32 Eine Prise Weisheit

Das Goldene Rad war ein großes Gasthaus, direkt neben dem Avharin-Markt, mit einem langen Schankraum mit Holzbohlendecke, in dem zu viele rechteckige Tische standen. Selbst mittags war kaum mehr als einer von fünf Tischen besetzt; gewöhnlich waren es ausländische Händler, die Frauen mit gedeckten Farben und Haarknoten oben auf dem Kopf oder im Nacken gegenübersaßen. Die Frauen waren ebenfalls Kauffrauen oder Bankiersfrauen; in Far Madding war das Bankenwesen und der Handel Männern verboten. Alle Ausländer im Schankraum waren Männer, da die Frauen unter ihnen den Frauenraum benutzten. Der Duft gedünsteten Fischs und gebratenem Lamms erfüllte die Luft, und gelegentlich befahl ein Ruf von einem der Tische einen der Diener heran, die im hinteren Teil des Raums in einer langen Reihe warteten. Ansonsten dämpften die Händler und Bankiersfrauen ihre Stimmen. Der draußen fallende Regen war lauter.

»Seid Ihr sicher?«, fragte Rand und nahm die zerknitterte Zeichnung von dem Diener zurück, den er auf die Seite gezogen hatte.

»Ich glaube, er ist es«, sagte der Bursche unsicher und wischte sich die Hände an der langen, mit einem aufgestickten gelben Wagenrad versehenen Schürze ab. »Es sieht ihm ähnlich. Er müsste bald zurück sein.« Sein Blick schoss an Rand vorbei und er seufzte. »Ihr solltet lieber etwas zu trinken bestellen oder gehen. Frau Gallger mag es nicht, wenn wir reden statt zu arbeiten. Und es würde ihr gar nicht gefallen, wenn ich über ihre Gönner rede.«

Rand sah über die Schulter. Eine schlanke Frau, die einen großen Elfenbeinkamm in den Haarknoten an ihrem Hinterkopf gesteckt hatte, stand in dem gelb gestrichenen Torbogen, der zum Frauenraum führte. So wie sie den Blick durch den Schankraum schweifen ließ, konnte sie nur die Wirtin sein — einerseits war sie wie eine Königin, die ihr Reich betrachtete, andererseits eine Bäuerin, die ihre Felder begutachtete. Und keine von beiden war von dem dürftigen Geschäft begeistert. Als ihr Blick auf Rand und den Diener fiel, runzelte sie die Stirn.

»Gewürzten Wein«, sagte Rand und gab dem Mann ein paar Münzen, Kupfer für den Wein und eine Silbermark für seine Informationen, so unsicher sie auch waren. Seit er Rochaid getötet hatte und Kisman entkommen war, war mehr als eine Woche vergangen, und nach all diesen Tagen war es das erste Mal, dass er beim Vorzeigen der Zeichnungen mehr als ein Schulterzucken oder ein Kopfschütteln erhalten hatte.

Es standen ein Dutzend leerer Tische zur Auswahl, aber er wollte im vorderen Teil des Raums in der Ecke sitzen, wo er jeden Eintretenden sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden, und als er sich seinen Weg zwischen den Tischen suchte, bekam er Bruchfetzen diverser Unterhaltungen mit.

Eine hochgewachsene blasse Frau in dunkelgrüner Seide antwortete einem Mann in einem engsitzenden, schwarzen tairenischen Mantel mit einem Kopfschütteln. Der eisengraue Haarknoten ließ sie von der Seite etwas wie Cadsuane aussehen. Der Mann verzog keine Miene, aber sein dunkles, kantiges Gesicht schien besorgt. »Ihr braucht Euch über Andor keine Sorgen mehr zu machen, Meister Admira«, sagte sie beruhigend. »Glaubt mir, die Andoraner werden herumbrüllen und sich gegenseitig mit den Schwertern drohen, aber sie werden es niemals zum Kampf kommen lassen. Es liegt in Eurem Interesse, für Eure Waren die derzeitige Route zu behalten. Cairhien würde Euch ein Fünftel mehr Steuern berechnen als Far Madding. Denkt nur an die zusätzlichen Kosten.« Der Tairener furchte die Stirn, als würde er daran denken. Oder sich fragen, ob seine Interessen wirklich mit den ihren übereinstimmten.

»Ich habe gehört, die Leiche wäre schwarz angelaufen und aufgebläht gewesen«, sagte an einem anderen Tisch ein schlanker, weißbärtiger Illianer in einem dunkelblauen Mantel. »Ich habe gehört, dass der Rat befohlen hat, sie zu verbrennen.« Er hob bedeutungsvoll die Brauen und tippte sich an die spitze Nase, die ihm das Aussehen eines Wiesels verlieh.

