Oolakash

Die Stadt glich einem riesigen, bunten Korallenriff, das sich in alle Richtungen ausdehnte. Es war aber nicht vollkommen natürlichen Ursprungs; es war von den biologischen Prozessen der Bewohner und einer fortgeschrittenen Technologie gebildet worden.

Im Inneren waren riesige Hallen durch lange, schmale Tunnels miteinander verbunden; Wohnbereiche, Büros, alles war für den Gemeinschaftsgebrauch bestimmt. Man wußte, wo alles war und wer wofür die Zuständigkeit hatte.

Die Bewohner dieses Hoch-tech-Hex waren lang und dünn, mit knochigen Hautskeletten. Eines der Wesen, groß und noch sehr jung, glitt aus einem Gang in das klare, dunkle Wasser. Sein Kopf besaß Ähnlichkeit mit dem eines Pferdes, war aber in Wahrheit eine Knochenschale, in der zwei winzige, starre Augen über einer langen Schnauze saßen, die eigentlich ein Rohr war. Aus diesem Grund war der Gesichtsausdruck stets einer des großen Erstaunens. Zwei kleine Ohren, kaum mehr als Falten im Hautskelett, und zwei winzige Vorsprünge über den Augen vermittelten augenblicklich Daten über das Wasser, durch welches das Wesen mühelos glitt. Unter dem Kopf befand sich ein Körper in der Form einer länglichen Rübe, aus der eine Reihe von gepanzerten Greifarmen mit Saugnäpfen ragte. Der Leib endete in einem langen, gewölbten Schwanz, der sich ständig entrollte und zusammenzog.

Dr. Gilgam Zinder staunte trotz so vieler Jahre als ein Oolakash noch immer über dieses Leben und diese — jetzt seine — Leute. Sich zu bewegen, war, als schwebe man, wie es einem beliebte, in dicker Luft, und eine leichte Schwanzbewegung führte einen hinauf, hinab oder in jede andere gewünschte Richtung. Es war wunderbar, ein Gefühl völliger Freiheit und Ungebundenheit.

In vieler Beziehung war er ein völlig anderes Wesen als der Mensch in mittleren Jahren, der den Code der Markovier entschlüsselt hatte.

Unorthodox, dogmatisch, egozentrisch und exzentrisch, begriff er doch die Mathematik der Wirklichkeit besser als jeder andere vor ihm, und er war in einem hoch-technologischen Hex gelandet — in einer Wasserwelt allerdings.

Das hatte zu einer großen Umstellung geführt.

Es war eine unglaubliche Welt, eine Welt mit allen modernen Einrichtungen, sogar mit Schnellröhren, in denen der Wasserdruck einen zu verschiedenen Orten des Hexagons beförderte. Oolakash hatte auf irgendeine Weise eine begrenzte, aber wirksame Atomtechnologie, angepaßt für Unterwassergebrauch, entwickelt, wobei einige Zwischenstadien übersprungen worden waren.

Bei seiner Ankunft glaubte Zinder, isoliert und für immer von allem abgeschnitten zu sein. Er hatte keine Ahnung, wohin die anderen geraten waren oder ob sie überhaupt überlebt hatten.

Kulturell hatte Oolakash erst einige Gewöhnung erfordert. Es gab wenig Privatleben, aber die Bewohner waren gut, ehrlich und ernsthaft. Sie waren in Gilden aufgeteilt, die ihre eigenen Leute ausbildeten und für Dienstleistungen aufeinander angewiesen waren. Jede Gilde wählte ein Mitglied in eine Regierungsgilde, die ihrerseits einen Führer wählte, der zwei Jahre lang absolute Macht besaß und dann nie mehr wiedergewählt werden konnte.

Im Grunde war die Gesellschaft ein Matriarchat. Frauen leisteten die meiste Arbeit, beherrschten die Gilden und die Führung. Männer, mit der Fähigkeit, ihre Körperfarbe zu wechseln, waren gespreizte Pfaue, die einen Großteil ihrer Zeit dafür aufwandten, Frauen auf sich aufmerksam zu machen.

