Dasheen

Ben Yulin war nervös. Die Yaxa waren in Dasheen nicht sehr willkommen, nicht seit den Tagen des Krieges, als das friedliche, agrarische Dasheen durch seine Anwesenheit und die Beharrlichkeit der Yaxa in den Krieg hineingezogen worden war, auf Seiten des Nord-Bündnisses.

Die Dasheen waren Minotauren; im Augenblick gab es ungefähr achthunderttausend davon, und nur an die achtzigtausend waren Männer. Ihre großen, kräftigen, muskulösen Körper waren mit seidigem Fell bedeckt, die Köpfe glichen denen stromlinienförmiger Stiere: riesig, fast ohne Hals, mit kurzen Schnauzen, breiten, rötlichen Nasen, großen, braunen Augen und gewaltigen, gebogenen Hörnern.

Vom Standpunkt der Männer aus war der einzige Nachteil der, daß Dasheen-Stieren die Fähigkeit mangelte, Kalzium direkt zu verarbeiten. Das führte zu einer Mangelerscheinung, die nur durch die Milch der Frauen zu beheben war.

Die Yaxa war unangekündigt auf der großen Farm erschienen und hatte die Kühe erschreckt. Sie landete in der Nähe des Haupthauses, eines riesenhaften Gebäudes mit Silos, Speichern, Unterkünften für Yulins 117 Frauen und Töchter.

Es war nicht so, daß er mit den Yaxa keine Verbindung mehr gehabt hätte, aber gewöhnlich wurden solche Zusammenkünfte insgeheim arrangiert, indem er in ein neutrales Hoch-tech-Hex ging, um seine Theorien zu erproben, oder indem er sich nach Zone begab.

Yulin beruhigte seine Familie und ging der Yaxa entgegen.

Der große Schmetterling, ausdruckslos wie immer, schien sich knapp zu verbeugen. Yulin lud das Wesen ein, hereinzukommen, dann ließ er sich in einem mächtigen Schaukelstuhl nieder und wartete.

»Ich bin Racer«, sagte die Yaxa.

»Willkommen, Racer. Aber ist es nicht ein wenig riskant, hierherzukommen? Ich meine, ich weiß, daß die Grenze nicht weit entfernt ist, aber Sie werden kaum vermeiden können, gesehen zu werden. Man wird Fragen stellen.«

»Was ich zu sagen habe, ist viel zu wichtig, als daß es Aufschub vertrüge. Zone selbst ist viel zu riskant dafür, und es blieb keine Zeit, Sie mit einer plausiblen Begründung zu holen. Es geht um folgendes: Wir haben Yaxa in ein Nord-Hex gebracht. Wir können jetzt jeden hinbringen — unter Schwierigkeiten, aber mit absoluter Gewißheit.«

»Wie ist das möglich?«fragte er verblüfft.

»Ein Energiewesen aus dem Norden, der Yugash, züchtet kristalline Wesen nach seinen Bedürfnissen und steuert sie dann, indem er in die Körper schlüpft«, erklärte Racer. »Ein Yugash nahm Verbindung mit uns auf. Man glaubt dort, wie wir, daß der Schacht den Transfer zwischen Zone und den Hex-Toren nicht nach der körperlichen Form bewirkt, sondern nach der geistigen Ausstattung. Wir haben einen Yugash, genannt der Torshind, ermächtigt, eine Yaxa ganz in Besitz zu nehmen, während die Gedankenprozesse der Yaxa stark unterdrückt waren. Der Yaxa-Körper betrat das Zone-Tor — kam aber in Yugash heraus.«

Yulin überlegte.

»Diese Wesen können einen Körper übernehmen, und der Schacht befördert sie — und den Körper, in dem sie sich aufhalten — nach Yugash?«

»So ist es. Ein wenig entnervend, aber zum Glück können sie nicht nach Hexagons im Süden gelangen. Der Schacht heißt aus gutem Grund ›Schacht der Seelen‹ — er erkennt dich an deinem Geist, nicht an deiner äußeren Form. Wir glauben fest, daß wir jetzt eine Gruppe nach Ihrer Auswahl nach Yugash bringen können, in Luftlinie nur drei Sechsecke von der Stelle entfernt, wo Sie in Uchjin notgelandet sind.«

Die Nachricht war unfaßbar für Yulin. Er konnte kaum glauben, daß es nicht irgendwo einen Haken gab.

