7 In den Straßen von Caemlyn

Elaynes Begleitung erregte viel Aufmerksamkeit, als sie durch die Straßen von Caemlyn ritten, die den Hügeln der Stadt folgten und hinauf- und hinabführten. Die Goldene Lilie auf der Brust ihres pelzgesäumten scharlachroten Umhangs reichte aus, damit die Bürger der Hauptstadt sie erkannten, aber sie ließ die Kapuze zurückgeschlagen, sodass die einzelne goldene Rose auf dem kleinen Diadem der Tochter-Erbin deutlich zu sehen war. Hier ritt nicht nur Elayne, die Hohe Herrin des Hauses Trakand, sondern Elayne, die Tochter-Erbin. Sollte es jedermann sehen und wissen.

Die Kuppeln der Neustadt schimmerten weiß und golden im blassen Morgenlicht, Eiszapfen funkelten an den nackten Ästen der Bäume, die in der Mitte der breiten Hauptstraßen wuchsen. Obwohl sich die Sonne dem Zenit näherte, spendete sie trotz des wolkenlosen Himmels keine Wärme. Glücklicherweise war es an diesem Tag windstill. Die Luft war kalt genug, um Elaynes Atem zu Nebel erstarren zu lassen, aber da selbst die Pflaster der schmaleren, gewundenen Gassen vom Schnee befreit worden waren, herrschte wieder Leben in der Stadt, waren die Straßen voller geschäftig umhereilender Menschen. Fuhrmänner und Kutscher zogen resigniert ihre Umhänge enger um sich, während sie sich langsam ihren Weg durch das Gewühl bahnten. Ein gewaltiger Wasserwagen, der nach den Geräuschen zu urteilen leer war, rumpelte vorbei auf dem Weg zu den Reservoires, um wieder für den Kampf gegen die viel zu häufig stattfindenden Brandstiftungen einsatzbereit zu sein. Ein paar Straßenhändler und Hausierer boten der Kälte die Stirn, um ihre Waren lautstark anzupreisen, aber die meisten Leute hatten es eilig, ihre Geschäfte zu erledigen, da sie so schnell wie möglich wieder in der Wärme ihrer Häuser sein wollten. Doch wer sich beeilte, kam deswegen noch lange nicht schnell voran. Die Stadt platzte aus allen Nähten, ihre Bevölkerung war so weit angestiegen, dass sie selbst Tar Valon übertraf. In einem solchen Gewimmel kamen selbst Berittene kaum schneller voran als ein Mann, der zu Fuß ging. Den ganzen Morgen hatte Elayne nur zwei oder drei Kutschen gesehen, die sich um jeden Fingerbreit vorankämpften. Wenn ihre Passagiere keine Invaliden waren oder noch Meilen vor sich hatten, waren sie Narren.

Jeder, der sie und ihre Gruppe sah, blieb zumindest einen Augenblick lang stehen; einige machten andere auf sie aufmerksam oder hoben Kinder hoch, damit diese dann eines Tages wiederum ihren Kinder erzählen konnten, dass sie sie gesehen hatten. Es war nur die Frage, ob sie sagen würden, sie hätten die zukünftige Königin gesehen oder bloß eine Frau, die für eine gewisse Zeit die Stadt beherrschte. Die meisten Leute starrten sie nur an, aber gelegentlich erhoben sich ein paar Stimmen, die »Trakand! Trakand!« riefen oder sogar »Elayne und Andor!« Mehr Jubel wäre besser gewesen, aber Schweigen war hämischem Gejohle vorzuziehen. Andoraner waren freimütige Menschen, erst recht die Caemlyner. Rebellionen waren ausgebrochen, und Königinnen hatten ihren Thron verloren, weil Caemlyner ihrem Unmut auf der Straße Luft machten.

Ein eisiger Gedanke ließ Elayne erzittern. Wer Caemlyn hält, hält Andor, besagte das alte Sprichwort; wie Rand bewiesen hatte, stimmte das nur bedingt, aber Caemlyn war Andors Herz. Sie hatte ihren Anspruch auf die Stadt geltend gemacht, auf den Türmen der äußeren Stadtmauer teilten sich das Löwenbanner und Trakands silberner Keilstein den stolzen Platz, aber noch hatte sie Caemlyns Herz nicht erobert, und das war viel wichtiger, als Stein und Mörtel zu besitzen.

Eines Tages werden sie mir alle zujubeln, versprach sie sich. Ich werde mir ihren Beifall verdienen. Doch an diesem Tag fühlten sich die dicht bevölkerten Straßen einsam an, da nur vereinzelte Rufe ertönten. Sie wünschte sich, Aviendha wäre bei ihr gewesen, nur um ihr Gesellschaft zu leisten, aber Aviendha sah keinen Sinn darin, auf ein Pferd zu steigen, bloß um durch die Stadt zu reiten. Davon abgesehen konnte Elayne sie spüren. Es fühlte sich anders an als der Bund mit Birgitte, doch sie konnte die Anwesenheit ihrer Schwester in der Stadt spüren, so wie man eine ungesehene Person fühlte, die sich im selben Raum aufhielt, und es war ein tröstendes Gefühl.

Ihre Begleitung rief ihren eigenen Teil an Aufmerksamkeit hervor. Nach vier Jahren als Aes Sedai hatte Sareithas dunkles, breites Gesicht noch nicht die Alterslosigkeit erreicht, und in ihrem kostbaren bronzefarbenen Wollgewand und mit der großen Brosche aus mit Saphiren besetztem Silber, die ihren Umhang zusammenhielt, sah sie aus wie eine erfolgreiche Kauffrau. Ihr Behüter Ned Yarman ritt direkt hinter ihr und er erregte auf jeden Fall Aufsehen. Er war ein hoch gewachsener, breitschultriger junger Mann mit hellblauen Augen und korngelbem Haar, das in Locken bis auf die Schultern fiel; der schimmernde Behüterumhang, den er trug, ließ ihn wie ein körperloser Kopf aussehen, der über einem großen grauen Wallach schwebte. Teile des Pferdes waren dort, wo der Umhang über die Flanken fiel, ebenfalls nicht zu sehen. Es gab keinen Zweifel an seiner Identität oder dass seine Anwesenheit eine Aes Sedai ankündigte. Jedoch zogen die anderen, die um

Elayne einen Kreis aufrechterhielten, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte, ebenfalls viele Blicke auf sich. Acht Frauen in den roten Waffenröcken und glänzenden Helmen und Harnischen der Königlichen Garde waren nichts, was man jeden Tag zu sehen bekam. Oder früher, was das anging. Aus diesem Grund hatte Elayne sie persönlich aus den neuen Rekruten ausgewählt.

