47 Die Wanderin

Mat wünschte sich einen ruhigen Ritt nach Ebou Dar, und in gewisser Weise wurde sein Wunsch erfüllt. Aber es ärgerte ihn dennoch sehr, mit sechs Frauen zu reisen, von denen vier noch dazu Aes Sedai waren.

Sie erreichten den fernen Wald am ersten Tag, als die Sonne noch hoch am Himmel stand, und ritten mehrere Stunden unter einem hohen Baldachin überwiegend kahler Äste dahin, während totes Laub und trockene Zweige unter den Pferdehufen knirschten, bis sie unmittelbar vor Sonnenuntergang in der Nähe eines Stromes, der nur wenig Wasser führte, ihr Lager errichteten. Harnan, der Anführer der Rotte mit dem tätowierten Falken auf der Wange, sorgte dafür, daß die Reiter der Horde versorgt, die Pferde gestriegelt und angepflockt, Wachen aufgestellt und Feuer entzündet wurden. Nerim und Lopin liefen umher und jammerten darüber, daß sie keine Zelte mitgenommen hatten. Woher sollte ein Mann wissen, daß sie nächtelang auf dem Boden schlafen würden, wenn sein Herr nichts sagte. Und wenn sein Herr sich bei irgend etwas den Tod holte, wäre es nicht seine Schuld. Hager und kräftig, klangen sie wie Echos. Vanin kümmerte sich natürlich um sich selbst, obwohl er auch auf Olver achtete und Winds Hals striegelte, den der Junge nicht erreichen konnte, selbst wenn er den Sattel als Hocker benutzte. Jedermann kümmerte sich um Olver.

Die Frauen teilten das Lager in einer Weise auf, daß ihr Bereich so abgeschieden war, als wäre er fünfzig Fuß entfernt. Eine unsichtbare Linie schien das Lager in zwei Hälften zu spalten, mit unsichtbaren Zeichen, die den Reitern bedeuteten, daß sie diese Linie nicht übertreten durften. Nynaeve und Elayne und die beiden weißhaarigen Frauen hatten sich mit Aviendha und der blonden Jägerin um ihr eigenes Feuer versammelt und schauten selten dorthin, wo Mat und seine Männer ihre Decken ausbreiteten. Bei der leisen Unterhaltung ging es, soweit Mat sie verstehen konnte, um Vandenes und Adeleas' Sorge, daß Aviendha ihr Pferd den ganzen Weg nach Ebou Dar führen wollte, anstatt zu reiten. Thom versuchte, ein Wort mit Elayne zu wechseln, und erhielt einen flüchtigen Schlag auf die Wange, bevor er zu Juilin und Jaem, dem sehnigen alten Behüter, zurückgeschickt wurde, der zu Vandene gehörte und seine ganze Zeit mit dem Schärfen seines Schwertes zu verbringen schien.

Mat hatte keine Einwände dagegen, daß die Frauen sich abseits hielten. Sie waren von einer Anspannung umgeben, die ihm unverständlich war. Zumindest Nynaeve und Elayne, aber auch die Jägerin schien davon beeinflußt. Sie sahen die Aes Sedai manchmal ein wenig zu unverwandt an — die anderen Aes Sedai; er war sich nicht sicher, ob er sich jemals daran gewöhnen würde, Nynaeve und Elayne als Aes Sedai zu betrachten —, obwohl Vandene und Adeleas dies genauso wenig zu bemerken schienen wie Aviendha. Was auch immer der Grund dafür war — Mat wollte nichts damit zu tun haben. Es roch nach einem unterschwelligen Streit, der jeden Moment ausbrechen konnte, und egal ob er ausbrach oder weiterhin nur schwelte, sollte sich ein kluger Mann von Frauengezänk fernhalten. Und ein kluger Mann sollte sich sehr weit entfernen, wenn diese Frauen noch dazu Aes Sedai waren.

Dies war ein wenig ärgerlich, wie auch eine weitere Sache, an der er selbst die Schuld trug. Das Essen. Der Duft von Lamm und Suppe schwebte vom Feuer der Aes Sedai heran. Da er schnell in Ebou Dar anzukommen erwartet hatte, hatte er Vanin und den anderen gegenüber nichts von Essen erwähnt, was bedeutete, daß sie nur ein wenig getrocknetes Fleisch und hartes Fladenbrot in ihren Satteltaschen hatten. Mat hatte kaum einen Vogel oder ein Eichhörnchen gesehen, ganz zu schweigen von Wild, so daß eine Jagd außer Frage stand. Als Nerim einen kleinen Falttisch und einen Stuhl für Mat aufstellte — Lopin stellte derweil einen weiteren Tisch und Stuhl für Nalesean auf —, befahl Mat ihm auszuteilen, was er in den Körben der Packpferde verstaut hatte. Das Ergebnis war nicht so erfreulich, wie er gehofft hatte.

Nerim stand an Mats Tisch und goß Wasser aus einem Silberkrug, als wäre es Wein, während er düster beobachtete, wie die feineren Sachen in die Kehlen der Reiter wanderten. »Eingelegte Wachteleier, Mylord«, verkündete er mit Grabesstimme. »Sie wären sehr gut für Mylords Frühstück in Ebou Dar geeignet gewesen.« Und: »Die allerfeinste geräucherte Zunge, Mylord. Wenn Mylord nur wüßte, was ich durchgemacht habe, um in diesem armseligen Dorf in Honig geräucherte Zunge zu bekommen, ohne die Zeit zu haben, etwas anderes zu suchen, wobei uns das beste bereits von den Aes Sedai weggeschnappt wurde.« Größten Kummer schien ihm aber zu bereiten, daß Lopin für Nalesean gekochte Lerchen gefunden hatte. Jedesmal, wenn Nalesean eine davon zwischen seinen Zähnen zermahlte, wurde Lopins selbstgefälliges Lächeln noch breiter und Nerims Gesicht noch länger. Was das Essen betraf, war unübersehbar, daß die Männer lieber ein Stück Lammfleisch und eine Schale Suppe bekommen hätten als noch so viel in Honig geräucherte Zunge oder Gänseleberpastete. Olver sah sehnsuchtsvoll zum Feuer der Frauen.