»Was soll diese Wesen hindern, uns einfach nicht mehr freizugeben, wenn sie uns einmal in der Gewalt haben?«fragte er argwöhnisch. »Ich habe genug vom Leben auf der Sechseck-Welt gesehen, um zu wissen, daß die Legenden meiner Rasse von Zentauren, Meerjungfrauen und Geistern mehr waren als Kollektiverinnerung. Manche dieser Wesen müssen in der frühen Zeit sogar auf der Heimatwelt der Menschen gewesen sein. Es gibt auch Legenden von Menschen, die von Dämonen besessen waren. Ich werde den Verdacht nicht los, daß die Yugash…«Er verstummte.

»Sie könnten recht haben«, gab Racer zu. »Die Beschäftigung mit vielen Neuzugängen hat Hinweise auf diese Möglichkeit ergeben, und die Schilderungen sind sehr ähnlicher Art. Es ist durchaus möglich, daß Yugash sich in vielen Bereichen des Weltraumes herumtreiben, die Abkömmlinge jener, die in Körpern von Prototyp-Kolonisten die Sechseck-Welt vor Äonen verlassen haben. Wir sind aber ziemlich sicher, daß ein Yugash zwar einen fremden Körper kontrollieren, nicht aber seine Gedanken lesen kann. So wäre er mangels Wissen trotzdem nicht in der Lage, das Raumschiff zu fliegen, und er könnte auch keinen Zugang zu Obie finden.«

Yulin nickte erleichtert.

»Mir wäre trotzdem wohler, wenn wir in der Lage wären, einen Weg zu finden, im kritischen Augenblick, sobald wir uns in Obie befinden, selbst die Kontrolle über uns zu besitzen. Die alten Legenden sprechen von Methoden, böse Geister abzuwehren. Wenn die Gespensterlegenden der Wahrheit entsprechen, müßte das auch für solche Abwehrtechniken gelten.«

»Wir sind Ihnen schon voraus«, versicherte die Yaxa. »Wir haben die Legenden vieler Neulingsrassen auf gemeinsame Faktoren untersucht, und vor allem wollten wir wissen, warum keines der sechs Hexagons um Yugash den Wesen zum Opfer gefallen ist. Wir glauben, das Entscheidende gefunden zu haben. Erstens wurden stets Schutzamulette getragen — einige zwar aus pflanzlichen Stoffen, die anderen aber häufig aus Kupfer oder einer Kupferlegierung. Wir haben das nachgeprüft und tatsächlich in allen Sechsecken rund um Yugash riesige Vorkommen an Kupfer, Kupferoxyd oder Kupfersulfid gefunden, entweder in der physischen Zusammensetzung der Wesen oder in der Atmosphäre. Und in Yugash gibt es überhaupt kein Kupfer!«

Ben Yulins Stiergesicht konnte nicht lächeln, aber man sah ihm Befriedigung und Erleichterung an.

»Aber die politischen Probleme bleiben«, wandte er trotzdem ein. »Die Uchjin werden jeden Versuch, das Raumschiff zu bergen, vereiteln, und außerdem sind wir gar nicht in der Lage, es zu starten.«

»Daran arbeiten wir«, versicherte die Yaxa. »Ich bezweifle, ob wir uns je mit den Uchjin verständigen können, aber zusammen mit den Yugash und einem Uchjin-Nachbarn, den Bozog, besitzen wir vielleicht die Mittel, es mit Gewalt an uns zu bringen. Die Bozog verfügen über die Methoden, es zu bergen, und ihr Hoch-tech-Hex könnte als Startplatz dienen. Der Preis wäre natürlich ihre Beteiligung an unserem kleinen Unternehmen, und sie sind nicht sehr vertrauenswürdig. Wir haben vor kurzem erfahren, daß sie auch mit Ortega und Trelig in Verbindung getreten sind. Sie werden mit denen zusammenarbeiten, die als erste das Schiff erreichen.«

»Es wird also ein Rennen geben. Warum haben die Bozog das Schiff nicht gleich selbst an sich gebracht?«

»Weil sie es nicht fliegen können«, erwiderte die Yaxa gereizt. »Der Seite, die dazu imstande ist, werden sie sich zur Verfügung stellen.«

