Hygit, Haupthafen von Wuckl

Es roch nach Fisch und Salz. Der schmale Strand war von Docks und Landungsbrücken überzogen, die zumeist aus formbarem, aber widerstandsfähigem Holz aus der Gegend angefertigt waren. Auf manchen standen Häuser aus Holz und Aluminium. Es war der Hafen Hygit, wo die einzigartigen Gemüse und Früchte des Landes im Austausch gegen Rohstoffe verschifft wurden.

Mavra und Joshi hatten einige Tage unter einem der Handelspiers gelebt — unter einem Fischmarkt, wo kleine Boote gegen Mittag ihre Fänge aus dem Meeres-Hex Zanti anlieferten. Zu essen gab es hier genug.

Die starken Stützen und Pfeiler der Landungsbrücken boten eine natürliche Zuflucht. Der Sand, soweit hier noch vorhanden, war grauschwarz, das Holz von verwittertem Braun, so daß sie mit der Umgebung verschmolzen.

Es war auch ein guter Ort, um andere zu belauschen. Sie hockten unter den kleinen Straßenbars, die von Seeleuten und Wuckl-Dockarbeitern frequentiert wurden, und Mavra erfuhr die Dinge, die sie wissen wollte.

Das Datum überraschte sie am meisten. Es waren nur knapp über drei Wochen vergangen. Die ›Toorine Trader‹ sollte erst in vier Tagen eintreffen, also blieb noch Zeit genug. Ein Schwesterschiff lag schon im Hafen. Mavra kannte auch deren Besatzung, aber diese kannte weder die Vorgänge, noch war sie bestochen worden, und sie mochte deshalb für Mavras Absichten nicht so geeignet sein. Die beiden konnten sich im Schiff aber umsehen; in Wuckl war große Ehrlichkeit verbreitet, und man ließ die Luken offen, wenn die Arbeiter Pause machten.

Die Tschangs hätten sich einfach als blinde Passagiere an Bord schleichen können, aber Mavra dachte an etwas Besseres.

Spätnachts schlich sie in das Lagerhaus. Die Güter waren mit großen Karten gekennzeichnet, die an den Kisten befestigt waren. Da am Interhex-Handel so viele Rassen beteiligt waren, trug jede Karte ein Hex-Symbol.

Manchmal wurde auch lebendige Fracht befördert; es gab Käfige von unterschiedlicher Größe und Form, und sie und Joshi suchten sich einen aus. Sie ließ sich von Joshi einsperren und bemühte sich, den Käfig von innen zu öffnen. Es war nicht leicht.

Während sie noch arbeitete, hörten sie ein Geräusch. Der Wachmann machte seine Runde, und Mavra befand sich noch im Käfig. Joshi überlegte kurz, ob er sie herauslassen sollte, fürchtete aber den Lärm und versteckte sich statt dessen hinter Kisten. Mavra blieb nichts anderes übrig, als sich im Schatten zusammenzukauern und den Atem anzuhalten.

Der Wuckl ging auf seinen großen Vogelfüßen langsam vorbei, leuchtete hierhin und dorthin. Der Lichtstrahl kam näher, und Mavra wünschte sich, im Boden versinken zu können, aber die Lampe schwenkte in die andere Richtung, und der Wuckl verließ das Lagerhaus. Sie konnten aufatmen, doch Mavra war tief betroffen. Eingesperrt und hilflos zu sein, war ein ganz neues Gefühl für sie; sie haßte und fürchtete es.

Sie beschäftigte sich wieder mit dem Käfigschloß und grunzte schließlich:»Es geht nicht. Hol mich heraus. Wir versuchen etwas anderes.«

Die Riegel waren mit Joshis flacher Schnauze von außen ohne Mühe zu öffnen, und sie sprang erleichtert hinaus. Nachdem sie sich erholt hatte, suchte sie weiter.

Ein großes Problem bestand darin, daß alles so hoch war und sie so niedrig gebaut waren. Selbst in ihrer alten Gestalt war sie über einen Meter hoch gewesen; jetzt, mit den kürzeren Schweinefüßen, streifte ihr dicker Bauch fast am Boden, und sogar ein gewöhnlicher Tisch erschien als riesiges Hindernis.

Sie fand das Büro des Lagerhausleiters und schaute sich am Boden um. Es war dunkel. Der Lichtschalter hätte ebensogut ein Lichtjahr entfernt sein können, aber sie hatte fast ihr halbes Leben andere Sinne gebrauchen müssen, die jetzt viel geschärfter waren.

