Als Anderson aus dem Gebäude kommt, wartet Carlyle bereits ungeduldig in der Rikscha. Sein Blick zuckt hin und her, immer wieder späht er forschend ins Dunkel, das ihn umgibt. Der Mann zittert wie ein ängstliches Kaninchen.
»Sie wirken nervös«, bemerkt Anderson und steigt ein.
Carlyle zieht eine Grimasse. »Die Weißhemden haben gerade das Victory gestürmt. Und alles konfisziert, was nicht niet- und nagelfest war.«
Anderson schaut kurz zu seiner Wohnung hinauf, froh darüber, dass der arme alte Yates es vorgezogen hat, weit entfernt von den anderen Farang zu leben. »Haben Sie viel verloren?«
»Das Bargeld im Tresor. Diverse Kundendaten, die ich außerhalb des Büros aufbewahrt habe.« Carlyle ruft dem Rikschafahrer auf Thai zu, wohin er fahren soll. »Ich hoffe, dass Sie diesen Leuten etwas zu bieten haben.«
»Akkarat weiß, was ich ihm zu bieten habe.«
Sie rollen durch die schwüle Nacht. Cheshire stieben auseinander. Carlyle blickt über die Schulter, sucht die Straße nach Verfolgern ab. »Offiziell hat es niemand auf die Farang abgesehen, aber Sie wissen, dass wir als Nächstes auf der Liste stehen. Ich bin mir nicht sicher, wie lange wir uns in diesem Land noch werden halten können.«
»Das hat doch auch sein Gutes. Wenn die Jagd auf die Farang machen, hält sich Akkarat auch nicht mehr lange.«
Vor ihnen taucht plötzlich ein Kontrollpunkt aus der Finsternis auf. Carlyle fährt sich über die Stirn. Er schwitzt wie ein Schwein. Die Weißhemden rufen etwas und winken die Rikscha zu sich heran.
Anderson spürt, wie auch er ein wenig nervös wird. »Sind Sie sicher, dass das klappen wird?«
Carlyle beißt sich auf die Lippen. »Das werden wir gleich sehen.« Die Rikscha rollt aus und bleibt stehen. Die Weißhemden kreisen sie ein. Carlyle spricht sehr schnell. Reicht ihnen ein Stück Papier. Die Weißhemden beratschlagen einen Moment lang; dann verbeugen sie sich tief und winken die Farang weiter.
»Heilige Scheiße.«
Carlyle lacht, sichtlich erleichtert. »Die richtigen Stempel auf einem Fetzen Papier können Wunder wirken.«
»Erstaunlich, dass Akkarat noch über so großen Einfluss verfügt.«
Carlyle schüttelt den Kopf. »Dazu ist Akkarat nicht in der Lage.«
Sie nähern sich dem Damm, und die Gebäude weichen geduckten Slums. Die Rikscha macht einen Bogen um Betontrümmer, die von einem Hotel gefallen sind, das noch aus der Zeit vor der Großen Expansion stammt. Früher einmal muss es prachtvoll gewesen sein, denkt Anderson. Terrassen über Terrassen zeichnen sich im Mondschein ab. Doch jetzt drängen sich darauf heruntergekommene Hütten, und die letzten Scherben in den Fensteröffnungen funkeln wie Zähne. Am Fuß des Uferwalls bleibt die Rikscha stehen. Entlang der Treppe, die auf den Deich hinaufführt, halten Naga paarweise Wache. Sie schauen zu, wie Carlyle den Rikschafahrer bezahlt.
»Kommen Sie.« Carlyle geht vor Anderson die Stufen hinauf und streicht dabei mit den Fingern über die Schuppen der Naga. Oben auf dem Deich angekommen, sehen sie die Stadt unter sich liegen. In der Ferne leuchtet der Große Palast. Hohe Mauern umschirmen die Innenhöfe, wo die Kindskönigin mit ihrem Gefolge wohnt, aber die Chedi mit den goldenen Spitzen überragen sie noch und schimmern matt im Mondlicht. Carlyle zupft Anderson am Ärmel. »Nicht trödeln. «
Anderson zögert und wendet sich dem dunklen Küstenstreifen zu. »Wo sind die Weißhemden? Hier müsste es doch nur so von ihnen wimmeln!«
»Keine Sorge. Hier haben sie nichts zu sagen.« Er lacht, wie über einen Witz, den nur er kennt, und duckt sich dann unter den Saisin hindurch, die über den Deich gespannt sind. »Kommen Sie.« Er kraxelt auf der anderen Seite den Geröllhang hinunter. Die Wellen schlagen ans Ufer. Anderson zögert noch immer, schaut sich ein letztes Mal um und folgt ihm dann.
