24

Kanya sitzt inmitten der Trümmer, die die wütenden Weißhemden zurückgelassen haben, und trinkt ihren Kaffee. Die wenigen anderen Gäste halten missmutig Distanz zu ihr und hören einem Muay-Thai-Kampf zu, der in einem Kurbelradio übertragen wird. Kanya macht sich auf der einzigen Bank breit und schenkt ihnen keine Beachtung. Niemand wagt es, sich neben sie zu setzen.

Früher hätten sie ihr vielleicht Gesellschaft geleistet, aber jetzt haben die Weißhemden die Zähne gezeigt, und sie bleibt allein. Ihre Männer sind schon vorausgegangen — sie plündern wie die Schakale, räumen mit alten Geschichten und zweifelhaften Übereinkünften auf, machen reinen Tisch.

Dem Inhaber, der sich über die dampfenden Reisnudeltöpfe beugt, tropft Schweiß vom Kinn. In seinem nassen Gesicht spiegelt sich das blaue Flackern des illegalen Methans. Er schaut Kanya nicht an — wahrscheinlich verflucht er den Tag, an dem er Brennstoff auf dem Schwarzmarkt gekauft hat.

Das blecherne Knistern des Radios und die leisen Rufe der Menschenmenge im Lumphini wetteifern mit dem Brutzeln des Woks, in dem Sen Mi die Suppe kocht. Keiner der Zuhörer blickt in ihre Richtung.

Kanya trinkt ihren Kaffee und lächelt grimmig. Gewalt ist eine Sprache, die sie verstehen. Ein nachgiebiges Umweltministerium haben sie ignoriert, ja sogar verhöhnt. Aber dieses Ministerium, das die Schlagstöcke schwingt und die Federpistolen gezückt hat, ruft eine andere Reaktion hervor.

Wie viele Garküchen, die illegales Gas verbrannten, hat sie schon demoliert? Garküchen wie diese hier? Garküchen, deren Inhaber so arm waren, dass sie sich das vom Königreich besteuerte und genehmigte Methan nicht leisten konnten? Hunderte, schätzt sie. Methan ist teuer. Schmiergelder sind billiger. Und wenn dem Gas vom Schwarzmarkt die Zusatzstoffe fehlten, die dem Methan den sicheren grünen Farbton verliehen, dann war das ein Risiko, das sie alle bereitwillig eingingen.

Wir sind so leicht zu bestechen.

Kanya zieht eine Zigarette hervor und zündet sie an der verräterischen Flamme unter dem Wok an. Der Mann hinter der Theke tut weiterhin so, als wäre sie gar nicht da — eine angenehme Fiktion für sie beide. Sie ist keine Frau in weißer Uniform, die an seinem illegalen Verkaufsstand sitzt; und er ist kein Yellow Card, den sie in die Hochhäuser werfen könnte, wo er unter seinen Landsleuten schwitzen und sterben würde.

Gedankenverloren zieht sie an ihrer Zigarette. Selbst wenn er seine Angst nicht zeigt, ahnt sie, was er empfindet. Sie weiß noch gut, wie die Weißhemden bei ihr im Dorf einfielen. Sie füllten den Fischteich ihrer Tante mit Salz, schlachteten ihr Geflügel und verbrannten die Kadaver in großen Haufen.

Du hast Glück, Yellow Card. Als die Weißhemden zu uns kamen, ließen sie überhaupt nichts mehr übrig. Sie kamen mit ihren Fackeln und brannten alles nieder. Du wirst besser behandelt als wir.

Bei der Erinnerung an jene blassen, rußbeschmierten Männer mit dämonischen Augen hinter Schutzmasken will sie jetzt noch in Deckung gehen. Sie kamen nachts, ohne jede Vorwarnung. Ihre Nachbarn und Verwandten flohen nackt und schreiend vor den Fackeln. Hinter ihnen gingen ihre Pfahlhäuser in Flammen auf, orange Feuerzungen loderten in der Dunkelheit an Bambus und Palmen empor. Asche stob überall auf, verbrannte ihnen die Haut, und alles würgte und hustete. Die Narben von damals hat sie immer noch — blasse Abdrücke, wo brennende Holzstücke auf ihren dünnen Kinderarmen landeten. Wie sie die Weißhemden hasste! Sie und ihre Familie hatten sich aneinandergedrängt und voller Ehrfurcht und Entsetzen mitangesehen, wie das Umweltministerium ihr Dorf in Schutt und Asche legte; und sie hatte sie schon damals von ganzem Herzen gehasst.

Und jetzt befiehlt sie ihrer eigenen Truppe, genau dasselbe zu tun. Jaidee hätte die Ironie zu schätzen gewusst.

Aus einiger Entfernung steigen Angstschreie himmelwärts, so schwarz und ölig wie Rauch von der brennenden Hütte eines Bauern. Kanya atmet tief ein. Fast empfindet sie so etwas wie Nostalgie. Der Rauch ist derselbe. Sie zieht wieder an ihrer Zigarette, atmet aus. Fragt sich, ob ihre Männer nicht vielleicht doch übertreiben. Ein Feuer in diesen WeatherAll-Slums wäre ein ziemliches Problem. Die Öle, die das Holz vor Fäulnis schützen, entzünden sich bei Hitze leicht. Sie raucht gemächlich weiter. Was soll sie auch dagegen tun? Wahrscheinlich ist das nur ein Offizier, der illegal gesammeltes Altholz verbrennt. Sie streckt die Hand nach ihrer Kaffeetasse aus und betrachtet den Bluterguss auf der Wange des Mannes, der sie bedient.

