29 Ein anderer Plan

Der Keller der Wanderin mit seiner Decke aus Holzbalken war groß, doch obwohl sich nur fünf Leute darin aufhielten, erschien er so eng wie das Zimtner, das sich Juilin und Thom teilten. Die auf einem aufrecht stehenden Fass abgesetzte Öllampe warf flackernde Schatten. Ein Stück weiter lag der ganze Keller in Dunkelheit. Der Abstand zwischen den Regalen und den rauen Steinwänden war kaum größer, als ein Fass hoch war, aber das schien nicht der Grund dafür zu sein, dass er so beengt wirkte.

»Ich habe Euch um Hilfe gebeten, nicht um einen Strick um den Hals«, sagte Joline kalt. Nach fast einer Woche in Frau Anans Obhut und mithilfe von Enids Küche sah die Aes Sedai nicht länger hager aus. Das zerlumpte Gewand, in dem Mat sie zuvor gesehen hatte, war von einem hochgeschlossenen, aus feinem Tuch gefertigten blauen Gewand ersetzt worden, das an den Ärmeln und unter dem Kinn einen Hauch Spitze aufwies. Das flackernde Licht tauchte ihr Gesicht immer wieder in Schatten und sie sah wütend aus; sie versuchte Mat mit ihren Blicken zu durchbohren. »Wenn etwas schief geht, egal was, wäre ich völlig hilflos!«

Er wollte nichts davon hören. Da bot man aus der Güte seines Herzens seine Hilfe an, gewissermaßen, und das hatte man davon. Er hielt ihr praktisch das A'dam unter die Nase. Es wand sich in seiner Hand wie eine lange Schlange aus Silber und funkelte im Lampenlicht, Kragen und Armband schleiften über den Steinboden, und Joline schürzte die dunklen Röcke und trat zurück, um jede Berührung zu vermeiden. So wie sich ihr Mund verzog, hätte es genauso gut eine Viper sein können. Er fragte sich, ob es ihr passen würde; der Kragen schien größer als ihr schlanker Hals zu sein. »Sobald wir außerhalb der Stadtmauer sind, wird Frau Anan es Euch abnehmen«, knurrte er. »Ihr vertraut ihr doch, oder? Sie hat ihren Hals riskiert, um Euch hier unten zu verstecken. Ich sage Euch, das ist die einzige Möglichkeit!« Joline hob stur das Kinn. Frau Anan murmelte ärgerlich etwas vor sich hin.

»Sie will das Ding nicht tragen«, sagte Fen mit ausdrucksloser Stimme hinter Mat.

»Wenn sie es nicht tragen will, dann trägt sie es auch nicht«, sagte Blaeric mit noch ausdrucksloserer Stimme neben Fen.

Für zwei völlig unterschiedliche Männer waren sich Jolines dunkelhaarige Behüter ziemlich ähnlich. Fen mit seinen dunklen, schräg stehenden Augen und einem Kinn, mit dem man einen Stein spalten konnte, war eine Spur kleiner als Blaeric und vielleicht etwas breiter in Brust und Schultern, doch jeder hätte ohne weiteres die Kleidung des anderen tragen können. Fens glattes schwarzes Haar reichte fast bis zu den Schultern, das Haar des blauäugigen Blaeric war kurz geschnitten und hatte fast dieselbe Farbe. Blaeric war Schienarer, und er hatte den Haarknoten abrasiert und ließ den Rest wachsen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, aber es gefiel ihm nicht. Fen, ein Saldaeaner, schien gar nichts zu gefallen mit Ausnahme von Joline. Beide mochten Joline, und zwar sehr. Beide sprachen ähnlich, dachten ähnlich und bewegten sich ähnlich. Sie trugen zerschlissene Hemden und die einfachen Westen von Tagelöhnern, die bis über ihre Hüften reichten, aber jeder, der sie selbst in diesem schlechten Licht für Arbeiter gehalten hätte, hätte blind sein müssen. Am Tag, wenn sie in den Ställen arbeiteten, wo Frau Anan sie untergebracht hatte ... Licht! Sie schauten Mat an wie Löwen eine Ziege, die vor ihnen die Zähne gefletscht hatte. Er drehte sich so, dass er die Behüter nicht einmal aus dem Augenwinkel sehen musste. Mit den beiden im Rücken stellten die an verschiedenen Stellen seines Körpers versteckten Messer nur einen kleinen Trost da.

»Wenn Ihr nicht auf ihn hören wollt, Joline Maza, dann werdet Ihr mir zuhören.« Setalle stemmte beide Hände in die Hüften und beugte sich der schlanken Aes Sedai entgegen. »Ich will Euch wieder in der Weißen Burg sehen, auch wenn das bedeutet, dass ich Euch jeden Schritt dorthin stoßen muss! Vielleicht werdet Ihr mir unterwegs zeigen, dass Ihr wisst, was es bedeutet, eine Aes Sedai zu sein. Ich würde mich damit zufrieden geben, einen Blick auf eine erwachsene Frau zu erhäschen. Bis jetzt habe ich bloß eine Novizin gesehen, die in ihr Kissen weint und Wutanfälle kriegt!«

Joline starrte sie an, die großen braunen Augen so weit aufgerissen, wie es nur ging, als könnte sie nicht glauben, was sie da hörte. Mat war sich nicht sicher, ob er es glaubte. Wirtinnen sagten einer Aes Sedai nicht die Meinung. Fen grunzte und Blaeric murmelte etwas, das sich nicht nett anhörte.