Caseille Raskovni, ihr Unterleutnant, so schlank und hart wie eine Aieltochter, war eine echte Rarität, die Leibwächterin einer Kauffrau, die seit fast zwanzig Jahren in ihrem Handwerk arbeitete, wie sie es nannte. Die Silberglöckchen in der Mähne ihres stämmigen gescheckten Wallachs wiesen sie als Arafelianerin aus, obwohl sie nur ausweichend von ihrer Vergangenheit sprach. Die einzige Andoranerin unter den acht war eine allmählich grau werdende Frau mit sanften Zügen und breiten Schultern; Deni Colford hatte in einer Taverne für Wagenkutscher in Nieder-Caemyln außerhalb der Stadtmauern für Ordnung gesorgt, ebenfalls eine raue und seltene Beschäftigung für eine Frau. Deni konnte mit dem Schwert an ihrer Hüfte noch nicht umgehen, aber Birgitte zufolge hatte sie sehr schnelle Hände und einen noch schnelleren Blick, und sie konnte ziemlich gut mit der schrittlangen Keule umgehen, die gegenüber dem Schwert hing. Die übrigen waren Jägerinnen des Horns, grundverschiedene Frauen, groß und klein, schlank und breit, deren Herkunft genauso verschieden war, obwohl einige von ihnen so zurückhaltend wie Caseille waren, während andere ihre vorherige Stellung im Leben offensichtlich übertrieben darstellten. Keines von beiden war unter Jägern ungewöhnlich. Allerdings hatten sie sich alle auf die Gelegenheit gestürzt, in die Königliche Garde aufgenommen zu werden. Und, was noch wichtiger war, sie alle hatten Birgittes sorgfältige Inspektion bestanden.

»Die Straßen sind nicht sicher für Euch«, sagte Sareitha plötzlich und lenkte ihren braunen Fuchs neben Elaynes schwarzen Wallach. Feuerherz gelang es beinahe, die schlanke Stute zu beißen, bevor Elayne seinen Kopf mit dem Zügel zurückriss. Die Straße war an dieser Stelle sehr schmal, wodurch die Menschenmenge dicht zusammengedrängt stand und die Gardistinnen näher herankamen. Das Gesicht der Braunen war ein Abbild von Aes Sedai-Gelassenheit, aber offensichtliche Besorgnis verlieh ihrer Stimme einen scharfen Beiklang. »In einer solchen Enge könnte alles passieren. Denkt daran, wer keine zwei Meilen von hier entfernt im Silbernen Schwan abgestiegen ist. Zehn Schwestern kommen in einem Gasthaus nicht einfach nur zusammen, weil sie die Gesellschaft von ihresgleichen suchen. Es könnte gut sein, dass Elaida sie geschickt hat.«

»Oder auch nicht«, erwiderte Elayne ruhig. Ruhiger, als sie sich fühlte. Viele Schwestern schienen abzuwarten, bis der Kampf zwischen Elaida und Egwene entschieden war. Seit ihrer Ankunft in Caemlyn hatten zwei von ihnen den Silbernen Schwan wieder verlassen, und drei weitere waren eingetoffen. Das klang nicht nach einer Gruppe, die man auf eine Mission geschickt hatte. Und keine von ihnen gehörte der Roten Ajah an; Elaida würde mit Sicherheit Rote mitschicken. Dennoch wurden sie so gut beobachtet, wie es Elayne hatte arrangieren können; allerdings hatte sie es Sareitha verschwiegen.

Elaida wollte sie unbedingt in ihre Gewalt bekommen; die Angelegenheit war ihr viel wichtiger, als wäre es nur um fortgelaufene Aufgenommene oder um jemanden gegangen, der in Verbindung mit Egwene und den angeblichen Rebellen stand. So richtig konnte Elayne das nicht nachvollziehen. Eine Aes Sedai, die Königin war, wäre für die Weiße Burg sehr wertvoll gewesen, aber wenn man sie nach Tar Valon entführte, würde sie keine Königin werden. Was das anging, so hatte Elaida den Befehl, sie um jeden Preis zurückzubringen, schon zu einem Zeitpunkt gegeben, als jede Aussicht auf den Thron noch in weiter Ferne gelegen hatte. Seitdem ihr Ronde Macura dieses widerwärtige Gebräu untergeschoben hatte, das die Fähigkeit einer Frau beschnitt, die Macht zu lenken, hatte sie oft über dieses Rätsel nachgedacht. Es war ein äußerst beunruhigendes Rätsel, vor allen Dingen jetzt, da sie der Welt ihren Aufenthaltsort verkündet hatte.

Ihr Blick verweilte kurz auf einer schwarzhaarigen Frau mit einem blauen Umhang und zurückgeschlagener Kapuze. Die Frau schaute nur flüchtig in ihre Richtung, bevor sie den Laden eines Kerzenmachers betrat. Es war keine Aes Sedai, entschied Elayne. Bloß eine weitere Frau, die in Ehren alterte, so wie Zaida. »Wie dem auch sei«, fuhr sie energisch fort, »ich werde mich nicht durch die Angst vor Elaida beirren lassen.« Was konnten die Schwestern im Silbernen Schwan bloß hier wollen?

Sareitha schnaubte, und zwar nicht gerade leise; sie schien die Augen verdrehen zu wollen, ließ es dann aber doch sein. Gelegentlich schnappte Elayne von den anderen Schwestern im Palast seltsame Blicke auf. Zweifellos dachten sie daran, wie sie aufgewachsen war, doch allem äußeren Anschein nach akzeptierten sie sie als Aes Sedai und erkannten an, dass sie — abgesehen von Nynaeve — einen höheren Rang als sie einnahm. Das hielt sie aber keineswegs davon ab, ihre Meinung deutlich zum Ausdruck zu bringen, und zwar oft viel nachdrücklicher, als sie es bei einer Schwester getan hätten, welche die Stola auf herkömmliche Weise erhalten hatte. »Dann vergesst Elaida und erinnert Euch, wer Euch sonst noch gern in seiner Gewalt hätte«, sagte Sareitha. »Ein wohlgezielter Steinwurf, und Ihr seid ein bewusstloses Bündel, das man in der entstehenden Verwirrung leicht davontragen könnte.«

Musste Sareitha ihr sagen, dass Wasser nass war? Schließlich war es beinahe ein Brauchtum, andere Thronbewerber zu entführen. Jedes Haus, das gegen sie war, hatte in Caemlyn Anhänger, die nur auf eine Gelegenheit warteten — oder sie hätte ihre Schuhe zu Mittag gegessen. Nicht dass sie Erfolg haben würden, nicht solange sie die Macht lenken konnte, aber sie würden einen Versuch unternehmen, wenn sich die Gelegenheit bot. Sie war nie der Meinung gewesen, dass die Ankunft in Caemlyn mit Sicherheit gleichzusetzen war.

