Zone Süd

Serge Ortega starrte neugierig auf das kristalline Krebswesen, das gerade hereingekommen war. Obwohl es kein Gesicht, keine Augen, Ohren oder andere Öffnungen gab, konnte es sprechen, über kleine Kristalle in dem Wesen, die ihrerseits einen Übersetzer aktivierten.

»Sind Sie der Ghiskind?«fragte Ortega forschend.

»Zu Ihren Diensten, Botschafter.«

»Ich — äh — nehme an, daß das nicht Ihre normale Form ist, sondern daß sie zu meinen Gunsten gewählt worden ist.«

»So ist es«, bestätigte der Ghiskind. »Es ist eines meiner Arbeiter-Moduln, das ich mit den notwendigen Sprechanlagen ausgestattet habe. Unsere eigene Form der Kommunikation ist, sagen wir, nicht-verbal. Ich möchte Ihnen für die Lieferung des Übersetzers sehr danken; ein faszinierendes Gerät.«

»Gern geschehen. Und jetzt an die Arbeit. Sie wissen natürlich von der Sache mit dem Torshind, der Yaxa und dem Schiff?«

»Versteht sich. Die Behörden haben versucht, das geheimzuhalten, aber ich hatte das Glück, in der Nähe des Zone-Tores zu sein, als die Yaxa auftauchte. Ihre Natur war sofort erkennbar — Kohlenstoffstrahlung. So kann man es jedenfalls am besten ausdrücken. Es ist so schwer, diese Begriffe in eine Form zu kleiden, die Ihnen mühelos zugänglich ist.«

»Lassen wir das. Die wesentlichen Fragen sind andere. Warum haben Sie beispielsweise vorgezogen, sich an mich zu wenden, statt an jemanden von den anderen, und warum stellen Sie sich gegen Ihre eigene Regierung? Und dann natürlich: Können Sie das leisten, worauf es uns ankommt — und warum tun Sie es?«

»Viele Fragen«, sagte der Ghiskind. »Warum Sie? Sie sind von Anfang an gegen die Yaxa gewesen, was bedeutet, daß Sie auch gegen den Torshind sind.«

Ortega zog die buschigen Brauen hoch. Aha! dachte er.

»Was die Frage angeht, warum ich mich gegen meine eigene Regierung stelle«, fuhr der Ghiskind fort, »so ist es erstens Tradition in Yugash, gegen die Regierung zu sein. Das ist ohnehin unsinnig — die Regierung besitzt in Wahrheit keine Macht, diese liegt nur bei den Wirtschaftsclans. Nein, die Regierung hat eigentlich nichts damit zu tun.«

»Der Torshind ist also ein wirtschaftlicher Konkurrent?«

»Durchaus nicht«, gab der Yugash zurück. »Der Torshind vertritt — äh, Augenblick —, das ist etwas schwierig… es kommt der Sache wohl am nächsten, wenn ich sage — eine Kirche, auch wenn Sie mich da mißverstehen werden. Jedenfalls einen organisierten Kult mit starren, dogmatischen Glaubenssätzen, die überaus fanatisch vertreten werden.«

»Kult genügt mir. Was geglaubt wird, spielt keine Rolle — oder ist das relevant?«

»Relevant, ja. Er hat einmal große Macht besessen. Früher, als die Markovier die Abreisen überwachten, gelang es ihnen, in den Körpern von einigen dieser Leute hinauszugelangen, um sozusagen den Glauben und die Macht des Kults zu verbreiten. Sie sind der Grund für einen Großteil unserer sozialen und politischen Isolierung, da sie alle anderen Wesen als Werkzeuge betrachten, wie dieses Gerät, die ihren Wünschen zu dienen haben.«

»Ich dachte, Sie können keine Gedanken lesen, selbst wenn Sie in einem Wirtskörper stecken?«fragte Ortega nervös.

Das Kristallwesen bebte.

»Sie mißverstehen mich. Wissen, nein. Aber sie können natürlich das Gehirn stören, Schäden hervorrufen, Wahnsinn erzeugen. Sie können — wie alle Yugash — fühlen, was der Wirtskörper spürt: Masochismus, Sex, Sadismus, was auch immer, ohne jede Gefahr für den im Inneren befindlichen Yugash. Und sie können solche Empfindungen auslösen, indem sie die dafür zuständigen Zentren im Gehirn reizen. Es ist nur eine Frage des Experimentierens, herauszufinden, wo sie sich befinden und was sie bewirken.«

»Aber Sie sind nicht so?«fragte Serge Ortega beunruhigt.

