»Ich bin davon ausgegangen, dass wir erst in zwei Wochen losschlagen«, wendet Anderson ein. »Wir sind noch nicht einsatzbereit.«
»Die Pläne müssen geändert werden. Ihre Waffenlieferungen und auch die finanzielle Unterstützung sind immer noch recht nützlich.« Akkarat zuckt mit den Achseln. »Allerdings würde es den Wechsel sicher nicht unbedingt einfacher gestalten, wenn Farang-Sturmtruppen hier in der Stadt aufmarschieren würden. Womöglich ist dieser vorgezogene Marschplan sogar am besten.«
Explosionen donnern über die Stadt. Ein Feuer ist ausgebrochen, und der Schein von hellgrünem Methan wechselt langsam ins Gelbliche, als es auf ausgetrockneten Bambus und andere Materialien stößt. Akkarat betrachtet die Flammen und winkt dann den Mann mit dem Radiofon zu sich. Während Akkarat leise in das Gerät spricht und Feuerwehrtrupps aussendet, kurbelt der Gefreite emsig weiter. Akkarat blickt zu Anderson hinüber und erklärt: »Wenn das Feuer außer Kontrolle gerät, haben wir bald keine Stadt mehr, die es zu verteidigen gilt.«
Anderson sieht sich die Ausbreitung des Feuers an — der helle Widerschein auf dem Chedi des Palastes, dem Tempel des Smaragd-Buddhas. »Das Feuer wütet in der Nähe der Stadtsäule.«
»Khap. Und wir können nicht zulassen, dass die Säule verbrennt. Es wäre ein schlechtes Omen für eine neue Regierung, die stark und fortschrittlich erscheinen sollte.«
Anderson lehnt sich über die Balkonbrüstung. Seine geschiente Hand schmerzt immer noch, aber nachdem der Militärarzt den Knochen gerichtet hat, fühlt es sich wesentlich besser an als noch vor ein paar Stunden. Außerdem ist er in einen angenehmen Morphinschleier gehüllt, der den Schmerz in Schach hält.
Ein weiterer Feuerbogen zerteilt den Himmel — eine Rakete, die weit entfernt auf das Gelände des Umweltministeriums niedergeht. Es ist kaum zu glauben, wie viele Truppen Akkarat für seine Machtübernahme mobilisieren konnte. Der Mann besitzt weit mehr Einfluss, als er hat durchblicken lassen. Anderson versucht, seine nächste Frage beiläufig klingen zu lassen.
»Ich nehme an, dieser beschleunigte Zeitplan hat keinerlei Auswirkungen auf die Einzelheiten unserer Vereinbarung?«
» AgriGen wird auch in der neuen Ära unser bevorzugter Partner bleiben.« Anderson entspannt sich angesichts dieser beruhigenden Worte, doch bereits Akkarats nächster Satz lässt ihn wieder aufschrecken. »Natürlich hat sich die Situation ein wenig verändert. Immerhin waren Sie nicht in der Lage, einige der versprochenen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.«
Anderson schaut ihn scharf von der Seite an. »Wir hatten einen Zeitplan ausgemacht. Die versprochenen Truppen sind auf dem Weg, zusammen mit weiteren Waffen und Geldern.«
Akkarat lächelt kaum merklich. »Machen Sie doch nicht so ein besorgtes Gesicht. Ich bin mir sicher, dass wir uns einigen können.«
»Wir möchten nach wie vor Zugang zur Samenbank erhalten. «
Akkarat zuckt mit den Schultern. »Ich verstehe Ihren Standpunkt.«
»Lassen Sie nicht außer Acht, dass Carlyle die Pumpen besitzt, die Sie für die Regenzeit benötigen.«
Akkarat wirft Carlyle einen Blick zu. »Ich bin ganz sicher, dass sich hierfür eine gesonderte Lösung finden lässt.«
»Nein!«
Carlyle grinst und schaut von einem zum anderen, dann hält er abwehrend die Hände hoch, während er ein paar Schritte zurückweicht. »Machen Sie das untereinander aus. Diese Meinungsverschiedenheit betrifft mich nicht.«
»Ganz recht!« Akkarat wendet sich wieder den Kampfhandlungen zu.
Anderson beobachtet ihn argwöhnisch. Sie können immer noch Druck auf diesen Mann ausüben. Die Garantie für fruchtbares Saatgut der neuesten Generation. Reis, der mindestens zwölf Aussaaten lang gegen Rostwelke immun ist. Er denkt darüber nach, wo Akkarats schwacher Punkt liegen könnte und wie er das alles wieder ins Lot bringen kann, doch das Morphin und die Erschöpfung der letzten vierundzwanzig Stunden setzen ihm stark zu.
Rauch von einem der Großfeuer weht herein und lässt alle in Hustenanfälle ausbrechen, bis der Wind sich dreht und ihn in eine andere Richtung bläst. Leuchtgeschosse und Raketen beschreiben über der Stadt hohe Bögen, gefolgt von grollenden Explosionen in weiter Ferne.
