16

Missmutig betrachtet Hock Seng den Tresor, der ihm direkt gegenüber an der Wand steht. Es ist früher Morgen im Büro von SpringLife, und eigentlich sollte er eifrig daran arbeiten, ein Kontobuch zu fälschen, bevor Mr Lake eintrifft, aber er kann sich auf nichts anderes konzentrieren als den Tresor. Das stählerne Ungetüm macht sich über ihn lustig, vom Rauch der Opfergaben eingehüllt, die nicht das Mindeste dazu beigetragen haben, seine Türen zu öffnen.

Seit dem Vorfall auf den Ankerplätzen ist er stets verriegelt, und der fremde Teufel schaut Hock Seng unentwegt über die Schulter und fragt ihn, wie es mit diesem und jenem Konto steht, neugierig und beharrlich. Und noch immer wartet der Kadaverkönig. Hock Seng hat sich erneut mit ihm getroffen, zweimal sogar. Jedes Mal war sein Geschäftspartner sehr geduldig gewesen, doch Hock Seng spürt seinen wachsenden Ärger — irgendwann wird er die Sache selbst in die Hand nehmen. Wenn Hock Seng noch lange wartet, hat er seine Chance verspielt.

Hock Seng kritzelt Zahlen in das Kontobuch, damit nicht auffällt, wie viel Geld er sich beim Kauf einer Behelfsspindel abgezweigt hat. Sollte er den Tresor einfach ausrauben? Und das Risiko eingehen, dass der Verdacht auf ihn fällt? In der Fabrik hat er Zugriff auf schweres Werkzeug, mit dem er sich innerhalb weniger Stunden durch den Stahl brennen könnte. Wäre das besser, als den Kadaverkönig warten zu lassen und zu riskieren, dass der Pate aller Paten seine eigenen Leute schickt? Hock Seng grübelt darüber nach, welche Möglichkeiten ihm bleiben. Doch wie er sich auch entscheidet, er beschwört damit Gefahren herauf, bei denen ihn das kalte Grausen packt. Wenn der Tresor beschädigt wird, klebt sein Gesicht bald an sämtlichen Laternenpfählen. Und gerade jetzt sollte man sich nicht mit einem fremden Teufel anlegen. Je mächtiger Akkarat wird, umso einflussreicher werden die Farang. Jeder Tag bringt neue Nachrichten darüber, wie die Weißhemden gedemütigt werden. Der Tiger von Bangkok ist jetzt ein Mönch mit rasiertem Kopf und ohne Familie oder Besitz.

Was wäre, wenn Mr Lake ganz verschwinden würde? Ein anonymes Messer in den Bauch, während er die Straße entlangschlendert vielleicht? Das wäre ein Leichtes. Billig, sogar. Für fünfzehn Baht würde sich Lachender Chan dazu gerne bereiterklären, und der fremde Teufel würde Hock Seng keinen Ärger mehr machen.

Es klopft an der Tür, und er blickt erschrocken auf. Rasch lässt er das Kontobuch unter dem Schreibtisch verschwinden. »Ja?«

Mai, das magere Mädchen von der Fertigungsstraße, steht auf der Türschwelle. Sie verneigt sich, und Hock Seng entspannt sich ein wenig. »Khun. Es gibt Probleme.«

Mit einem Lappen wischt er sich den Schweiß von den Händen. »Ja? Was denn?«

Ihr Blick schweift unruhig durch das Büro. »Es wäre besser, wenn Sie sich das selbst anschauen.«

Sie riecht geradezu nach Angst. Die Härchen in Hock Sengs Nacken richten sich auf. Sie ist kaum mehr als ein Kind. Er hat ihr hin und wieder einen Gefallen getan. Sie ist sogar in die engen Schächte unter der Spindel gekrochen, um die Kettenglieder zu untersuchen, bevor sie die Fertigungsstraße wieder in Betrieb nahmen, und hat sich damit wiederholt einen Bonus verdient … und trotzdem, etwas an ihrem Gebaren erinnert ihn an die Malaysier, die über sein Volk hergefallen sind. Damals konnten ihm auch seine Arbeiter, die so loyal und dankbar waren, plötzlich nicht mehr in die Augen schauen. Wenn er wirklich schlau gewesen wäre, hätte er vorausgesehen, dass das Blatt sich wendete. Hätte begriffen, dass die Tage der malaiischen Chinesen gezählt waren. Dass sogar ein Mann von seinem Format — der freigebig für wohltätige Zwecke spendete und sich um die Kinder seiner Angestellten kümmerte, als wären es seine eigenen — mit einem Bein im Grab stand.

