Hookl

Der Himmel hatte aufgeklart, das Wetter wurde wärmer, und für die Besatzung der ›Toorine Trader‹ stand alles zum besten. Die Wellen waren keine zwei Meter hoch, und das Schiff dampfte mit voller Kraft nach Nordnordwest, lange, grauweiße Wolken aus den beiden Schornsteinen hinter sich herziehend. Im stürmischen Nocha hatte man etwas Zeit verloren, aber man holte sie auf.

Auf dem Heck erholten sich zwei rosarote Twosh und genossen den warmen Sonnenschein auf ihren Kegelgestalten. Ein Twosh, zehn Zigarren in kleinen Schlaufen an seinem Gürtel, balancierte auf einer breiten Hand, während die andere eine Zigarre herauszog und sie in den winzigen, fast kreisrunden Mund steckte. Angezündet wurde sie nie; das Wesen saugte und kaute nur daran, bis die Zigarre vertilgt war.

»Großes Objekt, im Flug, zwanzig Grad steuerbord!«rief der Ausguck an der Radarkonsole plötzlich.

Der Twosh mit der Zigarre sah auf und entdeckte in der Ferne einen undeutlichen Umriß, dann richtete er die großen Limonenaugen auf seinen Zwilling.

»Nicht schon wieder einer!«stöhnte er.

Der andere Twosh starrte angestrengt in die Ferne.

»Hol mich der und jener, wenn das diesmal nicht nach einem Pferd aussieht. Das hat uns gerade noch gefehlt.«

»Und du weißt, wer das Deck wieder saubermachen muß«, meinte der andere.

Das riesige, dunkelrote Pferd mit weit ausgebreiteten Schwanenflügeln, um die Aufwinde zu nutzen, kreiste mehrmals über dem Schiff, wie um sich zu vergewissern, daß es das gesuchte sei, und, wenn das zutraf, wie es zur Landung ansetzen sollte. Das Problem war nicht ganz einfach zu lösen. Ein Agitar-Pegasus landete nicht wie ein Vogel; er brauchte eine Strecke, um am Boden zu laufen und den Schwung abzubremsen. Natürlich konnte er im Wasser landen, aber die See mochte zwar für die ›Trader‹ ruhig genug sein, für etwas Kleineres war sie noch rauh genug.

Kapitän und Besatzung starrten zu dem fliegenden Prerd hinauf.

»Denke gar nicht daran, für ihn Fahrt wegzunehmen«, knurrte der geisterhafte Kapitän mit seiner Nebelhorn-Stimme. »Wenn ich gewußt hätte, daß wir mitten auf dem Meer soviel Gesellschaft bekommen würden, hätte ich einen friedlicheren Beruf ergriffen, vielleicht bei der Armee.«

Tbisi nickte mit seinem langen, dünnen Hals.

»Vielleicht lassen wir uns da etwas entgehen, Käpt'n«, meinte er. »Wir sollten Landegebühren verlangen, hohe Gebühren für jede Frage, die gestellt wird, das Fünfzigfache für jede Antwort und das Fünfhundertfache für die Wahrheit.«

Renard entschied, daß das Steuerborddeck Platz genug bot, und flog mit Domaru, dem Enkel von Doma, an.

Domaru verweigerte beim erstenmal die Landung; im Gegensatz zu seinem entfernten Vetter, dem Pferd, war der Pegasus kein dummes Tier. Da war nicht nur die schmale und möglicherweise zu kurze Gasse, die auch noch Hindernisse wie Tauwerk und dergleichen aufweisen mochte, sondern auch das Rollen und Schlingern des Schiffes in der See. Ein zweiter Anflug behagte Renard nicht, der darüber fluchte, daß dort unten niemand gesonnen zu sein schien, ihm zu helfen oder auch nur Platz zu machen. Beim dritten Versuch aber legten Reiter und Pegasus sich fest, und es ging knapp gut. Der Pegasus mußte, noch in Bewegung, seine Flügel zusammenfalten, um zwischen Reling und Aufbau hindurchlaufen zu können. Wenn Domaru am Bug nicht zum Halten kommen konnte, bestand die Gefahr, daß er sich den Hals brach.