Als sie das Wasser erreichen, taucht wie aus dem Nichts ein Spannfederboot auf und kommt auf sie zugeschossen. Fast wäre Anderson weggerannt, weil er glaubt, das sei eine Patrouille der Weißhemden, doch Carlyle flüstert: »Das sind unsere Leute.« Sie waten ein Stück hinaus und klettern an Bord. Das Boot wendet scharf, und sie entfernen sich vom Ufer. Das Mondlicht funkelt auf dem Wasser wie ein silberner Teppich. Das einzige Geräusch, das sie hören, stammt von den Wellen, die gegen den Rumpf klatschen, und vom Ticken der Spannfeder. Vor ihnen zeichnet sich plötzlich eine Barke ab, auf der kein Licht brennt außer den LEDs an Bug und Heck.
Ihr kleines Boot stößt gegen die Bordwand. Kurz darauf wird eine Strickleiter heruntergelassen, und sie klettern in die Dunkelheit hinauf. Matrosen verbeugen sich respektvoll, als sie an Bord gehen. Während sie unter Deck geführt werden, bedeutet Carlyle Anderson zu schweigen. Am Ende eines Gangs flankieren Wachmänner eine Tür. Sie rufen etwas hindurch, melden die Ankunft der Farang, und die Tür öffnet sich. Zum Vorschein kommt eine Gruppe von Männern, die um einen großen Tisch herum sitzen, lachen und trinken.
Einer dieser Männer ist Akkarat. In einem anderen erkennt Anderson den Admiral, der den Kalorienschiffen nachstellt, die nach Koh Angrit unterwegs sind. In einem weiteren vermutet er einen General aus dem Süden. In einer Ecke steht ein schneidiger Mann in einer schwarzen Uniform und beobachtet aufmerksam, was um ihn herum vor sich geht. Ein anderer …
Anderson holt tief Luft.
Carlyle flüstert: »Auf den Boden mit Ihnen, und zwar schnell!« Er fällt bereits auf die Knie und verneigt sich tief. Anderson folgt seinem Beispiel.
Der Somdet Chaopraya mustert sie mit ausdrucksloser Miene.
Akkarat lacht über die demutsvollen Gesten der Farang. Er geht um den Tisch herum und hilft ihnen wieder auf. »Wir müssen hier nicht so förmlich sein«, sagt er mit einem Lächeln. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns. Wir sind hier alles Freunde.«
Anderson verneigt sich erneut, und zwar so tief, wie es ihm möglich ist. Hock Seng behauptet, der Somdet Chaopraya hätte mehr Menschen getötet als das Umweltministerium Hühner. Bevor er zum Beschützer der Kindskönigin ernannt wurde, war er General, und um seine unbarmherzigen Feldzüge im Osten ranken sich Legenden. Wäre er nicht von gewöhnlicher Geburt, so könnte er sich sogar Hoffnungen darauf machen, das königliche Geschlecht zu verdrängen — heißt es jedenfalls. Stattdessen lauert er hinter dem Thron, und alle verneigen sich vor ihm.
Andersons Herz hämmert. Wenn der Somdet Chaopraya einen Regierungswechsel befürwortet, ist alles möglich. Nachdem sie jahrelang gesucht haben und in Finnland gescheitert sind, stehen sie nun kurz davor, an eine Samenbank heranzukommen. Und damit das Rätsel der Nachtschattengewächse und Ngaw und tausend weiterer genetischer Absonderlichkeiten zu lösen. Dieser Mann mit dem kalten Blick, der ihm mit einem Lächeln zuprostet, das freundlich oder feindselig sein könnte, hält den Schlüssel zu allem in Händen.