»Ihr braucht doch nicht weiter als außer Sichtweite der Torwächter zu gehen«, sagte Mat hastig zu Setalle in der Hoffnung, einen möglichen Wutausbruch Jolines zu verhindern. »Haltet die Kapuze Eures Umhangs hochgeschlagen ...« Licht, er musste ihr einen dieser schicken Umhänge besorgen! Nun, wenn Juilin ein A'dam stehlen konnte, dann konnte er auch einen verdammten Umhang klauen. »Die Wächter werden nur eine weitere Sul'dam sehen. Ihr könnt vor Tagesanbruch wieder hier sein, ohne dass es eine Menschenseele erfahren haben muss. Es sei denn, Ihr besteht darauf, Euren Hochzeitsdolch zu tragen.« Er lachte über seinen Witz, aber sie fiel nicht in sein Lachen ein.

»Glaubt Ihr, ich könnte an einem Ort bleiben, an dem Frauen zu Tieren gemacht werden, weil sie die Macht lenken können?«, wollte sie wissen und stapfte über den Boden, bis sie beinahe Zeh an Zeh mit ihm stand. »Glaubt Ihr, ich würde meine Familie zurücklassen?« Während sie Joline angestarrt hatte, schien sie ihn nun mit ihrem wilden Blick zu verschlingen. Ehrlich gesagt hatte er nie über diese Frage nachgedacht. Sicherlich würde er die Damane gern frei sehen, aber warum sollte ihr das so viel bedeuten? Doch offensichtlich tat es das; sie griff nach dem langen Krummdolch, der hinten in ihrem Gürtel steckte, und streichelte ihn. Ebou Dari nahmen Beleidigungen nie gut auf und in dieser Hinsicht war sie eine reine Ebou Dari. »Zwei Tage nach der Ankunft der Seanchaner habe ich begonnen, den Verkauf der Wanderin in die Wege zu leiten, als ich sehen konnte, was sie sind. Ich hätte schon vor Tagen alles an Lydel Elonid übergeben sollen, aber ich habe es hinausgezögert, weil Lydel nicht damit rechnen würde, eine Aes Sedai im Keller zu finden. Wenn Ihr zum Auf bruch bereit seid, kann ich ihm die Schlüssel übergeben und mit Euch gehen. Lydel wird ungeduldig«, fügte sie mit einem bedeutsamen, auf Joline gerichteten Blick über die Schulter hinzu.

Und was ist mit meinem Gold? wollte er empört fragen. Hätte Lydel ihn das mitnehmen lassen, den unerwarteten Reichtum unter ihrem Küchenboden? Doch es war etwas anderes, das ihm den Atem verschlug. Plötzlich sah er sich Frau Anans ganze Familie aufgebürdet, einschließlich der verheirateten Söhne und Töchter mit ihren Kindern und vielleicht auch noch ein paar Tanten und Onkel und Nichten und Neffen. Dutzende. Sie mochte ja von außerhalb kommen, aber ihr Mann hatte in der ganzen Stadt Verwandte. Blaeric schlug ihm so hart auf den Rücken, dass er stolperte.

Er zeigte dem Burschen die Zähne und hoffte, dass der Schienarer es als dankbares Lächeln interpretierte. Blaerics Miene änderte sich nicht. Verdammte Behüter! Verdammte Aes Sedai! Verdammte, verfluchte Wirtinnen!

»Frau Anan«, sagte er vorsichtig, »so wie ich von Ebou Dar wegkommen will, ist da nicht viel Platz für andere.« Er hatte ihr noch nicht von Lucas Wanderzirkus berichtet. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass er den Mann doch nicht überzeugen konnte. Und je mehr Leute Luca mitnehmen musste, desto schwerer würde er zu überzeugen sein. »Kehrt zurück, sobald wir außerhalb der Stadt sind. Wenn Ihr sie verlassen müsst, nehmt eines der Fischerboote Eures Mannes. Aber ich rate Euch, ein paar Tage zu warten. Vielleicht eine Woche. Sobald die Seanchaner entdecken, dass zwei Damane fehlen, werden sie sich auf jeden stürzen, der die Stadt verlassen will.«

»Zwei?«, sagte Joline in scharfem Tonfall. »Teslyn und wer noch?«

Mat verzog das Gesicht. Das hatte er nicht preisgeben wollen. Er hatte Joline so weit, und bei ihr fielen einem als allererstes Worte wie launisch, halsstarrig und verwöhnt ein. Alles, was sie auf den Gedanken bringen konnte, dass die Sache schwieriger und Ungewisser werden könnte, würde sie möglicherweise dazu bringen, einen eigenen hirnverbrannten Plan auszubrüten. Etwas, das seine Pläne zweifellos zum Scheitern verurteilte. Wenn sie allein zu flüchten versuchte, würde man sie zweifellos gefangen nehmen, und sie würde kämpfen. Und sobald die Seanchaner erfuhren, dass eine Aes Sedai direkt unter ihrer Nase in der Stadt gewesen war, würden sie die Suche nach Marath'damane wieder ausweiten, die Straßenpatrouillen noch mehr verstärken, als sie es bereits wegen des »verrückten Mörders« getan hatten, und, was das Schlimmste sein würde, es noch schwieriger machen, durch die Stadttore zu gelangen.

»Edesina Azzedin«, sagte er zögernd. »Ich weiß nicht mehr über sie.«

»Edesina«, wiederholte Joline langsam. Ein paar winzige Falten brachten ihre glatte Stirn in Unordnung. »Ich habe gehört, sie ...« Was auch immer sie gehört hatte, sie biss die Zähne zusammen und fixierte ihn mit einem wilden Blick. »Halten sie auch noch andere Schwestern fest? Wenn Teslyn freikommt, werde ich ihnen keine andere Schwester überlassen!«

Mat musste sich anstrengen, sie nicht ungläubig anzustarren. Launisch und verwöhnt? Er sah eine Löwin an, die es mit Blaeric und Fen aufnehmen konnte. »Glaubt mir, ich werde keine Aes Sedai in den Zwingern lassen, es sei denn, sie will dort bleiben«, sagte er so trocken, wie er nur konnte. Die Frau war trotzdem halsstarrig. Möglicherweise würde sie darauf bestehen, die anderen beiden zu retten, die wie Pura waren, Licht, er hätte niemals zulassen dürfen, in die Angelegenheiten der Aes Sedai verstrickt zu werden, und er brauchte keine uralten Erinnerungen, um ihn davor zu warnen! Da reichten seine eigenen schon aus, vielen Dank auch!

