Woher hätte Hock Seng wissen sollen, dass die Ankerplätze geschlossen werden würden? Woher hätte er wissen sollen, dass all die Schmiergelder, die er gezahlt hatte, sich wegen dieses Tigers von Bangkok als nutzlos erweisen würden?
Hock Seng muss an sein Treffen mit Mr Lake denken und verzieht das Gesicht. Er hat sich vor dem blassen Ungeheuer ducken müssen wie vor einem Gott! Und diese Kreatur hat ihn gedemütigt, in einem fort geschrien und geflucht und seinen Kopf mit Zeitungen bearbeitet — Zeitungen, auf deren sämtlichen Titelseiten Jaidee Rojjanasukchai prangte. Der Tiger von Bangkok, Fluch aller ehrlichen Geschäftsleute, schlimmer als alle Dämonen Thailands.
» Khun … «, hat Hock Seng zu widersprechen versucht, aber Mr Lake hat ihm das Wort abgeschnitten.
»Sie haben behauptet, es sei alles in die Wege geleitet!«, brüllte er. »Sagen Sie mir einen guten Grund, warum ich Sie nicht feuern soll!«
Hock Seng hat sich unter dem Angriff geduckt — er musste sich zusammenreißen, um sich nicht zu verteidigen. Er hat versucht sich zu rechtfertigen. »Khun, alle haben etwas verloren. Die Schuld liegt bei Carlyle & Sons. Mr Carlyle steht Handelsminister Akkarat zu nahe. Er provoziert die Weißhemden unablässig. Beleidigt sie und …«
»Lenken Sie nicht ab! Die Algentanks hätten den Zoll schon letzte Woche passieren sollen. Sie haben mir erklärt, Sie hätten die Schmiergelder ausgezahlt. Und jetzt finde ich heraus, dass Sie Geld zurückgehalten haben. Nicht Carlyle ist schuld, sondern Sie. Sie ganz allein.«
»Khun, der Tiger von Bangkok hat sich eingemischt. Der Mann ist eine Naturgewalt. Ein Erdbeben, ein Tsunami. Wie hätte ich denn wissen sollen …«
»Ich habe es satt, angelogen zu werden. Glauben Sie denn, weil ich ein Farang bin, sei ich dumm? Ich sehe doch, wie Sie die Bücher fälschen. Wie Sie manipulieren und lügen und …«
»Ich lüge nicht …«
»Ihre Erklärungen und Entschuldigungen interessieren mich nicht! Ihre Worte sind wertlos! Mich interessiert nicht, was Sie sagen. Mich interessiert nicht, was Sie denken oder fühlen. Mich interessieren nur Ergebnisse. Entweder gelingt es Ihnen, die Zuverlässigkeit der Produktion bis Ende des Monats auf vierzig Prozent zu steigern, oder Sie machen, dass Sie in Ihr Yellow-Card-Hochhaus zurückkommen. Sie haben die Wahl. Sie haben einen Monat, bevor ich Sie rauswerfe und mir einen anderen Betriebsleiter suche!«
»Khun …«
»Haben wir uns verstanden?«
Hock Seng hat auf den Boden gestarrt, so dass diese Kreatur seinen verbitterten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. »Natürlich, Lake Xiansheng, ich verstehe. Ich werde alles tun, was Sie sagen.«
Er konnte seinen Satz kaum beenden — der fremde Teufel hat Hock Seng einfach stehen lassen und ist aus dem Büro stolziert. Das war eine solche Beleidigung, dass Hock Seng daran gedacht hat, Säure auf den großen Tresor zu gießen und die Pläne der Fabrik einfach zu stehlen. Er hat so sehr geschäumt vor Wut, dass er schon vor den Lagerschränken stand, bevor er wieder zu Verstand gekommen ist.
Wenn die Fabrik von irgendeinem Unglück heimgesucht oder der Tresor ausgeraubt würde, würde der Verdacht zuallererst auf ihn fallen. Wenn er in diesem neuen Land jemals etwas aus seinem Leben machen wollte, darf er seinen Namen nicht noch weiter belasten. Die Weißhemden brauchen nur einen einzigen Vorwand, um ihm die Yellow Card zu entziehen. Mit dem größten Vergnügen würden sie einen verarmten Chinesen zurück über die Grenze jagen und den Fundamentalisten ausliefern. Er muss sich in Geduld üben. Und in dieser tamade Fabrik schlicht den kommenden Tag überstehen.
Also treibt Hock Seng die Angestellten unbarmherzig an, bewilligt Reparaturen, die noch mehr Geld kosten, und setzt sogar sein eigenes, mit großer Geduld veruntreutes Geld ein, um alle möglichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit die Forderungen von Mr Lake nicht eskalieren, damit der tamade fremde Teufel ihm das Leben nicht noch mehr zur Hölle macht. Sie führen Testläufe mit dem Fließband durch, reißen alte Antriebsketten heraus und suchen in ganz Bangkok nach Teakholz für eine neue Spindel.
Er beauftragt Lachender Chan, jedem Yellow Card in der Stadt eine Prämie zu bieten, der von Gerüchten über alte Gebäude aus der Expansionszeit weiß, die eingestürzt sind und unter denen Wiederverwertbares zum Vorschein gekommen ist. Alles, was es ihnen ermöglicht, die Produktion wieder auf vollen Touren laufen zu lassen, bevor der Monsun die Flüsse endlich wieder schiffbar macht und den Transport einer neuen Teakspindel ermöglicht.