»Sareitha, wenn ich mich nicht aus dem Palast herauswage, werde ich das Volk niemals auf meine Seite ziehen«, sagte sie leise. »Man muss mich sehen, ich muss mich frei bewegen, ohne jede Angst.« Darum begleiteten sie auch nur acht Gardistinnen statt der fünfzig, die Birgitte verlangt hatte. Die Frau weigerte sich, die Realitäten des politischen Geschäfts zu begreifen. »Außerdem, da Ihr hier seid, brauchten sie zwei wohlgezielte Steine.«

Sareitha schnaubte bloß erneut, aber Elayne tat ihr Bestes, den Starrsinn der anderen Frau zu ignorieren. Sie wünschte sich, sie könnte auch ihre Anwesenheit ignorieren, aber das war unmöglich. Es gab noch mehr Gründe für diesen Ausritt, als nur gesehen zu werden. Halwin Norry trug ihr mit monotoner Stimme, die sie beinahe einschlafen ließ, endlose Fakten und Zahlen vor, aber sie wollte sich alles mit eigenen Augen ansehen. Norry konnte die Schilderung eines Aufruhrs so leblos wie einen Bericht über den Zustand der städtischen Zisternen oder die Kosten für die Reinigung der Abwasserkanäle klingen lassen.

In der Menge wimmelte es von Ausländern, Kandori mit Gabelbärten und Illianer mit Barten, die ihre Oberlippen frei ließen, und Arafeler mit Silberglöckchen in ihren Zöpfen; Domani mit kupferner und Altaraner mit olivfarbener Hautfarbe; Cairhiener, die durch ihre gedrungene Statur und die helle Haut hervorstachen. Einige waren Kaufleute, die vom plötzlichen Wintereinbruch überrascht worden waren oder hofften, ihrer Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein, glattgesichtige, aufgeblasene Leute, die genau wussten, dass der Handel das Lebensblut der Nationen war, und von denen jeder behauptete, eine der wichtigsten Arterien zu sein, selbst wenn ein schlecht gefärbter Mantel oder eine Brosche aus Messing und Glas sie verriet. Viele der Passanten trugen abgewetzte Mäntel, an den Knien ausgefranste Hosen, Gewänder mit kaputten Säumen und fadenscheinige Umhänge oder auch gar keine. Das waren Flüchtlinge, die entweder vom Krieg aus ihren Häusern vertrieben worden waren oder von dem Glauben, dass der Wiedergeborene Drache sämtliche ihrer traditionellen Bande zerrissen hatte, zur Wanderschaft getrieben worden waren. Sie krümmten sich vor Kälte, ihre Gesichter waren abgehärmt und besiegt, und sie ließen sich von dem Strom der anderen um sie herum einfach mittreiben.

Eine Frau mit stumpfem Blick und einem kleinen Kind auf der Schulter, das sie fest gepackt hielt, stolperte durch die Menge. Elayne sah ihr zu, nestelte dann eine Münze aus ihrem Geldbeutel und gab sie einer Gardistin, einer Frau mit rosigen Wangen und kaltem Blick. Tzigan behauptete, aus Ghealdan zu kommen und die Tochter eines unbedeutenden Adligen zu sein; nun, das mit Ghealdan stimmte vermutlich sogar. Als sie sich nach vorn beugte, um die Münze weiterzugeben, stolperte die Frau mit ihrem Kind einfach weiter, ohne sie überhaupt wahrzunehmen. Von dieser Sorte Leute gab es zu viele in der Stadt. Der Palast ernährte jeden Tag Tausende in Küchen, die man in der ganzen Stadt eröffnet hatte, aber zu viele von ihnen brachten nicht einmal mehr die Kraft auf, sich ihre Suppe und ihr Brot zu holen. Elayne sprach in Gedanken ein kurzes

Gebet für Mutter und Kind, während sie die Münze wieder in dem Geldbeutel verstaute.

»Ihr könnt nicht jeden durchfüttern«, meinte Sareitha leise.

»In Andor dürfen Kinder nicht verhungern«, sagte Elayne, als würde sie ein Dekret verkünden. Aber sie wusste nicht, wie sie es verhindern sollte. Noch gab es genug Lebensmittel in der Stadt, aber kein Befehl konnte die Menschen zum Essen zwingen.

Einige der Fremden waren ebenfalls auf diese Weise nach Caemlyn gelangt, Männer und Frauen, die keine Lumpen mehr trugen und auch keine heimgesuchten Gesichter mehr hatten. Was auch immer sie zur Flucht aus ihrer Heimat veranlasst hatte, sie waren zu dem Schluss gekommen, weit genug gereist zu sein, und hatten über ihre Erwerbsquelle nachgedacht, die sie oftmals zusammen mit ihren ganzen Besitztümern zurückgelassen hatten. In Caemlyn konnte jeder, der ein Handwerk beherrschte und über etwas Tatkraft verfügte, einen Bankier mit bereitwilliger Münze finden. Heutzutage ging man in der Stadt neuen Handwerkszweigen nach. Elayne hatte an diesem Morgen bereits drei Uhrmacherläden entdeckt! In ihrer unmittelbaren Sicht befanden sich zwei Geschäfte, die mundgeblasenes Glas verkauften; nördlich der Stadt hatte man fast dreißig Manufakturen erbaut. Von jetzt an würde Caemlyn Glas nicht mehr importieren, sondern exportieren. Die Stadt verfügte jetzt auch über Spitzenklöppler, produzierte Waren, die mindestens genauso gut wie die aus Lugard waren, und das war auch kein Wunder, da die meisten Hersteller von dort kamen.

Das hellte Elaynes Laune etwas auf — die Steuern, die diese neuen Handwerksbetriebe abführten, würden helfen, auch wenn es einige Zeit dauern würde, bevor sie viel einbrachten —, doch es waren die anderen, die ihr in der Menge am deutlichsten auffielen. Ob Fremde oder Andoraner, die bewaffneten Söldner waren am einfachsten auszumachen, Männer mit harten Gesichtern und Schwertern, die selbst dann noch großspurig daherschritten, wenn die Masse ihr Tempo zu einem Kriechen verlangsamte. Die Wächter der Kaufleute waren ebenfalls bewaffnet, grobe Gesellen, die jene Männer, die ihnen den Weg versperrten, einfach zur Seite stießen, aber verglichen mit den Mietkämpfern zurückhaltend und nüchtern erschienen. Und im Großen und Ganzen weniger Narben aufzuweisen hatten. Söldner waren in der Menge verstreut wie Rosinen in einem Kuchen. Da sie auf eine so große Ansammlung zurückgreifen konnte und da es im Winter immer wenig Bedarf für ihre Dienste gab, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie zu teuer für sie sein würden. Es sei denn, sie würden sie Andor kosten, wie Dyelin befürchtete. Irgendwie musste sie genug Männer finden, sodass die Ausländer in der Königlichen Garde nicht die Überzahl bildeten. Und genug Geld, um sie bezahlen zu können.