Fen stieß ihn mit einem harten Finger in die linke Schulter. »Seid nicht so unverschämt«, warnte der Behüter.

Joline rümpfte über seinen Tonfall die Nase, bedrängte ihn aber nicht weiter.

Mat fühlte, wie sich ein Knoten in seinem Nacken löste, genau dort, wo die Axt des Scharfrichters zuschlagen würde. Aes Sedai verdrehten anderen Leuten die Worte im Mund; sie rechneten nicht damit, dass man sie mit ihren eigenen Tricks hereinlegte.

Er wandte sich Setalle zu. »Frau Anan, Ihr müsst doch einsehen, dass die Schiffe Eures Mannes viel besser ...«

»Das mag schon sein«, unterbrach sie ihn, »aber Jasfer ist vor drei Tagen mit seinen zehn Booten und unserer ganzen Familie losgesegelt. Falls er jemals zurückkehrt, wird die Gilde wohl mit ihm reden wollen. Eigentlich darf er keine Passagiere mitnehmen. Sie fahren nach Illian, wo sie auf mich warten werden. Ihr müsst wissen, dass ich gar nicht bis nach Tar Valon will.«

Diesmal konnte Mat eine Grimasse nicht verhindern. Er hatte auf Jasfer Anans Fischerboote zurückgreifen wollen, falls es ihm nicht gelang, Luca zu überreden. Eine gefährliche Idee, sicher, sogar mehr als gefährlich. Vielleicht sogar verrückt. Die Sul'dam auf den Docks hätten vermutlich jeden Befehl überprüft, der Damane an Bord von Fischerbooten schickte, vor allem in der Nacht. Aber er hatte die Boote stets im Hinterkopf gehabt. Nun, er würde Luca Daumenschrauben anlegen müssen, und zwar so fest wie nötig.

»Ihr lasst Eure Familie zu dieser Jahreszeit hinausfahren?« In Jolines Stimme vermengten sich Unglaube und Verachtung. »Wo die schlimmsten Stürme heraufziehen?«

Frau Anan hatte der Aes Sedai den Rücken zugewandt, und sie hob stolz den Kopf, aber der Stolz galt nicht ihr. »Jasfer kann in den Rachen eines Cemaros segeln, wenn es sein muss. Ich vertraue ihm, so wie Ihr Euren Behütern vertraut, Grüne. Mehr sogar.«

Joline runzelte plötzlich die Stirn, nahm die Lampe an ihrem Eisenring und verschob sie, um das Gesicht der Wirtin in das Licht zu tauchen. »Sind wir uns früher schon einmal begegnet? Manchmal, wenn ich Euer Gesicht nicht sehen kann, klingt Eure Stimme vertraut.«

Statt einer Antwort nahm Setalle Mat das A'dam ab und fummelte an dem Armreif herum, der sich an dem einen Ende der silbernen Leine befand. Das ganze Ding war aus Segmenten gefertigt, die so geschickt zusammengefügt waren, dass man nicht erkennen konnte, wie es gemacht worden war. »Wir könnten den Test endlich hinter uns bringen.«

»Den Test?«, sagte er, und die haselnussbraunen Augen warfen ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Nicht jede Frau kann eine Sul'dam sein. Das müsstet Ihr mittlerweile wissen. Ich habe die Hoffnung, dass ich dazu fähig bin, aber wir sollten es lieber jetzt herausfinden und nicht im letzten Augenblick.« Sie starrte den geschlossenen Armreif stirnrunzelnd an und drehte ihn in den Händen. »Wisst Ihr, wie man dieses Ding öffnet? Ich kann nicht mal erkennen, wo der Verschluss ist.«

»Ja«, sagte er leise. Er hatte sich nur wenige Male mit Seanchanern über Sul'dam und Damane unterhalten, und dabei war es um die Frage gegangen, wie man sie in der Schlacht benutzte. Er hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, wie die Sul'dam ausgewählt wurden. Möglicherweise musste er gegen sie kämpfen — diese uralten Erinnerungen ließen ihm kaum eine Ruhepause, einmal nur nicht daran denken zu müssen, wie man eine Schlacht führte —, aber er hatte mit Sicherheit nie daran gedacht, welche zu rekrutieren. »Besser, es jetzt zu testen.« Statt... Licht!

Die Verschlüsse bereiteten ihm keine Schwierigkeiten, der Armreif war das einfachste. Man musste nur an den richtigen Stellen drücken, oben und unten, nicht ganz gegenüber der Leine. Das konnte man mit einer Hand machen und der Armreif sprang mit einem metallischen Klicken auf. Der Kragen war etwas schwieriger zu handhaben und brauchte beide Hände. Er legte die Finger auf die richtigen Punkte zu beiden Seiten der Stelle, an der die Leine befestigt war, und drückte, dann drehte und zog er, während er den Druck aufrecht erhielt. Nichts Sichtbares geschah, bis er die beiden Seiten in die andere Richtung drehte. Dann öffnete sich der Kragen direkt neben der Leine mit einem lauteren Klicken als das Armband. Ganz einfach. Es herauszufinden hatte ihn im Palast auch nur eine Stunde gekostet, obwohl Juilin ihm dabei geholfen hatte. Hier lobte ihn jedoch niemand. Keiner sah so aus, als hätte er etwas getan, das sie nicht auch hätten tun können!

Setalle ließ das Armband um ihr Handgelenk zuschnappen, wickelte sich die Leine um den Unterarm und hielt dann den offenen Kragen hoch. Joline starrte ihn voller Abscheu an, die Hände, die die Röcke hielten, ballten sich zu Fäusten.

»Wollt Ihr fliehen?«, fragte die Wirtin ruhig.

