Sein Name war Antor Trelig, und er sah einem Riesenfrosch sehr ähnlich. Daran war nichts Besonderes; in Makiem sah jedermann aus wie ein Riesenfrosch.
Treligs Brust trug die Tätowierung des Kaiserlichen Hofes. Von seinem Büro im Palast aus konnte er die große Stadt Druhon überblicken — ein geschäftiges, mittelalterliches Zentrum für 250000 Makiem — bis hin zu dem großen See dahinter, der die Gaslaternen der Stadt und die Märchenbeleuchtung des Schlosses widerspiegelte. Im See konnten die an Land lebenden Makiem ihre Körper nach Bedarf benetzen, lange Zeit zur Erholung unter Wasser schwimmen, und dort pflanzten die sonst asexuellen Makiem sich auch für eine grandiose Woche im Jahr fort.
Auf beiden Seiten des Sees ragten hohe Berge wie dunkle Schatten auf und bildeten einen unregelmäßigen Rahmen für das gewaltige Sternenfeld, das der See spiegelte. Der Himmel der Sechseck-Welt war in unvorstellbarem Maße spektakulär; von der südlichen Halbkugel aus beherrschten ihn ein gigantischer Kugelhaufen und Wolken aus wirbelnden Gasen in einem unfaßbar dichten Sternenmeer, das die Lage der Sechseck-Welt in der Nähe eines galaktischen Zentrums bezeichnete. Trelig legte sich oft in seinen Balkonsitz und schaute in klaren Nächten hinauf. Es gab keinen Anblick, der sich damit vergleichen ließ.
Er hörte ein Geräusch hinter sich, drehte sich aber nicht um. Es gab nur eine einzige Person, die sein Büro ohne Aufforderung oder Angst betreten konnte.
»Du gibst nie auf, wie?«Die Stimme hinter ihm klang etwas weicher als die seine, verriet aber eine Hartgesottenheit, die bewies, daß seine Frau Burodir nicht einfach ein hübsches Gesicht unter vielen war.
»Du weißt es«, sagte er beinahe seufzend. »Und ich werde nie aufgeben. Ich kann nicht, wenn man — zum Beispiel gerade jetzt — das verdammte Ding sogar sieht, wie es mich quält, beinahe verhöhnt. Mich herausfordert.«Er deutete mit einem Schwimmhaut-Krallenfinger hinaus in die Dunkelheit.
Sie setzte sich zu ihm. Ihre Verbindung war keine romantische. Sie war mit ihm verheiratet worden, weil ihr Vater die graue Eminenz hinter dem Thron war und einen Aufpasser für diesen Fremden brauchte. Obwohl die Fama wissen wollte, daß der alte Mann an einem schlechten Morkwurm erstickt war, wußte sie zuinnerst, daß Antor Trelig auf irgendeine Weise sein Hinscheiden arrangiert hatte, um dann den freigewordenen Platz einzunehmen.
Sie war jedoch die Tochter ihres Vaters, so daß Rache nicht in Betracht kam. Sie würde Trelig verbunden und treu bleiben — wenn es ihr nicht oder bis es ihr gelang, ihre eigene Macht so zu verstärken, daß sie ihn ungefährdet zu beseitigen vermochte.
Er begriff das. Er war genauso.
»Wo ist es?«fragte sie, ins Dunkel starrend.
»Fast am Horizont«, erwiderte er mit einer Geste. »Ungefähr so groß wie eine Zwanzig-Nug-Münze. Siehst du, ganz silbern im Licht der Sonne?«
Jetzt sah sie es — es war eigentlich riesengroß, aber so tief und von so seltsamer Färbung, daß es einem oft entging, wenn man nicht den ganzen Horizont überblicken konnte.
»Neu-Pompeii«, stieß er hervor. »Es hat einmal mir gehört — es wird wieder mein sein.«
Einmal war er gewesen, was er menschlich nannte — ähnlich dem Volk der Glathriel tief im Südosten. Er war unerahnbare Milliarden Lichtjahre von diesem Ort entfernt geboren worden, um die Kom-Welt Neue Harmonie zu beherrschen, wo alle Bewohner Hermaphroditen waren und gleich aussahen, aber Parteiführer wie er größer, großartiger gewesen waren als die anderen.
