Ben Yulin war denkbar ungeeignet dafür, ein Welteroberer zu sein. Er mußte Obie befehlen, die Schüssel zu ihm zu schwenken, dann ein widerstandsfähiges Seil durch Energie-in-Materie-Umwandlung zu erzeugen, bevor er die beiden Frauen auch nur fesseln konnte. Sie stellten kaum eine Bedrohung dar; der Dasheen hatte enorme Kräfte, und sie besaßen keine Waffe.
Zufrieden stieg er die Treppe wieder hinauf und überprüfte die Steuerkonsole. Zum erstenmal atmete er auf und dachte an Vergangenheit und Zukunft.
Gewiß, er hatte jeden Schritt geplant, vor allem den, daß er und nur er allein derjenige sein mußte, welcher Zutritt zu Obie fand. Aber er hatte einem Gefangenen geglichen, der von der Flucht träumt und nicht darüber nachdenkt, was danach geschehen soll.
Es gab wahrscheinlich Gespenster hier, z. B. die lebendige Erscheinung Nikki Zinders, die er seit vielen Jahren tot geglaubt hatte. Nun war sie da — wenn nicht schön, so doch niedlich und mit guter Figur.
Obie war ein raffinierter Bursche; man konnte ihn zwingen, Befehle zu befolgen, aber wenn man ihm eine Lücke ließ, schlüpfte er jedesmal hindurch. Das förderte sofort einen anderen Gedanken zutage. »Obie?«
»Ja, Ben?«
»Ich will nicht, daß du irgend jemandem auf irgendeine Weise mitteilst, was ich hier mache oder in Zukunft machen werde. Verstanden?«
»Ja, Ben.«
Damit war eine große Sorge beseitigt. Als nächstes — Plötzlich wurde Yulin übel und schwindlig, und er hielt sich an der Konsole fest, bis der Anfall vorübergegangen war.
Er erschrak. Was stimmte nicht mit ihm?
Die Antwort stellte sich schnell ein. Als Dasheen brauchte er die Milch der Dasheen-Kühe, um Mangelerscheinungen zu bekämpfen. Wie lange hatte er schon keine mehr getrunken? Zwei Tage? Länger?
Er wollte bei Obie gerade eine solche Flüssigkeit anfordern, als er stutzte.
Will ich überhaupt ein Dasheen bleiben? dachte er.
Die Rasse gefiel ihm, er hatte sich dort wohl gefühlt; auf der Sechseck-Welt war das praktisch gewesen. Er wußte, daß der Computer dort nicht zu kontrollieren war, bevor nicht eine viel größere Maschine als Obie gebaut wurde, und dazu war er, zumindest vorerst, nicht in der Lage. Er wagte dem Schacht auch keine neuen Anweisungen zu geben; der Schacht war der Stabilisator nicht nur für die Sechseck-Welt, sondern buchstäblich für alles Lebende im Universum. Das Beste würde sein, den Markovier zu holen, Brazil, ein Wesen, das mit dem Schacht umgehen konnte und sogar Ben Yulin, Neu-Pompeii und alles andere auszuschalten vermochte. Yulin hatte nicht das Bedürfnis, mit Brazil zusammenzutreffen, aber der war auch dem Schacht unterworfen. Wenn er, Yulin, es geschickt anstellte, würde Brazil nichts ahnen.
Aber wie es anstellen? Hinausgehen in den Weltraum, neue Zivilisationen untersuchen? Vielleicht, eines Tages — aber nicht jetzt. Obie stand für unbegrenzte Möglichkeiten, verbunden mit praktischer Unsterblichkeit.
Was er brauchte, waren Leute, denen er vertrauen konnte, wie zu Hause seinen Dasheen-Kühen.
Er wußte nur von einer Quelle für solche Leute. Sie befand sich im menschlichen Sektor der Milchstraßen-Galaxis, nicht so sehr weit entfernt.
Das hieß, daß er wieder ein Mensch werden mußte.
Aber was für einer?
Er überlegte sorgfältig, seufzte und drückte auf die Taste, um mit Obie zu sprechen.
