28 Neuigkeiten in einem Kleidersack

An dem Morgen, nachdem Mat versprochen hatte, falls möglich Teslyn zu helfen — und Joline und dieser Edesina, die er bis jetzt noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte! —, verkündete Tylin, dass sie die Stadt verlassen würde.

»Suroth will mir zeigen, wie viel von Altara ich jetzt kontrolliere, mein Täubchen«, sagte sie. Ihr Gürtelmesser steckte in dem geschnitzten Bettpfosten und sie lagen zwischen zerwühlten Decken. Er trug nur das Seidentuch, das die Henkersnarbe an seinem Hals verbarg, und sie nur ihre Haut. Es war eine wirklich schöne Haut, so zart wie keine, die er je berührt hatte. Gedankenverloren zeichnete sie mit einem langen, grün lackierten Fingernagel seine anderen Narben nach. Auf die eine oder andere Weise hatte er eine stattliche Anzahl davon errungen, obwohl er sich immer bemüht hatte, sie zu vermeiden. Auf einer Auktion würde sein Fell nicht viel einbringen, so viel stand fest, aber die Narben faszinierten sie. »Eigentlich war das gar nicht ihre Idee. Tuon glaubt, es würde mir helfen... wenn ich es mit eigenen Augen sehe statt nur auf einer Karte, und Suroth tut, was das Mädchen vorschlägt. Aber sie hätte gern, wenn es schon gestern geschehen wäre. Wir werden mit To'raken reisen, um die Entfernung schnell zurückzulegen. Anscheinend zweihundert Meilen an einem Tag. Oh, kein Grund, so grün im Gesicht zu werden, Schweinchen. Ich werde dich schon nicht auf eines dieser Dinger steigen lassen.«

Mat stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ihn hatte nicht die Vorstellung aufgebracht, fliegen zu müssen. Er konnte sich vorstellen, dass er daran sogar Gefallen finden würde. Aber wenn er Ebou Dar für einige Zeit verließ, wusste nur das Licht allein, ob Teslyn oder Joline oder vielleicht sogar diese Edesina nicht ungeduldig genug wurden, um eine Dummheit anzustellen. Ganz davon abgesehen, welchen Unfug Beslan im Sinn hatte. Beslan, der Sohn Tylins, bereitete ihm fast so viele Sorgen wie die Frauen. Tylin fand die Vorstellung, auf einer der seanchanischen Bestien fliegen zu dürfen, offensichtlich aufregend, und sie sah mehr denn je wie ein Adlerweibchen aus.

»Ich werde länger als eine Woche unterwegs sein, mein Süßer. Hm.« Der grüne Fingernagel fuhr über die fußlange wulstige Narbe auf seinen Rippen. »Soll ich dich ans Bett fesseln, damit ich dich bis zu meiner Rückkehr in Sicherheit weiß?«

Ihr durchtriebenes Lächeln mit seinem gewinnendsten Grinsen zu erwidern kostete ihn Mühe. Er war sich ziemlich sicher, dass sie scherzte, aber eben nur ziemlich. Die Sachen, die sie ihm für den heutigen Tag herausgesucht hatte, kleideten ihn in ein Rot, das grell genug war, um in den Augen zu schmerzen; die einzige Ausnahme machten die Blumen, die Mantel und Umhang schmückten, sein schwarzer Hut und das Halstuch. Die weiße Spitze an Hals und Handgelenken ließen den Rest noch roter aussehen. Trotzdem schlüpfte er hinein, denn er hatte es eilig, aus ihren Gemächern herauszukommen. Bei Tylin war dies nur klug, wenn ein Mann sich seiner Sache nicht sicher war. Möglicherweise hatte sie ja doch keinen Scherz gemacht.

Anscheinend hatte Tylin nicht übertrieben, was Suroths Ungeduld anging. In weniger als zwei von der juwelengeschmückten Zylinderuhr in Tylins Wohnzimmer angezeigten Stunden — ebenfalls ein Geschenk Suroths — begleitete er die Königin zu den Docks. Suroth und Tylin ritten an der Spitze der ungefähr zwanzig Angehörigen des Blutes und ihrer diversen So'jhin — Männer und Frauen, die ihre zur Hälfte rasierten Köpfe vor dem Blut neigten, alle andere aber von oben herab betrachteten. Er ritt auf Pip hinter ihnen her. Der »Liebling« einer altaranischen Königin konnte nicht zusammen mit dem Blut reiten, was Tylin jetzt natürlich mit einschloss. Es war schließlich nicht so, als wäre er ein erbberechtigter Diener oder jemand von vergleichbarem Rang.

Das Blut und die meisten der So'jhin ritten auf prächtigen Tieren, schlanken Stuten mit langen Hälsen und zierlichem Schritt, oder Wallachen mit breiter Brust und glutvollen Augen. Mats Glück schien ihn bei Pferdewetten im Stich zu lassen, aber mit Pip wäre er gegen jeden von ihnen angetreten. Der braune Wallach mit der stumpfen Nase sah nicht nach viel aus, aber Mat war davon überzeugt, dass er allen diesen hübschen Pferden hätte davonlaufen können. Nach der langen Zeit im Stall wollte Pip umhertänzeln, da er nicht laufen konnte, und Mat brauchte sein ganzes Können — nun, das Können, das irgendwie zusammen mit den Erinnerungen anderer Männer kam —, um das Tier unter Kontrolle zu halten. Bevor sie die halbe Strecke zu den Docks zurückgelegt hatten, schmerzte sein Bein bis zur Hüfte. Falls er Ebou Dar in Kürze verlassen wollte, würde es auf dem Meer oder mit Lucas Wanderzirkus sein müssen. Er hatte auch schon eine gute Idee, wie er den Mann dazu bewegen konnte, vor dem Frühling aufzubrechen, falls es notwendig sein sollte. Eine vielleicht gefährliche Idee, aber er hatte keine große Wahl. Die Alternative war noch riskanter.

Er war nicht allein in der Nachhut. Hinter ihm marschierten mehr als fünfzig Männer und Frauen in zwei Reihen, die glücklicherweise dicke weiße Wollgewänder über den durchsichtigen Fähnchen trugen, die sonst ihre Kleidung darstellten. Einige von ihnen führten Packpferde mit großen Korbtaschen voller Delikatessen. Das Blut kam nicht ohne seine Diener aus; tatsächlich schienen sie der Meinung zu sein, dass mit so wenigen kaum die Grundversorgung gewährleistet war. Die Da'covale hoben selten den Blick von den Pflastersteinen und ihre Gesichter waren so demütig wie Milch. Mat war Zeuge gewesen, wie ein Da'covale zu einer Prügelstrafe geschickt worden war, ein blonder Mann in seinem Alter, und der Bursche war gerannt, um das für seine Bestrafung notwendige Instrument zu holen. Er hatte nicht einmal versucht, Zeit zu schinden oder sich gar zu verstecken, er hatte auch nicht versucht, der Bestrafung zu entgehen. Mat konnte solche Leute einfach nicht verstehen.

