10

Das Aufziehmädchen rührt keinen Finger, um sich zu verteidigen. Sie schreit auf, zuckt jedoch kaum zusammen, als das Messer sie verletzt. »Bai!«, ruft Anderson Lao Gu zu. »Kuai kuai kuai!«

Er stößt ihren Angreifer beiseite, als die Rikscha ruckartig schneller wird. Der Thai hackt unbeholfen auf Anderson ein und stürzt sich dann wieder auf das Aufziehmädchen. Sie weicht ihm nicht aus. Blut spritzt. Anderson reißt eine Federpistole unter seinem Hemd hervor und hält sie dem Mann unter die Nase. Der Mann reißt die Augen auf.

Er springt von der Rikscha und rennt in Deckung. Anderson folgt ihm mit dem Lauf und fragt sich, ob er dem Mann eine Scheibe in den Kopf jagen oder ihn entkommen lassen soll, doch der ist bereits hinter einem Megodonten verschwunden, was ihm die Entscheidung abnimmt.

»Gottverdammt.« Anderson behält den Verkehr noch einen Moment im Auge, um sich zu überzeugen, dass der Mann wirklich fort ist, und schiebt dann die Pistole zurück unter sein Hemd. Er wendet sich dem Mädchen zu, das neben ihm auf den Sitz gesunken ist. »Du bist jetzt in Sicherheit.«

Das Aufziehmädchen liegt reglos da, die Kleider aufgeschlitzt und verrutscht, die Augen geschlossen. Sie atmet keuchend ein und aus. Als er ihr die Hand auf die gerötete Stirn legt, zuckt sie zusammen, und ihre Augenlider flimmern. Ihre Haut ist kochend heiß. Teilnahmslose schwarze Augen starren zu ihm hoch. »Bitte«, murmelt sie.

Die Hitze, die ihre Haut abstrahlt, ist überwältigend. Sie stirbt. Anderson reißt ihre Jacke auf, um ihr Kühlung zu verschaffen. Sie verbrennt, überhitzt von ihrer Flucht und ihrer mangelhaften genetischen Ausstattung. Es ist absurd, dass irgendjemand einem Lebewesen so etwas antut.

»Lao Gu!«, ruft er über die Schulter. »Fahr zum Deich!« Lao Gu schaut ihn verständnislos an. »Shui! Wasser! Nam! Zum Ozean, verdammt!« Anderson deutet zum Damm hinüber. »Schnell! Kuai, kuai kuai!«

Lao Gu nickt jäh. Er richtet sich auf seinen Pedalen auf und beschleunigt wieder, kämpft sich mit dem Rad durch den aufgestauten Verkehr, stößt Warnungen und Flüche aus, wenn Fußgänger oder Zugtiere ihm den Weg versperren. Anderson fächelt dem Aufziehmädchen mit seinem Hut Luft zu.

Bei den Deichmauern angekommen, wirft Anderson sich das Aufziehmädchen über die Schulter und schleppt sie die unregelmäßigen Stufen hinauf. Naga halten entlang der Treppe Wache; ihre langen, sich windenden Körper weisen ihm den Weg. Mit ausdrucksloser Miene schauen sie zu, wie er immer weiter aufwärtsschwankt. Schweiß tropft ihm in die Augen. Das Aufziehmädchen glüht wie ein Ofen.

Schließlich erreicht er den Kamm des Deichs. Die rote Sonne brennt ihm ins Gesicht; auf dem Meer zeichnen sich die Umrisse des versunkenen Thonburi ab. Die Sonne ist fast so heiß wie der Körper, den er trägt. Er stolpert die andere Seite der Böschung hinunter und wuchtet das Mädchen ins Wasser. Salzwasser spritzt auf und durchnässt seine Kleider.