»Ja, Ben?«
»Unregistrierte Bewegung, im Hintergrundspeicher nur für meinen Zugriff aufnehmen.«
Der Computer war jedesmal verblüfft, wenn er das tat, und öffnete den sonst für ihn versperrten Bereich.
»Obie, paß genau auf«, sagte Yulin langsam. »Du führst meine Anweisungen buchstabengetreu aus und tust aus eigenem weder etwas hinzu, noch nimmst du etwas weg. Ist das klar?«
»Ja, Ben.«
»Ruf Ben Yulin in seinem ursprünglichen physiologischen Aufbau ab.«
»Zur Stelle, Ben.«
»Gut. Das soll als Modell dienen, zu verändern nach den folgenden Kriterien: Die Person soll zwei Meter groß und entsprechend proportioniert sein, mit kräftig entwickelten Muskeln. Verstanden?«
»Ja, Ben. Du willst aussehen wie ein Muskelprotz«, erwiderte Obie in seiner sarkastischen Art. Yulin ging nicht darauf ein.
»Obie, hast du Mavra Tschangs ursprüngliche Codierung?«
»Ja.«
Als er von Neu-Pompeii entkommen war, hatte Yulin Obie dazu benützt, sich in Mavra Tschang zu verwandeln. Damals hatte er entdeckt, daß Tschang chirurgisch eingepflanzte winzige Vertiefungen und Injektionsnadeln unter den Fingernägeln hatte, mit denen sie starke Hypnodrogen spritzen konnte. Er hatte einmal Gelegenheit gehabt, sie in Notwehr anzuwenden, und hatte das nie vergessen.
»Gib dem neuen Ben Yulin das Hypno-Injektor-System unter den Fingernägeln, das du bei Mavra Tschang findest. Mach es natürlich, selbsterneuernd und für ihn selbst ungefährlich. Verstanden?«
»Verstanden, Ben. Es wird Arbeit kosten, aber nicht viel.«
Er nickte. So weit, so gut.
»Weitere Modifizierungen: das beste vorstellbare okulare Sehvermögen, einschließlich Infrarot- und Ultraviolettwahrnehmung; volle Stärke bei Tag und Nacht mit gutem Farbsinn und hervorragender Auflösung auch auf große Entfernung. Okay?«
»Ich habe einen solchen Systementwurf«, erwiderte der Computer.
»Weiter: das beste Gehör in allen Bereichen, die du erfassen kannst; Wellenlänge von der Person wählbar.«
»Weiter«, sagte der Computer. »Der Supermann, den Sie da konstruieren, fasziniert mich.«
Yulin hatte noch einige Ideen.
»Obie, du hast die Bewohner der Sechseck-Welt studiert. Ich weiß, daß die Lata und andere Wesen von allem Organischen leben können. Kannst du das System des Modells darauf abstellen?«
»Es wird immer besser«, sagte der Computer. »O ja, das kann ich. Wollen Sie auch Flügel?«
So verlockend es auch war, Yulin verzichtete darauf.
»Nein, aber kannst du für Immunität gegen die Gifte von Yaxa und Lata sorgen?«
»Gemacht.«
»Wie ist es mit Yugash-Verschmelzung und sogar schweren Stromstößen?«
»Die Verhinderung einer Übernahme durch Yugash ist verhältnismäßig einfach«, sagte Obie nach einer Pause. »Immunität gegen starke Stromstöße ist viel schwieriger. Da ich annehme, daß Sie sich nur gegen Renard absichern wollen, könnte ich eine Toleranz für alles einbauen, wozu ein Agitar fähig ist.«
»Gut. Obie, unter anderem können die Zupika mit jedem Hintergrund verschmelzen. Läßt sich das, auf Wahlbasis, einbauen? Eine echte Unsichtbarkeit wird wohl nicht möglich sein.«
»Unsichtbarkeit ist unmöglich, wenn Sie ein Wesen fester Materie bleiben wollen«, gab der Computer zurück. »Was die Fähigkeit der Anpassung betrifft — nun, das wird vielleicht nicht so perfekt sein wie bei der natürlichen Form, aber es ist wohl möglich. Ja, das kann ich.«
»Dann füg das hinzu.«
»Ist das alles?«fragte der Computer spöttisch.
