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Ralphs Plakate, die die Versammlung am 18. August ankündigten, hingen überall in Boulder. Es gab erregte Diskussionen, bei denen es hauptsächlich um die guten und schlechten Eigenschaften der sieben Mitglieder des Ad-hoc-Komitees ging.
Mutter Abagail ging erschöpft zu Bett, bevor das Licht des Tages erloschen war. Den ganzen Tag war der Strom der Besucher, die alle ihre Meinung wissen wollten, nicht abgerissen. Sie räumte ein, daß sie die für das Komitee benannten Personen für eine gute Auswahl hielt. Die meisten Leute wollten besorgt wissen, ob sie in einem ständigen Komitee mitarbeiten wollte, sollte während der Versammlung eins gewählt werden. Sie erwiderte, daß das ein wenig zu ermüdend sein würde, sie jedoch ein Komitee aus gewählten Repräsentant en jederzeit nach Kräften unterstützen wolle, falls man ihre Unterstützung wollte. Immer wieder versicherten ihr die Leute, daß ein ständiges Komitee, das auf ihre Hilfe keinen Wert legte, sofort abgesetzt werden würde, komplett. Mutter Abagail ging müde, aber zufrieden zu Bett.
Wie Nick Andros an diesem Abend. Innerhalb eines einzigen Tages war die Freie Zone mittels eines handbetriebenen Matritzenkopierers und eines einzigen damit bedruckten Plakats von einer Ansammlung Flüchtlinge zu einem Wahlvolk geworden. Das gefiel den Leuten; sie hatten das Gefühl, nach einer langen Periode des freien Falls endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Am Nachmittag hatte Ralph ihn zum Kraftwerk gefahren. Ralph, Stu und er hatten für übermorgen ein vorbereitendes Treffen bei Stu und Frannie verabredet. So hätten die sieben noch zwei Tage Zeit, die Ansichten der Leute anzuhören.
Nick lächelte und legte die Hände an die nutzlosen Ohren.
»Lippenlesen ist noch besser«, sagte Stu. »Weißt du, Nick, ich glaube, wir machen mit den durchgeschmorten Motoren Fortschritte. Dieser Brad Kitchner arbeitet wie der Teufel. Wenn wir zehn wie ihn hätten, würde die ganze Stadt bis zum ersten September wieder perfekt funktionieren.«
Nick machte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, und sie gingen gemeinsam hinein.
An diesem Nachmittag gingen Larry Underwood und Leo Rockway durch die Arapahoe Street nach Westen zu Harolds Haus. Larry trug den Rucksack, den er durch das ganze Land geschleppt hatte, aber heute abend waren nur die Flasche Wein und ein halbes Dutzend Paydays darin.
Lucy war mit einer Gruppe von sechs Leuten unterwegs, die zwei Abschleppwagen genommen hatten und anfingen, in und um Boulder die liegengebliebenen Wagen von den Straßen zu räumen. Das Problem war, sie arbeiteten auf sich allein gestellt - es war eine sporadische Operation, die nur gemacht wurde, wenn genügend Leute Lust hatten, sich zusammenzutun und anzufangen. Ziellose Bienen, keine fleißigen Bienen, dachte Larry und betrachtete ein Plakat mit der Überschrift MASSENVERSAMMLUNG, das an einen Telegrafenmast genagelt war. Vielleicht war das die Lösung. Verdammt, die Leute hier wollten arbeiten; sie brauchten nur jemanden, der alles koordinierte und ihnen sagte, was sie tun sollten. Er glaubte, am allermeisten wollten sie die Spuren dessen tilgen, was im Frühsommer hier passiert war (konnte es tatsächlich schon Spätsommer sein?), wie man mit einem Schwamm schlimme Wörter von einer Tafel wischte. Vielleicht können wir es nicht von einem Ende Amerikas zum anderen, dachte Larry, aber hier in Boulder sollten wir es schaffen, bevor Schnee fällt, wenn Mutter Natur mitspielt.
Er drehte sich um, als er Glas klirren hörte. Leo hatte einen großen Stein aus einem Steingarten durch das Fenster eines alten Ford geworfen. Auf einem Aufkleber an der hinteren Stoßstange des Ford stand: ES MACHT SPASS ÜBER'N PASS - GOLD CREEK CANYON.
»Nicht, Joe.«
»Ich bin Leo.«
»Leo«, verbesserte er sich. »Mach das nicht.«
»Warum nicht?« fragte Leo unschuldig, und Larry fiel lange keine zufriedenstellende Antwort ein.
»Weil es sich häßlich anhört«, sagte er schließlich.
»Oh. Okay.«
Sie gingen weiter. Larry steckte die Hände in die Taschen. Leo folgte seinem Beispiel. Larry trat nach einer Bierdose. Leo machte einen Schlenker, um einen Stein wegzutreten. Larry pfiff eine Melodie. Leo versuchte ein flüsterndes, schnaufendes Geräusch als Begleitung. Larry strich dem Jungen durchs Haar, und Leo sah mit seinen seltsamen Chinesenaugen zu ihm auf und grinste. Larry dachte: Herrgott, ich habe mich in den Jungen verliebt. Wahnsinn.
Sie kamen zu dem Park, den Frannie erwähnt hatte; gegenüber sahen sie ein grünes Haus mit weißen Fensterläden. Auf dem Betonpfad, der zur Haustür führte, stand eine Schubkarre mit Ziegelsteinen, daneben ein Abfalleimer mit Do-it-yourselfZementmischung, in die man nur noch Wasser kippen mußte. Daneben hockte mit dem Rücken zu ihnen ein breitschultriger Typ, der das Hemd ausgezogen und auf dem Rücken noch Spuren eines schlimmen Sonnenbrands hatte. In einer Hand hatte er eine Maurerkelle. Er war damit beschäftigt, eine flache geschwungene Begrenzung um ein Blumenbeet zu machen.
Larry dachte an Frans Worte: Er hat sich verändert... ich weiß nicht, wie und warum... und manchmal glaube ich zu seinem Vorteil... und manchmal habe ich Angst.
Dann trat er vor und sagte, wie er es sich auf seiner langen Reise durch das Land vorgenommen hatte: »Harold Lauder, vermute ich?«
Harold fuhr überrascht hoch, dann drehte er sich mit einem Ziegel in der einen und der Kelle, von der noch Mörtel tropfte und die er wie eine Waffe hochhielt, in der anderen Hand um und stand auf. Aus dem Augenwinkel meinte Larry zu sehen, wie Leo zurückzuckte. Sein erster Gedanke war, klar, Harold sah nicht aus wie er ihn sich vorgestellt hatte. Sein zweiter Gedanke galt der Kelle. Mein Gott, will er mir mit dem Ding eins überziehen? Harolds Gesicht war verkniffen, die Augen schmal und dunkel. Das Haar fiel als verklebte Locke in die schweißbedeckte Stirn. Seine Lippen waren zusammengepreßt und fast weiß.
Und dann trat eine so plötzliche und vollkommene Verwandlung ein, daß Larry später kaum glauben konnte, dieses verkniffene Gesicht gesehen zu haben, das Gesicht eines Mannes, dem man eher zutrauen würde, daß er jemanden im Keller lebendig einmauert, als eine Begrenzung um ein Blumenbeet zu ziehen.
Er lächelte, ein breites und argloses Grinsen, das tiefe Grübchen an beiden Mundwinkeln bildete. Der drohende Glanz verschwand aus seinen Augen (sie waren flaschengrün, und wie konnten so klare und fleckenlose Augen bedrohlich, sogar finster gewirkt haben?). Er stiess die Mörtelkelle in den Beton - flatsch -, wischte sich die Hände an den Jeans ab und kam mit ausgestreckter Hand näher. Larry dachte: Mein Gott, er ist ein Kind, jünger als ich. Wenn er schon achtzehn ist, fresse ich die Kerzen von seinem letzten Geburtstagskuchen.
»Ich glaube, ich kenne dich nicht«, sagte Harold und grinste beim Händeschütteln. Er hatte einen festen Griff. Larrys Hand wurde genau dreimal auf und ab bewegt und dann losgelassen. Es erinnerte Larry daran, wie er einmal George Bush die Hand geschüttelt hatte, als der alte Buschklopfer für das Präsidentenamt kandidiert hatte. Das war bei einer politischen Versammlung gewesen, welche er auf den Rat seiner Mutter hin besucht hatte, die ihm vor vielen Jahren gesagt hatte: Wenn du dir das Kino nicht leisten kannst, geh in den Zoo. Wenn du dir den Zoo nicht leisten kannst, geh zu einer politischen Versammlung.
Aber Harolds Grinsen war ansteckend, und Larry grinste auch. Kind oder nicht, Händedruck eines Politikers oder nicht, sein Grinsen schien echt zu sein, und nach der ganzen Zeit, nach allen PaydayPackungen, sah er Harold Lauder jetzt leibhaftig vor sich.
»Nein, du kennst mich nicht«, sagte Larry. »Aber ich dich.«
»Tatsächlich?« rief Harold, und sein Grinsen eskalierte. Wenn es noch breiter wird, dachte Larry amüsiert, würden die Mundwinkel am Hinterkopf zusammentreffen und die oberen zwei Drittel seines Kopfes einfach herunterfallen.
»Ich bin dir von Maine aus durch das ganze Land gefolgt«, sagte Larry.
»Na so was! Echt?«
»Echt.« Larry nahm den Rucksack von den Schultern. »Hier, ich hab' dir was mitgebracht.« Er holte die Flasche Bordeaux heraus und gab sie Harold.
»Das wäre aber nicht nötig gewesen«, sagte Harold und betrachtete erstaunt die Flasche. »1947?«
»Ein guter Jahrgang«, sagte Larry. »Und das hier.«
Er gab Harold fast ein halbes Dutzend Payday -Riegel in die andere Hand. Einer glitt ihm durch die Finger und fiel ins Gras. Harold bückte sich, um ihn aufzuheben, und dabei sah Larry wieder flüchtig den anderen Gesichtsausdruck.
Harold kam lächelnd wieder hoch. »Woher hast du das gewußt?«
»Ich bin deinen Zeichen gefolgt... und deinen Payday-Packungen.«
»Ich werd' verrückt. Komm ins Haus. Wir müssen ein großes Palaver veranstalten, wie mein Dad so gern gesagt hat. Trinkt der Junge eine Cola?«
»Sicher. Leo, möchtest du...«
Er drehte sich um, aber Leo stand nicht mehr neben ihm. Er war ganz zur Straße zurückgelaufen und betrachtete einige Risse im Pflaster, als wären sie von großem Interesse für ihn.
»He, Leo! Willst du 'ne Cola?«
Leo murmelte etwas, das Larry nicht hören konnte.
»Sprich lauter!« sagte er gereizt. »Wozu hat Gott dir eine Stimme gegeben? Ich habe gefragt, ob du eine Cola willst.«
Kaum hörbar sagte Leo: »Ich glaube, ich gehe zu Nadine-Mom zurück.«
»Warum das denn? Wir sind eben erst angekommen!«
»Ich will zurück!« sagte Leo und sah vom Pflaster auf. Die Sonne blitzte zu hell in Leos Augen, und Larry dachte: Um Gottes willen, was soll das? Er weint ja fast.
»Moment mal«, sagte er zu Harold.
»Klar«, sagte Harold. »Kinder sind manchmal schüchtern. War ich auch.«
Larry ging zu Leo hinüber und kauerte sich nieder, so daß sie Auge in Auge waren. »Was ist los, Junge?«
»Ich will einfach zurück«, sagte Leo, ohne ihn anzusehen. »Ich will zu Nadine-Mom.«
»Aber du...« Er schwieg hilflos.