Abrupt wurde sie sich Birgitte bewusst. Sie war wütend — das war sie in letzter Zeit öfters — und kam näher. Sogar sehr wütend, und sie näherte sich rasch. Eine unheilvolle Kombination, die in Elaynes Kopf die Alarmglocken läuten ließen.

Sofort befahl sie die Rückkehr zum Palast und zwar auf dem kürzesten Weg — den würde auch Birgitte benutzen; der Bund zwischen ihnen würde sie geradewegs zu Elayne führen —, und sie nahmen die nächste Abzweigung nach Süden und betraten die Nadelstraße. Es handelte sich um eine ziemlich breite Straße, obwohl sie sich wie ein Fluss wand, den einen Hügel hinunter und den nächsten hinauf, aber vor Generationen hatte es hier nichts als Nadelmacher gegeben. Jetzt drängten sich ein paar kleine Schenken und Gasthäuser zwischen Messerschmieden und Schneidern und allen Arten von Läden — nur keine Nadelmacher mehr.

Sie hatten die Innenstadt noch nicht ganz erreicht, als Birgitte in der Birnengasse zu ihnen stieß, in der ein paar Obsthändler noch immer an Läden festhielten, die seit den Tagen Isharas weitervererbt worden waren, auch wenn zu dieser Jahreszeit in ihren Auslagen nur wenig zu sehen war. Trotz der Menge galoppierte Birgitte mit wehendem rotem Umhang heran, dass Leute rechts und links zur Seite sprangen, und zügelte ihre graue Stute erst, als sie Elayne entdeckte.

Als wollte sie sich für ihre Eile entschuldigen, nahm sie sich einen Augenblick Zeit, um die Gardistinnen zu mustern und Caseilles Gruß zu erwidern, bevor sie ihr Pferd an Elaynes Seite lenkte. Im Gegensatz zu den Frauen trug sie weder Rüstung noch Schwert. Die Erinnerungen an ihre früheren Leben verblassten — sie meinte, sich so gut wie gar nicht mehr an die Zeit vor der Gründung der Weißen Burg zu erinnern, auch wenn gelegentlich noch Fragmente in ihr aufstiegen —, aber an eine Sache behauptete sie sich ganz deutlich erinnern zu können. Jedes Mal, wenn sie versucht hatte, ein Schwert zu benutzen, war sie beinahe gestorben, und ein paar Mal sogar tatsächlich. Ihr gespannter Bogen steckte in einem Sattelhalfter aus Leder, ein mit Pfeilen gefüllter Köcher hing an der anderen Seite. In ihr brodelte es vor Wut und die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich noch, als sie sprach.

»Eine halb erfrorene Taube mit einer Nachricht von Aringill erreichte vor kurzer Zeit den Palast. Die Männer, die Naean und Elenia begleiteten, wurden keine fünf Meilen von der Stadt entfernt überfallen und getötet. Glücklicherweise fand eines ihrer Pferde mit einem blutigen Sattel den Weg zurück, sonst hätten wir wochenlang nichts davon erfahren. Ich bezweilfe, dass wir so viel Glück haben, dass die beiden von Straßenräubern für Lösegeld gefangen gehalten werden.«

Feuerherz tänzelte ein paar Schritte und Elayne zügelte ihn hart. Jemand aus der Menge rief etwas, das ein Hoch auf Trakand gewesen sein mochte. Oder auch nicht. Die Ladenbesitzer, die ihre Waren anpriesen, machten genug Lärm, um die Worte zu übertönen. »Also haben wir einen Spion im Palast«, sagte sie und presste die Lippen aufeinander; sie wünschte sich, in Sareithas Anwesenheit den Mund gehalten zu haben.

Birgitte schien das egal zu sein. »Es sei denn, wir hätten hier irgendwo einen Ta'veren herumlaufen, von dem wir nichts wissen«, erwiderte sie trocken. »Vielleicht lässt du mich dir jetzt eine Leibwache zuteilen. Nur ein paar der Gardistinnen, mit Sorgfalt ausgesucht und ...«

»Nein!« Der Palast war ihr Zuhause. Sie würde dort nicht bewacht werden. Sie warf der Braunen einen Blick zu und seufzte. Sareitha hörte sehr genau zu. Es war sinnlos, jetzt noch den Versuch zu unternehmen, etwas verbergen zu wollen. Nicht das hier. »Hast du es der Haushofmeisterin gesagt?«

Der eher gemäßigte Zornesausbruch, der sie durch ihren Bund erreichte, und Birgittes Blick beschieden ihr, sie solle gehen und ihrer Großmutter das Stricken beibringen. »Sie will jeden Diener befragen, der nicht mindestens seit fünf Jahren im Dienst deiner Mutter steht. Ich weiß nicht, ob sie sie nicht sogar der Folter unterziehen will. Ihr Gesichtsausdruck, als ich es ihr sagte ... Ich war froh, dass ich mit heiler Haut aus ihrem Kontor rauskam. Ich selbst sehe mir die anderen an.« Sie meinte die Garde, wollte das aber in Hörweite von Caseille und den anderen nicht aussprechen. Elayne hielt das für unwahrscheinlich. Die ununterbrochene Rekrutierung gab jedermann die perfekte Gelegenheit, einen Spion einzuschleusen, auch wenn man keine Gewissheit haben konnte, dass dieser jemals einen Platz einnehmen würde, an dem er etwas Wissenswertes in Erfahrung bringen konnte.

»Falls im Palast Spione sind«, sagte Sareitha ruhig, »könnte es dort auch noch Schlimmeres geben. Vielleicht solltet Ihr Lady Birgittes Vorschlag annehmen. Es gibt da Präzedenzfälle.« Birgitte zeigte der Braunen ihre Zähne; als Lächeln war es ein völliger Fehlschlag. Obwohl sie es hasste, mit ihrem Titel angesprochen zu werden, sah sie Elayne hoffnungsvoll an.

