30 Kalte, dicke Regentropfen

Der Tag begann kalt, graue Wolken verdeckten die aufgehende Sonne, während der Wind vom Meer der Stürme an losen Glasscheiben in den Fensterrahmen rüttelte. In den Geschichten war das nicht die richtige Art von Tag für großartige Rettungsmissionen oder eine Flucht. Es war ein Tag für Mord. Kein angenehmer Gedanke, wenn man hoffen musste, auch noch den nächsten Sonnenaufgang zu erleben. Aber der Plan war einfach. Jetzt, da Mat eine Angehörige des seanchanischen Blutes zur Verfügung stand, konnte eigentlich nichts mehr schief gehen. Er versuchte eindringlich, sich selbst davon zu überzeugen.

Während er sich anzog, brachte Lopin ihm das Frühstück, Brot und Schinken und etwas harten gelben Käse. Nerim faltete ein paar letzte Kleidungsstücke zusammen, die noch ins Gasthaus gebracht werden mussten, darunter ein paar der Hemden, die Tylin hatte anfertigen lassen. Schließlich waren das gute Hemden, und Nerim behauptete, etwas wegen der Spitze tun zu können, obwohl er es gewöhnlich so klingen ließ, als böte er an, ein Leichentuch zu nähen. Der grauhaarige kleine Bursche konnte geschickt mit der Nadel umgehen, wie Mat genau wusste. Er hatte schließlich genug von Mats Wunden genäht.

»Nerim und ich werden Olver durch das Mülltor auf der Hinterseite des Palasts herausbringen«, wiederholte Lopin mit übertriebener Geduld, die Hände in Hüfthöhe verschränkt. Die Diener im Palast ließen nur selten eine Mahlzeit aus und sein dunkler tairenischer Mantel spannte sich enger als je zuvor über seinen runden Bauch. Was das anging, war die Rückseite des Mantels auch nicht mehr so weit, wie sie einmal gewesen war. »Außer den Wachen ist dort nie jemand, bis am Nachmittag der Abfallkarren herausgebracht wird, und sie sind daran gewöhnt, dass wir die Sachen meines Lords dort herausbringen, also werden sie uns keine Aufmerksamkeit schenken. In der Wanderin werden wir das Gold und die restlichen Kleidungsstücke meines Lords abholen, und Merwyn, Fergin und Gorderan werden mit den Pferden zu uns stoßen. Dann bringen die Rotwaffen und wir den jungen Olver am späten Nachmittag durch das Dal Eira-Tor. Ich habe die Lotteriemarken für die Pferde einschließlich der beiden Packtiere in meiner Tasche, mein Lord. An der Großen Nordstraße liegt ein verlassener Stall, etwa eine Meile nördlich vom Ring des Himmels, wo wir warten werden, bis mein Lord kommt. Ich gehe davon aus, die Anweisungen meines Lords korrekt wiedergegeben zu haben?«

Mat schluckte das letzte Stück Käse herunter und wischte sich die Hände ab. »Glaubst du, ich lasse es dich zu oft wiederholen?«, sagte er und schlüpfte in seinen Mantel. Einen unauffälligen dunkelgrünen Mantel. Bei Geschäften wie den heutigen wollte kein Mann auffällig gekleidet sein. »Ich wollte sichergehen, dass du es auswendig kannst. Vergesst nicht, wenn ihr mich nicht bis Sonnenaufgang gesehen habt, reitet ihr weiter, bis ihr auf Talmanes und die anderen stoßt.« Die Morgeninspektion der Zwinger würde den Alarm auslösen, und wenn er bis dahin nicht aus der Stadt heraus war, würde er vermutlich endlich erfahren, ob sein Glück auch die Axt des Scharfrichters aufhielt. Es war ihm vorhergesagt worden, dass er sterben und wieder leben sollte, aber er war sich ziemlich sicher, dass das bereits geschehen war.