»Und die Logistik? Versorgung durch die Luft, Nahrung und so weiter?«

»Alles in Vorbereitung. Und mit Hilfe des Torshinds ermitteln wir den besten Weg dorthin. Er wird länger und gefährlicher sein als der direkte, aber uns praktisch nur durch Hoch-tech- und halb-technische Hexagons führen, damit die Atemgeräte und Lebenserhaltungssysteme für diese Mission auch funktionieren.«Die Yaxa schwieg kurze Zeit. »Unser größter Zweifel betrifft Sie. Können Sie nach all den Jahren das Schiff noch steuern? Kommen Sie nach dieser langen Zeit noch vorbei an Treligs Roboterstationen? Und können Sie den Computer öffnen?«

Yulin dachte eine Weile nach.

»Was das Pilotieren angeht, bin ich sicher etwas eingerostet, aber das System ist im Grunde automatisiert. Es geht darum, zu wissen, welche Folge man einprogrammieren muß. Ich glaube, das kann ich, solange nichts Ausgefallenes oder eine Notlandung verlangt wird. Und der Zugang zum Computer — da bin ich mir sicher. Solange ich Augen, Finger und eine Stimme habe, werde ich damit fertig. Die Killerstationen stellen ein größeres Problem dar. Trelig wußte natürlich nichts davon, aber ich habe das Problem durch Obie prüfen lassen und den Code erfahren. Er beruht auf Werken in Treligs Bibliothek auf Neu-Pompeii. Wir müßten ein langes Computerprogramm laufen lassen — ich kenne die Titel, um die es geht, aber es sind siebenundfünfzig Haupttitel, und die Sequenz ist jeden Tag auf willkürliche Weise geändert worden. Ein wenig Hypnose sollte das alles wieder hervorrufen. Doch immerhin sind zweiundzwanzig Jahre vergangen. Da wären Trelig oder Tschang auf jeden Fall im Vorteil. Sie wären zu hundert Prozent gesichert, wir nur zu neunzig.«

Die Yaxa nickte mit ihrem Körper.

»Das ist ausreichend. Ich nehme an, daß Sie sich nicht mit Trelig einigen wollen?«

»Guter Gott, nein!«rief Yulin. »Niemals! Sie haben keine Ahnung, zu welchen Gemeinheiten dieser Mann fähig ist!«

»Es wird etwa zwei Monate dauern, die Geräte herzustellen und zu erproben«, sagte die Yaxa. »Während dieser Zeit werden andere nicht untätig sein. Ortega besitzt, was er braucht, schon seit Jahren. Und er weiß vielleicht mehr als wir alle. Funksignale von einer sonderbaren Art, auf Neu-Pompeii gerichtet, wenn der Satellit sichtbar ist, sind aufgefangen worden, und sie rühren von irgendwo in der Nähe des Schwarzen Ozeans her. Wir haben sie nicht entschlüsseln können, aber es ist sicher, daß ähnliche Signale vom Satelliten kommen. Jemand redet mit dem Computer.«

Yulin war entsetzt. Allerdings lag so etwas nahe, da Obie über Funkverbindungen verfügte, um aus der Ferne gesteuert werden zu können, als Trelig seine großen Projekte am Laufen hatte.

»Aus dem Abwehrstatus wird man ihn aber trotzdem nicht herausholen können«, meinte Yulin.

»Wenn Ortega dahintersteckt, will er das Ding zerstören, nicht es benützen«, gab Racer zurück. »Das Risiko ist zu groß. Und die Yugash sind ein Haufen freibeuterischer Anarchisten. Wenn der Torshind das für uns tun kann, kommen vielleicht noch andere Yugash auf Ideen und setzen sich mit Ortega in Verbindung. Nach all der Zeit, jetzt, wo Sekunden zählen, scheint sich die Lage zuzuspitzen.«

»Aber Ortega ist von Natur aus konservativ«, wandte Yulin ein. »Er wird nichts unternehmen, bis er die absolute Gewißheit hat, uns voraus zu sein. Die Lösung ist einfach — Mavra muß getötet werden, bevor er sie holt und zu einem Zone-Tor bringt.«

»Das ist uns längst klar«, versicherte die Yaxa.

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