Nach einem Augenblick hob Joline das Kinn. Setalle schloss den Kragen um den Hals der Aes Sedai mit dem gleichen scharfen Schnappen, den er beim Öffnen gemacht hatte. Mat hatte sich wegen der Größe geirrt; er saß ziemlich eng auf dem hohen Kragen ihres Gewands. Jolines Lippen zuckten, aber das war auch schon alles, und Mat konnte beinahe spüren, wie sich Blaeric und Fen hinter ihm anspannten. Er hielt den Atem an.

Seite an Seite machten die beiden Frauen einen kleinen Schritt und schoben sich an Mat vorbei. Er atmete auf. Joline runzelte unsicher die Stirn. Dann machte sie einen zweiten Schritt.

Mit einem Aufschrei fiel die Aes Sedai zu Boden und wand sich vor Schmerzen. Sie konnte keine Worte formen, nur ihr Stöhnen wurde lauter. Ihre Arme, Beine und sogar Finger zuckten und verdrehten sich auf seltsame Weise.

Setalle fiel auf die Knie, als Joline auf den Boden auftraf, ihre Hand flog zu dem Kragen, aber Blaeric und Fen waren noch schneller als sie, obwohl ihre Handlungen seltsam erschienen. Auf den Knien hob Blaeric die wimmernde Joline hoch und legte sie an seine Brust, während er ausgerechnet begann, ihren Nacken zu massieren. Fen bearbeitete ihre Arme. Der Kragen sprang auf und Setalle sackte auf die Fersen, aber Joline zuckte und wimmerte noch immer, und ihre Behüter bearbeiteten sie weiter, als versuchten sie, Muskelkrämpfe wegzumassieren. Sie warfen Mat kalte Blicke zu, als wäre das alles seine Schuld.

Mat nahm die beiden kaum wahr; seine schönen Pläne waren völlig ruiniert. Er wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte, wo er überhaupt anfangen sollte. In zwei Tagen war Tylin vermutlich wieder da, und er war davon überzeugt, vor ihrer Rückkehr weg sein zu müssen.

Er zwängte sich an Setalle vorbei und klopfte ihr auf die Schulter. »Sagt ihr, wir versuchen etwas anderes«, murmelte er. Aber was? Offensichtlich konnte nur eine Frau mit den Fähigkeiten einer Sul'dam mit einem A'dam umgehen.

Die Wirtin holte ihn in der Dunkelheit am Fuß der Treppe zur Küche ein, während er seinen Hut und Umhang nahm. Einen einfachen Wollumhang ohne jede Verzierung. Ein Mann brauchte keine Verzierungen. Er jedenfalls vermisste sie nicht. Und dieses ganze Spitzenzeug! Sogar mit Sicherheit nicht!

»Habt Ihr noch einen anderen Plan?«, fragte sie. In der Dunkelheit konnte er ihr Gesicht nicht sehen, aber das Silber des A'dam funkelte hell. Sie hielt das Armband an ihrem Handgelenk umklammert.

»Ich habe immer noch einen anderen Plan«, log er und öffnete das Armband für sie. »Wenigstens müsst Ihr nicht mehr Euren Hals riskieren. Sobald ich Euch Joline abgenommen habe, könnt Ihr Euch zu Eurem Mann begeben.«

Sie grunzte bloß. Vermutlich wusste sie, dass er keinen Plan hatte.

Er wollte den Schankraum voller Seanchaner meiden, also ging er durch die Küche auf den Stallhof und dann durch das Tor auf den Mol Hara. Er hegte nicht die Befürchtung, dass ihn jemand bemerkte oder sich fragte, warum er hier gewesen war. In seiner unauffälligen Kleidung schien man ihn bei seinem Eintritt für jemanden gehalten zu haben, der eine Besorgung für die Wirtin erledigt hatte. Aber es waren drei Sul'dam da gewesen, zwei davon mit Damane. Langsam wuchs in ihm die Befürchtung, Teslyn und Edesina nicht von ihren Kragen befreien zu können, und er wollte sich in diesem Augenblick einfach keine weitere Damane ansehen müssen. Blut und verdammte Asche, er hatte bloß versprochen, es zu versuchen!

Die schwache Sonne stand noch immer hoch am Himmel, aber der vom Meer kommende Wind wurde stärker; er war voller Salz und versprach kalten Regen. Von der Schwadron der Totenwache abgesehen, die über den Platz marschierte und statt aus Ogiern aus Menschen bestand, beeilte sich jeder auf dem Mol Hara, seine Erledigungen vor dem einsetzenden Regen zu beenden. Als Mat den Sockel von Königin Narienes hoher, barbusiger Statue erreichte, fiel eine Hand auf seine Schulter.

»Ich haben Euch zuerst gar nicht erkannt ohne Eure schicken Sachen, Mat Cauthon.«

Mat drehte sich um und fand sich dem breiten illianischen So'jhin gegenüber, den er an jenem Tag gesehen hatte, als Joline wieder in seinem Leben aufgetaucht war. Es war keine angenehme Assoziation. Der Bursche mit dem runden Gesicht sah seltsam aus mit seinem Bart und dem zur Hälfte rasierten Kopf und er trug ausgerechnet nur Hemdsärmel und zitterte.

»Ihr kennt mich?«, fragte Mat vorsichtig.

Der massige Kerl strahlte ihn mit einem breiten Grinsen an. »Glück stich mich, das ich tun. Ihr haben einst eine denkwürdige Reise auf meinem Schiff gemacht, mit Trollocs und Shadar Logoth am einen Ende und einem Myrddraal und dem brennenden Weißbrücke am anderen. Bayle Domon, Meister Cauthon. Erinnert Ihr Euch jetzt?«

»Ja, schon.« Das stimmte auch mehr oder weniger. Er konnte sich dieser Reise nur noch vage entsinnen, in seinem Gedächtnis klafften große Lücken, die nun von den Erinnerungen der anderen Männer gefüllt wurden. »Wir müssen uns mal bei einem Becher heißem gewürzten Wein zusammensetzen und über die alten Zeiten reden.« Was nie geschehen würde, wenn er Domon aus dem Weg gehen konnte. Was von dieser Reise noch in seinem Gedächtnis vorhanden war, war auf eine seltsame Weise unangenehm, so wie die Erinnerung an eine tödliche Krankheit. Natürlich war er in gewisser Weise krank gewesen. Eine weitere unerfreuliche Erinnerung.