Hock Seng knirscht mit den Zähnen, so frustriert ist er. Seine Pläne stehen kurz davor, Früchte zu tragen, und ausgerechnet jetzt hängt sein Überleben von einer Fertigungsstraße ab, die noch nie richtig funktioniert hat, und von Menschen, für die Erfolg ein Fremdwort ist. Fast lässt er sich dazu hinreißen, es dem fremden Teufel mit gleicher Münze heimzuzahlen und Mr Lake zu offenbaren, dass er sehr genau darüber Bescheid weiß, was dieser sonst noch so treibt. Dank der Berichte von Lao Gu kennt er jeden Ort, dem Mr Lake einen Besuch abgestattet hat, von den Bibliotheken bis hin zu den Wohnhäusern reicher Familien. Auch seine Faszination für Samen ist ihm nicht entgangen.
Doch jetzt ist etwas so Erstaunliches vorgefallen, dass Lao Gu sofort zu Hock Seng geeilt ist. Ein Aufziehmädchen. Eine illegale genetische Missgeburt. Ein Mädchen, dem Mr Lake nachstellt, als wäre er trunken von seiner eigenen Verworfenheit. Lao Gu hat im Flüsterton erzählt, dass Mr Lake mit dieser Kreatur das Bett teilt. Immer wieder. Dass er sich nach ihr verzehrt.
Erstaunlich. Ekelerregend.
Nützlich.
Allerdings wird Hock Seng auf diese Waffe nur im Notfall zurückgreifen — falls Mr Lake wirklich ernst macht und ihn aus der Fabrik jagt. Es ist besser, wenn Lao Gu weiter die Augen offen hält und Informationen sammelt. Wenn Hock Seng sich jetzt eine Blöße gibt, wird er möglicherweise gefeuert.
Als er zum ersten Mal die Dienste Lao Gus in Anspruch nahm, hat er genau eine solche Möglichkeit vorausgesehen. Allerdings darf er dieses Druckmittel nicht verschwenden, nur weil er wütend ist. Und deshalb springt Hock Seng wie ein Affe in der Fabrik herum, um den fremden Teufel zufriedenzustellen, und das, obwohl er so sehr das Gesicht verloren hat, dass fast nichts mehr davon übrig ist.
Hock Seng zieht eine Grimasse, während er durch die Fertigungshalle eilt — Kit hat ihn auf ein weiteres Problem aufmerksam gemacht. Probleme. Nichts als Probleme.
Der Lärm der Reparaturen klingt ihm in den Ohren. Die Hälfte des Räderwerks ist aus dem Boden gerissen und neu eingestellt worden. Von der anderen Seite der Halle tönen die Gesänge der buddhistischen Mönche zu ihnen herüber; sie spannen den heiligen Faden, den die Thai Saisin nennen, und beschwören die Geister, die die Fabrik heimsuchen, damit diese den Betriebsablauf nicht weiter behindern — die meisten davon wahrscheinlich Phii aus der Zeit der Großen Expansion, die empört sind, dass Thai überhaupt für Farang arbeiten. Bei dem Anblick der Mönche muss Hock Seng daran denken, was sie kosten, und verzieht erneut das Gesicht.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragt er, als er sich an den Stanzmaschinen vorbeiquetscht und unter dem Fließband hindurchduckt.
»Dort drüben, Khun. Ich zeige es Ihnen«, sagt Kit.
Der salzig warme Algengestank wird stärker, ein feuchter Mief, der schwer in der Luft hängt. Kit deutet auf die Algentanks, die in einer Reihe nebeneinanderstehen — drei Dutzend Brutbottiche, die nach oben hin offen sind. Eine Arbeiterin zieht ihr Netz über die Oberfläche der Tanks und schöpft den Überstand ab. Sie schmiert ihn auf ein mannsgroßes Gittersieb, bevor sie dieses an Hanfseilen zur Decke hinaufzieht, wo Hunderte gleichartiger Siebe hängen.
»Es geht um die Tanks«, sagt Kit. »Sie sind kontaminiert.«
»Und?« Hock Seng betrachtet die Tanks und verbirgt seinen Widerwillen. »Wo liegt das Problem?«
In den gesündesten Bottichen ist der Überstand zehn Zentimeter dick, eine weiche, chlorophyllgrüne Schicht. Sie verströmt den durchdringenden, lebendigen Geruch von Meerwasser. Feuchtigkeit rinnt an der Seite der durchsichtigen Tanks herunter, schmale Rinnsale, die sich auf dem Boden niederschlagen und eine salzweiße Kruste zurücklassen, wenn sie verdunsten. Noch lebende Algen werden zu den rostigen Abflussgittern geschwemmt und verschwinden in der Finsternis.
Schweine-DNA und noch etwas anderes … Flachs, wenn sich Hock Seng nicht täuscht. Flachs, so glaubte Mr Yates, sei der Schlüssel, um diese Algen zu bändigen. Damit sie diesen nützlichen Überstand produzierten. Hock Seng hatte dagegen schon immer etwas für Schweineproteine übrig. Schweine bringen Glück. Dasselbe sollte für diese Alge gelten. Stattdessen haben sie nichts als Ärger gemacht, trotz ihres Potenzials.
Kit lächelt nervös, als er Hock Seng zeigt, wie wenig produktiv die Algen in einigen Tanks nur noch sind — ein Überstand von seltsamer Farbe, und ein Gestank, der eher an Garnelenpaste erinnert und wenig Ähnlichkeit mit dem frischen salzigen Geruch der aktiveren Tanks hat.