»Ich will zurück.« Er sah Larry kurz an. Sein Blick flackerte über Larrys Schulter zu Harold, der mitten auf dem Rasen stand. Dann wieder auf das Pflaster. »Bitte.«
»Magst du Harold nicht?«
»Ich weiß nicht... doch... ich will nur zurück.«
Larry seufzte. »Findest du denn den Weg?«
»Klar.«
»Okay. Aber ich wünsche mir, du würdest mit reinkommen und eine Cola trinken. Ich habe mich schon lange darauf gefreut, Harold kennenzulernen. Das weißt du doch, oder?«
»Ja-a.«
»Und wir könnten zusammen nach Hause gehen.«
»Ich gehe nicht in das Haus«, zischte Leo, und einen Moment war er wieder Joe mit leer und wild blickenden Augen.
»Okay«, sagte Larry hastig. Er stand auf. »Geh aber gleich nach Hause. Ich werde nachhören. Treib dich nicht auf der Straße rum.«
»Mach' ich.« Und plötzlich stieß Leo heiser flüsternd hervor: »Warum kommst du nicht mit? Gleich jetzt? Wir gehen zusammen. Bitte, Larry. Okay ?«
»Mein Gott, Leo, wa...«
»Vergiß es«, sagte Leo. Und bevor Larry etwas sagen konnte, war Leo schon davongelaufen. Larry blickte ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Er wandte sich mit einem besorgten Stirnrunzeln Harold zu.
»Das macht nichts«, sagte Harold. »Kinder sind manchmal komisch.«
»Er auf jeden Fall, aber er hat wohl ein Recht dazu. Er hat viel durchgemacht.«
»Jede Wette«, sagte Harold, und einen Augenblick empfand Larry Mißtrauen und spürte, daß Harolds rasche Sympathie für einen Jungen, den er nie gesehen hatte, so falsch war wie Eipulver.
»Na, komm rein«, sagte Harold. »Du bist sozusagen mein erster Besuch. Frannie und Stu sind ein paarmal hier gewesen, aber die zählen kaum.« Sein Grinsen wurde ein Lächeln, ein etwas trauriges Lächeln, und Larry empfand plötzlich Mitleid mit dem Jungen - denn er war wirklich noch ein Junge. Er war einsam, und hier stand Larry, derselbe alte Larry, der nie ein gutes Wort für jemanden hatte, und beurteilte ihn aufgrund von heißer Luft. Das war nicht gerecht. Er mußte aufhören, so verdammt mißtrauisch zu sein.
»Gern«, sagte er.
Das Wohnzimmer war klein, aber gemütlich. »Wenn ich Zeit habe, stelle ich ein paar neue Möbel rein«, sagte Harold. »Moderne. Chrom und Leder. Scheiß auf die Kosten. Ich habe Master-Card.«
Larry lachte herzlich.
»Im Keller sind ein paar gute Gläser, die hol' ich. Ich glaube, ich verzichte auf die Schokoriegel, wenn es dir nichts ausmacht - ich lass die Süßigkeiten sein und versuche abzunehmen, aber den Wein müssen wir probieren, immerhin ist es ein besonderer Anlaß. Du bist uns durch ganz Maine gefolgt und hast dich nach meinen - unseren - Zeichen gerichtet. Echt stark. Davon mußt du mir erzählen. Nimm derweil den grünen Sessel. Er ist das kleinste Übel.«
Während dieses Wortschwalls hatte Larry einen letzten zweifelnden Gedanken: Er redet sogar wie ein Politiker - aalglatt und schnell und gewieft.
Harold ging, und Larry setzte sich in den grünen Sessel. Er hörte eine Tür und Harold mit schweren Schritten die Kellertreppe hinuntergehen. Er sah sich um. Nein, keines der großen Wohnzimmer der Welt, aber mit einem Zottelteppich und ein paar neuen Möbeln könnte es was werden. Das beste war der schöne Kamin. Wunderbare Handarbeit, sorgfältig ausgeführt. Aber ein Stein hatte sich gelockert. Es kam Larry vor, als wäre er herausgefallen und etwas nachlässig wieder eingesetzt worden. Es so zu lassen wäre, als würde man ein Teil aus dem Puzzle lassen oder ein Bild schief an die Wand hängen.
Er stand auf und nahm den Stein aus dem Kamin. Harold machte sich immer noch im Keller zu schaffen. Larry wollte den Stein gerade wieder einsetzen, als er unten in der Öffnung ein Buch sah, dessen Deckel leicht eingestaubt war, aber nicht so sehr, daß man das goldgeprägte Wort nicht lesen konnte: HAUPTBUCH.
Er schämte sich etwas, als hätte er absichtlich herumgeschnüffelt, und setzte rasch den Stein wieder ein, als Harolds Schritte wieder die Treppe heraufkamen. Diesmal saß er perfekt, und als Harold das Zimmer betrat, in jeder Hand ein Weinglas, saß Larry schon wieder in dem grünen Sessel.
»Ich mußte sie unten im Spülbecken auswaschen«, sagte Harold.
»Sie waren ein wenig staubig.«
»Die sehen gut aus«, sagte Larry. »Hör mal, ich kann nicht beschwören, daß der Bordeaux nicht umgekippt ist. Vielleicht ist er schon Essig.«
»Wer nicht wagt«, sagte Harold grinsend, »der nicht gewinnt.«
Sein Grinsen machte Larry Unbehagen, er mußte an das Hauptbuch denken - gehörte es Harold, oder hatte es dem früheren Besitzer des Hauses gehört? Und wenn es Harolds Buch war, was in aller Welt könnte er hineingeschrieben haben?
Sie köpften die Flasche Bordeaux und fanden zu ihrer gemeinsamen Freude heraus, daß der Wein hervorragend war. Nach einer halben Stunde waren sie beide angenehm beschwipst, Harold ein wenig mehr als Larry. Aber Harolds Grinsen war geblieben, sogar noch breiter als vorher.
Der Wein hatte Larry ein wenig die Zunge gelöst, als er sagte:
»Diese Plakate. Die große Versammlung am achtzehnten August. Wieso bist du nicht in diesem Komitee, Harold? Jemand wie du wäre doch die logische Wahl.«
Harolds Lächeln wurde riesig, strahlend. »Nun, ich bin noch ziemlich jung. Wahrscheinlich halten sie mich für zu unerfahren.«
»Ich finde, das ist eine Schande.« Fand er das wirklich? Das Grinsen. Der so plötzlich verschwundene finstere Ausdruck von Mißtrauen. Fand er das wirklich? Er war nicht sicher.
»Nun, wer weiß, was die Zukunft bringt«, sagte Harold und grinste breit. »Jeder Hund hat seinen Tag.«
Gegen fünf Uhr ging Larry. Der Abschied von Harold war freundlich; Harold schüttelte ihm die Hand, grinste und bat ihn, öfter zu kommen. Aber Larry wurde das Gefühl nicht los, daß es Harold scheißegal war, ob er je wiederkam.
Langsam ging er den Betonpfad zur Straße hinunter, drehte sich um und wollte winken, aber Harold war schon wieder reingegangen. Die Tür war geschlossen. Im Haus war es kühl gewesen, weil die Jalousien heruntergelassen waren, und das hatte er als angenehm empfunden, aber als er jetzt wieder draußen stand, fiel ihm ein, dass er in Boulder noch nie in einem Haus gewesen war, bei dem die Jalousien heruntergelassen waren. Natürlich gab es viele Häuser mit heruntergelassenen Jalousien. Das waren die Häuser der Toten. Als sie krank wurden, hatten sie die Vorhänge vor der Welt zugezogen. Sie hatten sie zugezogen und waren im Verborgenen gestorben, wie ein Tier, wenn seine Stunde gekommen ist. Die Lebenden - vielleicht in der unbewußten Erkenntnis, daß es einen Tod gibt -, machten Jalousien und Vorhänge weit auf.
Er hatte leichte Kopfschmerzen von dem Wein und versuchte sich einzureden, daß die Kopfschmerzen daher kamen, daß sie Teil eines kleineren Katers waren, die gerechte Strafe dafür, daß er guten Wein gekippt hatte wie billigen Muskateller. Aber das traf es nicht genau - nein, ganz und gar nicht. Er sah die Straße hinauf und hinunter und dachte: Gott sei Dank für unsere Scheuklappen. Gott sei Dank für die selektive Wahrnehmung. Denn ohne sie könnten wir alle Figuren in einer Geschichte von Lovecraft sein.
Seine Gedanken wurden wirr. Er war plötzlich überzeugt davon, dass Harold ihn hinter den heruntergelassenen Rollos beobachtete, seine Hände sich zum Griff eines Würgers schlössen und öffneten, sein Grinsen in eine Grimasse des Hasses verwandelt worden war... jeder Hund hat seinen Tag. Gleichzeitig erinnerte er sich an die Nacht in Bennington, wo er im Musikpavillon geschlafen hatte und mit dem schrecklichen Gefühl aufgewacht war, es war jemand da... und wie er dann gehört (oder nur geträumt?) hatte, wie staubige Absätze nach Westen stapften.
Hör auf. Hör auf, dich verrückt zu machen.
Hügel der blutigen Stiefel, assoziierte sein Verstand frei. Herrgott, hör doch auf, wenn ich nur nie über die Toten nachgedacht hätte, die Toten hinter den heruntergelassenen Jalousien und zugezogenen Vorhängen und undurchsichtigen Rollos, im Dunkeln, so wie im Tunnel, im Lincoln Tunnel, Himmel, wenn sie alle anfingen, sich zu bewegen, sich zu regen, lieber Gott, laß das doch...
Und plötzlich fiel ihm ein Ausflug mit seiner Mutter in den Bronx -Zoo ein, als er noch klein gewesen war. Sie waren ins Affenhaus gegangen, und der Geruch dort hatte ihn wie ein Schlag getroffen, eine Faust, die nicht nur auf seine Nase schlug, sondern hinein. Er hatte sich umgedreht, um hinauszustürmen, aber seine Mutter hatte ihn aufgehalten.
Einfach normal atmen, Larry, hatte sie gesagt. In fünf Minuten merkst du den schlimmen Geruch gar nicht mehr.
Und so war er geblieben, obwohl er ihr nicht geglaubt hatte, hatte einfach gekämpft, nicht zu kotzen (schon im Alter von sieben hatte er Kotzen mehr gehaßt als alles andere), und wie sich herausstellte, hatte sie recht gehabt. Als er das nächste Mal wieder auf die Uhr sah, stellte er fest, daß sie schon eine halbe Stunde im Affenhaus waren, und verstand nicht, warum die Damen, die durch die Tür kamen, plötzlich die Hände vor die Nasen schlugen und angeekelt dreinsahen. Das hatte er seiner Mutter gesagt, und Alice Underwood hatte gelacht.
Oh, es riecht immer noch schlimm. Nur für dich nicht. Wie kommt das, Mommy?
Das weiß ich nicht. Aber das kann jeder. Und jetzt sag dir einfach:
>Ich rieche jetzt, wie das Affenhaus WIRKLICH riecht<, und hol dann tief Luft.
Das tat er, und der Gestank war da, der Gestank war sogar noch schlimmer als zuvor, beim Eintreten, Hot Dogs und Kirschkuchen kamen wieder nach oben, er stürzte zur Tür und an die frische Luft und es gelang ihm gerade noch, alles unten zu behalten.
Das ist selektive Wahrnehmung, dachte er jetzt, und sie wußte, was es war. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, hörte er die Stimme seiner Mutter im Geiste: Sag dir einfach: >Ich rieche jetzt, wie Boulder WIRKLICH riecht.< Und er roch es - einfach so, er roch es.
Er roch, was hinter den geschlossenen Türen und heruntergelassenen Rollos und zugezogenen Vorhängen war, er roch die langsame Verwesung, die auch in diesem Ort hier stattfand, der fast verlassen gestorben war.
