16

Einen Tag später, am 13. Juni, donnerte ein großer weißer Connie in einem anderen Teil des Landes über die US 180 nach Norden. Er fuhr zwischen neunzig und hundert Meilen, der korinthweiße Lack glänzte in der Sonne, das Chrom blitzte. Auch die Heckscheiben reflektierten die Sonne und spiegelten sie tückisch. Die Spur, die der Connie hinter sich gelassen hatte, seit Poke und Lloyd ihn irgendwo südlich von Hachita gestohlen und den Besitzer ermordet hatten, war verschlungen und ziemlich sinnlos. Die US 81 hinauf zur US 80, dann über die Mautstraße, bis Poke und Lloyd anfingen, nervös zu werden. Sie hatten in den letzten sechs Tagen sechs Leute umgebracht, darunter den Besitzer des Continental, seine Frau und seine widerliche Tochter. Aber nicht wegen der Morde waren sie auf der Interstate kribbelig. Wegen Rauschgift und Waffen. Fünf Gramm Hasch, eine Schnupftabakdose aus Blech mit Gott weiß wie vi el Kokain und sechzehn Pfund Marihuana. Außerdem zwei Achtunddreißiger, drei Fünfundvierziger, eine 35jer Magnum, die Poke seinen >Pokerisierer< nannte, sechs Schrotflinten - zwei mit abgesägten Läufen - und eine SchmeisserMaschinenpistole. Mord lag ein wenig über ihren intellektuellen Fähigkeiten, aber sie wußten genau, daß sie Ärger bekommen würden, wenn die Arizona State Police sie mit einem gestohlenen Wagen voll Stoff und Schießeisen erwischte. Zu allem Überfluss waren sie Staaten-Flüchtlinge. Schon seit sie Nevadas Grenze überschritten hatten.

Staaten-Flüchtlinge. Hörte sich gut an, fand Lloyd Henreid. Nimm das, dreckige Ratte. Friß blaue Bohnen, dreckiger Bulle. Sie waren also bei Deming nach Norden abgebogen und fuhren auf der 180; sie hatten Hurley und Bayard und die etwas größere Stadt Silver City passiert, wo Lloyd eine Tüte Hamburger und acht Milchshakes gekauft (warum, in Gottes Namen, hatte er acht verdammte Dinger gekauft? Bald würden sie Schokolade pissen) und dabei die Bedienung so leer und doch heiter angestarrt hatte, daß sie noch Stunden später nervös war. Ich glaube, dieser Mann hätte mich genausogut umbringen wie anstarren können, sagte sie ihrem Chef an diesem Nachmittag.

Hinter Silver City waren sie durch Cliff gedröhnt, wo die Straße wieder nach Westen bog, genau die Richtung, in die sie nicht wollten. Durch Buckhorn, und dann waren sie wieder im Land, das Gott vergessen hatte; eine zweispurige Asphaltstraße führte zwischen Beifuß und Sand hindurch, im Hintergrund Berge und Tafelland, immer dieselbe alte Leier, so daß man sich einfach rauslehnen und draufkotzen wollte.

»Benzin wird knapp«, sagte Poke.

»Nicht, wenn du nicht so verdammt schnell fahren würdest«, sagte Lloyd. Er trank einen Schluck von seinem dritten Milchshake, würgte, ließ das Fenster herunter und warf den ganzen Müll zusammen mit den Milchshakes, die sie noch nicht angerührt hatten, nach draußen.

»Hüah! Hüah!« schrie Poke. Er fing an, mit dem Gaspedal zu spielen. Der Connie schoß vorwärts, fiel zurück, schoß vorwärts.

»Reit sie, Cowboy!« brüllte Lloyd.

»Hüah! Hüah!«

»Willst du rauchen?«

»Rauch, solange du hast«, sagte Poke. »Hüah! Hüah!«

Zwischen Lloyds Füßen stand eine große grüne Tüte auf dem Boden. Sie enthielt die sechzehn Pfund Marihuana. Er griff hinein, holte eine Handvoll heraus und fing an, einen Bomber-Joint zu drehen.

»Hüah! Hüah!« Der Connie schlingerte hin und her über den Mittelstreifen.