Wenn es nach dem Umweltministerium ginge, befänden sich all diese Yellow-Card-Flüchtlinge auf der anderen Seite der Grenze. Ein Problem der Malaien. Das Problem eines anderen souveränen Staates. Nicht des Königreichs. Aber Ihre Majestät die Kindskönigin ist gnädig und barmherzig. Im Unterschied zu Kanya.

Kanya drückt ihrer Zigarette aus. Das ist guter Tabak, Gold Leaf, ein einheimisches Konstrukt, der Beste im ganzen Königreich. Sie zieht eine weitere Zigarette aus der Schachtel aus Hirsefolie und zündet sie an der blauen Flamme an.

Der Yellow Card bemüht sich weiterhin um eine höfliche Miene, als sie ihm bedeutet, er möge ihr süßen Kaffe nachschenken. Im Stadion wird gejubelt, und auch die Männer, die sich um das knisternde Radio versammelt haben, jubeln — für den Augenblick haben sie die Frau in der weißen Uniform vergessen.

Die Schritte sind fast lautlos, den Jubelrufen angepasst, aber der Gesichtsausdruck des Yellow Card verrät seine Ankunft. Kanya blickt nicht auf. Sie gibt dem Mann, der neben ihr steht, mit einer Geste zu verstehen, dass er sich zu ihr setzen soll.

»Entweder tötest du mich, oder du setzt dich hin«, sagt sie.

Ein leises Kichern. Der Mann setzt sich.

Narong trägt ein weites Hemd mit schwarzem Stehkragen und eine graue Hose. Ordentliche Kleider. Ein Büroangestellter vielleicht. Nur seine Augen verraten ihn: Sie sind zu aufmerksam. Und sein Körper ist zu entspannt. Er strahlt eine Arroganz aus, die nur mit Mühe in diese Kleider passt. Manche Menschen sind einfach zu mächtig, um einen niedrigeren Status vorzutäuschen. Aus diesem Grund ist er auch auf den Ankerplätzen aufgefallen. Sie unterdrückt ihren Zorn und wartet schweigend.

»Gefällt Ihnen die Seide?« Er streicht über sein Hemd. »Sie kommt aus Japan. Dort gibt es noch Seidenwürmer.«

Sie zuckt mit den Achseln. »Ich mag rein gar nichts an Ihnen, Narong.«

Darüber muss er lächeln. »Jetzt aber, Kanya. Da hat man Sie zum Hauptmann befördert, und Sie freuen sich nicht einmal. «

Er bedeutet dem Yellow Card, ihm Kaffee einzuschenken. Sie schauen zu, wie die dunkelbraune Flüssigkeit in ein Glas fließt. Der Yellow Card stellt eine Schüssel Suppe vor Kanya auf die Theke, Fischbällchen, Zitronengras und Hühnerbrühe. Sie fängt an, U-Tex-Nudeln herauszufischen.

Narong sitzt geduldig neben ihr. »Sie haben um dieses Treffen gebeten«, sagt er schließlich.

»Haben Sie Chaya umgebracht?«

Narong richtet sich auf. »Ihnen hat es schon immer an Umgangsformen gefehlt. Obwohl Sie schon so lange in der Stadt leben und wir Ihnen so viel Geld gegeben haben, benehmen Sie sich noch immer wie ein Fischfarmer vom Mekong.«

Kanya mustert ihn mit ausdrucksloser Miene. Wenn Sie ehrlich ist, muss sie sich eingestehen, dass sie Angst vor ihm hat, aber sie weiß es zu verbergen. Hinter ihr ertönt erneut Jubel aus dem Radio. »Sie sind genauso widerlich wie Pracha«, sagt sie.

»Als Sie noch ein kleines, verletzliches Mädchen waren und wir zu Ihnen kamen, um Sie nach Bangkok zu holen, waren Sie anderer Meinung. Schließlich haben wir jahrelang Ihre Tante unterstützt. Und wir haben Ihnen die Gelegenheit gegeben, General Pracha und den Weißhemden einen vernichtenden Schlag zu versetzen.«

»Alles hat Grenzen. Chaya hat nichts getan.«

Wie er sie jetzt ansieht, gleicht Narong noch immer einer Spinne. Schließlich sagt er: »Jaidee hat den Bogen überspannt. Sie haben ihn sogar gewarnt. Passen Sie bloß auf, dass Sie nicht selbst in den Rachen der Kobra springen.«

Kanya will etwas erwidern, überlegt es sich dann jedoch anders. Als sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle hat, sagt sie: »Werden Sie mit mir dasselbe machen wie mit Jaidee?«

