Ti-gan starrte von seinem Posten auf dem Wohnwagen zur Mittagssonne hinauf. Es war tristes Land; eine Wüste in Rot und Orange und Purpur, stark erodiert und mit vereinzelten Büschen, Kakteen, sogar Bäumen. So sah es hier fast das ganze Jahr aus, außer zu Beginn und in der Mitte des Frühlings, wenn die Schneeschmelze im nordöstlichen Gebirge Hochwasser durch die Schluchten brausen ließ.
Es gab aber Wasser, unter der Oberfläche, durch Dampfpumpen in Becken befördert, die dann streng bewacht werden mußten. Das Wasser eines Rudels unter Kontrolle zu haben, hieß, das Rudel zu beherrschen.
Ti-gan sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem Hund und einem Wiesel; sein Gesicht lief an einer feuchten Nase spitz zu, unter der sich ein großes Maul öffnete und lange, scharfe Zähne freigab. Er hatte runde, tellerförmige Ohren. Sein Körper war für ein Wesen mit dem Kopf von der Größe Ti-gans unverhältnismäßig klein. Arme und Beine endeten in kurzen, schwarzen, fünffingrigen Pfoten mit ebenso dunklen Krallen, die denen eines Waschbären glichen. Wenn er sich bewegte, dann auf allen vieren, aber im Sitzen, wie jetzt, ließ er sich auf dicken Hinterbeinen nieder und hockte auf seinem schwanzlosen Hinterteil wie ein Humanoid.
Für jemanden, der das zum erstenmal sah, war ein Wach-Rudel-Gerät ein sonderbarer Anblick — eine massive, gepanzerte Plattform auf Reihen riesiger Ballonreifen, jede mit eigener Achse, so daß sie den Konturen der rauhen Landschaft wie ein Raupenfahrzeug folgten. Oben befand sich eine Metallwand mit Schießschlitzen, und eine kleinere Struktur darüber war ebenfalls gepanzert. Fünf immer kleiner werdende Decks endeten in einem großen, rußigen Schornstein, der große Dampf- und Aschewolken ausstieß, die von der trockenen Luft verschluckt wurden.
Es war die trockenste und damit die gefährlichste Jahreszeit. Manche Rudel hatten jetzt nur Schlammlöcher, mit der Aussicht, vier Wochen oder länger warten zu müssen, bis die Schneeschmelze einsetzte. Es war eine Zeit der Verzweiflung. Vor allem in dieser Zeit wurden alle in Wach-Rudel-Geräte verladen, außer jene im Wasserdorf, die unentbehrlich waren. Da sie jeden Augenblick mit einem Angriff rechneten, fuhren sie im Kreis um die Oase herum, die ihre Machtbasis darstellte.
Es war in einem Wach-Rudel-Gerät heiß wie in der Hölle, wenngleich die Riesenventilatoren ein wenig Linderung verschafften. Ti-gans Rudel hatte einmal kostbares Frigen eintauschen können, hergestellt jenseits der Wasser-die-nicht-trinkbar-waren, so daß die oberen Etagen durch dampfbetriebene Klimaanlagen gekühlt werden konnten. Die Wirkung wurde aber beinahe wieder zunichte gemacht; so viele Leiber versammelten sich in den kühleren Bereichen, daß ihre natürliche Körperwärme die Vorteile wieder aufhob.
Ti-gan bevorzugte das Freie, den gleichmäßigen Wind und die gelegentliche kühle Brise von den fernen Bergen. Keiner der Mucrolier betrachtete die Bedingungen als unerträglich, so sehr sie auch die Hitze und Unbehaglichkeit spüren mochten. Sie waren in dieser Umwelt geboren und betrachteten sie als eine der Bürden des Lebens. Fliegen umsummten ihn, und er schlug träge nach ihnen.
Er beugte sich vor, blies in ein Sprachrohr und wurde belohnt, als ein kleiner Zeiger zuckte und eine Glocke läutete, um ihm mitzuteilen, daß im Maschinenraum sich noch jemand bewegen konnte.