Sie geht unter wie ein Stein. Anderson schnappt nach Luft und stürzt ihr hinterher. Du Narr! Du törichter Narr! Er bekommt einen schlaffen Arm zu fassen und reißt sie aus der Tiefe empor. Hält sie, so dass ihr Gesicht über den Wellen schwebt, nimmt alle Kraft zusammen, damit sie nicht noch einmal untergeht. Ihre Haut ist glühend heiß. Halb erwartet er, dass das Wasser um sie herum zu sieden beginnt. Ihr schwarzes Haar breitet sich fächerförmig aus, wie ein Netz auf den wogenden Wellen. Sie hängt kraftlos in seinen Armen. Lao Gu kommt den Deich heruntergestapft, und Anderson winkt ihn zu sich herüber. »Hier. Halt sie fest.«

Lao Gu zögert.

»Verdammt nochmal, jetzt mach schon. Zhua ta.«

Widerwillig fasst Lao Gu sie unter den Armen. Anderson sucht an ihrem Hals nach einem Puls. Ist ihr Gehirn bereits durchgeschmort? Gut möglich, dass er sich bemüht, eine Frau wiederzubeleben, für die jede Hilfe zu spät kommt.

Der Puls des Aufziehmädchens rast wie der eines Kolibris — schneller, als der Herzschlag eines Lebewesens ihrer Größe sein dürfte. Anderson beugt sich vor und lauscht auf ihren Atem.

Unvermittelt öffnen sich ihre Augen. Er fährt zurück. Sie schlägt um sich, und Lao Gu kann sie nicht mehr halten. Sie verschwindet unter den Wellen.

»Nein!« Anderson hechtet ihr nach.

Sie kommt wieder an die Oberfläche, zappelt und hustet und streckt die Arme nach ihm aus. Schließlich bekommt sie ihn zu fassen, und er zieht sie ans Ufer. Ihre Kleider umwirbeln sie wie verschlungener Seetang, und ihr schwarzes Haar schimmert wie Seide. Aus dunklen Augen starrt sie zu Anderson empor. Gott sei Dank, ihre Haut ist kühl.


»Warum haben Sie mir geholfen?«

Methanlampen flackern auf den Straßen und tauchen die Stadt in ein ätherisches Grün. Die Dunkelheit ist hereingebrochen, und die Laternenpfähle fauchen in der Finsternis. Auf Pflaster und Beton spiegelt sich Feuchtigkeit, glänzt auf der Haut der Menschen, die sich auf den Nachtmärkten um Kerzen drängen.

Das Aufziehmädchen fragt: »Warum?«

Anderson zuckt mit den Schultern, froh darüber, dass sein Gesicht im Dunkeln nicht zu sehen ist. Er weiß selbst keine angemessene Antwort. Falls ihr Angreifer sich über einen Farang und ein Aufziehmädchen beschwert, wird das Fragen nach sich ziehen und die Aufmerksamkeit der Weißhemden auf ihn lenken. Es ist töricht, ein solches Risiko einzugehen, schließlich ist er auch so schon viel zu exponiert. Er ist viel zu leicht zu beschreiben, und von dem Ort, wo er auf das Mädchen gestoßen ist, bis zum Sir Francis ist es nicht weit, und dann muss er noch mehr unangenehme Fragen beantworten.

Er bemüht sich, seiner Paranoia Herr zu werden. Jetzt benimmt er sich schon wie Hock Seng! Dieser Nak Leng war ganz offensichtlich völlig high auf Yaba. Er wird bestimmt nicht zu den Weißhemden laufen. Er wird sich davonstehlen und seine Wunden lecken.

Trotzdem, es war töricht.

Als das Mädchen in der Rikscha ohnmächtig wurde, war er sich sicher, dass sie sterben würde, und in gewisser Hinsicht war er froh darüber — erleichtert, dass er den Augenblick, in dem er sie erkannt und sein Schicksal gegen alle Regeln seiner Ausbildung mit dem ihren verknüpft hatte, noch einmal ungeschehen machen konnte.