Vor ihm ritten sechs Sul'dam, deren kurze, abgenähte Röcke ihre Knöchel zeigten. Bei einer oder zweien waren es sehr hübsche Knöchel, aber die Frauen saßen in den Sätteln, als würden sie ebenfalls dem Blut angehören. Die Kapuzen ihrer mit dem Blitz geschmückten Umhänge hingen ihnen auf den Rücken und sie ließen die kalten Windböen die Umhänge anheben, als könnte die Kälte ihnen nichts anhaben. Zwei von ihnen führten angeleinte Damane neben sich her.

Mat musterte die Frauen verstohlen. Eine der Damane, eine kleine Frau mit hellblauen Augen, war durch ein silbernes A'dam mit der pummeligen Sul'dam mit der olivfarbenen Haut verbunden, die er dabei beobachtet hatte, wie sie Teslyn herumführte. Die dunkelhaarige Damane hörte auf den Namen Pura. Er hatte es Teslyn nicht recht geglaubt, als sie behauptet hatte, die Frau wäre zur echten Damane geworden, aber die langsam ergrauende Sul'dam beugte sich auf ihrem Sattel herunter und murmelte der Frau, die einst Ryma Galfrey gewesen war, etwas ins Ohr, und was es auch gewesen sein mochte, Pura lachte und klatschte begeistert in die Hände.

Mat erschauderte. Sie würde verdammt noch mal um Hilfe brüllen, sollte er versuchen, ihr das A'dam abzunehmen. Licht, was dachte er sich nur! Schlimm genug, dass er drei Aes Sedai den Hintern retten musste — sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, anscheinend brauchte er nur zu blinzeln, damit man ihm so etwas aufbürdete! —, das war schlimm genug, ohne jetzt auch noch daran zu denken, noch weitere aus Ebou Dar herauszuschaffen.

Ebou Dar war eine große Hafenstadt, vielleicht sogar der größte Hafen der bekannten Welt; der Kai führte an der ganzen Stadt entlang, und die Docks waren lange graue Steinfinger, die aus ihm hervorstachen. Fast alle Liegeplätze waren mit seanchanischen Schiffen aller Größen belegt, deren Mannschaften in die Takelage geklettert waren und jetzt frenetisch jubelten, als Suroth an ihnen vorbeiritt, ein Chor donnernder Stimmen, die ihren Namen riefen. Die Männer auf den anderen Schiffen winkten und riefen ebenfalls, obwohl viele gar nicht genau zu wissen schienen, wem oder was sie da zujubelten. Zweifellos glaubten sie, dass es von ihnen erwartet würde. Auf diesen Schiffen bewegte der im Hafen wehende Wind die Goldenen Bienen von Illian und die Halbmonde von Tear und den Goldenen Falken von Mayene. Anscheinend hatte Rand den dortigen Kaufleuten nicht befohlen, den Handel mit von den Seanchanern besetzten Häfen einzustellen, oder die Kaufleute taten es hinter seinem Rücken. Farben blitzten in Mats Schädel auf, und er schüttelte den Kopf, um ihn wieder klarzubekommen. Die meisten Kauf leute würden mit dem Mörder ihrer Mutter Geschäfte machen, wenn es ihnen einen Profit einbrachte.

Das südlichste Dock war von Schiffen geräumt worden, und seanchanische Offiziere mit dünnen Federbüschen auf den lackierten Helmen standen bereit, um Suroth und Tylin in eines der großen Ruderboote zu helfen, die auf dem Wasser warteten und deren lange Ruder von acht Mann bedient wurden. Aber erst nachdem Tylin Mat einen Abschiedskuss gegeben hatte, wobei sie ihm beinahe Haare ausriss, als sie seinen Kopf nach unten zog und ihm in den Hintern kniff, als würde verdammt noch mal niemand zusehen! Suroth runzelte ungeduldig die Stirn, bis Tylin in dem Langboot saß, aber selbst dann war die Seanchanerin noch immer nicht zufrieden und scheuchte ihre So'jhin Alwhin mit Fingerschnippen herum, so dass die Frau mit den kantigen Gesichtszügen ständig über die Ruderbänke kletterte, um ihr dieses oder jenes zu holen.

Der Rest des Blutes erhielt tiefe Verbeugungen von den Offizieren, musste die Leitern aber mithilfe ihrer So'jhin hinunterklettern. Die Sul'dam halfen den Domäne in die Boote, aber die weiß gekleideten Diener konnten ihre Körbe und sich selbst allein nach unten schaffen. Kurze Zeit später fuhren die Boote durch den Hafen auf den Ort zu, an dem man Raken und To'raken südlich vom Rahad hielt. Sie suchten sich ihren Weg vorbei an der gewaltigen vor Anker liegenden Flotte der Seanchaner und den Dutzenden gekaperten Schiffen des Meervolks, die das Hafenbecken ausfüllten. Letztere schienen mit den gerippten Segeln der Seanchaner und anderem Tauwerk neu aufgeriggt worden zu sein. Ihre Besatzungen bestanden ebenfalls aus Seanchanern. Mit Ausnahme der Windsucherinnen, an die Mat nicht denken wollte, waren die überlebenden Atha'an Miere alle im Rahad, wo sie zusammen mit den anderen Da'covale die versandeten Kanäle reinigten. Natürlich abgesehen von denen, die man verkauft hatte. Und es gab nichts, das er daran ändern konnte. Er schuldete ihnen nichts, er hatte bereits mehr am Hals, als er bewältigen konnte, und es gab nichts, das er hätte tun können. Mehr gab es dazu nicht zu sagen!

Er wollte sofort losreiten und die Schiffe des Meervolks hinter sich lassen. Niemand auf den Docks schenkte ihm auch nur die geringste Beachtung. Die Offiziere waren gegangen, sobald die Boote abgelegt hatten. Jemand — er wusste nicht wer — hatte die Packpferde fortgeführt. Die Matrosen kletterten aus den Wanten und gingen wieder ihrer Arbeit nach, und die Mitglieder der Gilde der Schauerleute setzten ihre tiefen, schweren und mit Ballen und Kisten und Fässern beladenen Schubkarren wieder in Bewegung. Aber wenn er zu früh ging, konnte Tylin auf die Idee kommen, dass er die Stadt sofort verließ und ihm ihre Männer hinterherschicken, also ließ er Pip am Ende des Docks stehen bleiben und winkte wie ein Narr, bis sie weit genug weg war, um ihn ohne die Hilfe eines Fernglases nicht mehr sehen zu können.