Und jetzt steht Mai vor ihm und weicht seinem Blick aus. Sind sie gekommen, um ihn zu holen? Heimlich, still und leise? Mit einem harmlos wirkenden Mädchen als Köder? Steht das Ende der Yellow Cards bevor? Geht der Kadaverkönig zum Angriff über? Hock Seng tut so, als ließe ihn das alles kalt, und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. »Wenn du etwas zu sagen hast«, murmelt er, »dann sag es.«

Sie zögert. Ihre Angst ist unübersehbar. »Ist der Farang hier?«

Hock Seng wirft einen Blick auf die Uhr an der Wand. Sechs Uhr. »Nein. Der kommt erst in ein oder zwei Stunden. Früher ist er selten da.«

»Bitte, kommen Sie doch!«

Es hat ihn also wieder eingeholt. Er nickt. »Ja, natürlich.«

Er steht auf und geht zu ihr hinüber. Sie ist wirklich hübsch. Natürlich schicken sie ein hübsches Mädchen. Wie harmlos sie wirkt! Er kratzt sich den Rücken, hebt dabei den Saum seines Hemdes an und zieht das Messer hervor. Während er sich ihr nähert, hält er es noch verborgen. Wartet bis zum letzten Augenblick …

Er packt sie an den Haaren und zieht sie mit einem Ruck zu sich heran. Drückt ihr das Messer an die Kehle.

»Wer hat dich geschickt? Der Kadaverkönig? Die Weißhemden? Wer?«

Sie keucht auf, kann sich jedoch nicht befreien, ohne dass er ihr die Gurgel durchschneidet. »Niemand!«

»Hältst du mich für einen Narren?« Er drückt etwas fester zu, und die Klinge schneidet ihr in die Haut. »Wer ist es?«

»Niemand! Ich schwöre es!« Sie zittert vor Angst, aber Hock Seng lässt sie nicht los.

»Möchtest du mir etwas sagen? Oder möchtest du dein Geheimnis für dich behalten? Komm schon, raus damit.«

Sie ringt verzweifelt nach Luft. »Nein! Khun! Ich schwöre es! Ich habe nichts zu verbergen! Aber … Aber …«

»Ja?«

Sie sinkt kraftlos gegen ihn. »Die Weißhemden«, flüstert sie. »Wenn die Weißhemden herausfinden, dass …«

»Ich gehöre nicht zu den Weißhemden.«

»Es geht um Kit. Kit ist krank. Und Srimuang. Beide sind krank. Bitte. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte sagen Sie dem Farang nichts. Alle wissen, dass der Farang damit droht, die Fabrik zu schließen. Bitte. Meine Familie braucht … Bitte. Bitte.« Inzwischen schluchzt sie hemmungslos, fleht ihn an, sie zu retten, als wäre das Messer gar nicht da.

Hock zieht eine Grimasse und zieht das Messer weg. Er fühlt sich plötzlich alt. Was die Angst aus ihm gemacht hat! Jetzt verdächtigt er schon dreizehnjährige Mädchen, dass sie ihn umbringen wollen. Ihm ist übel. Er kann ihr nicht in die Augen schauen. »Warum hast du das nicht gleich gesagt«, murmelt er barsch. »Dummes Mädchen. Bei so etwas darf man sich nicht zieren.« Er hebt sein Hemd an und schiebt das Messer zurück in die Scheide. »Bring mich zu deinen Freunden.«

Vorsichtig wischt sie ihre Tränen ab. Sie ist nicht nachtragend. Wie viele junge Menschen ist sie anpassungsfähig. Nun, da die Krise vorüber ist, führt sie ihn aus dem Büro hinaus.

Unten in der Fertigungshalle treffen nach und nach die Arbeiter ein. Die großen Tore gehen klappernd auf, und die Sonne strömt herein. Dung- und Staubpartikel tanzen im Licht. Mai führt ihn durch den Klärraum, stapft durch den farblosen Staub der Rückstände und geht weiter in den Stanzraum.

Über ihnen trocknen die Algen in den Gittersieben und erfüllen die Fabrik mit ihrem Fischgestank. Mai führt ihn an der Stanzmaschine vorbei und schlüpft unter dem Fließband hindurch. Auf der anderen Seite stehen die Algentanks in stillen Reihen, voller Salz und Leben. Bei mehr als der Hälfte ist die Produktion ganz offensichtlich nur unzureichend. Ihre Oberfläche ist kaum von Algen bedeckt, obwohl der Überstand nach einer Nacht, in der nichts abgeschöpft wurde, mindestens zehn Zentimeter hoch sein müsste.