Er ging schneller, rannte nicht, kam dem aber immer näher und näher, er roch den fruchtigen, vollen Gestank, den er - und alle anderen - nicht mehr bewußt wahrnahmen, weil er überall war, weil er alles war, weil er ihre Gedanken färbte und weil man die Rollos nicht herunterließ, nicht einmal beim Liebesakt, denn die Toten liegen hinter heruntergelassenen Rollos und die Lebenden wollen bei allem die Welt sehen.
Alles wollte ihm hochkommen, heute nicht Hot Dogs und Kirschkuchen, sondern Wein und Payday -Riegel. Denn dies war ein Affenhaus, aus dem er niemals herauskommen konnte, wenn er nicht auf eine Insel zog, wo niemand je gelebt hatte, und obwohl er das Kotzen immer noch mehr als alles andere haßte, mußte er jetzt...
»Larry? Alles klar?«
Er war dermaßen verblüfft, daß ein kurzer Laut aus seinem Hals drang - »Yik!« - und er zusammenzuckte. Es war Leo, der etwa drei Blocks von Harolds Haus entfernt auf dem Bordstein saß. Er hatte einen Tischtennisball und ließ ihn auf dem Gehweg auf und ab hüpfen.
»Was machst du hier?« fragte Larry. Sein Herzschlag wurde langsam wieder normal.
»Ich wollte mit dir nach Hause gehen«, sagte Leo schüchtern, »aber ich wollte nicht zu dem Mann in das Haus.«
»Warum nicht?« fragte Larry. Er setzte sich neben Leo auf den Bordstein.
Leo zuckte die Achseln und widmete sich wieder seinem Tischtennisball. Dieser prallte immer wieder mit einem leisen KlackKlack auf das Pflaster und in Leos Hand zurück.
»Ich weiß nicht.«
»Leo?«
»Was?«
»Es ist sehr wichtig für mich. Denn ich mag Harold... und mag ihn auch wieder nicht. Ich bin geteilter Meinung über ihn. Warst du schon mal geteilter Meinung über jemand?«
»Ich habe nur eine Meinung über ihn.« Klack-Klack.
»Welche?«
»Angst«, sagte Leo. »Können wir nach Hause zu Nadine-Mom und Lucy-Mom gehen?«
»Klar.«
Schweigend gingen sie die Arapahoe Street hinunter; Leo ließ den Tischtennisball hüpfen und fing ihn geschickt wieder auf.
»Tut mir leid, daß du so lange warten mußtest«, sagte Larry.
»Ach, macht nichts.«
»Nein, wirklich, wenn ich das gewußt hätte, wäre ich früher gekommen.«
»Ich hatte ja was zu tun. Ich hab' das auf einem Rasen gefunden. Es ist ein Pong-Ping-Ball.«
»Ping-Pong«, korrigierte Larry automatisch. »Was meinst du, warum läßt Harold seine Jalousien herunter?«
»Damit keiner reinsehen kann«, sagte Leo. »Dann kann er was Heimliches tun. Es ist wie bei den toten Leuten, nicht?« Klack-Klack. Sie gingen weiter und bogen Ecke Broadway nach Süden ab. Jetzt sahen sie Leute auf der Straße: Frauen, die sich die Kleider in den Schaufenstern ansahen; einen Mann, der eine Hacke bei sich hatte; einen Mann, der sich ein Angelgerät in einem Sportartikelgeschäft hinter einer zerbrochenen Schaufensterscheibe ansah. Larry sah Dick Vollman aus seiner Gruppe in eine andere Richtung radeln. Er winkte Larry und Leo zu. Die beiden winkten zurück.
»Was Heimliches«, dachte Larry laut, ohne daß er den Jungen weiter ausfragen wollte.
»Vielleicht betet er zu dem dunklen Mann«, sagte Leo nebenbei, und Larry fuhr zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Leo bemerkte es nicht. Er schlug den Ball jetzt auf das Pflaster und fing ihn, wenn er von der Wand abprallte, an der sie gerade vorbeigingen... Klack-plopp.
» Meinst du wirklich ?« fragte Larry und bemühte sich, gleichgültig zu klingen.
»Ich weiß nicht. Aber er ist nicht wie wir. Er lacht viel. Aber ich glaube, in ihm sind Würmer, die ihn zum Lachen bringen. Große weiße Würmer, die sein Gehirn fressen. Wie Maden.«
»Joe... ich meine, Leo...«
Leos Augen, dunkel, distanziert und chinesisch, strahlten plötzlich. Er lächelte. »Da ist Dayna. Die mag ich. He, Dayna!« rief er und winkte. »Hast du 'n Kaugummi?«
Dayna, die gerade das Kettenrad in ihrem spindeldürren Zehngangrad ölte, drehte sich um und lächelte. Sie griff in die Tasche ihrer Bluse und fächerte fünf Streifen Juicy Fruit wie Pokerkarten auf. Mit einem fröhlichen Lachen rannte Leo zu ihr hinüber, daß seine langen Haare flogen; er hielt den Tischtennisball fest in der Hand, und Larry sah ihm nach. Diese Vorstellung von weißen Maden hinter Harolds Lächeln... woher hatte Joe (nein, Leo, er heißt Leo, glaube ich wenigstens) nur diese komplizierte - und entsetzliche - Idee ? Der Junge war in einer Art Halbtrance gewesen. Und er war nicht der einzige; wie oft hatte Larry in den wenigen Tagen Leute plötzlich auf der Straße stehenbleiben, eine Weile ins Leere starren und dann weitergehen sehen? Alles hatte sich verändert. Die Bandbreite der Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen schien größer geworden zu sein.
Es war beängstigend.
Larry setzte sich in Bewegung und ging zu Dayna und Leo hinüber, die damit beschäftigt waren, den Kaugummi untereinander aufzuteilen.
An diesem Nachmittag fand Stu Frannie auf dem kleinen Hof hinter dem Haus beim Wäschewaschen. Sie hatte eine flache Wanne mit Wasser gefüllt, fast ein halbes Paket Tide hinzugetan und mit einem Besenstiel so lange gerührt, bis eine trübe Brühe entstanden war. Sie wußte nicht, ob sie es richtig gemacht hatte, aber der Teufel sollte sie holen, wenn sie zu Mutter Abagail ging und ihre Unwissenheit eingestand. Sie warf die Wäsche in das Wasser, sprang wild entschlossen in die Wanne und fing an zu stampfen wie ein sizilianischer Traubentreter. Ihr neues Modell Maytag 5000, dachte sie. Die neue zwei-Fuß-Umwälzmethode, ideal für Ihre Buntwäsche und Feinwäsche und...
Als sie sich umdrehte, sah sie ihren Mann in der Hintertür stehen und amüsiert zusehen. Ein wenig außer Atem hörte Frannie auf.
»Ha-ha, sehr komisch. Wie lange stehst du schon da, Klugscheißer?« »Ein paar Minuten. Wie nennst du das übrigens? Den Paarungstanz der wilden Waldente?«
»Noch mal: ha-ha.« Sie sah ihn kühl an. »Noch so ein dummer Witz, und du kannst heute nacht auf der Couch schlafen, oder mit deinem Freund Glen Bateman auf dem Flagstaff.« »Hör zu, ich wollte nicht...«
»Es ist auch Ihre Wäsche, Mr. Stuart Redman. Sie mögen einer der Gründerväter sein, aber Sie hinterlassen dennoch gelegentlich Bremsspuren in Ihren Unterhosen.«
Stu grinste, das Grinsen wurde breiter, schließlich fing er an zu lachen. »Das war deutlich, Liebling.«
»Im Moment ist mir auch nicht nach Höflichkeiten zumute.«
»Gut, komm einen Augenblick raus. Ich muß mit dir reden.«
Sie war froh, obwohl sie sich die Füße waschen mußte, bevor sie wieder in die Wanne stieg. Ihr Herz klopfte, aber nicht fröhlich, sondern überfordert wie eine getreue Maschine, die von jemand ohne gesunden Menschenverstand mißbraucht wird. Wenn es meine Ur-Ur-Großmutter so machen mußte, dachte sie, dann hatte sie vielleicht ein Anrecht auf das Zimmer, das schließlich der kostbare Salon ihrer Mutter wurde. Vielleicht hat sie es als Gefahrenzulage betrachtet oder so.
Sie betrachtete entmutigt Füße und Waden. Immer noch klebte ein grauer Film Seifenschaum daran. Sie wischte ihn mißfällig ab.
»Wenn meine Frau mit der Hand gewaschen hat«, sagte Stu, »hat sie immer ein... wie nennt man das noch? Ein Waschbrett, glaube ich, genommen. Soweit ich weiß, muß meine Mutter ungefähr drei gehabt haben.«
»Das weiß ich«, sagte Frannie gereizt. »June Brinkmeyer und ich haben ganz Boulder abgeklappert, um eins aufzutreiben. Wir haben kein einziges gefunden. Die Technologie hat zugeschlagen.«
Er lächelte wieder.
Frannie stemmte die Hände in die Hüften. »Willst du mich verarschen, Stuart Redman?«
»Nein. Aber ich glaube, ich weiß, wo ich dir ein Waschbrett besorgen kann. Und June, wenn sie eins haben will.«
»Wo?«
»Das muß ich erst noch sehen.« Sein Lächeln verschwand, er legte die Arme um sie und drückte seine Stirn an ihre. »Weißt du, ich finde es lieb von dir, daß du meine Wäsche wäschst«, sagte er, »und ich weiß, daß eine schwangere Frau besser als ihr Mann abschätzen kann, was sie tun und lassen sollte. Aber, Frannie, warum die Arbeit?«
»Warum?« Sie sah ihn perplex an. »Was willst du anziehen? Willst du in schmutziger Wäsche rumlaufen?«
»Frannie, die Läden sind voll von Kleidung, und ich habe eine gängige Größe.«
»Was? Die alten Sachen wegwerfen, nur weil sie schmutzig sind?«
Er zuckte unbehaglich die Achseln.
»Kommt nicht in Frage, hm-hm«, sagte sie. »Das ist die alte Denkweise, Stu. Wie die Schachteln, in denen die Big Macs waren, oder Einwegflaschen. Damit sollten wir nicht neu anfangen.«
Er küßte sie leicht. » Okay. Aber am nächsten Waschtag bin ich dran, hörst du?«
»Klar.« Sie lächelte listig. »Und wie lange gilt das? Bis ich entbunden habe?«
»Bis der Strom wieder eingeschaltet ist«, sagte Stu. »Dann besorge ich dir die größte, schönste Waschmaschine, die du je gesehen hast, und schließe sie eigenhändig an.«
»Angebot angenommen.« Sie küßte ihn, er erwiderte den Kuß, und seine kräftigen Hände fuhren rastlos durch ihr Haar. Davon wurde ihr warm (nein, heiß, warum so zimperlich, ich bin heiß, ich werde immer heiß, wenn er das macht), ihre Brustwarzen stellten sich auf, die Hitze breitete sich bis in den Unterleib aus.
»Hör lieber auf«, sagte sie außer Atem, »es sei denn, du willst mehr als mit mir reden.«
»Wir können ja später reden.«
»Die Wäsche...«
»Einweichen ist gut für den tiefen Schmutz«, sagte er ernsthaft. Sie fing an zu lachen, und er verschloß ihr den Mund mit einem Kuß. Als er sie aufhob, auf die Füße stellte und ins Haus führte, spürte sie die Wärme der Sonne auf den Schultern und dachte: Ist es schon jemals so heiß gewesen? War die Sonne schon jemals so stark? Die ganzen Pickel an meinem Rücken sind weg. Ob es an der ultravioletten Strahlung liegt? Oder an der Höhenluft? Ist es hier jeden Sommer so? Ist es immer so heiß?
Und dann machte er etwas mit ihr, schon auf der Treppe machte er es, machte sie nackt, machte sie heiß, liebte sie.
»Nein, du setzt dich«, sagte er.