»Laß den Scheiß!« schrie Lloyd. »Ich verschütte alles.«

»Wo das herkommt, ist noch mehr... Hüah!«

»Komm, wir müssen den Stoff verkaufen, Mann. Wir müssen den Stoff verkaufen, sonst werden wir erwischt und landen in irgendeinem Kofferraum.«

»Okay, Sportsfreund.« Poke fuhr wieder normal, aber sein Gesicht war verdrossen. »Es war deine Idee, deine Scheißidee.«

»Du warst begeistert davon.«

»Ja, aber ich hab' nicht gewußt, daß wir um ganz verdammt Arizona rumfahren müssen. Wie sollen wir denn so jemals nach New York kommen?«

»Wir schütteln die Verfolger ab, Mann«, sagte Lloyd. In Gedanken sah er, wie sich die Türen der Polizeigaragen auftaten und Tausende 1940er Funkstreifenwagen in die Nacht fuhren. Scheinwerfer, die über Ziegelwände huschten. Kommen Sie raus, Canarsie, wir wissen, daß Sie da drin sind.

»Verdammte Scheiße«, sagte Poke immer noch verdrossen. »Wir haben echt ganze Arbeit geleistet. Weißt du, was wir außer Stoff und Kanonen noch haben? Sechzehn Piepen und dreihundert verdammte Kreditkarten, die wir vor lauter Schiß nicht benützen. Scheiß drauf, wir haben nicht mal genug Geld zum Tanken.«

»Der Herr gibt's den Seinen«, sagte Lloyd und klebte den Bomber mit Spucke zu. Er steckte ihn mit dem Zigarettenanzünder am Armaturenbrett an. »Scheißleben.«

»Wenn du das Zeug verkaufen willst, warum rauchen wir es dann?« fragte Poke, den der Gedanke, daß der Herr den Seinen gibt, nicht sehr beruhigen konnte.

»Dann verkaufen wir eben ein paar getürkte Gramm. Komm schon, Poke. Rauch eine.«

Das verfehlte auf Poke nie seine Wirkung. Er lachte wiehernd und nahm den Joint. Die vollgeladene Schmeisser stand auf ihrem Stativ zwischen ihnen. Der Connie schoß weiter die Straße entlang. Die Benzinanzeige stand auf ein Achtel.




Poke und Lloyd hatten sich vor einem Jahr in der Brownsville Minimal Security Station kennengelernt, einer Arbeitsfarm in Nevada. Brownsville hatte eine 3,6 Hektar große bewässerte Anbaufläche und einen Gefängniskomplex, der aus einzelnen Hütten bestand, alles lag etwa sechzig Meilen nördlich von Tonopah und etwa achtzig nordöstlich von Gabbs. Eine üble Institution für kurze Haftstrafen. Obwohl Brownsville eine Farm sein sollte, wuchs hier wenig. Karotten und Salat bekamen eine Portion sengende Sonne, kicherten resigniert und gingen ein. Hülsenfrüchte und Unkraut konnten hier überleben, aber die staatliche Legislative war geradezu besessen von der Idee, daß hier eines Tages Sojabohnen wachsen würden. Günstigstenfalls könnte man über Brownsvilles vorgeblichen Zweck sagen, daß die Wüste sich unchristlich lange Zeit ließ, um zu erblühen. Der Gefängnisleiter (der sich gern »Boß« nennen ließ) war stolz darauf, ein Brutalo zu sein und stellte nur Leute ein, die er seinerseits für Brutalos hielt. Er erzählte Grünschnäbeln gerne, dass Brownsville vorwiegend deshalb »Minimum Security « - unterste Sicherheitsstufe - war, weil es, wenn es um Flucht ging, wie in dem Song war: noplace to run to, baby, noplace to hide. Ein paar versuchten es trotzdem, aber die meisten wurden nach zwei oder drei Tagen wieder zurückgebracht, mit Sonnenbrand, halbblind und bereit, dem Boß ihre eingeschrumpften Rosinen von Seelen für ein Glas Wasser zu verkaufen. Einige lachten irre, und ein junger Mann, der drei Tage draußen gewesen war, behauptete, er habe ein paar Meilen südlich von Gabbs ein großes Schloß gesehen, ein Schloss mit einem Graben. Der Graben, sagte er, wurde von Kobolden bewacht, die auf großen schwarzen Pferden ritten. Als ein paar Monate später ein Erweckungsprediger in Brownsville seine Show abzog, fand er in demselben jungen Mann seinen gläubigsten Anhänger.

