Gegen elf Uhr mittags trifft ein Armeelaster ein — ein riesiges Gefährt, eingehüllt in eine Abgaswolke und so verblüffend laut, als handele es sich um ein Wesen aus der Zeit der Großen Expansion. Sie hört ihn bereits, als er noch einen ganzen Häuserblock entfernt ist, aber obwohl sie dadurch hätte vorgewarnt sein müssen, entfährt ihr beim Anblick des Ungetüms beinahe ein Schrei. Es ist so schnell! So entsetzlich laut! In Japan hat sie einmal ein ähnliches Fahrzeug gesehen. Gendo-sama erklärte ihr damals, es werde mit flüssiger Kohle angetrieben. Erstaunlich nicht nur, was das Kohlendioxidkontingent betraf, sondern auch hinsichtlich der fast schon magischen Kräfte, die es besaß. Als wären zwölf Megodonten im Innern angekettet. Auch wenn weder eine solche Kraft noch die Steuerlast für einen zivilen Einsatz gerechtfertigt ist, für militärische Zwecke scheint das Gefährt ideal.
Bläuliche Abgaswolken wirbeln um den Lastwagen, als er anhält. Dahinter kommt eine kleine Flotte von Spannfederrollern angerauscht, deren Fahrer das Schwarz der königlichen Panther und das Grün des Militärs tragen. Männer strömen aus dem Laster und stürmen Anderson-Samas Gebäude.
Emiko duckt sich noch ein wenig tiefer in ihr Versteck in der Seitenstraße. Zuerst hatte sie an Flucht gedacht, doch schon nach wenigen Metern war ihr klargeworden, dass es keinen Ort mehr gab, an den sie gehen konnte. Anderson-sama war ihr einziges Rettungsfloß auf stürmischer See.
Also bleibt sie in der Nähe und beobachtet den Ameisenhügel, in dem Anderson wohnt. Versucht sich ein Bild zu machen. Sie ist immer noch verblüfft, weil die Menschen vor seiner Haustür keine Weißhemden sind. Es hätten Weißhemden sein müssen. In Kyoto hätte die Polizei Spürhunde eingesetzt, und sie wäre längst gnädig eingeschläfert worden. Noch nie hat sie von einem Neuen Menschen gehört, der seine Gehorsamspflicht in solchem Maße verletzt hat. Noch nie hat es ein solches Blutvergießen gegeben, und auch ihre Flucht ist einzigartig. Wut und Scham kämpfen in ihr um die Oberhand. Auch wenn sie besser nicht hier wäre, so ist doch die Wohnung des Gaijin der letzte sichere Ort, der ihr geblieben ist, obwohl er gerade durchsucht wird. Die Stadt, die sie umgibt, ist ihr nicht wohlgesinnt.
Immer mehr Truppen ergießen sich aus dem Militärlaster. Während sie ausschwärmen, weicht Emiko noch weiter in die Seitengasse zurück.
Sie rechnet fest damit, dass sie ihr Einsatzgebiet ausdehnen werden, also macht sie sich auf die Flucht gefasst, auf einen erneuten Ausbruch von Hitze und Bewegung. Wenn sie schnell losrennt, könnte sie den Khlong erreichen und sich dort abkühlen, bevor sie weiterflieht.
Doch die Posten nehmen nur entlang der Hauptverkehrsadern Aufstellung und scheinen keinerlei Suchaktion zu planen.
Dann kommt wieder Bewegung in das Bild. Panther zerren zwei Männer, deren Köpfe von Kapuzen verdeckt sind, aus dem Haus. Ihre Hände sind weiß. Es müssen Gaijin sein. In einem von ihnen meint sie Anderson-sama zu erkennen. Es sind seine Kleider. Sie schubsen ihn vor sich her, er stolpert. Dann kracht er gegen die Rückseite des Lasters.
Fluchend hieven ihn zwei der Panther hinein. Sie legen ihm Handschellen an und setzen ihn neben den zweiten Gaijin. Weitere Einsatzkräfte eilen herbei und kreisen die Männer ein.
