15 Die Suche nach einem Glockengießer

Der kastenähnliche Wagen erinnerte Mat an die Wagen der Kesselflicker, kleine Häuser auf Rädern, obwohl dieser mit seinen in die Wände eingearbeiteten Werkbänken und Vitrinen nicht zum Wohnen gedacht war. Der seltsam scharfe Geruch in seinem Inneren ließ ihn die Nase rümpfen, er rutschte unbehaglich auf dem dreibeinigen Hocker herum, der den einzigen Sitzplatz darstellte. Sein gebrochenes Bein und die gebrochenen Rippen waren beinahe verheilt, genau wie die Schnittwunden, die er erlitten hatte, als ihm das verdammte Haus auf den Kopf gefallen war, aber gelegentlich schmerzten die Verletzungen noch immer. Außerdem hoffte er auf Mitgefühl. Wenn man es richtig anstellte, liebten es die Frauen, Mitgefühl zu zeigen. Er zwang sich, nicht länger an dem großen Siegelring an seinem Finger herumzuspielen. Lass eine Frau wissen, dass du nervös bist, und sie bringt ihre eigene Deutung ins Spiel, und mit dem Mitgefühl ist Schluss.

»Hört doch, Aludra«, sagte er und zeigte sein gewinnendstes Lächeln, »mittlerweile müsstet Ihr doch wissen, dass die Seanchaner dem Feuerwerk keinen zweiten Blick schenken. Wie ich gehört habe, vollbringen diese Damane etwas namens Himmelslichter, das Euer bestes Feuerwerk wie ein paar Funken aussehen lässt. Das soll keine Beleidigung sein.«

»Ich habe dieses so genannte Himmelslicht noch nicht gesehen«, erwiderte sie abschätzig mit ihrem starken tarabonischen Akzent. Ihr Kopf war über einen hölzernen Mörser von der Größe eines kleinen Fässchens gebeugt, der auf einer der Werkbänke stand. Obwohl ein breites, blaues Tuch ihr taillenlanges schwarzes Haar im Nacken zusammenhielt, fiel es nach vorn und verhüllte ihr Gesicht. Die lange weiße Schürze mit den dunklen Flecken konnte nicht verbergen, wie eng sich ihr dunkelgrünes Kleid an ihre Hüften schmiegte, aber Mat war mehr an ihrem Tun interessiert. Nun ja, es interessierte ihn genauso sehr. Sie mahlte mit einem fast armlangen hölzernen Stößel ein grobes schwarzes Pulver. Das Pulver hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, das er in aufgeschnittenen Feuerwerkskörpern gesehen hatte, aber er kannte noch immer nicht seine Zusammensetzung. »Wie dem auch sei«, fuhr sie fort, ohne sich seines forschenden Blickes bewusst zu sein, »ich werde Euch keine Gildegeheimnisse verraten. Das müsst Ihr doch verstehen, oder?«

Mat zuckte innerlich zusammen. Seit ein zufälliger Besuch bei Valan Lucas Wanderzirkus enthüllt hatte, dass sie hier in Ebou Dar war, hatte er sie tagelang bearbeitet, um sie an diesen Punkt zu bringen, und die ganze Zeit hatte er befürchtet, dass sie die Gilde der Feuerwerker ins Spiel bringen würde. »Aber Ihr seid doch gar keine Illuminatorin mehr, schon vergessen? Sie haben Euch rausgeworfen... äh... Ihr habt gesagt, Ihr hättet die Gilde verlassen.« Nicht zum ersten Mal zog er in Erwägung, sie ganz beiläufig daran zu erinnern, dass er sie mal vor vier Gildenmitgliedern gerettet hatte, die ihr die Kehle hatten durchschneiden wollen. So etwas reichte für gewöhnlich aus, dass die meisten Frauen einem um den Hals fielen, einen mit Küssen bedeckten und anboten, was auch immer man haben wollte. Aber nach ihrer Rettung hatte es keine Küsse gegeben, also war es unwahrscheinlich, dass sie jetzt damit anfangen würde. »Wie dem auch sei«, fuhr er leichthin fort, »Ihr müsst Euch keine Sorgen wegen der Gilde machen. Wie lange stellt Ihr jetzt Nachtblumen her? Und keiner ist gekommen und hat versucht, Euch davon abzuhalten. Ich gehe sogar jede Wette ein, dass Ihr nie wieder einen anderen Feuerwerker seht.«