Er schaut kurz zu ihr hinüber. Ihre Haut ist nicht mehr so entsetzlich rot und glühend heiß. Sie presst die Überreste ihrer zerfetzten Kleider an sich, um ein Mindestmaß an Anstand zu wahren. Es ist wirklich erbarmungswürdig, dass ein Geschöpf, das mit Haut und Haar jemand anderem gehört, so sehr die Form wahrt.

»Warum?«, fragt sie noch einmal.

Er zuckt wieder mit den Schultern. »Du hast Hilfe gebraucht. «

»Einem Aufziehmenschen hilft niemand.« Ihre Stimme ist ausdruckslos. »Sie sind ein Narr.« Sie wischt sich nasse Locken aus dem Gesicht. Eine abgehackte Bewegung, durch die ihre genetischen Bausteine sich verraten und die geradezu surreal wirkt. Ihre glatte Haut, das sanfte Versprechen ihrer Brüste schimmert zwischen den Rissen in ihrer zerfetzten Bluse hervor. Wie würde sie sich anfühlen? Ihre Haut glänzt, glatt und einladend.

Sie bemerkt seinen Blick. »Möchten Sie von mir Gebrauch machen?«

»Nein.« Peinlich berührt wendet er den Blick ab. »Das ist nicht notwendig.«

»Ich würde mich nicht wehren«, sagt sie.

Die Ergebenheit in ihrer Stimme widert Anderson an. Es mag eine Zeit gegeben haben, da hätte er sie wahrscheinlich genommen, einfach nur, um auszuprobieren, wie das ist. Ohne einen weiteren Gedanken darauf zu verschwenden. Aber die Tatsache, dass ihre Erwartungen so bescheiden sind, erfüllt ihn mit Widerwillen. Er zwingt sich zu einem Lächeln. »Vielen Dank. Nein.«

Ein kurzes Nicken. Dann blickt sie wieder in die feuchte Nacht und den grünen Schein der Lampen hinaus. Es ist unmöglich zu erkennen, ob sie dankbar ist oder überrascht, oder ob seine Entscheidung für sie überhaupt von Bedeutung ist. Vor Angst oder Erleichterung mag sie einen Moment lang ihre wahren Gefühle gezeigt haben, aber jetzt sind sie wieder sorgsam weggeschlossen.

»Kann ich dich irgendwohin bringen?«

Sie zuckt mit den Achseln. »Zu Raleigh. Er ist der Einzige, der mich aufnimmt.«

»Aber er war nicht der Erste, hab ich Recht? Du warst nicht immer …« Er beendet den Satz nicht. Es gibt kein höfliches Wort dafür, und ihm ist nicht danach, dem Mädchen ins Gesicht zu sagen, dass sie ein Spielzeug ist.

Sie schaut zu ihm hinüber und dann wieder auf die Stadt hinaus, die an ihnen vorbeigleitet. Gaslampen entlang der Straße bilden Inseln aus grünem Phosphor, zwischen denen tiefschwarze Schluchten gähnen. Sie fahren unter einer Lampe hindurch, und Anderson erhascht einen Blick auf ihr nachdenkliches, vor Feuchtigkeit glänzendes Gesicht. Viel zu schnell verschwindet es wieder in der Dunkelheit.

»Nein. Es war nicht immer so. Nicht …« Sie zögert einen Moment. »Nicht so, wie jetzt.« Sie hält erneut inne. »Früher war ich bei Mishimoto beschäftigt. Ich hatte …« Sie zuckt mit den Achseln. »… einen Besitzer. Der der Firma angehörte. Ich war sein Eigentum. Gen, mein Besitzer erwirkte, dass ich mich auf Geschäftsreise zeitweilig im Königreich aufhalten durfte. Neunundneunzig Tage lang. Auf königlichen Erlass verlängerbar, der Freundschaft mit Japan zuliebe. Ich war seine persönliche Sekretärin: Übersetzerin, Büromanagerin und … Gefährtin.« Ein weiteres Achselzucken, mehr gefühlt denn gesehen. »Aber es ist teuer, nach Japan zurückzukehren. Ein Ticket für ein Luftschiff kostet für einen Neuen Menschen dasselbe wie für Sie. Mein Besitzer kam zu dem Schluss, dass es wirtschaftlicher war, wenn seine Sekretärin in Bangkok bliebe. Als sein Auftrag hier ausgeführt war, beschloss er, sich in Osaka ein neues Modell zuzulegen.