Carlyle zieht die Stirn kraus. »Was war das?«
»Wahrscheinlich die Krut-Kompanie der Armee. Ihr Kommandant hat unser Freundschaftsangebot ausgeschlagen. Er beschießt bestimmt auf Prachas Geheiß hin die Ankerplätze«, sagt Akkarat. »Die Weißhemden wollen Nachschublieferungen verhindern. Wenn wir sie nicht aufhalten, werden sie auch vor dem Damm nicht haltmachen.«
»Aber dann würde die Stadt untergehen.«
»Und es wäre allein unsere Schuld.« Akkarat verzieht das Gesicht. »Beim Staatsstreich vom zwölften Dezember wurden die Deiche nur mit knapper Not verteidigt. Sobald Pracha das Gefühl hat, dass er diesen Kampf verliert — und inzwischen müsste er wissen, dass es so ist —, nehmen die Weißhemden vielleicht die Stadt als Geisel, um eine für sie günstigere Kapitulation zu erzwingen.« Er zuckt mit den Achseln. »Wirklich zu schade, dass Sie Ihre Kohlepumpen noch nicht geliefert haben.«
»Sowie die Kampfhandlungen eingestellt worden sind«, sagt Carlyle, »werde ich Kalkutta kontaktieren und sie verladen lassen.«
»Ich hätte auch nichts anderes erwartet.« Akkarats Zähne blitzen.
Anderson bringt seine Gesichtszüge unter Kontrolle, die seinen Missmut bereits verraten wollen. Ihm behagt dieses freundliche Geplänkel überhaupt nicht. Es scheint fast, als sei ihre Festnahme von vorhin schon wieder vergeben und vergessen und Akkarat und Carlyle wären wieder beste Freunde. Es gefällt ihm ganz und gar nicht, wie Akkarat Andersons eigene Interessen von Carlyles abzukoppeln scheint.
Anderson lässt den Blick über die Szenerie schweifen und wägt seine Möglichkeiten ab. Wenn er nur wüsste, wo die Samenbank ist, könnte er einen Stoßtrupp dorthin beordern und die Wirren des Bürgerkriegs nutzen, um sie einzunehmen.
Schreie dringen zu ihnen hinauf. Unten auf der Straße irren Menschen umher und starren das Trümmerfeld an. Sie alle wissen nicht, was dieser Krieg für sie bereithalten wird. Anderson folgt den Blicken der kopflosen Menge. Schwarz ragen die Hochhäuser aus der Zeit der Großen Expansion inmitten der Brandherde empor; in den Fenstern funkeln fröhlich Glasscherben. Jenseits des Stadtrands und der Flammen plätschert schemenhaft der weite Ozean, eine dunkle, unermessliche Fläche. Von hier oben betrachtet, erscheint der Damm seltsam unwirklich. Ein Ring aus Gaslichtern, und dahinter nichts als hungrige Schwärze.
»Wären sie tatsächlich in der Lage, eine Bresche in den Damm zu schießen?«, fragt Anderson.
Akkarat zuckt mit den Schultern. »Es gibt da die eine oder andere Schwachstelle. Ursprünglich hatten wir geplant, diese mit zusätzlichen Einheiten der Kriegsmarine aus dem Süden zu besetzen, aber ich gehe davon aus, dass wir es auch ohne sie schaffen.«
»Und wenn nicht?«
»Dem Mann, der zugelassen hat, dass die Stadt untergeht, wird das Volk niemals vergeben«, sagt Akkarat. »Wir können das nicht zulassen. Wir werden um den Damm kämpfen wie einst die Dorfbewohner von Bang Rajan.«
Anderson lässt den Blick noch einmal über die Brandherde und das Meer gleiten. Carlyle stützt sich neben ihm auf die Brüstung. Sein Gesicht schimmert im Feuerschein. Er lächelt das Lächeln eines Mannes, der nicht verlieren kann. Anderson beugt sich zu ihm hinüber. »Akkarat mag hier sehr einflussreich sein, aber AgriGen ist es überall sonst.« Er blickt dem Handelsschiffer in die Augen. »Denken Sie daran.« Mit Genugtuung beobachtet er, wie Carlyles Lächeln verschwindet.
Geschützfeuer hallt zu ihnen herüber. Hier oben könnte man glauben, der Krieg ginge einen nichts an. Als würde ein Haufen Ameisen um Sandhügel kämpfen. Als hätte jemand zwei Nester aufeinandergeworfen, um das Aufeinandertreffen zweier unbedeutender Zivilisationen zu untersuchen. Flammen schlagen in die Höhe.
Am Horizont löst sich ein Schatten aus der schwarzen Nacht. Ein Luftschiff, das auf die lodernde Stadt herabsinkt. Es schwebt dicht über den Flammen, als plötzlich ein großer Schwall Meerwasser aus seinem Bauch strömt und das Feuer erlischt.
Akkarat sieht lächelnd zu. »Das gehört zu uns.«
Und dann, so als sei das Feuer nicht gelöscht, sondern vielmehr in die Luft hinaufgetragen worden, explodiert das Schiff. Flammen schlagen aus seinen Rumpf, von dem sich gleißend hell einzelne Stücke lösen, während das große Tier auf die Stadt niedersinkt, wo es auf den Gebäuden zerschellt.
»Grundgütiger«, entfährt es Anderson. »Sind Sie wirklich sicher, dass Sie unsere Verstärkung nicht jetzt schon brauchen? «
Akkarat verzieht keine Miene. »Ich hätte nicht gedacht, dass die genug Zeit hätten, um Raketen einzusetzen.«
Eine gewaltige Explosion erschüttert die Stadt, grünes Gas geht in Flammen auf und lodert am Stadtrand empor. Eine ganze Wolke aus Flammen, die sich in wildem Geflacker immer weiter ausbreitet. Unvorstellbare Mengen von verdichtetem Gas branden da in Form eines tosenden grünen Pilzes himmelwärts.
»Ich vermute, das war die strategische Reserve des Umweltministeriums«, kommentiert Akkarat den Ausbruch.
»Wunderschön«, murmelt Carlyle. »Verdammt nochmal, einfach wunderschön.«