»Banyat hat gesagt, wir sollen die nicht verwenden. Wir sollten warten, bis Ersatz eintrifft.«
Hock Seng lacht unfreundlich und schüttelt den Kopf. »Da können wir lange warten. Der Tiger von Bangkok verbrennt alles, was auf den Ankerplätzen eintrifft. Du wirst dir mit dem behelfen müssen, was wir haben.«
»Aber sie sind kontaminiert! Und womöglich haben wir es mit einem ansteckenden Keim zu tun. Das Problem könnte sich auf die anderen Tanks ausbreiten.«
»Bist du dir sicher?«
»Banyat hat gesagt …«
»Banyat ist einem Megodonten unter die Füße gelaufen. Und wenn dieses Fließband nicht bald wieder läuft, schickt uns der Farang auf die Straße, wo wir verhungern.«
»Aber …«
»Glaubst du, da draußen warten nicht fünfzig andere Thai auf deinen Job? Und eintausend Yellow Cards?«
Kit schließt den Mund. Hock Seng nickt grimmig. »Sorge dafür, dass die Produktion wieder anläuft.«
»Wenn die Weißhemden hier eine Inspektion durchführen, werden sie sehen, dass die Tanks verunreinigt sind.« Kit fährt mit dem Finger durch eine graue Schaumschicht, die am Rand eines Bottichs klebt. »Das hier dürfte es gar nicht geben. Die Algen müssten viel heller sein. Und auch die Blasen sind ein schlechtes Zeichen.«
Hock Seng betrachtet die Tanks mit gerunzelter Stirn. »Wenn die Produktion nicht bald wieder anläuft, werden wir verhungern.« Er möchte noch etwas hinzufügen, doch da kommt die kleine Mai hereingerannt.
»Khun. Da ist ein Mann, der Sie sucht.«
Hock Seng wirft ihr einen ungeduldigen Blick zu. »Möglicherweise jemand, der etwas von einer neuen Spindel weiß? Oder von einem Teakstamm vielleicht, der aus einem Tempel gerissen worden ist?« Angesichts dieser Blasphemie öffnet und schließt Mai sprachlos den Mund. Hock Seng ist das gleichgültig. »Wenn dieser Mann keine Drehspindel für mich hat, habe ich keine Zeit für ihn.« Er wendet sich wieder Kit zu. »Wäre es möglich, die Bottiche auszukippen und zu schrubben?«
Kit zuckt unverbindlich mit den Achseln. »Wir können es versuchen. Aber Banyat hat gesagt, dass wir nicht neu anfangen können, solange wir keine neuen Nährstofflösungen haben. Sonst sind wir gezwungen, die Lösungen zu verwenden, die aus denselben Tanks stammen. Und das Problem wird sich sehr wahrscheinlich wieder ergeben.«
» Können wir nicht aussieben? Irgendwie filtern?«
»Die Tanks und Lösungen lassen sich nicht vollständig reinigen. Irgendwann werden sich die Keime ausbreiten. Und dann sind alle Tanks kontaminiert.«
»Irgendwann? Ist das alles? Irgendwann?« Hock Seng sieht ihn wütend an. »›Irgendwann‹ interessiert mich nicht. Entscheidend ist dieser Monat. Wenn die Fabrik nichts produziert, werden wir keine Gelegenheit haben, uns um das ›irgendwann‹ zu sorgen, von dem du da redest. Dann bist du wieder in Thonburi, wühlst in Hühnereingeweiden und hoffst, dass du dir keine Grippe einfängst. Und ich werde wieder in einem Yellow-Card-Hochhaus sitzen. Mach dir mal keine Gedanken darüber, was morgen passiert. Sondern sorge dafür, dass Mr Lake uns nicht heute auf die Straße setzt. Gebrauche deine Fantasie. Finde einen Weg, dass diese tamade Algen sich vermehren!«
Nicht zum ersten Mal verflucht er die Tatsache, dass er mit Thai zusammenarbeiten muss. Ihnen fehlt einfach der Unternehmergeist, den jeder Chinese im Blut hat.
»Khun?«
Mai steht immer noch neben ihnen. Als er ihr einen wütenden Blick zuwirft, zuckt sie zusammen.
»Der Mann sagt, das sei Ihre letzte Chance.«
»Meine letzte Chance? Wo ist dieser Heeya?« Hock Seng schiebt die Vorhänge an der Tür des Klärraums beiseite und stürmt in die Fertigungshalle hinaus. Hier mühen sich die Megodonten ab, die Kurbelspindeln am Laufen zu halten, und verbrennen Geld, das nicht zur Verfügung steht. Hock Seng bleibt wie angewurzelt stehen, wischt sich die Überreste der Algen von den Händen und kommt sich vor wie ein verängstigter Narr.
Dog Fucker steht mitten in der Fabrik wie ein Cibiskosekranker auf einem Frühlingsfest und schaut zu, wie das Fließband surrend und ratternd einen Testlauf absolviert. Old Bones und Horseface Man und Dog Fucker. Und alle strahlen sie ein unmäßiges Selbstbewusstsein aus. Dog Fucker mit seiner fa’ gan-Wucherung und seiner abgeschnittenen Nase, und seine Kumpane, abgebrühte Nak Leng, die für einen Yellow Card kein Mitleid übrig haben und keine Furcht vor der Polizei kennen.
Es ist reines Glück, dass Mr Lake oben seine Bücher durchgeht und dass die kleine Mai zu Hock Seng gerannt ist und nicht zu dem fremden Teufel. Mai hüpft vor ihm her und führt ihn seiner Zukunft entgegen.
Hock Seng gibt Dog Fucker mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er ihm folgen soll, denn hier sind sie vom Büro aus zu sehen. Dog Fucker bleibt jedoch breitbeinig stehen und starrt weiterhin das Fließband und die Megodonten an.
»Nicht übel«, sagt er. »Stellt ihr hier eure fabelhaften Spannfedern her?«
Hock Seng mustert ihn zornig und bedeutet ihm, dass sie die Fabrik verlassen sollen. »Wir unterhalten uns besser anderswo. «
Dog Fucker schenkt ihm keine Beachtung. Sein Blick schweift zu den Fenstern des Büros hinauf. »Und Sie arbeiten dort oben?«
»Nicht mehr lange, wenn ein gewisser Farang Sie entdeckt. « Hock Seng zwingt sich zu einem höflichen Lächeln. »Bitte. Es wäre besser, wenn wir hinausgehen würden. Ihre Anwesenheit wird nur Fragen aufwerfen.«
Eine ganze Weile rührt Dog Fucker sich nicht, sondern schaut weiter zu den Fenstern hinauf. Hock Seng hat das unangenehme Gefühl, dass der Kerl durch Wände blicken kann — dass er den riesigen Stahltresor sieht, der dort oben steht und seine wertvollen Geheimnisse nicht herausrückt.