Andrew »Poke« Freeman, der nur wegen Körperverletzung saß, wurde im April 1989 entlassen. Er hatte ein Bett neben Lloyd Henreid gehabt und ihm erzählt, falls Lloyd an einem großen Ding interessiert sei, wüßte er was Interessantes in Vegas. Lloyd war interessiert. Lloyd wurde am 1.Juni entlassen. Sein Verbrechen, in Reno begangen, war versuchte Vergewaltigung. Die Dame war ein Showgirl auf dem Heimweg gewesen und hatte Lloyd eine Ladung Tränengas in die Augen gesprüht. Er war froh, daß er nur zwei bis vier Jahre bekommen hatte, Untersuchungshaft angerechnet, und Erlaß wegen guter Führung. In Brownsvi lle war es so verdammt heiß, daß es unmöglich war, sich nicht gut zu führen. Er nahm einen Bus nach Las Vegas, und Poke erwartete ihn an der Endstation. Und dann erklärte Poke ihm, was Sache war. Er kannte einen Burschen, einen »einmaligen Geschäftspartner«, wie Poke sich ausdrückte. Dieser Bursche war in gewissen Kreisen als Göttlicher George bekannt. Er machte die Dreckarbeit für eine Gruppe mit hauptsächlich italienischen oder sizilianischen Namen. George war ausschließlich Teilzeitkraft. Die Arbeit, mit der diese sizilianischen Typen ihn betrauten, bestand hauptsächlich darin, irgendwelche Dinge wegzubringen und andere Dinge zu holen. Manchmal beförderte er etwas von Vegas nach L.A.; manchmal holte er etwas aus L.A. nach Vegas. Meistens kleinere Drogenlieferungen, Geschenke für Großkunden. Manchmal Waffen. Die Waffen wurden immer gebracht, nie geholt. Poke dachte (und sein Denken reichte selten über das hinaus, was man in der Filmbranche »Weichzeichnung« nannte), daß diese sizilianischen Typen manchmal Schießeisen an nicht organisierte Einbrecher verkauften. Nun, sagte Poke, der Göttliche George hatte versprochen, ihm Ort und Zeit mitzuteilen, sobald eine ansehnliche Lieferung solcher Artikel auf Lager war. George verlangte fünfundzwanzig Prozent vom Erlös. Poke und Lloyd würden bei George eindringen, ihn fesseln und knebeln, das Zeug nehmen und ihm vielleicht noch zu guter Letzt ein paar Knüffe und Rempler verpassen. Es mußte echt aussehen, hatte George gewarnt, denn mit diesen sizilianischen Typen war nicht zu spaßen.

»Ja«, sagte Lloyd. »Hört sich gut an.«

Am nächsten Tag besuchten Poke und Lloyd den Göttlichen George, einen netten, eins achtzig großen Mann mit einem kleinen Kopf, der auf zu breiten Schultern sowie einem Hals saß, der nicht zu existieren schien. Er hatte dichtes blondes Haar, was ihm das Aussehen eines berühmten Ringers gab.

Lloyd waren Zweifel an dem Geschäft gekommen, aber Poke hatte ihn ein zweites Mal überredet. Darin war Poke gut. George bestellte sie für nächsten Freitag gegen sechs Uhr abends in sein Haus.

»Tragt um Himmels willen Masken«, sagte er .»Und schlagt mir die Nase blutig und ein blaues Auge. Mein Gott, ich wollte, ich hätte mich nie drauf eingelassen.«

Der große Abend kam. Poke und Lloyd fuhren mit dem Bus zur Ecke der Straße, wo George wohnte, und zogen vor seiner Haustür Skibrillen auf. Die Tür war verschlossen, aber, wie George versprochen hatte, nicht sehr gründlich. Unten war ein Hobbyraum, und dort stand George vor einer großen Tüte Marihuana. Die Tischtennisplatte war mit Schußwaffen beladen. George hatte Angst.