Dann rauscht eine Limousine heran, fährt über die Bordsteinkante und hält direkt vor dem Haus. Der Dieselmotor schnurrt leise — ein seltsamer Kontrast zu dem Lärm, den der Truppentransporter veranstaltet, doch die Abgaswolken sind die gleichen. Das Gefährt eines reichen Mannes. Ein derartiger Wohlstand ist fast schon unvorstellbar.
Emiko stockt der Atem. Akkarat, der Handelsminister, wird von seinen Leibwächtern in das wartende Auto geleitet. Passanten bleiben stehen und reißen die Augen auf. Emiko tut es ihnen gleich. Dann setzt sich die Limousine in Bewegung, und auch der Truppentransporter fährt, von dröhnendem Motorenlärm begleitet, wieder los. Die beiden Fahrzeuge rasen die Straße hinunter und verschwinden hinter der nächsten Ecke; zurück bleiben nur Rauchwolken.
Stille senkt sich über die Straße, nach dem Grollen des schweren Motors ist sie fast schon greifbar. Sie hört das Gemurmel der Menge: »Politisch … Akkarat … Farang? … General Pracha …«
Doch selbst ihr gutes Gehör kann keinen Sinn in den Wortfetzen ausmachen. Sie starrt dem Transporter nach. Wenn sie sich Mühe geben würde, könnte sie vielleicht die Verfolgung aufnehmen … Sie verwirft die Idee sofort wieder. Unmöglich. Wo auch immer Anderson-sama jetzt ist, es geht sie nichts an. In was für politische Schwierigkeiten er auch verwickelt sein mag, es wird hässlich ausgehen — wie immer bei solchen Dingen.
Emiko überlegt, ob sie sich vielleicht einfach zurück in die Wohnung schleichen kann, jetzt, da alle weg sind. In der Nähe des Haupteingangs haben ein paar Männer damit begonnen, Handzettel zu verteilen. Zwei weitere fahren auf einem Lastenfahrrad vorbei. Sie haben stapelweise Flugblätter im Gepäck. Noch im Fahren springt einer der Männer ab und klebt einen Flyer an den nächsten Laternenpfahl, bevor er wieder aufsteigt.
Emiko geht auf die beiden zu, um sich einen der Zettel zu nehmen, doch ein Anflug von Paranoia hält sie zurück. Also lässt sie die Männer vorbeiklappern und nähert sich dann vorsichtig dem Laternenpfahl, um zu sehen, was sie dort angeschlagen haben. Sie konzentriert sich ganz darauf, ihre Bewegungen gleichmäßig und natürlich wirken zu lassen, um keine ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Vorsichtig drängt sie sich durch die Menge, die sich dort versammelt hat, und versucht, einen Blick über dieses Meer schwarzer Haare und sich reckender Köpfe zu werfen, wobei sie immer wieder gegen jemanden stößt.
Ein wütendes Gemurmel erhebt sich. Jemand schluchzt laut auf. Ein Mann wendet sich mit vor Entsetzen und Schmerz weit aufgerissenen Augen ab. Er zwängt sich an ihr vorbei. Emiko schlüpft in die Lücke, die er hinterlassen hat. Das Gemurmel wird lauter. Emiko schiebt sich vorsichtig weiter nach vorne, vorsichtig, vorsichtig, langsam, langsam … Ihr Atem setzt aus.
Der Somdet Chaopraya. Der Beschützer Ihrer königlichen Majestät, der Königin. Und Worte … Sie zwingt ihr Gehirn dazu, die Informationen zu verarbeiten, aus dem Thailändischen ins Japanische zu übersetzen. Während sie das tut, wird sie sich der sie umgebenden Menschen überdeutlich bewusst; Menschen, die sie von allen Seiten bedrängen, und sie alle lesen gerade von einem Aufziehmädchen, das sich unter ihnen bewegt, ein Aufziehwesen, das den Beschützer der Königin abgeschlachtet hat, eine Agentin des Umweltministeriums, eine todbringende Kreatur.
Sie alle wollen einen Blick auf den Text erhaschen, rempeln sich gegenseitig an, drängen an ihr vorbei, halten sie für eine von ihnen. All diese Menschen lassen sie nur deshalb weiter am Leben, weil sie sie noch nicht erkannt haben.