Die Gaslichter in Akkarats Kommandozentrale beginnen zu flackern, dann gehen sie ganz aus. In der plötzlichen Dunkelheit richtet sich Anderson überrascht auf. Eine Zeit lang hatte es nur noch vereinzelt Kampfhandlungen gegeben; trotzdem bietet sich in der ganzen Stadt das gleiche Bild: Krung Theps Gaslampen flackern ein letztes Mal und erlöschen dann. Entlang der Verkehrsstraßen verschwinden sämtliche grünen Lichtpunkte, einer nach dem anderen. In den wenigen Konfliktzonen lodern immer noch die gelben und orangen WeatherAll-Feuer, aber jegliches Grün ist aus der Stadt verschwunden. Ein schwarzes Laken scheint über sie gebreitet, fast so vollkommen wie der Ozean hinter dem Damm.
»Was geht da vor sich?«, fragt Anderson.
Das trübe Schimmern der Computermonitore ist das einzige Licht im Raum. Akkarat kommt vom Balkon zurück in das Zimmer. Die Einsatzzentrale surrt vor Geschäftigkeit. Handbetriebene Notfall-LED-Laternen gehen an und verbreiten Helligkeit, so dass er das Lächeln auf Akkarats Gesicht erkennen kann. »Wir haben das Methanwerk eingenommen«, sagt er. »Jetzt gehört das Land uns.«
»Sind Sie da sicher?«
»Sowohl die Ankerplätze als auch die Hafenanlagen sind in unserer Gewalt. Die Weißhemden ergeben sich. Wir haben eine Nachricht von ihrem leitenden Offizier erhalten. Sie werden die Waffen niederlegen und bedingungslos kapitulieren. Die Neuigkeit wird bereits über ihre verschlüsselten Sendefrequenzen verbreitet. Einige von ihnen werden wahrscheinlich trotzdem weiterkämpfen, aber uns gehört jetzt die Stadt.«
Anderson reibt sich die gebrochenen Rippen. »Heißt das, wir können gehen?«
Akkarat nickt. »Selbstverständlich. Ich werde gleich einige Männer abbeordern, die Sie nach Hause eskortieren. Es wird aber noch ein wenig dauern, bis wieder Ruhe auf den Straßen eingekehrt ist.« Er lächelt erneut. »Ich denke, Sie werden mit dem neuen Management unseres Königreiches mehr als zufrieden sein.«
Einige Stunden später werden sie in einen Fahrstuhl geleitet.
Sie steigen im Erdgeschoss aus. Akkarats Privatlimousine erwartet sie bereits.
Allmählich wird der Himmel heller.
Als sie gerade einsteigen wollen, hält Carlyle kurz inne und starrt die Straße hinunter — dorthin, wo der gelbe Rand der Morgendämmerung sich allmählich ausbreitet. »Mit diesem Anblick habe ich wirklich nicht mehr gerechnet.«
»Ich dachte, um uns wäre es geschehen.«
»Dafür waren Sie aber recht gelassen.«
Anderson zuckt vorsichtig mit den Schultern. »Finnland war noch schlimmer.« Doch schon beim Einsteigen bekommt er einen erneuten Hustenanfall, der sich eine halbe Minute lang hinzieht. Carlyle sieht zu, wie er sich das Blut von den Lippen wischt.
»Alles in Ordnung?«, fragt er.
Anderson nickt und zieht behutsam die Tür hinter sich zu. »Ich vermute, dass ich innere Verletzungen davongetragen habe. Akkarat hat meine Rippen mit einer Pistole bearbeitet. «
Carlyle sieht ihn prüfend an. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie sich nichts eingefangen haben?«
»Machen Sie Scherze?« Anderson lacht, doch davon tun ihm nur wieder die Rippen weh. »Ich arbeite für AgriGen. Ich bin gegen Krankheiten geimpft, die noch nicht einmal erfunden wurden.«
Als das Auto sich vom Bordstein löst und Fahrt aufnimmt, gesellt sich eine Eskorte von Spannfederrollern zu ihnen und schwärmt um die kohlenbetriebene Limousine herum aus. Anderson macht es sich im Sitz gemütlich und betrachtet die am Fenster vorbeiziehende Stadt.
Carlyle tippt auf die Lederarmlehne. »So einen werde ich mir auch zulegen. Wenn der Handel erst einmal in Gang gekommen ist, werde ich jede Menge Geld zu verprassen haben.«
Anderson nickt zerstreut. »Wir werden auf der Stelle mit der Verschiffung von Kalorienlieferungen beginnen müssen. Hungerhilfe. Als Notlösung würde ich gerne Ihre Flugschiffe in Dienst nehmen, und zwar sofort! Wir werden U-Tex aus Indien liefern. Damit Akkarat etwas hat, womit er angeben kann. Die Vorteile des freien Handels und so weiter. Das sorgt für gute Presse in den Flüsterblättern. Damit alles in trockenen Tüchern ist.«
»Können Sie nicht einfach den Moment genießen?« Carlyle lacht. »Es kommt nicht besonders häufig vor, dass man einer schwarzen Kapuze entkommt, Anderson. Wir werden jetzt erst einmal etwas Whisky auftreiben und dazu ein Dach mit Aussicht, und dann schauen wir uns den verdammten Sonnenaufgang über dem Land an, das wir gerade gekauft haben. Das ist es, was wir als Nächstes machen werden. Der ganze andere Mist kann bis morgen warten.«
Als die Limousine auf die Phraram Road einbiegt, formiert sich die Eskorte vor dem Wagen, und sie sausen durch die schnell heller werdende Stadt. Dann verlassen sie die Route und machen einen Bogen um ein umgestürztes Expansions-Hochhaus, das den Kämpfen zum Opfer gefallen ist. Einige wenige Menschen plündern den Trümmerhaufen, doch keiner von ihnen ist bewaffnet.
»Es ist vorbei«, sagt Anderson leise. »Einfach so.« Er fühlt sich erschöpft. Am Straßenrand, halb auf dem Bürgersteig, liegen zwei tote Weißhemden. Neben ihnen hockt ein Geier, der sich Stück für Stück an sie heranpirscht. Anderson befühlt noch einmal behutsam seine Rippen. Mit einem Mal ist er froh, noch am Leben zu sein.
»Wissen Sie auch, wo wir diesen Whisky bekommen?«