»Mein Gott, mein Gott, hätte ich mich bloß nie darauf eingelassen«, sagte er immer wieder, als Lloyd ihm die Füße mit einer Wäscheleine fesselte und Poke ihm die Hände mit Tesapack verschnürte. Dann schlug Lloyd ihm auf die Nase, daß sie blutete, und Poke verpaßte ihm, wie gewünscht, ein blaues Auge.

»Mein Gott«, rief George. »Mußte es so fest sein?«

»Du hast doch gewollt, daß es echt wirkt«, erinnerte Lloyd ihn. Poke klebte George Klebeband auf den Mund. Die beiden fingen an, die Beute einzusammeln.

»Weißt du was, alter Junge?« fragte Poke und hielt inne.

»Nee«, sagte Lloyd und kicherte nervös. »Überhaupt nichts.«

»Ich frage mich, ob old George ein Geheimnis für sich behalten kann.«

Für Lloyd war das eine völlig neue Überlegung. Er sah den Göttlichen George eine lange Minute hart an. Georges Augen quollen plötzlich entsetzt aus den Höhlen.

Dann sagte Lloyd: »Klar. Ist doch auch sein Arsch.« Aber das klang so unsicher, wie er sich fühlte. Wenn bestimmte Samen gepflanzt werden, wachsen sie fast immer.

Poke lächelte. »Oh, er könnte einfach sagen: >He, Jungs, ich hab' einen alten Freund und seinen Kumpel getroffen. Wir haben über allen möglichen Scheiß geredet und ein paar Bier getrunken, und was meint ihr, kommen die Hurensöhne doch in mein Haus und nehmen mich auseinander. Hoffentlich kriegt ihr sie. Will euch mal sagen, wie sie aussehen.<«

George schüttelte wild den Kopf, seine Augen waren große Os des Entsetzens.

Die Waffen waren jetzt in einem großen Wäschesack aus derbem Leinen, den sie unten im Badezimmer gefunden hatten. Lloyd hob den Beutel nervös auf und sagte: »Was meinst du, sollen wir machen?«

»Ich denke, wir sollten ihn pokerisieren, alter Junge«, sagte Poke bedauernd. »Einzige Möglichkeit.«

Lloyd sagte: »Verdammt hart, wo er uns die Sache doch gesteckt hat.«

»Die Welt ist hart, Junge.«

»Ja«, seufzte Lloyd, und sie gingen zu George hinüber.

-»Mfff«, sagte George, und wieder schüttelte er wild den Kopf.

»Mmmmmmmm! Mmmmmmmff!«

»Ich weiß«, beruhigte Poke ihn. »Scheiße, was? Tut mir leid, George. Ehrlich. Ist nichts Persönliches, vergiß das nicht. Halt seinen Kopf fest, Lloyd.«

Das war leichter gesagt als getan. Der Göttliche George zuckte wie verrückt mit dem Kopf hin und her. Er saß in der Ecke seines Hobbyraums, und die Wände waren aus Ziegelsteinen, und er schlug ständig mit dem Kopf dagegen, schien es aber nicht einmal zu spüren.

»Halt ihn fest«, sagte Poke gelassen und riß noch einen Klebestreifen von der Rolle.

Schließlich packte Lloyd ihn an den Haaren und schaffte es, seinen Kopf so lange ruhig zu halten, daß Poke ihm den zweiten Streifen säuberlich über die Nase kleben konnte, wodurch ihm die Luft endgültig abgeschnitten wurde. George drehte völlig durch. Er rollte aus der Ecke, bäumte sich auf, und dann lag er da, zuckte und wand sich auf dem Boden und gab erstickte Laute von sich, die, wie Lloyd vermutete, wohl Schreie sein sollten. Armer Kerl. Es dauerte fast fünf Minuten, bis George ganz still lag. Er wälzte sich hin und her, er bäumte sich auf, er zappelte mit den Füßen. Sein Gesicht wurde so rot wie die Wände von Daddys alter Scheune. Zuletzt hob er die Beine zwanzig oder dreißig Zentimeter und ließ sie polternd auf den Boden fallen. Es erinnerte Lloyd an eine Szene, die er mal in einem Bugs-BunnyTrickfilm oder so gesehen hatte, und er kicherte und fühlte sich ein bißchen aufgeheitert. Bis jetzt war es ein eher grausamer Anblick gewesen.

