Die Oberfläche

Ein bewaffneter Posten wurde in der Nähe des Lifts aufgestellt, und man verlegte das Lager in die Mitte des Parks.

»Warum nicht das Schiff nehmen und fortfliegen, um Hilfe zu holen?«sagte Renard. »Wir sind weiß Gott der lebende Beweis für unsere Behauptungen, und der Rat könnte dafür sorgen, daß hier alles in die Luft gesprengt wird.«

»Genau darauf wartet Yulin«, gab Mavra zurück. »Wenn wir im Schiff unterwegs sind, könnte er die große Schüssel auf uns richten und uns mit einem Schlag erledigen.«

Renard blickte zum Lift hinüber, der vielleicht hundert Meter entfernt war und von Wooly und Vistaru bewacht wurde.

»Sie werden uns holen«, sagte er tonlos. »Und zwar bald.«

Sie nickte.

»Den Draht haben wir. Dreihundert Meter, das ist mehr als genug. Wenn wir nur nah genug herankommen, um ihn zu benützen.«

»Sie müssen den Abwehr-Status abschalten, wenn sie ihre Leute herauslassen«, sagte der Bozog. »Das wäre der logische Augenblick.«

»Ja, vielleicht sollten wir an der Brücke warten«, warf Renard ein. »Sozusagen im Startblock.«

»Das finde ich nicht«, meinte sie. »Nein, die Pläne lassen erkennen, daß Obie den ganzen Bereich vom Ende des Zugangskorridors bis zu seiner Tür sehen kann. Und wenn wir im Korridor bleiben, stehen wir mit dem Rücken zum Lift. Yulin kann seine Zombies in alles verwandeln, was ihm einfällt, und uns überfallen lassen. Nein, ich glaube —«

»He, da kommt etwas herauf!«schrie Wooly.

Die anderen fuhren herum.

Die Lifttür öffnete sich und ließ eine schrecklich aussehende Wolke aus orangeroten und grünen Gasen austreten. Sie war dicht und hüllte sie ein. Ein Schuß fiel, dann herrschte Stille.

Die anderen erreichten die Wolke, hielten aber Abstand, als der scharfe Geruch sich bemerkbar machte. Yugash und Bozog drangen hinein und tauchten bald danach wieder auf. Die große Rauchwolke stieg empor und verdünnte sich, als die Entlüftung wirkte.

»Sie sind fort!«rief der Bozog. »Beide! Einfach verschwunden!«

Renard schüttelte traurig den Kopf.

»Jetzt sind wir noch vier, verdammt!«

»Und auf der anderen Seite stehen elf, selbst ohne ihn«, fügte Mavra hinzu. »Das verändert alles.«

»Wir könnten mit dem anderen Wagen hinterherfahren«, schlug der Bozog vor.

Sie schüttelte den Kopf.

»Das hat keinen Sinn. Er hält immer an der oberen Tür. Und er ist zu hören. Wenn wir ankommen, geht die Tür auf, und er hat uns alle.«Sie sah Renard an. »Haben Sie Ihre Energiepistole noch?«

»Hier«, sagte er und klopfte auf seine Pistolentasche.

»Gut. Wir lassen ihnen etwas Zeit, dann rufen wir eine Kabine. Sie schießen mit Streufeuer hinein, bevor wir einsteigen, und der Ghiskind und der Bozog sehen ebenfalls nach. Wenn wir unten ankommen, feuern Sie wieder, bis wir in der unteren Etage sind. Wenn wir schon umkommen müssen, dann im Kampf!«

»Aber genau das wird ihn aufmerksam machen«, wandte der Bozog ein. »Er wird seine Leute im Inneren festhalten, bis er sie hinausschicken muß. Er wird vermeiden wollen, daß einem etwas zustößt. Er kann alle unsere Fähigkeiten nicht kennen.«

»Darauf zähle ich«, sagte sie. »Und darauf, daß die untere Kabine unten war und man die obere benützt hat. Wenn das zutrifft, sind wir fast eine Stunde gesichert. Ghiskind, Sie und der Bozog bleiben für alle Fälle auf dem Posten. Renard, ein letzter Ausflug zum Schiff, dann geht es los. Handeln oder sterben!«

»Oder lernen, Ben Yulin zu lieben«, sagte er seufzend.


* * *

Lichter blinkten, Zahlen zuckten unter Renards Händen, geleitet von Mavra. Es dauerte mehrere Minuten.