»Leerlauf, alles halt!«befahl Ti-gan, und das WRG kam zum Stillstand. Man spürte noch die Vibration und hörte die Motoren, aber der Lärm ließ beträchtlich nach. Er wußte nicht, warum er den Halt angeordnet hatte; es war einfach ein Gefühl in ihm, das sich aus langen Jahren der Erfahrung entwickelt hatte. Irgend etwas stimmte nicht ganz, er mußte es prüfen. Er griff nach seinem Feldstecher.
Obwohl seine Rasse fast völlig farbenblind war und alles in einem verblaßten Licht sah, erlaubte das oft eine bessere Unterscheidung als echte Empfindung für Farben. Seine Augen waren außerordentlich scharf, und mit dem Glas wurde sein Sehvermögen beinahe phänomenal. Er betrachtete die Hügel auf der rechten Seite, ohne zu wissen, wonach er suchte.
Er war fast schon bereit, einzuräumen, daß er einfach nervös war oder langsam zu alt wurde, als ihm eine Bewegung auffiel — eine ganz geringe, fast untergehende in den grauen Schatten zwischen den niedrigen Hügeln.
Zwei Gestalten, die langsam vorankamen. Er drehte an der Scharfeinstellung, aber sie waren zu weit entfernt. Nichts Vertrautes, soviel stand fest. Keine Späher eines angreifenden WRG, aber auch keine Wüstentiere.
»Neun Grad links, volle Kraft«, rief er in das Sprachrohr. Das WRG brüllte zischend und fauchend auf und setzte sich schwankend in Bewegung. ›Volle Kraft‹ war nicht sehr schnell, aber es genügte.
Zuerst schienen die beiden Gestalten unsicher zu sein, als sie die Geräusche hörten, dann versuchten sie sich in einer kleinen Mulde zu verstecken. Ti-gan nickte befriedigt.
»Fünf Mann, Pistolen und Netze.«
Im WRG wurde es laut, und binnen einer Minute stand der Trupp auf Deck Drei. Er nickte ihm zu und wies auf die beiden fremden Objekte.
»Es sind zwei, irgendwelche Tiere, aber keine bekannten«, sagte er. »Versucht sie lebend zu fangen, wenn ihr könnt. Ich will sehen, was wir da haben.«
Sie starrten hinaus, konnten aber nichts erkennen. Schließlich rief Ti-gan:»Steigt auf die Sprung-Plattform! Ich schieße eine Panik-Rakete ab, damit sie laufen!«
Sie stiegen auf Deck Zwei und warteten. Ti-gan lud eine Nadelrakete, befestigte einen Gaszylinder, hielt sich an der Reling fest und feuerte in die Richtung, wo die beiden Wesen sich verbargen.
Die Leuchtrakete prallte an die Muldenwand und explodierte donnernd. Zwei Geschöpfe hetzten aus den Schatten.
Der Trupp sah sie.
»Sprung und marsch!«schrie ihr Anführer, und sie waren unterwegs, mit ungeheurer Schnelligkeit. Die Mucrolier konnten bis zu sechzig Kilometer in der Stunde Schnellaufen.
Das WRG fuhr im Schrittempo weiter, und eine Anzahl der Insassen kam heraus, um die Verfolgung zu beobachten.
Der Trupp schwärmte aus und trieb die Flüchtenden zuerst in die eine, dann in die andere Richtung. Sie spielten eine Weile mit den beiden, dann stürzten sich zwei von den Verfolgern auf sie. Wie aus dem Nichts schnellte ein Netz über die Tiere. Sie wehrten sich verzweifelt, aber das Netz hielt sie gefangen.
Der Trupp stand um das Netz herum. Die beiden Geschöpfe waren erschlafft.
»Es sind Schweine!«rief einer der Verfolger. »Riesenschweine!«
In Mucrol gab es Schweine, aber sie waren viel kleiner und völlig unbehaart.