»Keine Zeit sein besser als jetzt«, sagte Domon lachend, legte einen dicken Arm auf Mats Schultern und steuerte ihn zurück in Richtung Wanderin.

Außer einem Kampf schien es keine Möglichkeit zu geben, dem Mann zu entgehen, also ging Mat mit. Eine Prügelei war nicht die richtige Methode, um jeglicher Aufmerksamkeit zu entgehen. Davon abgesehen war er sich nicht sicher, ob er gewinnen würde. Domon sah fett aus, aber das Fett überzog harte Muskeln. Und ein Schluck zu trinken konnte auf keinen Fall schaden. Davon abgesehen, war Domon nicht Schmuggler gewesen? Möglicherweise kannte er ja Wege nach Ebou Dar und wieder hinaus, die anderen verborgen geblieben waren, und vielleicht enthüllte er sie, wenn man die richtigen Fragen stellte. Vor allem bei einem Schluck Wein. In Mats Manteltasche befand sich ein dicker Beutel voller Gold, und er hatte nichts dagegen, alles auszugeben, um den Mann so betrunken zu machen wie einen Geigenspieler am Sonntag. Betrunkene redeten gern.

Domon führte ihn durch den Schankraum, verbeugte sich links und rechts vor Angehörigen des Blutes und Offizieren, die ihn kaum zur Kenntnis nahmen, betrat aber nicht die Küche, in der Enid ihnen möglicherweise eine Bank in der Ecke gegeben hätte. Stattdessen führte er ihn die geländerlose Treppe hinauf. Und bis Mat in ein Zimmer im rückwärtigen Teil des Gasthauses geführt wurde, hatte er angenommen, Domon würde nur Mantel und Umhang holen. Ein ordentliches Kaminfeuer heizte den Raum, aber plötzlich war es ihm viel kälter, als es draußen gewesen war.

Domon schloss hinter ihnen die Tür und baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen davor auf. »Ihr sein in der Gegenwart vom Kapitän der Grünen Lady Egeanin Tamarath«, verkündete er und fügte dann in normalerem Tonfall hinzu: »Das sein Mat Cauthon.«

Mat sah von Domon zu der hochgewachsenen Frau, die steif auf einem Stuhl mit einer Sprossenlehne saß. Ihr Faltengewand war heute hellgelb und sie trug einen mit Blumen bestickten Hausmantel darüber, aber er erinnerte sich an sie. Ihr blasses Gesicht war hart und in ihren blauen Augen funkelte der gleiche raubtierhafte Ausdruck wie in Tylins. Nur vermutete er, dass Egeanin nicht hinter Küssen her war. Sie hatte schlanke Hände, aber sie wiesen die Schwielen einer Schwertkämpferin auf. Er bekam keine Gelegenheit, sie zu fragen, was das sollte, und es war auch nicht nötig.

»Mein Sojhin hat mir berichtet, dass Euch Gefahren nicht unvertraut sind, Meister Cauthon«, sagte sie, sobald Domon verstummt war. Ihr breiter seanchanischer Akzent klang noch immer gebieterisch und befehlend, andererseits gehörte sie dem Blut an. »Ich brauche solche Männer, um ein Schiff zu bemannen, und ich bezahle gut, in Gold, nicht in Silber. Wenn Ihr andere wie Euch kennt, werde ich sie in meine Dienste nehmen. Sie müssen aber verschwiegen sein. Meine Absichten sind meine Sache. Bayle erwähnte zwei andere Namen. Thom Merrilin und Juilin Sandar. Falls sich einer von ihnen in Ebou Dar aufhalten sollte, könnte ich ihre Fertigkeiten ebenfalls gebrauchen. Sie kennen mich und sie wissen, dass sie mir ihr Leben anvertrauen können. So wie Ihr auch, Meister Cauthon.«

Mat ließ sich auf den zweiten Stuhl des Zimmers nieder und warf den Umhang zurück. Selbst bei einem der niederen Ränge des Blutes — ihr dunkler Haarschopf und die grün lackierten Nägel der kleinen Finger verkündeten ihre Stellung — hätte er sich nicht setzen dürfen, aber er musste nachdenken. »Ihr verfügt über ein Schiff?«, fragte er hauptsächlich, um Zeit zu gewinnen. Sie öffnete wütend den Mund. An das Blut gerichtete Fragen hatten taktvoll gestellt zu werden.

Domon grunzte und schüttelte den Kopf, und einen Augenblick lang sah sie sogar noch wütender aus, aber dann glättete sich ihr strenges Gesicht. Andererseits bohrten sich ihre Blicke in Mat und sie stand auf und baute sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihm auf. »Ich werde ein Schiff frühestens gegen Ende des Frühlings haben, sobald mein Gold aus Cantorin gebracht werden kann«, sagte sie in einem eisigen Tonfall.

Mat seufzte. Nun, es wäre sowieso unmöglich gewesen, Aes Sedai auf einem seanchanischen Schiff hier herauszubringen. »Woher kennt Ihr Thom und Juilin?« Domon konnte ihr von Thom erzählt haben, das schon, aber woher, beim Licht, kannte sie Juilin?

»Ihr stellt zu viele Fragen«, sagte sie entschieden und wandte sich von ihm ab. »Ich fürchte, ich kann Euch doch nicht gebrauchen. Bayle, bring ihn raus.« Letzteres war ein hochmütiger Befehl.

