Als Vanin gegangen war, um die Horde anzuweisen, sich ruhig zu verhalten, stellte Mat fest, daß es in Salidar kein Gasthaus mehr gab, das nicht von Aes Sedai übernommen worden war, und auch die fünf Ställe waren alle brechend voll. Und doch räumte der schmalgesichtige Stallknecht die Hafersäcke und Strohballen aus einem ummauerten Hof, der für sechs Pferde ausreichte, als er ihm eine kleine Silbermünze zusteckte. Er wies Mat und den übrigen vier Männern der Horde Schlafplätze auf dem Heuboden zu, wo es kaum kühler war als anderswo.
»Bittet um nichts«, belehrte Mat seine Männer, während er seine restlichen Münzen unter ihnen aufteilte. »Bezahlt für alles, und nehmt keine Geschenke an. Die Horde wird hier niemandem etwas schuldig sein.«
Seine vorgetäuschte Zuversicht übertrug sich auf sie, und sie zögerten keine Sekunde, als er ihnen befahl, die Banner außen an der Tür des Heubodens zu befestigen, so daß sie für jedermann gut sichtbar vor dem Stall herabhingen — das karmesinrotweiße Banner, die schwarzweiße Scheibe und der Drache. Aber die Augen des Stallknechts traten hervor, und er verlangte sehr erregt zu wissen, was Mat da tat.
Mat grinste nur und warf dem Burschen eine Goldmünze zu. »Ich will nur jedermann deutlich machen, wer hier Quartier genommen hat.« Er wollte Egwene unmißverständlich zeigen, daß er sich nicht herumschubsen lassen würde, und manchmal mußte man sich wie ein Narr verhalten, wenn man Menschen dies verdeutlichen wollte.
Leider zeitigten die Banner aber kaum Wirkung. Oh, jedermann, der vorüberging, sperrte den Mund auf und deutete darauf, und eine Anzahl Aes Sedai kamen nur, um sie mit kühlem und ausdruckslosem Blick anzuschauen. Mat erwartete die empörte Aufforderung, die Banner abzunehmen, aber nichts dergleichen geschah. Als er zur Kleinen Burg zurückkehrte, rückte eine Aes Sedai, die trotz glatter, altersloser Wangen verhärmt wirkte, ihre braun gesäumte Stola zurecht und belehrte ihn mit äußerster Deutlichkeit, der Amyrlin-Sitz sei beschäftigt, und sie könne ihn vielleicht in ein oder zwei Tagen empfangen. Vielleicht. Elayne schien verschwunden zu sein und Aviendha ebenso, aber noch schrie niemand Mord. Er vermutete, daß die Aiel ihr irgendwo ein weißes Gewand über den Kopf gezogen hatten. Das machte für ihn keinen Unterschied, wenn der Frieden gewahrt wurde. Er wollte nicht derjenige sein, der Rand sagen mußte, daß einer den anderen getötet hätte. Er erblickte Nynaeve kurz, aber sie verschwand um eine Ecke und war fort, als er dort ankam.
Er verbrachte den größten Teil des Nachmittags mit der Suche nach Thom und Juilin. Einer der beiden konnte ihm sicherlich mehr über das erzählen, was vor sich ging, und außerdem mußte er sich bei Thom für seine Bemerkungen über diesen Brief entschuldigen. Leider schien auch über ihren Aufenthaltsort niemand etwas zu wissen. Er beschloß bereits lange vor Einbruch der Nacht, daß man sie von ihm fernhielt. Egwene wollte ihn hinhalten, aber er beabsichtigte, sie erkennen zu lassen, daß er nicht einmal ungehalten war. Um diesem Eindruck nachzuhelfen, ging er tanzen.
Anscheinend dauerten die Feiern zu Ehren einer neuen Amyrlin einen Monat lang, und obwohl jedermann in Salidar den ganzen Tag zu arbeiten schien, wurden an jeder Straßenecke bei Anbruch der Dunkelheit Freudenfeuer entzündet, und Fiedeln und Flöten und sogar eine oder zwei Zimbeln wurden hervorgeholt. Musik und Lachen erfüllten die Luft, und bis zur Schlafenszeit herrschte Ausgelassenheit. Er sah Aes Sedai auf den Straßen mit Kutschern und Stallknechten tanzen, die noch ihre Arbeitskleidung trugen, und Behüter mit Schankmädchen und Köchinnen, die ihre Schürzen abgelegt hatten. Aber Egwene war nicht zu sehen. Der verdammte Amyrlin-Sitz würde nicht auf den Straßen tanzen. Und auch Elayne und Nynaeve waren nirgends zu sehen und ebensowenig Thom und Juilin. Thom hätte selbst mit zwei gebrochenen Beinen keinen Tanz versäumt, es sei denn, man hinderte ihn daran. Mat stürzte sich ins Vergnügen, um jedermann zu zeigen, daß ihn nichts auf der Welt bekümmerte. Es verlief nicht ganz so, wie er es sich gewünscht hatte.
Er tanzte kurze Zeit mit der wunderschönsten Frau, die er je gesehen hatte und die alles über Mat Cauthon wissen wollte. Das war sehr schmeichelhaft, besonders als sie ihn fragte, ob sie den Tanzboden verlassen wollten. Aber nach einer Weile merkte er, daß Halima ihn ständig auf gewisse Art streifte, sich auf gewisse Art vorbeugte, um etwas zu betrachten, so daß er nicht umhin konnte, ihr in den Ausschnitt zu blicken. Er hätte es vielleicht genossen, wenn sie ihm nicht jedesmal mit aufmerksamem Blick und belustigtem Lächeln ins Gesicht gesehen hätte. Sie war auch keine sehr gute Tänzerin — sie versuchte, ihn zu führen —, so daß er sich schließlich entschuldigte.