»Das sind sie und sind es nicht«, sagte der Anführer verwirrt. »Irgendeine verwandte Gattung. Aber nicht aus Mucrol, das steht fest. Wie können sie nur hergekommen sein?«
»Ob sie wohl wie unsere Schweine schmecken?«meinte ein anderer hungrig.
»Das werden wir vielleicht feststellen. Ihr wißt, daß der Fangtrupp immer den ersten Anteil bekommt. Sie sehen aber aus wie ein Pärchen. Es könnte sich lohnen, sie zu züchten, wenn sie so groß sind und schmecken wie unsere Schweine.«Der Anführer zuckte die Achseln und seufzte. »Haben wir nicht zu bestimmen. Nehmt sie mit.«
Sie wurden zusammengeschnürt und auf eine kleine Plattform gehoben. Der Trupp legte Gurte an, dann zog man die Last durch die Wüste zu fernen Bäumen.
Die Siedlung bestand aus terrassierten Häusern, die wie WRG aus roten Lehmziegeln aussahen, erbaut um einen Marktplatz mit einem kleinen Becken schlammig aussehenden Wassers in der Mitte, flankiert von einer Palmenpalisade.
Die beiden Gefangenen wurden in einen großen Drahtkäfig gesteckt. Als die Mucrolier das Netz entfernten, stellten zwei von ihnen fest, daß es sehr schmerzhaft war, die Stacheln zu berühren. Einer mußte davon zurückgehalten werden, die Schweine auf der Stelle abzuschlachten. Schließlich sperrte man den Käfig ab, und der Trupp entfernte sich.
Mavra Tschang stieß sämtliche Flüche hervor, die sie in ihrem Leben je gelernt hatte. Die Anzahl war beträchtlich, aber sie kamen alle in einer langen Reihe von Grunz- und Quiektönen heraus, die dem Uneingeweihten nur die Empfindung, nicht den Inhalt vermittelten.
Joshi ließ sie toben. Er war ebenso verärgert wie sie, aber es war einfach zu heiß, um sich aufzuregen. Er ging ihr aus dem Weg, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Mavra war verstummt und bedachte keuchend ihre Lage. Der Käfig war am Holzboden fest verschraubt, befand sich aber im Freien; sie waren auf allen Seiten von dünnem Stahlmaschendraht umgeben, und die einzige Öffnung war die Tür an Stahlscharnieren.
Nach einer Weile versuchten sie und Joshi, das Schloß aufzusprengen, aber sie bekamen nur Kopfschmerzen von ihren Rammstößen.
»Wir sitzen fest«, grunzte Joshi.
Sie wußte, daß er recht hatte, wollte sich aber nicht damit abfinden. Nicht nach all der Zeit, nicht so nah an den Bergen, die nach Gedemondas führten.
»Vielleicht können wir einen Weg finden, mit ihnen zu reden«, meinte Joshi. »Auf dem Schiff ist das auch gelungen.«
»Womit?«sagte sie. »Kein Stift, kein Papier — und außerdem könnte hier ohnehin keiner lesen, was ich schreibe. Aber wir kapitulieren noch nicht. Irgend etwas wird sich ergeben.«Sie versuchte ihn zu trösten.
Er war nicht überzeugt, und sie konnte es, wenn sie ehrlich war, auch nicht sein. Alles deutete darauf hin, daß ihnen diesmal keine Rettung winkte.
Früher war sie auch aus den schwierigsten Lagen entkommen, sogar auf Neu-Pompeii, wo Obie ihr die Codes gegeben hatte, damit sie Treligs System kreisender Roboterstationen überwinden konnte.
Immer und immer wieder hatte sie einen Ausweg gefunden. Sie hatte schließlich sogar damit gerechnet, daß das Unwahrscheinliche eintrat, daß sie im letzten Augenblick um Haaresbreite davonkommen würde, obwohl in irgendeinem Winkel ihres Gehirns die Erkenntnis gelauert hatte, daß eines Tages die Rettung ausbleiben mußte.