»Falls es in der Stadt eine Seuche geben sollte, Meister Azereos, hätte der Rat es bekannt gegeben«, sagte die zierliche Frau, die ihm gegenübersaß. Mit den beiden reich verzierten Elfenbeinkämmen in ihrem aufgerollten Haar sah sie auf ein fuchshafte Weise hübsch aus; dabei wirkte sie so kühl wie eine Aes Sedai, allerdings hatte sie in den Winkeln ihrer braunen Augen kleine Fältchen. »Ich rate Euch wirklich davon ab, auch nur Teile Eures Handels nach Lugard zu verlagern. In Murandy herrscht große Unruhe. Die Adligen werden niemals zulassen, dass Roedran ein Heer aufstellt. Und wie Ihr sicherlich gehört habt, sind Aes Sedai darin verstrickt. Das Licht allein weiß, was sie tun werden.« Der Illianer zuckte unbehaglich mit den Schultern. Heutzutage war sich niemand sicher, was Aes Sedai tun würden, falls das jemals der Fall gewesen sein sollte.

Ein Kandori mit grauen Strähnen in seinem Gabelbart und einer großen Perle in seinem linken Ohr beugte sich zu einer dicken, in dunkelgraue Seide gekleideten Frau herüber, die ihr schwarzes Haar in einer festen Rolle auf dem Kopf trug. »Ich habe gehört, dass der Wiedergeborene Drache zum König von Illian gekrönt wurde, Frau Shimel.« Er runzelte die Stirn. »Wegen der Proklamation der Weißen Burg überlege ich mir, meine Frühlingswagen entlang Erinin nach Tear zu schicken. Die Flussstraße mag ja eine schwierigere Route sein, aber Illian ist kein so bedeutender Markt für Felle, dass ich so große Risiken eingehen möchte.«

Die dicke Frau lächelte; für ein so rundes Gesicht war es ein sehr schmales Lächeln. »Mir wurde gesagt, dass man den Mann kaum in Illian gesehen hat, seit er die Krone entgegennahm, Meister Posavina. Aber wie dem auch sei, die Burg wird sich um ihn kümmern, wenn sie es nicht schon längst getan hat, und heute Morgen habe ich erfahren, dass der Stein von Tear belagert wird. Das ist kaum eine Situation, in der ihr einen vernünftigen Markt für Felle vorfinden werdet, oder? Nein, Tear ist nicht der Ort, an dem man Risiken aus dem Weg gehen kann.« Die Falten auf Meister Posavinas Stirn wurden noch tiefer.

Rand erreichte einen kleinen Tisch in der Ecke, warf den Umhang über eine Stuhllehne, setzte sich mit dem Rücken zur Wand und schlug den Kragen hoch. Der Diener brachte einen dampfenden Zinnbecher mit gewürztem Wein, murmelte einen hastigen Dank für das Silber und eilte los, als an einem anderen Tisch ein Ruf ertönte. Zwei große Kamine an beiden Seiten des Raums nahmen der Luft ihre Kühle, aber falls jemand bemerkte, dass Rand die Handschuhe nicht auszog, so gab es derjenige nicht zu erkennen. Er gab vor, in den Weinbecher zwischen seinen Händen zu starren, während er den Eingang im Auge behielt.

Das meiste Gerede interessierte ihn nicht. Es war kaum neu, und manchmal wusste er mehr als die Leute, die er belauscht hatte. Zum Beispiel teile Elayne die Meinung der blassen Frau und sie musste Andor besser kennen als jede Kauffrau aus Far Madding. Dass der Stein belagert wurde, war jedoch neu. Doch darüber musste er sich noch keine Sorgen machen. Der Stein war niemals erobert worden, mit Ausnahme von ihm, und er wusste, dass sich Alanna irgendwo in Tear befand. Er hatte gefühlt, wie sie nördlich von Far Madding an einen Ort noch weiter im Norden gesprungen war, und dann einen Tag später irgendwo nach Süden und Osten. Sie war weit genug entfernt, dass er nicht sagen konnte, ob sie in Haddon Mirk oder in der Stadt Tear war, aber er war zuversichtlich, dass sie an einem der Orte war, und zwar in Gesellschaft von vier Schwestern, denen er vertrauen konnte. Falls Merana und Rafela vom Meervolk bekommen konnten, was er wollte, dann würden sie es auch bei den Tairenern schaffen. Rafela war Tairenerin und das sollte helfen. Nein, die Welt würde auch noch eine Weile länger ohne ihn auskommen. Sie musste es.

Ein großer Mann in einem langen feuchten Umhang, dessen Gesicht von der Kapuze verborgen wurde, trat von der Straße ein, und Rands Blicke folgten ihm zu der Treppe im hinteren Teils des Raums. Auf der ersten Stufe schlug der Bursche die Kapuze zurück und enthüllte graues Haar und ein blasses, verkniffenes Gesicht. Er konnte nicht derjenige sein, den der Diener gemeint hatte. Niemand, der Augen im Kopf hatte, würde ihn mit Perval Torval verwechsern.