»Möchtest du mit ihnen essen?« fragte Mat ihn. »Es ist in Ordnung, wenn du das möchtest.«

»Ich mag geräucherten Aal«, antwortete Olver tapfer. Und dann fügte er in düsterem Tonfall hinzu: »Sie könnte vielleicht etwas hineintun.« Sein Blick folgte Aviendha bei jeder Bewegung, und er schien auch gegen die Jägerin eingenommen, vielleicht weil sie viel Zeit mit freundlichem Geplauder mit den Aielfrauen verbrachte. Aviendha mußte den Blick des Jungen gespürt haben, weil sie ihn schließlich ansah und die Stirn runzelte.

Mat wischte sich übers Kinn, schaute zum Feuer der Aes Sedai und bemerkte, daß Jaem nicht da war. Vanin murrte, weil er noch einmal hinausgeschickt wurde, aber Mat tat dies aus demselben Grund, weshalb er den Mann den Tag über, obwohl Jaem das gleiche tat, hatte vorausgehen und die Gegend erkunden lassen. Er wollte sich nicht auf das verlassen, was die Aes Sedai ihm mitzuteilen beliebten. Er hätte Nynaeve vielleicht vertraut — er glaubte nicht, daß sie ihn tatsächlich belügen würde; Nynaeve war als Seherin auf Lügner stets schlecht zu sprechen gewesen —, aber sie spähte ständig auf sehr mißtrauische Art über Adeleas' Schulter zu ihm hinüber.

Zu seiner Überraschung erhob sich Elayne, sobald sie ihre Mahlzeit beendet hatte, und glitt über die unsichtbare Linie. Einige Frauen schienen einfach über den Boden zu schweben. »Wollt Ihr mich begleiten, Meister Cauthon?« fragte sie kühl. Nicht wirklich höflich, aber auch nicht grob.

Er bedeutete ihr vorauszugehen, und sie schwebte in den mondbeschienenen Wald jenseits der Wachen. Das goldene Haar fiel um ihre Schultern, umrahmte ein Gesicht, das jeden Mann anzog, und das Mondlicht dämpfte ihre Anmaßung. Wenn sie etwas anderes gewesen wäre, als sie war... Und er meinte damit nicht, daß sie eine Aes Sedai war oder daß sie zu Rand gehörte. Dann begann Elayne zu sprechen, und er vergaß alles andere.

»Ihr besitzt ein Ter'angreal«, sagte sie ohne lange Vorrede und ohne ihn anzusehen. Sie schwebte einfach dahin, ließ die Blätter auf dem Boden rascheln, als erwarte sie von ihm, daß er ihr wie ein Jagdhund folgte. »Einige glauben, daß Ter'angreals rechtmäßig den Aes Sedai gehören, aber ich verlange nicht von Euch, es mir auszuhändigen. Niemand wird es Euch nehmen. Diese Dinge müssen jedoch überprüft werden. Daher möchte ich, daß Ihr mir das Ter'angreal jeden Abend überlaßt, wenn wir rasten. Ich werde es Euch jeden Morgen wiedergeben, bevor wir aufbrechen.«

Mat sah sie von der Seite an. Sie meinte es zweifellos ernst. »Es ist sehr freundlich von Euch, daß Ihr mir lassen wollt, was mir gehört. Aber was führt Euch zu dem Glauben, daß ich eines besitze, eines dieser ... wie habt Ihr es genannt? Ein Ter-sowieso?«

Oh, sie erstarrte bei diesen Worten tatsächlich und sah ihn argwöhnisch an. Er war überrascht, keine Funken aus ihren Augen sprühen zu sehen, die die Nacht erleuchteten. Aber ihre Stimme war reinstes, kristallklares Eis. »Ihr wißt sehr wohl, was ein Ter'angreal ist, Meister Cauthon. Ich hörte Moiraine im Stein von Tear mit Euch darüber sprechen.«

»Im Stein?« fragte er sanft. »Ja, ich erinnere mich an den Stein. Wir hatten dort alle eine schöne Zeit. Erinnert Ihr Euch an etwas, das Euch ein Recht gibt, Forderungen an mich zu stellen? Ich nicht. Ich bin nur hier, um Euch und Nynaeve davor zu bewahren, in Ebou Dar Schaden zu erleiden. Ihr könnt Rand nach dem Ter'angreal fragen, wenn ich Euch seiner Obhut übergebe.«

Sie sah ihn einen langen Moment an, als wollte sie ihn mit Willenskraft niederstrecken, wandte sich dann aber wortlos auf dem Absatz um. Er folgte ihr zum Lager zurück und war überrascht, sie die Reihe der angepflockten Pferde entlanggehen zu sehen. Sie begutachtete die Feuer und die ausgelegten Decken und schüttelte beim Anblick der Essensreste der Reiter den Kopf. Er hatte keine Ahnung, was sie vorhatte, bis sie mit hocherhobenem Kinn zu ihm zurückkam.