»Jesus und Noah.«

Sie zuckt mit dem Achseln. »Mein letzter Lohn wurde mir auf dem Ankerplatz ausgezahlt, und dann ist er fortgegangen. Auf Nimmerwiedersehen.«

»Und Raleigh?«, fragt er.

Wieder ein Achselzucken. »Kein Thai möchte einen Neuen Menschen als Sekretärin oder Übersetzerin. In Japan ist das okay. Sogar fast normal. Dort werden zu wenige Kinder geboren, und jemand muss die Arbeit machen. Hier …« Sie schüttelt den Kopf. »Die Kalorienmärkte unterliegen strengen Kontrollen. Alle sind neidisch auf U-Tex. Alle wachen über ihren Reis. Raleigh ist da anders. Raleigh … probiert gerne etwas Neues aus.«

Der süßliche, ölige Geruch von gebratenem Fisch weht zu ihnen herüber. Ein Nachtmarkt — voller Menschen, die bei Kerzenschein zu Abend essen, sich über Nudeln und Spieße mit Tintenfisch und Teller mit Laap beugen. Anderson hätte am liebsten die Regenhaube der Rikscha hochgeklappt und den Vorhang zugezogen, damit niemand das Aufziehmädchen sieht, doch er weiß sich zu beherrschen. Unter den Woks zucken grüne Flammen empor und verraten, dass sie mit vom Umweltministerium besteuertem Methan gespeist werden. Der Schweißfilm auf der dunklen Haut der Menschen ist kaum zu sehen. Um ihre Füße streunen Cheshire, stets auf der Jagd nach ein paar hingeworfenen Brocken oder nach Gelegenheiten, etwas zu stehlen.

Der Schatten einer Cheshire löst sich aus der Finsternis, und Lao Gu muss ihm ausweichen. Leise flucht er in seiner Muttersprache. Emiko lacht freudig überrascht und klatscht in die Hände. Lao Gu wirft ihr einen wütenden Blick zu.

»Du magst Cheshire?«, fragt Anderson.

Emiko sieht ihn erstaunt an. »Sie nicht?«

»In meiner Heimat können wir sie gar nicht schnell genug umbringen«, sagt er. »Selbst Grahamiten zahlen für ihr Fell mit barer Münze. Wahrscheinlich die einzige Sache, bei der ich mit ihnen übereinstimme.«

»Mmm, ja.« Emiko runzelt nachdenklich die Stirn. »Für diese Welt sind sie wohl zu vollkommen, glaube ich. Ein natürlicher Vogel hat jetzt fast keine Chance mehr.« Sie lächelt leicht. »Stellen Sie sich vor, sie hätten die Neuen Menschen zuerst gemacht!«

Funkelt da Schalk in ihren Augen? Oder ist es Melancholie? «

»Was, meinst du, wäre dann geschehen?«, fragt Anderson.

Emiko erwidert seinen Blick nicht, sondern beobachtet die Katzen, die zwischen den Essenden umherhuschen. »Die Genfledderer haben von den Cheshire zu viel gelernt.«

Mehr sagt sie nicht, aber Anderson kann erraten, was ihr durch den Kopf geht. Wenn ihresgleichen zuerst erschaffen worden wäre, bevor die Genfledderer dazulernten, wäre sie nicht steril gemacht worden. Sie würde sich nicht auf diese abgehackte Art und Weise bewegen, die sie immer und überall verrät. Vielleicht wäre ihr Design sogar so vollkommen wie das der Aufziehsoldaten, die jetzt in Vietnam kämpfen — tödlich und furchtlos. Ohne das Vorbild der Cheshire hätte Emiko vielleicht die Gelegenheit gehabt, die Menschheit zu verdrängen, einfach weil sie besser war. Stattdessen ist sie eine genetische Sackgasse, dazu verurteilt — wie SoyPRO und TotalNutrient Wheat —, nur einen einzigen Lebenszyklus zu durchlaufen.