Rand lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Oberfläche des Weins und seine Gedanken verdüsterten sich. Min und Nynaeve hatten sich geweigert, auch nur noch eine Stunde damit zu verbringen, die Straßen abzulaufen, wie Min es ausgedrückt hatte, und er vermutete, dass Alivia die Zeichnungen nur noch ohne jeden Nachdruck herumzeigte. Falls sie es überhaupt tat. Alle drei hatten die Stadt heute verlassen und befanden sich auf den Hügeln, wenn er das richtig interpretierte, was ihm der Bund von Min übermittelte. Sie war wegen etwas sehr aufgeregt. Die drei Frauen glaubten, Kisman hätte nach dem gescheiterten Attentat die Flucht ergriffen, und die anderen Renegaten hätten ihn entweder begleitet oder wären gar nicht erst gekommen. Sie alle versuchten nun schon seit Tagen, ihn dazu zu überreden, die Stadt zu verlassen. Wenigstens hatte Lan nicht aufgegeben.

Warum können die Frauen nicht Recht haben?, wisperte Lews Therm wild in seinem Kopf. Diese Stadt ist schlimmer als jedes Gefängnis. Hier gibt es keine Quelle! Warum sollten sie bleiben? Warum sollte überhaupt ein geistig gesunder Mann hier bleiben? Wir könnten ausreiten, hinter die Barriere, nur für einen Tag, ein paar Stunden. Licht, bloß für ein paar Stunden! Die Stimme lachte unkontrolliert, wild. O Licht, warum habe ich bloß einen Verrückten in meinem Kopf? Warum? Warum?

Wütend zwang Rand Lews Therin zurück, bis er nur noch ein gedämpftes Summen darstellte. Obwohl nur Min einen gewissen Enthusiasmus gezeigt hatte, hatte er darüber nachgedacht, die Frauen auf ihrem Ritt zu begleiten. Nynaeve und Alivia hatten den Grund für ihren Ausritt nicht preisgeben wollen, obwohl der Morgenhimmel den Regen verheißen hatte, der jetzt draußen niederging. Es war nicht das erste Mal, dass sie gegangen waren. Um die Quelle zu fühlen, wie er vermutete. Um von der Einen Macht zu trinken, und wenn auch nur für kurze Zeit. Nun, er konnte es ertragen, die Macht nicht lenken zu können. Er ertrug die Abwesenheit der Quelle. Er konnte das! Er musste es, damit er die Männer töten konnte, die versucht hatten, ihn umzubringen.

Das ist nicht der Grund! brüllte Lews Therin und überwand Rands Versuche, ihn zum Verstummen zu bringen. Du hast Angst! Wenn die Krankheit dich übermannt, während du versuchst, das Zugangs-Ter'angreal zu benutzen, könnte es dich töten oder Schlimmeres! Es könnte uns alle töten!, stöhnte er.

Wein spritzte über Rands Handgelenk und tränkte seinen Ärmel. Vorsichtig löste er den Griff um den Becher. Der war von Anfang an nicht ganz rund gewesen, und er glaubte nicht, dass er ihn so verbogen hatte, dass es auffallen würde. Er hatte keine Angst! Er weigerte sich, sich von der Angst berühren zu lassen. Licht, am Ende würde er sterben müssen. Das hatte er akzeptiert.

Sie haben versucht, mich umzubringen, und dafür will ich sie tot sehen, dachte er. Wenn das etwas dauert, nun, vielleicht wird die Krankheit bis dahin vorbei sein. Soll man dich doch zu Asche verbrennen, ich muss bis zur Letzten Schlacht überleben. In seinem Kopf lachte Lews Therin noch unkontrollierter als zuvor.

Ein weiterer großer Mann schwankte herein, und zwar durch die Tür zum Stallhof, die sich am Fuß der Treppe im hinteren Teil des Raumes befand. Er schüttelte Regentropfen von seinem Umhang, warf die Kapuze zurück und ging auf den Durchgang zum Frauenraum zu. Mit dem höhnisch verzerrten Mund, der scharf geschnittenen Nase und dem verächtlichen Blick, mit dem er die Leute an den Tischen betrachtete, ähnelte er Torval, aber sein Gesicht verriet, dass er zwanzig Jahre älter war, und er schleppte dreißig Pfund mehr Fett herum. Er schaute durch den gelben Torbogen und rief mit einer hohen, pedantischen Stimme, die einen starken illianischen Akzent aufwies. »Frau Gallger, ich reise am Morgen ab. In aller Frühe, also erwarte ich nicht, dass mir der morgige Tag berechnet wird!« Torval war Taraboner.

Rand nahm seinen Umhang, ließ den Becher auf dem Tisch stehen und schaute nicht zurück.

Der mittägliche Himmel war grau und kalt, und falls der Regen nachgelassen hatte, war nicht viel davon zu bemerken, und da die böigen Seewinde ihn vor sich hertrieben, reichte er aus, um fast jeden von der Straße zu vertreiben. Rand hielt den Umhang mit einer Hand fest, sowohl um die Zeichnungen in seiner Tasche zu schützen als auch den Rest von ihm trocken zu halten, und mit der anderen hielt er die Kapuze vor den Windstößen fest. Die vom Wind vorwärts gepeitschten Regentropfen trafen sein Gesicht wie Eisperlen. Eine einsame Sänfte passierte ihn, das Haar der Träger hing ihnen nass auf den Rücken und ihre Stiefel traten in tiefe Pfützen auf dem Pflaster. Ein paar Leute schleppten sich in ihre Umhänge gehüllt die Straße entlang. Es waren noch einige Stunden Tageslicht übrig, aber er ging an den Gasthäusern Drei Herzen der Ebene und Drei Damen aus Maredo vorbei, ohne einzutreten. Er redete sich ein, dass es am Regen lag. Das war nicht das richtige Wetter, um ein Gasthaus nach dem anderen abzusuchen. Aber er wusste, dass es eine Lüge war.