»Aber...«
»Das ist mein Ernst, Frannie.«
»Stuart, die Wäsche quillt auf oder so. Ich habe ein halbes Paket Tide reingetan ...«
»Mach dir keine Sorgen.«
Sie setzte sich unter dem Vordach auf einen Liegestuhl. Nachdem sie wieder heruntergekommen waren, hatte er zwei draußen hingestellt.
Stu zog Schuhe und Socken aus und krempelte die Hosenbeine bis über die Knie hoch. Als er in die Wanne stieg und anfing, bierernst auf der Wäsche herumzustampfen, fing sie an zu kichern. Stu sah hinüber und sagte: »Willst du die Nacht auf der Couch verbringen?«
»Nein, Stuart«, sagte sie mit gespielter Reue, und dann fing sie wieder an zu kichern... bis ihr die Tränen die Wangen herabliefen und die kleinen Muskeln in ihrem Bauch sich weich wie Gummi anfühlten. Als sie sich wieder in der Gewalt hatte, sagte sie: »Zum dritten und letzten Mal, worüber wolltest du mit mir sprechen?«
»Ach ja.« Er marschierte hin und her und hatte schon ordentlich Schaum erzeugt. Ein Paar Bluejeans kamen an die Oberfläche, und er stampfte sie unter das Wasser zurück, so daß cremiger Seifenschaum auf den Rasen spritzte. Frannie dachte: Es sieht ein wenig aus wie... nein, Schluß jetzt, sonst bekommst du vom Lachen noch eine Fehlgeburt.
»Wir haben heute abend die erste Ad-hoc-Versammlung«, sagte Stu.
»Ich habe zwei Kästen Bier, Käsecracker, Käsedip und Peperoni, die eigentlich noch gut...«
»Darum geht es nicht, Frannie. Dick Ellis war heute hier und hat gesagt, daß er aus dem Komitee raus will.«
»Echt?« Sie war überrascht. Dick schien ihr nicht der Mann zu sein, der sich vor der Verantwortung drückte.
»Er meinte, er würde gern mitarbeiten, aber erst müßten wir hier einen Arzt haben, momentan sei es ihm unmöglich. Heute sind wieder fünfundzwanzig Leute angekommen, und eine Frau hatte eine Blutvergiftung im Bein. Von einem Kratzer, als sie unter einem rostigen Stacheldrahtzaun hindurchgekrochen ist.«
»Oh, das ist schlimm.«
»Dick hat sie gerettet... Dick und diese Krankenschwester, die mit Underwood gekommen ist. Ein großes, hübsches Mädchen. Laurie Constable heißt sie. Dick sagte, ohne sie wäre die Frau gestorben. Jedenfalls haben sie ihr das Bein unter dem Knie amputiert und sind völlig erschöpft. Sie haben drei Stunden gebraucht. Dann ist da noch ein kleiner Junge mit Krämpfen, und Dick ist halb verrückt, weil er nicht weiß, ob es Epilepsie ist oder eine Art Schädeldruck oder Diabetes. Sie haben einige Fälle von Lebensmittelvergiftung, Leute haben verdorbene Lebensmittel gegessen, und er sagt, daß Leute sterben werden, wenn wir nicht sofort Zettel drucken, damit die Leute erfahren, wie sie ihre Lebensmittel auswählen müssen. Mal sehen, wo war ich stehengeblieben? Zwei gebrochene Arme, zwei Grippefälle...«
»Mein Gott! Hast du Grippe gesagt?«
»Ruhig. Normale Grippe. Aspirin senkt das Fieber, keine Panik... und es geht nicht wieder hoch. Auch keine schwarzen Flecken am Hals. Aber Dick weiß nicht, welche Antibiotika er anwenden soll, wenn überhaupt, und er sitzt bis in die Nacht hinein, um es rauszufinden. Außerdem hat er Angst, die Grippe könnte um sich greifen und die Leute in Panik versetzen.«
»Wer ist es?«
»Eine Dame namens Rona Hewett. Sie ist fast den ganzen Weg von Laramie, Wyoming, bis hierher zu Fuß gegangen, und Dick sagt, sie war anfällig.«
Fran nickte.
»Glücklicherweise scheint sich diese Laurie Constable irgendwie in Dick verschossen zu haben, obwohl er doppelt so alt ist wie sie. Aber das macht wohl nichts.«
»Wie edel von dir, daß du ihre Beziehung billigst, Stuart.«
Er lächelte. »Jedenfalls ist Dick achtundvierzig, und er hat einen leichten Herzfehler. Im Augenblick meint er, daß er sich nicht zuviel zumuten kann. Herrgott, er studiert praktisch Medizin.« Er sah Frannie ernst an. »Ich verstehe schon, warum Laurie sich in ihn verknallt hat. Er ist so etwas wie ein Held. Er ist nur ein Tierarzt vom Land und hat eine Heidenangst, daß er jemand umbringt. Und er weiß, daß jeden Tag mehr Leute kommen, und manche sind übel mitgenommen.«
»Also brauchen wir noch jemand für das Komitee.«
»Ja. Ralph Brentner schwört auf diesen Larry Underwood, und wie du gesagt hast, findest du ihn ja auch ganz in Ordnung.«
»Ja. Ich glaube, daß er geeignet wäre. Und ich habe heute in der Stadt seine Freundin getroffen, sie heißt Lucy Swann. Sie ist unheimlich nett und hält große Stücke auf Larry.«
»Ich glaube, jede gute Frau empfindet so. Aber Frannie, um ganz ehrlich zu sein - es hat mir nicht gefallen, daß er jemandem, den er gerade kennengelernt hat, gleich seine ganze Lebensgeschichte erzählt.«
»Ich glaube, das war nur, weil ich von Anfang an mit Harold gereist bin. Ich glaube, er hat nicht verstanden, wieso ich mit dir und nicht mit Harold zusammen bin.«
»Ich wüßte gern, was er von Harold hält.«
»Frag ihn doch.«
»Mach ich.«
»Willst du ihm vorschlagen, dem Komitee beizutreten?« *, »Wahrscheinlich.« Er stand auf. »Ich hätte gern diesen alten Knaben, den sie Richter nennen. Aber er ist siebzig, und das ist einfach zu alt.«
»Hast du mit ihm über Larry gesprochen?«
»Nein, aber Nick. Nick Andros ist ein gescheiter Junge, Fran. Er hat Glen und mir ein paar Flausen ausgetrieben. Glen war zuerst eingeschnappt, aber selbst er mußte zugeben, daß Nicks Einfälle gut waren. Der Richter hat Nick jedenfalls gesagt, daß Larry genau der Mann ist, den wir suchen. Er meinte, Larry findet gerade heraus, dass er für etwas gut ist und noch besser werden kann.«
»Das nenne ich eine gute Empfehlung.«
»Ja«, sagte Stu. »Aber ich möchte wissen, was er über Harold denkt, bevor ich ihm den Vorschlag mache.«
»Was soll das immer mit Harold?« fragte sie aufgebracht.
»Ebensogut könnte ich fragen, was ist mit dir, Fran. Du fühlst dich immer noch für ihn verantwortlich.«
»Tatsächlich? Ich weiß nicht. Aber wenn ich an ihn denke, habe ich immer noch leichte Schuldgefühle - das kann ich dir sagen.«
»Warum? Weil ich ihn ausgebootet habe? Fran, hast du ihn jemals gewollt?«
»Nein. Herrgott, nein.« Sie erschauerte fast.
»Ich habe ihn einmal belogen«, sagte Stu. »Nun... eigentlich war es keine Lüge. Es war an dem Tag, als wir drei uns getroffen haben.
Vierter Juli. Ich glaube, er hat da schon gespürt, was kommen würde. Ich habe gesagt, ich wollte dich nicht. Wie sollte ich da schon wissen, ob ich dich wollte oder nicht? In Büchern gibt es vielleicht Liebe auf den ersten Blick, aber im wahren Leben...«
Er verstummte, ein Grinsen breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus.
»Weswegen grinst du, Stuart Redman?«
»Ich habe gerade nachgedacht«, sagte er, »daß ich im wahren Leben mindestens...« Er rieb sich überlegend das Kinn. »Oh, ich würde sagen, vier Stunden gebraucht habe.«
Sie küßte ihn auf die Wange. »Das ist süß.«
»Es ist die Wahrheit. Ich glaube jedenfalls, daß er mir das, was ich gesagt habe, immer noch übelnimmt.«
»Er sagt kein schlechtes Wort über dich, Stu... oder sonstwen.«
»Nein«, stimmte Stu zu. »Er lächelt. Das gefällt mir nicht.«
»Du glaubst doch nicht, daß er... Rachepläne schmiedet oder so was?«
Stu stand auf und lächelte. »Nein, nicht Harold. Glen denkt, daß sich die Opposition um Harold gruppieren könnte. Das ist in Ordnung. Ich hoffe nur, er versucht nicht kaputtzumachen, was wir momentan alles aufbauen.«
»Vergiß nicht, daß er ängstlich und einsam ist.«
»Und eifersüchtig.«
»Eifersüchtig?« Sie dachte darüber nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Das glaube ich nicht - wirklich nicht. Ich habe mit ihm geredet und bilde mir ein, das wüßte ich. Aber er fühlt sich vielleicht zurückgewiesen. Ich glaube, er hat damit gerechnet, daß er im Adhoc-Komitee sein würde...«
»Das war eine von Nicks einseitigen - ist das das richtige Wort? - Entscheidungen, mit der wir alle einverstanden waren. Der Grund war wohl letztlich, daß keiner von uns ihm so ganz traute.«
»In Ogunquit«, sagte sie, »war er der unerträglichste Junge, den du dir vorstellen kannst. Ich glaube, vieles war Kompensierung für seine familiäre Situation... ihnen muß es vorgekommen sein, als wäre er aus einem Kuckucksei ausgeschlüpft oder so... aber nach der Grippe schien er sich zu ändern. Jedenfalls in meinen Augen. Er schien zu versuchen, nun... ein Mann zu sein. Dann hat er sich wieder verändert. Auf einmal. Er lächelte ständig. Man konnte nicht mehr mit ihm reden. Er war... in sich gekehrt. Wie Menschen werden, wenn sie zur Religion bekehrt werden oder lesen...« Sie verstummte, und ihre Augen nahmen kurz einen verblüfften Ausdruck an, der fast Angst gleichkam.
»Was lesen?« fragte Stu.
»Etwas, das ihr Leben verändert«, sagte sie. »Das Kapital. Mein Kampf. Oder vielleicht nur abgefangene Liebesbriefe.«
»Wovon sprichst du?«
»Hmm?« Sie sah ihn an, als hätte er sie aus einem tiefen Tagtraum geschreckt. Dann lächelte sie. »Nichts. Wolltest du nicht Larry Underwood besuchen?«
»Klar... wenn alles in Ordnung ist.«
»Mehr als das... mir geht es ungeheuer gut. Geh schon. Husch. Das Treffen ist um sieben. Wenn du dich beeilst, kannst du vorher noch eine Kleinigkeit essen.«
»Gut.«
Er war am Tor, das den Garten vom Hof trennte, da rief sie ihm nach: »Vergiß nicht, ihn zu fragen, was er von Harold hält.«
»Keine Bange«, sagte Stu. »Auf keinen Fall.«
»Und sieh ihm in die Augen, wenn er antwortet, Stu.«
Als Stu ihn beiläufig nach seinem Eindruck von Harold fragte (da hatte Stu die freie Stelle im Ad-hoc-Komitee noch mit keinem Wort erwähnt), wurden Larry Underwoods Augen argwöhnisch und verwirrt zugleich.
»Fran hat dir von meiner Fixierung auf Harold erzählt, hm?«
»Jawoll.«
Larry und Stu waren im Wohnzimmer des kleinen Reihenhauses am Table Mesa. Draußen in der Küche machte Lucy das Essen, sie wärmte Konserven auf einem Grill, den Larry für sie gebaut hatte. Er lief mit Propangas. Sie sang Verse aus »Honky Tonk Woman« bei der Arbeit und schien sehr glücklich zu sein.