»Natürlich, mein Lord«, sagte Lopin ausdruckslos. »Es wird geschehen, wie mein Lord befohlen hat.«

»Sicher, mein Lord«, murmelte Nerim so düster wie immer. »Mein Lord befiehlt und wir gehorchen.«

Mat vermutete, dass beide logen, aber zwei oder drei Tage des Wartens würden ihnen nicht schaden, und bis dahin würden sie eingesehen haben, dass er nicht mehr kam. Falls nötig, würden Metwyn und die anderen beiden Soldaten sie überzeugen. Diese drei mochten Mat Cauthon ja folgen, aber sie waren nicht so dumm, ihren Hals auf den Richtblock zu legen, wenn sein Kopf bereits gefallen war. Aus irgendeinem Grund war er sich bei Lopin und Nerim da nicht so sicher.

Olver war nicht so aufgebracht, Riselle verlassen zu müssen, wie Mat befürchtet hatte. Er sprach das Thema an, während er dem Jungen half, seine Besitztümer zusammenzupacken, damit sie ins Gasthaus gebracht werden konnten. Olvers Sachen lagen ordentlich auf dem schmalen Bett ausgebreitet, das in dem kleinen Zimmer stand; als die Gemächer noch Mat gehört hatten, war es ein kleines Wohnzimmer gewesen.

»Sie heiratet, Mat«, sagte Olver geduldig, als müsste er jemandem etwas erklären, der das Offensichtliche nicht begriff. Er klappte das kleine geschnitzte Kästchen, das Riselle ihm geschenkt hatte, lange genug auf, um sich zu vergewissern, dass seine Rotfalkenfeder sicher aufgehoben war, dann schloss er es und steckte es in die Ledertasche, die er über der Schulter tragen würde. Er passte auf die Feder mit der gleichen Gewissenhaftigkeit auf wie auf den Geldbeutel, der zwanzig Goldkronen und eine Hand voll Silber enthielt. »Ich glaube nicht, dass ihr Mann es ihr erlauben würde, mir weiterhin das Lesen beizubringen. Ich würde es nicht, wenn ich ihr Mann wäre.«

»Oh«, sagte Mat. Riselle hatte sich beeilt, sobald sie sich entschieden hatte. Ihre Hochzeit mit Bannergeneral Yamada war am Vortag öffentlich verkündet worden und sollte morgen stattfinden, obwohl den Bräuchen zufolge gewöhnlich einige Monate dazwischen lagen. Yamada mochte ein guter General sein, Mat wusste es nicht, aber gegen Riselle und diesen großartigen Busen hatte er keine Chance gehabt. Heute schauten sie sich ein Weingut in den Rhiannonhügeln an, das der Bräutigam ihr als Hochzeitsgeschenk kaufte. »Ich dachte nur, du wolltest... ich weiß nicht... sie vielleicht mitnehmen.«

»Mat, ich bin kein Kind mehr«, sagte Olver trocken. Er packte den Schildkrötenpanzer wieder in sein Leinentuch und steckte ihn ebenfalls in die Ledertasche. »Du wirst doch Schlangen und Füchse mit mir spielen, oder? Riselle spielt gern und du hast ja keine Zeit mehr für mich.« Trotz der Kleidungsstücke, die Mat in einen Umhang packte, um ihn in einem Reisekorb zu verstauen, hatte der Junge eine zusätzliche Hose und ein paar saubere Hemden und Strümpfe in der Ledertasche. Und das Spiel Schlangen und Füchse, das sein toter Vater für ihn gemacht hatte. Es war eher unwahrscheinlich, das zu verlieren, was man am Leib trug, und Olver hatte mit seinen zehn Jahren bereits mehr verloren als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben. Aber er glaubte noch immer daran, ohne Schummeln bei Schlangen und Füchsen gewinnen zu können.

»Das werde ich«, versprach Mat. Das würde er auch, falls er es aus der Stadt herausschaffte. Er brach mit Sicherheit so viele Regeln, dass er den Sieg verdient hatte. »Du kümmerst dich um Wind, bis ich komme.« Olver grinste breit. Der Junge liebte den langbeinigen grauen Wallach mindestens genauso sehr, wie er Schlangen und Füchse liebte.