Es hätte keine große Sache sein sollen, aber bevor er nur zehn Schritte gegangen war, wurde der Fuchskopf auf seiner Brust eiskalt. Er fuhr wild herum und suchte nach einer Ursache. Aber dort war nur Halima, die ihn im Feuerschein ansah. Es dauerte nur einen Moment, bis sie den Arm eines großen Behüters ergriff und auf die Tanzfläche zurückwirbelte, aber er war sich sicher, auf diesem wunderschönen Gesicht Entsetzen gesehen zu haben.
Die Fiedeln spielten eine klagende Melodie, die er erkannte. Zumindest galt dies für eine seiner alten Erinnerungen, die sich nicht sehr verändert hatten, wenn man das Verstreichen eines Zeitraums von über eintausend Jahren in Betracht zog. Die gesungene Weise mußte sich jedoch vollkommen verändert haben, denn diese alten Worte, die in seinem Kopf widerhallten, hätten hier niemals Gehör gefunden.
Vertrau mir, sagte die Aes Sedai. Ich trage den Himmel auf meinen Schultern. Vertrau mir, daß ich weiß und tue, was das beste ist, und ich werde mich um den Rest kümmern. Aber Vertrauen ist die Eigenschaft dunklen, wachsenden Korns
Vertrauen ist die Eigenschaft von Herzblut. Vertrauen ist die Eigenschaft des letzten Atemzugs einer Seele.
Vertrauen ist die Eigenschaft des Todes.
»Aes Sedai?« erwiderte eine unförmige junge Frau verächtlich auf seine Frage. Sie war hübsch, und unter anderen Umständen hätte er vielleicht versucht, sie zu küssen und zu umarmen. »Halima ist nur Delanas Schreiberin. Sie neckt die Männer stets. Wie ein Kind mit einem neuen Spielzeug. Sie neckt, nur um auszuprobieren, ob sie es kann. Sie hätte schon häufig in Schwierigkeiten gesteckt, wenn Delana sie nicht schützen würde.«
Vertrau mir, sagte die Königin auf ihrem Thron, denn ich muß die Bürde ganz allein tragen. Vertrau mir die Führung und Beurteilung und Regentschaft an,
und niemand wird dich für einen Narren halten. Aber Vertrauen ist der Klang des am Grab heulenden Hundes.
Vertrauen ist der Klang des geheimen Treubruchs.
Vertrauen ist der Klang des letzten Atemzugs einer
Seele.
Vertrauen ist der Klang des Todes.
Vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht war sie nur darüber entsetzt gewesen, daß er fortging. Nicht viele Männer würden eine Frau verlassen, die so hübsch war, egal ob sie ihn geneckt oder schlecht getanzt hatte. Das mußte es sein. Aber damit blieb seine Frage noch immer unbeantwortet. Wer und Warum? Er sah sich um, betrachtete die Tänzer und die Menschen, die am Rande der Schatten zusahen und warteten, bis sie an der Reihe waren. Der blonde Jäger des Horns, der ihm vertraut erschienen war, wirbelte mit einer besonders grobknochigen Frau vorbei, deren Zopf fast senkrecht hinter ihr abstand. Mat konnte Aes Sedai an ihren Gesichtern erkennen — die meisten jedenfalls —, aber er konnte nicht feststellen, welche versucht hatte ... was auch immer sie versucht hatte.
Er schlenderte die Straße zum nächsten Freudenfeuer hinab, nicht nur um von diesem Lied fortzukommen, bevor es mit ›Der König von der Höhe‹ und ›Die Lady und der Lord‹ bis zu ›Die Liebe deines Lebens‹ in seinem Kopf weiterging. Bei dieser alten Erinnerung kam ihm wieder in den Sinn, daß er dieses Lied für die Liebe seines Lebens geschrieben hatte. Vertrauen ist der Geschmack des Todes. An der nächsten Straßenecke spielten ein Mann mit einer Fiedel und eine Frau mit einer Flöte etwas, was wie ›Plustere dich auf‹ klang — ein passendes Lied für einen Volkstanz.
Wie weit konnte er Egwene trauen? Sie war jetzt eine Aes Sedai. Sie mußte eine sein, wenn sie die Amyrlin war, wenn auch eine Amyrlin aus dem einfachen Volk. Nun, was auch immer sie war, sie war Egwene. Er konnte nicht glauben, daß sie ihn so unvorbereitet angreifen würde. Nynaeve könnte es natürlich tun, aber nicht, um ihn wirklich zu verletzen, obwohl seine Hüfte noch immer schmerzte. Und nur das Licht wußte, wozu eine Frau wie Elayne fähig war. Er entschied, daß sie ihn noch immer vertreiben wollten. Er mußte wahrscheinlich mit weiteren Versuchen rechnen. Er sollte am besten nicht darauf achten. Er hoffte fast, daß sie es erneut versuchen würden. Sie konnten ihn nicht mit der Macht berühren, und je stärker sie sich bemühten und es mißlang — nun, desto klarer würde ihnen, daß er nicht zu vertreiben war.
Myrelle trat hinter ihn und beobachtete die Tänzer. Er erinnerte sich vage an sie. Er glaubte nicht, daß sie etwas Gefährliches über ihn wußte. Er glaubte es nicht. Sie war natürlich nicht so schön wie Halima, aber immer noch ausgesprochen hübsch. Flackernde Schatten huschten über ihr Gesicht, so daß er fast vergaß, daß sie eine Aes Sedai war.