»Eure Männer haben ihre Sache sehr gut gemacht, Meister Cauthon«, sagte sie so laut, daß jedermann sie hören konnte. »Ich bin ganz allgemein überaus zufrieden. Aber wenn Ihr richtig vorausgeplant hättet, müßten die Männer keine Nahrung herunterschlingen, die sie heute nacht wachhalten wird. Dennoch — Ihr habt Eure Aufgabe insgesamt gut erfüllt. Und sicherlich werdet Ihr in Zukunft vorausdenken.« Sie kehrte so kühl, wie man es sich nur vorstellen konnte, zu ihrem Feuer zurück, bevor er ein Wort sagen konnte, so daß er ihr nur hinterherstarrte.

Aber wäre das alles gewesen — daß die verdammte Tochter-Erbin ihn für einen ihrer Untergebenen hielt und Nynaeve und sie selbst Vandene und Adeleas gegenüber verschlossen waren —, dann hätte er einen Freudentanz aufgeführt. Aber unmittelbar nach Elaynes Weggang wurde der Fuchskopf, noch bevor Mat überhaupt seine Decken erreichen konnte, kalt.

Er war so erschrocken, daß er am Fleck stehenblieb und auf seine Brust hinabstarrte, bevor er auch nur daran dachte, zum Feuer der Aes Sedai zu schauen.

Sie standen, einschließlich Aviendha, an der unsichtbaren Linie aufgereiht. Elayne murmelte etwas Unverständliches, und die beiden weißhaarigen Aes Sedai nickten, während Adeleas unaufhörlich einen Federhalter in ein Tintenfaß an ihrem Gürtel tauchte und in einem kleinen Buch Notizen machte. Nynaeve zog an ihrem Zopf und murmelte vor sich hin.

Es dauerte nur wenige Augenblicke. Dann verging die Kälte, und die Frauen kehrten, leise miteinander sprechend, zu ihrem Feuer zurück. Hin und wieder schaute eine von ihnen in seine Richtung, bis er sich schließlich hinlegte.

Am zweiten Tag gelangten sie auf eine Straße, und Jaem legte seinen die Farbe verändernden Umhang ab. Die Straße bestand aus festgetretener Erde, durch die manchmal alte Pflastersteine hindurchschimmerten, aber sie kamen auch hier nicht wesentlich schneller voran, da sich die Straße durch eine zunehmend hügeligere Waldlandschaft schlängelte. Einige jener Hügel verdienten es, zumindest als kleine Berge bezeichnet zu werden, gezackte Erhebungen mit kahlen Klippen und aus dem Wald herausragenden felsigen Spitzen. Ein schmaler, aber beständiger Strom von Menschen eilte in beide Richtungen, hauptsächlich Gruppen verwahrloster Gestalten mit ausdruckslosen Gesichtern, die kaum genug Verstand zu haben schienen, dem hochrädrigen Ochsenkarren eines Bauern aus dem Weg zu gehen, und noch viel weniger einem Händlerzug mit seinen Planwagen, die, von sechs oder acht Pferden gezogen, eilig dahinfuhren. Bauernhöfe und Scheunen aus hellem Stein klebten an den Hängen der Hügel, und am Mittag des dritten Tages sahen sie das erste Dorf mit weiß verputzten Häusern, deren flache Dächer mit rötlichen Ziegeln gedeckt waren.

Aber die Nadelstiche blieben. Elayne behielt ihre abendlichen Besichtigungen bei. Als er sarkastisch bemerkte, er sei froh, daß sie zufrieden sei — es war in der zweiten Nacht, in der sie seitlich der Straße lagerten —, lächelte sie eines dieser bewußt erhabenen Lächeln und sagte: »Das solltet Ihr auch sein, Meister Cauthon«, wodurch der Eindruck erweckt wurde, er habe jedes Wort ernst gemeint!

Als sie in Gasthöfen rasteten, besichtigte sie die Pferde in den Ställen und die Schlafplätze der Reiter auf den Heuböden. Die Bitte an sie, dies nicht mehr zu tun, brachte ihm nur eine kühl gewölbte Augenbraue, aber keine Antwort ein. Der Befehl, es nicht mehr zu tun, brachte ihm nicht einmal die gewölbte Augenbraue ein. Sie ignorierte ihn einfach vollkommen. Sie forderte ihn auf, Dinge zu tun, die er bereits selbst zu tun beschlossen hatte — wie, zum Beispiel, beim ersten Gasthof, wo es einen Hufschmied gab, alle Pferdehufe überprüfen zu lassen. Noch schmerzlicher war, daß sie ihn auch aufforderte, Dinge zu tun, um die er sich gekümmert hätte, wenn er vor ihr davon gewußt hätte. Mat konnte sich nicht vorstellen, wie sie herausbekommen hatte, daß Tad Kandel einen Furunkel an seinem Gesäß zu verbergen versuchte, oder daß Lawdrin Mendair nicht weniger als fünf Flaschen Brandy in seinen Satteltaschen versteckte. Er war mehr als verärgert, Dinge tun zu müssen, nachdem sie ihn dazu aufgefordert hatte, aber Kandels Furunkel mußte herausgeschnitten und Mendairs Brandy ausgegossen werden, und noch ein Dutzend andere Dinge mußten erledigt werden.

Mat betete inständig, daß sie ihm einmal etwas auftrug, was nicht getan werden mußte, nur einmal, damit er es ihr verweigern konnte. Nachdrücklich, vollkommen verweigern konnte! Die Herausgabe des Ter'angreals abermals zu fordern, wäre der krönende Höhepunkt gewesen, aber sie erwähnte es niemals wieder. Er erklärte den Reitern, daß sie nicht verpflichtet seien, ihr zu gehorchen, aber sie begannen erfreut zu lächeln, wenn sie ihnen Komplimente darüber machte, wie gut sie sich um ihre Pferde kümmerten, und streckten die Brust heraus, wenn sie ihnen sagte, sie machten einen guten Eindruck auf sie. An jenem Tag, an dem er Vanin vor ihr die Hand an die Stirn legen sah und ihn ohne die leiseste Spur von Ironie »Vielen Dank, Mylady« murmeln hörte —, an diesem Tag verschluckte Mat sich fast an seiner Zunge.