Der Anblick der rasch heranfegenden Bugkette schien zu helfen. Das Pferd bremste mit kaum fünfzig Zentimeter Spielraum ab und wendete.

Renard ließ sich ein wenig Zeit, um zu Atem zu kommen, und schaute sich nach der Besatzung um, die ihn neugierig beobachtete. Zum erstenmal fragte er sich, ob es nicht zweckmäßig gewesen wäre, anzufragen, ob er an Bord kommen dürfe. Zwei übel aussehende Ecundaner sonnten sich auf der Brücke und glotzten ihn mit ihren Stielaugen an; die beiden Twosh betrachteten ihn eher gelangweilt.

Er stieg ab und ging nervös auf den Twosh mit der Zigarre zu.

»Äh, entschuldigen Sie, aber ist das die ›Toorine Trader‹?«

Der Twosh biß ein Stück von seiner Zigarre ab, kaute und schluckte.

»Da Sie sich soviel Mühe gemacht haben, hereinzuschneien, muß ich dazu wohl ja sagen.«

Die Antwort brachte ihn ein wenig in Verlegenheit. Wie begrüßte man einen kleinen, rosaroten Kegel mit braunen Augen? Mit einem Händedruck? Nein, aber was sonst? Na ja…

»Mein Name ist Renard«, sagte er. »Aus Agitar.«

»Interessant«, erwiderte der zweite Twosh.

Renard räusperte sich.

»Ich, äh, vertrete Botschafter Ortega von Ulik.«

Der Twosh betrachtete ihn prüfend.

»So? Wo sind Ihre anderen vier Arme?«

Er seufzte.

»Nein, ich arbeite nur mit ihm zusammen. Ich suche nach einer Frau, einer Person namens Mavra Tschang, die aus Glathriel verschwunden ist.«

»Kann sie sonst noch Tricks?«warf der zweite Twosh ein.

Renard ärgerte sich, und das Glucksen der anderen Besatzungsmitglieder trug nicht gerade zur Verbesserung seiner Laune bei.

»Hören Sie«, sagte er ernsthaft, »ich bin ein alter Freund von ihr. Ich habe erfahren, daß sie in Schwierigkeiten ist, und bin hergekommen, um ihr zu helfen. Wir haben ihren Weg zu diesem Schiff zurückverfolgt, und ich wäre dankbar, wenn Sie mir helfen könnten, sie zu finden. Es ist außerordentlich wichtig.«

Der Twosh mit der Zigarre sah ihn argwöhnisch an.

»Wichtig für wen?«fragte er.

»In erster Linie für mich«, gab der Agitar zurück. »Und für sie.«

»Kann ich mir denken«, sagte der andere Twosh halblaut. »Wenn Sie ihren Weg hierher verfolgt haben, muß sie ja irgendwo auf dem Schilf sein, nicht? Sie können es gern durchsuchen, obwohl ich fürchte, daß die Besatzung auf See zu beschäftigt ist, um Ihnen zu helfen.«Seine schwarzen, geraden Brauen sanken plötzlich herunter, bis sie die Augen berührten. »Aber ich kann Ihnen gleich sagen, daß das nichts nützen wird«, flüsterte er. Der kleine Kopf wies auf die beiden Ecundaner auf dem Brückendach. »Sie haben sie aufgegessen, wissen Sie.«

Einen unbehaglichen Augenblick lang glaubte Renard, das kleine Wesen sage die Wahrheit. Aber dann tat er die Antwort mit einem Achselzucken ab. Er war überzeugt davon, daß Mavra sich nicht an Bord befand.

»Sie haben seit Glathriel nur einmal angelegt«, sagte er, »und das war in Ecundo. Haben Sie sie dort abgesetzt?«

Der Twosh sah ihn entsetzt an.