»Eine warme Nacht«, sagte sie lächelnd und sprach dann so beiläufig weiter, während er ihren Anblick genoß, daß er einige Zeit brauchte, bis er erkannte, was sie vorhatte.
»Das finde ich nicht«, erwiderte er höflich, als sie ihn schließlich zu Wort kommen ließ. Das hatte man davon, wenn man vergaß. Aes Sedai waren Aes Sedai.
Sie lächelte nur. »Es hätte viele Vorteile, und ich würde Euch nicht zu stark einschränken. Es hätte sehr viele Vorteile. Ihr habt ein gefährliches Leben erwählt, oder es wurde für Euch erwählt. Ein Behüter hätte vielleicht bessere Aussichten zu überleben.«
»Das glaube ich wirklich nicht. Nein, aber danke für das Angebot.«
»Denkt darüber nach, Mat. Es sei denn... Hat die Amyrlin sich Euch zugeschworen?«
»Nein.« Das würde Egwene nicht tun. Oder doch? Sie konnte es nicht tun, solange er das Medaillon trug, aber würde sie es tun, wenn er es nicht mehr besäße? »Wenn Ihr mich entschuldigen würdet?« Er verbeugte sich knapp und ging schnell davon, zu einer hübschen, blauäugigen jungen Frau, die im Takt der Musik mit dem Fuß wippte. Sie hatte einen hübschen Mund, genau richtig zum Küssen, und er wollte sich amüsieren. »Ich habe Eure Augen gesehen und konnte nicht umhin, hierher zu eilen. Möchtet Ihr tanzen?«
Er sah den Großen Schlangenring an ihrer rechten Hand zu spät, und dann öffnete sich der hübsche Mund, und eine ihm bekannte Stimme sagte trocken: »Ich habe Euch einmal gefragt, ob Ihr dasein würdet, wenn das Haus brennt, mein Junge, aber anscheinend macht Ihr es Euch zur Gewohnheit, ins Feuer hineinzuspringen. Jetzt geht und sucht Euch eine andere zum Tanzen.«
Siuan Sanche! Sie war gedämpft und tot! Sie sah ihn mit dem Gesicht einer jungen Frau an, das sie gestohlen hatte, und trug einen Aes-Sedai-Ring! Er hatte Siuan Sanche um einen Tanz gebeten!
Während er sich umschaute, wirbelte eine geschmeidige junge Domani-Frau in einem hellgrünen Gewand vorbei, das so dünn war, daß ihre Gestalt vorn Freudenfeuer durch den Stoff abgezeichnet wurde. Sie gewährte Siuan einen frostigen Blick, den diese mit Interesse erwiderte, und riß ihn fast aus den Reihen der Tänzer heraus. Sie war so groß wie eine Aiel. Ihre dunklen Augen lagen ein wenig höher als seine eigenen. »Ich bin übrigens Leane«, sagte sie mit einer honigsüßen Stimme, »falls Ihr mich nicht erkannt habt.« Ihr tiefes Lachen war fast eine Liebkosung.
Er zuckte zusammen und verdarb fast die erste Drehung. Auch sie trug den Ring. Er bewegte sich rein mechanisch. Sie lag trotz ihrer Größe wie eine Feder in seinen Armen, wie ein dahinschwebender Schwan, aber das konnte sicherlich die Frage nicht verdrängen, die wie ein Feuerwerk in seinem Kopf dröhnte: Wie? Wie, unter dem Licht? Um das alles noch zu überbieten, sagte sie, als der Tanz vorüber war, mit dieser streichelnden Stimme: »Ihr seid ein sehr guter Tänzer.« Und dann küßte sie ihn fast vollendeter, als er jemals zuvor geküßt worden war. Er war so erschrocken, daß er sich ihr nicht einmal zu entziehen versuchte. Sie tätschelte ihm seufzend die Wange. »Ein sehr guter Tänzer. Denkt daran, wenn Ihr es das nächste Mal versucht, und Ihr werdet besser sein.« Lachend ging sie davon und tanzte erneut mit irgendeinem Burschen aus der Zuschauermenge.
Mat beschloß, daß er so viel erlebt hatte, wie ein Mann in einer Nacht ertragen konnte. Er ging zum Stall zurück und legte sich schlafen, wobei er seinen Sattel als Kissen benutzte. Seine Träume wären erfreulicher gewesen, wenn sie nicht Myrelle und Siuan und Leane und Halima mit einbezogen hätten. Ein Mann konnte Träume von Natur aus nicht deuten.
Der nächste Tag mußte besser werden, dachte er, als sich in der Dämmerung Vanins Gestalt auf dem Heuboden abzeichnete, der ebenfalls auf seinem Sattel schlief. Talmanes verstand und würde die Stellung halten. Behüter hatten die Vorbereitungen der Horde verfolgt, wollten zweifellos gesehen werden, aber niemand hatte sich der Horde genähert. Eine weniger erfreuliche Überraschung war die Entdeckung von Olvers Grauem im Hof hinter dem Stall, während Olver selbst in seine Decken gerollt in einer Ecke lag.
»Ihr braucht jemanden, der Euch den Rücken freihält«, belehrte er Mat düster. »Man kann ihr nicht trauen.« Er brauchte Aviendhas Namen nicht zu erwähnen.