Ein Diener bringt Anderson und Carlyle Wein. Sie setzen sich zu den anderen Männern an den Tisch. »Wir haben uns gerade über den Kohlekrieg unterhalten«, erklärt Akkarat. »Die Vietnamesen haben für den Augenblick Phnom Penh aufgegeben.«
»Aha, eine gute Nachricht.«
Die Unterhaltung nimmt ihren Lauf, doch Anderson hört nur mit halbem Ohr zu. Stattdessen beobachtet er verstohlen den Somdet Chaopraya. Das letzte Mal hat er ihn vor dem Phra Seub geweihten Tempel des Umweltministeriums gesehen, wo sie beide das Aufziehmädchen der japanischen Delegation anglotzten. Leibhaftig wirkt er weit älter als auf den Bildern überall in der Stadt, die ihn als treuen Beschützer der Königin darstellen. Sein Gesicht ist vom Alkohol gezeichnet, und seine Augen liegen tief in den Höhlen — anscheinend ist an den Gerüchten von seinem ausschweifenden Lebenswandel etwas dran. Hock Seng behauptet, seine Brutalität auf dem Schlachtfeld spiegle sich in seinem Privatleben wider, und obwohl die Thai vor seinem Abbild niederknien, wird er nicht so geliebt wie die Kindskönigin. Und als der Somdet Chaopraya jetzt aufblickt und ihm in die Augen schaut, glaubt Anderson zu erkennen, warum.
Der Thai erinnert ihn an manche Manager, denen er bei den Kalorienkonzernen begegnet ist — Männer, die von ihrer Macht und ihrem Einfluss berauscht waren, von ihrer Fähigkeit, Nationen mittels eines angedrohten SoyPRO-Embargos in die Knie zu zwingen. Ein harter, brutaler Mann. Anderson fragt sich, ob die Kindskönigin jemals über ihr Schicksal selbst bestimmen wird, solange ihr dieser Mann so nahesteht. Er hält es für unwahrscheinlich.
Das Gespräch am Tisch umschifft beharrlich den Grund für ihr mitternächtliches Treffen. Die Anwesenden unterhalten sich über Ernten im Norden und die Probleme mit dem Mekong, seit die Chinesen an seiner Quelle noch weitere Dämme gebaut haben. Sie reden über die neuen Klippermodelle, die bei Mishimoto bald in Produktion gehen.
»Vierzig Knoten bei günstigem Wind!« Carlyle klopft begeistert auf den Tisch. »Mit Tragflächen und einer Nutzlast von fünfzehnhundert Tonnen. Ich werde eine ganze Flotte davon kaufen!«
Akkarat lacht. »Ich dachte, die Zukunft läge im Luftverkehr? «
»Mit diesen Klippern? Da möchte ich mich nicht festlegen. Während der Großen Expansion gab es auch verschiedene Transportmöglichkeiten. Luft und Wasser. Warum sollte es jetzt anders sein?«
»Im Moment sprechen alle von einer neuen Expansion.« Akkarat wird wieder ernst. Er wirft dem Somdet Chaopraya einen raschen Blick zu, und dieser nickt kaum merklich. Der Handelsminister fährt fort, wobei er sich direkt an Anderson wendet. »Dieser Fortschritt stößt im Königreich allerdings auch auf Widerstand. Unwissende Menschen, ohne Frage, aber diese können äußerst hartnäckig sein.«
»Falls Sie mich um Unterstützung bitten«, erwidert Anderson, »sind wir dazu weiterhin gerne bereit.«
Eine weitere Pause. Akkarat schaut erneut kurz zu dem Somdet Chaopraya hinüber. Dann räuspert er sich. »Über die Form Ihrer Unterstützung herrscht noch immer Uneinigkeit. Ihr Verhalten in vergleichbaren Fällen gibt nicht unbedingt Anlass, Ihnen zu vertrauen.«
»Genauso gut könnten wir mit einer Brut Skorpione ins Bett steigen«, wirft der Somdet Chaopraya ein.
Anderson lächelt andeutungsweise. »Mir scheint, dass Sie bereits von Skorpionen umzingelt sind. Mit Ihrer Erlaubnis ließen sich manche davon beseitigen. Was allen Beteiligten von Nutzen wäre.«
»Der Preis, den Sie fordern, ist zu hoch«, sagt Akkarat.
