügen.

»Ihr habt alle Zeit, die ihr braucht«, erwiderte Galina. »Den Rest Eures Lebens, Lady Faile t'Aybara, wenn Ihr Euch nicht vorseht. Enttäuscht mich nicht.« Sie schenkte Faile einen letzten, bohrenden Blick und wandte sich ab, um sich in eine andere Richtung durch den Schnee zu kämpfen. Dabei hielt sie die Arme so, als wollte sie ihren mit Schmuck verzierten Gürtel mit den breiten Ärmeln verdecken.

Faile marschierte schweigend weiter. Auch ihre Gefährtinnen hatten nichts zu sagen. Es schien nichts zu geben, worüber man sprechen sollte. Gedankenverloren hielt Alliandre die Hände in den Ärmeln vergraben, während sie geradeaus starrte, als könnte sie etwas jenseits des Schneesturms sehen. Maighdin hielt wieder ihren goldenen Kragen fest umklammert. Sie waren in drei Fallen gefangen, nicht nur in einer, und jede davon konnte sie töten. Plötzlich erschien eine Rettung sehr verlockend. Doch irgendwie hatte Faile vor, einen Weg aus diesen Fallen zu finden. Sie nahm die Hand von ihrem Kragen, kämpfte sich weiter durch den fallenden Schnee und schmiedete Pläne.

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