»Dort«, flüstert Mai und deutet mit dem Finger. Kit und Srimuang liegen beide an der Wand. Die beiden Männer starren mit stumpfem Blick zu Hock Seng empor. Hock Seng geht neben ihnen in die Hocke, berührt sie jedoch nicht.

»Haben sie zusammen gegessen?«

»Ich glaube nicht. Sie sind nicht miteinander befreundet.«

»Könnte es Cibiskose sein? Rostwelke? Nein.« Er schüttelt den Kopf. »Ich bin ein dummer alter Mann. Es ist keines von beidem. Sie haben kein Blut auf den Lippen.«

Kit stöhnt und versucht sich aufzusetzen. Hock zuckt zurück und unterdrückt den Drang, sich die Hände an seinem Hemd abzuwischen. Der andere, Srimuang, sieht noch schlimmer aus.

»Wofür war dieser Mann verantwortlich?«

Mai zögert. »Ich glaube, er war für die Tanks zuständig. Er hat das Fischmehl für die Algen hineingekippt.«

Hock Seng bekommt eine Gänsehaut. Zwei Todkranke. Die ausgerechnet neben den Tanks liegen, die auf Hock Sengs Drängen wieder in Betrieb genommen wurden, um Mr Anderson zufriedenzustellen. War das Zufall? Ihn schaudert, und er betrachtet den Raum mit neuen Augen. Überall ist der Boden feucht, und in der Nähe der rostigen Abflussgitter bilden sich Wasserlachen. Ein Algenfilm überzieht jede feuchte Oberfläche, gespeist von den überschüssigen Nährstoffen. Falls etwas mit den Tanks nicht in Ordnung ist, können sich die Keime ungehindert ausbreiten.

Hock Seng wischt sich instinktiv die Hände ab und hält dann inne, wobei er schon wieder eine Gänsehaut bekommt. Der graue Puder aus dem Klärraum klebt ihm an den Fingern — er hat den Vorhang beiseitegeschoben, als er hindurchgegangen ist. Er ist von potenziellen Krankheitsüberträgern umgeben. Über ihm hängen die Trockengitter; in dem trüben Licht des Lagerhauses scheint ihre Zahl endlos zu sein, und alle sind sie mit Überstand beschmiert, der allmählich schwarz wird. Von einem der Gitter fällt ein Wassertropfen herab. Klatscht neben seinem Fuß auf den Boden. In dem Moment wird ihm erst bewusst, was er da hört. Wenn die Fabrik voller Menschen war, hat er es nie wahrgenommen. Aber jetzt, in der Stille des anbrechenden Morgens, ist es überall: das sanfte Prasseln des Regens von den Gittern über ihnen.

Hock Seng steht unvermittelt auf; er muss sich zusammenreißen, um nicht in Panik auszubrechen.

Sei kein Narr. Du weißt nicht mit Sicherheit, dass es an den Algen liegt. Der Tod kommt in vielerlei Gestalt. Sie können sich alle möglichen Krankheiten eingefangen haben.

Kits Atem kommt nur noch stoßweise, doch in der Stille ist er nicht zu überhören; seine Brust hebt und senkt sich wie ein Blasebalg.

»Glauben Sie, das ist eine Epidemie?«, fragt Mai.

Hock Seng schaut sie wütend an. »Sag nicht so was! Möchtest du, dass die Dämonen uns heimsuchen? Oder die Weißhemden? Wenn sich das herumspricht, werden sie die Fabrik schließen. Und wir verhungern wie die Yellow Cards.«

»Aber …«

Draußen in der Haupthalle sind laute Stimmen zu hören.

»Sei still, Kind.« Hock Seng macht eine herrische Handbewegung und versucht verzweifelt, einen klaren Gedanken zu fassen. Es wäre eine Katastrophe, wenn die Weißhemden hier auftauchen würden. Dann hätte der fremde Teufel endlich einen Vorwand, Hock Seng zu feuern und die Fabrik dichtzumachen. Und er müsste wieder in den Hochhäusern Zuflucht suchen, wo er wahrscheinlich verhungern würde. Dabei stand er kurz davor, seine Pläne zu verwirklichen! Er durfte jetzt nicht sterben.

In der Fertigungshalle rufen die Arbeiter einander Begrüßungen zu. Ein Megodont ächzt. Türen fahren klappernd auf. Die Hauptschwungräder erwachen grollend aus ihrem Schlummer, als jemand einen Testlauf durchführt.

»Was sollen wir machen?«, fragt Mai.