»Bitte«, murmelt Hock Seng. »Die Arbeiter werden auch so schon genug zu schwatzen haben.«
Der Gangster dreht sich unvermittelt um und bedeutet seinen Leuten, ihm zu folgen. Hock Seng unterdrückt das Gefühl der Erleichterung, das in ihm aufwallt, und eilt ihm nach. »Da möchte jemand mit Ihnen sprechen«, sagt Dog Fucker und zeigt zum Haupttor hinüber.
Der Kadaverkönig. Ausgerechnet jetzt. Hock Seng blickt zu den Aussichtsfenstern hinauf. Mr Lake wird wütend sein, wenn er fortgeht.
»Ja. Natürlich.« Hock Seng deutet zum Büro zurück. »Ich muss nur noch rasch meine Unterlagen in Ordnung bringen. «
»Sofort«, sagt Dog Fucker. »Ihn lässt niemand warten.« Er gibt Hock Seng mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er ihm folgen soll. »Jetzt oder nie.«
Hock Seng ist hin und her gerissen. Schließlich winkt er Mai zu sich. Sie kommt herbeigerannt, während Dog Fucker zum Tor vorausgeht. Hock Seng beugt sich zu ihr hinunter und flüstert: »Sag Khun Anderson, dass ich nicht zurückkomme … dass ich eine Vermutung habe, wo ich eine neue Aufziehspindel beschaffen kann.« Er nickt mit Nachdruck. »Ja. Sag ihm das. Eine Aufziehspindel.«
Mai nickt und macht Anstalten sich umzudrehen, aber Hock Seng zieht sie noch einmal zu sich heran. »Achte darauf, langsam zu sprechen und einfache Worte zu benutzen. Ich möchte nicht, dass der Farang dich falsch versteht und mich auf die Straße setzt. Und denk daran — wenn ich gehen muss, gehst du auch.«
Mai grinst. »Mai pen rai. Ich werde dafür sorgen, dass er weiß, wie hart Sie für ihn arbeiten.« Sie flitzt zurück in die Fabrik.
Dog Fucker lächelt ihm über die Schulter hinweg zu. »Und ich dachte, Sie wären nur der König der Yellow Cards. Und was sehe ich da? Ein hübsches Thaimädchen, das nach Ihrer Pfeife tanzt. Nicht schlecht für einen Yellow Card.«
Hock Seng verzieht das Gesicht. »Das ist nicht unbedingt ein Titel, auf den ich es abgesehen habe.«
»Glauben Sie, der Kadaverkönig hat sich seinen Namen ausgesucht? Aber Namen können viel verbergen.« Dog Fucker schaut sich eingehend um. »Ich war noch nie in der Fabrik eines Farang. Nicht übel. Da steckt eine Menge Geld drin.«
Hock Seng zwingt sich zu einem Lächeln. »Wohl wahr. Die Farang werfen das Geld nur so zum Fenster hinaus.« Er spürt die Blicke der Arbeiter im Nacken und fragt sich, wie viele von ihnen Dog Fucker kennen. Ausnahmsweise ist er froh, dass nicht mehr Yellow Cards in der Fabrik angestellt sind. Sie wüssten sofort, mit wem er da Umgang hat. Hock Seng wischt seinen Ärger und seine Angst beiseite. Natürlich möchte Dog Fucker ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Das ist Teil der Verhandlungsstrategie.
Du bist Tan Hock Seng, das Oberhaupt von Tri-Clipper. Lass dich nicht von belanglosen Taktiken irritieren.
Das Mantra tut seine Wirkung, bis sie das Haupttor erreichen. Hock Seng bleibt abrupt stehen.
Dog Fucker lacht, als er ihm das Tor aufhält. »Was ist los? Noch nie ein Auto gesehen?«
Hock Seng muss sich zusammenreißen, um den Mann nicht zu ohrfeigen. Dieser arrogante Idiot! »Sie sind ein Narr«, murmelt er. »Erzählen Sie meinen Namen doch gleich überall herum! Was glauben Sie, wie schnell es sich herumsprechen wird, was für eine Extravaganz vor der Fabrik geparkt hat!«
Er duckt sich und steigt ein. Dog Fucker folgt ihm, noch immer ein Grinsen im Gesicht. Seine Männer drängen ihnen nach. Old Bones ruft dem Fahrer etwas zu. Der Motor springt mit einem Grollen an. Sie setzen sich in Bewegung.
»Ein Kohlediesel?«, fragt Hock Seng. Er flüstert, er kann nicht anders.
Dock Fucker nickt. »Der Boss tut so viel für die Kohlenstoffbelastung …« Er zuckt mit den Schultern. »Da kann man sich schon mal was leisten.«
»Aber was das kostet …« Hock Seng gehen die Worte aus. Was das kostet, diesen Stahlkoloss in Bewegung zu setzen. Was für eine Verschwendung! Ein weiterer Beleg dafür, welche Monopolstellung der Kadaverkönig innehat. Selbst in Malaya, als er am reichsten war, hätte er sich so etwas niemals geleistet.
Trotz der Hitze, die in dem Wagen herrscht, zittert er. Das Fahrzeug wirkt massiv, ungeheuer schwer — eine Erinnerung an frühere Zeiten. Ebenso gut könnten sie in einem Panzer sitzen. Er kommt sich vor, als säße er in dem Tresor von SpringLife, abgeschnitten vom Rest der Welt. Klaustrophobie droht ihn zu verschlingen.