»Was habt Ihr gehört?«, fragte sie ruhig, den Kopf noch immer gesenkt. Die Rotation des Stößels kam beinahe zum Stillstand. »Sagt es mir.«

Ihm sträubten sich beinahe die Haare. Warum taten Frauen so etwas? Da ließ man sich nichts anmerken, und sie stürzten sich trotzdem auf genau das, was man verbergen wollte. »Was meint Ihr? Vermutlich höre ich dieselben Klatschgeschichten wie Ihr. Hauptsächlich Dinge über die Seanchaner.«

Sie fuhr so schnell herum, dass ihr Haar wehte, riss den schweren Stößel mit beiden Händen hoch und hielt ihn über den Kopf. Sie war vermutlich etwa zehn Jahre älter als er und hatte große dunkle Augen und einen kleinen Mund mit vollen Lippen, die für ge —wöhnlich ständig zum Küssen bereit waren. Er hatte ein paar Mal in Erwägung gezogen, sie zu küssen. Die meisten Frauen waren nach ein paar Küssen zugänglicher. Aber jetzt hatte sie die Zähne gefletscht und sah aus, als wäre sie bereit, ihm die Nase abzubeißen. »Sagt es mir!«, befahl sie.

»Ich habe unten in der Nähe der Docks mit ein paar Seanchanern Würfel gespielt«, begann er zögernd und hielt den erhobenen Stößel im Auge. Ein Mann plusterte sich auf und ging, wenn die Sache nicht ernst war, aber eine Frau konnte einem aus einer Laune heraus den Schädel einschlagen. Davon abgesehen schmerzte seine Hüfte vom langen Sitzen und war ganz steif. Er war sich nicht sicher, wie schnell er von dem Stuhl wegkommen konnte. »Ich wollte nicht derjenige sein, der es Euch sagt, aber... Die Gilde existiert nicht mehr, Aludra. Das Gildehaus in Tanchico existiert nicht mehr.« Das war das einzige richtige Haus der Gilde gewesen. Das in Cairhien war schon vor langer Zeit aufgegeben worden, und was die restlichen Feuerwerker anging, so reisten sie umher, um für Herrscher und Adlige Schauspiele zu veranstalten. »Sie weigerten sich, die seanchanischen Soldaten in die Anlage zu lassen, und kämpften, als sie trotzdem eindrangen. Das heißt, sie versuchten es. Ich weiß nicht, was genau passiert ist — vielleicht hat ein Soldat eine Laterne dorthin mitgenommen, wo er es lieber hätte bleiben lassen sollen —, aber so weit ich es verstanden habe, ist die halbe Anlage explodiert. Das ist vielleicht übertrieben. Aber die Seanchaner glaubten, einer der Feuerwerker hätte die Eine Macht benutzt, und sie...« Er seufzte und versuchte mitleidsvoll zu klingen. Blut und Asche, er wollte ihr das nicht sagen! Aber sie starrte ihn finster an, die verdammte Keule erhoben, um ihm den Schädel einzuschlagen. »Aludra, die Seanchaner haben jeden Überlebenden aus dem Gildehaus zusammengetrieben und dazu ein paar Illuminatoren, die nach Amador gekommen waren, und dazu jeden, der auch nur wie ein Feuerwerker aussah, und sie haben sie alle zu Da'covale gemacht. Das bedeutet...«

»Ich weiß, was das bedeutet!«, sagte sie heftig. Sie wandte sich wieder dem großen Mörser zu und schlug so hart mit dem Stößel darauf ein, dass er fürchtete, das Ding könnte — falls es sich tatsächlich um das Zeug handelte, das man in die Feuerwerkskörper füllte — explodieren. »Narren!«, murmelte sie wütend und stieß den Stößel hart nach unten. »Blinde Narren! Bei den Mächtigen muss man den Kopf ein Stück senken und weitergehen, aber sie wollten das nicht einsehen!« Sie schniefte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Wangen. »Ihr irrt Euch, mein junger Freund. So lange noch ein Illuminator lebt, lebt auch die Gilde, und ich, ich lebe noch!« Sie sah ihn noch immer nicht an und fuhr sich erneut mit der Hand über die Wangen. »Und was würdet Ihr tun, wenn ich Euch das Feuerwerk überlasse? Es mit einem Katapult gegen die Seanchaner schleudern?« Ihr Schnauben verriet, was sie davon hielt.