Yulin legte den Kopf auf die Seite.
»Nein, noch etwas: Es kommt hinzu, daß die Person männlich ist, daß sie sich in diesen Attributen rein fortpflanzt, und daß sie zu fast unendlich vielen männlichen Orgasmen fähig ist.«
Der Computer seufzte.
»Das hätte ich mir denken können. Es sind zwar drei Dinge, aber sie sind registriert.«
»Abschließende Anweisungen«, sagte Yulin. »Die Person wird alle Erinnerungen und die Persönlichkeit Ben Yulins besitzen — davon darf nichts weggenommen werden. Er wird sich jedoch in dem neuen Körper behaglich, normal und natürlich fühlen und ihn voll beherrschen.«
»Codiert«, erwiderte Obie.
»Die Bewegung ist abgeschlossen«, sagte Yulin. »Du wirst keine andere Bewegung vornehmen können, bis das beendet ist, und deine nächste Bewegung muß von mir persönlich codiert sein. Klar?«
»Klar«, erwiderte der Computer. »Programm läuft.«
Yulin ging vorsichtig, noch immer ein wenig schwindlig, die Treppe hinunter. Er erreichte mühsam die Plattform und stieg hinauf. Der Parabolspiegel senkte sich über ihn und überflutete ihn mit metallisch blauem Licht. Der Umriß des Minotaurus flackerte und erlosch.
Die beiden in einer Ecke gefesselten Frauen versuchten sich zu befreien, während ihr Gegner in der Maschine stand, aber es gelang ihnen nicht.
Acht Sekunden später zuckte ein anderes Bild im Lichtstrahl und verfestigte sich. Das blaue Licht erlosch. Der Parabolspiegel entfernte sich.
Die Frauen rissen die Augen auf. Ben Yulin war immer ein gutaussehender, etwas exotisch wirkender Mann gewesen; jetzt sah er mit schwellenden, spielenden Muskeln wie eine Kombination von Adonis und David aus.
Aber er bewegte sich, lächelte und prüfte seine Fingernägel. Er trat herunter, ging auf Nikki Zinder zu und preßte einen Fingernagel auf ihre Haut. Eine winzige Nadel spritzte eine klare Flüssigkeit in ihren Körper. Sie erstarrte und schien einzuschlafen. Ein zweiter Fingernagel versetzte auch ihre Tochter in Schlaf.
Er löste ihre Fesseln und befahl ihnen aufzustehen. Nikki Zinder trat als erste auf die Plattform; ihre Tochter stand starr davor. Er kehrte an die Konsole zurück und drückte Tasten.
»Neue Bewegung, Obie«, sagte er strahlend.
»Nur zu, Ben«, erwiderte der Computer. »Mann, da habe ich aber etwas Feines gemacht!«
Yulin lachte.
»Allerdings«, sagte er. »Jetzt etwas Ähnliches. Die Person ist Nikki Zinder. Neue Modifizierungen.«
»Sie wissen, daß Dr. Zinder Sperren eingebaut hat, um zu verhindern, daß ich bestimmte Dinge mit ihr anstelle.«
»Nicht starke genug. Bei weitem nicht starke genug. Und einen Teil kann ich übergehen. Okay, die neue Person soll 160 Zentimeter groß sein, weiblich, Alter siebzehn Standardjahre, folgende Dimensionen.«
Langsam und bedächtig beschrieb er seine Venus. Er gab ihr alle Modifikationen der Sinne und die Immunitäten, die er hatte, auch Kraft, große Kraft. Und einiges mehr.