Eine kleine pummelige Frau in einem dunklen Umhang kam die Straße entlang und hielt plötzlich auf ihn zu. Als sie vor ihm stehen blieb und den Kopf hob, sah er, dass es Verin war.

»Hier steckt Ihr also«, sagte sie. Regentropfen fielen in ihr erhobenes Gesicht, aber sie schien es nicht zu bemerken. »Eure Wirtin meinte, Ihr wolltet zum Avharin hinaufgehen, sie war sich jedoch nicht sicher. Ich fürchte, Frau Keene schenkt dem Kommen und Gehen ihrer männlichen Gäste keine große Aufmerksamkeit. Und hier stehe ich jetzt mit völlig durchnässten Schuhen und Strümpfen. Als Mädchen bin ich ja gern im Regen spazieren gegangen, aber im Laufe der Zeit hat es irgendwie seinen Reiz verloren.«

»Hat Cadsuane Euch geschickt?«, fragte er und bemühte sich, nicht hoffongsvoll zu klingen. Nach Alannas Abreise hatte er sein Zimmer im Haupt der Ratsherrin behalten, damit Cadsuane ihn finden konnte. Er würde wohl kaum ihr Interesse wecken, wenn sie die Gasthäuser nach ihm durchsuchen musste. Vor allem, da sie keinerlei Anzeichen gezeigt hatte, dass sie ihn suchen würde.

»O nein, das würde sie niemals tun.« Die Vorstellung schien Verin zu überraschen. »Ich glaubte nur, Ihr würdet vielleicht gern die Neuigkeit erfahren. Cadsuane macht mit den Mädchen einen Ausritt.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn und legte den Kopf schief. »Obwohl ich Alivia wohl nicht als Mädchen bezeichnen sollte. Eine bemerkenswerte Frau. Bedauerlicherweise viel zu alt, um Novizin zu werden; o ja, wirklich sehr bedauernswert. Sie saugt förmlich alles in sich auf, was man ihr beibringt. Ich glaube, sie kennt fast jede Möglichkeit, wie man etwas mit der Macht zerstören kann, aber da hört ihr Wissen auch schon auf.«

Er zog sie zur Straßenseite, wo die überhängende Dachkante eines einstöckigen Gebäudes etwas vor dem Regen schützte, wenn auch nicht unbedingt vor dem Wind. Cadsuane war mit Min und den anderen unterwegs? Das musste nichts zu bedeuten haben. Er hatte schon früher erlebt, dass Aes Sedai von Nynaeve fasziniert waren, und Min zufolge interessierten sie sich noch mehr für Alivia. »Welche Neuigkeit, Verin?«, fragte er leise.

Die rundliche kleine Aes Sedai blinzelte, als hätte sie vergessen, dass es eine Neuigkeit gab, dann lächelte sie unvermittelt. »Oh, ja. Die Seanchaner. Sie sind in Illian. Nicht in der Stadt, das noch nicht; kein Grund, blass zu werden. Aber sie haben die Grenze überschritten. Sie errichten an der Küste und im Landesinneren befestigte Lager. Ich verstehe nur wenig von militärischen Dingen. Wenn ich ein Geschichtsbuch lese, überspringe ich die Schlachten immer. Aber ich glaube, dass die Stadt ihr Ziel ist. Eure Schlachten scheinen sie nicht besonders aufgehalten zu haben. Darum lese ich nie etwas über Schlachten. Sie scheinen auf lange Sicht gesehen nie etwas zu verändern, sondern immer nur für kurze Zeit. Geht es Euch gut?«

Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Verin spähte wie ein dicker Spatz zu ihm hoch. Die ganzen Kämpfe, all die Toten, Männer, die er getötet hatte, und es hatte nichts verändert. Gar nichts!

Sie irrt sich, murmelte Lews Therin in seinem Kopf. Schlachten können die Geschichte verändern. Er klang darüber nicht erfreut. Das Problem liegt nur darin, dass man manchmal nicht vorhersagen kann, wie sich die Geschichte verändert, bis es zu spät ist.