Eine weitere Schattenkatze flitzt über die Straße, ein flüchtiges Flackern in der Dunkelheit. Eine Hightech-Hommage an Lewis Carroll; es bedurfte nur weniger blinder Passagiere an Bord von Luftschiffen und Klippern, um innerhalb von kürzester Zeit ganze Tierarten auszurotten, die nicht dafür ausgerüstet waren, sich einer unsichtbaren Bedrohung zu erwehren.

»Unser Fehler wäre uns irgendwann aufgefallen«, gibt Anderson zu bedenken.

»Ja. Natürlich. Aber möglicherweise nicht rechtzeitig.« Unvermittelt wechselt sie das Thema. Deutet mit einer Kopfbewegung auf einen Tempel, der sich am Nachthimmel abzeichnet. »Sie sind hübsch, nicht wahr? Gefallen Ihnen die Tempel hier?«

Anderson fragt sich, ob sie das Thema gewechselt hat, um einem Streit aus dem Weg zu gehen, oder ob sie nicht eher fürchtet, er könnte ihr Hirngespinst zerpflücken. Er betrachtet die Chedi und Bot, die den Tempel schmücken. »Sie sind weit ansehnlicher als das, was die Grahamiten bei mir zu Hause errichten.«

»Grahamiten.« Sie verzieht das Gesicht. »Die machen sich solche Sorgen um Nische und Natur. Sind so sehr damit beschäftigt, Noahs Arche zu bauen, und das, nachdem die Sintflut bereits Wirklichkeit geworden ist.«

Anderson muss an Hagg denken und wie erschüttert der Priester angesichts der Zerstörungen war, die der Elfenbeinkäfer anrichtet. »Wenn sie könnten, würden sie uns verbieten, unseren Heimatkontinent zu verlassen.«

»Das ist unmöglich, glaube ich. Die Menschen breiten sich eben immer weiter aus. Füllen neue Nischen.«

Die goldene Filigranverzierung des Tempels schimmert matt im Mondlicht. Die Welt rückt tatsächlich wieder näher zusammen. Anderson musste nur ein paar Mal von einem Luftschiff in einen Klipper und von einem Klipper in ein Luftschiff umsteigen, und schon klappert er auf der anderen Seite des Planeten durch dunkle Straßen. Es ist erstaunlich. Für seine Großeltern war es noch unmöglich, zwischen einem Vorort und dem Stadtzentrum hin und her zu pendeln. Sie erzählten ihm oft Geschichten, wie sie verlassene Straßenzüge erkundeten, auf der Suche nach irgendwelchen Dingen, die sie gebrauchen konnten. Ganze Stadtteile waren während der Ölkontraktion zerstört worden! Zehn Meilen waren eine weite Reise gewesen. Jetzt dagegen …

Vor ihnen tauchen aus einer Gasse weiße Uniformen auf.

Emiko wird bleich und lehnt sich an ihn. »Bitte, halten Sie mich fest.«

Anderson versucht sie abzuschütteln, aber sie klammert sich an ihn. Die Weißhemden sind stehen geblieben und blicken ihnen entgegen. Das Aufziehmädchen presst sich fester an ihn. Anderson muss sich zusammennehmen, um sie nicht von der Rikscha zu stoßen und die Flucht zu ergreifen. Das hat ihm jetzt gerade noch gefehlt!

»Ich bin ein Verstoß gegen die Quarantänebestimmungen«, flüstert sie, »so wie die transgenen Rüsselkäfer der Japaner. Wenn sie sehen, wie ich mich bewege, bin ich verloren. Sie werden mich kompostieren!« Sie schmiegt sich an ihn. »Es tut mir leid. Bitte.« Ihr Blick ist flehentlich auf ihn gerichtet.