Dog Fucker lächelt, während Hock Seng versucht, seiner Gefühle Herr zu werden. »Ich hoffe, Sie verschwenden nicht seine Zeit«, sagt er.
Hock Seng zwingt sich, sein Gegenüber anzuschauen. »Das würde Ihnen wohl gefallen.«
»Aber ja.« Dog Fucker zuckt mit den Schultern. »Wenn es nach mir ginge, hätten wir Ihresgleichen auf der anderen Seite der Grenze verrecken lassen.«
Der Wagen beschleunigt, und Hock Seng wird in die Polster gedrückt.
Draußen vor dem Fenster gleitet Krung Thep vorbei wie eine andere Welt: zahllose Menschen, deren Haut in der Sonne schimmert, staubige Zugtiere und Fahrräder wie Fischschwärme. Blicke, die dem Wagen folgen. Münder, die sich lautlos öffnen. Die Leute rufen und deuten auf ihn.
Die Geschwindigkeit dieser Maschine ist beängstigend.
Yellow Cards drängen sich um die Eingänge der Hochhäuser. Die chinesischen Flüchtlinge aus Malaya versuchen hoffnungsvoll zu wirken, während sie darauf warten, dass ihnen jemand Arbeit gibt, obwohl es um diese Uhrzeit — es ist Nachmittag — dafür längst zu spät ist. Und trotzdem bemühen sie sich so auszusehen, als hätten sie Kalorien im Überfluss zu verbrennen, wenn ihnen nur jemand die Gelegenheit dazu geben würde.
Alle starren sie dem Wagen des Kadaverkönigs entgegen. Als die Tür aufgeht, knien sie in einer einzigen Welle nieder, um ihrer Unterwürfigkeit Ausdruck zu verleihen, verbeugen sich dreifach vor dem Patron, der ihnen ein Dach über dem Kopf gibt — dem einzigen Mann in ganz Krung Thep, der bereit ist, die Last auf sich zu nehmen, die sie darstellen, der ihnen eine gewisse Sicherheit vor den roten Macheten der Malaien und den schwarzen Schlagstöcken der Weißhemden bietet.
Hock Sengs Blick schweift über die Rücken der Yellow Cards; er fragt sich, ob er einen von ihnen kennt, und für einen Moment ist er überrascht, dass er nicht unter ihnen kniet.
Dog Fucker führt ihn in den dunklen Turm. Das Kratzen von Rattenkrallen auf Beton ist nicht zu überhören, und der Geruch dicht zusammengedrängter, schwitzender Leiber weht aus den oberen Stockwerken zu ihnen herab. Neben einem Paar gähnender Aufzugschächte klappt Dog Fucker ein angelaufenes Sprachrohr aus Kupfer auf und ruft etwas in barschem Befehlston hinein. Sie warten, wobei sie einander im Auge behalten: Dog Fucker eher gelangweilt, Hock Seng darum bemüht, seine Beklommenheit zu verbergen. Von oben ertönt ein Klappern, Zahnräder klackern, Eisen knirscht über Stein. Ein Fahrstuhl bleibt vor ihnen stehen.
Dog Fucker zerrt das Gitter beiseite und steigt ein. Die Frau, die an der Schalttafel steht, schreit etwas in das Sprachrohr, bevor sie das Gitter zuknallt. Dog Fucker lächelt vielsagend. »Warten Sie hier, Yellow Card.« Und verschwindet nach oben in die Finsternis.
Kurz darauf schweben die Ballastmänner im zweiten Schacht herab. Sie quetschen sich aus dem Fahrstuhl heraus und stürzen gemeinsam zur Treppe. Einer von ihnen bemerkt Hock Seng und fasst seinen Blick falsch auf.
»Es gibt keine weiteren Plätze mehr. Wir sind schon vollzählig. «
Hock Seng schüttelt den Kopf. »Nein, natürlich nicht«, murmelt er, aber die Männer verschwinden bereits im Treppenhaus. Sandalen klatschen über Stufen, während sie himmelwärts eilen, um ein weiteres Mal als Ballast zu dienen.
Hock Seng blickt aus dem Gebäude in das grelle Licht der Tropen hinaus. Zahllose Flüchtlinge drängen sich dort, und alle beobachten sie die Straße; sie haben nichts zu tun, können nirgendwohin gehen.
Ein paar Yellow Cards schlurfen durch den Hausflur. Kleine Kinder schreien, und ihre dünnen Stimmchen werden von dem heißen Beton zurückgeworfen. Von irgendwo über Hock Seng ertönt das Stöhnen von Sex. Die Leute treiben es auf den Fluren wie die Tiere, in aller Öffentlichkeit, weil sie die Hoffnung auf Privatsphäre längst aufgegeben haben. Ihm ist das alles so vertraut. Schon erstaunlich, dass er einmal in ebendiesem Gebäude gewohnt, in ebendiesem Pferch geschmachtet hat.
Die Minuten verstreichen. Vielleicht hat es sich der Kadaverkönig anders überlegt. Dog Fucker hätte längst wieder hier sein müssen. Aus den Augenwinkeln nimmt Hock Seng eine Bewegung wahr; er zuckt zusammen, aber es sind nur Schatten.
Manchmal träumt er, dass sich die Grünen Brigaden in Cheshire verwandelt haben, dass sie sich häuten können und überall dort auftauchen, wo man sie am allerwenigsten erwartet — während er sich im Bad Wasser über den Kopf gießt oder eine Schüssel Reis isst oder über der Latrine hockt … Sie nehmen urplötzlich Gestalt an, stürzen sich auf ihn, schlitzen ihm den Bauch auf und werfen seinen Kopf auf die Straße, den anderen zur Warnung. Wie sie das auch mit Jade Blossom und der älteren Schwester seiner Erstfrau gemacht haben. Und mit seinen Söhnen …
Der Aufzug klappert. Kurz darauf kommt Dog Fucker herabgeschwebt. Die Fahrstuhlführerin ist fort, und Dog Fucker bedient die Bremsen.