Hock Seng lässt den Blick über die Tanks und Maschinen schweifen. Durch die immer noch leeren Räume. »Bist du die Einzige, die weiß, dass sie krank sind?«

Mai nickt. »Ich habe sie so vorgefunden, als ich hereingekommen bin.«

»Bist du sicher? Hast du es auch bestimmt niemandem gegenüber erwähnt, als du nach mir gesucht hast? Und ist auch niemand hier hereingekommen? Und hat die beiden gesehen und sich vielleicht gedacht, es wäre besser, sich einen Tag freizunehmen?«

Mai schüttelt den Kopf. »Nein. Ich war alleine. Am Stadtrand nimmt mich immer ein Bauer auf seinem Langschwanzboot mit, die Khlongs hinunter. Ich bin immer sehr früh hier.«

Hock Seng mustert die beiden Kranken und dann das Mädchen. Vier Menschen in einem Raum. Vier. Bei dem Gedanken verzieht er das Gesicht. Was für eine Unglückszahl! Sz. Vier. Sz. Der Tod. Drei ist eine bessere Zahl, oder Zwei …

Oder Eins.

Eins ist die ideale Zahl, um ein Geheimnis zu wahren. Ohne sich dessen bewusst zu sein, wandert Hock Sengs Hand zu dem Messer. Das Mädchen. Eine schlimme Sache. Aber weniger schlimm als die Zahl vier.

Das Mädchen hat die langen schwarzen Haare zu einem Knoten hochgebunden, damit sie sich nicht im Fließband verfangen. Ihr Hals ist ungeschützt. Ihre Augen schauen ihn vertrauensvoll an. Hock Seng wendet den Blick ab, betrachtet noch einmal prüfend die beiden Kranken, grübelt über die unheilvollen Zahlen nach. Vier, vier, vier. Der Tod. Eins ist besser. Eins ist am besten. Er atmet tief durch und fällt eine Entscheidung. Er streckt den Arm nach ihr aus. »Komm her.«

Sie zögert. Er legt die Stirn in Falten und winkt sie zu sich heran. »Du möchtest doch deinen Job behalten, oder?«

Sie nickt bedächtig.

»Dann komm her. Diese beiden müssen ins Krankenhaus, habe ich Recht? Hier können wir ihnen nicht helfen. Und zwei kranke Männer, die neben den Algentanks liegen, sind nicht gut für uns. Nicht, wenn wir weiterhin etwas zu essen haben wollen. Ich möchte, dass du sie zum Seiteneingang bringst. Dort werde ich auf dich warten. Geh nicht durch die Haupthalle. Nimm den Weg unter dem Fließband hindurch. Hast du verstanden?«

Sie nickt unsicher. Er klatscht in die Hände, damit sie sich endlich in Bewegung setzt. »Schnell jetzt! Schnell! Wenn es nicht anders geht, dann schleif sie über den Boden!« Er deutet auf die beiden Männer. »Bald wimmelt es hier nur so von Arbeitern. Einer ist schon zu viel, wenn es darum geht, ein Geheimnis für sich zu behalten. Und wir sind zu viert! Hilf mir, diese Zahl auf zwei zu reduzieren. Alles ist besser als vier.« Der Tod.

Sie schnappt ängstlich nach Luft, doch dann werden ihre Augen schmal. Entschlossen geht sie in die Hocke und müht sich mit Kit ab. Hock Seng wartet noch einen Moment, um sich zu überzeugen, dass sie seinen Anweisungen folgt, und schlüpft dann hinaus.

In der Fertigungshalle wird immer noch gelacht; die Arbeiter verstauen ihr Mittagessen. Niemand hat es eilig. Die Thai sind faul. Wenn das chinesische Yellow Cards wären, hätten sie längst mit der Arbeit angefangen, und alles wäre verloren. Dieses eine Mal ist Hock Seng froh, dass er mit Thai zusammenarbeitet. Ihm bleibt noch ein wenig Zeit. Er schlüpft durch den Seiteneingang hinaus.

Die Gasse ist leer. Hohe Fabrikmauern säumen den schmalen Durchgang. Hock Seng hastet zur Phosri Street und ihrem Gewirr aus Frühstücksbuden, dampfenden Nudeln und schmutzigen Kindern. Eine Fahrradrikscha rast an der Mündung der Gasse vorbei.

»Wei!«, ruft er laut. »Samloh! Samloh! Warten Sie!« Aber er ist zu weit weg.