»Und was wäre, an dieser Idee so falsch?«, fragte er vorsichtig. Ein gutes Feldkatapult, ein Skorpion, konnte einen zehn Pfund schweren Stein fünfhundert Schritte weit schleudern, und zehn Pfund Feuerwerk würden mehr Schaden anrichten als ein Stein. »Aber ich habe sowieso eine bessere Idee. Ich habe diese Röhren gesehen, mit denen Ihr Nachtblumen an den Himmel werft. Dreihundert Schritte oder mehr, habt Ihr gesagt. Ich wette, wenn man eine davon verstärkt, könnte sie eine Nachtblume tausend Schritte weit befördern.«

»Ich rede zu viel«, murmelte sie kaum hörbar und starrte konzentriert in den Mörser. Zumindest glaubte er das verstanden zu haben, dazu kam noch irgendetwas über schöne Augen, das keinen Sinn ergab. Er beeilte sich, damit sie nicht wieder von den Gildegeheimnissen anfing. »Diese Röhren sind wesentlich kleiner als ein Katapult, Aludra. Falls man sie gut versteckt, würden die Seanchaner nie erfahren, wo sie abgefeuert wurden. Betrachtet es doch einfach als Rache für das Gildehaus.«

Sie drehte den Kopf und warf ihm einen respektvollen Blick zu. In den sich auch Überraschung mischte, aber es gelang ihm, das zu ignorieren. Ihre Augen waren rot gerändert, ihre Wangen wiesen Spuren von Tränen auf. Wenn er vielleicht den Arm um sie legte... Für gewöhnlich wussten Frauen etwas Trost zu schätzen, wenn sie geweint hatten.

Er hatte noch nicht einmal den Ansatz einer Bewegung gemacht, als sie den Stößel herumschwang und ihn mit einer Hand wie ein Schwert auf ihn richtete. Diese schlanken Arme mussten stärker sein, als sie aussahen; der Holzstößel zitterte nicht einmal. Licht, dachte er, sie konnte doch gar nicht wissen, was ich tun wollte!

»Für einen, der die Abschussröhren vor ein paar Tagen zum ersten Mal gesehen hat, ist das nicht schlecht«, sagte sie, »aber ich habe schon lange vor Euch daran gedacht. Ich hatte meine Gründe.« Einen Augenblick lang war ihre Stimme voller Bitterkeit, aber sie wurde wieder unbeschwerter und schließlich sogar amüsiert. »Ich werde Euch das Rätsel stellen, da Ihr doch so schlau seid, oder etwa nicht?«, fügte sie hinzu und hob eine Braue. Oh, da gab es auf jeden Fall etwas, das sie amüsierte! »Ihr verratet mir, wozu ich einen Glockengießer brauchen könnte, und dafür verrate ich Euch alle meine Geheimnisse. Sogar die, die Euch erröten lassen, einverstanden?«

Das hörte sich interessant an. Aber das Feuerwerk war wichtiger, als eine Stunde mit ihr herumzuschmusen. Welche Geheimnisse konnte sie haben, die ihn erröten ließen? Was das anging, würde er sie vermutlich überraschen können. Nicht all die Erinnerungen der anderen Männer, die man in seinen Kopf gezwängt hatte, drehten sich um Schlachten. »Ein Glockengießer«, sagte er nachdenklich, ohne die geringste Ahnung, in welche Richtung ihn das führen sollte. Nicht eine jener alten Erinnerungen regte sich. »Nun, ich vermute ... ein Glockengießer könnte... vielleicht...«

»Nein«, sagte sie abrupt. »Ihr werdet jetzt gehen und in zwei oder drei Tagen wiederkommen. Ich habe zu arbeiten und Ihr mit Euren Fragen und Schmeicheleien seid eine zu große Ablenkung. Nein, ich will nichts hören! Ihr werdet jetzt gehen.«

Er erhob sich mit finsterer Miene und stülpte sich den breitkrempigen Hut auf den Kopf. Schmeicheleien? Schmeicheleien! Blut und verdammte Asche! Beim Reinkommen hatte er seinen Umhang neben der Tür zu Boden fallen lassen, und er stöhnte leise, als er sich bückte, um ihn aufzuheben. Er hatte fast den ganzen Tag auf dem Stuhl gesessen. Aber vielleicht hatte er bei ihr einen kleinen Fortschritt gemacht. Und wenn er das Rätsel lösen konnte, dann sowieso. Alarmglocken. Gongs, die die Stunde schlugen. Es ergab keinen Sinn.