»Wir lassen die Leute ganz sanft über Bord gleiten, wenn wir sie an Land bringen.«

Renard hob die Hände.

»Ich begreife nicht, wie Sie das alles so leichtnehmen können«, sagte er erbost. »Für jemanden wie sie ist das ein sehr gefährliches Hex!«

Die Ecundaner erhoben sich plötzlich auf ihre sechs Beine.

»He, Ziegenbock! Willst du uns beleidigen?«rief einer von ihnen und hob den Stachel.

»Ich geb's auf«, sagte Renard seufzend.

»Wenn Sie glauben, daß sie in Ecundo ist, sollten Sie lieber hinfliegen«, riet einer der Twosh. »Aber seien Sie vorsichtig. Die beiden da oben sind hinausgeworfen worden, weil sie so nette Burschen waren. Übrigens sucht alle Welt nach Mavra.«

»Augenblick. Alle Welt? Sind schon andere hier gewesen?«

»Sicher. Ein großes Wesen mit hübschen, orangeroten Flügeln und ein kleines Ding, das Ihnen kaum bis an die Knie reicht, kamen heute morgen dahergeflogen. Wir waren nicht so freundlich zu ihnen, wie wir das bei Ihnen sind, aber Sie sind ja auch sehr nett.«

Renard ging auf den Sarkasmus nicht mehr ein.

»Eine Yaxa und eine Lata? Sind sie aufeinandergetroffen?«

Er machte sich Sorgen um Vistaru, von der man seit Tagen nichts mehr gehört hatte.

»Wenn man bedenkt, daß die eine auf der anderen saß, würde ich sagen, daß es ihnen schwerfallen dürfte, zusammenzutreffen«, meinte der Twosh.

Das beunruhigte Renard noch mehr, und er bemühte sich sehr, ihnen eine Lata zu beschreiben, um die Gewißheit zu haben, daß man ihn nicht noch mehr verspottete. Eine Yaxa und eine rosarote Lata — fast mit Gewißheit Vistaru — zusammen? Das schien beinahe unmöglich zu sein.

»Führte eine der beiden das Kommando?«fragte er. »Ich meine, sah es so aus, als wäre eine die Gefangene der anderen gewesen?«

Der Twosh dachte nach.

»Nein. Ich würde nicht sagen, daß sie befreundet waren — aber ich glaube auch nicht, daß man mit dem orangeroten Eisklotz Freund sein kann. Sie schienen aber auf jeden Fall zusammenzuarbeiten.«

Das störte Renard. Hatte die Lata aus irgendeinem Grund nach all der Zeit Ortega im Stich gelassen und sich ihren alten Gegnern angeschlossen? Das war undenkbar — aber es waren so viele Jahre vergangen. Die Leute änderten sich, dachte er. Regierungen verändern sich, der einzelne verändert sich.

Es hörte sich nicht gut an.

»He, Freund!«rief einer der Ecundaner.

Er starrte verblüfft hinauf.

»Ja?«

»Wie willst du wieder abheben?«

Die Frage brachte ihn für einen Augenblick aus der Fassung. Er hatte einfach nicht darüber nachgedacht. Die See war zu rauh, und Domaru brauchte entschieden eine ebenso lange Start- wie Landestrecke — und zwar mit ausgebreiteten Flügeln.

Er saß fest, bis sie in Domien ankamen, noch ein Tag entgegen der Richtung, die er einschlagen wollte.

Sie lachten alle. Tbisi blieb es überlassen, ihm den Gnadenstoß zu versetzen.

»Die Fahrt kostet zwölf Goldstücke am Tag«, sagte er, als er auf Renard zuging.

Der Agitar seufzte und hätte sich selbst einen Tritt geben mögen.

»Ich hole sie aus Domarus Satteltaschen«, sagte er resigniert.

»Das kommt auch noch dazu«, erklärte Tbisi. »Das Pferd ist Fracht. Ein Goldstück pro Kilogramm.«

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