Er versuchte, freundlich zu sein, aber keine der Frauen reagierte darauf. Aviendha belehrte ihn, daß er keine Ehre besäße, und wenn er Elayne nicht mehr Respekt erweisen könne, würde sie es selbst übernehmen, ihn Respekt zu lehren. Aviendha! Die Frau, der er noch immer unterstellte, daß sie nur auf eine Gelegenheit wartete, Elayne die Kehle durchzuschneiden! Sie nannte Elayne ihre Nächst-Schwester! Vandene und Adeleas starrten ihn an, als wäre er ein seltener, auf ein Brett aufgespießter Käfer. Er erbot sich, mit der Jägerin Schießübungen zu veranstalten — der Bogen, den sie trug, mußte ihre Phantasie angeregt haben; ihr Name als Jägerin war Birgitte —, aber sie sah ihn nur sehr eigenartig an und lehnte höflich ab. Danach mied sie ihn. Sie hing wie ein Mühlstein an Elayne, außer wenn diese in seine Nähe kam. Und Nynaeve...

Sie mied ihn schon den ganzen Weg seit Salidar, als würde er schlecht riechen. Am dritten Abend ihrer Reise, der ersten in einem Gasthaus, einem kleinen Haus namens Der Hochzeitsdolch, sah Mat sie im Stall eine verschrumpelte Möhre an ihre gedrungene Stute verfüttern, und er beschloß, daß er mit ihr zumindest über Bode sprechen könnte. Nicht jeden Tag ging die Schwester eines Mannes davon, um eine Aes Sedai zu werden, und Nynaeve würde wissen, was Bode zu bewältigen hatte. »Nynaeve«, sagte er, während er auf sie zuging, »ich möchte mit Euch reden...« Aber weiter kam er nicht.

Sie sprang nahezu senkrecht in die Luft und kam mit geballter Faust wieder zum Stehen, obwohl sie sie sofort in den Falten ihrer Röcke verbarg. »Laßt mich in Ruhe, Mat Cauthon«, sagte sie deutlich hörbar. »Hört Ihr mich? Laßt mich in Ruhe!« Und sie floh, zwängte sich an ihm vorbei und bewegte sich dermaßen starr, daß er erwartete, ihr Zopf würde wie ein Katzenschwanz senkrecht in die Luft ragen. Ihrem Verhalten nach roch er nicht nur schlecht, sondern hatte bestimmt irgendeine Krankheit, die sowohl ekelerregend als auch ansteckend war. Wenn er auch nur in ihre Nähe zu kommen versuchte, versteckte sie sich hinter Elayne und starrte ihn über die Schulter hinweg an, beinahe so, als wollte sie ihm die Zunge herausstrecken. Frauen waren schlichtweg verrückt.

Zumindest waren Thom und Juilin bereit, den Tag über neben ihm zu reiten, wann immer Elayne nicht ihre Aufmerksamkeit forderte. Manchmal tat sie es, einfach um sie von ihm fernzuhalten, dessen war Mat sich sicher, obwohl er nicht ergründen konnte warum. Wenn sie ein Gasthaus gefunden hatten, teilten die beiden am Abend sehr gerne einen oder zwei Krüge Bier oder gewürzten Wein mit ihm und Nalesean. Es waren ländliche, ruhige Schankräume mit Ziegelsteinwänden, wo das einzige Vergnügen darin bestand, eine Tigerkatze zu beobachten, und die Wirtin selbst am Tisch bediente — unvermeidlicherweise eine Frau mit Hüften, die den Eindruck erweckten, als würde sich ein Mann bei dem Versuch hineinzukneifen die Finger brechen. Sie sprachen hauptsächlich über Ebou Dar, wovon Thom einiges wußte, obwohl er niemals dortgewesen war. Nalesean war jederzeit bereit, so oft von seinem dortigen Besuch zu erzählen, wie es gewünscht wurde, obwohl er sich lieber auf die Duelle und Pferdewetten beschränkt hätte, die er dort erlebt hatte. Juilin wußte Geschichten von Männern zu erzählen, die wiederum Männer kannten, die dort gewesen waren, Geschichten, die unglaublich klangen, bis Thom oder Nalesean sie bestätigten. Männer fochten in Ebou Dar Duelle um Frauen aus, und Frauen um Männer, und in beiden Fällen wurde der Preis — dieser Begriff wurde genannt — dem Sieger zugesprochen. Männer schenkten Frauen einen Dolch, wenn sie heirateten, und baten diese, sie damit zu töten, wenn sie ihnen mißfielen — ihnen mißfielen! —, und eine Frau, die einen Mann tötete, wurde als dazu berechtigt angesehen, es sei denn, es erwies sich etwas anderes. In Ebou Dar behandelten die Männer die Frauen mit Vorsicht und zwangen sich, über Dinge zu lächeln, derentwegen sie einen anderen Mann getötet hätten. Elayne würde es gefallen. Und Nynaeve ebenfalls.