»Kanya, wie lange kennen wir uns jetzt schon?« Narong lächelt. »Wie lange kümmere ich mich jetzt schon um Ihre Familie? Sie sind unsere geschätzte Tochter.« Er schiebt ihr einen dicken Umschlag zu. »Ich würde ihnen niemals etwas tun«, fährt er fort. »Wir sind nicht wie Pracha.« Narong hält einen Moment inne. »Wie wird der Tod des Tigers in Ihrer Abteilung aufgenommen?«

»Schauen Sie sich um!« Kanya deutet mit einer Kopfbewegung in die Richtung, aus der die Wut- und Schmerzensschreie kommen. »Der General ist außer sich. Jaidee war für ihn fast wie ein Bruder.«

»Ich habe gehört, dass er das Handelsministerium direkt angreifen will. Es vielleicht sogar in Schutt und Asche legen.«

»Natürlich will er das. Ohne das Handelsministerium hätten wir nur halb so viele Probleme.«

Narong zuckt mit den Schultern. Der Umschlag liegt zwischen ihnen. Ebenso gut könnte Jaidees Herz auf der Theke liegen. Sie hat lange darauf gewartet, Rache zu nehmen. Jetzt ist es ihr gelungen.

Es tut mir leid, Jaidee. Ich habe versucht, dich zu warnen.

Sie greift nach dem Umschlag, nimmt das Geld heraus und stopft es sich in eine Gürteltasche, während Narong ihr dabei zuschaut. Selbst das Lächeln dieses Mannes ist so scharf wie eine Rasierklinge. Das Haar hat er sich nach hinten gegelt — es glänzt seidig. Regungslos sitzt er da und wirkt dabei furchterregend.

Und mit seinesgleichen haben Sie sich eingelassen, murmelt eine Stimme in ihrem Kopf.

Kanya zuckt zusammen. Die Stimme hat sich angehört wie Jaidee. Genauso ironisch und unerbittlich. Eine klare Aussage, aber mit Humor vorgetragen. Jaidee hatte nie seinen Sinn für Sanuk verloren.

Ich bin nicht Ihresgleichen, denkt Kanya bei sich.

Wieder das Grinsen und das Kichern. Das wusste ich doch.

Warum haben Sie mich dann nicht einfach umgebracht?

Die Stimme schweigt. Hinter ihnen dringt noch immer der Jubel im Muay-Thai-Stadion aus dem Radio. Charoen und Sakda. Ein guter Kampf. Aber entweder hat Charoen eine Menge dazugelernt, oder Sakda ist dafür bezahlt worden zu verlieren. Kanya kann ihren Wetteinsatz abschreiben. Das riecht nach einem abgekarteten Spiel. Vielleicht hat sich der Kadaverkönig eingemischt. Kanya verzieht ärgerlich das Gesicht.

»Ein schlechter Kampf?«, fragt Narong.

»Ich setze immer auf den Falschen.«

Narong lacht. »Deshalb ist es hilfreich, vorab an Informationen zu kommen.« Er reicht ihr einen Fetzen Papier.

Kanya überfliegt die Namensliste. »Das sind alles Freunde von Pracha. Manche davon sogar Generäle. Sie stehen unter seinem Schutz, wie die Kobra über den Buddha wachte.«

Narong grinst. »Umso überraschter werden sie sein, wenn er sich plötzlich gegen sie wendet. Nehmen Sie sie in die Mangel. Es muss richtig wehtun. Zeigen Sie ihnen, dass niemand das Umweltministerium auf die leichte Schulter nehmen darf. Dass das Ministerium alle Verstöße gleichermaßen ahndet. Keine Vetternwirtschaft mehr! Führen Sie ihnen vor Augen, dass das Umweltministerium unnachgiebig ist.«

»Sie möchten einen Keil zwischen Pracha und seine Verbündeten treiben? Sie wütend auf ihn machen?«

Narong zuckt mit den Schultern. Erwidert nichts. Kanya isst ihre Nudeln auf. Als ihr keine weiteren Anweisungen mehr erteilt werden, steht sie auf. »Ich muss los. Meine Männer dürfen uns nicht miteinander sehen.«

Narong entlässt sie mit einem Kopfnicken. Kanya stolziert aus der Garküche hinaus, während die Radiozuhörer erneut ein enttäuschtes Stöhnen ausstoßen — Sakda lässt sich offenbar von Charoens wiedererwachter Wildheit einschüchtern.

An der Straßenecke zieht Kanya im grünen Schein des Methans ihre Uniform straff. Auf ihrer Jacke sind Flecken — Überbleibsel der Zerstörung, die sie in den letzten Stunden angerichtet hat. Angewidert runzelt sie die Stirn. Fährt mit der Hand darüber. Betrachtet noch einmal die Liste, die Narong ihr gegeben hat, und prägt sich die Namen ein.

Bei diesen Männern und Frauen handelt es sich um die engsten Freunde von General Pracha. Und sie wird nun mit derselben Strenge gegen sie vorgehen wie gegen die Yellow Cards in ihren Hochhäusern. So energisch wie General Pracha vor vielen Jahren gegen ein kleines Dorf im Nordosten vorgegangen ist, wobei er hungernde Familien und brennende Hütten zurückließ.

Schwierig. Aber ausnahmsweise auch fair.