»Ich könnte mir vorstellen, einen so schlauen jungen Mann wie Euch zu küssen, würdet Ihr nicht einer anderen gehören«, murmelte sie in entschieden warmem Tonfall. »Ihr habt ein so knackiges Hinterteil.«

Er schoss hoch, hielt ihr aber weiterhin den Rücken zugewandt. Die Hitze in seinem Gesicht war pure Empörung, aber er war davon überzeugt, dass sie es als Erröten auslegen würde. Normalerweise konnte er seine Kleidung vergessen, solange es niemand ansprach. In den Schenken hatte es da den einen oder anderen Zwischenfall gegeben. Als er mit dem geschienten Bein und verbundenen Rippen und von Kopf bis Fuß mit Verbänden versehen flach auf dem Rücken lag, hatte Tylin seine Kleidung versteckt. Er hatte noch immer nicht herausgefunden, wo sie war, aber mit Sicherheit war sie versteckt und nicht verbrannt. Schließlich würde sie ihn ja wohl nicht für alle Zeiten festhalten wollen. Von seinen Sachen waren nur noch der Hut und das schwarze Seidentuch, das er um den Hals trug, übrig geblieben. Und das Medaillon aus Silber, das einen Fuchskopf darstellte, das unter seinem Hemd an einem Lederband hing. Und seine Messer; ohne die hätte er sich wirklich verloren gefühlt.

Als er es endlich geschafft hatte, aus dem verdammten Bett zu kriechen, hatte das verfluchte Weibsstück für ihn neue Kleider anfertigen lassen, und sie hatte dabei zugesehen, wie die verfluchte Schneiderin seine Maße nahm! Die schneeweißen Spitzenrüschen an seinen Ärmeln verbargen verdammt noch mal beinahe seine Hände, wenn er nicht Acht gab, und noch mehr von dem Zeug quoll verflucht noch mal aus seinem Halsausschnitt und reichte fast bis zur Taille. Tylin mochte Spitze an einem Mann. Sein Umhang war von flammendem Scharlachrot — so rot wie die zu engen Hosen —, und mit goldenen Schnörkeln und — ausgerechnet! — weißen Rosen abgesetzt. Ganz zu schweigen von dem weißen Oval auf seiner linken Schulter mit dem grünen Schwert und dem Anker von Haus Mitsobar. Sein Mantel war blau genug, um einem Kesselflicker zu gehören, und zu allem Überfluss zogen sich goldene und rote tairenische Labyrinthe quer über die Brust und die Ärmel entlang. Mat erinnerte sich ungern daran, was er hatte durchmachen müssen, nur um Tylin davon zu überzeugen, auf die Perlen und Saphire und das Licht allein wusste was noch zu verzichten. Und er war kurz. Unanständig kurz! Auch Tylin liebte sein verdammtes Hinterteil, und es schien ihr egal zu sein, wer es noch sah!

Er rückte den Umhang auf den Schultern zurecht —wenigstens er verhüllte etwas — und nahm den schulterhohen Wanderstab, der neben der Tür lehnte. Seine Hüfte und sein Bein würden wehtun, bis er den Schmerz durch Laufen verdrängte. »Dann bis in zwei oder drei Tagen«, sagte er mit so viel Würde, wie er aufbringen konnte.

Aludra lachte leise. Aber nicht leise genug, dass er es nicht mitbekam. Licht, eine Frau konnte mehr mit einem Lachen anstellen als ein Schläger von den Docks mit einer Tirade voller Flüche! Mit der gleichen Absicht.

Sobald er einige der an dem Wagen befestigten Stufen hinkend hinuntergestiegen war, schlug er die Tür zu. Der nachmittägliche Himmel sah genauso aus wie am Morgen, grau und stürmisch und voll mürrischer Wolken. Ein scharfer Wind wehte launenhaft. Altara kannte keinen echten Winter, aber das, was es hatte, reichte auch so aus. Statt Schnee gab es Eisregen und Stürme, die vom Meer heranbrausten, und zwischenzeitlich war es feucht genug, um die Kälte noch schlimmer erscheinen zu lassen. Der Boden unter den Stiefeln fühlte sich selbst dann matschig an, wenn er trocken war. Mit gerunzelter Stirn humpelte Mat von dem Wagen fort.