Anderson bemüht sich um einen neutralen Tonfall. »Wir bitten nur um einen Zugang zu Ihrer Samenbank.«
»Und um diesen Mann, diesen Gibbons.«
»Sie wissen also etwas über ihn?« Anderson beugt sich vor. »Sie wissen, wo er sich befindet?«
Alle schweigen. Akkarat wirft dem Somdet Chaopraya einen weiteren Blick zu. Dieser zuckt nur mit den Schultern, aber das ist Anderson Antwort genug. Gibbons ist hier. Irgendwo in diesem Land. Wahrscheinlich in der Stadt. Und arbeitet zweifellos an seinem nächsten großen Triumph nach der Ngaw.
»Wir haben es nicht auf das Königreich abgesehen«, fährt Anderson fort. »Thailand ist nicht mit Burma oder Indien zu vergleichen. Es hat seine eigene Geschichte und war stets unabhängig. Das respektieren wir ohne jede Einschränkung.«
Die Mienen der anwesenden Männer erstarren.
Anderson verwünscht sich im Stillen. Narr. Du hast ihre schlimmsten Befürchtungen zur Sprache gebracht. Er schlägt einen anderen Kurs ein. »Hier bieten sich bedeutende Möglichkeiten. Von einer Zusammenarbeit würden beide Seiten profitieren. Falls wir zu einer Übereinkunft gelangen, sind wir bereit, das Königreich nach Kräften zu unterstützen. Wir können bei Grenzkonflikten helfen und für ein Ausmaß an Kaloriensicherheit sorgen, wie es sie hierzulande seit der Expansion nicht mehr gab. Das ist für uns alle ein gutes Geschäft.«
Anderson verstummt. Der General nickt. Der Admiral runzelt die Stirn. Akkarat und der Somdet Chaopraya verziehen keine Miene. Sie sind ein Buch mit sieben Siegeln.
»Wollen Sie uns bitte entschuldigen?«, sagt Akkarat.
Es ist keine Frage. Die Wachleute bedeuten Anderson und Carlyle hinauszugehen. Kurz darauf stehen sie im Flur, von vier Wachmännern umgeben.
Carlyle starrt zu Boden. »Sie wirken nicht überzeugt. Fällt Ihnen irgendein Grund ein, warum sie Ihnen vielleicht nicht trauen?«
»Ich habe Waffen und ein Vermögen an Bestechungsgeldern in der Hinterhand. Wenn es ihnen gelingt, mit Prachas Generälen Kontakt aufzunehmen, kann ich diese schmieren und mit Ausrüstung versorgen. Und alles, ohne ein Risiko einzugehen!« Anderson schüttelt irritiert den Kopf. »Eigentlich müssten sie sofort zustimmen. Ein vergleichbares Angebot haben wir noch nie gemacht.«
»Das Angebot ist nicht das Problem. Sondern Sie. Sie und AgriGen — Ihre ganze Geschichte. Wenn sie Ihnen vertrauen, haben Sie gewonnen. Wenn nicht …« Carlyle zuckt mit den Achseln.