Olver hatte kein Interesse daran, mit den Kindern im Dorf zu spielen, so daß Mat den Jungen ertragen mußte, während er ihm in Salidar überallhin nachging, sein Bestes tat, den schwebenden Gang eines Behüters nachzuahmen und ständig nach Aviendha Ausschau hielt, die noch immer nirgends zu sehen war, genauso wenig wie Elayne und Nynaeve. Und die Amyrlin war noch immer beschäftigt. Thom und Juilin waren ebenfalls beschäftigt. Vanin gelang es, einiges aufzuschnappen, aber es war nichts dabei, was Mat glücklich gemacht hätte. Wenn Nynaeve sowohl Siuan als auch Leane wirklich geheilt hatte, wäre sie jetzt unerträglicher denn je. Sie hatte schon immer viel von sich gehalten, und wenn sie vollbracht hatte, was nicht vollbracht werden konnte, wäre ihr Kopf wohl größer als eine Wassermelone. Aber das war noch das wenigste. Die Erwähnung Logains und der Roten Ajah machte Mat Sorgen. Das klang wie etwas, was keine Aes Sedai verzeihen würde. Wenn Gareth Bryne ihr Heer anführte, ging es nicht um Bauernpöbel und das Leerfegen der Straßen mit wenigen Behütern zur Verstärkung. Wenn man dazu noch bedachte, daß Vanin gesehen hatte, wie Lebensmittel eingewickelt und für unterwegs in Fässer verpackt wurden, dann klang das nach Schwierigkeiten. Die schlimmsten Schwierigkeiten, die er sich vorstellen konnte, fast so schlimm, wie einen der Verlorenen gegenüber am Tisch sitzen zu haben, wenn ein Dutzend Trollocs zur Tür hereinkommt. Nichts von alledem machte sie zu geringeren Narren. Es machte sie zu sehr gefährlichen Narren. Wenn Thom jemals aus seinem Versteck käme, könnte er einer seiner Geschichten vielleicht auch einmal ein ›Wie‹ entnehmen.
Abends sprach Myrelle ihn erneut an, ob er ein Behüter werden wolle, und wurde ein wenig ärgerlich, als er ihr sagte, ihres sei bereits das fünfte Angebot, das er seit Sonnenaufgang abgelehnt habe. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte. Sie stürmte so beleidigt davon, wie er es noch nie zuvor bei einer Aes Sedai erlebt hatte. Aber es stimmte. Das allererste Angebot war, als er noch zu frühstücken versucht hatte, von jener Delana gekommen, für die Halima arbeitete, eine stämmige, hellhaarige Frau mit wässerigen blauen Augen, die ihn heftig bedrängte. An diesem Abend hielt er sich vom Tanzboden fern und legte sich mit Musik und Lachen in den Ohren schlafen. Aber beides klang jetzt bitter.
Es war spät am Nachmittag seines zweiten Tages in Salidar, als ein Mädchen in einem weißen Gewand erschien, hübsch, mit Sommersprossen und sehr um frostige Würde bemüht, was ihr beinahe gelang. »Ihr werdet sofort vor der Amyrlin erscheinen.« Punktum, und kein Wort mehr. Mat bedeutete ihr, sie solle vorausgehen. Es schien angemessen, und offenbar gefiel es ihr.
Alle waren sie in dem Raum in der Kleinen Burg: Egwene und Nynaeve und Elayne und Aviendha, obwohl er zweimal hinsehen mußte, um die Aielfrau in einem Blauen Gewand aus edlem Stoff mit Spitzenkragen und Manschetten zu erkennen. Zumindest versuchten weder Aviendha noch Elayne einander zu erwürgen, aber sie zeigten beide versteinerte Gesichter, worin sie sich von Egwene und Nynaeve nicht unterschieden. Alle vier Gesichter waren vollkommen ausdruckslos, und aller Augen waren auf ihn gerichtet. Es gelang ihm, den Mund zu halten, während Egwene seine Möglichkeiten aufzählte, wie sie diese sah, während sie mit einer gestreiften Stola um die Schultern hinter dem Tisch saß.
»Solltest du glauben, daß du nichts von alledem zustande bringen kannst«, beendete sie ihre Rede, »dann erinnere dich, daß ich dich jederzeit auf dein Pferd binden und zur Horde zurückbringen lassen kann. In Salidar ist kein Platz für Faulpelze und Drückeberger. Das werde ich nicht dulden. Du hast die Wahl: Entweder gehst du mit Elayne und Nynaeve nach Ebou Dar, oder du gehst fort und siehst zu, wen du mit deinen Flaggen und Bannern beeindrucken kannst.«
Wodurch ihm tatsächlich überhaupt keine Wahlmöglichkeit blieb. Als er dies sagte, veränderte sich niemandes Gesichtsausdruck. Wenn überhaupt eine Regung zu erkennen war, nahm Nynaeves Gesicht allenfalls noch einen versteinerteren Ausdruck an. Und Egwene sagte nur: »Ich bin froh, daß dies geklärt ist, Mat. Und jetzt habe ich tausend Dinge zu erledigen. Ich werde versuchen, dich noch einmal zu sehen, bevor du gehst.« Er wurde wie ein Stallbursche entlassen. Die Amyrlin war beschäftigt. Sie hätte ihm wenigstens eine Kupfermünze zuwerfen können.