Noch etwas anderes erwies sich bei diesen Gesprächen. Mat hatte sich Nynaeves und Elaynes Mißfallen über Vandene und Adeleas nicht eingebildet, wie sehr sie es auch zu verbergen versuchten. Nynaeve begnügte sich anscheinend damit, zu schauen und leise zu murmeln. Elayne runzelte auch nicht die Stirn und murrte nicht aber sie versuchte ständig, die Führung zu übernehmen. Sie schien zu glauben, sie sei bereits Königin von Andor. Wie viele Jahre die Gesichter der Aes Sedai auch verbergen mochten —Vandene und Adeleas waren gewiß alt genug, um die Mütter, wenn nicht die Großmütter der jüngeren Frauen sein zu können. Mat wäre nicht überrascht gewesen zu erfahren, daß sie bereits Aes Sedai waren, als Nynaeve und Elayne geboren wurden. Selbst Thom konnte die Anspannung nicht ergründen, obwohl er für einen einfachen Gaukler viele Dinge verstand. Elayne war Thom über den Mund gefahren und hatte ihm gesagt, daß er nichts verstünde, als er versuchte, ihr sanft zu widersprechen. Anscheinend waren die beiden älteren Aes Sedai bemerkenswert duldsam. Adeleas schien häufig nicht zu bemerken, wenn Elayne Befehle gab, und Vandene schien überrascht, wenn sie es bemerkte.

»Vandene sagte: ›Nun, wenn Ihr wirklich wollt, Kind, werden wir es natürlich tun‹«, murmelte Juilin in sein Bier, als er einen Zwischenfall schilderte. »Man könnte glauben, ein Mädchen, das noch vor wenigen Tagen nur eine Aufgenommene war, wäre darüber erfreut. Aber Elaynes Augen erinnerten mich an einen Wintersturm. Und Nynaeve biß so fest die Zähne zusammen, daß ich dachte, sie würden zerbrechen.«

Sie saßen im Schankraum des Hochzeitsdolchs. Vanin und Harnan und andere besetzten die Bänke anderer Tische, zusammen mit einer Anzahl Einheimischer. Die Männer trugen lange Westen — oft ohne Hemd —, von denen einige so prachtvoll wie die eines Kesselflickers waren. Die Frauen trugen helle, tief ausgeschnittene Gewänder und hatten ihre Röcke bis über die Knie gerafft um ausreichend bunte Unterröcke zu zeigen, daß die Westen dagegen verblaßten. Viele der Männer und alle Frauen trugen große Ohrringe und an den Händen gewöhnlich drei oder vier vor gefärbtem Glas schillernde Ringe. Männer und Frauen tasteten gleichermaßen hin und wieder nach langen, gebogenen Dolchen, die in ihren Gürteln steckten, und betrachteten finster die Fremden. Zwei Händlerzüge aus Amadicia hatten im Hochzeitsdolch haltgemacht, aber die Händler aßen in ihren Zimmern, und ihre Kutscher blieben bei den Wagen. Elayne und Nynaeve und die übrigen Frauen hielten sich ebenfalls oben auf.

»Frauen sind ... anders«, bemerkte Nalesean lachend und als Antwort auf Juilin, obwohl er an Mat gewandt sprach, während er an seinem Bart zupfte. Er war Fremden gegenüber sonst nicht so zurückhaltend, aber Juilin war ein tairenischer Bürgerlicher, und das schien einen Unterschied zu machen. »In Tear sagt ein Bauer: ›Eine Aes Sedai sind zehn Frauen in einer Haut.‹ Bauern sind manchmal sehr weise. Ich will verdammt sein, wenn sie es nicht sind.«

»Zumindest hat niemand etwas, sagen wir, Ungebührliches unternommen«, sagte Thom, »obwohl ich dachte, daß es nahe daran war, als Elayne damit herausplatzte, sie habe Birgitte zu ihrer ersten Behüterin gemacht.«

»Die Jägerin?« rief Mat aus. Mehrere der Einheimischen sahen ihn strafend an, und er senkte seine Stimme wieder. »Sie ist auch eine Behüterin? Elaynes Behüterin?« Das erklärte sicherlich einiges.

Thom und Juilin wechselten über den Rand ihrer Becher hinweg Blicke.

»Sie wird erfreut sein zu erfahren, daß du herausgefunden hast, daß sie eine Jägerin des Horns ist«, sagte Thom, während er sich Bier aus dem Schnurrbart wischte. »Ja, das ist sie, und das hätte beinahe einen richtigen Wettstreit ausgelöst. Jaem mochte sie sofort wie eine jüngere Schwester, aber Vandene und Adeleas...« Er seufzte tief. »Sie waren beide nicht sehr erfreut darüber, daß sie bereits einen Behüter erwählt hatte —offensichtlich brauchen die meisten Jahre, bis sie einen geeigneten Behüter finden —, und sie waren besonders betroffen darüber, daß sie eine Frau erwählt hat. Und ihr Mißfallen ärgert Elayne noch mehr.«

»Sie mögen anscheinend nicht gerne Dinge, die niemals zuvor getan wurden«, fügte Juilin hinzu.

»Ein weiblicher Behüter«, murrte Nalesean. »Ich wußte, daß sich mit dem Wiedergeborenen Drachen alles ändern würde, aber ein weiblicher Behüter?«

Mat zuckte die Achseln. »Sie wird ihre Aufgabe vermutlich zur Genüge erfüllen, solange sie diesen Bogen handhaben kann... Verschluckt?« fragte er Juilin, der nach einem Schluck Bier zu würgen begonnen hatte. »Ich ziehe einen guten Bogen einem Schwert jederzeit vor. Noch besser ist ein langer, dicker Stock, aber ein Bogen ist genauso gut. Ich hoffe nur, daß sie mir nicht in die Quere zu kommen versucht, wenn es soweit ist, Elayne zu Rand zu bringen.«

»Ich glaube, sie kann damit umgehen.« Thom beugte sich über den Tisch, um Juilin auf den Rücken zu schlagen. »Ich glaube, sie kann es, Mat.«