Poke kniete sich neben George und fühlte seinen Puls.

»Und?« sagte Lloyd.

»Tickt nur noch seine Uhr, alter Junge«, sagte Poke. »Da wir gerade davon sprechen...« Er hob Georges Arm und sah die Uhr an. »Nee, nur 'ne Timex. Ich dachte, es wäre 'ne Casio oder so was.« Er liess Georges Arm fallen.

George hatte die Autoschlüssel in der Hosentasche. Und oben in einem Schrank fanden sie ein Skippy-Erdnußbutterglas, das zur Hälfte mit Zehncentstücken gefüllt war. Sie nahmen das Geld mit. Zwanzig Dollar und sechzig Cents in Zehncentstücken.

Georges Auto war ein asthmatischer alter Mustang mit einem popeligen Vierganggetriebe, beschissenen Stoßdämpfern und Reifen, die so glatzköpfig waren wie Telly Savalas. Sie verließen Vegas auf der US 93 und fuhren in südöstlicher Richtung nach Arizona. Gegen Mittag des nächsten Tages, vorgestern, hatten sie Phoenix auf Landstraßen umfahren. Gestern gegen neun Uhr hatten sie vor einem schäbigen alten Laden zwei Meilen hinter Sheldon auf dem Arizona Highway 75 gehalten. Sie waren in den Laden eingedrungen und hatten den Inhaber pokerisiert, einen älteren Herrn mit einem Versandhausgebiß. Sie erbeuteten dreiundsechzig Dollar und den Kleintransporter des alten Tattergreises. Heute morgen waren zwei Reifen des Kleintransporters geplatzt. Zwei Reifen gleichzeitig, und keiner von ihnen konnte Nägel auf der Straße finden, obwohl sie fast eine halbe Stunde suchten und einander dabei einen Bomber-Joint hin und her reichten. Schließlich sagte Poke, es müsse ein Zufall gewesen sein. Und Lloyd meinte, er hätte weiß Gott schon von seltsameren Dingen gehört. Und dann kam der weiße Connie des Wegs, als wären ihre Gebete erhört worden. Sie hatten vor einiger Zeit die Staatsgrenze von Arizona nach New Mexiko überquert, obwohl sie das beide nicht wußten, und damit waren sie ein Fall für das FBI geworden.

Der Fahrer des Connie hatte angehalten, sich hinausgebeugt und gesagt: »Braucht ihr Hilfe?«

»Klar doch«, hatte Poke geantwortet und den Burschen auf der Stelle pokerisiert. Erwischte ihn mit der 3.57er Mag voll zwischen die Augen. Das arme Schwein hatte wahrscheinlich gar nichts mehr mitgekriegt.

»Warum biegst du hier nicht ab?« sagte Lloyd und deutete auf eine Kreuzung vor ihnen. Er fühlte sich richtig schön high.

»Mach ich glatt«, sagte Poke fröhlich. Er verringerte die Geschwindigkeit des Connie von achtzig auf sechzig. Er zog nach links, daß die rechten Räder sich kaum vom Boden hoben, und dann lag vor ihnen ein neuer Straßenabschnitt. Route 78, nach Westen. Und so kamen sie wieder nach Arizona und wußten nicht, daß sie es je verlassen und das hinter sich hatten, was die Zeitungen eine AMOKFAHRT DURCH DREI STAATEN nannten.

Ungefähr eine Stunde später sahen sie rechts ein Schild: BURRACK 6.

»Baracke?« fragte Lloyd benommen.