Kanya zerknüllt die Liste in ihrer Hand. So ist es nun mal auf unserer Welt, denkt sie bei sich. Wie du mir, so ich dir, bis wir alle tot sind und die Cheshire unser Blut auflecken.

Sie fragt sich, ob es früher wirklich besser war, ob es wirklich einmal ein Goldenes Zeitalter gegeben hat, angetrieben von Erdöl und Technologie. Eine Zeit, als nicht jede Lösung eines Problems sofort ein weiteres Problem nach sich zog. Sie möchte die Farang verfluchen, die das alles verschuldet haben. Die Kalorienmänner mit ihren auf Hochtouren arbeitenden Laboren und ihren sorgsam herangezogenen Getreidesorten, die, so hieß es, die ganze Welt ernähren würden. Mit ihren optimierten Tieren, die so viel weniger Kalorien benötigen und so viel effizienter sind. Die AgriGens und PurCals, die behaupteten, ihnen käme es nur darauf an, den Hunger auszurotten, ihr patentiertes Getreide zu exportieren, und dann fanden sie immer eine Entschuldigung, das hinauszuzögern.

Ach Jaidee, denkt sie. Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Wegen allem, was ich Ihnen und Ihrer Familie angetan habe. Eigentlich wollte ich Ihnen gar nicht wehtun. Wenn ich gewusst hätte, wie hoch der Preis dafür ist, an Pracha Rache zu nehmen, wäre ich nie nach Krung Thep gekommen.

Anstatt ihren Soldaten zu folgen, sucht sie einen Tempel auf. Es ist nur ein winziger Nachbarschaftsschrein, um den sich eine Handvoll Mönche kümmern. Ein kleiner Junge kniet neben seiner Großmutter vor dem glitzernden Bildnis des Buddha, ansonsten ist der Raum leer. Kanya kauft dem Händler am Eingang ein paar Räucherstäbchen ab und geht hinein. Sie zündet sie an und kniet nieder, hält sich die brennenden Stäbchen an die Stirn und hebt sie dreimal hoch, um zu den drei Juwelen — Buddha, Dharma und Sangha — Zuflucht zu nehmen. Sie betet.

Wie viele böse Taten hat sie begangen? Wie viel schlechtes Kamma hat sie auf sich geladen? War es wichtiger, Akkarat treu zu bleiben und seinen Versprechen zu glauben, dass er die Waage ins Gleichgewicht bringen würde? Oder war es wichtiger, ihrem Adoptivvater Jaidee treu zu bleiben?

Ein Mann kommt in dein Dorf und verspricht dir Essen, ein Leben in der Stadt und Geld für den Husten deiner Tante und den Whisky deines Onkels. Und er hat es nicht einmal auf deinen Körper abgesehen. Was sonst kann man sich noch wünschen? Womit sonst ließe sich Loyalität erkaufen? Jeder benötigt einen Patron.

Mögest du in deinem nächsten Leben bessere Freunde haben, treuer Krieger.

Ach Jaidee, es tut mir leid.

Möge ich eine Million Jahre lang als Geist herumirren, um Buße zu tun.

Mögest du an einem besseren Ort als diesem wiedergeboren werden.

Sie steht auf, verneigt sich ein letztes Mal vor dem Buddha und verlässt den Tempel. Auf den Stufen bleibt sie stehen und blickt zu den Sternen hinauf. Sie fragt sich, wie es kommt, dass ihr Kamma sie auf diese Weise vernichtet hat. Sie schließt die Augen und ringt mit den Tränen.

Ein paar Straßen weiter geht ein Gebäude in Flammen auf. Ihr unterstehen über einhundert Soldaten, die in diesem Viertel eingefallen sind, um den Leuten zu zeigen, dass sie es ernst meinen. Auf dem Papier sind Gesetze eine wunderbare Sache, aber wenn keine Schmiergelder ihre Fesseln lockern, können sie wehtun. Das haben die Menschen vergessen. Plötzlich ist sie furchtbar müde. Sie dreht dem Gemetzel den Rücken zu. Für eine Nacht hat sie genug Blut und Ruß an den Händen. Ihre Männer wissen, was sie zu tun haben. Bis zu ihrem Haus ist es nicht weit.


»Hauptman Kanya?«

Kanya öffnet die Augen. Die Dämmerung sickert allmählich in das Zimmer. Einen Moment lang ist sie zu groggy, um sich daran zu erinnern, was in den letzten Tagen passiert ist, welchen Rang sie bekleidet …

»Hauptmann?« Die Stimme dringt durch die Jalousie vor dem Fenster.

Kanya steigt mühsam aus dem Bett und geht zur Tür. »Ja?«, ruft sie hindurch. »Was ist denn?«

»Sie werden im Ministerium erwartet.«

Kanya öffnet die Tür, nimmt einen Umschlag entgegen und wickelt das Siegel ab. »Das kommt ja vom Quarantänedezernat«, sagt sie erstaunt.

Der Bote nickt. »Dafür hatte sich Hauptmann Jaidee freiwillig gemeldet …« Er verstummt. »Da alle im Dienst sind, hat General Pracha gebeten …« Er zögert.