Aber wenn Nynaeve und die anderen daran dachten, sich zu prügeln — und Mat wollte, ob mit oder ohne Fuchskopf, mindestens zehn Meilen davon entfernt sein —, zeigten sie es ihm gegenüber nicht. Er sah nur eine einheitliche Front und weitere Versuche, ihm gegenüber die Macht zu lenken, die begannen, als er am Morgen nach dem ersten Versuch Pips sattelte. Glücklicherweise war er gerade damit beschäftigt sich Nerims zu erwehren, der glaubte, es sei seine Aufgabe, Mats Pferd zu satteln, und andeutete, er könnte es besser. Der Kälteblitz dauerte nur einen Moment, so daß Mat äußerlich nicht zeigte, überhaupt etwas bemerkt zu haben. Das, so beschloß er, wäre seine Antwort. Keine Blicke, keine Vorwürfe. Er würde sie ignorieren und in ihrem eigenen Saft schmoren lassen.

Er hatte reichlich Gelegenheit, sie zu ignorieren. Das Silbermedaillon wurde zwei weitere Male kalt, bevor sie die Straße fanden, dann mehrere weitere Male während des Tages, am Abend, und jeden Tag und Abend danach. Manchmal kam und ging es während zwei Lidschlägen, und manchmal war er sicher, daß es eine Stunde lang anhielt. Er konnte natürlich niemals sagen, welche von ihnen dafür verantwortlich war. Einmal jedoch, als die Hitze ihm am Rücken einen Ausschlag beschert hatte und das Tuch um seinen Hals ihm die Kehle abzuschnüren schien, ertappte er Nynaeve, wie sie ihn ansah, als das Medaillon kalt wurde. Sie betrachtete ihn mit dermaßen stark gerunzelter Stirn, daß ein vorbeigehender Bauer, der seinen Ochsen mit einem Stock antrieb, sie über die Schulter ansah, als fürchte er, dieser Blick könne sich jeden Moment auf ihn richten oder vielleicht seinen Ochsen in der Karrendeichsel töten. Erst als Mat ihr Stirnrunzeln erwiderte, zuckte sie zusammen und fiel fast aus dem Sattel, und die Kälte schwand. Ansonsten konnte er es einfach nicht sagen. Manchmal sah er vielleicht, wie zwei oder drei von ihnen beisammen standen und ihn beobachteten, einschließlich Aviendha, die noch immer zu Fuß ging und ihr Pferd nur mit sich führte. Andere sprachen miteinander, wenn er sie ertappte, oder betrachteten einen am wolkenlosen Himmel schwebenden Adler oder einen großen Schwarzbär, eineinhalb mal so groß wie ein Mensch, der in Sichtweite der Straße an einem steilen Hang zwischen den Bäumen stand. Das einzig wahrhaft Gute an alledem war, daß er den Eindruck gewann, Elayne sei nicht froh. Er wußte nicht warum, und es kümmerte ihn auch nicht. Seine Männer besichtigen. Ihm den Kopf tätscheln und Komplimente machen. Wenn er zu Jähzorn geneigt hätte, hätte er sie getreten.

In Wahrheit begann er jedoch in nicht geringem Maße selbstgefällig zu werden. Was immer sie taten —es hatte keine Wirkung auf ihn, die durch eine von Nerims auf seine Brust geriebenen Salben nicht geheilt werden konnte. Die Selbstgefälligkeit hielt bis zum vierten Nachmittag an. Er kam gerade aus dem Stall, wo er Pips untergebracht hatte, ein schmuddeliges Gebäude aus weiß verputzten Ziegelsteinen in einem schmuddeligen Dorf mit weiß verputzten Ziegelsteinen und So Tehar genannten Einspännern, als ihn etwas Weiches genau zwischen die Schulterblätter traf. Er fuhr herum, bereit, einen Stallburschen oder einen der mürrisch dreinblickenden Tolpatsche der So Tehars niederzumachen, egal ob sie einen Dolch besaßen oder nicht. Aber es war kein Stallbursche und kein Tolpatsch zu sehen. Nur Adeleas, die eifrig etwas in ihr kleines Buch kritzelte und vor sich hin nickte. Ihre Hände waren vollkommen sauber.

Mat betrat das Gasthaus und bestellte gewürzten Wein, änderte seine Meinung dann aber und ließ sich statt dessen einen Brandy bringen, eine trübe Flüssigkeit, von der die Wirtin beharrlich behauptete, sie sei aus Zwetschgen gemacht, die aber wie Essig schmeckte. Juilin begnügte sich damit, daran zu schnuppern, und Thom wollte nicht einmal das tun. Sogar Nalesean nahm nur einen Schluck, bevor er gewürzten Wein bestellte, und Nalesean trank sonst alles. Mat verlor den Überblick, wie viele der kleinen Zinnbecher er leerte, aber wie viele auch immer es waren — Nerim und Lopin mußten ihn ins Bett bringen. Er hatte sich niemals erlaubt, darüber nachzudenken, ob der Fuchskopf Beschränkungen unterlag. Er hatte genügend Beweise dafür erhalten, daß er Städter aufhalten konnte, aber wenn sie nur mit Hilfe ihrer Macht etwas aufheben und auf ihn werfen konnten... Besser als nichts, sagte er sich immerzu, während er auf seiner schweren Matratze lag und die Mondschatten über die Decke kriechen sah. Erheblich besser als nichts. Aber wenn er in der Lage gewesen wäre, auf eigenen Füßen zu stehen, wäre er hinuntergegangen, um noch mehr Brandy zu trinken.