»Eine automatische Abfolge«, sagte sie. »Wenn uns die Explosion gelingt, besteht durchaus die Möglichkeit, daß die Lebenserhaltungssysteme weiterlaufen, zumindest vorübergehend. Dann könnten Sie hier heraufkommen — mit den anderen, wenn das geht — und das Schiff erreichen. Verliert keine Zeit, wenn die Zündung erfolgt ist! Fällt der Strom aus, dann erstickt ihr im Lift. Schaffen Sie alle hinein, hier herauf, in das Schiff, schließen Sie die Schleusen und drücken Sie auf ›N-Start‹ an der Konsole. Das Schiff wird abheben und einen Kurs einschlagen, der euch innerhalb von zwei Tagen in Funkreichweite des Rates bringt. Dann ruft ihr um Hilfe. Man wird an Bord kommen und euch glauben. Sagt den Leuten, daß Neu-Pompeii völlig zerstört werden muß. Atomisiert. Sonst werden andere Wissenschaftler kommen und Politiker die Macht übernehmen, und alles wird umsonst gewesen sein. Alles muß verschwinden.«

»Sie reden so, als würden Sie nicht dabei sein«, sagte Renard.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir können nicht damit rechnen, daß ich hiersein werde. Wenn es geht, dringen Sie in den Kontrollraum ein, und holen Sie die Leute heraus.«

»Aber sie sind alle Yulins Sklaven!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein. Physisch, gewiß. Aber alle geistigen Kontrollen werden versagen. Nikki Zinder stand unter einem Liebessklavenzwang gegenüber Yulin, als sie hierhergelockt wurde. Aber als man Obie abschaltete, um ihn hierherzuschaffen, war der Bann gebrochen. Es sollte diesmal nicht anders sein.«

»Also gut, doch ich gehe nicht ohne Sie.«

»Wenn es notwendig ist, müssen Sie es tun!«fuhr ihn Mavra an. »Glauben Sie mir, Renard. Sie sind jetzt der einzige, der sich auskennt. Und lassen Sie nicht zu, daß mich jemand holt oder irgendeinen anderen rettet, wenn das nicht auf der Stelle möglich ist. Sie können nicht meinetwegen alle diese Leute töten. Versprechen Sie mir, daß Sie es nicht tun!«

Er seufzte.

»Also gut, ich verspreche es«, nickte er.

Sie verließen das Schiff. Die Schleusen blieben offen.

»Wir können froh sein, daß sie nicht Renard erwischt haben«, sagte Mavra zum Bozog. »Zu dritt könnt ihr das immer noch schaffen, wenn wir in bestimmter Hinsicht Glück haben.«

»In welcher?«fragte der Bozog. Sogar er ließ Nervosität erkennen.

»Sie müssen alle im Kontrollraum sein«, sagte sie. »Ich hoffe, er ist eingebildet genug, um zu glauben, daß er auf Wachen verzichten kann, und doch so unsicher, daß er die Abwehr-Mechanismen nur im Notfall abschaltet. Wenn er nicht weiß, daß wir unten sind, bis wir losschlagen können, haben wir Erfolg.«

»Aber wie komme ich durch die Sperren?«fragte der Bozog.

»Ablenkung«, erwiderte sie. »Ich werde der Köder sein. Ein kleines Pony, das dasitzt und das Ende der Brücke beobachtet. Es wird zu verlockend sein, als daß er darüber hinweggehen könnte.«

»Aber er wird wissen, daß wir in der Nähe sind«, sagte Renard. »Was ist, wenn er auch auf uns losgeht?«

»Das wird keine Rolle spielen. Der Abwehr-Status muß abgeschaltet werden, wenn er seine Sklaven hinausschicken will. Der Weg über die Brücke ist weit. Wenn ich sie lange genug hingehalten habe, greife ich sie an.«

»Und was geschieht mit uns, während Sie das alles machen?«fragte der Bozog.

»Sie nehmen den Draht und gehen an der Außenseite der Brücke entlang. Ghiskind, Sie führen ihn. Renard, Sie bleiben mit der Energiepistole etwas im Hintergrund, außer Sichtweite. Yulin wird vielleicht den Draht sehen, aber nicht begreifen, was damit geschieht, und selbst wenn er das begreift, wird es schwer für ihn sein, an ihn heranzukommen. Sobald der Draht angebracht ist, ziehen Sie dreimal daran. Dann weiß Renard, daß er alles geben muß, was er hat. Treten Sie sofort den Rückzug an, wenn Sie das Zeichen gegeben haben. Wenn das Ding explodiert, wird der Teufel los sein.«

»Und Sie?«fragte Renard sorgenvoll.

»Wenn ich hineinkomme, versuche ich anzustellen, soviel ich kann«, erwiderte sie. »Yulins Aufmerksamkeit wird allein mir gelten. Es sollten euch mehrere Minuten bleiben — mehr als genug. Wenn sie doch dahinterkommen, Renard, feuern Sie auf alles mit der Energiepistole. Ben Yulin kann die Wirkung der Waffe auf einen lebenden Körper durch nichts aufhalten.«

»Aber es könnten Wooly oder Vistaru sein«, wandte er ein.

»Selbst, wenn ich es bin!«zischte Mavra. »Renard, retten Sie von den Lebenden, wen Sie retten können, töten Sie, wen Sie töten müssen! Entweder das, oder es ist mit uns allen aus! Der Plan hat ohnehin noch genug Löcher, um zu scheitern.«

»Es gibt keinen besseren, den ich vorschlagen könnte; jetzt nicht mehr«, sagte der Bozog. »Gehen wir?«Sie nickte.

»Renard, rufen Sie den Lift, und halten Sie die Pistole bereit.«

Im Aufzug war niemand.

»Ein gutes Zeichen«, meinte der Bozog. »Ich glaube, Mr. Yulin hat doch einen Schock vor sich. Er weiß nicht, wie schnell ein Bozog laufen kann.«

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