Unglücklicherweise gehörte Beslan ebenfalls zu denjenigen, die der Meinung waren, bei Schlangen und Füchsen gewinnen zu können.

»Heute Nacht«, knurrte er und ging vor dem Kamin in Tylins Wohnzimmer auf und ab. Sein Blick war kalt genug, um die Wärme des prasselnden Feuers zu verscheuchen, und er hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als wollte er sie von dem Griff des schmalen Schwertes fern halten. Die Zylinderuhr auf dem Marmorsims schlug viermal für die zweite Stunde des Morgens. »Mit ein paar Tagen Vorbereitung hätte ich etwas Prächtiges veranstalten können!«

»Ich will aber nichts Prächtiges«, sagte Mat. Er wollte gar nichts von dem Mann, aber Beslan hatte zufällig gesehen, wie Thom sich auf den Stallhof der Wanderin schlich. Thom war losgezogen, um Joline zu beschäftigen, bis Egeanin am Abend mit ihren Sul'dam kam; er sollte ihre Nerven beruhigen und sie mit höfischem Getue freundlich stimmen, aber er hätte auch alle möglichen anderen Gründe haben können, um das Gasthaus zu besuchen. Nun, vielleicht nicht viele, da es dort vor Seanchanern wimmelte, aber mit Sicherheit doch einige. Beslan hatte sich jedoch auf den richtigen Grund gestürzt wie eine Ente auf einen Käfer, und er wollte nicht zulassen, dass er nicht beteiligt wurde. »Es reicht, wenn ein paar deiner Freunde die Ausrüstung anzünden, die die Seanchaner auf der Buchtstraße gelagert haben. Aber nach Mitternacht; besser eine Stunde später als zu früh.« Mit etwas Glück würde er die Stadt vor Mitternacht verlassen haben. »Das wird ihre Aufmerksamkeit nach Süden lenken, und du weißt, dass es ihnen schaden wird, wenn sie Ausrüstung verlieren.«

»Ich habe gesagt, ich werde es tun«, sagte Beslan mürrisch, »aber du kannst nicht gerade behaupten, dass Brandstiftung eine große Geste ist.«

Mat lehnte sich zurück, legte die Hände auf die Bambus nachempfundenen Lehnen und runzelte die Stirn. Er wollte seine Hände sowieso ausruhen, aber sein Siegelring verursachte auf dem vergoldeten Holz ein lautes Klicken, als er mit den Fingern trommelte. »Beslan, man wird dich doch in einer Schenke sehen, wenn die Brände beginnen, oder?« Der junge Mann verzog das Gesicht. »Beslan?«

Beslan warf die Hände in die Luft. »Ich weiß, ich weiß, ich darf Mutter nicht in Gefahr bringen. Man wird mich sehen. Um Mitternacht werde ich so betrunken wie der Mann einer Wirtin sein! Du kannst darauf wetten, dass man mich sieht! Es ist einfach nur nicht besonders heldenhaft, Mat. Ich befinde mich mit den Seanchanern im Kriegszustand, ob Mutter es nun auch ist oder nicht.«

Mat versuchte, nicht zu stöhnen. Beinahe wäre es ihm gelungen.

Es gab natürlich keine Möglichkeit zu verbergen, dass die Rotwaffen Pferde aus den Ställen holten. An diesem Morgen bemerkte er zweimal, wie Dienerinnen einander Münzen gaben, und beide Male schaute ihn die Frau, die bezahlen musste, böse an. Obwohl Vanin und Harnan es sich anscheinend noch immer in dem langen Quartier neben den Ställen bequem machten, wusste der Palast, dass Mat Cauthon bald aufbrach, und die ersten Wetten wurden bereits ausgezahlt. Er musste nur dafür sorgen, dass keiner herausfand, wie bald, bevor es zu spät war.