Aber das war nicht die Gelegenheit, sagte sie sich; sie durfte es nicht sein.
Doch sie gab reumütig vor sich selbst zu, daß die Rettung diesmal von außen kommen mußte. Zunächst konnte sie sich nur hinlegen und Zuflucht vor der trockenen Hitze im Schlaf suchen.
Die Sonne ging unter. Nach wenigen Minuten würden die langen Schatten das WRG einholen, während es um die Oasenstadt polterte und schwankte. Schon waren in den Straßen Petroleumlampen entzündet worden, die man von den Wachtürmen des WRG aus erkennen konnte. Das Risiko wurde durch sie kaum vermehrt. Jeder Gegner konnte am Geruch des Wassers feststellen, wo sich die Stadt befand.
Mor-ti hatte Ti-gan am Kommandostand ersetzt; sie sah nachts viel besser als er. Seltsamerweise war die Bedrohung nachts viel geringer. Da die Mucrolier nachts sehr schlecht sahen, mußte ein Angreifer in fremdem Gelände vorrücken, das von den Verteidigern scharf bewacht wurde. Solche Attacken waren zwar vorgekommen, aber man atmete im WRG doch auf; die meisten Leute hatten das Wasserloch aufgesucht, und nur die Nachtwache blieb an Bord.
Wieder kam der sechste Sinn, der die besten Ausguckleute auszeichnete, zum Tragen. Mor-ti konnte nicht sagen, was es war, aber sie spürte, daß irgend etwas nicht stimmte, und wies den Maschinenraum an, langsam zu fahren.
Vom Westen wehte eine Brise von der fernen See. Sie war ein wenig stärker als sonst und trieb den Rauch aus dem Schornstein fast waagrecht durch die Luft.
Sie lauschte angestrengt über dem Dröhnen der Motoren und dem Zischen der Dampfkessel. Dort draußen war irgend etwas.
Sie blies in das Sprachrohr.
»Zwei Späher nach oben!«befahl sie. »Hier ist etwas im Gange. Druck halten. Wir —«Bevor sie weitersprechen konnte, knallte es auf ihrer rechten Seite ein paarmal, dann brauste und pfiff es rund um das WRG.
»Alle Mann auf Station!«kreischte sie ins Rohr. »Wir werden angegriffen! Vorwärts! Zickzack-Fahrt!«
Das WRG setzte sich brüllend in Bewegung; Mor-ti zog Panzerplatten an ihrem Kommandostand hoch und starrte durch Augenschlitze.
Wieder knallende Geräusche und Explosionen, näher jetzt, überall. Kleine Metallsplitter prasselten, als Schrapnelle die Stahlflanken des WRG behämmerten.
Beobachter an Bug und Heck versuchten das Mündungsfeuer des angreifenden WRG zu erkennen, denn darum mußte es sich handeln. Ein Geschoß traf das WRG und detonierte. Die Verteidiger schrien vor Wut und Enttäuschung auf.
»Hart rechts, Streufeuer!«schrie Mor-ti. »Vielleicht können wir sie ausräuchern!«
Luken klappten klirrend herunter, und als das Fahrzeug sich abrupt drehte, ratterte eine Salve hinaus.
Mor-ti glaubte das feindliche Fahrzeug im erlöschenden Licht der Leuchtgranaten zu erkennen. Sie richtete ihr WRG dorthin. Der Schußwinkel bewies, daß sie recht hatte; die neue Salve fegte über ihr Fahrzeug hinweg und detonierte hundert Meter dahinter.
Plötzlich begriff der gegnerische Kommandeur, daß er angegriffen wurde; er drehte sein schwarzgestrichenes Fahrzeug und ließ an der Vorderseite ein Gerät ausfahren, das wie ein riesiger Dosenöffner aussah.
Das WRG der Verteidiger kam mit voller Fahrt heran, was bedeutete, daß er einen guten Viertelkilometer brauchte, um ganz drehen zu können; der Angreifer verlangsamte die Fahrt und wartete. Die Geschütze schwiegen.