»Burrack«, sagte Poke und riß das Steuer hin und her, so daß der Wagen große, anmutige Schlangenlinien fuhr. »Hüah! Hüah!«

»Willst du hier halten? Ich hab' Hunger, Mann.«

»Du hast immer Hunger.«

»Leck mich am Arsch. Wenn ich stoned bin, brauch' ich was zu kauen.«

»Du kannst ja auf meinem 25-Zentimeter-Schwanz kauen, wie war's? Hüah! Hüah!«

»Im Ernst, Poke. Laß uns anhalten.«

»Okay. Wir brauchen sowieso Geld. Wir haben erst mal genug Verfolger abgeschüttelt. Wir holen uns hier Geld und verpissen uns nach Norden. In dieser Wüstenscheiße hier komm' ich nicht klar.«

»Okay«, sagte Lloyd. Er wußte nicht, ob es am Stoff lag, aber plötzlich hatte er eine unheimliche Platter, noch schlimmer als vorher auf dem Highway. Poke hatte recht. Vor diesem Burrack anhalten und ein Ding drehen wie das bei Sheldon. Ein bißchen Geld und ein paar Straßenkarten beschaffen, diesen verdammten Connie gegen etwas eintauschen, das in die Landschaft paßte, und dann auf Nebenstraßen nach Nordosten. Bloß raus aus Arizona.

»Ich sag's dir ehrlich«, sagte Poke. »Ich bin plötzlich so nervös wie 'ne langschwänzige Katze in 'nem Zimmer voller Schaukelstühle.«

"»Ich weiß, was du meinst, Gummibärchen«, sagte Lloyd feierlich, und dann wurden beide wieder lockerer, weil sie die Bemerkung so komisch fanden.

Burrack war nicht viel mehr als eine Verbreiterung der Straße. Sie rasten durch, und auf der anderen Seite lag eine Kombination von Cafe, Laden und Tankstelle. Auf dem sandigen Parkplatz standen ein alter Ford und ein staubbedeckter Olds mit Pferdeanhänger. Als Poke den Connie auf den Platz fuhr, sah das Pferd sie an.

»Scheint genau die richtige Adresse für uns zu sein«, sagte Lloyd. Poke stimmte zu. Er griff nach hinten, nahm die 3. 57er und prüfte das Magazin. »Startklar?«

»Glaub' schon«, sagte Lloyd und nahm die Schmeisser. Sie gingen über den ausgetrockneten Boden des Parkplatzes. Die Polizei wußte seit vier Tagen, wer sie waren; sie hatten überall im Haus des Göttlichen George ihre Fingerabdrücke hinterlassen; ebenso im Laden, wo sie den alten Mann mit dem Versandhausgebiß pokerisiert hatten. Der Transporter des alten Mannes war fünfzehn Meter neben den Leichen der drei Insassen des Continental gefunden worden, und man durfte getrost annehmen, daß die Männer, die den Göttlichen George und den Ladenbesitzer getötet hatten, auch diese drei umgebracht hatten. Hätten sie anstelle des Cassettenrecorders das Radio des Connie eingeschaltet, hätten sie erfahren, daß die Polizei von Arizona und New Mexiko die größte Fahndung seit vierzig Jahren eingeleitet hatte, und das alles wegen ein paar kleinen Ganoven, die nicht ganz begriffen hatten, was sie denn groß getan haben könnten, um einen solchen Wirbel auszulösen.

Die Tankstelle hatte Selbstbedienung; der Tankwart mußte nur die Zapfsäule einschalten. Deshalb gingen sie die Stufen hoch und hinein in den Laden. Zwischen Regalen mit Konserven führten drei Gänge zum Ladentisch. Dort bezahlte ein Mann in Cowboykleidung eine Packung Zigaretten und ein halbes Dutzend Slim Jims. Im mittleren Gang versuchte eine müde aussehende Frau mit strähnigen schwarzen Haaren, sich für eine von zwei Sorten Spaghetti-Soße zu entscheiden. Der Laden roch nach abgestandenem Lakritz und Sonne und Tabak und Alter. Der Inhaber war ein sommersprossiger Mann im grauen Hemd. Er trug eine Firmenmütze mit der Aufschrift SHELL in roten Buchstaben auf weißem Grund. Er sah hoch, als die Eingangstür zuschlug, und riss die Augen auf.

Lloyd riß den Stahlbügel der Schmeisser an die Schulter und feuerte eine Salve zur Decke. Die beiden hängenden Glühbirnen platzten wie Bomben. Der Mann in Cowboykleidung drehte sich um.

»Ruhig bleiben, und es passiert nichts!« schrie Lloyd, und Poke strafte ihn auf der Stelle Lügen, indem er ein Loch durch die Frau schoß, die die Soßen betrachtet hatte. Sie flog aus den Schuhen.