Als der Morgen seinen Verlauf nahm, wurde der Wind stärker, aber Mat ließ Pip satteln und ritt seine endlosen Kreise auf dem Stallhof, krümmte sich im Sattel etwas zusammen und zog den Umhang eng um sich. Er ritt langsamer als gewöhnlich, und so machten Pips Hufe gemütliche, trottende Geräusche auf den Pflastersteinen. Gelegentlich schaute er zu den am Himmel immer dunkler werdenden Wolken empor, verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. Nein, bei diesem Wetter war Mat Cauthon wirklich nicht gern draußen. Mat Cauthon wäre lieber an einem warmen und trockenen Ort, bis sich der Himmel aufklarte, ja, das wäre er.

Die Sul'dam, die ihre Domäne in ihrem eigenen Kreis auf dem Stallhof umherführten, wussten ebenfalls, dass er bald aufbrechen würde. Zwar hatten die Dienerinnen keinen direkten Kontakt zu den Seanchanerinnen, aber was eine Frau weiß, das weiß bald jede Frau im Umkreis von einer Meile. Ein Buschfeuer fraß sich nicht so schnell durch einen ausgetrockneten Wald, wie sich Klatsch unter Frauen verbreitete. Eine große blonde Sul'dam schaute in seine Richtung und schüttelte den Kopf. Eine stämmige kleine Sul'dam lachte laut und verzog ihr Gesicht, das so dunkel wie das einer Atha'an Miere war. Er war bloß Tylins Spielzeug.

Die Sul'dam bereiteten ihm keine Sorge, Teslyn hingegen schon. Er hatte sie einige Tage lang nicht unter den umhergeführten Damane gesehen. Heute ließen die Sul'dam ihre Umhänge im Wind flattern, aber die Damane hielten die ihren fest um die Körper geschlungen; nur Teslyns grauer Umhang flatterte vergessen in alle Richtungen, und sie strauchelte, wenn der Boden uneben war. Ihre Augen waren weit aufgerissen und blickten besorgt. Gelegentlich warf sie der schwarzhaarigen, drallen Sul'dam, die das andere Ende der silbernen Leine hielt, einen schnellen Blick zu, und wenn sie das tat, fuhr sie sich mit der Zunge unsicher über die Lippen.

In Mats Eingeweiden schien sich eine Faust zu ballen. Wo war ihre Entschlossenheit geblieben? Wenn sie bereit war, sich unterkriegen zu lassen...

»Alles in Ordnung?«, fragte Vanin, als Mat abstieg und ihm Pips Zügel reichte. Es hatte angefangen zu regnen, kalte, dicke Tropfen, und die Sul'dam trieben ihre Schützlinge lachend ins Gebäude, um nicht nass zu werden. Einige der Damane lachten auch, ein Laut, der beinahe Mats Blut erstarren ließ. Vanin ging kein Risiko ein, dass sich jemand möglicherweise fragte, warum sie draußen im Regen standen und sich unterhielten. Der dicke Mann bückte sich, hob Pips linkes Vorderbein hoch und studierte den Huf. »Ihr seht etwas kränklicher aus als sonst.«

»Es ist alles in bester Ordnung«, erwiderte Mat. Der Schmerz in Bein und Hüfte nagte an ihm wie ein Raubtier, aber er nahm ihn gar nicht bewusst wahr, genauso wenig wie den noch dichter fallenden Regen. Licht, wenn Teslyn jetzt aufgab ... »Vergesst nicht. Wenn Ihr heute Nacht im Palast Schreie hört oder etwas Ähnliches, das nach Ärger klingt, dann wartet nicht. Harnan auch nicht. Ihr reitet dann auf der Stelle los und findet Olver. Er wird ...«

»Ich weiß, wo wir den kleinen Burschen finden werden.« Vanin ließ Pips Bein los, erhob sich und spuckte durch eine seiner Zahnlücken. Regen lief ihm übers Ge —sicht. »Harnan ist zu blöd, um allein die Stiefel anzuzie —hen, doch ich weiß, was zu tun ist. Ihr kümmert Euch um Euren Teil und sorgt dafür, dass Euer Glück anhält. Komm jetzt, Junge«, fügte er bedeutend wärmer an Pip gerichtet hinzu. »Ich habe schönen Hafer für dich. Und einen heißen Fischeintopf für mich.«