An seinem dritten Morgen in Salidar fand sich Mat unmittelbar außerhalb davon wieder, auf freiem Feld zwischen dem Dorf und dem Wald. »Sie können hier warten, bis ich zurückkomme«, belehrte er Talmanes, während er über die Schulter zu den Pferden schaute. Sie würden bald kommen, und er wollte nicht, daß Egwene irgend etwas hiervon erfuhr, denn sie würde es nach Möglichkeit zu verhindern versuchen. »Ich hoffe es jedenfalls. Wenn sie sich regen, folgt ihnen, wohin auch immer sie gehen, aber niemals so nahe, daß sie sich ängstigen. Und wenn eine junge Frau namens Egwene auftaucht, stellt ihr keine Fragen, sondern nehmt sie einfach mit und reitet nach Caemlyn, und wenn ihr durch Gareth Bryne hindurchreiten müßt.« Sie könnten sehr wohl vorhaben, nach Caemlyn zu ziehen. Die Möglichkeit bestand durchaus. Er befürchtete jedoch, daß ihr Ziel Tar Valon sein könnte. Tar Valon und die Axt des Henkers. »Und nehmt Nerim mit Euch.«
Talmanes schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr Nalesean mitnehmt, wird es als Beleidigung aufgefaßt werden, wenn Ihr mich nicht meinen Mann mitschicken laßt, damit er sich um Eure Belange kümmert.« Mat wünschte, Talmanes würde hin und wieder lächeln. Es wäre hilfreich zu erkennen, wann er etwas ernst meinte.
Nerim stand mit Pips ein Stück entfernt, und seine kleine, unförmige braune Stute sowie zwei Packpferde mit bis obenhin vollgestopften Weidenkörben ragten über ihm auf. Naleseans Mann, ein stämmiger Bursche namens Lopin, führte außer seinem Wallach und Naleseans großem schwarzen Hengst nur ein Packpferd mit sich.
Das war noch nicht die ganze Gruppe. Niemand schien bereit, ihm mehr zu sagen, als wo und wann er sich einfinden sollte, aber mitten in einem weiteren Gespräch über die Behüter hatte Myrelle ihn wissen lassen, es sei jetzt in Ordnung, wenn er sich mit der Horde in Verbindung setzte, solange er sie nicht näher an Salidar heranzubringen versuchte. Das wäre ihm als letztes in den Sinn gekommen. Vanin war heute morgen hier, weil er die Lage des Landes auskundschaften konnte, sowie ein Dutzend wegen ihrer breiten Schultern und ihrer in Maerone als Rotwaffen erwiesenen Disziplin aus der Horde auserwählte Reiter. Nalesean meinte, schnelle Fäuste und Keulen sollten jegliche Ungelegenheit abwehren können, in die Nynaeve und Elayne geraten mochten, zumindest ausreichend lange, um sie fortzubringen. Das letzte Mitglied der Gruppe war Olver auf seinem Grauen, den er ›Wind‹ genannt hatte, was das langbeinige Tier vielleicht sogar verdiente. Bei Olver hatte es Bedenken gegeben. Die Horde könnte sehr wohl auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie diesem Haufen verrückter Frauen tatsächlich folgen mußten. Vielleicht keine Schwierigkeiten mit Bryne, aber es würden sich genügend viele Adlige über zwei Heere erzürnen, die ihre Ländereien durchquerten, was nächtliche Angriffe auf die Pferde und aus jedem zweiten Dickicht hervorfliegende Pfeile bedeutete.
Noch immer war kein Anzeichen der Aes Sedai zu erkennen, als die Sonne bereits über die Baumwipfel stieg.
Mat riß sich verärgert den Hut vom Kopf. »Nalesean kennt Ebou Dar, Talmanes.« Der Tairener grinste und nickte. Talmanes' Gesichtsausdruck änderte sich nicht.
»Oh, das ist schon in Ordnung. Nerim kommt mit.« Talmanes neigte den Kopf. Vielleicht hatte er es ernst gemeint.
Schließlich regte sich im Dorf etwas — eine berittene Gruppe Frauen kam heran, die Packpferde mit sich führten. Es waren nicht nur Elayne und Nynaeve, obwohl er niemanden sonst erwartet hatte. Aviendha trug ein graues Reitgewand, aber sie wirkte auf ihrer hageren, grauen Stute äußerst unbeholfen. Die Jägerin mit dem blonden Zopf wirkte auf ihrem breitkruppigen, mausgrauen Wallach zuversichtlicher und schien Aviendha gerade von irgend etwas, das ihre Stute betraf, überzeugen zu wollen. Was wollten die beiden dort? Auch zwei Aes Sedai waren dabei — weitere Aes Sedai außer Nynaeve und Elayne, sollte er vermutlich sagen —, schlanke Frauen mit weißem Haar, was er bei einer Aes Sedai noch niemals zuvor gesehen hatte. Ein alter Bursche folgte ihnen zu Pferde und mit einem Packtier, ein sehniger Mann mit schütterem grauen Haar. Mat brauchte einen Moment, um zu erkennen, daß er ein Behüter war, da einer dieser die Farben verändernden Umhänge seinen Rücken herabhing. Das bedeutete es, ein Behüter zu sein: Aes Sedai bearbeiteten sie, bis ihnen das Haar ausfiel, und bearbeiteten dann wahrscheinlich auch noch ihre Knochen, wenn sie tot waren.
Thom und Juilin folgten dichtauf, und auch sie führten ein Packpferd mit sich. Die Frauen blieben mit ihrem betagten Behüter ungefähr fünfzig Schritte zur Linken stehen und sahen Mat und seine Männer kaum an. Der Gaukler betrachtete Nynaeve und die anderen und sprach dann mit Juilin, woraufhin sie ihre Pferde auf Mat zuführten, aber dann jäh stehenblieben, als wären sie nicht sicher, willkommen zu sein. Mat ging zu ihnen.