Er liebte die Macht; er war für sie geboren und dazu aufgezogen worden, sie auszuüben. Reichtum und Rang bedeuteten ihm nichts, wenn sie nicht seiner Machtgier dienten. Deshalb begnügte er sich vorerst damit, Landwirtschaftsminister zu sein. Selbst in Makiem kannten ihn die meisten nur als den Neuzugang, der dort mit einem Raumschiff abgestürzt war.
»Da oben ist alles an Macht, was man sich wünschen kann«, sagte er zum vielleicht neuntausendstenmal zu ihr. Es störte sie nicht; sie war genauso. »Ein Riesencomputer nimmt die ganze südliche Hälfte der kleinen Welt ein. Es ist eine Sechseck-Welt im kleinen, fähig, die physische und zeitliche Wirklichkeit in einem Maßstab zu verwandeln, der planetenweit sein kann. Siehst du das Glitzern auf halbem Weg nach unten? Das ist der Rand der großen Schüssel, ausgerichtet auf den Schacht der Seelen am Äquator, in dieser Stellung erstarrt. Aber wenn sie befreit wäre, könnte sie eine Welt von der Größe wie diese verwandeln. Stell dir das vor! Eine ganze Welt! Die Bewohner nach deinen Vorstellungen gebildet, Land und Ressourcen nach deinen Vorgaben gestaltet, und alles dir voll und ganz ergeben — dir, der du unsterblich werden kannst. Und dieser Computer kann das alles bewirken, indem er die Wirklichkeit einfach so anpaßt, daß niemand von einer Veränderung auch nur etwas ahnen würde. Alle würden es einfach hinnehmen!«
»Aber du weißt, daß es nichts auf der Sechseck-Welt gibt, das einen Antrieb mit so viel Schubkraft bauen könnte, um Neu-Pompeii zu erreichen«, betonte sie. »Wir beide haben die Motoren in das Gletschertal in Gedemondas abstürzen und verbrennen sehen.«Er nickte zerstreut.
»Vierzehntausend Tote schon durch das Bündnis, das die Wrackteile des Raumschiffes zusammenholte, vielleicht noch einmal vierzigtausend im Krieg selbst — und dieselbe Zahl auf der Gegenseite, die von den Yaxa und Ben Yulin angeführt wurde.«
»Was ist mit Yulin?«fragte sie.
Yulin war der geniale Ingenieur gewesen, der Gil Zinders Tochter Nikki entführte und Zinder, der den Computer konstruiert hatte, zwang, das Projekt nach Neu-Pompeii, Treligs kleiner Privatwelt, zu verlegen und auszubauen. Yulin war das einzige andere Wesen, das den Code kannte, um die Computerabwehr von Neu-Pompeii zu überwinden und die gigantische Maschine in Betrieb zu nehmen. Nicht einmal Gil Zinder, der auf der Sechseck-Welt spurlos verschwunden war, wie seine Tochter auch, konnte ohne die Kennwörter hineingelangen.