Mat hätte auch etwas essen sollen, aber ihm kam es so vor, als hätte er einen Stein verschluckt, der keinen Platz für eine Mahlzeit ließ. Er hinkte zurück in Tylins Gemächer, warf den feuchten Umhang über einen Stuhl und stand eine Weile da und starrte in die Ecke, wo sein schwarzschäftiger Speer neben dem Bogen stand. Den Ashandarei wollte er im letzten Augenblick holen. Das Blut würde im Bett sein, wenn er zuschlug, die Dienerschaft auch; nur die Wachen draußen würden nicht schlafen, und er würde nicht riskieren, dass man ihn damit sah, bevor es nicht zu vermeiden war. Selbst die Seanchaner, die ihn als Spielzeug bezeichneten, würden ihn bemerken, wenn er mitten in der Nacht eine Waffe durch die Korridore trug. Den Bogen hatte er auch mitnehmen wollen. Es war so gut wie unmöglich, außerhalb der Zwei Flüsse an gute schwarze Eibe heranzukommen, davon abgesehen schnitt man sie zu kurz. Im entspannten Zustand sollte ein Bogen zwei Handspannen größer als der Mann sein, der ihn spannte. Aber vielleicht ließ er ihn doch besser zurück. Falls es dazu kommen sollte, brauchte er für den Ashandarei sowieso beide Hände, und der Augenblick, den es dauerte, den Bogen fallen zu lassen, konnte der Augenblick sein, der ihn töten würde.

»Alles wird nach Plan gehen«, sagte er laut. Blut und Asche, er hörte sich genauso bescheuert wie Beslan an. »Ich werde mir nicht den Weg aus dem verdammten Palast freikämpfen müssen!« Und war beinahe genauso dumm. Bei den Würfeln war Glück eine feine Sache. Bei anderen Dingen konnte es einen Mann das Leben kosten, wenn er sich auf sein Glück verließ.

Er legte sich auf das Bett, schlug die bestiefelten Füße übereinander und betrachtete Speer und Bogen. Da die Tür zum Wohnzimmer offen stand, konnte er hören, wie die Zylinderuhr leise jede vergangene Stunde schlug. Licht, in dieser Nacht brauchte er sein Glück.

Das durch das Fenster einfallende Licht schwand so langsam, dass er beinahe aufgestanden wäre, um nachzusehen, ob die Sonne am Himmel stehen geblieben war, aber schließlich verblasste das graue Licht zu purpurnem Zwielicht und zu richtiger Dunkelheit. Die Uhr schlug zweimal, dann war nur noch das Rauschen des Regens und das Pfeifen des Windes zu hören. Arbeiter, die dem Wetter getrotzt hatten, würden die Werkzeuge niederlegen und schwerfällig nach Hause wanken. Niemand kam, um die Lampen zu entzünden oder sich um das Kaminfeuer zu kümmern. Niemand rechnete mit seiner Anwesenheit, da er in der vergangenen Nacht in diesem Bett geschlafen hatte. Die Flammen im Kamin des Schlafzimmers sanken in sich zusammen und erloschen. Jetzt war alles in Bewegung. Olver war in dem alten Stall in Sicherheit, dessen Dach größtenteils noch intakt war. Die Uhr schlug die erste Stunde der Nacht und es dauerte nicht mal eine Woche, und sie kündigte mit vier Schlägen die zweite Stunde an.

Mat erhob sich vom Bett, ertastete sich den Weg durch das stockfinstere Wohnzimmer und öffnete eines der hohen Fenster. Der kräftige Wind trieb Regentropfen durch das verschnörkelte, weiße Gitter aus Gusseisen, die seinen Mantel im Nu durchnässten. Der Mond verbarg sich hinter den Wolken, und die Stadt war eine Masse regenverhüllter Finsternis, die nicht einmal von einem Blitz erhellt wurde. Regen und Wind hatten anscheinend alle Straßenlaternen gelöscht; wenn sie den Palast verlassen hatten, würde die Nacht sie verbergen. Und jede Patrouille, die bei diesem Wetter auf der Straße war, würde zweimal hinsehen. Er zitterte, als der Wind durch den feuchten Mantel drang, und schloss das Fenster.