Domon bewegte sich nicht von der Tür weg. »Sagt es ihm«, drängte er sie. »Früher oder später er müssen alles erfahren oder er bringen Euch in größere Gefahr, als Ihr jetzt seid. Sagt es ihm.« Selbst für einen So'jhin schien er sich eine Menge herausnehmen zu können. Die Seanchaner waren berüchtigt dafür, sicherzustellen, dass ihr Besitz seine Stellung nicht vergaß. Und alle anderen auch nicht, was das betraf. Egeanin konnte nicht mal ein Viertel so hart sein, wie sie erschien.

Und im Augenblick erschien sie sehr hart, wie sie ihre Röcke aus dem Weg trat, auf und ab marschierte und Domon und dann Mat finstere Blicke zuwarf. Schließlich blieb sie stehen. »Ich habe ihnen in Tanchico einen kleinen Gefallen getan.« Sie schwieg einen Augenblick lang und fügte dann hinzu: »Und den beiden Frauen, die in ihrer Begleitung waren, Elayne Trakand und Nynaeve al'Meara.« Ihr Blick richtete sich auf ihn, sie musterte ihn gespannt, um zu sehen, ob er die Namen kannte.

Mat fühlte, wie sich in seiner Brust etwas spannte. Es war kein Schmerz, sondern eher so, als würde er zusehen, wie das Pferd, auf das er gewettet hatte, auf die Ziellinie zustürmte, die Verfolger aber so dichtauf, dass das Ergebnis noch immer infrage stand. Was, beim Licht, hatten Nynaeve und Elayne in Tanchico zu tun gehabt, wobei sie die Hilfe einer Seanchanerin benötigt und auch bekommen hatten? Thom und Juilin hatten sich nie näher über die Einzelheiten ausgelassen. Aber darum ging es hier nicht. Egeanin brauchte Männer, die ihre Geheimnisse bewahren konnten und die die Gefahr nicht fürchteten. Sie war selbst in Gefahr. Für eine Angehörige des Blutes gab es kaum Gefahren, mal abgesehen von anderen Adligen und ... »Die Sucher sind hinter Euch her«, sagte er.

Die Art und Weise, wie ihr Kopf hochruckte, war Bestätigung genug, und ihre Hand tastete zur Seite, als würde sie nach dem Schwert greifen. Domon trat von einem Fuß auf den anderen und spreizte die großen Finger, die Augen auf Mat gerichtet. Augen, die plötzlich härter blickten als Egeanins. Der stämmige Mann sah nicht länger witzig aus; er sah gefährlich aus. Plötzlich kam Mat der Gedanke, dass er dieses Zimmer möglicherweise nicht mehr lebend verlassen würde.

»Wenn Ihr den Suchern entkommen wollt, kann ich Euch helfen«, sagte er schnell. »Ihr müsst den Einflussbereich der Seanchaner verlassen. Überall, wo sie sind, können die Sucher Euch finden. Und es ist am besten, so schnell wie möglich aufzubrechen. Gold könnt Ihr Euch immer noch beschaffen. Wenn Euch die Sucher nicht vorher erwischen. Thom hat mir berichtet, dass sie wegen etwas in hektische Aktivitäten verfallen sind. Sie werfen die Eisen ins Feuer und machen die Streckbank fertig.«

Eine Zeit lang stand Egeanin reglos da, starrte ihn an. Schließlich wechselte sie einen langen Blick mit Domon. »Vielleicht wäre es gut, so schnell wie möglich abzureisen«, wisperte sie. Aber ihr Tonfall gewann sofort wieder an Kraft. Falls ihrer Miene einen Moment lang Sorge abzulesen gewesen war, verschwand sie. »Die Sucher werden mich bestimmt nicht daran hindern, die Stadt zu verlassen, aber sie glauben, sie können mir zu etwas folgen, das sie mehr als mich wollen. Sie werden mir folgen, und bis ich die Länder verlasse, die von den Rhyagelle gehalten werden, können sie den Soldaten befehlen, mich festzunehmen, was sie auch in dem Augenblick tun werden, in dem sie zu dem Schluss kommen, dass ich mich in noch nicht unterworfene Länder begebe. Das ist dann der Moment, in dem ich die Hilfe Eures Freundes Thom Merrilin brauchen werde, Meister Cauthon. Zwischen hier und dort muss ich aus der Sicht der Sucher verschwinden. Ich mag das Gold aus Cantorin nicht haben, aber ich habe genug, um Euch Eure Hilfe angemessen zu entlohnen. Da könnt Ihr beruhigt sein.«

»Nennt mich Mat«, sagte er und schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Selbst harte Frauen wurden bei seinem schönsten Lächeln weicher. Nun, sie wurde nicht weicher, zumindest nicht sichtbar — wenn überhaupt runzelte sie leicht die Stirn —, aber eine Sache über Frauen wusste er: er kannte den Effekt, den sein Lächeln hatte. »Ich weiß, wie ich Euch auf der Stelle verschwinden lassen kann. Es macht keinen Sinn zu warten. Die Sucher könnten sich entschließen, Euch morgen zu verhaften.« Das traf tief. Sie zuckte nicht zusammen. Vermutlich gab es nur sehr wenig, das sie zusammenzucken ließ. Aber beinahe hätte sie genickt. »Da ist nur noch eine Sache, Egeanin.« Das hier konnte ihm noch immer ins Gesicht explodieren wie eines von Aludras Feuerwerken, aber er zögerte nicht. Manchmal musste man die Würfel einfach werfen. »Ich brauche kein Gold, aber ich brauche drei Sul'dam, die den Mund halten können. Glaubt Ihr, Ihr könntet welche besorgen?«

Nach einem Augenblick, der Stunden zu dauern schien, nickte sie, und Mat lächelte innerlich. Sein Pferd war zuerst über die Zielgerade gegangen.