»Gut. Sie sind nicht weggelaufen.«
»Es macht mir keine Angst, hier zu sein.«
Dog Fucker mustert ihn von Kopf bis Fuß. »Nein. Natürlich nicht. Schließlich stammen Sie von hier, hab ich Recht?« Er tritt aus der Kabine und macht eine Handbewegung, die Hock Seng nicht zu deuten weiß. Wachmänner lösen sich aus der Dunkelheit — Hock Seng hat sie für Schatten gehalten. Er unterdrückt einen Aufschrei, doch Dog Fucker entgeht nicht, dass er zusammenzuckt. Der Thai lächelt. »Durchsucht ihn.«
Hände gleiten Hock Seng über die Rippen und seine Beine hinab, betatschen seine Genitalien. Dann bedeutet ihm Dog Fucker, er soll in den Fahrstuhl steigen. Nachdem der Thai ihr Gewicht abgeschätzt hat, ruft er etwas in das Sprachrohr.
Von hoch oben ertönt ein Klappern — die Männer drängen sich in die Ballastkabine. Und dann schweben sie empor, durch sämtliche Ebenen der Hölle. Die Hitze wird immer drückender. Tief im Herzen des Gebäudes, das der tropischen Sonne schutzlos ausgesetzt ist, herrschen Temperaturen wie in einem Hochofen.
Hock Seng weiß noch gut, wie es war, hier im Treppenhaus zwischen den Leibern der anderen Flüchtlinge zu schlafen und in dem Gestank verzweifelt nach Luft zu schnappen. Weiß noch genau, wie sich ihm der Magen gegen das Rückgrat drückte. Und dann erinnert er sich plötzlich an das Blut auf seinen Händen, heiß und klebrig. An den anderen Yellow Card, der hilfesuchend die Arme nach ihm austreckt, noch während er ihm mit der messerscharfen Kante seiner abgebrochenen Whiskyflasche die Gurgel aufschlitzte.
Hock Seng schließt die Augen und schiebt die Erinnerung beiseite.
Du warst am Verhungern. Dir blieb nichts anderes übrig.
Aber es fällt ihm schwer, das zu glauben.
Sie gleiten immer weiter hinauf. Eine leichte Brise streicht ihm über den Rücken. Die Luft wird kühler. Es duftet nach Hibiskus und Zitrone.
Ein Stockwerk huscht vorbei, in dem alle Trennwände und Fenster herausgenommen worden sind — eine Promenade, die auf die Stadt hinausgeht, gepflegte Gärten, Linden, die offene Balkone säumen. Hock Seng fragt sich voller Staunen, wie viele Eimer Wasser wohl hier hinaufgetragen, wie viele Kalorien aufgewendet werden müssen. Was ist das für ein Mann, der über solche Macht verfügt? Die Vorstellung ist ebenso aufregend wie furchteinflößend. Er ist seinem Ziel so nahe!
Als sie das oberste Stockwerk des Hochhauses erreichen, liegt die sonnendurchflutete Stadtlandschaft unter ihnen: Die goldenen Türme des Palastes, in dem die Kindskönigin Hof hält und der Somdet Chaopraya die Fäden zieht; der Chedi des Mongkut geweihten Tempels auf seinem Hügel — das einzige Gebäude, das noch stehen wird, falls die Deiche brechen; die Ruinen der Expansionsviertel. Und um sie herum nichts als der Ozean.
»Eine schöne Aussicht, was, Yellow Card?«
Auf dem weitläufigen Dach ist ein weißer Pavillon errichtet worden. Er raschelt sachte in der salzigen Brise. In seinem Schatten hat sich der Kadaverkönig auf einem Rattansessel ausgestreckt. Der Mann ist fett. Einen so fetten Menschen hat Hock Seng nicht mehr gesehen, seit Pearl Koh in Malaya den Markt für rostwelkeresistente Zibetbäume eroberte. Vielleicht nicht ganz so fett wie Ah Deng, der einen Süßigkeitenstand in Penang betrieb, aber trotzdem, der Mann ist erstaunlich fett, zieht man in Betracht, wie teuer Kalorien geworden sind.
Hock Seng nähert sich ihm langsam und verneigt sich vor ihm, bis sich seine aneinandergelegten Handflächen fast über seinem Kopf befinden — ein Zeichen äußersten Respekts.
Der Fette mustert Hock Seng eingehend. »Sie möchten mir ein Geschäft vorschlagen?«
Hock Seng stockt der Atem. Er nickt. Sein Gegenüber wartet geduldig. Ein Diener bringt kalten, gesüßten Kaffee und reicht ihn dem Kadaverkönig. Er trinkt einen Schluck. »Haben Sie Durst?«, fragt er.
Hock Seng besitzt die Geistesgegenwart, den Kopf zu schütteln. Der Kadaverkönig zuckt mit den Schultern. Trinkt einen weiteren Schluck. Schweigt. Vier Diener in weißen Anzügen kommen herbeigeschlurft. Sie tragen einen Tisch, über den weißes Leinen drapiert ist, und stellen ihn vor ihm ab. Der Kadaverkönig nickt Hock Seng zu.
»Kommen Sie schon, übertreiben Sie es nicht mit der Höflichkeit. Essen Sie. Trinken Sie.«
Aus dem Nichts taucht ein Stuhl auf. Der Kadaverkönig bietet Hock Seng gebratene U-Tex-Bandnudeln an, einen Salat aus Krabben und grünen Papayas sowie Laab Mu, Gaeng Gai und gedämpften U-Tex-Reis. Dazu gibt es eine Platte mit Papayaschnitzen. »Haben Sie keine Angst. Die Hühner sind das neueste Modell, und die Papayas sind frisch gepflückt. Sie stammen von meiner Plantage im Osten. Seit zwei Anbauperioden keine Spur von Rostwelke mehr.«
»Wie …«
»Wir verbrennen die Bäume, bei denen sich die Krankheit zeigt, und die in ihrer unmittelbaren Umgebung auch. Außerdem haben wir unsere Pufferzone auf fünf Kilometer ausgeweitet. Das und die UV-Sterilisation genügen allem Anschein nach.«
»Aha.«
Der Kadaverkönig deutet mit einer Kopfbewegung auf die kleine Spannfeder, die auf dem Tisch liegt. »Ein Gigajoule?«
Hock Seng nickt.