»Verin, wenn ich zu Cadsuane ginge, würde sie mit mir sprechen? Über etwas anderes als meine Manieren, die ihr nicht gefallen? Das scheint nämlich alles zu sein, was ihr am Herzen liegt.«

»Oh, mein Lieber. Ich fürchte, Cadsuane ist in vielerlei Hinsicht eine Traditionalistin, Rand. Ich habe nie gehört, dass sie einen Mann als hochmütig bezeichnet, aber ...« Sie legte gedankenverloren einen Finger an die Lippen, dann nickte sie, und Regentropfen rannen ihr das Gesicht hinunter. »Ich glaube, sie wird sich anhören, was Ihr zu sagen habt, wenn Ihr den schlechten Eindruck ungeschehen machen könnt, den Ihr bei ihr hinterlassen habt. Oder wenn ihr ihn zumindest so gut verwischt, wie es Euch möglich ist. Nur wenige Schwestern lassen sich von Titeln oder Kronen beeindrucken, Rand, und Cadsuane noch weniger als andere, die ich kenne. Sie interessiert sich viel mehr dafür, ob Leute Narren sind oder nicht. Wenn Ihr Cadsuane beweisen könnt, dass Ihr kein Narr seid, wird sie zuhören.«

»Dann sagt ihr ...« Er holte tief Luft. Licht, am liebsten hätte er Kisman und Dashiva und all die anderen mit bloßen Händen erwürgt! »Sagt ihr, dass ich Far Madding morgen verlassen werde, und ich hoffe, dass sie mich als meine Beraterin begleitet.« Den ersten Teil kommentierte Lews Therin mit einem erleichterten Seufzen; wäre er mehr als eine Stimme gewesen, hätte Rand gesagt, dass er beim zweiten Teil erstarrte. »Sagt Ihr, ich akzeptiere ihre Bedingungen. Ich entschuldige mich für mein Benehmen in Cairhien und werde mein Möglichstes hon, in Zukunft auf meine Manieren zu achten.« Das zu sagen fiel gar nicht schwer. Nun ja, ein bisschen schon, aber falls sich Min nicht irrte, brauchte er Cadsuane, und Min irrte sich nie bei dem, was sie sah.

»Also habt Ihr gefunden, was Ihr hier suchtet?« Er blickte sie stirnrunzelnd an und sie lächelte zurück und tätschelte seinen Arm. »Falls Ihr in dem Glauben nach Far Madding gekommen wärt, Ihr könntet die Stadt erobern, indem Ihr verkündet, wer Ihr seid, wärt Ihr sofort wieder abgereist, nachdem Euch klar wurde, dass Ihr hier die Macht nicht benutzen könnt. Also konnte es sich nur darum handeln, etwas oder jemanden zu finden.«

»Vielleicht habe ich gefunden, was ich brauchte«, sagte er kurz angebunden. Nur das nicht, was er wollte.

»Dann kommt heute Abend in den Barsalla-Palast oben auf den Höhen, Rand. Jeder kann Euch sagen, wie er zu finden ist. Ich bin wirklich fest davon überzeugt, dass sie Euch anhören wird.« Sie rückte den Umhang zurecht und schien die Feuchtigkeit der Wolle zum ersten Mal zu bemerken. »Du meine Güte. Ich muss ins Trockene. Ich schlage vor, Ihr tut das auch.« Sie drehte sich um, verharrte dann aber und sah noch einmal über die Schulter. Ihre dunklen Augen blinzelten nicht. Plötzlich klang sie alles andere als gedankenverloren. »Ihr könntet es viel schlechter treffen, als Cadsuane zur Beraterin zu haben, Rand, aber ich bezweifle, dass Ihr eine bessere finden würdet. Falls sie zustimmt und Ihr wirklich kein Narr seid, werdet Ihr auf ihren Rat hören.« Sie rauschte durch den Regen davon und sah dabei fast aus wie ein stolzer Schwan.

Manchmal macht mir diese Frau Angst, murmelte Lews Therin, und Rand nickte. Cadsuane machte ihm keine Angst, aber sie machte ihn misstrauisch. Jede Aes Sedai, die ihm nicht den Treueid geleistet hatte, machte ihn misstrauisch, mit Ausnahme von Nynaeve. Und selbst bei ihr war er sich nicht immer sicher.

Auf den zwei Meilen Rückweg zum Haupt der Ratsherrin ließ der Regen nach. Dafür frischte der Wind auf, und das Schild über der Tür, auf dem das strenge Antlitz einer Frau mit dem juwelenbesetzten Diadem der Ersten Ratsherrin abgebildet war, schwang quietschend an seiner Halterung hin und her. Der Schankraum war kleiner als im Goldenen Rad, dafür war die Wandtäfelung poliert und mit Schnitzereien verziert, und die Tische unter den roten Deckenbalken standen nicht so eng beieinander. Der Durchgang zum Frauenraum war rot gestrichen und die Verzierungen sahen wie verspielte Spitzenklöppelei aus, genau wie die Simse der Marmorkamine. Im Haupt der Ratsherrin befestigten die Diener ihr langes Haar mit Silberspangen. Nur zwei von ihnen waren zu sehen; sie standen in der Nähe der Küchentür. An den Tischen saßen nur drei Männer, alles ausländische Händler, die weit auseinander saßen und in ihren Wein starrten. Möglicherweise sogar Konkurrenten, denn gelegentlich rutschte der eine oder andere auf seinem Stuhl herum und bedachte die anderen beiden mit einem Stirnrunzeln. Einer von ihnen, ein grauhaariger Mann, trug einen dunkelgrauen Seidenmantel, und ein schlanker Bursche mit einem finsteren Gesicht hatte einen roten Stein von der Größe eines Taubeneis im Ohr. Das Haupt der Ratsherrin beherbergte die wohlhabenderen ausländischen Händler und davon gab es in Far Madding derzeit nicht viele.