Kanya nickt. »Ja. Natürlich.«

Sie bekommt eine Gänsehaut, als sie sich daran erinnert, was Jaidee ihr über die ersten Cibiskose-Erreger erzählt hat. Wie er, das Herz in den Hosen, zusammen mit seinen Männern seine Pflicht getan hat, wobei sie sich unablässig fragten, wer von ihnen wohl das Ende der Woche überleben würde. Alle hatten sie entsetzliche Angst davor, krank zu werden, alle schwitzten sie sich die Seele aus dem Leib, was sie nicht daran hinderte, ganze Dörfer niederzubrennen. Hütten und Wats und Bildnisse Buddhas gingen sämtlich in Flammen auf, während die Mönche ihre Gesänge anstimmten und die Geister um Hilfe anflehten; und überall um sie herum lagen die Menschen mit zerfetzter Lunge auf der Erde und starben, erstickten an ihrer eigenen Körperflüssigkeit. Das Quarantänedezernat. Sie liest die Botschaft. Nickt dem Jungen knapp zu. »Ja. Ich verstehe.«

»Soll ich etwas melden?«

»Nein.« Sie legt den Umschlag auf einen Beistelltisch — ein Skorpion in Lauerstellung. »Das ist alles, was ich brauche.«

Der Bote salutiert und rennt die Treppe hinunter zu seinem Fahrrad. Kanya schließt nachdenklich die Tür. Der Umschlag lässt Entsetzliches ahnen. Vielleicht ist das ihr Kamma. Vergeltung.

Innerhalb kürzester Zeit ist sie unterwegs zum Ministerium. Sie radelt begrünte Straßen entlang, überquert Kanäle, rollt im Leerlauf fünfspurige Prachtstraßen hinunter, die für Benzinfahrzeuge gebaut wurden, auf denen jetzt aber Megodonten entlangziehen.

Im Quarantänedezernat lässt sie zwei Sicherheitskontrollen über sich ergehen, bevor ihr gestattet wird, den Komplex zu betreten.

Computer und Klimagebläse summen unerbittlich. Das ganze Gebäude scheint vor Energie zu vibrieren. Mehr als drei Viertel der Kohlenstoffzuteilung des Ministeriums geht an dieses eine Gebäude, das Gehirn des Quarantänedezernats; hier werden die Veränderungen der genetischen Architektur bewertet und vorhersagt, die eine Reaktion des Ministeriums erforderlich machen.

Hinter Glaswänden blinken LEDs an Servern grün und rot — sie verbrennen Energie, um Krung Thep zu retten, und tragen damit gleichzeitig zum Untergang der Stadt bei. Kanya geht die Korridore entlang, an zahllosen Zimmern vorüber, in denen Wissenschaftler vor riesigen Computerbildschirmen sitzen und auf hell leuchtenden Displays genetische Modelle studieren. Fast meint sie spüren zu können, wie sich die Luft entzündet, so viel Energie wird hier verbraucht — eine aberwitzige Menge von Kohle, nur um dieses Gebäude am Laufen zu halten.

Es kursieren Geschichten über die Raubzüge, die notwendig waren, um dieses Dezernat ins Leben zu rufen. Über die seltsamen Bündnisse, die es ihnen ermöglichten, sich dieser Technologien zu bemächtigen. Farang, die für viel Geld zu ihnen übergelaufen sind; ausländische Experten, die den Virus ihrer Ideen übertrugen, die invasiven Prinzipien ihrer Genkriminalität ins Königreich einschleppten — das Wissen, das notwendig war, um die Thai zu schützen und sie vor den Seuchen zu bewahren.

Manche von diesen Leuten sind jetzt berühmt, so bedeutsam für die Folklore wie Ajahn Chanh und Chart Korbjitti und Seub Nakhasathien. Einige von ihnen sind selbst Bodhi geworden, barmherzige Geister, die sich ganz der Rettung des Königreichs gewidmet haben.

Kanya durchquert den Innenhof. In einer Ecke steht ein kleines Geisterhaus mit Miniaturstatuen des Lehrers Lalji, der wie ein kleiner, verhutzelter Sadhu aussieht, und der AgriGen-Heiligen Sarah. Das Bodhi-Paar. Mann und Frau, Kalorienräuber und Genfledderer. Dieb und Schöpfer. Davor brennen nur einige wenige Räucherstäbchen, auf einem Teller steht wie gewöhnlich ein Frühstück, und darüber sind Ringelblumen drapiert. Wenn die Seuchen zunehmen, wimmelt es hier nur so von betenden Wissenschaftlern, die um eine Lösung ringen.

Sogar unsere Gebete sind an Farang gerichtet, denkt Kanya. Ein Farang-Gegenmittel für eine Farang-Seuche.

Bediene dich aller Hilfsmittel, deren du habhaft werden kannst. Eigne sie dir an, hatte Jaidee immer gesagt, um zu erklären, warum sie sich mit dem Teufel einließen. Warum sie Schmiergelder verteilten und zu Dieben wurden und Ungeheuer wie Gi Bu Sen unterstützen.