»Ich habe nein gesagt und ich meine es auch so!«, fauchte Elayne. Ein Bettler, der sich mit einem breiten Lächeln, das seine Zahnlücken offenbarte, und seiner Mütze in der Hand dem Kreis aus sich langsam bewegenden Reitern näherte, zuckte zusammen und tauchte in der Menge unter, bevor sie überhaupt daran denken konnte, nach ihrem Geldbeutel zu greifen. Sie vermochte nicht zu sagen, wie viel von der Wut ihre eigene oder Birgittes war, aber sie war angemessen.

»Ich hätte sie selbst holen sollen«, knurrte sie verbittert. Stattdessen hatte sie für den Boten ein Wegetor gewoben und den Rest des Tages mit Besprechnungen mit Kaufleuten und Bankiers verbracht. »Zumindest hätte ich aus der Garnison von Aringill genug Männer für eine Eskorte abziehen sollen. Zehn Männer sind tot, weil ich einen Fehler gemacht habe! Schlimmer noch —das Licht stehe mir bei, es ist schlimmer! —, ich habe deshalb Elenia und Naean verloren!«

Birgittes dichter goldfarbener Zopf, der über ihren Umhang hing, schwang hin und her, als sie energisch den Kopf schüttelte. »Erstens rennen Königinnen nicht los, um alles selbst zu erledigen. Sie sind verdammt noch mal die Königin!« Ihr Zorn ließ etwas an Heftigkeit nach, aber an der Oberfläche brodelte Gereiztheit, und ihr Ton enthielt beides. Sie wollte wirklich, dass Elayne eine Leibwache bekam, vermutlich sogar in ihrem Bad. »Die Tage deiner Abenteuer sind vorbei. Als Nächstes schleichst du dich noch in Verkleidung aus dem Palast, spazierst nachts herum, um dir von irgendeinem Halunken, den du nicht mal wahrgenommen hast, den Schädel einschlagen zu lassen.«

Elayne richtete sich in ihrem Sattel auf. Birgitte wusste natürlich Bescheid — Elayne wusste nicht, wie sie den Bund umgehen konnte, obwohl sie davon überzeugt war, dass es eine Möglichkeit gab —, aber die Frau hatte kein Recht, es hier zur Sprache zu bringen. Wenn Birgitte genug Andeutungen machte, würde sie die anderen Schwestern auf die Idee bringen, ihr mit ihren Behütern zu folgen und vermutlich ganzen Abteilungen der Königlichen Garde noch dazu. Jeder hatte nichts anderes im Sinn als ihre Sicherheit. Man hätte annehmen können, sie wäre nie in Ebou Dar gewesen, von Tanchico oder gar Falme ganz abgesehen. Außerdem hatte sie es bloß einmal getan. Bis jetzt. Und Aviendha hatte sie begleitet.

»Kalte, dunkle Straßen können mit einem warmen Feuer und einem guten Buch nicht mithalten«, meinte Sareitha beiläufig, als würde sie mit sich selbst sprechen. Sie musterte die Geschäfte, an denen sie vorbeikamen, und schien sich sehr für sie zu interessieren. »Ich selbst gehe ausgesprochen ungern über eine vereiste Straße, vor allem in der Dunkelheit, und dann noch ohne Kerze. Junge, hübsche Frauen glauben oft, einfache Kleidung und ein schmutziges Gesicht würden sie unsichtbar machen.« Dieser Richtungswechsel kam so plötzlich, ohne die geringste Veränderung im Tonfall, dass Elayne zuerst überhaupt nicht begriff, was sie da hörte. »Niedergeschlagen und von betrunkenen Raufbolden in eine Gasse gezerrt zu werden, das ist eine harte Lektion, wenn man es auf diese Weise lernen muss. Wenn man natürlich das Glück hat, eine Freundin dabeizuhaben, die ebenfalls die Macht lenken kann, wenn man das Glück hat, dass der Schläger einen nicht so hart trifft, wie er sollte... Nun, man kann nicht immer Glück haben. Stimmt Ihr mir da nicht zu, Lady Birgitte?«

Elayne schloss die Augen. Aviendha hatte behauptet, jemand würde ihnen folgen, aber sie war sich sicher gewesen, dass es sich nur um einen Straßenräuber gehandelt hatte. Darüber hinaus hatte es sich nicht so abgespielt. Jedenfalls nicht genau. Birgittes finsterer Blick versprach eine Unterhaltung — später. Sie wollte einfach nicht verstehen, dass eine Behüterin ihre Aes Sedai nicht heruntermachte, niemals.

»Zweitens, ob nun zehn Mann oder fast dreihundert, es wäre das gleiche verdammte blutige Ende gewesen«, fuhr Birgitte grimmig fort. »Soll man mich doch zu Asche verbrennen, aber es war ein guter Plan. Ein paar Männer hätten Naean und Elenia unbemerkt nach Caemlyn schaffen können. Die Garnison zu leeren hätte jeden Schurken aus dem Osten Andors angelockt und wer auch immer die beiden Frauen nun hat, hätte genug Bewaffnete mitgebracht, um sein Ziel zu erreichen. Und vermutlich würden sie Aringill obendrein jetzt auch noch besetzt halten. So klein die Garnison auch ist, Aringill verunsichert jeden, der im Osten etwas gegen dich unternehmen will, und je mehr Gardisten aus Cairhien kommen, umso besser, da sie dir fast alle treu ergeben sind.« Für jemanden, der vorgab, nur eine einfache Bogenschützin zu sein, verstand sie die Situation ganz gut. Sie hatte nur eines nicht erwähnt und zwar den Verlust der Zölle aus dem Flusshandel.

»Wer hat sie denn nun abgefangen, Lady Birgitte?«, fragte Sareitha und beugte sich vor, um an Elayne vorbeizusehen. »Das ist doch sicherlich eine sehr wichtige Frage.« Birgitte seufzte laut, es klang beinahe wie ein Wimmern.

»Ich fürchte, das werden wir früh genug erfahren«, sagte Elayne. Die Braune schenkte ihr einen zweifelnden Blick, und sie versuchte, nicht mit den Zähnen zu knirschen. Das schien sie seit ihrer Heimkehr sehr oft zu tun.

Eine Tarabonerin in einem grünen Seidenumhang ging den Pferden aus dem Weg und machte einen tiefen

Hofknicks; ihre dünnen Zöpfe, in die Perlen geflochten waren, schwangen aus der Kapuze. Ihre Dienerin, eine kleine Frau, die die Arme voller kleiner Päckchen hatte, ahmte ihre Herrin unbeholfen nach. Die beiden großen Männer, die sich dicht hinter ihnen hielten, Leibwächter mit eisenbeschlagenen Stäben, blieben aufrecht und aufmerksam. Ihre langen Ledermäntel würden so gut wie jeden Messerstich abfangen.