Als der Verteidiger sich näherte, kam er auf der rechten Seite des angreifenden Panzerfahrzeugs vorbei. Der Kommandeur der Angreifer schrie plötzlich:»Volle Kraft voraus!«, und sein WRG rumpelte dröhnend vorwärts.
Der Angreifer traf die Seite des verteidigenden WRG, nicht genau mittschiffs, wie erhofft, sondern knapp dahinter, und die scharfe Korund-Klinge am Bug bohrte sich in das Fahrzeug.
Die Dampfventile des getroffenen WRG kreischten wie lebendige Wesen; ein Dampfkessel war getroffen worden, und Mor-tis Fahrzeug bäumte sich auf und kroch langsam in die Dunkelheit. Der Angreifer schrie in sein Sprachrohr:»Kerosin einfüllen!«, während sein WRG dem getroffenen nachrumpelte.
Der feindliche Befehlshaber bemühte sich, für einen Versuch mit dem Flammenwerfer auf die Bresche zu zielen.
Die Methode war nicht ungefährlich; der Druck im Flammenwerfer-Rohr ließ sich nicht lange halten, das WRG selbst mußte das Zielen übernehmen, und sobald das Kerosin entzündet war, würde es sie zu einer unübersehbaren Zielscheibe machen.
»Zünden!«schrie der Kommandeur.
Eine kleine Gestalt am Bug strich den Zünder an. Er war ein Ziel, auf das die Verteidiger sich einschießen konnten, und sie taten es, aber der Angreifer entzündete einen Strom von unter Druck stehendem Kerosin, der durch die Fackel floß und Feuer fing.
Plötzlich leckte ein langer, bleistiftdünner Feuerstrahl nach den Schießscharten des Verteidigers und näherte sich der Bresche. Es mußte schnell gehen, weil die Menge des Kerosins begrenzt war, aber der Kommandeur des angreifenden Fahrzeugs manövrierte sein WRG so geschickt heran, daß er den Strahl flüssigen Feuers in die Lücke lenken konnte.
Endlich hörte er Schreie aus dem Inneren des beschädigten WRG, als das Kerosin sein Ziel fand und das Feuer sich ausbreitete. Der Maschinenraum mit seinen empfindlichen Gummischläuchen und dem hölzernen Aufbau wurde sofort davon erfaßt, und das Fahrzeug kam zum Stillstand, da die Heizer nicht gleichzeitig den Dampfdruck aufrechterhalten und das Feuer bekämpfen konnten.
Der Angreifer fühlte sich dem Sieg nahe, rammte das andere WRG und schob es vor sich her. Das getroffene Fahrzeug wurde hochgehoben, kippte und stürzte mit ohrenbetäubendem Krachen um.
Der schwarze Angreifer stieß zurück. Schon sprangen die Infanteristen aus den Heckluken und stürmten auf die Stadt zu.
Die Verteidiger waren nicht untätig geblieben. Der Kesselraum wurde aufgegeben, und die Truppen im umgestürzten WRG verschwanden in der Dunkelheit, während andere in der Stadt ausschwärmten. Überall erloschen Petroleumlampen und hinterließen Dunkelheit, die kaum mehr erhellt war von den Sternen.
Es kam sofort zu Gefechten, und die feindlichen Truppen wurden von verschiedenen Seiten angegriffen, bis die Kanonen in der Stadt zu sprechen begannen.
Das WRG wendete, brauste zurück, wies der Stadt die Breitseite und begann zu feuern.
Aufgleißende Blitze erhellten die Szene und ließen Hunderte von kleinen, dunklen Gestalten als Silhouetten hervortreten.
In der Stadt regnete das Feuer des attackierenden WRG mit tödlicher Wirkung herab. Die Bombardierung riß klaffende Löcher in die Pueblos, und die Leute begannen schreiend hin und her zu laufen.
Mavra und Joshi kauerten in ihrem Käfig, er voller Angst, sie voller verzweifelter Wut.
Jemand lief auf den Platz hinaus.