Er setzte sich auf die Kante eines der Bambus-Stühle, stützte die Ellbogen auf die Knie und beobachtete die Uhr auf dem erloschenen Kamin. Er konnte sie in der Dunkelheit nicht sehen, aber hier hörte er sie ticken. Er bewegte sich nicht, obwohl der eine Schlag, der die nächste Stunde ankündigte, ihn zusammenzucken ließ. Jetzt konnte man nur noch warten. Bald würde Egeanin Joline ihrer Sul'dam vorstellen. Falls sie wirklich drei Frauen gefunden hatte, die ihre Befehle befolgten. Falls Joline nicht in Panik ausbrach, wenn sie ihr das A'dam anlegten. Thom, Joline und die anderen aus dem Gasthaus würden kurz vor dem Dal Eira zu ihm stoßen. Und wenn er es nicht erreichte ... Thom hatte seine Steckrübe zurechtgeschnitzt und war ziemlich sicher, sie mit seinem gefälschten Befehl durch das Tor zu bringen. Zumindest hatten sie eine Chance, wenn alles schief ging. Wenn. Zu viele »Wenns«, um jetzt darüber nachzudenken. Dafür war es zu spät.

Die Uhr machte Fing, wie ein Stück Kristall, das mit einem Löffel angeschlagen wurde. Fing. Etwa jetzt würde sich Juilin auf den Weg zu seiner geliebten Thera machen und mit etwas Glück würde Beslan in irgendeiner Schenke mit dem ernsthaften Trinken anfangen. Er holte tief Luft, stand in der Dunkelheit auf und überprüfte tastend die Messer, die in seinen Ärmeln, unter dem Mantel, in den heruntergeschlagenen Schäften seiner Stiefel und hinten in seinem Kragen versteckt waren. Als er damit fertig war, verließ er die Gemächer. Zu spät, um jetzt noch etwas anderes tun zu können als anzufangen.

Die leeren Korridore waren nur spärlich beleuchtet. In nur einem Kandelaber von dreien brannte eine Flamme vor den Spiegeln, kleine Teiche aus Licht, zwischen denen Schatten flackerten, die niemals richtig dunkel wurden. Mats Stiefel hallten laut auf den Bodenfliesen. Und den Marmorstufen. Es war unwahrscheinlich, dass zu dieser Stunde überhaupt noch jemand wach war, aber falls jemand ihn sah, durfte er nicht den Anschein erwecken, er würde umherschleichen. Er steckte die Daumen hinter den Gürtel und zwang sich zu schlendern. Es war nicht schlimmer, als einen Kuchen von der Küchenfensterbank zu stehlen. Obwohl, wenn er darüber nachdachte, schienen die lückenhaften Erinnerungen an seine Kindheit zu besagen, dass man ihm dafür ein- oder zweimal beinahe die Haut abgezogen hätte.

Er betrat den Säulengang vor dem Stallhof; der Wind peitschte den Regen zwischen die weißen Säulen, und Mat schlug den Kragen hoch. Verdammter Regen! Darin konnte man ja ertrinken, dabei war er noch gar nicht richtig draußen gewesen. Die an den Außenmauern angebrachten Lampen waren alle erloschen mit Ausnahme der beiden, die das offene Tor flankierten; die einzigen hellen Lichter im strömenden Regen. Die Wache der Seanchaner würde so reglos dastehen, als wäre es ein angenehmer Nachmittag. Die Ebou Dari vermutlich auch; sie mochten es überhaupt nicht, irgendwie vorgeführt zu werden. Nach einem Augenblick zog er sich zur Tür der Eingangshalle zurück, um nicht völlig durchnässt zu werden. Auf dem Stallhof regte sich nichts. Wo waren sie? Blut und verfluchte Asche, wo ...?

