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Die Weißhemden sind überall: Sie kontrollieren Ausweise, stolzieren über Märkte, konfiszieren Methan. Hock Seng hat Stunden gebraucht, um die Stadt zu durchqueren. Gerüchten zufolge sind alle malaiischen Chinesen in den Yellow-Card-Hochhäusern interniert worden. Sie sollen nach Süden transportiert werden, zurück über die Grenze, der Gnade der Grünen Brigaden ausgeliefert. Hock Seng lauscht auf das leiseste Flüstern, während er durch die Gassen schleicht, um zu seiner Barschaft und den Edelsteinen zurückzugelangen; Mai, die hier geboren ist, schickt er voraus, damit sie mit ihrem einheimischen Akzent Fragen stellen kann.

Als die Nacht hereinbricht, sind sie noch immer weit von ihrem Ziel entfernt. Das Geld, das er SpringLife gestohlen hat, lastet schwer auf ihm. Manchmal hat er Angst, Mai könnte sich plötzlich gegen ihn wenden und ihn den Weißhemden melden — bestimmt würde sie dafür mit einem Teil der Scheine belohnt, die er bei sich trägt. Dann wieder hält er sie für eine seiner Töchter und hofft inständig, sie vor allem beschützen zu können, was ihnen droht.

Ich verliere den Verstand, denkt er bei sich. Jetzt halte ich schon ein albernes Thaimädchen für mein eigenes Kind.

Doch er vertraut dem zarten Kind, der Tochter eines Fischfarmers — schließlich hat sie ihm bisher immer gehorcht, als er noch über ein Mindestmaß an Autorität verfügte. Er betet, dass sie seine jetzige Hilflosigkeit nicht ausnutzen wird.

Schließlich wird es ganz dunkel.

»Wovor fürchten Sie sich denn so?«, fragt Mai.

Hock Seng zuckt mit den Achseln. Sie begreift nicht, wie komplex die Verhältnisse in der Stadt geworden sind — wie sollte sie auch? Für sie ist das nur ein Spiel. Ein wenig beängstigend, das schon, aber trotzdem ein Spiel.

»Als die braunen Menschen in Malaya plötzlich über die gelben Menschen herfielen, war das so ähnlich. Plötzlich war alles anders geworden. Die religiösen Fanatiker mit ihren grünen Stirnbändern und Macheten …« Erneut zuckt er mit den Achseln. »Je vorsichtiger wir sind, desto besser.«

Er späht aus seinem Versteck auf die Straße hinaus und duckt sich sofort wieder. Weißhemden hängen ein weiteres Plakat des Tigers von Bangkok auf — Jaidee Rojjanasukchai, mit schwarzem Rand. Erst ist er in Ungnade gefallen, und jetzt wird er heiliggesprochen! Hock Seng verzieht das Gesicht. Die verschlungenen Wege der Politik.

Die Weißhemden gehen weiter. Hock Seng sucht erneut die Straße ab. Allmählich wird es kühler, und die Leute trauen sich wieder hinaus. Sie schlendern durch die schwüle Dunkelheit, kaufen ein, statten einem besonders geschätzten Essenstand einen Besuch ab, um Som Tam zu genießen. Weiße Uniformen leuchten grün im Schein der genehmigten Methanflammen. Die Soldaten bleiben in Gruppen beieinander, machen wie Schakale Jagd auf verletztes Fleisch. Vor Ladenzeilen und Hauseingängen sind kleine Schreine aufgebaut, die Jaidee gewidmet sind. Flackernde Kerzen stehen vor mit Ringelblumen behängten Fotografien. Sie sollen Solidarität ausdrücken und vor dem Zorn der Weißhemden schützen.

Im nationalen Radiosender werden Vorwürfe laut. General Pracha spricht von der Notwendigkeit, das Königreich vor denjenigen zu beschützen, die es stürzen wollen. Namen nennt er jedoch mit Bedacht keine. Seine Stimme dringt knisternd aus tragbaren Radioapparaten. Die Leute hören ihm aufmerksam zu — Verkäufer und Hausfrauen, Bettler und Kinder. Das Grün der Methanlampen verleiht ihrer Haut einen seltsamen Glanz. Zwischen dem Rascheln der Sarongs und Pha Sin und dem Klirren der rotgoldenen Megodontenführer sind die Weißhemden jedoch allgegenwärtig; mit ausdrucksloser Miene halten sie Ausschau nach einem Vorwand, um ihrem Zorn freien Lauf zu lassen.

»Na los.« Hock Seng stupst Mai an. »Schau nach, ob es sicher ist.«

Nach einer Weile kehrt Mai zurück und bedeutet ihm zu folgen. Gemeinsam bahnen sie sich einen Weg durch die Menge. Wenn es irgendwo auffällig still ist, ist ihnen das eine Warnung vor Weißhemden — die Angst lässt lachende Liebende verstummen, spielende Kinder laufen davon, und die Menschen senken die Köpfe. Hock Seng und Mai kommen an einem Nachtmarkt vorbei. Sein Blick schweift über Kerzen, gebratene Nudeln, schimmernde Cheshire.