Stu zündete eine Zigarette an. Er rauchte nur noch fünf oder sechs am Tag; er wollte nicht riskieren, daß Dick Ellis ihn wegen Lungenkrebs operieren würde.
»Nun, die ganze Zeit, während ich Harold folgte, habe ich mir immer wieder gesagt, daß er wohl nicht so aussehen würde, wie ich ihn mir vorstellte. Und so war es auch, aber ich versuche immer noch herauszubekommen, was mit ihm ist. Er war verdammt nett. Ein guter Gastgeber. Er hat die Flasche Wein aufgemacht, die ich mitgebracht hatte, und wir haben angestoßen. Alles wunderbar, aber...«
»Aber?«
»Wir tauchten plötzlich hinter ihm auf. Leo und ich. Er baute gerade eine Mauer um den Vorgarten und fuhr herum... er hatte uns wohl nicht kommen hören... und einen Augenblick habe ich gedacht:
>Mein Gott, der Kerl will mich umbringen.<«
Lucy kam herein. »Stu, bleiben Sie zum Essen? Es ist genug da.«
»Danke, aber Frannie erwartet mich. Ich kann höchstens eine Viertelstunde bleiben.«
»Sicher?«
»Nächstes Mal, Lucy. Vielen Dank.«
»Okay.« Sie ging in die Küche zurück.
»Bist du nur gekommen, um mich nach Harold zu fragen?« fragte Larry.
»Nein«, sagte Stu, der zu einem Entschluß gekommen war. »Ich bin gekommen, um dich zu fragen, ob du in unserem kleinen Ad-hocKomitee mitarbeiten willst. Einer der anderen, Dick Ellis, mußte absagen.«
»So ist es also, ja?« Larry trat ans Fenster und sah auf die stille Straße hinaus. »Ich hatte gedacht, ich könnte wieder Privatmann sein.«
»Das mußt du entscheiden. Wir brauchen jemand. Du bist empfohlen worden.«
»Von wem, wenn ich fragen darf...«
»Wir haben uns erkundigt. Frannie scheint dich für ganz brauchbar zu halten. Und Nick Andres hat mit einem der Männer gesprochen, die mit dir gekommen sind - natürlich nicht gesprochen, du weißt, was ich meine. Richter Farris.«
Larry schien erfreut zu sein. »Der Richter hat mich empfohlen, hm? Großartig. Weißt du, ihn solltet ihr nehmen. Er ist klug wie der Teufel.«
»Das hat Nick auch gesagt. Aber er ist siebzig, und unsere medizinische Versorgung ist ziemlich primitiv.«
Larry drehte sich zu Stu um und lächelte. »Das Komitee ist also nicht so kurzlebig, wie getan wird?«
Stu lächelte und entspannte sich etwas. Er hatte sich immer noch nicht entschieden, was er von Larry Underwood hielt, aber es war eindeutig, daß der Mann nicht auf den Kopf gefallen war. »Hmm, ich will mal so sagen. Es wäre uns recht, wenn unser Komitee sich für eine volle Amtsperiode zur Wahl stellen würde.«
»Und möglichst ohne Opposition«, sagte Larry. Er sah Stu freundlich aber scharf an - sehr scharf. »Soll ich dir ein Bier bringen?«
»Lieber nicht. Ich habe vor ein paar Tagen mit Glen Bateman zusammen zuviel getrunken. Fran ist geduldig, aber irgendwo hat ihre Geduld Grenzen. Was meinst du, Larry? Willst du mitmachen?«
»Ich denke... ach, verdammt, ich sage ja. Ich dachte, nichts auf der Welt würde mich glücklicher machen, als meine Leute loszuwerden und jemand anderem die Verantwortung zu geben. Und jetzt, bitte die Ausdrucksweise zu entschuldigen, fällt mir vor Langeweile der Hintern ab...«
»Wir treffen uns heute abend in meiner Wohnung, um ein wenig über die große Versammlung am achtzehnten zu reden. Könntest du kommen?«
»Kann ich Lucy mitbringen?«
Stu schüttelte langsam den Kopf. »Du darfst nicht einmal mit ihr darüber reden. Gewisse Dinge wollen wir fürs erste geheimhalten.«
Larrys Lächeln verschwand. »Ich bin kein Mantel-und-Degen-Typ, Stu. Das möchte ich klarstellen, damit es später keinen Ärger gibt. Ich denke, das im Juni konnte nur geschehen, weil zu viele Leute zu viele Dinge verschleiert haben. Das war keine Strafe Gottes. Das war eine von Menschen angerichtete grandiose Versaubeutelung.«
»Das solltest du nicht Mutter Abagail sagen«, sagte Stu. Er lächelte immer noch erleichtert. »Im übrigen bin ich deiner Meinung. Aber würdest du genauso denken, wenn Krieg wäre?«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Diesen Mann, von dem wir geträumt haben. Ich bezweifle, daß er einfach verschwunden ist.«
Larry sah erschrocken und nachdenklich drein.
»Glen sagt, er kann verstehen, warum niemand darüber spricht«, fuhr Stu fort, »obwohl wir alle gewarnt worden sind. Die Leute hier leiden immer noch an der Kriegsneurose. Sie haben das Gefühl, durch die Hölle gegangen zu sein, um hierher zu kommen. Sie wollen nur noch ihre Wunden lecken und ihre Toten begraben. Aber wenn Mutter Abagail hier ist, muß er dort sein.« Stu machte eine Kopfbewegung zum Fenster, das den Blick auf die im Sommerdunst aufragenden Flatirons freigab. »Und auch wenn die meisten Leute hier nicht an ihn denken, ich wette meinen letzten Dollar, daß er an uns denkt.«
Larry sah zur Küchentür hinüber, aber Lucy war nach draußen gegangen und unterhielt sich mit Jane Hovington von nebenan.
»Du glaubst, er ist hinter uns her«, sagte er mit leiser Stimme.
»Hübscher Gedanke kurz vor dem Essen. Gut für den Appetit.«
»Larry, ich bin meiner Sache selbst nicht sicher. Aber Mutter Abagail sagt, es wird so oder so nicht vorbei sein, bis er uns hat oder wir ihn.«
»Hoffentlich erzählt sie es nicht weiter. Die Leute würden nach Australien auswandern.«
»Ich dachte, du hältst nichts von Geheimniskrämerei.«
»Nein, aber das...« Larry verstummte. Stu lächelte freundlich, und Larry lächelte etwas gallig zurück. »Okay. Ein Punkt für dich. Wir werden es durchdiskutieren und den Mund halten.«
»Fein. Also bis sieben.«
»Geht in Ordnung.«
Sie gingen zusammen zur Tür. »Dank Lucy noch mal für die Einladung«, sägte Stu. »Frannie und ich werden sie bald beim Wort nehmen.«
»Okay.« Als Stu schon an der Tür war, sagte Larry: »He!«
Stu drehte sich fragend um.
»Da ist ein Junge«, sagte Larry langsam, »der mit uns aus Maine gekommen ist. Er heißt Leo Rockway. Ein Problemfall. Lucy und ich teilen ihn gewissermaßen mit einer Frau namens Nadine Cross. Nadine ist selbst etwas ungewöhnlich, weißt du.«
Stu nickte. Es wurde erzählt, daß es zwischen Mutter Abagail und dieser Cross eine sonderbare Szene gegeben hatte, als Larry mit seiner Gruppe ankam.
»Bevor ich sie getroffen habe, hat Nadine für Leo gesorgt. Leo scheint in die Menschen hineinsehen zu können. Und er ist nicht der einzige. Vielleicht hat es schon immer solche Menschen gegeben, aber seit der Grippe scheinen es irgendwie mehr geworden zu sein. Und Leo... er hat sich geweigert, Harolds Haus zu betreten. Er wollte nicht einmal auf dem Rasen sitzenbleiben. Das ist... irgendwie seltsam, nicht?«
»Stimmt«, meinte Stu.
Sie sahen sich einen Augenblick nachdenklich an, dann ging Stu nach Hause zum Abendessen. Beim Essen schien Frannie mit sich selbst beschäftigt zu sein und sagte wenig. Und während sie in einem Plastikeimer mit warmem Wasser das letzte Geschirr spülte, erschienen schon die Leute zur ersten Sitzung des Ad-hoc-Komitees der Freien Zone.
Als Stu zu Larry gegangen war, lief Frannie nach oben ins Schlafzimmer. In einer Ecke des Schranks lag der Schlafsack, den sie auf dem Motorradgepäckträger durch das Land kutschiert hatte. Ihre persönlichen Sachen bewahrte sie in einer kleinen Tasche mit Reißverschluß auf. Die meisten davon hatte sie schon in der Wohnung verteilt, die sie mit Stu teilte, aber manche hatten noch keinen Platz gefunden und steckten im Schlafsack. Einige Flaschen Reinigungsmilch - nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie eine Zeitlang an Hautausschlag gelitten, aber der war inzwischen weg -; eine Packung Slipeinlagen für den Fall, daß sie Ausfluß haben sollte (sie hatte gehört, daß das bei schwangeren Frauen manchmal vorkam); zwei Kisten billige Zigarren, die eine mit der Aufschrift: ES IST EIN JUNGE!, die andere mit: ES IST EIN MÄDCHEN! Zuletzt ihr Tagebuch.
Sie zog es heraus und betrachtete es nachdenklich. Seit ihrer Ankunft in Boulder hatte sie nur acht oder neun Einträge gemacht, die meisten kurz, fast bruchstückhaft. Den größten Ausstoß hatte sie gehabt, als sie noch unterwegs gewesen waren... wie eine Nachgeburt, dachte sie etwas reuig. In den letzten vier Tagen hatte sie gar nichts geschrieben und vermutete, daß das Tagebuch vielleicht einmal völlig in Vergessenheit geraten wäre, obwohl sie es um so penibler führen wollte, wenn alles ruhiger geworden war. Für das Baby. Aber jetzt dachte sie wieder an nichts anderes.
Wie Menschen werden, wenn sie zur Religion bekehrt werden... oder etwas lesen, das ihr Leben verändert... vielleicht nur abgefangene Liebesbriefe ...
Plötzlich kam es ihr so vor, als wäre das Buch schwerer geworden und als würde ihr der Schweiß auf der Stirn ausbrechen, wenn sie nur den Pappband aufschlug und... und...
Sie sah plötzlich über die Schulter, ihr Herz klopfte wie wild. Hatte sich hinter ihr etwas bewegt?
Vielleicht eine Maus hinter der Wand. Nichts anderes. Wahrscheinlich nur Einbildung. Es gab keinen Grund, überhaupt keinen, jetzt plötzlich an den Mann im schwarzen Mantel zu denken, den Mann mit dem Kleiderbügel. Ihr Baby lebte und war in Sicherheit, und dies war nur ein Buch, und es gab keine Möglichkeit festzustellen, ob jemand es gelesen hatte, und selbst wenn, konnte man nicht wissen, ob es Harold Lauder gewesen war. Dennoch schlug sie das Buch auf, blätterte es langsam durch und bekam Momentaufnahmen der jüngsten Vergangenheit wie Schwarzweißbilder eines Amateurfotografen. Heimkino der Gedanken.
Heute haben wir sie bewundert, und Harold redete über Farbe & Struktur & Ton, und Stu blinzelte mir sehr ernst zu. Ich Böse habe zurückgeblinzelt...
Harold wird natürlich aus Prinzip dagegen sein. Verdammt, Harold, werd erwachsen!
... und ich sah schon, daß er wieder eine seiner patentierten Harold-7 3 7 - Lauder-Klugscheißerbemerkungen loslassen wollte...
(Mein Gott, Fran, warum hast du das alles über ihn geschrieben? Zu welchem Zweck?)
Nun, du kennst ja Harold... seine Großspurigkeit... diese bombastischen Sprüche... ein unsicherer kleiner Junge...