Trotz des pochenden Beins ritt er langsam fast den ganzen Kai ab. Er vermied es, noch einen Blick auf den Hafen zu werfen. Nüchtern gekleidete Kaufleute standen da und sahen zu, wie ihre Fracht gelöscht wurde, steckten gelegentlich Männer oder Frauen in einer grünen Lederweste einen Geldbeutel zu, damit man mit ihren Waren behutsamer umging oder sie mit größerer Schnelligkeit bearbeitete, obwohl es kaum möglich erschien, dass die Gildenleute sich noch schneller bewegten. Südländer schienen sich ohnehin ständig im Laufschritt zu bewegen, solange die Sonne nicht genau über ihnen im Zenit stand und die hier herrschende Hitze eine Ente braten konnte; aber unabhängig davon, wo die Sonne im Augenblick stand, der graue Himmel und der schneidende, vom Meer kommende Wind sorgte sowieso für Kälte.

Als er sich auf der Höhe des Mol Hara befand, hatte er mehr als zwanzig Sul'dam gezählt, die mit Damane die Docks patrouillierten, sich für Boote interessierten, die von den vor Anker gegangenen Schiffen ablegten, die nicht aus Seanchan kamen, und an Bord jedes neu angekommenen Schiffes gingen. Und auch an Bord jener, die bereit waren, ihre Leinen zu lösen. Er war sich ziemlich sicher gewesen, dass sie dort sein würden. Es würde also Valan Luca sein müssen. Die einzige Alternative war zu gefährlich, es sei denn in einer Notlage. Luca hatte auch seine Risiken, aber er stellte die einzige echte Möglichkeit dar, die es noch gab.

Im Tarasin-Palast stieg er mit schmerzverzerrter Miene von Pip und zog den Wanderstab unter dem Sattelgurt hervor. Er überließ das Pferd einem Stallburschen und hinkte hinein; das linke Bein konnte kaum sein Gewicht tragen. Vielleicht würde ein heißes Bad die Schmerzen lindern. Vielleicht würde er dann nachdenken können. Man würde Luca überraschen müssen, aber bevor es so weit war, galt es noch ein paar andere kleine Probleme zu überwinden.

»Ah, da seid Ihr ja«, sagte Noal und blieb vor ihm stehen. Seit Mat dem alten Mann einen Schlafplatz verschafft hatte, hatte er ihn nur selten zu Gesicht bekommen, aber wenn man bedachte, dass er jeden Tag in die Stadt verschwand und erst in der Nacht in den Palast zurückkehrte, sah er in seinem frisch ausgebürsteten grauen Mantel doch wohlausgeruht aus. Er zupfte die Spitze an seinen Ärmeln zurecht und lächelte vertrauensvoll, was seine Zahnlücken enthüllte. »Ihr plant etwas, Lord Mat, und ich möchte Euch meine Dienste anbieten.«

»Ich plane, Gewicht von meinem Bein zu nehmen«, sagte Mat so beiläufig, wie er nur konnte. Noal schien harmlos zu sein. Harnan zufolge erzählte er vor dem Schlafengehen Geschichten, die er und die anderen Rotwaffen zu schlucken schienen, einschließlich der, in der es um einen Ort namens Shibouya ging, der angeblich jenseits der Aiel-Wüste lag und in dem Frauen, die die Macht lenken konnten, tätowierte Gesichter hatten, auf über dreihundert Verbrechen die Todesstrafe stand und unter den Bergen Riesen lebten, Männer, die noch größer als Ogier waren und ihre Gesichter auf den Bäuchen hatten. Er behauptete, dort gewesen zu sein. Niemand, der derartige Behauptungen in die Welt setzte, konnte etwas anderes als harmlos sein. Andererseits, als Mat ihm das eine Mal zugesehen hatte, wie er die langen Dolche benutzte, die er unter dem Mantel trug, war er ihm alles andere als harmlos erschienen. Es gab eine gewisse Art und Weise, wie ein Mann eine Waffe hielt, die besagte, dass er daran gewöhnt war, sie zu benutzen. »Falls ich mich dazu entscheide, etwas anderes zu tun, werde ich an Euch denken.«

Noch immer lächelnd tippte sich Noal mit einem jener verkrümmten Finger an die Hakennase. »Ihr vertraut mir noch nicht. Das ist verständlich. Doch wenn ich Euch schaden wollte, dann hätte ich an jenem Abend in der Gasse einfach nur zusehen brauchen. Ihr habt jenes Glitzern im Auge. Ich habe große Männer gesehen, wie sie ihre Pläne schmiedeten, und auch Schurken so finster wie der Pfühl des Verderbens. Ein Mann, der gefährliche Pläne schmiedet, die nicht bekannt werden sollen, hat einen ganz bestimmten Ausdruck.«

»Meine Augen sind nur müde«, erwiderte Mat lachend und stützte sich auf den Stab. Große Männer, die Pläne schmiedeten? Vermutlich hatte der alte Bursche sie in Shibouya gesehen, neben den Riesen. »Ihr wisst, dass ich Euch für Eure Hilfe in der Gasse dankbar bin. Wenn ich noch etwas für Euch tun kann, dann sagt es. Aber im Augenblick will ich nur ein heißes Bad finden.«

»Trinkt dieser Gholam eigentlich Blut?«, fragte Noal und ergriff Mats Arm, als dieser gerade loshinken wollte.

Licht, er wünschte, er hätte diesen Namen nicht vor dem Alten ausgesprochen. Er wünschte, Birgitte hätte ihm niemals von dem Ding erzählt. »Warum fragt Ihr?« Gholam lebten von Blut. Sie aßen nichts anderes.

»Vergangene Nacht wurde noch ein Mann mit herausgerissener Kehle gefunden, aber weder auf ihm noch auf seinem Bettzeug war viel Blut zu finden. Habe ich das erwähnt? Er übernachtete in einem Gasthof in der Nähe vom Moldine-Tor. Falls das Ding die Stadt verlassen hatte, dann ist es jetzt wieder da.« Er schaute an Mat vorbei und verbeugte sich übertrieben. »Falls Ihr Eure Meinung ändert, ich bin immer bereit«, sagte er in einem leiseren Tonfall, als er sich wieder aufrichtete.