Ein Schrei hallt über den Platz. Mai huscht hinüber und ist sofort wieder da. »Khun. Kommen Sie schnell«, sagt sie und zieht ihn am Arm. »Sie sind abgelenkt.« Und schon hasten sie an einer Gruppe von Weißhemden und ihren Opfern vorbei.

Eine alte Frau liegt neben ihrer Garküche und hält ihr zertrümmertes Knie umklammert. Während ihre Tochter versucht ihr aufzuhelfen, sammelt sich eine Menschenmenge.

Die Glasvitrinen, in denen sie ihre Zutaten aufbewahrten, sind zerschlagen. In der Chilisoße funkeln Scherben, ebenso zwischen den Bohnensprossen und auf den Limonen; im Schein des Methans gleißen sie wie grüne Diamanten. Die Weißhemden stochern mit ihren Schlagstöcken in den Zutaten.

»Komm schon, Tantchen, da muss es doch noch ein paar Scheine mehr geben. Du hast gedacht, du könntest die Weißhemden bestechen, aber um unbesteuertes Methan zu verbrennen, genügt das noch lange nicht.«

»Warum tut ihr das?«, heult die Tochter. »Was haben wir euch getan?«

Der Soldat mustert sie mit ausdruckslosem Blick. »Ihr habt geglaubt, ihr könntet machen, was ihr wollt.« Sein Schlagstock kracht ein weiteres Mal auf das Knie der alten Frau. Sie kreischt los, und ihre Tochter duckt sich.

Der Soldat ruft seine Männer zu sich. »Bringt die Methanflasche zu den anderen. Wir müssen uns noch drei weitere Straßen vornehmen.« Er dreht sich zu der schweigenden Menge um. Hock Seng erstarrt, als der Blick des Offiziers über ihn hinweggleitet.

Nicht wegrennen. Ganz ruhig. Solange du nichts sagst, fällst du nicht auf.

Der Offizier schenkt den Schaulustigen ein humorloses Lächeln. »Erzählt euren Freunden, was ihr hier gesehen habt. Wir sind keine Hunde, die man mit Resten abspeist. Wir sind Tiger. Ihr tut gut daran, uns zu fürchten!« Damit hebt er den Schlagstock, und die Menge zerstreut sich. Auch Hock Seng und Mai gehen davon.

Einen Block später lehnt sich Hock Seng, schon ganz erschöpft von ihrer Flucht, an die Wand. Die Stadt hat sich in ein Ungeheuer verwandelt. In jeder Straße drohen Gefahren.

In einer Gasse knistert ein Transistorradio: Nachrichten. Die Docks und die Fabriken sind geschlossen worden. Wer das Hafenviertel betreten möchte, benötigt eine Sondergenehmigung.

Hock Seng unterdrückt ein Schaudern. Es geht wieder los. Überall Mauern, und er sitzt in der Stadt fest, wie eine Ratte in der Falle. Er ringt seine Panik nieder. Er hat Vorkehrungen getroffen. Für alle Eventualitäten. Aber erst muss er es nach Hause schaffen.

Bangkok ist nicht Malacca. Dieses Mal bin ich vorbereitet.

Schließlich sind sie von den ihm wohlvertrauten Hütten und Gerüchen des Yaowarat-Slums umgeben. Sie schlüpfen durch schmale Durchgänge. Vorbei an den Leuten, die ihn nicht kennen. Wieder muss er sich seiner Angst erwehren. Falls die Weißhemden den Paten des Slums unter Druck gesetzt haben, droht ihm vielleicht Gefahr. Er schiebt den Gedanken beiseite, zerrt die Tür auf und bedeutet Mai, ihm zu folgen.

»Du hast dich wacker geschlagen.« Er greift in seinen Beutel und reicht ihr eine Handvoll von dem gestohlenen Geld. »Wenn du noch mehr haben möchtest, dann komm morgen wieder.«

Sie starrt die gewaltige Summe an, die er ihr so beiläufig gegeben hat.

Wenn er klug wäre, dann würde er sie erwürgen und damit die Wahrscheinlichkeit verringern, dass sie ihn verrät, um an den Rest seiner Ersparnisse heranzukommen. Aber daran will er nicht glauben. Bisher hat sie sich loyal verhalten. Irgendjemandem muss er schließlich vertrauen! Und sie ist eine Thailänderin, was nützlich ist, besonders jetzt, wo Yellow Cards plötzlich so entbehrlich sind wie Cheshire.

Sie steckt das Geld in eine ihrer Taschen.

»Findest du von hier aus nach Hause?«, fragt er.

Sie grinst. »Ich bin keine Yellow Card. Ich habe nichts zu befürchten.

Hock Seng zwingt sich, ihr Lächeln zu erwidern — woher soll sie auch wissen, dass niemand sich die Mühe machen wird, die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn ein ganzes Feld in Brand gesteckt wird.

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