Das war am 12. Juli. Sie zuckte zusammen und blätterte hastig weiter, immer schneller, um es hinter sich zu bringen. Die Sätze sprangen ihr entgegen, ohrfeigten sie: Zur Abwechslung hat Harold heute ziemlich sauber gerochen ... Harolds Mundgeruch hätte heute abend selbst einen Drachen vertrieben... Und ein fast prophetischer Satz: Er sammelt Zurückweisungen wie einen Piratenschatz. Aber zu welchem Zweck? Um seinem heimlichen Gefühl der Überlegenheit und seinem Verfolgungswahn Nahrung zu geben? Oder ging es um Vergeltung?
Oh, er macht eine Liste... und prüfet sie fein ...er weiß ganz genau... wer bös' ist und rein...
Dann am 1. August, gerade zwei Wochen alt. Die Eintragung fing unten auf einer Seite an. Gestern abend keine Eintragung. Ich war zu glücklich. War ich schon jemals so glücklich? Ich glaube nicht. Stu und ich sind zusammen. Wir
Ende der Seite. Sie schlug die nächste auf. Die ersten Worte: haben zweimal miteinander geschlafen. Aber das sah sie kaum, denn sie betrachtete die Mitte der Seite. Dort, neben Geschwätz über Mutterinstinkte, war etwas, das sie erstarren ließ. Es war ein dunkler, schmieriger Daumenabdruck.
Sie dachte panisch: Ich bin den ganzen Tag Motorrad gefahren, jeden Tag, sicher, ich habe mich immer so gut es ging gewaschen, aber die Hände werden schmutzig und...
Sie streckte die Hand aus und war nicht überrascht, daß sie stark zitterte. Sie legte den Daumen auf den Fleck. Der Fleck war viel größer.
Logisch, sagte sie zu sich. Wenn man etwas verschmiert, wird es selbstverständlich größer. Darum; nur darum...
Aber der Daumenabdruck war nicht so verschmiert. Die kleinen Kringel und Streifen waren größtenteils noch deutlich. Und es war weder Schmiere noch Öl, da mußte sie sich gar nichts vormachen.
Es war getrocknete Schokolade.
Paydays, dachte Fran voll Ekel. Payday-Schokoriegel. Einen Augenblick hatte sie solche Angst, daß sie es kaum wagte, sich umzudrehen - sie hatte Angst, Harolds Grinsen über ihrer Schulter hängen zu sehen wie das Grinsen der Cheshire-Katze in Alice. Harolds wulstige Lippen sich bewegen zu sehen, wenn er feierlich sagte: Jeder Hund hat seinen Tag, Frannie. Jeder Hund hat seinen Tag.
Aber selbst wenn Harold heimlich einen Blick in ihr Tagebuch geworfen hatte, mußte das bedeuten, daß er einen Rachefeldzug gegen sie oder Stu oder die anderen plante?
Aber Harold hat sich verändert, flüsterte eine innere Stimme.
»Verdammt, so sehr hat er sich nicht verändert!« schrie sie in das leere Zimmer. Sie zuckte beim Klang ihrer eigenen Stimme zusammen, dann lachte sie zittrig. Sie ging nach unten und bereitete das Abendessen vor. Wegen der Versammlung wollten sie heute früh essen... aber plötzlich kam ihr die Versammlung nicht mehr so wichtig wie vorher vor.
Auszüge aus dem Protokoll der Sitzung des Ad-hoc-Komitees
13. August 1990
Die Sitzung fand in der Wohnung von Stuart Redman und Frances Goldsmith statt. Alle Mitglieder des Ad-hoc -Komitees waren anwesend, im einzelnen: Stuart Redman, Frances Goldsmith, Nick Andres, Glen Bateman, Ralph Brentner, Susan Stern und Larry Underwood...
Zum Leiter der Sitzung wurde Stu Redman, zur Protokollführerin Frances Goldsmith gewählt...
Diese Aufzeichnungen (einschließlich Räuspern und Rülpsen auf Memorex-Kassetten, aufgezeichnet für jeden, der verrückt genug ist, es sich anzuhören) werden in einem Schließfach der First Bank of Boulder deponiert...
Stu Redman präsentierte einen von Dick Ellis und Laurie Constable verfaßten Leitfaden zum Problem der Lebensmittelvergiftungen (auffällig betitelt WENN SIE ESSEN, SOLLTEN SIE DIES LESEN!). Er sagte, Dick wolle diesen Bericht noch vor der großen Versammlung am 18. August drucken und überall in Boulder anschlagen lassen, denn es habe schon fünfzehn Fälle von Lebensmittelvergiftung in Boulder gegeben, darunter zwei sehr ernste. Das Komitee beschloß 7:0 tausend Exemplare von Dicks Plakat drucken zu lassen und zehn Leute damit zu beauftragen, es überall in der Stadt auszuhängen...
Susan Stern brachte ein Thema zur Sprache, das Dick und Laurie der Versammlung präsentieren wollten (und uns allen wäre es lieb gewesen, wenn der eine oder andere dabei gewesen wäre). Die beiden finden, daß ein Beerdigungskomitee nötig ist; Dick bestand darauf, dieses Thema vor der öffentlichen Versammlung zur Sprache zu bringen, aber nicht als Seuchenproblem - was vielleicht Panik auslösen würde -, sondern als moralische Verpflichtung. Wir alle wissen, daß es im Verhältnis zur Bevölkerungszahl vor Ausbruch der Seuche in Boulder überraschend wenige Leichen gibt, aber wir wissen nicht, warum... nicht, daß es wichtig wäre. Aber es gibt immer noch Tausende Leichen, und wenn wir hierbleiben wollen, müssen sie weggeschafft werden.
Stu wollte wissen, wie dringlich das Problem sei, und Susan sagte, daß es im Herbst kritisch würde, weil nach der heißen Trockenperiode normalerweise Niederschläge einsetzen. Larry Underwood beantragte, Dicks Vorschlag, ein Beerdigungskomitee einzusetzen, in der Tagesordnung für die Versammlung am 18. August zu berücksichtigen.
Der Antrag wurde 7:0 angenommen.
Dann wurde Nick Andros aufgerufen. Ralph Brentner verlas seinen vorbereiteten Kommentar, den ich hier wörtlich zitiere:
»Eine der wichtigsten Fragen, mit denen sich dieses Komitee unbedingt befassen muß, ist die, ob wir Mutter Abagail uneingeschränkt ins Vertrauen ziehen können und ob wir sie über alles informieren sollen, was in unseren Versammlungen besprochen wird, ob sie nun öffentlich oder geheim sind. Die Frage kann auch andersherum gestellt werden: >Soll Mutter Abagail dieses Komitee - und das ständige Komitee, das folgen wird - ins Vertrauen ziehen, und soll das Komitee über alles informiert werden, was bei ihren Begegnungen mit Gott, oder wem auch immer, besprochen wird, besonders bei den geheimen ?<
Das mag sich nach Quatsch anhören, und ich will es erklären, denn es ist eigentlich eine ganz pragmatische Frage. Wir müssen Mutter Abagails Stellung in unserer Gemeinschaft sofort festlegen, denn unser Problem besteht nicht nur darin, >wieder auf die Füße zu kommen<. Wenn das alles wäre, würden wir sie überhaupt nicht brauchen. Wir wissen alle, daß es ein weiteres Problem gibt, das des Mannes, den unsereins bisweilen als den dunklen Mann bezeichnet oder Glen, wie er sich ausdrückt, als den Gegenspieler. Mein Beweis für seine Existenz ist sehr einfach, das werdet ihr gleich sehen, und ich glaube, daß die meisten Leute in Boulder meiner Argumentation folgen würden - wenn sie überhaupt an das Problem denken wollen. Hier ist mein Beweis: Ich habe von Mutter Abagail geträumt, und sie existiert; ich habe von dem dunklen Mann geträumt, und deshalb muß er auch existieren, obwohl ich ihn nie gesehen habe. Die Menschen hier lieben alle Mutter Abagail, und ich liebe sie auch. Aber wir werden nicht sehr weit kommen - ja, wir werden überhaupt nichts erreichen -, wenn wir nicht von Anfang an ihre Zustimmung für unsere Pläne einholen.
Deshalb habe ich die alte Dame heute nachmittag auch aufgesucht, und ich habe sie direkt und mit allem Nachdruck gefragt: Wollen Sie mit uns zusammenarbeiten? Sie ist dazu bereit, aber sie stellte eine Reihe von Bedingungen. Sie war ganz ehrlich und offen. Sie sagte, sie würde es uns überlassen, die >weltlichen Angelegenheiten der Gemeinschaft wahrzunehmen - ihre Formulierung. Unsere Aufgabe müßte es sein, die Straßen frei zu machen, Wohnraum zuzuteilen, den Strom wieder einzuschalten.
Aber sie machte deutlich, daß sie in allen Angelegenheiten, die mit dem dunklen Mann zu tun haben, konsultiert werden will. Sie glaubt, daß wir alle die Figuren in einem Schachspiel zwischen Gott und dem Satan sind und daß der Gegenspieler in diesem Spiel der Vertreter des Satans ist. Sie sagt, daß er Randall Flagg heißt (>der Name, den er diesmal benutzt waren ihre Worte); daß Gott aus Gründen, die nur er weiß, sie in dieser Angelegenheit als seine Vertreterin ausersehen hat. Sie glaubt, und hier stimme ich ihr zu, daß ein Kampf bevorsteht: wir oder er. Sie glaubt, daß dieser Kampf wichtiger ist als alles andere, und besteht unerbittlich darauf, konsultiert zu werden, wenn unsere Pläne damit zu tun haben... und mit ihm.
Ich will nicht auf die religiösen Aspekte eingehen oder diskutieren, ob sie recht hat oder nicht. Aber klar ist, daß wir uns, davon abgesehen, in einer Situation befinden, mit der wir fertig werden müssen. Deshalb möchte ich einige Anträge stellen.«
Nicks Vortrag wurde diskutiert.
Nick stellte diesen Antrag: Können wir, als Komitee, uns darauf einigen, während der Versammlungen nicht über die theologischen, religiösen oder übernatürlichen Verwicklungen des Gegenspielers zu sprechen? Das Komitee sprach sich 7:0 dafür aus, sich Diskussionen über dieses Thema zu enthalten, wenigstens »während der Versammlungen«.
Dann stellte Nick diesen Antrag: Können wir uns darauf einigen, dass alle Angelegenheiten, die mit der als dunkler Mann, Gegenspieler oder Randall Flagg bekannten Macht im Zusammenhang stehen, im Komitee unter strikter Geheimhaltung abgehandelt werden? Glen Bateman unterstützte diesen Antrag und fügte hinzu, daß es von Zeit zu Zeit auch andere Angelegenheiten geben könne - wie zum Beispiel der wahre Grund für die Einsetzung eines Beerdigungskomitees -, die geheimgehalten werden müßten. Der Antrag wurde 7: 0 angenommen.
Dann stellte Nick seinen ursprünglichen Antrag, Mutter Abagail über alle öffentlich oder geheim im Komitee behandelten Angelegenheiten zu informieren.
Dieser Antrag wurde 7:0 angenommen.