»Ich muß mich entschuldigen, Mat«, sagte Thom und zupfte an seinem Schnurrbart. »Elayne hatte bestimmt, daß ich nicht mehr mit dir sprechen durfte. Sie hat diesen Befehl erst heute morgen aufgehoben. Ich versprach ihr in einem schwachen Moment vor mehreren Monaten, ihren Befehlen zu folgen, und auf diesem Versprechen beharrt sie zu den ungelegensten Zeiten. Sie war nicht sehr erfreut darüber, daß ich soviel gesagt hatte.«
»Nynaeve hat mir gedroht, mir ein blaues Auge zu verpassen, wenn ich mich dir nähern würde«, sagte Juilin verdrießlich, während er sich auf seinen Bambusstock lehnte. Er trug die rote Kappe der Taraboner, die nicht viel Schutz vor der Sonne gewährte, und selbst sie wirkte verdrießlich.
Mat betrachtete die Frauen. Nynaeve spähte über den Sattel hinweg zu ihm, aber als sie bemerkte, daß er sie ansah, duckte sie sich hinter den Hals ihrer unförmigen braunen Stute. Er hätte geglaubt, daß nicht einmal Nynaeve Juilin überlegen wäre, aber der dunkle Diebefänger war nur noch ein Schatten des Mannes, den er in Tear kennengelernt hatte. Jener Juilin war zu allem bereit gewesen. Jetzt runzelte Juilin ständig die Stirn und schien niemals aufzuhören, sich zu sorgen. »Wir werden ihr auf dieser Reise Manieren beibringen, Juilin. Thom, ich bin derjenige, der sich entschuldigen muß — wegen dem, was ich über den Brief gesagt habe. Die Hitze und die Sorge um die törichten Frauen waren schuld. Ich hoffe, der Brief enthielt gute Nachrichten.« Er erinnerte sich zu spät an Thoms Worte. Er hatte die Frau, die diesen Brief geschrieben hatte, sterbend zurückgelassen.
Aber Thom zuckte nur die Achseln. Mat wußte nicht, wie er ihn ohne seinen Gauklerumhang nehmen sollte. »Gute Neuigkeiten? Das habe ich noch nicht in Erfahrung bringen können. Oft weiß man nicht, ob eine Frau eine Freundin, eine Feindin oder eine Geliebte ist, bis es zu spät ist. Manchmal ist sie alles zugleich.« Mat erwartete ein Lachen, aber Thom runzelte nur die Stirn und seufzte. »Frauen scheinen sich gern geheimnisvoll zu geben, Mat. Ich kann dir ein Beispiel nennen. Erinnerst du dich an Aludra?«
Mat dachte nach. »Die Feuerwerkerin, die wir in Aringill davor bewahrt haben, daß ihr die Kehle durchgeschnitten wurde?«
»Genau die. Juilin und ich trafen sie auf unseren Reisen, und sie kannte mich nicht... Nicht daß sie mich nicht wiedererkannt hätte. Man redet mit Fremden, mit denen man reist, um sie kennenzulernen. Aludra wollte nicht mit mir reden, und auch wenn ich nicht weiß warum, sah ich keinen Grund, Eindruck zu schinden. Ich traf sie als Fremde und verließ sie als Fremde. Würdest du sie als eine Freundin oder eine Feindin bezeichnen?«
»Vielleicht eine Geliebte«, antwortete Mat trocken. Er hätte nichts dagegen, Aludra wiederzubegegnen. Sie hatte ihm einige sehr nützliche Anregungen gegeben. »Wenn du etwas über Frauen wissen willst, dann frage Perrin, nicht mich. Ich weiß überhaupt nichts. Ich habe immer gedacht, Rand wüßte etwas darüber, aber bei Perrin bin ich mir dessen sicher.« Elayne sprach unter den wachsamen Blicken der Jägerin mit den beiden weißhaarigen Aes Sedai. Eine von ihnen schaute nachdenklich in Mats Richtung. Sie verhielten sich genau wie Elayne, kühl wie Königinnen auf ihrem verdammten Thron. »Nun, vielleicht brauche ich mich nicht lange mit ihnen aufzuhalten«, murmelte er zu sich selbst. »Mit etwas Glück wird ihr Vorhaben nicht allzu lange dauern, und wir können in fünf oder zehn Tagen zurücksein.« Mit etwas Glück wäre er vielleicht zurück, bevor die Horde die unvernünftigen Frauen unbemerkt zu beschatten begann. Zwei Heere zu verfolgen wäre natürlich genauso leicht, wie einen Kuchen zu stehlen, aber er wollte nicht mehr Zeit in Elaynes Gegenwart verbringen als nötig. »Zehn Tage?« sagte Thom. »Mat, selbst mit diesem Wegetor wird es schon fünf oder sechs Tage dauern, bis wir Ebou Dar erreichen. Das ist zwar besser als ein Ritt von zwanzig Tagen, aber...«
Mat hörte nicht mehr zu. Der ganze Ärger, der sich aufgebaut hatte, seit er Egwene zum ersten Mal gesehen hatte, brach sich jäh Bahn. Er riß sich den Hut vom Kopf und näherte sich Elayne und den anderen Frauen. Es war schon schlimm genug, ihn im ungewissen zu lassen — wie sollte er sie vor Gefahr schützen, wenn sie ihm nichts sagten? —, aber dies war lächerlich. Nynaeve sah ihn kommen und flüchtete hinter ihre Stute.