Mat blickte über die Schulter, als der Alte davoneilte. Tuon stand unter einem der vergoldeten Kandelaber und musterte ihn durch den Schleier. Wenigstens blickte sie ihn diesmal an. Aber wie immer, wenn er sie entdeckte, wandte sie sich ab und rauschte den Korridor entlang; ihre weißen Faltenröcke raschelten leise. Heute begleitete sie niemand.

Mat erschauderte zum zweiten Mal an diesem Tag. Schade, dass das Mädchen Suroth und Tylin nicht begleitet hatte. Ein Mann, dem man einen Brotlaib gab, sollte sich nicht darüber beschweren, wenn ein paar Krümel fehlten, aber Aes Sedai und Seanchaner, Gholam, die ihn verfolgten, alte Männer, die ihre Nasen in seine Angelegenheiten steckten, und dürre Mädchen, die ihn anstarrten — all das hätte ausgereicht, um jedem Mann eine Gänsehaut zu bescheren. Vielleicht sollte er es sich noch einmal überlegen, bevor er Zeit damit verschwendete, sein Bein einzuweichen.

Er fühlte sich besser, nachdem er Lopin losgeschickt hatte, den Rest seiner Kleidung aus Beslans Spielzeugschrank zu holen. Und Nerim, um Juilin zu finden. Sein Bein schmerzte noch immer scheußlich und zitterte, wenn er gehen wollte, aber wenn er schon keine Zeit verschwenden wollte, dann konnte er es genauso gut auch jetzt angehen. Er wollte Ebou Dar vor Tylins Rückkehr verlassen und das gab ihm zehn Tage. Weniger, wenn er sichergehen wollte.

Als der Diebefänger seinen Kopf durch die Schlafzimmertür steckte, betrachtete sich Mat gerade in Tylins hohem Spiegel. Das rote Gewand war zusammen mit den anderen bunten Sachen, die sie ihm geschenkt hatte, im Schrank verstaut. Vielleicht konnte ja Tylins nächster Liebling sie gebrauchen. Er hatte den einfachsten Mantel angezogen, den er besaß, fein gewebte blaue Wolle ohne jede Verzierung. Die Art von Mantel, die ein Mann mit Stolz tragen konnte, ohne dass ihn jeder anstarrte. Ein anständiger Mantel.

»Vielleicht etwas Spitze«, murmelte er und fingerte an seinem Hemdkragen herum. »Ganz wenig.« Wenn man so darüber nachdachte, war es wirklich ein sehr einfacher Mantel. Fast schon schlicht.

»Ich verstehe nichts von Spitze«, sagte Juilin. »Hast du mich deshalb sprechen wollen?«

»Nein, natürlich nicht. Was gibt es da zu grinsen?« Der Kerl grinste nicht bloß; das Lächeln teilte sein dunkles Gesicht beinahe in zwei Hälften.

»Ich bin glücklich, das ist alles. Suroth ist weg und ich bin glücklich. Wenn du mich nicht über Spitze ausfragen wolltest, worum geht es dann?«

Blut und verdammte Asche! Die Frau, für die er sich interessierte, musste eine von Suroths Da'covale sein! Eine, die sie zurückgelassen hatte. Sonst hatte er nämlich keinen Grund, sich dafür zu interessieren, ob sie da war oder nicht, und erst recht keinen Grund, darüber glücklich zu sein. Und der Mann wollte sich etwas von ihrem Besitz nehmen! Nun, vielleicht war das ja gar nicht so schlimm, verglichen damit, ein paar Damane zu entführen.

Mat hinkte zu Juilin herüber, legte einen Arm um seine Schultern und führte ihn ins Wohnzimmer. »Ich brauche das Gewand einer Damane für eine Frau von etwa dieser Größe.« Er hielt eine Hand in Schulterhöhe hoch. »Eine schlanke Frau.« Er schenkte dem Burschen sein ehrlichstes Lächeln, aber Juilins Grinsen schwand merklich. »Und ich brauche drei Su/'dam-Gewänder und ein A'dam. Und mir kam der Gedanke, dass der Mann, der am besten weiß, wie man etwas stiehlt, ohne erwischt zu werden, ein Diebefänger sein musste.«

»Ich bin Diebefänger«, knurrte der Mann und schüttelte Mats Arm ab, »und kein Dieb!«

Mat ließ sein Grinsen ebenfalls verschwinden. »Juilin, du weißt, dass die einzige Möglichkeit, die Schwestern aus der Stadt zu bringen, darin besteht, die Wachen glauben zu machen, dass sie noch immer Damane sind. Teslyn und Edesina tragen, was sie dazu brauchen, aber wir müssen Joline verkleiden. Suroth wird in zehn Tagen wieder da sein, Juilin. Wenn wir bis dahin nicht verschwunden sind, wird deine Hübsche noch immer ihr gehören, wenn wir dann gehen.« Wenn sie bis dahin nicht weg waren, würde keiner von ihnen gehen, zumindest befürchtete er das. Licht, in dieser Stadt konnte sich ein Mann in seinen Räumen zu Tode zittern.

Juilin vergrub die Fäuste in den Taschen seines dunklen tairenischen Mantels und starrte ihn finster an. Das hieß, eigentlich starrte er durch ihn hindurch auf etwas, das dem Diebefänger in keiner Weise gefiel. Schließlich zog er eine Grimasse und murmelte: »Das wird nicht leicht sein.«

Tatsächlich waren die folgenden Tage alles andere als leicht. Die Dienerinnen lachten über seine neuen Kleider. Also seine alten Kleider. Sie grinsten und schlössen in seiner Hörweite Wetten darüber ab, wie schnell er sich bei Tylins Rückkehr wohl umziehen konnte; die meisten schienen zu glauben, er würde, sobald er von ihrer bevorstehenden Ankunft erfuhr, durch die Korridore laufen und sich die Kleider vom Leib reißen. Er ignorierte sie. Bis auf den Teil mit Tylins Rückkehr. Als eine Dienerin dies zum ersten Mal erwähnte, wäre er beinahe zusammengezuckt, weil er glaubte, sie wüsste mehr als er.