Am nächsten Tag fühlte er sich wie gerädert. Seine Zunge schien mit Federn belegt zu sein, in seinem Kopf spielten Trommler, und durch die über ihm stehende Sonne lief ihm der Schweiß das Gesicht herab, als die Straße am fünften Tag auf einen Hügelkamm führte und den Blick auf das sich darunter ausbreitende, sich am Ufer des breiten Flusses Eldar mit seinem jenseitigen großen Hafen erstreckende Ebou Dar freigab.

Sein erster Eindruck der Stadt war Weiß. Weiße Gebäude, weiße Paläste, weiße Türme und Giebel. Kuppeln wie spitze weiße Rüben oder Birnen trugen karmesinrote, blaue oder goldene Bänder, aber die Stadt war hauptsächlich weiß und reflektierte das Sonnenlicht, bis es ihn fast in den Augen schmerzte. Das Tor, auf das die Straße zuführte, war ein breiter, hoher Spitzbogen in einer weiß verputzten Mauer, die so dick war, daß er zwanzig Schritte im Schatten ritt, bevor er wieder in den Sonnenschein eintauchte. Ebou Dar schien eine Stadt der Plätze und Kanäle und Brücken zu sein, große bevölkerte Plätze mit Springbrunnen oder Statuen in der Mitte, breite und schmale Kanäle mit flachen Lastschiffen darauf, Brücken in allen Größen, einige niedrig, einige hoch gebogen und einige ausreichend groß, daß Läden sie säumten. Paläste mit breiten Säulengängen standen neben Geschäften, in denen Teppiche und Stoffe ausgestellt waren, und vierstöckige Häuser mit großen Bogenfenstern hinter schräggestellten Fensterläden standen neben Läden von Scherenschleifern und Fischhändlern.

In einem jener Viertel verhielt Vandene ihr Pferd, um sich mit Adeleas zu beraten, während Nynaeve sie stirnrunzelnd beobachtete und Elayne sie anstarrte, als hingen ihr Eiszapfen von Nase und Kinn herab. Auf Elaynes Drängen hin war Aviendha zum Einzug in die Stadt auf ihr Pferd geklettert, aber jetzt stieg sie genauso unbeholfen wieder ab, wie sie aufgestiegen war. Sie sah sich fast ebenso neugierig wie Olver um, der schon mit weit geöffneten Augen einherritt, seit sie der Stadt ansichtig geworden waren. Birgitte versuchte, Elayne dichtauf zu folgen.

Mat ergriff die Gelegenheit, sich mit seinem Hut Luft zuzufächeln und sich umzusehen.

Der größte Palast, den er je gesehen hatte, nahm eine ganze Seite des Platzes ein und bestand drei bis vier Stockwerke hoch ganz aus Balkonen, Erkern und Säulengängen. Die anderen drei Seiten des Platzes boten eine Mischung aus großen Häusern mit Gasthöfen und Läden dar, deren jedes genauso weiß wie das nächste war. Die Statue einer Frau in fließenden Gewändern, größer als ein Ogier, stand auf einem noch größeren Sockel inmitten des Platzes, einen Arm erhoben und südlich zum Meer weisend. Nur wenige Menschen schlenderten über die hellen Pflastersteine, was bei der Hitze nicht verwunderlich war. Einige wenige nahmen auf der untersten Stufe des Statuensockels ihre Mittagsmahlzeit ein, und Tauben und Möwen hatten sich um sie versammelt und kämpften um Krumen. Es war ein Bild der Ruhe. Mat verstand nicht, warum er plötzlich den Würfel in seinem Kopf rollen spürte.

Er kannte dieses Gefühl gut. Manchmal empfand er es, wenn er eine Glückssträhne beim Spiel hatte. Es war immer da, wenn ein Kampf zu erwarten war. Und es schien sich anzukündigen, wenn eine lebenswichtige Entscheidung zu treffen war, die Art Entscheidung, bei der die falsche Wahl ihn sehr wohl den Kopf kosten konnte.

»Wir werden jetzt hineingehen, durch eines der kleineren Tore«, verkündete Vandene. Adeleas nickte zustimmend. »Merilille wird uns Zimmer besorgen, damit wir uns ausruhen können.«

Das mußte bedeuten, daß dies der Tarasin-Palast war, wo Tylin Quintara vom Hause Mitsobar auf dem Thron der Winde saß, in Wahrheit aber nur vielleicht hundert Meilen um Ebou Dar herum regierte. Eines der wenigen Dinge, die er über diese Reise hatte in Erfahrung bringen können, war, daß die Aes Sedai in dem Palast eine der ihren treffen sollten, und natürlich Tylin. Aes Sedai würden die Königin treffen. Mat betrachtete die gewaltige Masse schimmernden Marmors und weißer Pflastersteine, und er dachte, wie es wohl wäre, dort drinnen zu wohnen. Er mochte Paläste normalerweise. Zumindest mochte er Örtlichkeiten mit Dienern und Gold, und Federbetten waren auch nicht schlecht. Aber ein königlicher Palast verhieß Adlige, wo immer man hinschaute. Mat zog die Anwesenheit nur weniger Adliger auf einem Haufen vor. Nalesean allein konnte ihn schon verärgern. Ein Palast dieser Größe bedeutete, daß er sich entweder ständig fragen müßte, wo sich Nynaeve und Elayne aufhielten, oder Posten beziehen und sie ständig im Auge behalten müßte. Er war sich nicht sicher, was schlimmer wäre: wenn sie ihn dort drinnen als Leibwächter duldeten oder wenn sie es ablehnten. Er konnte Elayne schon mit dieser kühlen Stimme sagen hören: Bitte findet irgendeine Unterkunft für Meister