Frauen! Aber Aludra war hübsch. Und sie wusste, wie man Feuerwerk herstellte. Ein Glockengießer? Vielleicht konnte er ja zwei kurze Tage daraus machen. Solange Aludra nicht anfing, ihn zu jagen. In letzter Zeit schienen das eine Menge Frauen zu tun. Hatte Tylin ihn irgendwie verändert, sodass Frauen ihn auf dieselbe Weise wie sie verfolgten? Nein. Das war lächerlich. Der Wind packte seinen Umhang und ließ ihn hinter sich herflattern, aber er war zu sehr in Gedanken versunken, um ihn wieder zu bändigen. Zwei schlanke Frauen — vermutlich Akrobatinnen — lächelten ihn im Vorbeigehen verstohlen an und er lächelte zurück und machte seinen besten Kratzfuß. Tylin hatte ihn nicht verändert. Er war noch immer derselbe Mann, der er immer gewesen war.

Lucas Schauspieltruppe war fünfzigmal größer, als Thom behauptet hatte, vielleicht sogar noch größer, ein sich ausbreitendes Durcheinander aus Zelten und Wagen mit der Fläche eines Dorfes. Trotz des Wetters übten eine Reihe von Darstellern im Freien. Eine Frau in einer locker fallenden weißen Bluse und Hosen, die mindestens so eng wie die seinen waren, schwang an einem durchhängenden, zwischen zwei hohen Pfosten befestigten Seil auf und ab, dann warf sie sich nach vorn und schaffte es irgendwie, das Seil mit den Füßen zu umklammern, bevor sie zu Boden stürzte. Sie krümmte sich zusammen, um das Seil mit den Händen zu ergreifen, zog sich zurück auf ihren Sitz und fing von vorn an. Nicht weit von ihr stand ein Mann mit entblößter Brust, der drei funkelnde Bälle über Arme und Schultern rollen ließ, ohne sie mit den Händen zu berühren. Das war interessant. Das hätte Mat vielleicht auch noch geschafft. Wenigstens würden diese Bälle einem keine Glieder brechen und bluten lassen. Davon hatte er sein Leben lang genug.

Was ihm jedoch vor allem ins Auge stach, waren die Pferdeseile. Lange Pferdeseile, hinter denen zwei Dutzend gegen die Kälte dick vermummte Männer Dung auf Schubladen schaufelten. Hunderte von Pferden. Angeblich hatte Luca ein paar seanchanischen Tierbändigern Unterschlupf gewährt, und seine Belohnung war eine von der Hochlady Suroth persönlich unterzeichnete Vollmacht, die ihm erlaubte, seine Pferde zu behalten. Mats Pip war in Sicherheit, vor der von Suroth angeordneten Lotterie gerettet, weil er in den Ställen des Tarasin-Palasts stand, aber es war ihm unmöglich, den Wallach dort herauszuholen. Tylin hatte ihn so gut wie angeleint, und sie hatte nicht vor, ihn in absehbarer Zukunft wieder gehen zu lassen.

Er wandte sich ab und dachte darüber nach, Vanin ein paar der Zirkuspferde stehlen zu lassen, falls die Gespräche mit Luca scheitern sollten. Nach dem zu urteilen, was Mat über Vanin in Erfahrung gebracht hatte, musste das für den seltsamen Mann so etwas wie ein Abendspaziergang sein. So fett Vanin auch war, konnte er jedes Pferd stehlen und reiten. Unglücklicherweise glaubte Mat nicht, länger als eine Meile im Sattel sitzen zu können. Trotzdem, das war etwas, worüber sich nachzudenken lohnte. Langsam wurde er verzweifelt.