Einige der Frauen und fast alle Männer schlössen von seinem Kleiderwechsel auf seine baldige Abreise. Sie bezeichneten es missbilligend als Flucht und taten, was sie konnten, um ihm Steine in den Weg zu legen. In ihren Augen war er die Salbe, die Tylins Zahnschmerzen rinderte, und sie wollten nicht, dass sie nach ihrer Rückkehr ihre Wut ertragen mussten, weil sie ihn verloren hatte. Er musste dafür sorgen, dass sich entweder Lopin oder Nerim ständig in Tylins Gemächern aufhielt, um seine Besitztümer zu bewachen, andernfalls wären die Kleider erneut verschwunden, und nur Vanin und die Rotwaffen konnten verhindern, dass Pip aus dem Stall verschwand.

Mat versuchte diesen Eindruck noch zu verstärken. Wenn er ging und gleichzeitig zwei Damane verschwanden, würde man die Geschehnisse mit Sicherheit miteinander in Verbindung bringen, aber da Tylin verreist und seine Absicht wegzulaufen vor ihrer Rückkehr ein offenes Geheimnis gewesen war, würde man sie nicht verantwortlich machen können. Jeden Tag ritt er mit Pip im Stall einige Bahnen, sogar bei Regen, und jedes Mal ritt er länger, als wollte er sein Durchhaltevermögen trainieren. Was er tatsächlich tat, wie ihm nach einer Weile bewusst wurde. Sein Bein und die Hüfte schmerzten noch immer furchtbar, aber so langsam glaubte er, zehn Meilen schaffen zu können, ohne absteigen zu müssen. Acht Meilen aufjeden Fall.

Wenn der Himmel wolkenlos war, verschafften die Sul'dam ihren Damane ihren Auslauf, während er übte. Den Seanchanerinnen war klar, dass er nicht Tylins Besitz war, andererseits hatte er gehört, wie einige ihn als Spielzeug bezeichneten! Tylins Spielzeug, sagten sie, als wäre das sein Name! Er war für sie nicht wichtig genug, als dass sie sich für seinen richtigen Namen interessiert hätten. Für sie war jemand entweder Da'covale oder nicht, und dieses Zwischending amüsierte sie endlos. Er ritt unter dem Gelächter der Sul'dam und versuchte sich einzureden, dass ihm das half. Je mehr Leute aussagen konnten, dass er vor Tylins Rückkehr seine Flucht vorbereitet hatte, umso besser war es für sie. Es war nur nicht besonders angenehm für ihn.

Gelegentlich sah er Aes Sedai-Gesichter unter den Damane, die man spazieren führte, außer Teslyn waren es drei, aber er hatte keine Ahnung, wie Edesina aussah. Sie hätte die kleine blasse Frau sein können, die ihn an Moiraine erinnerte, oder die große mit dem silbrigblonden Haar oder die schlanke Schwarzhaarige. Wie sie so neben einer Sul'dam hergingen, hätten sie genauso gut aus eigenem Antrieb spazieren gehen können, wären da nicht der funkelnde Kragen um ihren Hals und die Leine gewesen, die sie mit dem Handgelenk der Sul'dam verband. Teslyn selbst sah bei jeder Begegnung zusehends wütender aus und starrte stur geradeaus. Jedes Mal schien sich auf ihrem Gesicht größere Entschlossenheit abzuzeichnen. Dazu kam aber etwas, das möglicherweise Panik war. Mat fing an, sich um sie und ihre Ungeduld Sorgen zu machen.

Er wollte Teslyn Mut machen, er brauchte diese alten Erinnerungen nicht, um zu wissen, dass mit Panik gepaarte Entschlossenheit Leute umbringen konnte, obwohl sie es ihm bestätigten. Er wollte ihr wirklich Mut machen, aber er wagte sich nicht noch einmal in die Nähe der Zwinger auf dem Dachboden. Tuon war auch weiterhin da, wenn er sich umdrehte, sah ihn einfach nur an oder schaute ihm bei dem zu, was er gerade tat. Aber sie tat es nicht so oft, dass er glaubte, sie würde ihn verfolgen. Warum sollte sie das auch tun? Aber es geschah zu oft, als dass es ein Zufall hätte sein können. Gelegentlich wurde sie von ihrer So'jhin Selucia begleitet, hin und wieder auch von Anath, obwohl die große rätselhafte Frau nach einer gewissen Zeit aus dem Palast oder zumindest aus den Korridoren verschwunden zu sein schien. Sie war »auf dem Rückzug«, hatte er gehört, was auch immer das bedeuten mochte, und er wünschte sich nur, sie hätte Tuon mitgenommen. Er bezweifelte, dass das Mädchen ein zweites Mal glauben würde, dass er einer Windsucherin etwas Süßes brachte. Wollte sie ihn vielleicht noch immer kaufen? Aber wenn das der Fall sein sollte, konnte er es trotzdem nicht verstehen. Er hatte nie verstehen können, was eine Frau an einem Mann fand, bei den unscheinbarsten Männern schienen sie große Augen zu machen, aber ihm war klar, dass er keine Schönheit war, egal, was Tylin auch sagte. Frauen logen, um einen Mann ins Bett zu kriegen, und sie erzählten noch schlimmere Lügen, sobald sie ihn einmal dort hatten.

Auf jeden Fall war Tuon nur ein unbedeutendes Ärgernis. Eine Fliege an seinem Ohr. Nicht mehr. Es brauchte mehr als plappernde Frauen oder ihn anstarrende Mädchen, um ihn ins Schwitzen zu bringen. Tylin schaffte das, obwohl sie abwesend war. Wenn sie zurückkam und ihn bei seinen Reisevorbereitungen erwischte, würde sie vielleicht ihre Meinung ändern und ihn verkaufen. Sie war jetzt selbst eine Hochlady, und er war davon überzeugt, dass sie sich bald den Kopf bis auf einen Haarschopf rasierte. Eine richtige Angehörige des seanchanischen Hohen Blutes, und wer vermochte schon zu sagen, was sie dann tun würde? Tylin brachte ihn zum Schwitzen, aber es gab noch genügend andere Sachen, die einem Mann den Schweiß auf die Stirn treiben konnten.

Noal und manchmal auch Thom berichteten ihm über weitere Morde des Gholam. Jede Nacht geschah ein neuer, obwohl außer den beiden und ihm keiner eine Verbindung zwischen ihnen herstellte. Mat hielt sich nach Möglichkeit nur noch auf offenen Plätzen auf, wo er viele Leute um sich herum hatte. Er hörte auf, in Tylins Bett zu schlafen, und verbrachte niemals zwei Nächte am selben Ort. Und wenn das bedeutete, die Nacht im Stall zuzubringen, nun, er hatte auch schon früher in Ställen geschlafen, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, dass das Heu so spitz durch seine Kleidung piekte. Aber es war immer noch besser, von Heu gepiekt zu werden, als die Kehle herausgerissen zu bekommen.