Die Uhr auf dem Kaminsims des Frauenraums — Min hatte erzählt, dass sie ein Silbergehäuse aufwies — schlug mit kleinen Glöckchen die Stunde, als er den Schankraum betrat, und er hatte den Umhang noch nicht richtig ausgeschüttelt, als auch schon Lan eintrat. Der Behüter schüttelte den Kopf, sobald er Rands Blick bemerkte. Nun, Rand rechnete mittlerweile auch nicht mehr damit, sie zu finden. Selbst für einen Ta'veren war das vermutlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Sobald sie beide dampfende Becher voller Wein empfangen und es sich auf der langen roten Bank vor einem der Kamine bequem gemacht hatten, berichtete er Lan von seiner Entscheidung und den Gründen, weshalb er sie getroffen hatte. Einen Teil der Gründe. Den wichtigen Teil. »Wenn ich sie in dieser Minute in den Händen hätte, würde ich sie umbringen und mein Heil in der Flucht suchen, aber sie umzubringen ändert nichts. Zumindest nicht genug«, korrigierte er sich und sah stirnrunzelnd in die Flammen. »Ich kann noch einen Tag in der Hoffnung hier verbringen, sie morgen zu finden. Oder auch noch Wochen. Monate. Aber die Welt wartet nicht auf mich. Ich dachte, ich hätte sie mittlerweile erledigt, aber die Geschehnisse eilen bereits dem weit voraus, womit ich gerechnet habe. Und das gilt nur für die Geschehnisse, von denen ich weiß. Licht, was mag alles geschehen, von dem ich nichts weiß, nur weil ich keinen Kaufmann darüber beim Wein habe klagen hören?«

»Du kannst niemals alles wissen«, sagte Lan ruhig. »Und ein Teil von dem, was du erfährst, ist immer falsch. Vielleicht sogar der wichtigste Teil. Ein Teil der Weisheit liegt darin, dies zu wissen. Ein Teil des Mutes besteht darin, trotzdem weiterzumachen.«

Rand schob die Stiefel näher ans Feuer. »Hat Nynaeve dir gesagt, dass sie und die anderen sich mit Cadsuane treffen? Sie machen gerade einen Ausritt.« Oder befanden sich auf dem Rückweg. Er konnte fühlen, dass sich Min näherte. Sie würde nicht mehr lange fort sein. Noch immer versetzte sie etwas in große Aufregung, ein Gefühl, das ständig auf und ab schwankte, so als versuchte sie es zu unterdrücken.

Lan lächelte, was ohne Nynaeves Anwesenheit nur selten vorkam. Das Lächeln erreichte allerdings nicht seine Augen. »Sie hat mir verboten, es dir zu sagen, aber da du es bereits weißt... Sie und Min haben Alivia auf ihre Seite gezogen. Falls es ihnen gelingt, Cadsuanes Interesse zu wecken, wollen sie sie möglicherweise dir näher bringen. Sie haben herausgefunden, wo sie wohnt, und sie gebeten, sie zu unterrichten.« Das Lächeln verblasste und ließ ein Gesicht zurück, das aus Stein hätte gemeißelt sein können. »Meine Frau hat für dich ein Opfer gebracht, Schafhirte«, sagte er leise. »Ich hoffe, du wirst das nicht vergessen. Sie will nicht viel darüber sagen, aber ich glaube, Cadsuane behandelt sie, als wäre sie noch immer eine Aufgenommene oder gar eine Novizin. Du weißt, wie schwer das für Nynaeve zu ertragen wäre.«

»Cadsuane behandelt alle und jeden, als wären sie Novizen«, murmelte Rand. Hochmut? Licht, wie sollte er nur mit dieser Frau umgehen? Und doch musste er einen Weg finden. Sie saßen schweigend da und starrten ins Feuer, bis ihre nach vorn geschobenen Stiefelsohlen zu qualmen anfingen.

Der Bund warnte ihn, und er wandte den Kopf in genau dem Augenblick, als Nynaeve in der Tür zum Stallhof erschien, gefolgt von Min und Alivia; sie schüttelten den Regen von ihren Umhängen, richteten die Reitröcke und bedachten die feuchten Stellen mit einer Grimasse, als hätten sie erwartet, bei diesem Wetter ausreiten zu können, ohne nass zu werden. Wie gewöhnlich trug Nynaeve ihr juwelenbesetztes Ter'angreal, Gürtel und Halskette, Armreife und Ringe und das seltsame Angreal, das sich aus Armreifen und Ring zusammensetzte.

Min machte sich noch immer zurecht, als sie zu Rand hinüberschaute und lächelte; natürlich war sie kein bisschen überrascht, ihn dort zu sehen. Wärme floss wie eine Liebkosung durch den Bund, obwohl sie noch immer versuchte, ihre Aufregung zu unterdrücken. Die anderen beiden Frauen brauchten länger, um Lan und ihn zu bemerken, aber als sie es taten, übergaben sie die Umhänge einem der Diener, damit dieser sie nach oben in ihre Zimmer brachte, dann setzten sie sich zu den beiden Männern am Kamin und streckten ihre Hände der Wärme entgegen.