»Geistig soll die Person alle Erinnerungen behalten, sich aber als meine Sklavin und meinen Besitz betrachten und das für richtig, gerecht und angemessen halten. Sie wird sich allen meinen Wünschen fügen, mir und meinen Bedürfnissen und Forderungen unter Ausschluß alles anderen völlig unterworfen sein. Verstanden?«
»Sicher, Ben. Sie wollen eine menschliche Dasheen-Kuh haben. Leider liegt das im Bereich meiner Möglichkeiten. Ist das alles?«
»Zunächst ja«, sagte er. »Programm ab.«
Auch hier dauerte es etwa acht Sekunden. Er starrte erwartungsvoll hinunter und wurde nicht enttäuscht. Sie war unzweifelhaft die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Aus ihrer Tochter machte er eine Zwillingsschwester der neuen Nikki Zinder, nur ersetzte er Nikkis lange, schwarze Haare durch kastanienbraune, um die beiden von weitem unterscheiden zu können.
Er rief sie zu sich, und sie kamen freudig, warfen sich ihm vor Anbetung fast an den Hals.
»Schon gut, Mädels«, sagte er lachend. »Ich glaube, wir erkunden zuerst einmal unsere neuen Körper. Dann übernehmt ihr ein paar Aufträge für mich, während ich mit Obie daran arbeite, uns dorthin zurückzubringen, wo wir hingehören.«
»O ja, Ben«, seufzten sie beide voll Erwartung.
Einige Stunden später war er bereit; es waren unendlich lustvolle Stunden gewesen, durchaus keine Zeitvergeudung, aber nun kam er zur Sache.
»Obie?«
»Ja, Ben?«
»Sind deine Außensensoren im Hauptschacht noch aktiv?«
Der Computer war zwar an der Oberfläche blind, konnte die Unterseite aber rund um den Schacht überblicken, der zur großen, auf den Schacht der Seelen gerichteten Schüssel führte.
»Aktiv, Ben.«
»Gut. Irgendwelche Lebensformen an der Unterseite?«
»Keine, die ich feststellen kann, Ben — allerdings vermag ich den Yugash nicht sehr deutlich wahrzunehmen, wenn er nicht im Sichtbereich ist. Meine Sensoren sind nicht für Energiewesen ausgelegt.«
»Aber wir sind alle immun gegen eine Übernahme, ja?«
Der Computer bestätigte es.
»Gut«, sagte Yulin und wandte sich den beiden Frauen zu. »Mädels, ihr wißt, was ihr zu tun habt.«
Sie nickten. Er wandte sich wieder an Obie. »Abwehr-Status abschalten, Obie. Bei ihrer Rückkehr erneut automatische Abschaltung, es sei denn, sie stünden unter Zwang. Rückkehr zum Abwehrstatus, sobald sie das Kontrollzentrum wieder betreten. Klar?«
»Klar, Ben.«
»Und nicht vergessen, Obie. Kein Wort davon zu irgend jemandem.«
»Sie wissen, daß ich da gesperrt bin«, antwortete der Computer murrend. »Abwehr-Status abgeschaltet.«
Die beiden Frauen gingen zur Tür. Sie öffnete sich, sie traten hinaus, und die Tür ging wieder zu.
»Du hast die ganze Zeit über mit Gil Zinder gesprochen, nicht wahr?«beschuldigte Yulin den Computer.
»Ja, Ben, ich kann nicht lügen. Ich dachte, Sie wollten früher oder später mit ihm sprechen.«
»Vielleicht auch nicht. Obie, habt ihr beide daran gearbeitet, dich vom Schacht-Computer der Sechseck-Welt zu befreien?«
»Ja, Ben.«
»Und das Verfahren?«
Als Obie es ihm erklärte, ging ihm die Logik auf, und er verfluchte sich, weil er das nicht selbst gesehen hatte. Die Lösung war so einfach, daß sie jahrzehntelang hätte übersehen werden können. Er hatte ein Gefühl der Macht in sich, das alles überstieg, was er für möglich gehalten hatte, und die Überzeugung, daß er nicht nur alles tun konnte, was er wollte, sondern daß er es auch tun würde.
Er gedachte keine Fehler zu machen. Alles mußte genau überlegt werden.
Aber er hatte schon einen gemacht und wußte es nicht.