Nachdem er sich zu der Entscheidung durchgerungen hatte, zu versuchen, Teslyn zu befreien, war er auf direktem Weg zu Thom gegangen und hatte ihn in der Küche gefunden, wo er über mit Honig marinierten Hühnchen mit den Köchen plauderte. Thom kam mit Köchen genauso gut zurecht wie mit Bauern, Kaufleuten und Adligen. Thom Merrilin hatte die Gabe, mit jedem zurechtzukommen, jedermanns Klatsch aufzuschnappen und alles zusammenzusetzen, um sich ein Bild zu machen. Er konnte die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten und das erkennen, was andere übersahen. Sobald er mit dem Hühnchen fertig gewesen war, war Thom die einzige Möglichkeit eingefallen, wie man die Aes Sedai an den Wachen vorbeischaffen konnte. Damals war das ganze Unternehmen sogar einfach erschienen. Für eine kurze Weile. Aber andere Hindernisse türmten sich auf.

Juilin hatte ebenfalls die Gabe, die Dinge aus einer verzerrten Perspektive zu betrachten, vielleicht von seinen Jahren als Diebefänger, und Mat hatte sich an einigen Abenden mit ihm und Thom in dem winzigen Zimmer getroffen, das sich die beiden Männer in den Dienstbotenquartieren teilten, um einen Plan zu schmieden, wie sie diese Hindernisse umgehen konnten. Sie hatten Mat nun wirklich ins Schwitzen gebracht.

Bei dem ersten dieser Treffen, am Abend von Tylins Aufbruch, war Beslan auf der Suche nach Thom hereingeplatzt; zumindest hatte er das behauptet. Unglücklicherweise hatte er zuvor an der Tür gelauscht und genug gehört, um nicht mit irgendeiner Geschichte abgespeist werden zu können. Und was noch viel schlimmer war, er wollte mitmachen. Er sagte ihnen sogar, auf welche Art und Weise.

»Ein Aufstand«, sagte er, als er auf dem dreibeinigen Hocker zwischen den beiden schmalen Betten saß. Ein Waschtisch mit einem angestoßenen weißen Krug und Schüssel ohne Spiegel vervollständigte das Mobiliar des Raumes und raubte noch den letzten Rest Platz. Juilin saß mit unleserlichem Gesicht in Hemdsärmeln auf der Kante des einen Bettes und Thom lag ausgestreckt auf dem anderen und studierte stirnrunzelnd seine Knöchel. Also musste sich Mat gegen die Tür lehnen, damit niemand mehr hereinplatzen konnte. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Offensichtlich hatte Thom die ganze Zeit über diesen Wahnsinn Bescheid gewusst; das war es also gewesen, was er hatte abkühlen wollen. »Das Volk wird sich erheben, wenn ich das Zeichen gebe«, fuhr Beslan fort. »Meine Freunde haben in der ganzen Stadt mit Männern gesprochen. Sie sind zum Kampf bereit!«

Seufzend verlagerte Mat sein Gewicht auf das gesunde Bein. Vermutlich würden sich Beslan und seine Freunde allein erheben müssen, wenn er das Zeichen gab. Die meisten Leute redeten lieber übers Kämpfen als es tatsächlich zu tun, vor allem, wenn es gegen Soldaten ging. »Beslan, in den Geschichten fahrender Sänger besiegen Stallburschen mit Heugabeln und Bäcker mit Pflastersteinen die Heere, weil sie frei sein wollen.« Thom schnaubte so verächtlich, dass sein langer weißer Schnurrbart in Bewegung geriet. Mat ignorierte ihn. »Im wahren Leben werden die Stallburschen und Bäcker getötet. Ich erkenne gute Soldaten, wenn ich sie sehe, und die Seanchaner sind sehr gut.«

»Wenn wir die Domäne zusammen mit den Aes Sedai befreien, werden sie an unserer Seite kämpfen!«, beharrte Beslan.

»Oben auf dem Dachboden müssen zweihundert oder sogar noch mehr Domäne sein, Beslan, die meisten von ihnen Seanchanerinnen. Befreie sie und vermutlich wird jede einzelne von ihnen losrennen, um eine Sul'dam zu finden. Licht, wir könnten nicht mal den Frauen vertrauen, die nicht aus Seanchan kommen!« Mat hielt eine Hand hoch, um Beslans Protest im Keim zu ersticken. »Wir haben keine Möglichkeit herauszufinden, wem wir vertrauen können und wem nicht, dazu fehlt uns die Zeit. Und selbst wenn wir die hätten, müssten wir den Rest töten. Ich bin nicht dazu bereit, eine Frau zu töten, deren einziges Verbrechen darin besteht, an der Leine geführt zu werden. Bist du es?« Beslan schaute weg, aber sein Kinn war entschlossen vorgeschoben. Er gab nicht auf.

»Ob wir die Damane befreien oder nicht«, fuhr Mat fort, »wenn sich das Volk nun erhebt, werden die Seanchaner Ebou Dar in einen Schlachthof verwandeln. Sie schlagen Rebellionen grausam nieder, Beslan. Sehr grausam! Wir könnten jede Damane auf dem Dachboden umbringen und sie würden Entsatz aus den Lagern holen. Deine Mutter wird zurückkommen und innerhalb der Stadtmauern nur noch Trümmer und davor deinen Kopf auf einem Spieß vorfinden. Und ihrer wird kurz darauf daneben stecken. Du glaubst doch wohl nicht, sie würden ihr abnehmen, dass sie keine Ahnung hatte, was ihr eigener Sohn plante, oder?« Beim Licht, wusste sie etwa Bescheid? Die Frau war mutig genug, um es zu versuchen. Er glaubte zwar nicht, dass sie dumm genug dazu war, aber...

»Sie sagt, wir sind Mäuse«, sagte Beslan erbittert. »Wenn Wolfshunde vorbeistreifen, sind die Mäuse still oder werden gefressen«, zitierte er. »Es gefällt mir nicht, eine Maus zu sein, Mat.«

Mat bekam wieder leichter Luft. »Besser eine lebende Maus zu sein als eine tote, Beslan.« Was zwar nicht unbedingt die diplomatischste Art war, es auszudrücken — Beslan verzog auch das Gesicht —, aber das war die Wahrheit.