Elayne neigte den Kopf, als sie vorbeiritten, um die Höflichkeit der Tarabonerin zu erwidern. Bis jetzt hatte sie von den Andoranern auf der Straße nichts dergleichen empfangen. Das hübsche Gesicht hinter dem Schleier der Frau zeigte ein zu hohes Alter, als dass es sich um eine Aes Sedai hätte handeln können. Licht, sie hatte genug um die Ohren, um sich jetzt auch noch Sorgen wegen Elaida zu machen!

»Es ist ganz einfach, Sareitha«, sagte sie mit sorgfältig kontrollierter Stimme. »Wenn sie bei Jarid Sarand sind, wird Elenia Naean vor eine Wahl stellen. Sie überlässt Elenia Arawn und bekommt dafür ein paar Güter, um den Handel zu versüßen, oder man wird ihr irgendwo in einer abgeschiedenen Zelle die Kehle durchschneiden und ihre Leiche hinter einer Scheune verscharren. Naean wird nicht so ohne weiteres nachgeben, aber ihr Haus streitet sich bis zu ihrer Rückkehr, wer nun die Führung hat, also werden sie zittern. Elenia wird ihr Folter androhen und vielleicht auch anwenden und schließlich wird Arawn für Elenia hinter Sarand stehen. Und bald werden sich ihm Anshar und Baryn anschließen; sie werden dorthin gehen, wo sie Stärke sehen. Haben Naeans Leute sie, wird sie Elenia vor die gleiche Wahl stellen, aber Jarid wird über Arawn herfallen, es sei denn, Elenia hält ihn davon ab, und das wird sie nicht, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass er sie rettet. Also können wir nur hoffen, dass wir in den nächsten Wochen die Nachricht erhalten, dass arawni-sehe Güter niedergebrannt werden. Wenn nicht, muss ich mich verbündeten Häusern entgegenstellen, dachte sie, und ich weiß noch immer nicht, ob ich überhaupt zwei hinter mir habe.

»Das ist... sehr gründlich überlegt«, bemerkte Sareitha und klang etwas überrascht.

»Ich bin sicher, Ihr wärt auch darauf gekommen, wenn Ihr die nötige Zeit gehabt hättet«, erwiderte Elayne honigsüß und verspürte einen Hauch der Befriedigung, als die andere Schwester blinzelte. Licht, ihre Mutter hätte so etwas von ihr erwartet, als sie zehn war!

Der Rest des Ritts zum Palast verlief schweigend und sie hatte kaum einen Blick für die hellen mosaikverzierten Türme und großartigen Alleen der Innenstadt übrig. Stattdessen dachte sie über Aes Sedai in Caemlyn und Spione im Königlichen Palast nach, wer Elenia und Naean befreit hatte und wie sehr Birgitte die Rekrutierung beschleunigen konnte, und ob wohl die Zeit gekommen war, das Tafelgeschirr des Palasts und den Rest ihrer Juwelen zu verkaufen. Es war eine düstere Liste, die sie da in Gedanken durchging, aber sie hielt ihr Gesicht reglos und nahm den gelegentlichen Jubel, der sie begleitete, mit Erhabenheit zur Kenntnis. Eine Königin sollte sich nicht ängstlich zeigen, vor allem, wenn sie es war.

Der Königliche Palast mit den schneeweißen Erkern, Baikonen und Säulengängen erhob sich auf dem höchsten Hügel der Innenstadt, dem höchsten von ganz Caemlyn. Seine schlanken Türme und goldenen Kuppeln erstreckten sich in den mittäglichen Himmel; meilenweit sichtbar kündeten sie von Anders Macht. Große Auftritte und Verabschiedungen fanden vorn auf dem Königinnenplatz statt, wo sich in der Vergangenheit große Menschenmengen versammelt hatten, um die Proklamation ihrer Königin zu hören und ihre Zustimmung für Andors Herrscherin lautstark zu verkünden.

Elayne betrat den Palast durch die Rückseite, Feuerherz' beschlagene Hufe klirrten auf dem Steinpflaster, als sie in den Stallhof trottete. Es war ein großer Hof, der an zwei Seiten von Reihen hoher bogenförmiger Stalltore flankiert wurde und auf den ein langer weißer Steinbalkon hinaussah. Mehrere der in der Höhe befindlichen Säulengänge boten einen Ausblick nach unten; allerdings war das hier ein Ort, an dem gearbeitet wurde.

Vor der einfachen Kolonnade, die den Zugang zum Palast gewährte, standen ein Dutzend Angehörige der Königlichen Garde, die die Gardisten auf dem Königinnenplatz ablösen sollten, neben ihren Pferden und wurden von ihrem Unterleutnant inspiziert, einem ergrauten Burschen mit lahmem Bein, der unter Gareth Bryne Bannerträger gewesen war. Vor der Außenmauer saßen gerade dreißig weitere Männer auf, die in Zweiergruppen in der Innenstadt auf Patrouille gingen. In normalen Zeiten wären es Gardisten gewesen, deren Hauptpflicht darin bestanden hätte, auf den Straßen für Ordnung zu sorgen, aber da ihre Zahl so reduziert war, mussten diejenigen, die den Palast beschützten, diese Aufgabe mit übernehmen. Careane Fransi war ebenfalls anwesend, eine stämmige Frau in einem eleganten, grün gestreiften Reitgewand und blaugrünem Umhang, die auf ihrem grauen Wallach saß, während Venr Kosaan, einer ihrer Behüter, auf seinen Braunen stieg. Der spindeldürre Mann, in dessen dicht gelocktem Haar und Bart graue Strähnen zu sehen waren, trug einen schlichten braunen Umhang. Anscheinend wollten sie der Welt nicht verkünden, wer sie waren.