»Treibt die Tiere auseinander!«brüllte er. »Verschmutzt das Wasser! Hinaus! Hinaus!«
Gestalten liefen durcheinander, entschlossen, den Angreifern die Früchte ihres Sieges vorzuenthalten. Jemand kam zu den Ställen und öffnete die Tore, und die Tiere rannten in Panik in alle Richtungen davon. An Mavras Käfig blieb er jedoch nicht stehen, sondern lief weiter.
Eine Granate schlug ganz in ihrer Nähe ein, und Splitter prasselten an den Käfig. Sie preßten sich in eine Ecke des Käfigs.
Ein zweiter Treffer, dann ein dritter, ganz nah, schlug in den Lehmziegelbau über ihnen ein. Ein großer Block Lehmziegel stürzte herab, streifte den Käfig und riß ein großes Loch.
Sie warteten weder auf ein Wort, noch brauchten sie es; sie stürzten sich auf die Bresche. Es fiel schwer, hinauszugelangen, und Joshi war plötzlich eingeklemmt. Mavra sah es, stürzte auf ihn zu und rammte ihn hinaus, aber nicht, ohne daß er sich den Bauch aufschnitt.
Er stürzte zu Boden, und sie versuchte es selbst. Ihre Beine waren einfach zu kurz, ihr dicker Leib klemmte sich ebenso ein wie vorher der von Joshi. Er raffte sich auf, humpelte zu ihr und packte ein Vorderbein mit seinem Maul. Die scharfen Zähne zerfetzten ihr die Haut, aber der Ruck genügte, und sie stürzte über ihm hinaus.
Sie stemmte sich hoch und stellte fest, daß sie auf dem verletzten Bein nicht stehen konnte. Sie würde mit nur drei Beinen laufen müssen. Ohne zu zögern, setzte sie sich in Bewegung, gefolgt von Joshi.
Ringsum krachten die Einschläge, Mucrolier stürzten brüllend und kreischend, blindlings ins Dunkel feuernd, durcheinander.
Es sah aus wie ein Gewimmel von weißen und orangeroten Leuchtkäfern, als die Angreifer näher rückten. Sie unternahmen jedoch keinen Versuch, die Stadt zu umzingeln — sie hofften vielmehr, die Verteidiger würden sich zurückziehen. Die Oase war das Ziel, nicht ihre Bewohner. Mavra und Joshi, die das erkannten, hasteten ins Dunkel an der Rückseite, wo keine Blitze flammten.
Ihr größtes Problem bestand darin, nicht von den verängstigten Tieren und fliehenden Verteidigern niedergetrampelt zu werden; ein kleineres, nicht von verirrten Schüssen getroffen zu werden, sobald sie ganz im Dunkeln untertauchten.
Schließlich blieb der Kampflärm hinter ihnen zurück. Der Angriff hatte Erfolg gehabt; sie waren wieder frei — aber nun würden sie in der Wüste mit einer großen Zahl von Flüchtlingen, für die Nahrung ein Grundbedürfnis war, zu rechnen haben. Wenn die Schweine eingefangen wurden, mochte niemand mehr an eine Zucht denken.
Das Licht der Morgendämmerung zeigte den drei Beobachtern in der Luft eine unheimliche Szene. Aus vierhundert Metern Höhe bot sich das Wüstengelände in seiner ganzen Farbenpracht dar, bis zu den dunstigen Bergen in der Ferne. Unter ihnen hatte ein Gemetzel stattgefunden — man sah viele Leichen, ein ausgebranntes WRG, die zerschossenen Gebäude der Oase und am Wasser eine große Gruppe von Mucroliern, die vom Tümpel eine Schmutzschicht abschöpften, um das Wasser wieder trinkbar zu machen. Das Fahrzeug der Angreifer stand in der Nähe; daneben ratterte eine Maschine, die das Wasser filterte und es in die Kessel des Kriegswagens pumpte.
»Mein Gott!«stieß Renard hervor.