Mat ermutigte Beslan, auch weiterhin zu den Treffen zu kommen, und wenn auch nur, um ihn unter Kontrolle zu haben, aber er ließ sich nur selten sehen. Thom fiel es zu, die Leidenschaft des Mannes abzukühlen, so gut er konnte. Er schaffte es lediglich, Beslan das Versprechen abzuringen, den Aufstand frühestens einen Monat nach ihrem Aufbruch anzuführen, damit sie weit genug entfernt waren. Und wenn das auch nicht zufrieden stellend war, so war es doch zumindest eine abgemachte Sache. Alles andere schien zwei Schritte voranzugehen, um dann gegen eine Steinmauer zu prallen. Oder einen Stolperdraht.

Juilins Angebetete hatte ihn gut im Griff. Es schien ihn nicht zu stören, ihretwegen seine tairenische Kleidung gegen die grünweiße Livree eines Dieners einzutauschen oder auf Schlaf zu verzichten und zwei Nächte damit zu verbringen, den Boden in der Nähe der Treppe zu den Zwingern zu kehren. Niemand warf einem Diener, der einen Besen schwang, einen zweiten Blick zu, nicht mal andere Diener. Im Tarasin-Palast gab es so viele von ihnen, dass sie nicht alle einander kannten, und wenn sie einen Mann in Livree mit einem Besen sahen, nahmen sie an, dass er ihn auch dort benutzen sollte. Juilin verbrachte auch zwei Tage mit Putzen und berichtete schließlich, dass Sul'dam die Zwinger am frühen Morgen und direkt nach Einbruch der Dunkelheit kontrollierten und auch zu jeder beliebigen Tageszeit dort auftauchten, man die Damane aber in der Nacht sich selbst überließ.

»Ich habe eine Sul'dam belauscht, die sagte, sie sei froh, nicht draußen in den Lagern zu sein, wo...« Juilin lag ausgestreckt auf seiner dünnen Matratze und unterbrach sich, um ausgiebig hinter vorgehaltener Hand zu gähnen. Thom saß auf der Kante seines Bettes, so dass für Mat nur der Hocker übrig blieb. Es war besser, als stehen zu müssen, wenn auch nicht sehr. Die meisten Leute würden zu dieser Stunde bereits schlafen. »Wo man sie manchmal zur Nachtwache einteilen würde«, fuhr der Diebefänger fort, als er wieder sprechen konnte. »Sie sagte auch, sie würde die Damane gern die Nacht durchschlafen lassen, damit sie alle bei Sonnenaufgang frisch und munter wären.«

»Also müssen wir in der Nacht handeln«, murmelte Thom und spielte mit seinem langen weißen Schnurrbart. Er brauchte nicht zu erwähnen, dass alles, was sich nachts bewegte, Blicke auf sich zog. Im Gegensatz zur Bürgerwache schickten die Seanchaner nachts Patrouillen los.

Die Wache war auch Bestechungsgeldern nie abgeneigt gewesen, bis die Seanchaner sie aufgelöst hatte. Jetzt konnte man in der Nacht davon ausgehen, auf der Straße der Totenwache zu begegnen, und jeder, der versuchte, sie zu bestechen, würde vermutlich nicht mehr lange genug leben, damit man ihm den Prozess machte.

»Hast du schon ein Adam gefunden, Juilin?«, fragte Mat. »Oder die Kleider? Kleider können doch nicht so schwer zu beschaffen sein wie ein Adam.«

Juilin gähnte erneut in seine Hand. »Ich besorge sie, wenn es möglich ist. Weißt du, sie lassen sie nicht einfach so rumliegen.«

Thom entdeckte, dass es nicht möglich war, eine Damane einfach durch das Stadttor zu führen. Das heißt, Riselle hatte es entdeckt, wie er freimütig zugab. Anscheinend hatte einer der hochrangigen Offiziere, die in der Wanderin abgestiegen waren, eine Singstimme, die ihr sehr gefiel.

»Einer vom Blut kann eine Damane mitnehmen, ohne dass Fragen gestellt werden«, berichtete Thom bei ihrem nächsten Treffen. Diesmal saßen er und Juilin auf ihren Betten. Mat fing an, den Hocker zu hassen. »Das heißt, zumindest ein paar von ihnen. Sul'dam brauchen jedoch einen unterzeichneten und mit Siegel versehenen Befehl, und zwar von einem Angehörigen des Blutes, einem Offizier mindestens im Rang eines Kapitäns oder einem Der'sul'dam. Die Wächter an den Stadttoren und den Docks haben Listen eines jeden in der Stadt gültigen Siegels, also kann ich nicht einfach ein Siegel machen und hoffen, dass es akzeptiert wird. Ich brauche eine Kopie des richtigen Befehls mit dem dazu passenden Siegel. Daraus ergibt sich die Frage, wer unsere drei Sul'dam sein sollen.«

»Vielleicht würde Riselle mitmachen«, schlug Mat vor. Sie wusste zwar nicht, was sie taten, und es ihr zu verraten würde ein Risiko sein. Aber Thom hatte ihr alle mögliehen Fragen gestellt, als wollte er mehr über das Leben unter den Seanchanern erfahren, und sie hatte sie gern an ihren seanchanischen Bekannten weitergereicht. Doch vermutlich würde sie nicht das Risiko eingehen wollen, dass ihr hübscher Kopf auf einem Spieß landete. Sie konnte Schlimmeres tun, als nur nein zu sagen. »Und was ist mit deiner Freundin, Juilin?« Mat hatte da eine Idee, was die dritte betraf. Er hatte Juilin gebeten, ein Sul'dam-Gewand aufzutreiben, das Setalle Anan passte, obwohl es bis jetzt keine Gelegenheit gegeben hatte, sie danach zu fragen. Seit Joline in die Küche hereinspaziert war, hatte er der Wanderin nur einen einzigen Besuch abgestattet, um sicherzugehen, dass ihr klar war, dass er alles tat, was in seinen Kräften stand. Natürlich glaubte sie es nicht, aber Frau Anan war es tatsächlich gelungen, den Zorn der Aes Sedai zu beschwichtigen, bevor sie herumzubrüllen anfing. Sie würde die perfekte Sul'dam für Joline abgeben.