»Jesses, Poke!« brüllte Lloyd. »Das war nicht unbedingt...«

»Ich hab' sie pokerisiert, alter Junge«, kreischte Poke. »Sie wird nie wieder Jerry Falwell sehen! Hüah! Hüah!«

Der Mann in Cowboykleidung drehte sich immer noch um. Er hielt die Zigaretten in der linken Hand. Das grelle Licht, das durch Fenster und Tür hereinfiel, ließ Sterne auf den dunklen Gläsern seiner Sonnenbrille funkeln. Am Gürtel trug er einen Revolver Kaliber 45, und während Lloyd und Poke die tote Frau anstarrten, zog er ihn ohne jede Eile. Er zielte, drückte ab, und die linke Seite von Pokes Gesicht verschwand plötzlich in einer Fontäne aus Blut und Gewebe und Zähnen.

»Getroffen!« brüllte Poke, ließ die 357er fallen und taumelte rückwärts. Dabei schlug er mit den rudernden Händen um sich und riß Kartoffelchips und Tacos und Käsestangen von den Regalen. »Er hat mich getroffen, Lloyd! Paß auf! Er schießt! Er hat mich getroffen!« Er torkelte gegen die Eingangstür. Sie flog auf, und Poke kippte nach draußen auf die Veranda und riß eine der altersschwachen Türangeln ab.

Lloyd, fassungslos, feuerte mehr einem Reflex folgend als aus Selbstverteidigung. Das Hämmern der Schmeisser dröhnte durch den Raum. Dosen flogen. Flaschen zerschellten, Ketchup, Mixed Pickles und Oliven spritzten herum. Die Scheibe des Pepsiautomaten splitterte nach innen. Flaschen mit Dr. Pepper und Jolt Orangensaft explodierten wie Tontauben. Überall floß Schaum. Der Mann in Cowboykleidung feuerte in aller Seelenruhe noch einmal. Lloyd hörte den Schuß kaum, aber er spürte die Kugel, die so nahe an seinem Kopf vorbeipfiff, daß die Haare flogen. Er mähte mit der Schmeisser von links nach rechts durch den Raum. Der Mann mit der SHELL-Mütze verschwand so schnell hinter dem Ladentisch, daß man meinen konnte, eine Falltür habe sich unter ihm aufgetan. Ein Kaugummiautomat löste sich in seine Bestandteile auf. Rote, blaue und grüne Kaugummikugeln prasselten auf den Boden. Auf dem Ladentisch explodierten die Glasflaschen. In der einen waren eingelegte Eier gewesen, in der anderen marinierte Schweinsfüße. Sofort erfüllte scharfer Essiggeruch den Raum. Drei Kugeln der Schmeisser rissen Löcher in das Khakihemd des Cowboys, und der größte Teil seiner Innereien spritzte nach hinten und auf Spuds Mackenzie. Die Fünfundvierziger noch in der einen, die Packung Luckies in der anderen Hand, ging der Cowboy zu Boden.

Fast verrückt vor Angst feuerte Lloyd weiter. Die Maschinenpistole wurde heiß in seinen Händen. Ein Kasten mit leeren Pfandflaschen fiel klirrend zu Boden. Ein Pin-up-Girl in Hotpants bekam ein Einschußloch in den bezaubernden pfirsichfarbenen Schenkel. Ein Gestell mit Taschenbüchern ohne Umschläge stürzte krachend um. Dann war die Schmeisser leergeschossen, und die plötzliche Stille war ohrenbetäubend. Pulvergeruch hing schwer und dicht in der Luft.

»Heiliger Jesus«, sagte Lloyd. Er sah mißtrauisch zu dem Cowboy hinüber. Es sah nicht so aus, als würde der Cowboy in naher oder ferner Zukunft zu einem Problem werden.