Er hinkt zur Kreuzung, wobei er sein kaputtes Knie schont. Dort angekommen, entdeckt er eine weitere Rikscha. Er winkt dem Fahrer. Der Mann schaut sich um, ob ein Konkurrent in der Nähe ist, und tritt dann halbherzig in die Pedale; er gleitet die leichte Steigung hinauf und kommt auf Hock Seng zugerollt.

»Schneller!«, schreit Hock Seng. »Kuai yidian, du Hundeficker! «

Der Fahrer ignoriert die Beleidigung und lässt sein Fahrrad ausrollen. »Sie haben nach mir gerufen, Khun?«

Hock Seng steigt ein und deutet in die schmale Gasse. »Ich habe Fahrgäste für dich, wenn du dich beeilst.«

Der Thai wendet ächzend. Die Kette des Fahrrads klackert gemächlich. »Doppelter Fahrpreis. Schnell, schnell!« Er fuchtelt wild in der Luft herum.

Der Fahrer strengt sich nur unwesentlich mehr an. Die Rikscha bewegt sich so schnell wie ein behäbiger Megodont. Vor ihnen taucht Mai auf. Für einen Moment befürchtet Hock Seng, sie könnte so dumm sein und die Kranken herausschaffen, bevor die Rikscha sie erreicht hat, aber Kit ist nirgendwo zu sehen. Erst als der Fahrer schon abbremst, zerrt sie den ersten halb bewusstlosen Arbeiter auf die Gasse.

Der Rikschafahrer zuckt zusammen, als er den Kranken sieht, aber Hock Seng beugt sich über seine Schulter und zischt: »Dreifacher Fahrpreis.« Er packt Kit und wuchtet ihn auf den Sitz der Rikscha, bevor der Thai protestieren kann. Mai verschwindet wieder in der Fabrik.

Der Rikschafahrer mustert Kit misstrauisch. »Was ist mit ihm?«

»Er ist betrunken«, sagt Hock Seng. »Er und sein Freund. Wenn der Chef sie erwischt, feuert er sie.«

»Der sieht mir nicht aus, als wäre er betrunken.«

»Du irrst dich.«

»Nein. Der sieht aus, als ob …«

Hock Seng starrt den Thai an. »Die Weißhemden werden ihr Netz ebenso über dich werfen wie über mich. Er sitzt in deiner Rikscha und atmet dieselbe Luft wie du.«

Der Fahrer reißt entsetzt die Augen auf. Hock Seng nickt, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Es hat keinen Sinn, sich jetzt zu beschweren. Ich sage, dass sie betrunken sind. Sobald du zurück bist, bekommst du den dreifachen Fahrpreis.«

Mai kommt mit dem zweiten Arbeiter aus der Tür, und Hock Seng hilft ihr, ihn auf den Sitz zu hieven. Mai steigt zu dem Fahrer hinauf. »Krankenhäuser«, sagt Hock Seng und beugt sich dann dicht zu ihr hin. »Aber zwei verschiedene, ja?«

Mai nickt bestimmt.

»Gut. Kluges Mädchen.« Hock Seng tritt zurück. »Na los! Beeilt euch!«

Die Rikscha setzt sich in Bewegung, und zwar deutlich schneller als zuvor. Hock Seng blickt ihr nach. Die Köpfe des Fahrers und der drei Fahrgäste hüpfen auf und ab, während die Räder über das Pflaster holpern. Er verzieht das Gesicht. Wieder vier! Eine schlechte Zahl, ohne Frage. Er versucht, seine Angst zu unterdrücken, und fragt sich, ob er überhaupt noch in der Lage ist, klar zu denken. Er wird immer mehr zu einem alten Mann, der sich vor seinem eigenen Schatten fürchtet.

Wäre es nicht besser, wenn Mai und Kit und Srimuang im trüben Wasser der Chao Phraya schwimmen würden, Futter für die Rotflossen-Plaa? Wenn sie nur namenlose Körperteile wären, die zwischen den dahinziehenden Leibern hungriger Karpfen langsam untergingen?

Vier. Sz. Der Tod.

Ein Schauder läuft ihm den Rücken hinunter — wenn er sich nur nicht angesteckt hat. Unwillkürlich wischt er sich die Hände an seiner Hose ab. Er muss ein Bad nehmen. Sich mit Chlorbleiche abreiben und hoffen, dass das genügt. Die Rikscha verschwindet mit ihrer verseuchten Fracht hinter der nächsten Häuserecke. Hock Seng geht wieder hinein, zurück in die Fertigungshalle, wo die Fließbänder rattern und die Arbeiter einander ihren morgendlichen Gruß zurufen.

Bitte lass es Zufall sein, betet er. Bitte lass es nicht das Fließband sein.

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