Es war eine ungewöhnliche Pferdefarm. Sie sah zwar so aus, wie man sich dergleichen vorstellt — weite Weideflächen, Koppeln, Stallungen, ein Haus im Ranch-Stil, aber es gab keine Zäune und keine Reitwege. Die Sättel waren von sonderbarer Form, um die Instrumente aufnehmen zu können — Windgeschwindigkeitsmesser, Höhenmesser und dergleichen. Selbst der flüchtige Besucher Agitars brauchte sich nicht lange den Kopf zu zerbrechen, sobald er eines der Pferde sah. Sie waren riesige Tiere in schönen Farben — Flieder und Blau und Grün und Gelb und allen anderen Farben des Regenbogens. Und sie besaßen Schwingen.
Flügel wie die eines mächtigen Schwanes lagen zusammengefaltet an ihren Leibern. Und sie flogen wirklich, denn Pferde waren sie nur äußerlich; ihr innerer Bau beinhaltete die Fähigkeit, den Schwerpunkt zu verlagern, Hohlknochen und eine Reihe anderer Eigenheiten. Die Wesen waren auch zierlicher als sie aussahen, denn sie wogen kaum die Hälfte dessen, was man ihnen zumaß.
Der Besitzer dieser einzigen Zuchtfarm für Pegasi in ganz Agitar war vor über zwanzig Jahren als Trainer dorthin gekommen. Tausende von Agitar hatten die Tiere in den Kriegen reiten gelernt, aber nur wenige besaßen die Gabe, gute Ausbilder zu sein. Er zählte zu diesen.
Natürlich gehörte die ganze Anlage dem Staat, doch er leitete sie in alleiniger Verantwortung.
Er war ungefähr 140 Zentimeter groß. Unter den Hüften glich sein Körper dem Hinterteil eines Ziegenbocks — dicke, muskulöse Waden, mit dunkelblauen, zottigen Haaren bedeckt, wurden zu unglaublich dünnen Beinen, die in kleine, gespaltene Hufe ausliefen. Über den Hüften glich er einem kräftig gebauten Menschen, die Haut war dunkelblau und sehr porös, das dreieckige Gesicht mit einem blauschwarzen Spitzbart geziert, der graue Fäden aufwies. Zwischen zwei kleinen, spitzen Hörnern lag kurzgeschorenes Salz-und-Pfeffer-Haar über einem Dämonengesicht.
Er schaute sich befriedigt um. Sein Name war Renard — ein ungewöhnlicher Name für einen Agitar. Früher war er Bibliothekar auf einer Kom-Welt namens Neu-Muskovien gewesen. Ein gewisser Antor Trelig hatte ihn für seine neo-romanische Bibliothek nach Neu-Pompeii geholt und ihn schwamm-süchtig gemacht. Renard war es gewesen, der Mavra Tschang zur Flucht verholfen hatte und mit ihr bei den Riesenzyklopen von Teliagin abgestürzt war. Mavra hatte ihn bis zur Rettung am Leben erhalten, worauf Ortega ihn durch den Schacht geschleust hatte, um ihn von seiner Drogensucht zu heilen. Er war als Agitar herausgekommen. Das Schiff, mit dem er abgestürzt war, hatte die Kriege ausgelöst, und bevor er sich umgesehen hatte, war er eingezogen, auf einen Pegasus gesetzt und in den Kampf geschickt worden — verbündet mit keinem anderen als Antor Trelig.
Renard war natürlich desertiert und hatte Mavra gefunden. Zusammen mit zwei Lata waren sie auf seinem Pegasus Doma über die Meere geflogen. In Olborn hatte er verhindert, daß Mavra ganz zu einem Maultier geworden war, und gemeinsam hatten sie alle die Vernichtung des Raumschiffantriebs in Gedemondas beobachtet.
Renard begleitete Mavra Tschang ins Exil, aber sie hatte ihn fortgeschickt. Selbst nach all diesen Jahren machte er sich noch immer Sorgen um sie. Ab und zu erhielt er Nachricht von Ortega, war aber seiner Arbeit wegen nie mehr zu ihr zurückgekehrt.
Mavra hatte vorausgesagt, daß die Agitar ihn als Helden empfangen würden. Das war nun nicht gerade der Fall gewesen, aber sie hatten ihn nicht als Deserteur behandelt, weil er ein frischer Neuzugang gewesen war und Mavra Tschang auch etwas geschuldet hatte. Er hatte seine neue Laufbahn eingeschlagen und großen Erfolg gehabt.
»Renard!«rief eine Frauenstimme aus dem Bürobereich. Er drehte sich um und sah eine Angestellte winken.
Die weiblichen Agitar waren auf den Kopf gestellte Männer ihrer Rasse; sie glichen in Kopf und Oberkörper einer Ziege, darunter waren sie menschlich. Aber einen Agitar störte das keineswegs. Er hatte viele Kinder von zahlreichen Frauen.
»Was gibt es, Guda?«sagte er, als er sie erreicht hatte. »Haben wir alle Gehaltserhöhung bekommen?«
Sie schüttelte den Kopf. Wie alle weiblichen Agitar war sie keiner Mimik fähig, aber ihre Augen verrieten, daß es sich um etwas Ernstes handelte. Sie reichte ihm ein Telegramm. Er las es, und seine Miene wurde düster.
RENARD, MAVRA TSCHANG ÜBERFALLEN, VERMUTLICH ENTFÜHRT. VERDACHT RICHTET SICH GEGEN TRELIG. ANZEICHEN LASSEN ERKENNEN, DASS ANSCHLAG MÖGLICHERWEISE MISSGLÜCKT IST. KÖNNEN SIE NACH SÜDEN FLIEGEN, GLATHRIEL ASAP, UM BEI DER SUCHE ZU HELFEN? LASSEN SIE SICH AN ZONE-TOREN UNTERWEGS NEUE INFORMATIONEN GEBEN. ENTSENDE AUSSERDEM VISTARU ZUM SELBEN ORT. VIEL GLÜCK. ORTEGA.
Er war halb betäubt. Mit einer solchen Entwicklung hatte er nicht gerechnet. Er zögerte kurz und dachte nach. Die Farm zu verlassen, vielleicht für Wochen — man würde in der Hauptstadt nicht erbaut sein. Aber es ging um Mavra…
»Guda, Schatz, sattle mir Domaru mit Ausrüstung für mindestens zwei Wochen. Ich unternehme eine Reise«, sagte er. »Sag zu Vili, daß er das Kommando führt, bis ich wieder zurück bin.«Er drehte sich um und trabte hinaus, während Guda ihm nachstarrte, den Mund halb geöffnet.