Die Türe geht auf, und sie werden wieder hineingebeten. Akkarat sagt: »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wir werden Ihr Angebot in Erwägung ziehen.«
Carlyle sackt angesichts dieser höflichen Zurückweisung in sich zusammen. Der Somdet Chaopraya wiederum lächelt, während die Antwort gegeben wird. Vielleicht gefällt es ihm, den Farang eine Maulschelle zu verpassen. In der Kabine werden noch ein paar höfliche Worte gewechselt, doch Anderson hört sie kaum. Er ist der Ngaw so nahe gekommen, dass er sie fast schmecken kann, und sie legen ihm noch immer Steine in den Weg! Es muss eine Möglichkeit geben, noch einmal ins Gespräch zu kommen. Er starrt den Somdet Chaopraya an. Er benötigt ein Druckmittel. Irgendetwas, um aus der Sackgasse herauszukommen …
Fast hätte Anderson laut gelacht. Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen! Carlyle murmelt immer noch sichtlich enttäuscht etwas vor sich hin, aber Anderson verbeugt sich lächelnd und überlegt, wie er weiter vorgehen soll. Damit das Gespräch nicht hier und jetzt zu Ende ist. »Ich kann Ihre Bedenken nur zu gut verstehen. Wir haben uns Ihr Vertrauen noch nicht verdient. Vielleicht sollten wir über etwas anderes reden. Sagen wir, über ein Projekt um der Freundschaft willen. Etwas, bei dem nicht so viel auf dem Spiel steht.«
Der Admiral verzieht das Gesicht. »Von Ihnen wollen wir nichts haben.«
»Es gibt keinen Grund, etwas zu überstürzen. Wir haben unser Angebot ohne Hintergedanken gemacht. Und was das andere Projekt betrifft — sollten Sie Ihre Meinung ändern, ob nun in einer Woche, einem Jahr oder in zehn Jahren, können Sie auf unsere Unterstützung rechnen.«
»Das haben Sie schön ausgedrückt«, sagt Akkarat. Er lächelt und wirft dem Admiral sogar einen stechenden Blick zu. »Ich bin mir sicher, dass hier niemand dem anderen etwas übelnimmt. Bitte, trinken Sie doch wenigstens noch etwas. Sie haben wegen uns einen so weiten Weg auf sich genommen, und ich sehe keinen Grund, warum wir nicht als Freunde scheiden sollten.«
Also ist noch alles offen. Anderson spürt Erleichterung in sich aufsteigen. »Ganz unserer Meinung.«
Bald haben alle ein volles Glas vor sich stehen, und Carlyle verspricht, dass er nur zu gerne eine Ladung Safran von Indien nach Thailand transportiert, sobald das derzeitige Embargo aufgehoben ist, und Akkarat erzählt die Geschichte von einem der Weißhemden, der versucht, von drei verschiedenen Garküchen in unterschiedlicher Höhe Schmiergelder zu nehmen, und sich dabei unentwegt verrechnet. Anderson lässt den Somdet Chaopraya dabei nicht aus den Augen und wartet eine Gelegenheit ab.
Als der mächtige Mann zu einem der Fenster schreitet, um hinauszuschauen, steht Anderson auf und geht zu ihm hinüber.
»Es ist wirklich schade, dass Ihr Vorschlag keine Gnade fand«, sagt der Thai.
Anderson zuckt mit den Achseln. »Ich bin schon froh, dass ich lebend von Bord gehe. Noch vor ein paar Jahren wäre ich von Megodonten zerquetscht worden, wenn ich nur versucht hätte, mich mit Ihnen zu treffen.«
Der Somdet Chaopraya lacht. »Sie glauben also, dass wir Sie gehen lassen werden?«
»Ich hoffe doch«, erwidert Anderson. »Etwas muss man ja riskieren. Aber Sie und Akkarat sind rechtschaffene Männer, selbst wenn wir nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Ich glaube nicht, dass ich allzu hoch gepokert habe.«
»Nicht? Die Hälfte der Anwesenden glaubt, dass es am klügsten wäre, Sie an die Flusskarpfen zu verfüttern.« Er hält inne und starrt Anderson aus tiefliegenden Augen an. »Die Entscheidung ist äußerst knapp ausgefallen.«
Anderson zwingt sich zu einem Lächeln. »Dem entnehme ich, dass Sie nicht derselben Meinung waren wie Ihr Admiral.«
»Heute Abend nicht.«
Anderson verbeugt sich tief. »Dann bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet.«
»Nicht zu voreilig. Vielleicht überlege ich es mir noch anders. Sie und Ihresgleichen haben einen äußerst schlechten Ruf.«
»Würden Sie mir wenigstens die Möglichkeit geben, um mein Leben zu feilschen?«, fragt Anderson sarkastisch.