Cauthon und meine Männer. Sorgt dafür, daß sie zu essen und zu trinken bekommen. Das würde sie gewiß tun. Sie würde zu ihren Besichtigungen hereinplatzen und ihm sagen, daß er tun sollte, was er schon längst vorgehabt hatte. Und doch könnten sie und Nynaeve vor Schwierigkeiten nirgends sicherer sein als im Palast einer Königin. Außerdem wollte er nur irgendwo die Füße hochlegen und mit einem Mädchen auf den Knien gewürzten Wein trinken, um das Pochen in seinen Schläfen zu besänftigen. Feuchte Handtücher wären auch gut. Sein Kopf schmerzte. Die bereitwillige Lektion, die Elayne heute morgen über das Übel des Trinkens erteilt hatte, klang ihm noch in den Ohren. Das war ein weiterer Grund dafür, warum er wieder Halt finden mußte. Er war zu schwach gewesen, um etwas zu erwidern. Er war einfach nur aus dem Bett geschlichen und hatte sich gefragt, ob er sich auf Pips hieven könnte.

All das ging ihm in der Zeit durch den Sinn, die Vandene brauchte, um ihr Pferd zum Palast umzuwenden. »Ich werde für meine Männer in einem der Gasthäuser Zimmer besorgen«, sagte er laut. »Wenn Ihr oder Elayne ausgehen wollt, Nynaeve, könnt Ihr eine Nachricht schicken, und ich werde Euch einige Männer zur Begleitung mitgeben.« Sie würden es wahrscheinlich nicht tun — niemand vermochte eine Frau zu bevormunden, die sich in einer Bärengrube mit bloßen Händen verteidigen zu können glaubte —, aber er hätte darauf gewettet, daß Vanin eine Möglichkeit wüßte herauszufinden, wann sie ausgingen. Und wenn nicht er, dann Juilin. Ein Diebefänger sollte wissen, wie man das anstellte. »Das dort wird genügen.« Er deutete zufällig auf ein großes Gebäude jenseits des Platzes. Über dem Bogeneingang schwang ein Schild, das er nicht erkennen konnte.

Vandene schaute zu Adeleas. Elayne schaute zu Nynaeve. Und Aviendha sah ihn stirnrunzelnd an.

Er gab jedoch keiner von ihnen die Gelegenheit zu einer Erwiderung. »Thom, Juilin, was haltet ihr von einigen Bechern gewürztem Wein?« Vielleicht wäre Wasser besser. Er hatte niemals zuvor in seinem Leben soviel getrunken.

Thom schüttelte den Kopf. »Vielleicht später, Mat. Ich möchte in der Nähe bleiben, falls Elayne mich braucht.« Das fast väterliche Lächeln, das er ihr zugedachte, schwand, als er sah, daß sie Mat verdutzt ansah. Juilin lächelte nicht — er lächelte nur noch selten —, aber auch er meinte, er wolle in der Nähe bleiben und würde vielleicht später mitkommen.

»Wie ihr wollt«, sagte Mat und setzte sich seinen Hut wieder auf. »Vanin. Vanin!« Der dicke Mann schrak zusammen und unterbrach seine Anbetung Elaynes. Tatsächlich errötete er! Licht, die Frau übte einen schlechten Einfluß auf ihn aus.

Als Mat Pips umwandte, erklang Elaynes Stimme in seinem Rücken, die noch bereitwilliger klang als am Morgen. »Ihr werdet sie nicht zuviel trinken lassen, Meister Cauthon. Einige Männer wissen nicht, wann sie aufhören müssen. Und Ihr solltet sicherlich nicht zulassen, daß ein kleiner Junge betrunkene Männer sieht.«

Er knirschte mit den Zähnen und ritt weiter über den Platz, ohne zurückzuschauen. Olver sah ihn an. Er würde die Männer warnen müssen, sich nicht vor dem Jungen zu betrinken, besonders Mendair. Licht, wie er es haßte, wenn sie ihm sagte, was er tun sollte!

Das Gasthaus hieß Die Wanderin, aber das Schild über der Tür und der Schankraum versprachen alles, wonach es Mat verlangte. In dem Raum mit der hohen Decke und den breiten Bogenfenstern war es sicherlich kühler als draußen. Die Läden wiesen anscheinend mehr Löcher als Holz auf, aber sie spendeten dem Raum dennoch Schatten. Fremde saßen zwischen Einheimischen, ein schlaksiger Murandianer mit gedrehtem Schnurrbart, ein gedrungener Kandori mit zwei Silberketten über der Vorderseite seines Umhangs und andere, die Mat nicht sofort erkannte. Schwacher Pfeifendunst erfüllte die Luft, und zwei Frauen, die auf schrillen Flöten spielten und ein Bursche mit einer Trommel zwischen den Knien boten eine seltsame Musik dar. Das beste war aber, daß die Schankmädchen hübsch waren und an vier Tischen Männer würfelten. Der Kandori-Händler spielte Karten.

Die stattliche Wirtin stellte sich als Setalle Anan vor, obwohl sie mit ihren haselnußbraunen Augen niemals in Ebou Dar geboren sein konnte. »Mylords.« Große goldene Ringe in ihren Ohren schwangen mit, als sie vor Mat und Nalesean den Kopf beugte. »Darf Die Wanderin Euch bescheidene Unterkunft bieten?«

Sie war trotz einer Spur Grau im Haar hübsch, aber Mat beobachtete ihre Augen. An einer engen Halskette trug sie einen Hochzeitsdolch, dessen Heft mit roten und weißen Steinen sich zwischen ihre üppigen Brüste schmiegte, und auch an ihrem Gürtel steckte einer jener gebogenen Dolche. Er konnte dennoch nicht umhin zu grinsen. »Herrin Anan, ich habe das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.«

Das Seltsame war, daß der Würfel in seinem Kopf aufgehört hatte umherzurollen.

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