»Und, hat der Ausritt im Regen mit Cadsuane Spaß gemacht?«, fragte Rand und hob den Becher, um einen Schluck von dem süßen Wein zu nehmen. Min riss den Kopf zu ihm herum, und kurz blitzte Schuld in dem Bund auf, aber ihr Gesicht verkündete lupenreine Empörung. Um ein Haar hätte er sich verschluckt. Wieso war es sein Fehler, wenn sie sich hinter seinem Rücken mit Cadsuane traf? »Hör auf, Lan so böse anzustarren, Nynaeve«, sagte er, als er wieder sprechen konnte. »Verin hat es mir gesagt.« Nynaeve richtete den Blick nun auf ihn und er schüttelte den Kopf. Frauen behaupteten oft, dass es — was auch immer »es« war — ausnahmslos die Schuld eines Mannes war, aber manchmal schienen Frauen tatsächlich daran zu glauben! »Ich entschuldige mich für das, was auch immer du meinetwegen von ihr erdulden musstest«, fuhr er fort, »aber das wird nicht länger nötig sein. Ich habe sie gebeten, meine Beraterin zu werden. Das heißt, ich habe Verin gebeten, ihr zu sagen, dass ich sie darum bitten will. Heute Abend. Mit etwas Glück wird sie morgen mit uns abreisen.« Er hatte mit Ausrufen überraschter Erleichterung gerechnet, aber die bekam er nicht.

»Eine erstaunliche Frau, diese Cadsuane«, sagte Alivia und schob ihr von weißen Bändern gehaltenes blondes Haar zurecht. Die Stimme mit dem dichten Akzent klang beeindruckt. »Eine strenge Lehrerin, sie weiß zu unterrichten.«

»Manchmal siehst du ja den Wald, Wollkopf, wenn man dich an der Nase zu ihm führt«, sagte Min und verschränkte die Arme unter den Brüsten. Der Bund übertrug Zustimmung, aber er glaubte nicht, dass sie dafür war, weil er die Suche nach den Renegaten aufgegeben hatte. »Vergiss nicht, sie will eine Entschuldigung für Cairhien. Denk einfach, sie sei deine Tante, die sich nichts bieten lässt, und dann wirst du großartig mit ihr zurechtkommen.«

»Cadsuane ist nicht so schlimm, wie es den Anschein hat.« Nynaeve schaute die anderen Frauen stirnrunzelnd an, und ihre Hand zuckte nach dem Zopf, der über ihrer Schulter lag, dabei hatten die anderen sie bloß angesehen. »Ist sie auch nicht! Wir werden unsere ... Differenzen mit der Zeit schon klären. Das ist alles, was nötig ist. Etwas Zeit.«

Rand wechselte einen Blick mit Lan, der kaum merklich mit den Schultern zuckte und einen Schluck trank. Rand atmete langsam aus. Nynaeve hatte Meinungsverschiedenheiten mit Cadsuane, die sie mit der Zeit beilegen würde, Min sah in der Frau eine strenge Tante und Alivia eine strenge Lehrerin. So wie er Nynaeve kannte, würde bei den beiden die Fetzen fliegen, bis die Sache bereinigt war, und mit den anderen beiden Vorstellungen wollte er nun wirklich nichts zu tun haben. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Er nahm noch einen Schluck Wein.

Die Männer an den Tischen saßen nicht nahe genug, um ihnen zuhören zu können, trotzdem senkte Nynaeve ihre Stimme und beugte sich Rand entgegen. »Cadsuane hat mir gezeigt, wozu zwei meiner Ter'angreale in der Lage sind«, flüsterte sie, und in ihren Augen funkelte es aufgeregt. »Ich wette, dass dieser Schmuck, den sie da trägt, ebenfalls Ter'angreale sind. Sie hat meine sofort erkannt, als sie sie berührte.« Lächelnd berührte Nynaeve mit dem Daumen einen von den drei Ringen an ihrer rechten Hand, den mit dem hellgrünen Stein. »Ich wusste, dass man mit dem hier aus drei Meilen Entfernung erkennen kann, ob jemand Saidar berührt, aber sie sagt, er würde auch Saidin aufspüren. Sie ist auch davon überzeugt, dass er mir die Richtung zeigen müsste, aber wir konnten nicht herausfinden, wie das gehen soll.«

Alivia wandte sich vom Feuer ab und gab ein lautes Schnauben von sich, senkte aber ebenfalls die Stimme. »Und Ihr wart zufrieden, als sie es nicht schaffte. Ich habe es Euch am Gesicht angesehen. Wie könnt Ihr damit zufrieden sein, etwas nicht zu wissen?«