In einem plötzlichen Anfall von Mitleid schließt er sie in die Arme, um ihr das bisschen Schutz zu geben, das ein Kalorienmann illegalem japanischem Gesindel bieten kann. Die Soldaten des Ministeriums rufen ihnen etwas zu, doch sie lächeln dabei. Anderson lächelt zurück und nickt kurz mit dem Kopf. Eine Gänsehaut läuft ihm über den Rücken. Die Blicke der Weißhemden folgen ihnen. Einer von ihnen grinst breit und sagt etwas zu einem Kameraden, während er den Schlagstock, der an seinem Handgelenk hängt, kreisen lässt. Emiko zittert unbeherrscht, ihr Lächeln zu einer Maske erstarrt. Anderson drückt sie fester an sich.

Bitte verlangt nicht nach Schmiergeld. Nicht jetzt. Bitte.

Sie gleiten vorbei.

Hinter ihnen fangen die Weißhemden an zu lachen, entweder über den Farang, der das Mädchen umklammert hält, oder über etwas völlig anderes, das rein gar nichts mit ihnen zu tun hat. Aber das spielt keine Rolle, denn sie verschwinden in der Ferne, und er und Emiko sind wieder sicher.

Zitternd löst sie sich von ihm. »Vielen Dank«, flüstert sie. »Es war leichtsinnig von mir, das Haus zu verlassen. Sehr dumm.« Sie streicht sich das Haar aus dem Gesicht und sieht ihn an. Die Soldaten des Ministeriums sind fast außer Sichtweite. Sie ballt die Hände. »Dummes Mädchen«, murmelt sie. »Du bist keine Cheshire, die verschwinden kann, wie es ihr gefällt. Wütend schüttelt sie den Kopf über sich selbst. »Dumm. Dumm. Dumm.«

Anderson beobachtet sie gebannt. Emiko ist für eine andere Welt gemacht, nicht für diese brutale, drückend heiße Metropole. Bald wird die Stadt sie verschlingen. Das ist unübersehbar.

Sie bemerkt, dass er sie anschaut. Schenkt ihm ein melancholisches Lächeln. »Nichts währt ewig.«

»Nein.« Anderson stockt fast der Atem.

Sie starren einander an. Ihre Bluse hat sich wieder geöffnet, und sein Blick fällt auf ihren Hals, auf die Rundung ihrer Brüste. Sie macht sich nicht die Mühe, etwas vor ihm zu verbergen. Schaut ihn nur an, ernst und durchdringend. Macht sie das mit Absicht? Will sie ihn ermutigen? Oder liegt es einfach in ihrer Natur, ihn zu verführen? Vielleicht kann sie gar nicht anders. Eine Reihe von Instinkten, die ihrer DNA eingeschrieben sind, so wie Cheshire Jagd auf Vögel machen. Anderson beugt sich zögerlich zu ihr hinüber.

Emiko schreckt nicht zurück — im Gegenteil, sie bewegt sich auf ihn zu. Ihre Lippen sind weich. Anderson streicht ihr mit der Hand über die Hüfte, schiebt ihre Bluse auf und forscht dort weiter. Sie stöhnt und reckt sich ihm entgegen, und ihre Lippen öffnen sich. Gefällt ihr das? Oder fügt sie sich nur? Ist sie überhaupt in der Lage, ihn abzuweisen? Ihre Brüste pressen sich an ihn. Ihre Hände gleiten seinen Körper hinunter. Er zittert wie ein sechzehnjähriger Junge. Haben die Genhacker Pheromone in ihre DNA eingebaut? Ihr Körper wirkt wie ein Rauschmittel.

Ohne auf die Straße, auf Lao Gu oder irgendetwas anderes zu achten, legt er ihr die Hand auf die Brust, berührt er ihre vollkommene Haut.

Das Herz des Aufziehmädchens beschleunigt sich unter seiner Handfläche wie das eines Kolibris.

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