»Wenn sie da mit hineingeraten sind, sehe ich nicht, wie sie überlebt haben könnten«, sagte Vistaru düster.
»Mavra Tschang findet immer einen Ausweg«, versicherte Wooly mit ihrer kalten Yaxa-Stimme. »Ich würde hier aber nicht landen oder mich lange aufhalten. Selbst aus dieser Höhe kann man erkennen, daß die meisten Tiere tot oder entkommen sind. Die Sonne ist aufgegangen. Ich schlage vor, dem direkten Weg nach Gedemondas zu folgen. Dort werden sie sein.«
Die beiden anderen wünschten sich dasselbe Maß an Zuversicht.
Im Nordosten der zerschossenen Oase konnten sie vereinzelte Trupps von mucrolischen Flüchtlingen sehen, die sich neu zu formieren suchten. Hier und dort bemerkte man die seltsamen Wesen in der Luft. Manchmal gerieten die Leute am Boden in Erregung, hier und dort feuerte man auch, aber zumeist blieben sie unbeachtet.
Von den dreien hatte die Yaxa weitaus das beste Sehvermögen, und man verließ sich auf Wooly, wenn es darum ging, das Gelände genau abzusuchen.
Mehrmals entdeckten sie kleine Tiere und gingen tiefer, um sie näher in Augenschein zu nehmen, aber es waren tatsächlich stets nur Tiere.
Bis zum frühen Nachmittag machte sich die nervöse Anspannung bemerkbar.
»Vielleicht sollten wir weiterfliegen bis zur Grenze und von dort aus langsam zurück«, meinte Vistaru.
Dafür sprach einiges, aber Wooly zögerte.
»Wenn sie in einer der Mulden oder Rinnen sind, werden die Flüchtlinge kurzen Prozeß mit ihnen machen«, sagte sie.
Sie flogen ein Stück nach Norden, wo eines der ausgetrockneten Flußbetten in eine Salzebene mündete, die jeder überqueren mußte, der zu den Bergen wollte.
»Das ist ein guter Kompromiß«, erklärte Renard. »Früher oder später müssen sie hier durch, und wir können auf weite Entfernung alles überblicken.«
»Wenn sie nicht schon durchgekommen sind«, warf Vistaru sorgenvoll ein.
»Immer noch besser, als blind zu suchen«, sagte die Yaxa, und man einigte sich auf Renards Vorschlag. Nachdem sie eine halbe Stunde am Boden gerastet hatten, flogen sie wieder hinauf.
Einige Zeit später geschah endlich etwas.
»Da, rechts!«schrie Wooly. »Mucrolier, die etwas verfolgen! Zwei Gestalten!«
Zunächst sah keiner von den anderen, was sie entdeckt hatte, da die Lata Nachtaugen hatten und Renards Sehvermögen nur durchschnittlich war. Aber sie folgten der Yaxa.
»Da!«rief auch Renard schließlich. Er beugte sich im Sattel vor und deutete hinunter.
Etwa ein halbes Dutzend Mucrolier jagte zwei kleinere, dunkle Objekte über die gelblichweiße Ebene. Die Verfolgten hatten keine Chance; ihre Jäger waren viel schneller als sie.
»Es ist Mavra!«schrie Wooly, und zum erstenmal klang aus ihrer Stimme Erregung.
Renard zog seinen langen Stab aus der Scheide an Domarus Satteltasche.
»Paßt auf, daß sie mich nicht abschießen«, sagte er zu den anderen. »Ich greife ein.«
Die sechs Mucrolier am Boden hatten genug von der Jagd und setzten dazu an, die Beute zu erlegen, als sie über sich das Rauschen schwerer Flügel hörten. Einer schaute hinauf und brüllte seinen Kameraden etwas zu.
Mavra Tschang entdeckte sie auch und wußte sofort, wer sie sein mußten, obwohl die Yaxa eine Überraschung für sie war. Sie hatte nicht die Absicht, sich fangen zu lassen; als die Mucrolier sich der neuen Bedrohung stellten, hetzte sie über die Ebene, so schnell sie konnte, gefolgt von Joshi.