Der Somdet Chaopraya zuckt mit den Schultern. »Das würde Ihnen nichts bringen. Etwas Interessanteres als Ihr Leben haben Sie mir nicht zu bieten.«
»Dann müsste ich mir also etwas völlig Neues überlegen.«
Der Thai mustert ihn mit durchdringendem Blick. »Unmöglich. «
»Keineswegs«, sagt Anderson. »Ich kann Ihnen etwas geben, das Sie noch nie gesehen haben. Noch heute Nacht. Etwas Exquisites! Nichts für zimperliche Menschen, aber erstaunlich und einmalig. Würde Sie das daran hindern, mich an die Karpfen zu verfüttern?«
Der Somdet Chaopraya wirft ihm einen verärgerten Blick zu. »Es gibt nichts, was Sie mir zeigen könnten, das ich noch nicht gesehen habe.«
»Wollen wir wetten?«
»Sie wollen wohl aufs Ganze gehen, was?« Der Somdet Chaopraya lacht. »Haben Sie für einen Abend noch nicht genug riskiert?«
»Ganz im Gegenteil. Ich möchte nur sicherstellen, dass ich hier lebend herauskomme. So groß scheint mir das Risiko nicht zu sein, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht.« Er blickt dem Somdet Chaopraya in die Augen. »Aber ich bin bereit, eine Wette abzuschließen. Und Sie?«
Der Somdet Chaopraya mustert ihn eindringlich und sagt dann mit lauter Stimme: »Unser Kalorienmann ist ein Spieler! Er möchte mir etwas zeigen, das ich noch nie gesehen habe. Was sollen wir denn davon halten?«
Seine Männer lachen alle. »Die Chancen stehen sehr zu Ihren Ungunsten«, sagt der Somdet Chaopraya.
»Trotzdem halte ich es für eine gute Wette. Und ich bin bereit, gutes Geld zu setzen.«
»Geld?« Der Somdet Chaopraya verzieht das Gesicht. »Ich dachte, wir reden hier über Ihr Leben.«
»Wie wäre es dann mit den Plänen für meine Spannfedernfabrik? «
»Wenn ich die wollte, könnte ich sie mir einfach nehmen.« Der Somdet Chaopraya schnippt verärgert mit den Fingern. »Einfach so, und schon gehören sie mir.«
»In Ordnung.« Anderson beißt die Zähne zusammen. Alles oder nichts. »Wie wäre es dann mit der nächsten Version U-Tex-Reis von meiner Firma? Wäre das nicht eine Wette wert? Und nicht nur der Reis, sondern auch das Korn, bevor es sterilisiert wird? Das thailändische Volk könnte den Reis anpflanzen, solange er seine Widerstandskraft gegen die Rostwelke behält. Mehr als das kann mein Leben nicht wert sein.«
Augenblicklich ist es völlig still. Der Somdet Chaopraya mustert Anderson nachdenklich. »Und im Gegenzug? Was möchten Sie, wenn Sie gewinnen?«
»Dann möchte ich das politische Projekt weitertreiben, das wir vorhin besprochen haben. Unter denselben Bedingungen, die wir bereits diskutiert haben. Bedingungen, die, wie wir beide wissen, für Sie und Ihr Königreich von großem Vorteil sind.«
Die Augen des Somdet Chaopraya werden schmal. »Sie sind ganz schön hartnäckig! Und was wird Sie daran hindern, uns den U-Tex-Reis einfach vorzuenthalten, wenn Sie verlieren?«
Anderson lächelt und weist mit einer Handbewegung auf Carlyle. »Ich nehme an, dass Sie Mr Carlyle und mich dann von Megodonten in Stücke reißen lassen werden. Genügt das?«
Carlyle lacht, wobei seine Stimme ins Hysterische zu kippen droht. »Was ist denn das für eine Wette?«
Anderson wendet den Blick nicht von dem Somdet Chaopraya ab. »Eine Wette, bei der es um alles geht. Ich vertraue völlig darauf, dass Seine Exzellenz ehrlich sein wird, falls es mir gelingt, ihn zu überraschen. Und als Zeichen unseres Vertrauens werden wir uns ihm ausliefern. Eine völlig annehmbare Wette. Wir sind beide Männer von Ehre.«
Der Somdet Chaopraya lächelt. »Ich nehme Ihre Wette an.« Er lacht und klopft Anderson auf den Rücken. »Sie überraschen mich, Farang. Ich wünsche Ihnen viel Glück! Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen beim Sterben zuzuschauen.«
Wie sie da durch die Stadt fahren, bilden sie eine seltsame Gesellschaft. Das Gefolge des Somdet Chaopraya sorgt dafür, dass sie die Kontrollpunkte passieren können — die überraschten Rufe der Weißhemden hallen durch die Nacht, als sie begreifen, wen sie da gerade anhalten wollten.