Nachdem das Thema Mutter Abagail vorläufig abgehandelt war, beschäftigte sich das Komitee auf Nicks Antrag mit dem Problem, das der dunkle Mann selbst darstellt. Nick schlug vor, drei Freiwillige nach Westen zu schicken, die sich unter seine Leute mischen und Informationen sammeln sollen, was dort wirklich vor sich geht. Susan Stern meldete sich sofort freiwillig. Das führte zu einer heftigen Diskussion, dann erteilte Stu Glen Bateman das Wort, der folgenden Antrag stellte: Man möge beschließen, daß kein Mitglied des Ad-hoc-Komitees oder des ständigen Komitees sich freiwillig für dieses Unternehmen melden dürfe. Sue Stern wollte wissen, warum. Glen: »Jeder erkennt deinen aufrichtigen Wunsch zu helfen an, Sue, aber Tatsache ist, daß wir einfach nicht wissen, ob die Leute, die wir schicken, jemals zurückkommen werden und wir haben keine Ahnung, in welchem Zustand. Inzwischen haben wir die nicht ganz leichte Aufgabe, in Boulder wieder Ordnung zu schaffen. Wenn du nicht mehr hier bist, brauchen wir jemanden, der deinen Platz einnimmt, und er müßte über alles informiert werden, was wir bereits durchgesprochen haben. Diesen Zeitverlust können wir uns nicht leisten.«
Sue: »Ich glaube, du hast recht... oder bist wenigstens vernünftig... aber manchmal frage ich mich, ob beides immer ein und dasselbe ist. Oder selbst für gewöhnlich dasselbe. In Wirklichkeit sagst du, wir können keinen vom Komitee schicken, weil wir alle so verdammt unentbehrlich sind. Also gehen wir einfach her und... und... ich weiss nicht...«
Stu: »Ruhen uns auf unseren Lorbeeren aus?«
Sue: »Ja. Danke. Genau das habe ich gemeint. Wir ruhen uns auf unseren Lorbeeren aus und schicken jemand anderen hin, der möglicherweise an einem Telefonmast gekreuzigt wird, möglicherweise Schlimmeres.«
Ralph: »Verflucht, was könnte denn schlimmer sein?«
Sue: »Ich weiß nicht, aber wenn es jemand weiß, dann Flagg. Das stinkt mir eben.«
Glen: »Es mag dir stinken, aber du hast unsere Position sehr klar umrissen. Wir sind hier Politiker. Die ersten Politiker des neuen Zeitalters. Wir können nur hoffen, daß unsere Sache gerechter ist als alle, für die Politiker Menschen vor uns in Situationen geschickt haben, bei denen es um Leben und Tod ging.«
Sue: »Ich hätte mir nie träumen lassen, daß ich mal Politikerin werde.«
Larry: »Willkommen im Club.«
Glens Antrag, daß niemand vom Ad-hoc-Komitee als Kundschafter geschickt werden sollte, wurde - mißvergnügt - mit 7:0 angenommen. Daraufhin fragte Fran Goldsmith Nick, welche Qualifikationen mögliche Geheimagenten haben und was sie herausfinden sollten. Nick: »Wir wissen erst, was es herauszufinden gibt, wenn sie zurückkommen. Wenn sie zurückkommen. Tatsache ist, wir haben keine Ahnung, was er da drüben vorhat. Wir sind mehr oder weniger Angler mit menschlichen Ködern.«
Stu sagte, seiner Meinung nach sollte das Komitee die Leute aussuchen, denen der Vorschlag unterbreitet werden soll, was sofort allgemeine Zustimmung fand. Gemäß Abstimmung des Komitees wurde die Diskussion von diesem Punkt an weitgehend wortwörtlich von den Tonbandaufzeichnungen niedergeschrieben. Es schien allen wichtig, dauerhafte Aufzeichnungen über ihre Betrachtungen zum Thema Kundschafter (oder Spione) zu haben, weil das Thema nicht nur kompliziert, sondern zugleich höchst beunruhigend war. Larry: »Ich wüßte jemanden, den ich in die engere Wahl ziehen würde, wenn ich könnte. Es mag sich für alle, die ihn nicht kennen, weit hergeholt anhören, aber ich finde es eine gute Idee. Ich würde gern Richter Farris schicken.«
Sue: » Was, den alten Mann ? Larry, du mußt den Verstand verloren haben!«
Larry: »Er ist der klügste alte Mann, den ich je getroffen habe. Und fürs Protokoll, er ist erst siebzig. Vergeßt nicht, Ronald Reagan war als Präsident noch älter.«
Fran: »Das würde ich nicht als besonders gute Empfehlung betrachten.«
Larry: »Aber er ist rüstig und gesund. Und ich denke, der dunkle Mann geht nicht davon aus, daß wir einen alten Tattergreis wie Farris schicken, um ihn auszuspionieren... und wir dürfen seinen Argwohn nicht außer acht lassen, wißt ihr. Er muß mit so einem Schachzug rechnen, und es würde mich nicht wundern, wenn er da drüben Grenzposten hat, die Neuankömmlinge auf mögliche Spione abklopfen. Und - es wird sich brutal anhören, ich weiß, besonders für Fran - wenn wir ihn verlieren, haben wir nicht jemanden verloren, der noch gute fünfzig Jahre vor sich hat.«
Fran: »Du hast recht. Das hört sich brutal an.«
Larry: »Ich möchte nur noch anfügen, ich weiß, der Richter würde ja sagen. Er will wirklich helfen. Und ich glaube felsenfest, daß er es bringen würde.«
Glen: »Gut vorgetragen. Was meinen die anderen?«
Ralph: »Ich schließe mich beiden an, weil ich den Herrn nicht kenne. Aber ich bin der Meinung, wir sollten den Mann nicht grundsätzlich außen vor lassen, weil er alt ist. Überlegt mal, wer hier das Sagen hat - eine alte Frau mit über hundert.«
Glen: »Ebenfalls gut gesagt.«
Stu: »Du hörst dich wie ein Tennisschiedsrichter an, Platte.«
Sue: »Hör mal, Larry. Was ist, wenn er den dunklen Mann überlistet und dann an einem Herzanfall stirbt, während er sich die Beine aus dem Bauch läuft, um zurückzukommen?«
Stu: »Das könnte jedem passieren. Oder ein Unfall.«
Sue: »Zugegeben... aber bei einem alten Mann ist das Risiko größer.«
Larry: »Stimmt, aber du kennst den Richter nicht, Sue. Wenn, dann würdest du einsehen, daß die Vorteile die Nachteile überwiegen. Er ist echt klug. Die Verteidigung ruht.«
Stu: »Ich finde, Larry hat recht. Mit so etwas rechnet Flagg vielleicht nicht. Ich unterstütze den Antrag. Wer ist noch dafür?«
Das Komitee stimmte dafür, 7:0.
Sue: »Nun, ich habe deinen Vorschlag unterstützt, Larry - vielleicht unterstützt du meinen.«
Larry: »Na klar, so ist das in der Politik. [Allgemeines Gelächter.] Wer ist es?«
Sue: »Dayna.«
Ralph: »Welche Dayna?«
Sue: »Dayna Jürgens. Sie hat mehr Mumm als jede Frau, die ich sonst kenne. Ich weiß, sie ist keine siebzig, aber wenn wir ihr den Vorschlag unterbreiten, wird sie zustimmen.«
Fran: »Ja - ich glaube, wenn es wirklich sein muß, wäre sie geeignet. Ich unterstütze den Vorschlag.«
Stu: »Okay - es wurde beantragt und unterstützt, daß wir Dayna Jürgens bitten. Wer ist dafür?«
Das Komitee stimmte mit ja, 7:0.
Glen: »Okay - wer ist Nummer drei?«
Nick (von Ralph vorgelesen): »Wenn Fran Larrys Vorschlag nicht gefallen hat, dann wird ihr, fürchte ich, meiner überhaupt nicht gefallen. Ich nominiere ...«
Ralph: »Nick, du bist verrückt! Das ist doch nicht dein Ernst!«
Stu: »Komm schon, Ralph, lies einfach vor.«
Ralph: »Nun... hier steht, wen er nominieren möchte... Tom Cullen.«
Aufruhr des Komitees.
Stu: »Okay: Nick hat das Wort. Er hat geschrieben wie ein Irrer, also solltest du es auch vorlesen, Ralph.«
Nick: »Zunächst einmal kenne ich Tom so gut, wie Larry den Richter kennt, wahrscheinlich besser. Er liebt Mutter Abagail. Er würde alles für sie tun, sich sogar über kleiner Flamme rösten lassen. Das ist mein Ernst - keine Übertreibung. Er würde sich selbst für sie anzünden, wenn sie es von ihm verlangen würde.«
Fran: »O Nick, das bestreitet ja niemand, aber Tom ist...«
Stu: »Laß - Nick hat das Wort.«
Nick: »Als zweites Argument kann ich nur dasselbe bringen wie Larry beim Richter. Unser Gegenspieler wird mit allem rechnen, aber ganz sicher nicht damit, daß wir einen Zurückgebliebenen als Spion zu ihm schicken. Eure Reaktionen auf diesen Vorschlag sind wahrscheinlich das beste Argument dafür. So einen Schritt kann er nicht einkalkulieren.