»Yulin«, sagte Trelig glucksend, »er ist Farmer in Dasheen, halb im Ruhestand. Er hat hundert Minotaurus-Kühe zu anbetender Sklaverei für sich gezüchtet. Für seine ehemaligen Verbündeten, die Yaxa und Lamotien, hat er technische Arbeit geleistet, aber die Schacht-Mathematik überfordert ihn — er ist ein glänzender Ingenieur, aber nur ein mäßiger Theoretiker. Ohne Zinder kann er manche der großen Maschinen betreiben, sogar bauen, aber nicht vom Reißbrett aus konstruieren. Sie haben es versucht! Außerdem glaube ich, daß er in Dasheen ganz glücklich ist. So etwas hat er sich immer schon gewünscht. Die Yaxa mußten ihn sehr gegen seinen Willen in den Krieg hineinziehen.«
»Aber dieser Zinder könnte doch einen zweiten Computer solcher Art bauen«, meinte sie nachdenklich. »Macht dir das keine Sorgen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein. Wenn er dazu in der Lage wäre, hätte er es inzwischen längst getan — und ein derart umfangreiches Unternehmen könnte nicht verborgen bleiben. Nein, nach all den Suchaktionen während dieser langen Zeit bin ich überzeugt davon, daß er tot oder in einer dieser Kollektivwelten oder nicht-technischen Gesellschaften unbeweglicher Pflanzen eingeschlossen ist. Ich bin auch sicher, daß Nikki tot ist. Ich bezweifle, ob sie irgendwo, auf sich allein gestellt, überleben könnte. Nein, es sind nicht Yulin oder Zinder, die ich fürchte — es ist das Mädchen, das mich beunruhigt.«
»Hmf! Mavra Tschang, immer Mavra Tschang. Das ist eine Manie von dir. Sieh mal, sie ist mißgestaltet — sie könnte ein Raumschiff nicht steuern, selbst wenn man ihr eines geben würde. Keine Hände, das Gesicht stets nach unten gerichtet. Sie kann sich nicht einmal allein ernähren. Finde dich lieber damit ab, Antor. Es gibt keinen Weg, je zu deinem Glitzerding da oben am Himmel zurückzukehren, auch für niemand anderen — am wenigsten für Mavra Tschang.«
»Wenn ich mir dessen nur so sicher wäre wie du«, sagte er düster. »Ja, es ist wahr, sie läßt mir keine Ruhe. Sie ist die gefährlichste Gegnerin, mit der ich es je zu tun hatte. Ein winziges Ding von Mädchen — nicht viel größer als Parmiters Affen mit den Eulengesichtern. Trotzdem hat sie Geräte von unglaublicher Kompliziertheit an meinen Detektoren vorbeigeschmuggelt, und letztere waren die besten, die es gab. Dann schlich sie sich in Nikki Zinders Gefängnis, vorbei an fast allen Wachen, überredete einen Bewacher dazu, mit ihr zu fliehen, vermochte ein Raumschiff zu stehlen, ohne von meinen Roboterstationen abgeschossen zu werden — sie sind auch noch immer da oben, weißt du —, weil sie ein auf einem System beruhendes Kennwort wußte, das einfach nur ich kennen konnte. Und wie? Weil sie sich mit Zinders gottverdammtem Computer verbündet hatte, deshalb! Er hat Selbst-Bewußtsein, verstehst du? Das ist die einzige Antwort. Und aus diesem Grunde habe ich nicht die geringste Ahnung, ob sie zu dem Computer vordringen könnte, wenn es ihr je gelingen sollte, da hinaufzukommen. Selbst Yulin könnte Probleme haben, an den Stationen vorbeizukommen, aber nicht sie. Und ihr Gehirn ist so eigenartig, so unergründlich, daß niemand weiß, was sie mit dieser Art von Macht anfangen würde. Sie ist bösartig und rachsüchtig, das weiß ich. Ich habe einmal eine ganze Reihe guter Syndikatsleute verloren, als sie ihren Ehemann umbrachten. Ich weiß, was sie mit mir anstellen möchte.«
»Aber sie wird es nicht tun«, gab Burodir zurück. »Dort kommt niemand hinauf.«
»Im Norden gibt es ein ganzes unversehrtes Raumschiff«, erwiderte er. »Ich muß es wissen — Ben und ich sind damit gelandet.«