Elaynes Ankunft rief auf dem Stallhof Überraschung hervor. Natürlich nicht bei Careane oder Kosaan. Die Grüne sah in der schützenden Kapuze ihres Umhangs lediglich nachdenklich aus, und Kosaan nicht mal das. Er nickte Birgitte und Yarman lediglich knapp zu, Behüter zu Behüter. Ohne weiteren Blick ritten sie los, sobald die letzte Frau von Elaynes Eskorte das mit Eisen beschlagene Tor passiert hatte. Aber ein paar der Gardisten, die entlang der Mauer aufsaßen, verharrten mit einem Fuß im Steigbügel und starrten sie an, bei den Männern, die zur Inspektion angetreten waren, fuhren Köpfe zu den Neuankömmlingen herüber. Elayne war nicht vor mindestens einer weiteren Stunde zurückerwartet worden, und von ein paar Leuten abgesehen, die nie über ihre derzeitige Beschäftigung hinausdachten, wusste jeder im Palast, dass die Situation unbeständig war. Unter Soldaten verbreiteten sich Gerüchte noch schneller als unter Zivilisten, und das Licht wusste, dass die Art und Weise, wie sie untereinander Spekulationen austauschten, viel über sie aussagte. Sie mussten wissen, dass Birgitte in aller Eile aufgebrochen war, und jetzt kehrte sie vor der Zeit mit Elayne zurück. Marschierte eines der anderen Häuser gegen Caemyln? Zum Angriff bereit? Würde man sie auf die Mauern befehlen, die sie nicht ausreichend besetzen konnten, nicht mal mit den Leuten, die Dyelin in der Stadt zur Verfügung standen? Augenblicke der Überraschung und der Sorge verstrichen, dann brüllte der Unterleutnant einen Befehl, und Augen sahen ruckartig geradeaus, und Arme schnappten salutierend quer über die Brust. Von dem ehemaligen Bannerträger abgesehen waren nur drei Mann schon länger als wenige Tage in den Musterrollen eingetragen, aber hier gab es keine grüne Rekruten.

Stallknechte in roten Mänteln, auf deren Schulter der Weiße Löwe aufgestickt war, eilten aus dem Stall, obwohl es eigentlich nicht viel für sie zu tun gab. Die Gardistinnen stiegen auf Birgittes Befehl hin leise ab und führten ihre Pferde durch die hohen Tore. Sie selbst sprang aus dem Sattel und warf einem Stallknecht die Zügel zu, und sie war nicht schneller als Yarman, der zu Sareithas Pferd eilte, um dessen Zaumzeug zu halten, während sie abstieg. Er gehörte zu denen, die einige Schwestern als »frisch gefangen« bezeichneten — der Begriff stammte aus der Zeit, als Behüter nicht immer gefragt worden waren, ob sie den Bund eingehen wollten. Yarman war noch kein ganzes Jahr mit ihr verbunden und nahm seine Pflichten sehr ernst. Birgitte stand bloß stirnrunzelnd da, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und sah anscheinend zu, wie die Männer, die für die nächsten vier Stunden in der Innenstadt patrouillieren würden, in Zweierreihen losritten. Elayne wäre allerdings überrascht gewesen, hätte Birgitte an die Männer mehr als nur einen flüchtigen Gedanken verschwendet.

Sie hatte ihre eigenen Sorgen. Während sie abstieg, musterte sie die drahtige Frau, die Feuerherz' Trense hielt, und den stämmigen Burschen, der den lederbezogenen Aufsitzschemel hinstellte und ihren Steigbügel hielt; sie versuchte, sich ihr Interesse nicht anmerken zu lassen. Er verzog stoisch keine Miene, während sie darin versunken war, die Nase des Wallachs zu streicheln und ihm zuzuflüstern. Keiner von ihnen schenkte Elayne nach einem respektvollen Zunicken weitere Aufmerksamkeit; Höflichkeiten waren weniger wichtig als dafür zu sorgen, dass sie nicht von einem Pferd abgeworfen wurde, das vor sich verbeugenden Leuten scheute. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie ihre Hilfe nicht brauchte. Sie war nicht mehr auf dem Land, es galt Umgangsformen zu beachten. Trotzdem bemühte sie sich, ein Stirnrunzeln zu unterdrücken. Sie ließ die Stallbediensteten Feuerherz fortführen und sah ihnen nicht nach. Aber sie hätte es gern getan.

Die fensterlose Eingangshalle jenseits der Kolonnade erschien düster, obwohl ein paar der verspiegelten Kandelaber entzündet worden waren. Es handelte sich um einfache Lampen, deren Eisenteile zu simplen Spiralen geformt waren. Alles war schlicht, die verputzten Simse schmucklos, die weißen Steinwände nackt und glatt. Ihre Ankunft hatte sich herumgesprochen, und sie waren noch nicht richtig eingetreten, als ein halbes Dutzend Männer und Frauen unter ständigen Verbeugungen erschienen, um Umhänge und Handschuhe entgegenzunehmen. Ihre Livreen unterschieden sich von dem Stallpersonal insofern, dass sie weiße Kragen und Ärmelaufschläge hatten und der Löwe von Andor auf der linken Brust prangte statt auf der Schulter. Elayne erkannte keinen von ihnen. Die meisten Palastbediensteten waren neu, andere waren aus dem Ruhestand gekommen, um die Plätze derjenigen einzunehmen, die aus Angst geflohen waren, als Rand die Stadt erobert hatte. Ein kahlköpfiger Bursche mit einem offenen Gesicht wich ihrem Blick aus, aber vielleicht fürchtete er auch nur, zu dreist zu erscheinen. Eine schlanke junge Frau mit ständig zusammengekniffenen Augen legte etwas zu viel Enthusiasmus in ihren Hofknicks und ihr Lächeln, aber vielleicht wollte sie nur Pflichteifer zeigen. Elayne ging weiter, gefolgt von Birgitte, bevor sie anfing, sie anzustarren. Misstrauen hatte einen bitteren Geschmack.

Sareitha und ihr Behüter verließen sie nach ein paar Schritten, die Braune murmelte eine Entschuldigung; sie wollte in die Bibliothek, um dort ein paar Bücher einzusehen. Die Sammlung war nicht klein, auch wenn sie nicht mit den Großen Bibliotheken zu vergleichen war, und sie verbrachte dort jeden Tag einige Stunden und zog häufig vom Alter verblichene Bände hervor, die ihr an anderen Orten unbekannt waren. Yarman folgte ihr wie ein Schatten, als sie in einen abzweigenden Korridor rauschte; ein dunkler, pummeliger Schwan, der einen seltsam anmutigen Storch hinter sich herzog. Er trug noch immer seinen sinnverwirrenden Umhang, diesmal ordentlich zusammengefaltet über dem Arm. Behüter gaben sie nur selten für länger aus der Hand. Kosaans Umhang befand sich vermutlich in seiner Satteltasche verstaut.