Einer Machete ist es gleichgültig, wer sie schwingt. Nimm ein Messer, und es wird schneiden. Nimm einen Farang, und mache ihn zu deinem Werkzeug. Und wenn dieses Werkzeug sich gegen dich wendet, kannst du es immer noch einschmelzen. Dann hast du wenigstens das Rohmaterial.

Bediene dich aller Hilfsmittel. Jaidee war schon immer ausgesprochen praktisch veranlagt.

Aber es tut weh. Sie jagen jedem Fitzelchen Wissen aus dem Ausland nach, wie die Cheshire stets auf der Suche nach Beute, um zu überleben. Im Midwest Compact wird so viel Wissen gehortet. Wenn irgendwo auf der Welt ein vielverspechender Genetiker auftaucht, wird er sofort bedrängt, bestürmt, bestochen, bis er mit den anderen Genies in Des Moines oder Changsha zusammenarbeitet. Es braucht schon einen couragierten Forscher, um der Macht von PurCal, AgriGen oder RedStar zu widerstehen. Und selbst wenn sie den Kalorienkonzernen die Stirn bieten — was hat ihnen das Königreich schon zu bieten? Selbst ihre besten Computer hinken denen der Kalorienkonzerne Generationen hinterher.

Kanya schiebt den Gedanken von sich. Wir leben noch. Wir leben noch, während ganze Königreiche und Länder untergegangen sind. Malaya ist nur noch ein Sumpf aus Grausamkeit und Tod. Kowloon steht unter Wasser. China ist gespalten, die Vietnamesen sind am Ende, und in Burma herrscht fortwährend Hungersnot. Das amerikanische Imperium existiert nicht mehr. Die europäische Union ist in Fraktionen zerfallen. Aber wir harren aus, vergrößern uns sogar. Das Königreich hat Bestand. Dem Buddha sei Dank, dass er voller Barmherzigkeit seine Hand ausstreckt, und dass unsere Königin so weise ist, diese dienstbaren Farang zu ködern, ohne die wir vollkommen wehrlos wären.

Schließlich erreicht sie den letzten Kontrollpunkt. Erduldet es, dass ihre Papiere noch einmal überprüft werden. Türen gleiten beiseite, und sie wird in einen elektrischen Aufzug hineingewinkt. Sie spürt, wie zusammen mit ihr die Luft vom Unterdruck in der Kabine eingesaugt wird, und dann schließen sich die Türen.

Kanya stürzt erdwärts, als würde sie der Hölle entgegenfallen. Sie muss an die hungrigen Gespenster denken, die in dieser schrecklichen Einrichtung zu Hause sind — die Geister der Toten, die sich geopfert haben, um die Dämonen der Welt in Fesseln zu schlagen. Ihr kribbelt die Haut.

Abwärts.

Abwärts.

Die Türen des Aufzugs öffnen sich. Ein weißer Flur und eine Luftschleuse. Sie zieht sich aus. Tritt unter eine stark gechlorte Dusche. Verlässt sie auf der anderen Seite wieder.

Ein junger Mann reicht ihr einen Laborkittel und gleicht ihre Identität noch einmal mit einer Liste ab. Er erklärt ihr, dass sie sich keiner zusätzlichen Sicherheitsprozeduren unterziehen muss, und führt sie dann weitere Korridore entlang.

Die Wissenschaftler hier haben das Aussehen von Menschen, die wissen, dass sie eine fast aussichtslose Schlacht schlagen. Die wissen, dass nur wenige Türen entfernt ein Grauen von apokalyptischem Ausmaß droht. Wenn Kanya darüber nachdenkt, bekommt sie eine Gänsehaut. Jaidee war da stärker. Er glaubte an seine früheren Leben und an seine künftigen. Kanya dagegen? Sie wird ein Dutzend Mal wiedergeboren werden, um an Cibiskose zu sterben, bevor ihr gestattet wird, weiterzukommen. Kamma.

»Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie mich verraten haben«, sagt Jaidee.

Kanya stolpert, als sie die Stimme hört. Jaidee folgt ihr in einer Entfernung von nur wenigen Schritten. Kanya stößt ein lautes Keuchen aus und presst sich mit dem Rücken an die Wand. Jaidee legt den Kopf schief und mustert sie eingehend. Kanya stockt der Atem. Wird er sie einfach erwürgen, um ihr den Verrat heimzuzahlen?«

Ihr Führer bleibt stehen. »Ist Ihnen nicht wohl?«, fragt er.

Jaidee ist nirgendwo zu sehen.

Kanya hämmert das Herz in der Brust. Sie schwitzt. Wenn sie sich noch tiefer innerhalb des abgeschotteten Bereichs befände, müsste sie verlangen, unter Quarantäne gestellt zu werden, darum bitten, nie wieder hinausgelassen zu werden, weil irgendein ein Bazillus oder ein Virus sie heimgesucht hatte und sie sterben würde.

»Mir geht … «, würgt sie hervor und muss plötzlich an das Blut auf der Treppe vor General Prachas Verwaltungsgebäude denken. Jaidees entstellte Leiche, die Gestalt gewordene Grausamkeit.