Einer der Mucrolier hob sein Gewehr und wurde plötzlich von einer kleinen Gestalt gerammt. Vistaru ließ sich mit den Füßen voraus hinabfallen, prallte gegen die Schnauze des Wesens und stieß ihren Stachel in seinen Körper.
Die Aufmerksamkeit des Rudels wurde abgelenkt. Domaru flog tief an, und Renard stieß mit seinem Taster zu; die Tausende Volt in seinem Körper strömten durch den rechten Arm und den Stab hinaus. Es gab einen grellen Blitz, als einer der Mucrolier getroffen wurde. Er kreischte entsetzt und brach zusammen.
Die Mucrolier waren keine disziplinierten Soldaten, sondern Flüchtlinge, und der Angriff brachte sie durcheinander. Als Renard zustieß, wandten sie sich gemeinsam wieder gegen ihn, ein Gewehrlauf hob sich, und Vistaru stürzte sich auf eines der Wesen, während Renard im selben Augenblick ein zweites mit dem Taster niederstreckte. Die beiden restlichen Mucrolier gerieten in Panik und ergriffen die Flucht.
Renard lachte triumphierend und landete in der Nähe der am Boden liegenden Gestalten. Vistaru ließ sich sanft auf Domaru nieder.
»Uff«, sagte sie keuchend. »Das habe ich schon seit Jahren nicht mehr gemacht.«
»Mir geht es nicht anders.«Renard lachte. »Aber wie in alten Zeiten, nicht wahr? Wir können es noch.«Sein Grinsen verschwand plötzlich. »Wo ist Wooly?«Er drehte sich um, gemeinsam mit Vistaru.
»Da!«schrie sie.
Die orangeroten Flügel flatterten in der Ferne, unterwegs zur Grenze von Alestol.
»Wir sind hereingelegt worden«, zischte Renard. »Während wir kämpften, hat sie Mavra geschnappt.«
Sie nahmen sofort die Verfolgung auf, aber es war zwecklos. Die Yaxa war mindestens ebenso schnell wie Domaru, wenn nicht schneller, und Vistaru konnte ihre Geschwindigkeit nur über kurze Strecken ausspielen. Mit jeder Minute, die verging, vergrößerte sich so der Abstand. Sie überflogen die Grenze von Alestol, wo das Land grün war — und tödlich. Unter ihnen standen riesige, faßförmige Pflanzen und warteten darauf, daß sie herunterkamen.
»Es hat keinen Sinn«, sagte Vistaru. »Ich weiß, wohin sie unterwegs ist. Wir sind übertölpelt worden.«
»Was meinen Sie?«
»Sie will zum Zone-Tor von Alestol und die beiden zur Yaxa-Botschaft in Zone bringen. Wir werden gleichzeitig immer weiter nach Alestol hineingelockt, das im Krieg auf der Seite der Yaxa stand. Früher oder später müssen wir landen, um zu trinken oder zu rasten, und die Gaspflanzen werden uns betäuben und auffressen. Wir müssen sofort umkehren. Außerdem hat sie uns weit von dem nächsten Zone-Tor weggelockt, das wir benützen könnten.«
Renard wollte sich die Wahrheit nicht eingestehen, aber Vistaru hatte recht. Als klar wurde, daß sie Wooly nicht einholen konnten, blieb keine andere Wahl, als ein Zone-Tor aufzusuchen, Ortega zu alarmieren und sich in Zone bereitzuhalten. Leider waren sie gut sechshundert Kilometer von einem nutzbaren Tor entfernt und ziemlich erschöpft.
Die Yaxa hatten nicht nur Mavra Tschang in ihre Gewalt gebracht, sie würden auch mindestens einen Tag, wenn nicht länger, über sie verfügen, bevor die einzigen, die davon wußten, darüber Meldung machen konnten.
Sie verfluchten sich innerlich und flogen nach Norden, Richtung Palim.