Juilin zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Es war schwer genug, Thera davon zu überzeugen, mit mir wegzulaufen. Jetzt ist sie ... ängstlich. Ich kann ihr helfen, ihre Angst mit der Zeit zu überwinden. Ich weiß, dass ich das kann. Aber ich glaube nicht, dass sie es schaffen würde, sich als Sul'dam auszugeben.«

Thom zupfte an seinem Schnurrbart. »Es ist unwahrscheinlich, dass Riselle gehen würde, unter welchen Umständen auch immer. Anscheinend gefällt ihr Bannergeneral Lord Yamadas Gesang so sehr, dass sie sich entschieden hat, ihn zu heiraten.« Er seufzte bedauernd. »Ich fürchte, aus dieser Quelle kommen keine Informationen mehr.« Und sein Gesichtsausdruck besagte, dass er auch seinen Kopf nicht mehr auf ihren Busen betten konnte. »Nun ja, denkt weiter darüber nach, wen wir fragen könnten. Und seht, ob ihr an eine Abschrift eines dieser Befehle herankommt.«

Thom gelang es, die richtige Tinte und das passende Papier zu organisieren, und er war bereit, jedermanns Handschrift und Siegel zu imitieren. Er hielt nichts von Siegeln, er behauptete, jeder mit einer Steckrübe und einem Messer könnte sie nachmachen. In der Handschrift eines anderen Mannes zu schreiben, so dass der andere glaubte, er hätte es selbst geschrieben, das war eine Kunst. Aber keiner von ihnen kam an eine Kopie der Befehle mit dem richtigen Siegel heran. Die Seanchaner ließen sie genauso wenig wie die Adam einfach herumliegen. Juilin schien auch keine Fortschritte mit dem A'dam zu machen. Zwei Schritte vorwärts, dann die Steinmauer. Und sechs Tage waren einfach so verstrichen. Es blieben noch vier übrig. Mat hatte das Gefühl, seit Tylins Aufbruch wären sechs Jahre verstrichen und es würde nur noch vier Stunden bis zu ihrer Rückkehr dauern.

Am siebten Tag hielt Thom Mat auf dem Korridor auf, als er vom Reiten kam. Der ehemalige Gaukler lächelte, als würde er nichtssagende Konversation betreiben, aber er senkte die Stimme. Die vorbeieilenden Diener konnten nicht mehr als ein Murmeln hören. »Laut Noal hat der Gholam vergangene Nacht erneut getötet. Man hat den Suchern befohlen, den Mörder zu finden, und wenn sie dafür aufhören müssen zu essen und zu schlafen, aber ich kann nicht herausfinden, wer den Befehl gegeben hat. Selbst die Tatsache, dass man ihnen befohlen hat, etwas zu unternehmen, scheint ein Geheimnis zu sein. Aber nichtsdestotrotz bereiten sie schon die Streckbank vor und schieben die Eisen ins Feuer.«

Es spielte keine Rolle, dass Thom leise sprach; Mat schaute sich trotzdem um, ob ihnen jemand zuhörte. Die einzige Person in Sichtweite war ein korpulenter grauhaariger Mann namens Narvin, der zwar eine Livree trug, aber weder in Eile war noch etwas transportierte. Diener von so hoher Stellung wie Narvin machten keine Botengänge und beeilten sich auch nicht. Mats Anblick, als er versuchte, in alle Richtungen gleichzeitig zu schauen, ließ ihn blinzeln, dann runzelte er die Stirn. Mat wollte die Zähne fletschen, aber stattdessen grinste er so entwaffnend, wie er nur konnte, und Narvin ging mit finsterer Miene weiter. Mat war davon überzeugt, dass dieser Bursche für den ersten Versuch, Pip aus dem Stall zu entfernen, verantwortlich war.

»Noal hat dir von den Suchern erzählt?«, flüsterte er ungläubig, sobald Narvin weit genug weg war.

Thom winkte ab. »Natürlich nicht. Nur von den Morden. Obwohl er Gerüchte aufzuschnappen scheint und weiß, was sie bedeuten. Das ist ein seltenes Talent. Ich würde gern wissen, ob er wirklich in Shara war«, sagte er nachdenklich. »Er hat erzählt, er...« Thom räusperte sich, als er Mats Blick sah. »Nun, das kann warten. Ich habe andere Quellen als die viel betrauerte Riselle. Einige davon sind Lauscher. Lauscher scheinen wirklich alles zu hören.«

»Du hast mit Lauschern gesprochen?« Mats Stimme quietschte wie eine verrostete Türangel. Er hatte das Gefühl, seine ganze Kehle wäre verrostet!

»Da ist doch nichts dabei, so lange sie nicht wissen, dass du Bescheid weißt.« Thom kicherte. »Mat, bei den Seanchanern musst du bei allen davon ausgehen, dass sie Lauscher sind. So erfährst du, was du wissen willst, ohne das falsche Wort in das falsche Ohr zu sagen.« Er hustete und strich den Schnurrbart mit den Knöcheln glatt. »Ich kenne zufällig einen oder zwei, die wirklich dazugehören. Mehr Informationen können jedenfalls nicht schaden. Du willst doch vor Tylins Rückkehr weg sein, oder? Irgendwie siehst du ohne sie etwas ... verloren aus.«

Mat konnte nur stöhnen.

In dieser Nacht schlug der Gholam abermals zu. Lopin und Nerim sprudelten vor Neuigkeiten förmlich über, bevor Mat seinen Frühstücksfisch gegessen hatte. Sie behaupteten, in der Stadt herrsche Aufruhr. Das letzte Opfer, eine Frau, sei in der Einmündung einer Gasse gefunden worden, und plötzlich würden die Leute darüber reden und einen Mord mit dem anderen in Verbindung bringen. Da war ein Verrückter am Werk und die Leute verlangten mehr seanchanische Straßenpatrouillen in der Nacht. Mat schob den Teller von sich. Mehr Patrouillen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, war es durchaus möglich, dass Suroth früher zurückkam, wenn sie davon erfuhr, und Tylin mitbrachte. Bestenfalls blieben ihm noch zwei Tage. Er hatte das Gefühl, das, was er gegessen hatte, gleich wieder von sich geben zu müssen.

Er verbrachte den Rest des Vormittags damit, auf dem Teppich in Tylins Schlaf gemach auf und ab zu gehen, also gut, zu hinken, und den Schmerz in seinem Bein zu ignorieren, während er versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, egal was, das ihn das Unmögliche in zwei Tagen gelingen lassen würde. Der Schmerz hatte tatsächlich nachgelassen. Er hatte den Wanderstab aufgegeben und sich angestrengt, neue Kräfte zu gewinnen. Vermutlich würde er zu Fuß nun zwei oder drei Meilen schaffen, ohne das Bein ausruhen zu müssen. Zumindest ohne es lange ausruhen zu müssen.

Gegen Mittag brachte ihm Juilin die einzige gute Nachricht, die er seit langer Zeit erhalten hatte. Und eigentlich war es auch keine Nachricht. Es war ein Kleidersack mit zwei Gewändern, die um ein silbernes A'dam gewickelt waren.

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