»Brauchen Sie einen Arzt?«

Kanya bemüht sich, ruhig zu atmen. Jaidee geistert ihr nach. Sein Phii verfolgt sie. Sie versucht, ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen. »Mir geht es gut.« Sie nickt dem jungen Mann zu. »Gehen wir. Bringen wir es zu Ende.«

Kurz darauf deutet ihr Führer auf eine Tür und bedeutet ihr mit einem Kopfnicken, dass sie eintreten soll. Als Kanya die Tür öffnet, blickt Ratana von ihren Akten auf. Ein Monitor beleuchtet ihr Gesicht. Sie lächelt.

Die Computer hier unten haben alle große Bildschirme. Manche Modelle gibt es seit über fünfzig Jahren nicht mehr, und sie verbrennen mehr Energie als fünf neue, aber sie funktionieren, und deshalb werden sie auf das Sorgfältigste gewartet. Trotzdem, bei dem Gedanken an die Unmengen von Energie, derer sie bedürfen, bekommt Kanya weiche Knie. Sie sieht förmlich, wie im Gegenzug das Meer ansteigt. Es ist entsetzlich, neben einem solchen Ding stehen zu müssen.

»Danke, dass du gekommen bist«, sagt Ratana.

»Natürlich.«

Über ihre früheren Rendezvous verlieren sie kein Wort. Als hätten sie keine gemeinsame Vergangenheit, in der so manches schiefgelaufen ist. Kanya war einfach nicht in der Lage, mit einer Frau Tom und Dee zu spielen, die sie in absehbarer Zeit verraten würde. Das war sogar für sie der Scheinheiligkeit zu viel. Trotzdem, Ratana ist noch immer wunderschön. Kanya erinnert sich noch, wie sie während des Loi Kratong lachend in einem Boot über den Chao Phraya ruderten, um sich herum zahllose leuchtende Papierschiffchen. Sie weiß noch, wie es sich anfühlte, als Ratana sich an sie schmiegte, während die Wellen sie umspülten und Tausende von kleinen Kerzen brannten, das Wasser von den Wünschen und Gebeten der ganzen Stadt übersät.

Ratana winkt sie zu sich. Zeigt ihr auf dem Bildschirm eine Reihe von Fotografien. Ihr Blick fällt auf das Hauptmannsabzeichen an Kanyas weißem Kragen. »Das mit Jaidee tut mir leid. Er war … ein guter Mann.«

Kanya zieht eine Grimasse und versucht, die Erinnerung an Jaidees Phii im Korridor abzuschütteln. »Er war ein besserer Soldat als ich.« Eingehend betrachtet sie die Leichen vor ihr auf dem leuchtenden Bildschirm. »Was sehe ich da?«

»Zwei Männer. Aus zwei verschiedenen Krankenhäusern.«

»Und?«

»Sie hatten etwas in sich. Etwas Besorgniserregendes. Allem Anschein nach eine Variante der Rostwelke.«

»Ja. Und? Sie haben etwas Verdorbenes gegessen. Sie sind gestorben. Na, wenn schon.«

Ratana schüttelt den Kopf. »Es hat sich in ihnen eingenistet. Sich fortgepflanzt. Ich habe noch nie erlebt, dass Säugetiere der Rostwelke als Wirt dienen können.«

Kanya überfliegt die Krankenhausakten. »Wer waren sie?«

»Das wissen wir nicht.«

»Kein Familienbesuch? Niemand hat gesehen, wie sie eingeliefert wurden? Sie haben nichts gesagt?«

»Einer von ihnen redete nur noch wirr, als er aufgenommen wurde. Der andere war bereits tief im Rostwelke-Koma.

»Bist du sicher, dass sie nicht einfach nur verdorbenes Obst gegessen haben?«

Ratana zuckt mit den Achseln. Sie lebt schon so lange hier unten, dass ihre Haut glatt und weiß ist. Ganz im Unterschied zu Kanya, deren Haut, auf Streife der unbarmherzigen Sonne ausgesetzt, so braun ist wie die eines Bauern. Und trotzdem zieht sie das Leben über der Erde der Finsternis hier unten vor. Ratana ist die Tapfere von ihnen beiden, davon ist Kanya überzeugt. Was für Dämonen sie wohl heimgesucht haben, dass sie freiwillig an einem so schrecklichen Ort arbeitet? Als sie zusammen waren, sprach Ratana nie über ihre Vergangenheit. Über das, was sie verloren hatte. Aber der Verlust ist da, wie ein Felsen unter den schäumenden Wellen an der Küste. Felsen gibt es überall.

»Nein, natürlich bin ich nicht sicher. Nicht einhundert Prozent.«

»Fünfzig Prozent?«

Ratana zuckt erneut mit den Achseln, wendet sich wieder ihren Unterlagen zu. »Du weißt, dass ich keine solchen Behauptungen aufstellen kann. Aber der Virus ist ungewöhnlich — in den Proben finde ich atypische Proteinveränderungen. Der Zerfall des Gewebes entspricht nicht dem normalen Verlauf von Rostwelke. Doch wir kennen das Muster. Wir kennen es von den Varianten von AgriGen und TotalNutrient, AG134.s und TN249.x.d. Beide weisen deutliche Übereinstimmungen auf.« Sie hält inne.