»Domon«, sagte Thom mit ausdrucksloser Stimme um den Pfeifenstiel, den er zwischen die Zähne geklemmt hatte. Er lag mit einem doppelt gefalteten Kissen unter dem Kopf da und schien den blauen Dunst zu studieren, der in der Luft des fensterlosen Raums schwebte. Die einzige Lampe verbreitete nur ein klägliches Licht. »Und Egeanin.«

»Und sie gehört jetzt dem Blut an.« Juilin saß auf der Bettkante und schaute in den verbrannten Kopf seiner Pfeife. »Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll.«

»Heißt das, wir können ihnen nicht vertrauen?«, wollte Mat wissen und legte ohne nachzudenken den Daumen auf seinen Tabak. Mit einem leisen Fluch riss er ihn zurück und schob ihn sich in den Mund, um an der kleinen Verbrennung zu saugen. Wieder einmal war ihm die Wahl zwischen Hocker und stehen geblieben, aber dieses eine Mal hatte er nichts gegen den Hocker einzuwenden gehabt. Die Unterhaltung mit Egeanin hatte nicht viel Zeit des Nachmittags in Anspruch genommen, aber Thom war erst nach Einbruch der Dunkelheit in den Palast zurückgekehrt, während Juilin noch später wieder aufgetaucht war. Keiner von ihnen schien so erfreut über Mats Neuigkeiten zu sein, wie er erwartet hatte. Thom hatte bloß geseufzt, dass er endlich einen guten Blick auf eines der richtigen Siegel hatte werfen können, aber Juilin hatte nur das Gesicht verzogen, wann immer er in Richtung des Bündels schaute, das er in die Ecke des Zimmers geworfen hatte. Es gab nun wirklich keinen Grund für den Mann, sich so zu benehmen, bloß weil sie die Sul'dam-Gewänder nicht länger brauchten. »Ich sage euch, die haben eine entsetzliche Angst vor den Suchern«, fuhr Mat fort, als sein Daumen abgekühlt war. Nun gut, vielleicht nicht gerade entsetzliche Angst, aber sie fürchteten sich. »Egeanin mag zum Blut gehören, aber sie hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als sie hörte, wozu ich die Sul'dam brauche. Sie sagte lediglich, sie würde drei kennen, die tun würden, was wir wollen, und dass sie ihr morgen zur Verfügung stünden.«

»Egeanin, eine ehrenhafte Frau«, sagte Thom nachdenklich. Er legte immer wieder eine Pause ein, um einen Rauchring zu blasen. »Seltsam, das schon, aber schließlich ist sie Seanchanerin. Ich glaube, sogar Nynaeve mochte sie am Ende, und Elayne auf jeden Fall. Und sie mochte die beiden. Obwohl es Aes Sedai waren, wie sie glaubte. Sie war in Tanchico ausgesprochen nützlich. Mehr als nur kompetent. Ich würde zu gerne wissen, wieso sie zum Blut aufgestiegen ist, aber ich denke, wir können Egeanin vertrauen. Und Domon. Ein bemerkenswerter Mann, dieser Domon.«

»Ein Schmuggler«, murmelte Juilin verächtlich. »Und jetzt gehört er ihr. So'jhin sind mehr als nur Besitz, wisst ihr. Es gibt So'jhin, die dem Blut sagen, was sie zu tun haben.« Thom hob eine buschige Braue und sah ihn an. Einfach so, aber nach einem Augenblick zuckte der Diebefänger mit den Schultern. »Für einen Schmuggler.«

Mat schnaubte. Vielleicht waren sie eifersüchtig. Nun, er war ta'veren, und damit mussten sie leben. »Dann brechen wir morgen Nacht auf. Die einzige Änderung des Plans besteht darin, dass wir drei echte Sul'dam und eine Angehörige des Blutes haben, um uns durch das Tor zu bringen.«

»Und diese Sul'dam werden drei Aes Sedai aus der Stadt bringen, sie gehen lassen und nicht einmal daran denken, Alarm zu schlagen«, murmelte Juilin. »Als al'Thor in Tear war, habe ich mal gesehen, wie eine geworfene Münze fünfmal auf ihrem Rand landete. Schließlich gingen wir und ließen sie so auf dem Tisch stehen. Ich schätze, alles kann passieren.«

»Entweder du vertraust ihnen oder nicht, Juilin«, knurrte Mat. Der Diebefänger sah zu dem Bündel in der Ecke und Mat schüttelte den Kopf. »Wie haben sie euch in Tanchico geholfen, Thom? Blut and Asche, jetzt seht mich nicht wieder so ausweichend an! Ihr wisst es und sie wissen es, also kann ich es genauso gut auch wissen.«

»Nynaeve hat gesagt, wir sollen es niemandem verraten«, sagte Juilin, als würde das ernsthaft eine Rolle spielen. »Elayne auch. Wir haben es versprochen. Man könnte sagen, wir haben einen Eid geschworen.«

Thom schüttelte den Kopf auf dem Kissen. »Umstände verändern manche Dinge, Juilin. Außerdem war es kein Eid.« Er blies drei perfekte Rauchringe, einen in dem anderen. »Sie halfen uns, eine Art männliches A'dam zu besorgen und loszuwerden. Anscheinend wollte die Schwarze Ajah es bei Rand benutzen. Du kannst verstehen, warum Nynaeve und Elayne nicht wollten, dass das bekannt wird. Falls es sich herumspricht, dass so ein Ding jemals existierte, das Licht allein weiß, welche Geschichten in die Welt gesetzt würden.«

»Wen kümmert es schon, was für Geschichten die Leute erzählen?« Ein A'dam für einen Mann? Licht, wenn die Schwarze Ajah so etwas Rand um den Hals gelegt hätte oder die Seanchaner... Die Farben wirbelten wieder durch seinen Kopf und er zwang sich dazu, nicht weiter an Rand zu denken. »Klatsch wird niemandem... schaden.« Diesmal gab es keine Farben. Er konnte es vermeiden, solange er nicht an... Die Farben wirbelten umher und er biss auf das Mundstück.