Reiter erschienen im Tor, denen zwei Männer mit Stablaternen vorausgingen. Mat konnte sie bei dem Regen nicht zählen, aber es waren zu viele. Würden seanchanische Kuriere Laternenträger haben? Vielleicht bei diesem Wetter? Mit einer Grimasse trat er noch einen Schritt zurück, in die Eingangshalle hinein. Das fahle Licht der einsamen Lampe hinter ihm reichte aus, um die Nacht draußen in eine schwarze Decke zu verwandeln, aber er spähte in sie hinein. Ein paar Minuten später erschienen vier mit dicken Umhängen vermummte Gestalten, die auf die Tür zueilten. Wenn es Kuriere waren, würden sie an ihm vorbeigehen, ohne ihm einen zweiten Blick zuzuwerfen.

»Euer Mann Vanin ist unverschämt«, verkündete Egeanin und warf die Kapuze zurück, sobald sie an den kannelierten Säulen vorbei war. In der Dunkelheit war ihr Gesicht bloß ein Schatten, aber die Kälte ihrer Stimme reichte aus, um ihm zu verraten, was er sehen würde, bevor sie die Halle betrat und ihn zurückdrängte. Ihre Brauen waren zusammengezogen, ihre Augen schleuderten Blicke wie eisige Dolche. Ein grimmiger Domon folgte ihr und schüttelte Regen von seinem Umhang, dann kamen zwei Sul'dam; die eine war blass und hatte blondes Haar, die andere langes braunes Haar. Viel mehr konnte Mat nicht sehen, da sie mit gesenkten Köpfen dort standen und die Fliesen zu ihren Füßen betrachteten. »Ihr habt mir nicht gesagt, dass sie zwei Männer dabei hat«, fuhr Egeanin fort und schälte sich die Handschuhe von den Händen. Sie ließ einem keine Gelegenheit, ein Wort dazwischenzuquetschen. »Oder dass Frau Anan mitkommt. Glücklicherweise kenne ich mich darin aus zu improvisieren. Pläne müssen immer den Umständen angepasst werden, wenn der Anker trocken ist. Apropos trocken, seid Ihr bereits draußen rumgelaufen? Ich hoffe, man hat Euch nicht bemerkt.«

»Was meint Ihr damit, Ihr habt den Plan den Umständen angepasst?«, wollte Mat wissen und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Licht, es war ganz nass! »Ich hatte alles genau festgelegt!« Warum standen die beiden Sul'dam reglos da? Wenn er jemals widerwillige Statuen gesehen hatte, dann die beiden. »Wer sind all die anderen da draußen?«

»Die Leute aus dem Gasthaus«, sagte Egeanin ungeduldig. »Erstens brauchte ich das entsprechende Gefolge, damit für die Straßenpatrouillen alles richtig aussieht. Diese beiden Behüter sind muskulöse Burschen; sie geben ausgezeichnete Laternenträger ab. Zweitens wollte ich nicht das Risiko eingehen, sie in diesem Sturm zu verlieren. Besser, wir sind alle von Anfang an zusammen.« Sie wandte den Kopf und folgte seinem Blick zu den beiden Sul'dam. »Das sind Seta Zarbey und Renna Emain. Vermutlich hoffen sie, dass Ihr diese Namen nach der heutigen Nacht wieder vergesst.«

Die blasse Frau zuckte zusammen, als der Name Seta ausgesprochen wurde, also musste die andere Renna sein. Keine von ihnen hob den Kopf. Wieso hatte Egeanin sie eigentlich in der Hand? Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Es kam nur darauf an, dass sie da und bereit waren, das Nötige zu tun.

»Sinnlos, hier herumzustehen«, sagte Mat. »Bringen wir es hinter uns.« Er verkniff sich jede Bemerkung zu ihrer Planänderung. Schließlich hatte er, als er in Tylins Gemächern auf dem Bett gelegen hatte, sich selbst dazu entschlossen, die eine oder andere Änderung zu riskieren.

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