In Zinder hatten die Oolakash aber eine Ausnahme erkannt; sie hatten gewußt, wen und was sie hatten, und ließen es sich angelegen sein, eine Mauer der Geheimhaltung und des Schweigens um ihn zu errichten. Alle, die von seiner Herkunft wußten, mußten dieses Wissen aus ihrer Erinnerung löschen lassen, wenn es nicht mehr erforderlich war, daß sie eingeweiht blieben — auch die Führung. Für die anderen war er einfach Tagadal, ein Wissenschaftler, der außerordentlich begabt war, obwohl er zu den Männern gehörte.

Die Insel lag vor ihm. Unter der Oberfläche wimmelte es von Leben, darüber war sie nackter Fels in einer glatten See; im Innern ein Kommunikationszentrum einmaliger Art.

Das Schwerste war gewesen, den Sender über der Oberfläche anzubringen und ihn zu tarnen. Es war ihnen aber mit ferngesteuerten Geräten, zum Teil von Zinder selbst entworfen, gelungen. Das Kommunikationssystem selbst war eine einfallsreiche Mischung von Zinderscher und Oolakash-Konstruktion. Man benützte die Oberfläche des Meeres, so daß der Empfang starker Signale auf große Entfernung möglich war, aber zu diffus in der Nähe, als daß die Quelle hätte ausgemacht werden können. Das Signal war damit für jeden, den es nicht betraf, unverständlich.

Zinder nickte den Technikern zu, als er in sein Büro glitt, um einige Berichte zu überprüfen, bevor er zum Senderaum hinaufschwamm. Man hatte Geräte bauen müssen, damit er seine Stimme gebrauchen konnte; die Oolakash benützten eine Reihe sehr schneller Hochfrequenzimpulse zur Kommunikation. Statt ihm einen Übersetzer einzupflanzen, wurde dieser in die Sendeschaltung selbst eingebaut. Er sprach auf normale Weise; in Zone fand eine Anlage Verwendung, um die Sprache auf die Geschwindigkeit anderer Rassen zu verlangsamen, obwohl es für einen Oolakash oft ärgerlich war, mit derart langsam denkenden Wesen sprechen zu müssen.

Greifarme schlängelten sich durch Steuerelemente. Lichter und Zeiger zuckten, die Energiezufuhr stieg, und es war Zeit, zu beginnen.

»Obie?«rief Zinder.

Es gab eine kleine Verzögerung, dann kam die Antwort, in seiner eigenen Sprache.

»Ja, Doktor? Hier bin ich«, sagte eine ferne Stimme.

»Kannst du die Fortschritte der Expeditionen nach Norden feststellen?«fragte Zinder.

»Noch niemand hat sich auf den Weg gemacht, wenn Sie das meinen«, erwiderte der Computer bedächtig. »Ich habe die Eingaben im Zone-Tor von Yugash überwacht. Bisher nur die Norm, und nichts aus dem Süden, das in Frage käme. Außerdem ist es mir gelungen, Yaxa-Funkverkehr teilweise abzuhören, wie Sie es erbeten hatten.«

Zinder nickte vor sich hin. Das brauchte er. Obie war ein grandioser Computer, aber verglichen mit dem Schacht der Seelen nur ein kleines Spielzeug. Der Schacht hatte natürlich keine Selbstwahrnehmung, aber was er enthielt, stand Obie offen — der bedauerlicherweise nicht die Kapazität besaß, einen solchen Berg an komplexen Daten zu verarbeiten. Im Laufe der Jahre hatte Obie jedoch gelernt, Untergruppen der Daten aus dem Schacht zu nutzen; die Yaxa-Übersetzungen waren begrenzt genug, um erfaßbar zu sein, aber Obie hatte Wochen gebraucht, sie herauszuschälen.

»Wie weit sind sie schon?«fragte Zinder.