Er hinkte weiter, betrachtete Sprungartisten und Jongleure und Akrobaten beim Training und fragte sich, wie es überhaupt so weit hatte kommen können. Blut und Asche! Er war ein Ta'verenl Er sollte die um sich herum befindliche Welt formen! Aber stattdessen saß er in Ebou Dar fest, war Tylins Schoßtier und Spielzeug — die Frau hatte ihn nicht einmal richtig genesen lassen, bevor sie auf ihn gesprungen war wie eine Ente auf einen Käfer! —, während es sich alle anderen gut gehen ließen. Vermutlich herrschte Nynaeve über jeden in Sichtweite, während diese Kusinen ihr voller Ehrfurcht folgten. Sobald Egwene erkannt hatte, dass diese völlig verrückten Aes Sedai, die sie zur Amyrlin ernannt hatten, es in Wahrheit gar nicht so meinten, standen Talmanes und die Bande der Roten Hand bereit, sie wegzuschaffen. Licht, so wie er Elayne kannte, trug sie mittlerweile die Rosenkrone! Rand und Perrin lungerten vermutlich in irgendeinem Palast vor einem Kaminfeuer herum, gössen Wein in sich rein und erzählten sich Witze.

Er verzog das Gesicht und rieb sich die Stirn, als in seinem Kopf ein Kaleidoskop aus Farben umherzuwirbeln schien. Das geschah in letzter Zeit, wenn er an einen der beiden Männer dachte. Den Grund dafür kannte er nicht und er wollte ihn auch gar nicht wissen. Er wollte einfach nur, dass es aufhörte. Wenn er doch nur aus Ebou Dar herausgekommen wäre. Natürlich mit dem Geheimnis des Feuerwerks, aber er hätte die Flucht dem Geheimnis jeden Tag vorgezogen.

Thom und Beslan waren noch genau da, wo er sie zurückgelassen hatte; sie tranken mit Luca vor dessen aufwendig verziertem Wagen, aber er gesellte sich nicht sofort zu ihnen. Aus irgendeinem Grund hatte Luca auf den ersten Blick eine heftige Abneigung gegen Mat Cauthon gefasst. Mat erwiderte seine Gefühle, aber er hatte dafür seine Gründe. Luca hatte ein selbstzufriedenes Gesicht und er lächelte jede vorbeikommende Frau auf eine zweideutige Art und Weise an. Und er schien zu glauben, dass sein Anblick jede Frau auf der Welt begeisterte. Licht, der Mann war verheiratet!

Luca rekelte sich in einem vergoldeten Stuhl, den er aus einem Palast gestohlen haben musste, grinste und machte großspurige Gesten, die für Thom und Beslan bestimmt waren; die beiden saßen zu beiden Seiten von ihm auf Bänken. Lucas hellroter Mantel und sein Umhang waren mit Sternen und Kometen bedeckt. Ein Kesselflicker wäre vor Scham errötet! Sein Wagen hätte einen Kesselflicker zum Weinen gebracht! Das Ding war nicht nur viel größer als Aludras Werkstattwagen, es schien zu allem Überfluss auch noch lackiert zu sein! Die Mondphasen zogen sich in unablässiger Folge in Silber um seine Seiten und der Rest der rot und blau gestrichenen Oberfläche war voller goldener Sterne und Kometen. Unter diesen Umständen sah Beslan in seinem mit herabsausenden Vögeln bestickten Mantel und dem dazu passenden Umhang beinahe gewöhnlich aus. Thom, der gerade mit dem Handrücken Wein aus dem Schnurrbart strich, erschien in seinem einfachen bronzefarbenen Tuch und dem dunklen Umhang richtiggehend schlicht.

Eine Person, die hätte da sein müssen, war es nicht, aber mit einem schnellen Blick in die Runde entdeckte er eine Gruppe von Frauen, die in der Nähe vor anderen Wagen stand. Jedes Alter war vertreten, von seinem bis zu ergrauten Haaren, aber sie alle kicherten über das, worum sie sich versammelt hatten. Mit einem Seufzen begab sich Mat zu ihnen.

»Oh, ich kann mich einfach nicht entscheiden«, ertönte die piepsende Stimme eines Jungen, der in der Mitte der Frauen stand. »Wenn ich Euch ansehe, Merici, habt Ihr die schönsten Augen, die ich je gesehen habe. Aber wenn ich Euch ansehe, Neilyn, dann sind es Eure. Gillin, Eure Lippen sind reife Kirschen, und Adria, die Euren erwecken in mir den Wunsch, sie zu küssen. Und Jameine, Euer Hals ist so anmutig wie der eines Schwans...«

Mat schluckte einen Fluch herunter, beschleunigte seine Schritte, so gut es ging, und zwängte sich Entschuldigungen murmelnd an den Frauen vorbei. Olver stand genau in ihrer Mitte, ein kleiner blasser Junge, der posierte und eine Frau nach der anderen angrinste. Allein schon deshalb konnte sich jeden Moment eine von ihnen entscheiden, ihm so lange eins auf die Ohren zu geben, bis sie abfielen.