Mein drittes - und letztes - Argument ist, Tom mag zwar zurückgeblieben sein, aber er ist kein Schwachkopf. Er hat mir einmal das Leben gerettet, als ein Tornado gekommen ist, und er hat viel schneller reagiert als sonst jemand, den ich kenne. Tom ist kindisch, aber selbst einem Kind kann man bestimmte Sachen beibringen, wenn man sie ihm einbleut. Ich sehe kein Problem, Tom eine einfache Geschichte zu geben, die er sich einprägen kann. Letztendlich werden sie alle davon ausgehen, daß wir ihn weggeschickt haben, weil...«
Sue: »Weil wir nicht wollen, daß er unser Genreservoir befleckt? Ja, das ist gut.«
Nick: »... weil er zurückgeblieben ist. Er kann sogar sagen, er ist böse auf die Leute, die ihn weggeschickt haben, und will es ihnen heimzahlen. Man müßte ihm nur eines einschärfen, daß er nie von seiner Geschichte abweicht, was auch immer geschieht.«
Fran: »Oh, ich kann mir nicht vorstellen...«
Stu: »Hör zu, Nick hat das Wort. Wir wollen uns an die Regeln halten.«
Fran: »Ja - tut mir leid.«
Nick: »Manche von euch denken vielleicht, weil Tom zurückgeblieben ist, dürfte es leichter sein, ihm die Wahrheit zu entlocken als einem intelligenteren Menschen, aber...«
Larry: »Ja.«
Nick: »...aber in Wirklichkeit ist es umgekehrt. Wenn ich Tom sage, er muß sich an die Geschichte halten, die ich ihm gebe, was auch immer passiert, dann wird er das tun. Ein sogenannter normaler Mensch kann nur soundsoviel Stunden Wasserfolter aushaken, oder soundsoviel Elektroschocks und Splitter unter den Fingernägeln...«
Fran: »Dazu wird es doch nicht kommen, oder? Oder? Ich meine, es glaubt doch niemand ernsthaft, daß es dazu kommen würde, nicht?«
Nick: »...bis er sagt: >Okay, ich gebe auf. Ich sage alles, was ich weiß.< Das wird Tom niemals machen. Wenn er seine Geschichte lange genug übt, kennt er sie nicht nur auswendig, er wird fast glauben, daß sie wahr ist. Niemand wird ihn erschüttern können. Ich möchte nur klarstellen, daß Toms Behinderung bei einem solchen Unternehmen sogar ein Plus sein kann. >Unternehmen< hört sich vielleicht wichtigtuerisch an, aber genau das ist es.«
Stu: »Ist das alles, Ralph?«
Ralph: »Noch eine Kleinigkeit.«
Sue: »Wenn er seine Geschichte tatsächlich glaubt, Nick, wie soll er dann wissen, wann er zurückkommen muß?«
Ralph: »Bitte um Entschuldigung, aber es sieht so aus, als würde es genau darum gehen.«
Sue: »Oh.«
Nick (von Ralph vorgelesen): »Wir können Tom einen posthypnotischen Befehl geben, bevor wir ihn losschicken. Auch das sage ich nicht einfach ins Blaue hinein; als ich den Einfall gehabt habe, habe ich Stan Nogotny gefragt, ob er versuchen würde, Tom zu hypnotisieren. Stan hat das manchmal als Trick bei Partys gemacht, habe ich ihn sagen hören. Nun, Stan dachte nicht, daß es funktionieren würde... aber Tom war binnen sechs Sekunden weg.«
Stu: »Wäre ich auch. Das beherrscht der olle Stan, hm?«
Nick: »Der Grund dafür, weshalb ich Tom für ultraempfänglich halte, reicht zu der Zeit zurück, als ich ihn in Oklahoma kennengelernt habe. Er hat sich offenbar im Lauf der Jahre den Trick angeeignet, sich selbst zu hypnotisieren - bis zu einem gewissen Grad. Dadurch kann er leichter Schlüsse ziehen. Am Tag, als ich ihn kennenlernte, wußte er nicht, was ich wollte - warum ich nicht mit ihm redete oder seine Fragen beantwortete. Ich habe dauernd die Hand auf den Mund und dann den Hals gelegt, um ihm zu zeigen, daß ich stumm bin, aber er hat es nicht begriffen. Dann hat er auf einmal einfach abgeschaltet. Besser kann ich es nicht erklären. Er stand vollkommen reglos da. Seine Augen sahen in die Ferne. Dann kam er zu sich wie ein Hypnotisierter zu sich kommt, wenn ihm der Hypnotiseur sagt, daß es vorbei ist. Und er wußte es. Einfach so. Er hat sich in sich selbst verkrochen und die Lösung gefunden.«
Glen: »Wirklich erstaunlich.«
Stu: »Unbedingt.«
Nick: »Als wir das versucht haben, vor etwa fünf Tagen, habe ich ihm von Stan einen posthypnotischen Befehl geben lassen. Der Vorschlag war, wenn Stan sagt: >Ich würde gerne einen Elefanten sehen<, sollte Tom den Drang verspüren, in die Ecke zu gehen und einen Kopfstand zu machen. Stan hat es eine halbe Stunde, nachdem er Tom geweckt hatte, gesagt, und Tom lief sofort in die Ecke und hat den Kopfstand gemacht. Sämtliche Spielsachen und Murmeln sind ihm aus den Taschen gefallen. Dann setzte er sich, grinste uns an und sagte: Jetzt frag' ich mich, warum Tom Cullen das gemacht hat?<«
Glen: »Das kann ich förmlich hören.«
Nick: »Diese weitschweifige Erklärung der Hypnose dient nur dazu, zwei einfache Punkte klarzumachen. Erstens, wir können einen posthypnotischen Befehl einsetzen, daß Tom zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückkehrt. Logisch wäre der Mond. Vollmond. Zweitens, wir versetzen ihn in tiefe Hypnose, und wenn er zurückkommt, wird er sich perfekt an alles erinnern, was er gesehen hat.«
Ralph: »Hier endet das, was Nick aufgeschrieben hat. Mann.«
Larry: »Klingt mir nach diesem alten Film, The Manchurian Candidate.«
Stu: »Was?«
Larry: »Nichts.«
Sue: »Ich habe eine Frage, Nick. Würdest du Tom auch programmieren - ich glaube, das ist das richtige Wort -, nichts zu verraten, was wir hier machen?«
Glen: »Nick, laß mich das beantworten, und wenn du andere Argumente hast, schüttle einfach den Kopf. Ich würde sagen, Tom muß überhaupt nicht programmiert werden. Soll er alles über uns ausplaudern, was er weiß. Was Flagg betrifft, halten wir uns ohnehin bedeckt, und sonst machen wir nicht viel, was er sich nicht selbst zusammenreimen könnte... auch wenn seine Kristallkugel trüb ist.«
Nick: »Genau.«
Glen: »Okay - ich unterstütze Nicks Antrag rückhaltlos. Ich finde, wir haben alles zu gewinnen und nichts zu verlieren. Es ist eine überaus originelle und herausfordernde Idee.«
Stu: »Gestellt und unterstützt. Wir können uns noch einen Moment darüber unterhalten, wenn ihr wollt, aber nur einen Moment. Wenn wir uns nicht sputen, sitzen wir die ganze Nacht hier. Hat noch jemand was zu sagen?«
Fran: »Und ob. Du hast gesagt, wir haben alles zu gewinnen und nichts zu verlieren, Glen. Und was ist mit Tom? Was ist mit unseren eigenen Seelen? Euch macht es vielleicht nichts aus, daran zu denken, jemand könnte Tom... etwas... unter die Fingernägel schieben oder ihm Elektroschocks verpassen, aber mich beschäftigt das. Wie könnt ihr nur so kaltblütig sein? Und Nick, der hypnotisiert ihn, so daß er sich benimmt wie ein Huhn, dem man einen Beutel über den Kopf gezogen hat! Ihr solltet euch schämen! Ich habe gedacht, er wäre euer Freund!«
Stu: »Fran...«
Fran: »Nein, jetzt rede ich. Ich trete nicht aus dem Komitee aus oder zieh' mich in den Schmollwinkel zurück, wenn ich überstimmt werde, aber ich kann nicht schweigen. Möchtet ihr wirklich aus diesem süßen, umnebelten Jungen ein lebendes U2-Flugzeug machen? Ist euch nicht klar, daß das gleichbedeutend damit ist, die alte Scheiße wieder anzufangen? Begreift ihr das nicht? Was machen wir, wenn sie ihn umbringen, Nick? Was machen wir, wenn sie alle umbringen? Irgendeinen neuen Erreger züchten? Eine verbesserte Version von Captain Trips?«
Eine Pause, während Nick eine Antwort schrieb.
Nick (von Ralph vorgelesen): »Was Fran gesagt hat, macht mich zutiefst betroffen, aber ich bleibe bei meiner Nominierung. Nein, es macht mir keinen Spaß, Tom einen Kopfstand machen zu lassen oder ihn in eine Situation zu schicken, wo er gefoltert und getötet werden könnte. Ich weise nur noch einmal darauf hin, daß er es für Mutter Abagail und deren Ideale machen würde und für ihren Gott, nicht für uns. Ich bin auch der tiefen Überzeugung, daß wir jedes uns zur Verfügung stehende Mittel nützen müssen, um die Bedrohung durch dieses Wesen auszuschalten. Er kreuzigt Menschen da drüben. Das weiß ich sicher aus meinen Träumen, und ich weiß, manche von euch haben ähnliche Träume gehabt. Mutter Abagail selbst hat ihn gehabt. Und ich weiß, Flagg ist böse. Wenn jemand eine neue Abart von Captain Trips züchtet, Frannie, dann er, damit er sie gegen uns einsetzen kann. Ich möchte ihn nur aufhalten, solange wir es noch können.«
Fran: »Das stimmt alles, Nick. Ich kann nicht widersprechen. Ich weiß, daß er böse ist. Soviel ich weiß, könnte er der Dämon Satans sein, wie Mutter Abagail sagt. Aber wir legen den Finger auf denselben Knopf, um ihn aufzuhalten. Erinnert ihr euch noch an Farm der Tiere? >Sie sahen von den Schweinen zu den Menschen und konnten keinen Unterschied erkennen.< Ich glaube, ich will von dir hören - auch wenn es Ralph vorliest -, daß wir, wenn wir schon so handeln müssen, um ihn aufzuhalten... wenn es sein muß... daß wir damit aufhören, wenn es vorbei ist. Kannst du das sagen?«
Nick: »Nicht mit Bestimmtheit, glaube ich. Nicht mit Bestimmtheit.«
Fran: »Dann stimme ich mit nein. Wenn wir schon Menschen nach Westen schicken müssen, dann wenigstens Menschen, die wissen, worum es geht.«
Stu: »Noch jemand?«
Sue: »Ich bin auch dagegen, aus praktischeren Gründen. Wenn wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen, dann nicht mit einem alten Mann und einem Debilen. Entschuldigt den Ausdruck, ich mag ihn ja auch gern, aber das ist er nun mal. Ich bin dagegen, und jetzt halte ich den Mund.«
Glen: »Stell die Frage, Stu.«
Stu: »Okay. Reihum. Ich stimme mit ja. Frannie?«
Fran: »Nein.«
Stu: »Glen?«
Glen: »Ja.«
Stu: »Sue?«
Sue: »Nein.«
Stu: »Nick?«
Nick: »Ja.«
Stu: »Ralph?«
Ralph: »Nun - mir gefällt es auch nicht, aber wenn Nick dafür ist, bin ich dabei. Ja.«
Stu: »Larry?«
Larry: »Soll ich ehrlich sein? Ich finde, der Vorschlag ist so beschissen, daß ich mir wie eine öffentliche Toilette vorkomme. Ich schätze, mit so was bekommt man es zu tun, wenn man ganz oben ist. Eine Scheißlage. Ich stimme mit ja.«
Stu: »Antrag 5:2. angenommen.«
Fran: »Stu?«
Stu: »Ja?«
Fran: »Ich würde meine Stimme gerne ändern. Wenn wir Tom wirklich losschicken, dann sollten wir es gemeinsam machen. Tut mir leid, daß ich so ein Aufhebens gemacht habe, Nick. Ich weiß, es tut dir weh - ich sehe es deinem Gesicht an. Es ist so dumm! Wie konnte es so weit kommen? Eins kann ich euch sagen, wie das Komitee für den Schulabschlußball ist das hier nicht. Frannie stimmt ja.«
Sue: »Dann ich auch. Einheitsfront. Nixon bleibt standfest und sagt: Ich bin kein Schurke. Ja.«
Stu: »Abstimmungsergebnis ist 7:0. Hier, ein Taschentuch, Fran. Ich möchte für das Protokoll festhalten, daß ich dich liebe.«
Larry: »Ich glaube, mit dieser Bemerkung sollten wir die Sitzung beenden.«
Sue: »Ich unterstütze die Idee.«
Stu: »Zippy und Zippys Mom sind sich einig, daß wir aufhören. Wer dafür ist, hebt die Hand. Wer dagegen ist, soll damit rechnen, daß er eine Bierdose aufs Haupt bekommt.«
Das Abstimmungsergebnis war 7:0.
»Kommst du ins Bett, Stu?«
»Ja. Ist es schon spät?«
»Fast Mitternacht. Spät genug.«
Stu kam vom Balkon herein. Er trüg nur Boxershorts, die sich weiss von seiner sonnengebräunten Haut abhoben. Frannie, die sich mit einer Coleman-Gaslampe auf dem Nachttisch im Bett aufgestützt hatte, war wieder erstaunt, wie tief und voller Vertrauen ihre Liebe zu ihm war.
»Hast du über die Sitzung nachgedacht?« fragte sie ihn.
»Ja.« Er goß sich aus dem Krug auf dem Nachttisch ein Glas Wasser ein und verzog das Gesicht, so schal und abgekocht schmeckte es.
»Ich finde, du warst ein guter Leiter. Hat Glen dich nicht gebeten, auch die öffentliche Versammlung zu leiten? Machst du dir darüber Gedanken? Hast du abgelehnt?«
»Nein. Ich habe ja gesagt. Ich habe an die drei Leute gedacht, die wir über die Berge schicken wollen. Spione zu schicken ist ein dreckiges Geschäft. Du hattest recht, Frannie. Das Dumme ist, dass Nick auch recht hatte. Was soll man in so einem Fall tun?«
»Sein Gewissen prüfen und schlafen, so gut man kann, würde ich sagen«, sagte Frannie. Sie griff nach dem Schalter der ColemanLampe. »Bist du soweit?«
»Ja.« Sie machte das Licht aus, und er legte sich neben sie ins Bett.
»Gute Nacht, Frannie«, sagte er. »Ich liebe dich.«
Sie sah zur Decke. Sie hatte ihren Frieden mit Tom Cullen gemacht, aber den Gedanken an den schmierigen Daumenabdruck wurde sie nicht los.
Jeder Hund hat seinen Tag, Fran.
Vielleicht sollte ich es sofort Stu sagen, dachte sie. Aber wenn es ein Problem war, dann ihres. Sie würde abwarten müssen... aufpassen... sehen, ob etwas geschah.
Es dauerte lange, bis sie einschlief.