Carlyle wischt sich mit dem Taschentuch die Stirn ab. »Himmelherrgott, Sie sind ja völlig verrückt! Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen, Sie vorzustellen.«
Nachdem die Wette nun abgeschlossen ist und ihm das Risiko vor Augen steht, ist Anderson fast geneigt, Carlyle zuzustimmen. Den Thai U-Tex-Reis anzubieten birgt ein beträchtliches Risiko. Selbst wenn seine direkten Vorgesetzten ihm den Rücken decken, die Erbsenzähler in der Firma werden auf jeden Fall dagegen sein. Der Verlust eines Kalorienjägers ist bei weitem leichter zu verschmerzen als der einer der wichtigsten Saatgutsorten. Falls die Thai anfingen, ihren Reis zu exportieren, würde das auf Jahre hinaus den Profit untergraben. »Das geht schon klar«, sagt er. »Vertrauen Sie mir.«
»Ich soll Ihnen vertrauen?« Carlyles Hände zittern. »Bis ich den Megodonten vorgeworfen werde?« Er schaut sich um. »Ich sollte mich einfach vom Acker machen.«
»Das lassen Sie besser bleiben. Der Somdet Chaopraya hat seinen Wachleuten genaue Anweisungen erteilt. Falls wir jetzt unsere Meinung ändern sollten …« Er deutet mit einer Kopfbewegung auf die Männer, die in der Rikscha hinter ihnen sitzen. »Die töten uns, bevor wir auch nur einen Fuß auf die Straße setzen.«
Ein paar Minuten später kommen Hochhäuser in Sichtweite, die ihnen wohlvertraut sind.
»Ploenchit?«, fragt Carlyle. »Jesus und Noah, was soll der Somdet Chaopraya denn hier?«
»Beruhigen Sie sich. Schließlich haben Sie mich auf diese Idee gebracht.«
Anderson steigt aus der Rikscha. Der Somdet Chaopraya und sein Gefolge stehen etwas deplatziert vor dem Eingang. Der Somdet Chaopraya schenkt ihm einen mitleidigen Blick. »Das ist das Beste, was Ihnen einfällt? Mädchen? Sex?« Er schüttelt den Kopf.
»Urteilen Sie nicht zu früh.« Anderson bedeutet ihnen, ihm zu folgen. »Bitte. Es tut mir leid, dass wir die Treppe hinabsteigen müssen. Natürlich schickt sich dieses Etablissement nicht für einen Mann Ihres Ranges. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die Erfahrung es wert ist.«
Der Somdet Chaopraya zuckt mit den Schultern und lässt Anderson vorausgehen. Seine Wachleute halten sich ganz dicht bei ihnen — die Dunkelheit und die enge Treppe machen sie nervös. Die Junkies und Huren, die dort herumlungern, erkennen den Somdet Chaopraya und werfen sich sofort auf den Bauch. Die Nachricht von seiner Ankunft eilt vor ihm die Stufen hinauf. Die Wachleute laufen voraus und suchen die Finsternis ab.
Die Türen zum Club gehen auf. Mädchen fallen auf die Knie. Der Somdet Chaopraya schaut sich angewidert um. »Hierher geht ihr Farang also, um euch zu vergnügen!«
»Wie ich bereits gesagt habe — nicht eben besonders vornehm. Dafür bitte ich um Verzeihung.« Anderson winkt ihn zu sich herüber. »Hier entlang.« Er durchquert den Raum und zieht den Vorhang beiseite, hinter dem eine weitere Plattform zum Vorschein kommt.
Emiko liegt auf der Bühne, Kannika kniet über ihr. Männer drängen sich um sie, während Kannika das Aufziehmädchen aus der Reserve lockt, sie dazu zwingt, sich durch ihre Bewegungen zu verraten. Ihr Körper ruckt und zuckt im Licht der Glühwürmer. Der Somdet Chaopraya bleibt wie angewurzelt stehen und starrt sie an.
»Ich dachte, die gäbe es nur in Japan«, murmelt er.