»Aber?«

»Die Proben stammen aus der Lunge.«

»Also Cibiskose.«

»Nein. Rostwelke, ganz eindeutig.« Ratana sieht Kanya an. »Begreifst du, worin das Problem besteht?«

»Und wir haben keine Ahnung, wo die beiden Männer überall waren? Vielleicht sind sie aus dem Ausland gekommen. Auf einem Klipper. Um über die Grenze nach Burma zu gehen. Und von dort nach Südchina. Sie stammen nicht vielleicht aus demselben Dorf?«

Ratana hebt die Hände. »Wir wissen nichts, über keinen von ihnen. Der einzige Zusammenhang, der zwischen ihnen besteht, ist die Krankheit. Früher hatten wir eine Datenbank mit der DNA der Bevölkerung, Familienanamnese, Informationen über Adresse und Arbeitsplatz. Aber die wurde vom Netz genommen, damit uns mehr Rechenkapazität für die präventive Forschung zur Verfügung steht.« Sie lässt die Hände auf den Tisch sinken. »Die Leute ließen sich sowieso nicht registrieren, also hatte das eh keinen Sinn.«

»Also haben wir nichts. Irgendwelche anderen Fälle?«

»Nein.«

»Du meinst, bisher jedenfalls nicht.«

»Davon erfahre ich hier unten nichts. Diese beiden Fälle haben wir nur mitbekommen, weil die Weißhemden so hart durchgreifen. Die Krankenhäuser melden alles, in weit größerem Umfang als sonst, nur um zu zeigen, dass sie sich allem fügen. Es war Zufall, dass sie diese beiden Männer gemeldet haben, und es war auch Zufall, dass sie mir unter den ganzen Berichten, die hier eintreffen, aufgefallen sind. Wir brauchen die Hilfe von Gi Bu Sen.«

Kanya stellen sich die Nackenhaare auf. »Jaidee ist tot. Gi Bu Sen wird uns jetzt nicht mehr helfen.«

»Manchmal gelingt es uns, seine Neugier zu wecken. Dann interessiert er sich für mehr als nur seine eigenen Forschungsarbeiten. Bei dieser Sache wäre es immerhin möglich. « Sie blickt hoffnungsvoll zu Kanya auf. »Du hast Jaidee einmal begleitet. Du hast erlebt, wie er den Farang überzeugen konnte. Vieleicht kannst du genauso sein Interesse wecken? «

»Das bezweifle ich.«

»Schau dir das an.« Ratana kramt in den Krankenblättern. »Alles deutet auf einen gehackten Virus hin. Die Veränderungen in der DNA sehen nicht aus wie etwas, das sich in der freien Wildbahn fortpflanzen würde. Die Rostwelke hat keinen Grund, ins Tierreich überzuspringen. Das ist einfach zu unwahrscheinlich, so leicht wird sie nicht übertragen. Die Unterschiede sind deutlich, fast so, als würden wir in die Zukunft blicken. Als hätten wir etwas vor Augen, das 10 000 Mal wiedergeboren wurde. Ein echtes Rätsel. Und wirklich besorgniserregend.«

»Wenn du Recht hast, sind wir alle tot. General Pracha muss davon erfahren. Und der Palast ebenso.«

»Aber ohne großes Aufsehen«, entgegnet Ratana. Sie streckt die Hand aus und packt Kanya mit verzweifelter Miene am Ärmel. »Ich kann mich immer noch irren.«

»Das bezweifle ich.«

»Ich weiß nicht, wie ansteckend das Ganze wirklich ist. Ich möchte, dass du zu Gi Bu Sen gehst. Er wird es wissen.«

Kanya verzieht das Gesicht. »Na gut. Ich werde es versuchen. Und du hakst bei den Krankenhäusern und Straßenkliniken nach, dass sie nach Patienten mit ähnlichen Symptomen Ausschau halten sollen. Stell eine Liste auf. Bei dem, was gerade los ist, wird es niemandem auffallen, wenn wir weitere Informationen verlangen. Sie werden glauben, dass wir sie nur noch mehr unter Druck setzen wollen. Irgendetwas wird dabei schon herauskommen.«

»Wenn ich Recht habe, wird es Ausschreitungen geben.«

»Dann steht uns noch weit Schlimmeres bevor.« Kanya dreht sich zur Tür um — ihr ist übel. »Wenn du mit deinen Untersuchungen fertig bist und die Ergebnisse so weit vorliegen, dass sie überprüft werden können, werde ich mich mit deinem Teufel treffen.« Sie verzieht angewidert das Gesicht. »Du wirst deine Bestätigung erhalten.«

»Kanya?«

Sie dreht sich noch einmal um.

»Das mit Jaidee tut mir wirklich leid«, sagt Ratana. »Ich weiß, dass ihr euch nahestandet.«

Kanya beißt die Zähne zusammen. »Er war ein Tiger.« Sie öffnet die Tür und lässt Ratana in ihrem Reich der Finsternis zurück. Ein ganzer Gebäudekomplex, der dem Überlebenskampf des Königreichs gewidmet ist und Tag und Nacht wer weiß viele Kilowatt verbrennt — und das ohne einen echten Nutzen.

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