Endlich fing sie den Geruch auf; er war unverwechselbar. Sie kroch halb unter einen Schrank und zog einen dicken Fettstift heraus.

Es lag viel Papier herum, und sie fanden ein paar große Blätter. Joshi packte sie mit seinem Maul, während sie den Stift mitnahm.

Im Lauf des nächsten Tages versuchte Mavra in ihrem Versteck unter der Landungsbrücke den Stift im Maul zu halten, während er das Papier mit den Hufen festhielt. Es ging mühsam, und sie mußte immer wieder ansetzen, bis sie eine verständliche Botschaft zustande brachte. Die Schrift war schief und krakelig, aber man konnte sie lesen. In Zeilen, die über das ganze Blatt wanderten, hatte sie niedergeschrieben: ICH BIN MAVRA TSCHANG HELFT MIR NICHTS VERRATEN.

Sie hoffte, daß das genügte.

Jetzt mußten sie warten; das Schiff, das im Hafen lag, fuhr in die falsche Richtung. Für sie kam nur die ›Trader‹ in Frage.


* * *

Die Straßen von Hygit waren überfüllt mit Wuckl in allen Größen. Das Rumpeln der Tram, motorisierter Verkehr und alle anderen Geräusche und Erscheinungen zeigten eine Großstadt in einem hoch-technischen Hex an. Das Quartett, das durch eine der Straßen zog, erregte selbst in einer Stadt, die an die seltsamen Lebensformen anlegender Schiffe gewöhnt war, große Aufmerksamkeit.

Vistaru, die auf Domarus Hinterteil saß, murrte:»In einem solchen Ort könnte man eine ganze Armee verstecken.«

Renard, der das große Pferd durch die Menge führte, nickte.

»Es sieht ziemlich hoffnungslos aus, nicht wahr? Aber ich wette, daß sie hier ist. Das ist der einzige Hafen an der Ostküste.«

»Sie wird unten bei den Docks sein«, sagte Wooly. »Es ist vielleicht nicht so aussichtslos, wie ihr meint. Überlegt, wie lang und mühsam eine Reise bis zu dieser Stelle da gewesen ist, und jetzt haben wir aufgeholt. Ich habe das Gefühl, daß die Suche hier enden wird. Kommt, wir gehen zu den Kais.«

Die niedrigen Hügel der Stadt brachen an der Küste abrupt ab; eine Klippe war mechanisch abgeschrägt worden, und sie stiegen ein letztes, steiles Gefälle zum Hafen hinunter.

»Da!«sagte Renard. »Rauch. Ein Schiff kommt.«

»Es wird wohl eher ausfahren«, erwiderte die Yaxa. »Man sieht, daß es sich entfernt. Möchte nicht an Bord sein — der Himmel sieht sehr bedrohlich aus.«

»Es verschwindet wirklich«, sagte Vistaru. »Man sieht den Rauch schon gar nicht mehr. Sie Fahren schnell.«

»Zanti ist hoch-technisch«, sagte die Yaxa. »Sie verfügen über vollen Antrieb.«

Gewöhnlich lagen zwei Hoch-tech-Hexe nicht aneinander, aber es gab Ausnahmen. Die Wuckl etwa schwammen sehr schlecht und ertrugen nicht mehr als zehn, zwölf Meter Tiefe; die Zanti, nahezu unbewegliche Pflanzen, konnten Tiefen von weniger als hundertfünfzig Metern nicht ertragen. In diesem Fall war das Gleichgewicht zwischen den beiden Sechsecken ausgewogen; keines besaß etwas, das man im anderen benötigte, und in den wenigen Fragen, die Zusammenarbeit erforderten — wie die Fischereirechte —, kamen sie gut miteinander aus.

Renard hatte plötzlich ein merkwürdiges Gefühl.

»Hört mal«, sagte er dumpf, »wäre es nicht furchtbar, wenn das die ›Toorine Trader‹ wäre und sie sich an Bord befänden?«

Sie eilten, angestachelt von diesem Gedanken, den Berg hinunter.

An den Kais fanden sie Dockarbeiter, die müde ihre Sachen zusammenpackten. Die Wuckl waren von dem sonderbaren Quartett fasziniert, reagierten aber freundlich.