»Bitte verzeiht ihm«, murmelte Mat und nahm den Jungen bei der Hand. »Komm schon, Olver, wir müssen in die Stadt zurück. Hör auf, mit deinem Umhang rumzuwedeln. Er weiß eigentlich gar nicht, was er da sagt. Und ich weiß nicht, wo er solche Dinge überhaupt aufschnappt.«

Glücklicherweise lachten die Frauen und strichen Olver über das Haar, als Mat ihn fortführte. Eine murmelte doch tatsächlich, er sei ein süßer Junge! Eine andere griff mit der Hand unter Mats Umhang und kniff ihn in den Hintern. Frauen!

Sobald sie unter sich waren, warf er dem Jungen, der fröhlich an seiner Seite ging, einen finsteren Blick zu. Olver war gewachsen, seit Mat ihn kennen gelernt hatte, aber er war noch immer klein für sein Alter. Und mit diesem breiten Mund und den dazu passenden Ohren würde er nie ein hübscher Bursche. »Du bringst dich in echte Schwierigkeiten, wenn du so mit Frauen sprichst«, sagte Mat. »Frauen mögen es, wenn ein Mann zurückhaltend ist und gute Manieren hat. Und reserviert. Reserviert und vielleicht ein bisschen schüchtern. Kultiviere diese Qualitäten und du wirst es richtig machen.«

Olver starrte ihn ungläubig an und Mat seufzte. Der Junge hatte einen Haufen Onkel, die sich um ihn kümmerten, und abgesehen von Mat übte jeder einen schlechten Einfluss auf ihn aus.

Thom und Beslan reichten aus, um Olvers Grinsen wiederherzustellen. Thom brachte ihm bei, wie man jonglierte und Harfe und Flöte spielte, und Beslan unterrichtete ihn im Gebrauch des Schwerts. Seine anderen ›Onkel‹ unterrichteten ihn in anderen Dingen, in erstaunlich unterschiedlichen Fertigkeiten. Sobald Mat seine alten Kräfte zurückgewonnen hatte, wollte er ihm den Gebrauch des Kampfstabes und des Bogens von den Zwei Flüssen zeigen. Er wollte gar nicht wissen, was der Junge von Chel Vanin oder den Rotwaffen lernte.

Luca erhob sich bei Mats Näherkommen von seinem protzigen Stuhl und sein albernes Lächeln verblasste zu einer säuerlichen Grimasse. Er musterte Mat von Kopf bis Fuß, warf sich den lächerlichen Umhang mit Schwung über die Schulter und verkündete mit donnernder Stimme: »Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Ich habe viel zu tun. Es könnte sein, dass ich bald die Ehre habe, der Hochlady Suroth eine Privatvorstellung geben zu dürfen.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stolzierte er fort; er hielt den verzierten Umhang mit einer Hand fest, und die Windböen ließen ihn wie ein Banner flattern.

Mat packte seinen Umhang mit beiden Händen. Ein Umhang diente zum Wärmen. Er hatte Suroth im Palast gesehen. Zwar nicht aus nächster Nähe, aber er war nahe genug dran gewesen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie auch nur einen Gedanken an Valan Lucas Großen Wanderzirkus und Prächtige Zurschaustellung von Mysterien und Wundern, wie das zwischen zwei hohen Pfosten aufgespannte Spruchband am Eingang in ellenhohen roten Buchstaben verkündete, verschwendete. Und falls doch, würde sie die Löwen fressen. Oder sie zu Tode erschrecken.

»Thom, hat er schon zugestimmt?«, fragte er leise und sah Luca stirnrunzelnd nach.