»Möchtest du einen Behüterumhang haben, Birgitte?«, fragte Elayne im Gehen. Nicht zum ersten Mal beneidete sie Birgitte um ihre ausladenden Hosen. Selbst in den abgenähten Reitröcken konnte man sich nur mit Mühe schneller als im Schritttempo bewegen. Wenigstens trug sie Reitstiefel anstelle von Samtschuhen. Die nackten rotweißen Bodenfliesen wären in Samtschuhen eiskalt gewesen. Es gab nicht genug Teppiche, um sowohl die Gemächer als auch die Korridore auszulegen; davon abgesehen wären sie von dem ständigen Strom der Diener, die den Palast instand hielten, in kürzester Zeit abgelaufen gewesen. »Sobald Egwene die Weiße Burg übernommen hat, lasse ich dir einen machen. Du solltest einen haben.«

»Mich interessieren diese verdammten Umhänge nicht«, erwiderte Birgitte grimmig. Eine Unheil verkündende Miene verwandelte ihren Mund in einen schmalen Strich. »Es war so schnell vorbei, dass ich glaubte, du wärst verdammt noch mal gestolpert und hättest dir den verdammten Kopf angeschlagen. Blut und Asche! Von ein paar Straßenschlägern niedergeschlagen! Das Licht allein weiß, was hätte passieren können!«

»Es ist keine Entschuldigung nötig, Birgitte.« Wut und Empörung strömten durch den Bund, aber sie wollte den Vorteil ergreifen. Birgittes Schelte war schon schlimm genug, wenn sie allein waren; sie würde es sich nicht in den Gängen des Palasts bieten lassen, wo überall Diener umhereilten, das Schnitzwerk auf den holzvertäfelten Wänden polierten oder die in diesem Teil des Gebäudes vergoldeten Kandelaber warteten. Sie hielten kaum inne, um Birgitte und sie schweigend zu grüßen, aber zweifellos fragte sich jeder, warum der weibliche Generalhauptmann so finster aussah, und sie hatten die Ohren weit aufgesperrt, um so viel wie möglich aufzuschnappen. »Du warst nicht da, weil ich es nicht wollte. Ich wette, dass Sareitha ihren Ned auch nicht dabei hatte.« Eigentlich war es unvorstellbar gewesen, dass sich Birgittes Gesicht noch mehr verdüsterte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Sareitha zu erwähnen. Elayne wechselte das Thema. »Du musst wirklich etwas wegen deiner Ausdrucksweise tun. Allmählich klingst du wie der schlimmste Tagedieb.«

»Meine ... Ausdrucksweise?«, murmelte Birgitte auf gefährliche Weise. Selbst ihre Schritte hatten sich verändert, jetzt ähnelten sie denen einer umherstreifenden Wildkatze. »Du beklagst dich über meine Ausdrucksweise? Ich weiß wenigstens, was die Worte, die ich benutze, bedeuten. Ich weiß wenigstens, was angebracht ist und was nicht.« Elaynes Wangen liefen rot an, ihr Nacken versteifte sich. Sie wusste das auch! Jedenfalls meistens. Oder zumindest oft genug. »Und was Yarman angeht«, fuhr Birgitte mit noch immer leiser und gefährlicher Stimme fort, »so ist er ein guter Mann, aber er schwebt auf rosaroten Wolken, weil er Behüter ist. Vermutlich springt er, wenn Sareitha mit den Fingern schnippt. Ich habe nie auf rosaroten Wolken geschwebt und ich springe nicht. Hast du mir deshalb einen Titel aufgebürdet? Hast du geglaubt, mich damit zu zügeln? Wäre nicht der erste dumme Gedanke in deinem Kopf gewesen. Für jemanden, der die meiste Zeit so klar denkt... Nun. Auf mich wartet ein Schreibtisch, der unter verfluchten Berichten begraben ist, durch die ich mich hindurchkämpfen muss, wenn du auch nur die Hälfte der Gardisten bekommen sollst, die du haben willst. Aber heute Abend werden wir eine nette, lange Unterhaltung führen. Meine Lady«, fügte sie entschieden hinzu. Viel zu entschieden. Ihre Verbeugung war fast schon auf spöttische Weise formell. Sie ging mit langen, raubtierhaften Schritten fort und ihr langer goldfarbener Zopf hätte sich eigentlich sträuben müssen wie der Schwanz einer wütenden Katze.

Elayne stampfte wütend mit dem Fuß auf. Birgittes Titel war eine wohlverdiente Belohnung, allein seit dem Beginn ihres Bundes hatte sie sich ihn zehnmal verdient! Und zehntausend Mal davor. Nun, sie hatte an das gedacht, was Birgitte da angedeutet hatte, aber erst danach. Es hatte sowieso nicht viel genutzt. Ob die Befehle nun von ihrer Lehnsherrin oder der Aes Sedai kamen, Birgitte suchte sich die aus, denen sie gehorchte. Nicht, wenn es wichtig war — zumindest nicht, wenn sie es für wichtig erachtete —, aber bei allen anderen Dingen, vor allem denen, die sie unnötige Risiken oder ungehöriges Benehmen nannte. Als könnte Birgitte Silberbogen anderen etwas von unnötigen Risiken erzählen. Und was das richtige Benehmen anging: Birgitte trieb sich in Tavernen herum! Sie trank und spielte, außerdem machte sie hübschen Männern schöne Augen! Sie betrachtete gern die Gutaussehenden, obwohl sie jene vorzog, die aussahen, als hätten sie sich oft geprügelt. Elayne wollte sie nicht ändern — sie bewunderte die Frau, mochte sie, betrachtete sie als Freundin —, aber sie wünschte sich, ihre Beziehung wäre mehr wie die zwischen Behüter und Aes Sedai. Und viel weniger wie die einer älteren Schwester zu ihrer unscheinbaren jüngeren.

Abrupt wurde sie sich bewusst, dass sie dastand und finster ins Leere starrte. Diener gingen zögernd an ihr vorbei und senkten die Köpfe, als fürchteten sie, ihr Blick könnte auf sie fallen. Sie entspannte ihre Miene und gab einem hoch aufgeschossenen, pickelgesichtigen Jüngling, der ihr entgegenkam, ein Zeichen. Er verneigte sich so unbeholfen und tief, dass er stolperte und beinahe gestürzt wäre.

»Finde Frau Harfor und bitte sie, sofort zu mir in meine Gemächer zu kommen«, befahl sie ihm und fügte dann mit nicht unfreundlicher Stimme hinzu, »und vergiss nicht, deine Vorgesetzten werden nicht erfreut sein, wenn sie dich beim Herumstreunen im Palast erwischen, da du doch bei der Arbeit sein solltest.« Ihm klappte das Kinn herunter, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Vielleicht dachte er tatsächlich, dass sie es getan hatte. Seine weit aufgerissenen Augen huschten zu ihrem Großen Schlangenring, und er quiekte auf und machte eine noch tiefere Verbeugung, bevor er davonstürmte.

Wider Willen musste sie lächeln. Es war nur eine wilde Vermutung gewesen, aber er war zu jung, um irgendjemandes Spion zu sein, und zu nervös, um nicht etwas vorzuhaben, das er nicht durfte. Andererseits ... Ihr Lächeln verblasste. Andererseits war er gar nicht so viel jünger, als sie es war.

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