»Entschuldigen Sie — war das die ›Toorine Trader‹, die eben abgefahren ist?«fragte Renard beklommen.

Die Wuckl nickten.

»Richtig. Sie haben sie um eine halbe Stunde verpaßt. Das nächste Schiff geht in drei Tagen.«

Für die drei Wesen gab es keinen Zweifel, daß Mavra Tschang sich an Bord befand.

»Wir können hinausfliegen und sie einholen«, sagte Vistaru.

»Würde ich nicht empfehlen«, meinte ein Wuckl. »Da draußen braut sich ein fürchterlicher Sturm zusammen. Wenn Zanti nicht ein Hoch-tech-Hex wäre, hätten sie die Fahrt wohl gar nicht angetreten. Das Schiff hält es aus. Aber die Winde erreichen über achtzig Stundenkilometer, und es gibt Graupelschauer. Das Wasser ist kalt — tauchen Sie den Fuß ein, wenn Sie wissen wollen, wie kalt. Deshalb gibt es hier fast jede Nacht Nebel.«

»Wie lange dauert es, bis der Sturm abflaut?«fragte Wooly.

»Schwer zu sagen. Der Wetterdienst in der Hafenbehörde kann es Ihnen vielleicht verraten. Aber nicht vor morgen vormittag, möchte ich meinen.«

Die Yaxa überlegte kurz.

»Haben Sie eine Ahnung, wie schnell das Schiff in einem Hoch-tech-Hex fährt?«

Der Wuckl legte den Kopf auf die Seite.

»Bei ruhiger See mit voller Kraft vielleicht fünfundzwanzig, dreißig Kilometer in der Stunde. Den Sturm haben sie im Rücken, also bestimmt dreißig.«

Renard sah die beiden anderen an.

»Wenn der Sturm so lange dauert, wie unser Freund hier meint, sind das ungefähr vierzehn Stunden. Vierhundertzwanzig Kilometer Vorsprung.«Er wandte sich wieder an den Wuckl. »Das ist in der Nähe der Hex-Grenze, nicht? Ich meine, Zanti und das nächste Wasser-Hex.«

Der Dockarbeiter nickte.

»Ja. Aber sie werden nicht nach Simjim fahren, wenn sie es vermeiden können. Es ist nicht-technisch. Sie sind unterwegs nach Mucrol und werden auf der hoch-technischen Seite bleiben, bis der Sturm zu heftig wird. Der gerade Weg ist immer der beste, wissen Sie.«

Sie bedankten sich bei dem Wuckl, und Renard holte die Karte aus Domarus Satteltasche.

»Also, hier müßten sie in Mucrol landen«, sagte Renard. »Dort ist Gedemondas, möglicherweise zwei Hexagons über Land. Wenn wir annehmen, daß sie blinder Passagier ist, wird sie im Hafen von Mucrol von Bord gehen müssen. Dahin führt also unser Weg. Wenn es ihr gelungen ist, sich mit der Besatzung zu verständigen, und wenn diese mitmacht, wette ich, daß sie sie so weit nördlich wie möglich in Mucrol absetzen, so daß sie nur ein Hex durchqueren muß, hier bei Alestol. Wenn wir im Hafen von Mucrol nichts finden, müssen wir da hin.«

Vistaru starrte besorgt auf die Karte.

»Ich kenne mich in Mucrol nicht aus, aber ich hoffe, daß sie nicht nach Alestol geht. Die abscheulichen, faßförmigen Gaspflanzen machen einem im Nu den Garaus.«

»Die Yaxa haben freundschaftliche Beziehungen zu Alestol«, sagte Wooly. »Wenn wir irgendwo ein Zone-Tor erreichen, kann ich veranlassen, daß man nach ihnen Ausschau hält, ihnen aber nichts tut.«

»Darauf besteht nicht viel Aussicht«, erwiderte Renard. »Wir bleiben in der Nähe der Grenzen, und die Wasser-Hexagons kommen dafür nicht in Frage. Nein, wir halten uns an Mucrol. Sie wird sich der Gefahren auf der anderen Seite bewußt sein.«

»Ich mache mir aber Gedanken über die Gefahren in Mucrol«, meinte Vistaru nachdenklich.

Renard sah sie erstaunt an.

»Sie wissen Bescheid über das Hex?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, gar nichts. Sie etwa? Oder Sie, Wooly?«

Niemand wußte etwas. Mucrol war ein Rätsel.

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