»Und Sie bieten sie zum Verkauf an?«
Hock Seng schüttelt den Kopf. »Aber die Herstellungsmethode. «
»Warum glauben Sie, das könnte mich interessieren?«
Hock Seng zuckt mit den Achseln, darauf bedacht, seine Anspannung zu verbergen. Es gab eine Zeit, da war er bei solchen Verhandlungen völlig in seinem Element. Aber damals war er auch nicht völlig verzweifelt. »Wenn Sie es nicht sind, finden sich andere.«
Der Kadaverkönig nickt. Trinkt seinen Kaffee aus. Ein Diener schenkt ihm nach. »Und warum sind Sie zu mir gekommen? «
»Weil Sie reich sind.«
Darüber muss der Kadaverkönig lachen. Fast spuckt er seinen Kaffee aus. Sein Bauch erbebt, und er zittert am ganzen Körper. Die Diener bleiben wie angewurzelt stehen und sehen ihn aufmerksam an. Als der Kadaverkönig sein Lachen schließlich unter Kontrolle hat, wischt er sich den Mund ab und schüttelt den Kopf. »Gut gesprochen.« Sein Lächeln verschwindet. »Aber ich bin auch gefährlich.«
Hock Seng schluckt seine Nervosität hinunter und beschließt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Im ganzen Königreich gab es niemanden, der sich unser angenommen hat — außer Ihnen. Nicht einmal unsere Landsleute, die Thaichinesen, waren so hochherzig. Ihre Majestät die Königin hatte Erbarmen mit uns und hat uns gestattet, die Grenze zu überqueren. Aber Sie waren es, die uns eine sichere Zuflucht gewährt haben.«
Der Kadaverkönig zuckt mit den Schultern. »Die Hochhäuser standen sowieso leer.«
»Und trotzdem waren Sie der Einzige, der Mitleid mit uns hatte. Ein ganzes Land voller braver Buddhisten, und nur Sie haben uns Obdach gegeben, anstatt uns zurück über die Grenze zu jagen. Ohne Sie wäre ich längst tot.«
Der Kadaverkönig mustert Hock Seng eine ganze Weile. »Meine Ratgeber hielten es für töricht. Sie sagten, ich würde mich damit offen gegen die Weißhemden stellen. General Pracha den Krieg erklären. Vielleicht sogar meine Methanverträge gefährden.«
Hock Seng nickt. »Nur Sie hatten genügend Einfluss, um das zu riskieren.«
»Und was möchten Sie für dieses technologische Wunder? «
Hock Seng räuspert sich. »Ein Schiff.«
Der Kadaverkönig sieht ihn überrascht an. »Kein Geld? Kein Jade? Kein Opium?«
Hock Seng schüttelt den Kopf. »Ein Schiff. Einen schnellen Klipper. Von Mishimoto. Im Königreich registriert und mit einer Transportgenehmigung für das ganze Südchinesische Meer. Unter der Schirmherrschaft der Königin …« Er zögert einen Herzschlag lang. »Und unter Ihrem Schutz.«
»Aha! Kluger Mann.« Der Kadaverkönig lächelt. »Und ich dachte, Sie wären mir wirklich dankbar.«
Hock Seng zuckt mit den Achseln. »Sie sind der Einzige mit genügend Einfluss, um solche Genehmigungen und Garantien zu beschaffen.«
»Der Einzige, der aus einem Yellow Card einen ehrenwerten Geschäftsmann machen kann, meinen Sie. Der Einzige, der so viel Einfluss bei den Weißhemden hat, dass sie einem Yellow Card gestatten, sich zum Schifffahrtskönig aufzuschwingen. «
Hock Seng zuckt nicht mit der Wimper. »Ihre Gewerkschaft sorgt in der ganzen Stadt für Licht. Ihr Einfluss ist beispiellos. «
Der Kadaverkönig wuchtet sich aus seinen Sesseln und steht auf. »Ja. Nun. So ist es.« Er dreht sich um, schlurft über die Terrasse zur Brüstung hinüber und blickt auf die Stadt hinab. »Ja. Wahrscheinlich gibt es da schon den ein oder anderen Gefallen, den ich einfordern könnte. So mancher Minister lässt sich beeinflussen, wenn der Druck groß genug ist.« Er wendet sich wieder seinem Gesprächspartner zu. »Sie verlangen viel.«
»Ich gebe noch mehr.«
»Und was ist, wenn Sie Ihr Geheimnis noch anderen verkaufen ?«
Hock Seng schüttelt den Kopf. »Ich benötige keine Flotte. Ich brauche ein Schiff.«
»Tan Hock Seng versucht, sein Schifffahrtsimperium wieder aufzubauen, und das hier, im Königreich Thailand.« Der Kadaverkönig sieht ihn ernst an. »Vielleicht haben Sie ja schon mit anderen abgeschlossen.«
»Ich kann nur beschwören, dass das nicht der Fall ist.«
» Würden Sie das bei Ihren Ahnen beschwören? Bei den Geistern Ihrer Familie, die hungrig durch Malaya wandeln?«
Hock Seng tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ja, das würde ich.«
»Ich möchte sehen, wie diese Technologie funktioniert.«
Hock Seng sieht ihn verwundert an. »Sie haben noch nicht versucht, die Feder aufzuziehen?«
»Warum führen Sie mir das nicht selbst vor?«
Hock Seng grinst. »Sie befürchten, es könnte eine Bombe sein oder so etwas?« Er lacht. »Ich bin kein Spieler. Ich bin Geschäftsmann.« Er schaut sich um. »Haben Sie einen Aufzieher? Lassen Sie uns ausprobieren, mit wie viel Joule er sie aufladen kann. Aber seien Sie vorsichtig damit! Sie ist nicht so elastisch wie eine handelsübliche Feder, wegen des Drehmoments. Man darf sie nicht fallen lassen.« Er deutet auf den Diener. »Du da, stecke die Feder auf deine Aufziehspindel, und probiere, wie viele Joule du hineinbekommst.«
Der Diener zögert. Der Kadaverkönig nickt zustimmend. Die Meeresbrise raschelt über den Dachgarten, während der junge Mann die Spannfeder auf die Spindel setzt und auf das Aufziehrad steigt.