Der Computer zögerte nicht.

»Viele Probleme sind aufgetaucht. Zum einen die Anzugerprobungen mit schwachen Ergebnissen; die Atemgeräte funktionierten nicht richtig, das hätte beinahe zu zwei Todesfällen geführt«, berichtete er. »Man mußte wieder von vorne anfangen. Der Fehler hängt mit den Einschränkungen halb-technologischer Hex-Anforderungen zusammen — ich könnte das augenblicklich beheben —, aber sie sitzen noch eine Weile fest.«

Gut, dachte Zinder zufrieden.

Der Haken bei der Sache war natürlich der, daß Yugash zwar ziemlich nahe bei Uchjin lag, wo das notgelandete Schiff die vielen Jahre stand, aber eben nicht unmittelbar daneben, sondern einige Hexagons entfernt. In keiner der nördlichen Nationen gab es eine Atmosphäre, die für Leben auf Kohlenstoffgrundlage geeignet war. Ein gewöhnlicher Raumanzug genügte nicht; ein Bewohner aus dem Süden würde einen Lastwagen voll Sauerstoffflaschen brauchen, nur um die 355 Kilometer einer Nicht-tech-Hex-Seitenlänge zu bewältigen. Elektrische Luftumwandler funktionierten in einem halb-technologischen Hex ebenfalls nicht; eine Lösung mußte gefunden werden, sonst würden die Yaxa und Ben Yulin, selbst wenn sie den Norden erreichten, Uchjin nicht lebend sehen.

Ortega stand nicht mehr vor einem solchen Problem. Obie hatte es längst gelöst, und die Geräte, zur Zeit in sicheren und ahnungslosen Sechsecken versteckt, waren nach Gil Zinders Anweisungen hergestellt worden. Ortega konnte nach Uchjin gelangen, aber das Raumschiff nicht fliegen. Zinder konnte auch nicht mitkommen; die Oolakash waren in ihrer eigenen Umwelt nahezu unüberwindbar, doch sie konnten sie nicht verlassen. Außerdem vermochten die verfügbaren Antriebe auf der Sechseck-Welt nicht genügend Schubkraft zu erzielen, um die Wirkung des Schachts auf das Hex und anliegende nicht-technische und halb-technische Hexagons zu überwinden und ein solches Fahrzeug in den Weltraum zu befördern.

Gil Zinder war ein beteiligter Außenstehender.

»Was ist mit dieser Tschang und ihrem Begleiter?«fragte er.

Der Computer seufzte auf sehr menschliche Weise.

»Sie wissen, daß sie überhaupt nicht registriert wird, weil sie nie durch den Schacht gegangen ist«, erinnerte er den Wissenschaftler. »Was Joshi betrifft, nun, Sie kennen die Anzahl von Lebensformen auf der Sechseck-Welt. Wenn ich die Struktur seines Typs kennen würde, könnte ich ihn aufspüren — aber selbst wenn ich ihn jetzt direkt unter Überwachung hätte, könnte ich nicht wissen, ob es der Richtige ist.«

Damit sprach immer mehr dafür, daß die Yaxa und Yulin Neu-Pompeii als erste erreichen würden — Yulin, der den Bau von Obie beaufsichtigt hatte und, wie Zinder jetzt vermutete, Zugang zu Schaltungen im Computer besaß, die Obie zwingen würden, ihm zu Willen zu sein. Von allen Beteiligten war Yulin am ehesten geeignet, Obie zu nutzen, und am befähigtsten, Versuche des Computers, sich zu befreien oder Yulin etwas in den Weg zu legen, zu verhindern.

Gil Zinder seufzte.

»Ich fürchte sehr, daß wir das Undenkbare werden tun müssen, Obie. Wenn die Yaxa auf die richtige Spur kommen, müssen wir vor ihnen auf Neu-Pompeii sein, und wenn wir uns mit dem Teufel verbünden müßten.«

»Was immer wahrscheinlicher wird«, erwiderte der Computer düster.

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