»Die meisten Yugash sind es nicht«, versicherte ihm der Ghiskind. »Im Ganzen gesehen ist der Prozentsatz der im Grunde guten Leute gegenüber den schlechten wohl derselbe wie bei jeder anderen Rasse. Ich kann mir denken, was Ihnen durch den Kopf geht. Manches Schreckliche in der Vergangenheit Ihrer eigenen Rasse mag durch Yugash verursacht worden sein, aber wir sind nie sehr viele gewesen und vermehren uns in feindseliger Umwelt sehr langsam oder gar nicht.«

»Der Kult ist also nicht mehr der dominierende Faktor in Yugash, und die Regierung ist bedeutungslos. Das heißt also, Sie vertreten wen?«

»Wie gesagt, Yugash ist aufgeteilt in und wird beherrscht von Wirtschaftsclans. Manche, wie mein eigener, sind dort an ihrem Sättigungspunkt angelangt. Wir können uns nicht mehr ausdehnen, wir Können nur beim derzeitigen Stand stagnieren. Mein eigener Bereich ist von Ihren Vorstellungen so weit entfernt, daß es sogar unmöglich ist, ihn erklären zu wollen. Aber es gibt sehr viele Hexagons — zumeist im Norden, aber auch einige im Süden —, die unsere Fähigkeiten nützen können. Solange es den Kult noch gibt — und das Embargo ist schon so lange in Kraft, daß es als selbstverständlich gilt —, können wir mit niemandem ins Geschäft kommen. Mein Unternehmen hat mich deshalb mit einer doppelten Aufgabe betraut. Zum einen soll dem Torshind und seinesgleichen jede neue Öffnung zu anderen Welten und Rassen versperrt bleiben. Zweitens soll Yugashs Glaubwürdigkeit wiederhergestellt werden, indem wir zusammenarbeiten mit anderen, im Norden und Süden, um positive Ziele auf ehrenhafte Weise zu erreichen und damit die lang verstopften Kanäle der Kommunikation wieder zu öffnen.«

Was er sagte, klang plausibel.

»Aber welche Garantien habe ich?«fragte Ortega höflich bedauernd. »Ich meine, ich habe schließlich nur Ihr Wort…«

»Es gibt Wege, einen Yugash daran zu hindern, daß er in einen anderen Körper schlüpft und ihn kontrolliert«, erwiderte der Ghiskind. »Wir werden sie Ihnen zeigen. Außerdem ist die Übernahme keine so einfache Sache, wie Sie glauben. Wenn ich jetzt versuchen wollte, Ihren Körper in Besitz zu nehmen, würden Sie sich wehren — und der stärkere Geist bliebe Sieger. Selbst wenn ich die Kontrolle erlangen könnte, würde es der Übung bedürfen, Ihr Nervensystem zu beherrschen, damit ich Sie kontrollieren könnte, ohne Sie zu töten. Und vergessen Sie nicht, daß wir keinen Raumschiffpiloten haben.«

»Also gut, Ghiskind, ich glaube, wir sind uns einig. Ich habe das Material längst herstellen lassen, aber es wird überprüft und vielleicht umgebaut werden müssen. Es ist Ihnen natürlich klar: Wenn wir nicht in den Computer gelangen können, gedenke ich alles zu vernichten, damit auch andere nicht dazu in der Lage sind.«

Der Kristall bebte wieder, anscheinend im Nicken begriffen.

»Versteht sich. Wenn die potentielle Bedrohung der Welt selbst nicht wäre, würde ich sagen, sprengen wir das Raumschiff, und der Fall ist erledigt.«

»Die Yaxa-Gruppe ist noch mindestens zwei Monate davon entfernt, über das vollständige Material zu verfügen«, meinte Ortega. »Sagen wir — in dreißig Tagen hier an dieser Stelle?«

»Abgemacht. Inzwischen mache ich Sie mit dem Gelände und den logistischen Problemen vertraut. Ich nehme an, daß Sie mit den Bozog bereits gesprochen haben.«

Ortega lächelte.

»Gewiß. Die kleinen, rollenden Halunken darf man nicht unterschätzen. Wenn wir ihnen einen Piloten besorgen, besorgen sie das Schiff.«

Er seufzte, griff in eine Schublade und zog eine dicke Akte heraus. Auf dem Umschlag stand ›Tschang‹. Nach all den Jahren kann ich jetzt endlich meine Schuld begleichen, dachte er. Er drückte mit der mittleren rechten Hand auf eine Taste.

»Sir?«sagte die Stimme einer weiblichen Ulik.

»Zudi, sagen Sie den Ambreza, sie sollen Mavra Tschang durch das Zone-Tor zu mir bringen. Sie werden wissen, was das zu bedeuten hat. Und Joshi soll mitkommen, wenn beide einverstanden sind.«

»Sofort, Sir«, erwiderte die Sekretärin.

Er fühlte sich besser. Diesen Befehl hatte er zweiundzwanzig Jahre lang geben wollen.

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