»Nur, dass sie etwas nicht weiß«, murmelte Nynaeve und warf der größeren Frau einen finsteren Blick zu, aber schon im nächsten Augenblick war ihr Lächeln wieder da. »Das wichtigste aber ist das hier, Rand.« Ihre Hände legten sich auf den schmalen, juwelenbesetzten Gürtel um ihre Taille. »Sie nannte es eine ›Quelle‹.« Er zuckte zusammen, als etwas sein Gesicht berührte, und sie kicherte. Ausgerechnet Nynaeve kicherte! »Es ist eine Quelle«, lachte sie hinter vorgehaltener Hand, »oder zumindest ein Fass! Und es ist voller Saidar! Zwar nicht sehr viel, aber um es aufzufüllen, muss ich nur durch sie hindurch Saidar umarmen, so als wäre es ein Angreal. Ist das nicht wunderbar?«

»Wunderbar«, sagte er ohne große Begeisterung. Also trug Cadsuane ständig Ter'angreale in ihrem Haar, und aller Wahrscheinlichkeit nach eine dieser »Quellen«, da sie sie sonst nicht erkannt hätte. Licht, er war immer davon überzeugt gewesen, dass niemals jemand zwei Ter'angreale mit gleicher Funktion gefunden hatte. Sie am Abend zu treffen wäre auch ohne das Wissen, dass sie selbst an diesem Ort die Macht lenken konnte, schlimm genug gewesen.

Er wollte Min fragen, ob sie ihn begleitete, als Frau Keene herbeieilte; der weiße Haarknoten auf ihrem Kopf war so fest gezogen, dass es den Anschein hatte, als wollte sie sich die Haut vom Gesicht ziehen. Sie schenkte Rand und Lan einen missbilligenden Blick und schürzte die Lippen, als würde sie darüber nachdenken, was sie wohl angestellt hatten. Er hatte beobachtet, dass sie die Kaufleute, die in dem Gasthaus logierten, mit dem gleichen Blick bedachte. Wären die Unterkünfte nicht so bequem und das Essen so gut gewesen, hätte sie vermutlich überhaupt keine Kunden gehabt.

»Frau Farshaw, das hier wurde heute Morgen für Euren Mann abgegeben«, sagte sie und gab Min einen Brief, der mit einem unordentlichen roten Wachsklumpen versiegelt war. Das spitze Kinn der Wirtin hob sich. »Außerdem hat sich eine Frau nach ihm erkundigt.«

»Verin«, sagte Rand schnell, um Fragen zuvorzukommen und die Frau loszuwerden. Wer wusste, dass man ihm an diese Adresse einen Brief schicken konnte? Cadsuane? Einer der Asha'man, die sie begleiteten? Vielleicht eine der anderen Schwestern? Er sah das zusammengefaltete Stück Papier in Mins Hand stirnrunzelnd an und wartete ungeduldig darauf, dass die Wirtin verschwand.

Mins Lippen zuckten, und sie bemühte sich so krampfhaft, ihn nicht anzusehen, dass er wusste, dass er der Auslöser für dieses Lächeln war. Ihre Belustigung tröpfelte durch den Bund. »Danke, Frau Keene. Verin ist eine Freundin.«

Das spitze Kinn ging noch weiter in die Höhe. »Wenn Ihr mich fragt, Frau Farshaw, wenn man einen hübschen Mann hat, muss man auch auf seine Freunde ein Auge haben.«

Als Min beobachtete, wie die Frau in Richtung des roten Torbogens ging, funkelte in ihren Augen die Heiterkeit, die durch den Bund floss, und ihre Lippen kämpften darum, nicht einfach drauflos zu lachen. Statt Rand die Botschaft zu geben, erbrach sie das Siegel mit dem Daumen und entfaltete den Brief selbst, so als wollte sie der Welt zeigen, dass auch sie eine Bewohnerin dieser verrückten Stadt war.

Sie runzelte leicht die Stirn, während sie las, aber ein kurzes Aufflackern im Bund war die einzige Warnung, die Rand erhielt. Sie zerknüllte das Blatt und wandte sich dem Kamin zu; er sprang von der Bank auf und riss ihr gerade noch rechtzeitig den Brief aus der Hand, bevor sie ihn in die Flammen werfen konnte.

»Sei kein Narr«, sagte sie und griff nach seinem Handgelenk. Sie starrte zu ihm hoch; in ihren großen dunklen Augen lag tödlicher Ernst. Der Bund übermittelte nur grimmige Intensität. »Bitte sei kein Narr.«

»Ich habe Verin versprochen, keiner zu sein«, sagte er, aber Min lächelte nicht.

Er glättete den Brief auf seiner Brust. Die spinnenartige Handschrift war ihm unbekannt, es gab keine Unterschrift.

Ich weiß, wer Ihr seid, und ich wünsche Euch alles Gute, aber ich wünsche auch, dass Ihr Far Madding verlasst. Der Wiedergeborene Drache hinterlässt nur Tod und Zerstörung. Ich weiß auch, warum Ihr hier seid. Ihr habt Rochaid getötet und Kisman ist auch tot. Torval und Gedwyn haben die Räume über einem Schuster namens Zeram in der Blaue-Karpfen-Straße gemietet, direkt oberhalb vom Illian-Tor. Tötet sie und geht, und lasst Far Madding in Ruhe.

Die Uhr im Frauenraum schlug die volle Stunde. Bevor er Cadsuane treffen musste, blieben ihm noch viele Stunden lang Tageslicht.

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