»Aber in einem Nicht-tech-Hex, bewohnt von derart fremdartigen Wesen, daß sie nicht einmal begreifen, was es ist, und es keiner anderen Rasse erlauben wollen, das Schiff zu holen«, erklärte sie. »Und außerdem ist es für einen aus dem Süden unmöglich, über Zone Nord hinauszukommen, das weißt du. Jedes Zone-Tor auf der Sechseck-Welt, Nord oder Süd, bringt dich einfach wieder zurück nach Makiem. Du kannst nicht über Zone Nord hinaus.«
»Ich hätte auch einmal behauptet, es sei unmöglich, was Mavra Tschang getan hat«, erklärte er. »Ich hätte behauptet, der Schacht der Seelen, die Sechseck-Welt, Makiem und alles andere wären ebenfalls nicht möglich. Außerdem habe ich Geschichte studiert. Vor knapp über zweihundert Jahren hat jemand aus dem Norden es geschafft, hierher in den Süden zu kommen. Wenn das möglich ist, kann auch das Umgekehrte geschehen.«
»Ich weiß, Der Erahner und Der Rel oder so ähnlich. Die ganze Geschichte ist so verworren und legendenhaft, daß kaum jemand daran glaubt, das weißt du. Damals soll es auch einen Markovier gegeben haben — nach einer Million Jahren oder mehr, nachdem seine ganze Rasse ausgestorben war —, und der Schacht wurde angeblich geöffnet, betreten und dann für alle Zeit verschlossen. Wenn du an solche Märchen glaubst, kann man dir alles erzählen.«
»Nun, da, wo ich herkomme, gab es Mythen über seltsame, intelligente Wesen in der fernen Vergangenheit — Zentauren und Meerjungfrauen und Elfen und Kobolde und fliegende Pferde und Minotauren und dergleichen. Ich habe hier jedes einzelne dieser Wesen gesehen. Diesen Markovier — diesen Nathan Brazil, wie er in meinem Raumsektor genannt wurde — hat es wirklich gegeben. Es gibt an Orten wie diesem Forschungszentrum der Pflanzen in Czill Aufzeichnungen und Beschreibungen von ihm. Die Leute glauben kaum an Märchen. Und Serge Ortega glaubt an ihn, ja, er behauptet sogar, ihn gekannt zu haben.«
»Ortega!«sagte sie verächtlich. »Ein Halunke! Wegen seinem Drang nach Unsterblichkeit ein Gefangener in Zone und Jahrhunderte älter, als irgendein Ulik es sein dürfte. Er ist ein seniler alter Mann.«
»Uralt ist er«, gab Trelig zu, »aber senil nicht. Vergiß nicht, er ist derjenige, welcher Mavra Tschang auf Eis gelegt hat und beschützt, bis er seine eigene Lösung für das Debakel im Norden findet. Er ist der Mann, der die Sache mit dem Erahner und dem Rel aufgebracht hat. Er war dabei!«
Sie versuchte das Thema zu wechseln.
»Weißt du, in nicht einmal zwei Wochen kommt unsere Paarungszeit«, sagte sie. »Hast du dich dafür frei gemacht? Ich fange schon an, die Triebe zu spüren.«
Trelig nickte abwesend.
»Wir haben jetzt schon zwanzig Bälger. Der schlimmste Fluch des Krieges — diese extreme Fruchtbarkeit, die der Schacht ausgelöst hat, um die Toten zu ersetzen.«Aber er starrte weiter in die Nacht hinaus und flüsterte:»Mavra Tschang.«
»Warum unternimmst du nichts gegen sie, wenn sie dich so stört?«fauchte Burodir. »Du giltst doch als großer Planer und raffinierter Denker. Was würdest du tun, wenn ein verkrüppeltes Zwergwesen hier deine Macht bedrohen würde?«
Sein großer Reptilkopf legte sich ein wenig auf die Seite.
»Aber sie zu töten, würde nicht genügen«, antwortete er. »Nein, ich muß wissen, was der Computer ihr alles eingegeben und wieviel davon sie anderen mitgeteilt hat.«Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. »Doch eine Entführung wäre zu empfehlen. Sie kann sich in ihrer Lage nicht wehren und ist sogar von Ortega isoliert. Eine Entführung und eine gründliche Hypno-Bearbeitung in irgendeinem Hoch-tech-Hex, das bestochen oder erpreßt werden kann. Natürlich!«
»Und du hast die ganzen Jahre gebraucht, um darauf zu kommen?«gab seine Frau spöttisch zurück.
»Neun Jahre, um hier eine Position zu erlangen, fast noch einmal soviel, um das diplomatische Debakel zu beheben, wiederaufzubauen«, erwiderte er. »Dazu die ganze Arbeit am Problem des Nordens. Prioritäten. Aber jetzt kann ich mich um Mavra Tschang kümmern.«