»Er hat mich getroffen!« wimmerte Poke und taumelte wieder herein. Er riß die Tür mit solcher Wucht auf, daß auch die zweite Angel abriss und die Tür auf die Veranda knallte. »Er hat mich getroffen, Lloyd, paß auf

»Ich hab' ihn erwischt, Poke«, tröstete Lloyd ihn, aber Poke schien es nicht zu hören. Er sah fürchterlich aus. Das rechte Auge glühte wie ein unheilvoller Saphir. Das linke war weg. Die linke Wange war verdampft; wenn er sprach, konnte man die Kiefermuskeln arbeiten sehen. Auf der Seite waren auch fast alle Zähne weg. Sein Hemd war blutgetränkt. Alles in allem war Poke ziemlich im Arsch.

»Der Dummfick hat mich angeschossen!« kreischte Poke. Er bückte sich und hob die .357er Magnum auf. »Ich werd' dir beibringen, auf mich zu schießen, Dummfick!«

Er ging auf den Cowboy zu, ein Dr. Sardonicus vom Lande. Er stellte einen Fuß auf die Hüfte des Cowboys, wie ein Jäger, der sich mit dem Bären fotografieren läßt, dessen Kopf demnächst sein Wohnzimmer schmücken soll, und traf Anstalten, die 3.57er Magnum in den Kopf des Mannes zu entleeren. Lloyd sah mit weit aufgerissenem Mund zu, hielt immer noch die rauchende Maschinenpistole in der Hand und überlegte krampfhaft, wie das alles hatte geschehen können.

In diesem Augenblick sprang der Mann mit der SHELL-Mütze hinter dem Ladentisch hoch wie Jack aus seiner Box, sein Gesicht zeigte verzweifelte Entschlossenheit, beide Hände hielten eine doppelläufige Schrotflinte.

»Ha?« sagte Poke, sah hoch und bekam beide Läufe ab. Lloyd entschied, daß es Zeit wurde zu gehen. Scheiß auf das Geld. Geld gab es überall. Es wurde entschieden Zeit, wieder ein paar Verfolger abzuschütteln. Er warf sich herum und verließ den Laden mit Riesenschritten, wobei seine Füße kaum die Bodenbretter berührten.

Er war die Treppe halb herunter, als ein Wagen der Arizona State Police auf den Hof fuhr. Ein Beamter sprang aus der Beifahrertür und zog die Pistole. »Bleiben Sie stehen! Was geht da drinnen vor?«

»Drei Tote«, schrie Lloyd. »Verdammte Schweinerei! Der Kerl ist hinten raus. Ich hau' ab.«

Er lief zum Connie, war gerade im Begriff, sich hinter das Steuer zu klemmen, als ihm einfiel, daß die Schlüssel in Pokes Tasche waren, und der Beamte schrie: »Halt! Halt, oder ich schieße!«

Lloyd hielt. Die Erinnerung an die radikalen chirurgischen Eingriffe an Pokes Gesicht hatte ihn überzeugt, besser aufzugeben.

»Ach du Scheiße«, sagte Lloyd traurig, als ein zweiter Beamter ihm eine riesige Pistole an den Kopf hielt. Der erste legte ihm Handschellen an.

»Hinten in den Wagen, Sunny Jim.«

Der Mann mit der SHELL-Mütze war auf die Veranda gekommen und hatte die Schrotflinte immer noch in der Hand. »Er hat Bill Markson erschossen!« schrie er mit einer seltsam hohen Stimme. »Der andere hat Mrs. Storni erschossen! Ich kann's nicht fassen! Ich hab' den andern erschossen. Er ist so tot wie 'ne Scheißhauswanze. Den da will ich auch erschießen, wenn ihr Jungs zur Seite geht.«

»Ruhig, Opa«, sagte einer der Beamten. »Der Spaß ist vorbei.«

»Ich knalle ihn ab, wo er steht!« keifte der Alte. »Ich leg' ihn um!«

Dann machte er eine Verbeugung wie ein englischer Butler und kotzte sich auf die Schuhe.

»Jungs, schafft mich von diesem Kerl weg«, jammerte Lloyd. »Ich glaube, er ist verrückt.«

»Im Laden hast du es nicht anders gewollt, Sunny Jim«, sagte der Polizist, der ihn gestellt hatte. Der Lauf der Pistole schwenkte hoch, bis er in der Sonne glänzte; dann sauste er auf Lloyd Henreids Kopf herunter, und Lloyd wachte erst abends in der Krankenstation des Staatsgefängnisses von Apache wieder auf.

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