»Es wird ein Erlebnis sein, mit einem Ta'veren zu reisen«, bemerkte eine der weißhaarigen Aes Sedai. Mat konnte auch aus der Nähe ihr Alter nicht bestimmen, aber irgendwie vermittelte ihr Gesicht den Eindruck hohen Alters. Es mußte an ihrem Haar liegen. Die andere Aes Sedai hätte ihr Spiegelbild sein können. Vielleicht waren sie tatsächlich Schwestern. »Ich bin Vandene Namelle.«
Mat war nicht in der Stimmung, darüber zu sprechen, daß er ein Ta'veren war. Er war niemals in dieser Stimmung, aber jetzt ganz sicher nicht. »Was ist das für ein Unsinn, daß wir fünf oder sechs Tage bis Ebou Dar brauchen?« Der alte Behüter richtete sich auf und sah ihn scharf an, und Mat taxierte auch ihn neu. Er war zwar sehnig, aber auch hart wie alte Wurzeln, was man seiner Stimme nicht anmerkte. »Ihr könnt in Sichtweite Ebou Dars ein Wegetor eröffnen. Wir sind kein verdammtes Heer, das jemanden ängstigen will, und was das Erscheinen aus dem Nichts betrifft, so seid Ihr Aes Sedai. Die Menschen erwarten von Euch, daß Ihr aus dem Nichts erscheint und durch Mauern geht.«
»Ich fürchte, Ihr sprecht die Falsche an«, sagte Vandene. Er betrachtete die andere weißhaarige Frau, die den Kopf schüttelte, während Vandene hinzufügte: »Ich fürchte, Adeleas ist auch nicht die Richtige. Es scheint, daß wir einigen der neuen Dinge nicht gewachsen sind.«
Mat zögerte, zog dann seinen Hut in die Stirn und wandte sich Elayne zu.
Sie reckte das Kinn empor. »Anscheinend weißt du noch weniger, als du zu wissen glaubst, Mat Cauthon«, sagte sie kühl. Er sah, daß sie nicht schwitzte, nicht mehr als die beiden anderen Aes Sedai. Die Jägerin sah ihn herausfordernd an. »Es gibt in hundert Meilen Umkreis um Ebou Dar Dörfer und Bauernhöfe«, fuhr Elayne fort, einem Narren das Offensichtliche erklärend. »Ein Wegetor ist nicht ungefährlich. Ich möchte nicht die Schafe oder Kühe irgendeines armen Mannes töten, und noch viel weniger den armen Mann selbst«
Er haßte ihren Tonfall. Sie hatte recht, aber er würde nicht zugeben, daß sie recht hatte, nicht ihr gegenüber, und während er nach einem Ausweg suchte, sah er Egwene mit zwei Dutzend oder mehr Aes Sedai aus dem Dorf herankommen, von denen die meisten mit Fransen besetzte Stolen trugen. Oder genauer gesagt: Egwene kam, und die anderen folgten ihr. Den Kopf hoch erhoben, schaute sie strikt geradeaus, die gestreifte Stola um den Hals gelegt. Die anderen schritten in kleinen Gruppen hinter ihr einher. Sheriam, welche die blaue Stola der Hüterin trug, sprach mit Myrelle und einer Aes Sedai mit gutmütigem Gesicht, die mütterlich wirkte. Mat erkannte als einzige Aes Sedai Delana. Alle sprachen miteinander, ohne auf die Frau zu achten, die sie zur Amyrlin ernannt hatten. Egwene hätte genausogut allein sein können. Und sie wirkte allein. Da er sie kannte, wußte er, daß sie sich sehr bemühte, ihrer Ernennung gerecht zu werden, und sie ließen sie, für jedermann sichtbar, allein gehen.
In den Krater des Verderbens mit ihnen, wenn sie glauben, sie könnten eine Frau aus den Zwei Flüssen so behandeln, dachte Mat grimmig.
Er trat auf Egwene zu, nahm den Hut vom Kopf und verbeugte sich so ehrerbietig wie möglich, und er konnte es gut, wenn es sein mußte. »Guten Morgen, Mutter, das Licht möge auf Euch scheinen«, sagte er laut genug, daß er auch im Dorf gehört wurde. Er kniete sich hin, ergriff ihre rechte Hand und küßte ihren Großen Schlangenring. Ein schneller Blick und eine Grimasse zu Talmanes und den anderen ließ sie alle eilig hinknien und rufen: »Das Licht bescheine Euch, Mutter.« Sogar Thom und Juilin.
Egwene wirkte zuerst bestürzt, obwohl sie es rasch verbarg. Dann lächelte sie und sagte weich: »Danke, Mat.«
Er sah einen Moment zu ihr hoch, räusperte sich dann, erhob sich und klopfte sich den Staub von den Knien. Sheriam und alle anderen hinter Egwene sahen ihn an. »Ich habe dich nicht hier erwartet«, sagte er leise, »aber andererseits scheint es hier vieles zu geben, was ich nicht erwartet habe. Ist es üblich, daß die Amyrlin Reisende verabschiedet? Du wirst mir doch jetzt nicht etwa erzählen wollen, worum es bei alledem geht, oder?«
Sie hätte es vielleicht im ersten Moment getan, aber dann biß sie die Zähne zusammen und schüttelte leicht den Kopf. »Ich werde Freunde immer verabschieden, Mat. Ich hätte schon früher mit dir gesprochen, wenn ich nicht so beschäftigt gewesen wäre. Mat, halte dich in Ebou Dar von Schwierigkeiten fern.«
Er sah sie entrüstet an. Hier kniete er sich hin und küßte Ringe, und sie sagte ihm, er solle sich von Schwierigkeiten fernhalten, wenn er doch nur das Ziel verfolgte, Elayne und Nynaeve mit heiler Haut davonkommen zu lassen. »Ich werde es versuchen, Mutter«, sagte er mit etwas verzerrter Stimme. Vielleicht waren Sheriam und einige der anderen nahe genug, ihn zu hören. »Wenn Ihr mich entschuldigen wollt — ich muß mich um meine Männer kümmern.«
Eine weitere Verbeugung, und er ging einige Schritte rückwärts, bevor er zu der Stelle trat, wo Talmanes und die anderen noch immer knieten. »Wollt ihr so verharren, bis ihr Wurzeln schlagt?« grollte er. »Steigt auf.« Alle außer Talmanes stiegen in die Sättel.