Plötzlich wird Hock Seng von neuen Sorgen heimgesucht. Banyat zufolge hat diese Feder die Qualitätskontrolle passiert, im Unterschied zu den anderen, die sofort brechen, wenn man versucht sie aufzuladen. Banyat hat ihm versichert, die Federn in einem ganz bestimmten Beutel seien die besten. Doch nun, als sich der Diener bereitmacht, in die Pedale zu treten, kommen ihm Zweifel. Wenn er danebengegriffen oder wenn sich Banyat geirrt hat … Warum musste Banyat auch unter die Füße eines verrückt gewordenen Megodonten geraten? Jetzt kann Hock Seng ihn nichts mehr fragen. Er war sich sicher … und doch …
Der Diener strampelt nach Kräften. Hock Seng hält die Luft an. Schweiß bildet sich auf der Stirn des Dieners — er blickt zu Hock Seng und dem Kadaverkönig hinüber, verwundert darüber, wie sehr er sich anstrengen muss. Er legt einen anderen Gang ein. Die Pedale drehen sich, langsamer erst, dann schneller. Der Diener kommt immer mehr in Schwung, schaltet immer höher, presst immer mehr Energie in die Spannfeder.
Der Kadaverkönig schaut nachdenklich zu. »Ich habe jemanden gekannt, der in Ihrer Spannfederfabrik gearbeitet hat. Vor ein paar Jahren. Er hat nicht so mit seinem Geld um sich geworfen wie Sie. Hat sich nicht so bei den anderen Yellow Cards eingeschmeichelt.« Er hält inne. »Wenn ich mich recht erinnere, haben die Weißhemden ihn umgebracht, weil sie es auf seine Armbanduhr abgesehen hatten. Sie haben ihn zusammengeschlagen, weil er sich trotz des nächtlichen Ausgangsverbots auf die Straße gewagt hatte.«
Hock Seng zuckt mit den Schultern und versucht das Bild zu verdrängen — das Bild eines Mannes, der auf dem Pflaster liegt und ihn halbtot um Hilfe anfleht …
Der Blick des Kadaverkönigs schweift in die Ferne. »Und jetzt arbeiten Sie ausgerechnet für dieselbe Firma. Das scheint mir ein äußerst unwahrscheinlicher Zufall zu sein.«
Hock Seng bleibt ihm die Antwort schuldig.
»Dog Fucker hätte besser aufpassen sollen«, fährt der Kadaverkönig fort. »Sie sind ein gefährlicher Mann.«
Hock Seng schüttelt nachdrücklich den Kopf. »Ich möchte nur wieder meine eigenen Geschäfte führen.«
Der Diener strampelt sich weiterhin ab und lässt Joule um Joule in die Feder fließen, zwängt immer mehr Energie in die winzige Kapsel. Der Kadaverkönig beobachte ihn und versucht zu verbergen, wie erstaunt er darüber ist, dass der Vorgang so lange geht. Seine Augen stehen weit offen. Der Diener hat bereits mehr Energie in die Kapsel hineingepresst, als eine Feder dieser Größe eigentlich aufnehmen können sollte. Das Rad wimmert, während der Diener weiter in die Pedale tritt. Hock Seng sagt: »Ein Mann wie dieser wird die ganze Nacht brauchen, um sie aufzuladen. Sie sollten es mit einem Megodonten versuchen.«
»Wie funktioniert sie?«
Hock Seng zuckt mit den Achseln. »Es gibt eine neue Schmierlösung, die es möglich macht, dass die Federn mit weit größerer Spannung aufgeladen werden, ohne zu brechen oder zu blockieren.«
Der junge Mann pumpt weiterhin Energie in die Feder. Diener und Leibwächter versammeln sich um ihn und schauen voller Ehrfurcht zu, wie er sich abstrampelt.
»Erstaunlich«, murmelt der Kadaverkönig.
»Wenn Sie ein effektiveres Tier davorspannen — einen Megodonten oder ein Muli zum Beispiel —, dann geht beim Kalorientransfer fast nichts verloren«, sagt Hock Seng.
Der Blick des Kadaverkönigs ruht auf der Feder, während sein Diener sie weiter aufzieht. »Wir werden Ihre Feder testen, Hock Seng. Wenn sie die Energie genauso gut abgibt, wie sie sie aufnimmt, dann bekommen Sie Ihr Schiff. Bringen Sie mir die Baupläne und die technischen Daten. Mit Leuten wie Ihnen mache ich gerne Geschäfte.« Er gibt einem Diener ein Zeichen, er möge Schnaps bringen. »Auf einen neuen Geschäftspartner!«
Hock Seng wird vor Erleichterung fast schwarz vor Augen. Zum ersten Mal, seit ihm vor langer Zeit in einer Gasse Blut über die Hände lief, seit ein Mann ihn vergebens um Gnade angefleht hat, fließt Alkohol durch seine Adern, und er ist es zufrieden.