»Wir können uns ihm anschließen, wenn er Ebou Dar verlässt«, sagte der Mann mit dem von Wind und Wetter gezeichneten Antlitz. »Für einen Preis.« Er schnaubte, pustete in seinen Schnurrbart und fuhr sich gereizt mit den Fingern durch sein weißes Haar. »Für das, was er verlangt hat, sollten wir wie Könige essen und schlafen, aber da ich ihn kenne, bezweifle ich das. Er hält uns nicht für Verbrecher, da wir uns noch immer frei bewegen können, aber er weiß, dass wir vor etwas auf der Flucht sind, da wir sonst auf andere Weise reisen würden. Unglücklicherweise will er frühestens im Frühling aufbrechen.«

Mat lagen mehrere ausgesuchte Flüche auf der Zunge. Nicht vor dem Frühling. Das Licht allein wusste, was Tylin ihm bis zum Frühling angetan, wozu sie ihn gebracht haben würde. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, Vanin Pferde stehlen zu lassen. »Lässt mir mehr Zeit zum Würfeln«, sagte er, als würde es keine Rolle spielen. »Wenn er so viel haben will, wie du sagst, muss ich meinen Geldbeutel mästen. Eines muss man den Seanchanern lassen, es scheint ihnen nichts auszumachen, wenn sie verlieren.« Er versuchte sein Glück nicht überzustrapazieren, und man hatte ihm nicht angedroht, ihm wegen Falschspiels die Kehle durchzuschneiden. Zumindest nicht, seit er den Palast wieder aufrecht auf zwei Füßen hatte verlassen können. Zuerst hatte er geglaubt, sein Glück hätte sich verbessert, aber vielleicht war sein Dasein als Ta'veren endlich zu etwas nütze.

Beslan sah ihn ernst an. Er war ein dunkler, schlanker Mann, etwas jünger als Mat, und als sie sich kennen gelernt hatten, war er ein wüster Draufgänger gewesen, stets zu einem Zug durch die Schenken bereit, vor allem wenn er mit Frauen oder einer Rauferei endete. Doch seit der Ankunft der Seanchaner war er ernsthafter geworden. Für ihn stellten sie eine sehr ernste Sache dar. »Meine Mutter wird nicht erfreut sein, wenn sie erfährt, dass ich ihrem Schatz dabei helfe, Ebou Dar zu verlassen, Mat. Sie wird mich mit einem Weibsbild verheiraten, das ein Matschauge und einen Schnurrbart wie ein tarabonischer Fußsoldat hat.«

Nach dieser ganzen Zeit zuckte Mat noch immer zusammen. Er würde sich nie daran gewöhnen, dass Tylins Sohn der Meinung war, dass das, was seine Mutter mit ihm machte, in Ordnung war. Nun, Beslan glaubte immerhin, dass sie etwas zu besitzergreifend war —nur etwas, wohlgemerkt! —, aber das war der einzige Grund, warum er helfen wollte. Beslan behauptete, Mat sei genau das, was seine Mutter brauchte, um sich von den Übereinkünften abzulenken, die ihr von den Seanchanern aufgezwungen worden waren! Manchmal wünschte sich Mat, wieder in den Zwei Flüssen zu sein, wo er wenigstens wusste, was die anderen dachten. Manchmal tat er das tatsächlich.

»Können wir jetzt in den Palast zurückkehren?«, fragte Olver; es war mehr eine Forderung als eine Frage. »Ich habe Leseunterricht bei Lady Riselle. Sie lässt mich den Kopf auf ihren Busen legen, wenn sie mir vorliest.«

»Eine bemerkenswerte Leistung, Olver«, sagte Thom und strich sich den Schnurrbart, um ein Lächeln zu verbergen. Er beugte sich näher an die beiden anderen Männer heran und senkte die Stimme, damit der Junge seine Worte nicht mitbekam. »Mich lässt die Frau immer Harfe spielen, bevor ich meinen Kopf auf dieses prächtige Kissen betten darf.«

»Riselle lässt sich vorher von jedem unterhalten.« Beslan kicherte wissend und Thom starrte ihn erstaunt an.

Mat stöhnte. Diesmal war es weder sein Bein noch die Tatsache, dass sich in Ebou Dar anscheinend jeder Mann aussuchen konnte, an welchen Busen er sein Haupt betten wollte, mit Ausnahme von Mat Cauthon. Gerade hatten die verdammten Würfel wieder angefangen, in seinem Kopf umherzurollen. Etwas Böses kam auf ihn zu. Etwas sehr Böses.

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