Egwene wechselte einige Worte mit Elayne und Nynaeve, während Vandene und Adeleas zu Sheriam traten, um mit ihr zu sprechen. Und dann war die Zeit, nach allem Trödeln, doch sehr schnell gekommen. Mat erwartete irgendeine Art von Zeremonie, da Egwene in ihrer Stola dabei war, aber sie und die anderen, die nicht mit fortgingen, zogen sich nur ein kleines Stück zurück. Elayne trat vor, und plötzlich erschien vor ihr ein Blitzstrahl, der sich zu einer Öffnung erweiterte. Was durch diese Öffnung zu sehen war — anscheinend ein niedriger, mit braunem Gras bedeckter Hügel — kam aus einer Drehbewegung heraus zum Stillstand. Genauso wie bei Rand. Fast zumindest »Steigt ab«, befahl Mat. Elayne wirkte sehr zufrieden mit sich, aber ob dem so war oder nicht, das Wegetor war nicht so groß wie dasjenige, das Rand für die Horde geschaffen hatte. Natürlich waren sie nicht annähernd so viele Personen wie die Horde, aber sie hätte es wenigstens so hoch gestalten können, daß man hätte hindurchreiten können.
Auf der anderen Seite erstreckten sich niedrige, wogende, mit braunem Gras bewachsene Hügel, so weit Mat sehen konnte, auch als er wieder auf Fips' Rücken stieg, obwohl eine dunkle Fläche im Süden Wald vermuten ließ. Sandfarbene Hügel.
»Wir dürfen die Pferde nicht zu hart vorantreiben«, sagte Adeleas, während sie ihre rundliche, graue Stute mühelos umwandte, sobald das Wegetor verschwunden war.
»Oh, natürlich nicht«, sagte Vandene. Ihr Pferd war ein großer, schlanker schwarzer Wallach. Vandene und Adeleas brachen gen Süden auf und bedeuteten den anderen, ihnen zu folgen. Der alte Behüter ritt rechts hinter ihnen.
Nynaeve und Elayne wechselten verärgerte Blicke, gruben ihren Stuten aber dann die Fersen in die Seiten, um die älteren Frauen einzuholen, wobei die Pferdehufe Staub aufwirbelten, bis sie auf gleicher Höhe waren. Die blonde Jägerin blieb ihnen genauso beharrlich auf den Fersen wie der Behüter den anderen beiden.
Mat löste seufzend das schwarze Tuch um seinen Hals und band es sich über Nase und Mund. So sehr es ihm vielleicht auch gefiel, wenn die älteren Aes Sedai diesen beiden Vernunft beibrachten, so wünschte er sich doch nur einen ereignislosen Ritt, einen kurzen Aufenthalt in Ebou Dar und eine schnelle Rückkehr nach Salidar, bevor Egwene etwas Törichtes tat, das nicht wiedergutzumachen war. Frauen machten ihm stets Schwierigkeiten. Er verstand es nicht.
Als das Wegetor verblaßte, seufzte Egwene. Vielleicht konnten Elayne und Nynaeve gemeinsam verhindern, daß Mat in zu große Schwierigkeiten geriet. Ihn vollständig davon fernzuhalten, war wahrscheinlich zuviel verlangt. Sie empfand Bedauern darüber, daß sie ihn benutzte, aber er war dort, wo er sich jetzt befand, vielleicht von Nutzen, und er hatte von der Horde getrennt werden müssen. Außerdem verdiente er es. Vielleicht würde Elayne ihm tatsächlich ein paar Manieren beibringen.
Sie wandte sich zu den anderen um, zum Saal und Sheriam und ihrem Kreis. »Jetzt müssen wir unsere Aufgabe weiterführen.«
Aller Augen wandten sich dem Cairhiener im dunklen Umhang zu, der in der Nähe des Waldes gerade auf sein Pferd stieg. Talmanes, dachte Egwene, hatte Mat ihn genannt. Sie hatte es nicht gewagt, zu viele Fragen zu stellen. Er betrachtete sie alle einen Moment und schüttelte den Kopf, bevor er in den Wald hineinritt.
»Ein Mann, der nichts Gutes verheißt, wenn ich schon jemals einen solchen Mann gesehen habe«, sagte Romanda.
Lelaine nickte. »Es wird besser sein, Abstand zwischen uns und Männer wie ihn bringen.«
Egwene erlaubte sich kein Lächeln. Mats Horde hatte vorerst ihren Zweck erfüllt, aber vieles hing jetzt davon ab, welche Befehle Mat diesem Talmanes hinterlassen hatte. Sie glaubte, dabei auf Mat zählen zu können. Siuan sagte, daß dieser Vanin schon Dinge bereinigt hatte, bevor sie auch nur eine Gelegenheit gehabt hatte, sie ihm unter die Nase zu reiben. Und wenn sie schutzsuchend zur Horde laufen wollte, müßte die Horde ihr nahe sein. »Wollen wir zu unseren Pferden gehen?« fragte sie. »Wenn wir jetzt losreiten, sollten wir Lord Bryne noch vor Sonnenuntergang einholen.«