»Das stimmt nicht, Mat. Geschichten haben Macht. Die Geschichten der fahrenden Sänger und die Epen der Barden und auch die Gerüchte auf den Straßen. Sie erwecken Leidenschaften und verändern die Weise, wie Menschen die Welt sehen. Ich habe heute gehört, wie ein Mann sagte, Rand hätte Elaida die Treue geschworen, er sei in der Weißen Burg. Der Kerl glaubte es, Mat. Was ist, sagen wir, wenn genug Tairener daran glauben? Tairener mögen Aes Sedai nicht. Stimmt's, Juilin?«

»Einige schon«, meinte Juilin. Dann fügte er hinzu, als hätte Thom es aus ihm herausgepresst: »Die meisten. Aber nur wenige von uns haben Aes Sedai kennen gelernt. Da das Gesetz das Lenken der Macht verbot, kamen nur wenige Aes Sedai nach Tear, und sie haben nur selten ihre Identität enthüllt.«

»Das ist nicht das Thema, mein prächtiger Aes Sedailiebender tairenischer Freund. Und es verleiht meinem Argument auf jeden Fall Gewicht. Tear hält zu Rand, zumindest die Adligen, weil sie Angst haben, dass er zurückkommen wird, wenn sie es nicht tun. Aber wenn sie glauben, dass er in den Händen der Burg ist, dann kann er vielleicht nicht mehr zurückkommen. Wenn sie glauben, er sei ein Werkzeug der Burg, ist das für sie nur ein weiterer Grund, sich gegen ihn zu wenden. Lass genug Tairener diese beiden Dinge glauben, und er hätte Tear genauso gut verlassen können, nachdem er Callandor gezogen hat. Das ist nur ein Gerücht, und nur Tear, aber es könnte genauso viel Schaden in Cairhien oder Illian oder sonst wo anrichten. Ich weiß nicht, was für Geschichten ein für einen Mann bestimmtes A'dam in die Welt setzen würde, in einer Welt mit dem Wiedergeborenen Drachen und Asha'man, aber ich bin zu alt, um es herausfinden zu wollen.«

Mat verstand, zumindest in gewisser Weise. Man versuchte immer, den gegnerischen Befehlshaber glauben zu machen, dass man etwas anderes tat als das, was man tatsächlich tat, dass man dort hinging, wo man gar nicht hinwollte. Und der Feind versuchte das Gleiche, wenn er sein Handwerk einigermaßen verstand. Manchmal gerieten beide Seiten so in Verwirrung, dass seltsame Dinge geschahen. Manchmal sogar Tragödien. Städte brannten, obwohl niemand ein Interesse daran hatte, nur weil die Brandstifter die Lüge glaubten, und Tausende starben. Aus dem gleichen Grund wurden Ernten zerstört, und Zehntausende starben in der Hungersnot, die daraufhin folgte.

»Also werde ich nichts über dieses A'dam für Männer sagen«, sagte er. »Ich gehe davon aus, jemand hat daran gedacht, es ihm zu sagen...?« Farben blitzten auf. Vielleicht konnte er sie einfach ignorieren oder sich daran gewöhnen. Sie waren so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren, und sie bereiteten keine Schmerzen. Er konnte nur Dinge nicht leiden, die er nicht begriff. Vor allem, wenn sie möglicherweise etwas mit der Macht zu tun hatten. Der silberne Fuchskopf unter seinem Hemd mochte ihn gegen die Macht beschützen, aber dieser Schutz hatte so viele Lücken wie seine eigenen Erinnerungen.

»Wir haben nicht gerade ständigen Kontakt«, sagte Thom trocken und zwinkerte. »Ich schätze, Elayne und Nynaeve haben eine Möglichkeit gefunden, es ihn wissen zu lassen, falls sie es für wichtig hielten.«

»Warum sollten sie?«, sagte Juilin und bückte sich, um einen Stiefel auszuziehen. »Das Ding liegt auf dem Meeresgrund.« Mit einem Stirnrunzeln warf er den Stiefel auf die zusammengeknüllten Kleider in der Ecke. »Gönnst du uns heute Nacht etwas Schlaf, Mat? Ich glaube kaum, dass wir morgen dazu kommen werden, und ich möchte wenigstens jede zweite Nacht schlafen.«

In dieser Nacht entschied sich Mat, in Tylins Bett zu schlafen. Nicht um der alten Zeiten willen. Der Gedanke ließ ihn lachen, obwohl das Gelächter zu sehr nach einem Wimmern klang, um witzig zu sein. Es war einfach so, dass eine gute Federmatratze und mit Gänsefedern gefüllte Kopfkissen einer Scheune vorzuziehen waren, wenn man nicht wusste, wann man das nächste Mal ungestörten Schlaf finden würde.

Das Problem lag nur darin, dass er nicht schlafen konnte. Er lag dort im Dunkeln mit einem Arm hinter den Kopf gelegt und die Lederschnur des Medaillons ums Handgelenk geschlungen, damit es bereit war für den Fall, dass der Gholam unter dem Türspalt hindurchschlüpfte, aber es war nicht das Ungeheuer, das ihn wach hielt. Er konnte nicht aufhören, den Plan zu durchdenken. Es war ein guter Plan, ein einfacher Plan; so einfach, wie es unter diesen Umständen möglich war. Doch keine Schlacht war jemals nach Plan gegangen, nicht einmal die besten. Große Hauptmänner hatten ihren Ruf nicht nur für ihre brillanten Pläne erworben, sondern weil sie den Sieg auch dann errungen hatten, nachdem diese Pläne durchkreuzt worden waren. Als das erste Licht die Fenster berührte, lag er noch immer da, rollte das Medaillon über die Fingerrücken und versuchte darauf zu kommen, was wohl schief gehen würde.

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