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Hapscombs Texaco-Tankstelle lag an der US 93 ein Stück nördlich von Arnette, einem kleinen Kuhdorf mit vier Straßen, ungefähr 110 Meilen von Houston entfernt. Heute abend saßen die Stammgäste neben der Registrierkasse, tranken Bier, redeten dummes Zeug und sahen zu, wie Nachtfalter gegen die große Leuchtreklame flogen. Der Laden gehörte Bill Hapscomb, der aus diesem Grunde von den anderen respektiert wurde, obwohl er ein ausgemachter Trottel war. Sie hätten den gleichen Respekt erwartet, wenn man sich in ihren eigenen Läden zusammengesetzt hätte. Nur hatten sie keine. In Arnette waren schwere Zeiten ausgebrochen. 1980 hatte es in der Stadt zwei Industriebetriebe gegeben. Eine Fabrik, die Papierprodukte herstellte (hauptsächlich für Picknicks und GrillPartys), und eine Firma, die elektronische Taschenrechner herstellte. Inzwischen hatte die Papierfabrik dichtgemacht, und die Firma kränkelte vor sich hin - die Rechner ließen sich, genau wie die tragbaren Fernseher und Transistorradios, in Taiwan wesentlich billiger herstellen.
Norman Bruett und Tommy Wannamaker, die beide in der Papierfabrik gearbeitet hatten, lebten von der Sozialhilfe, weil ihre Arbeitslosenunterstützung vor einiger Zeit abgelaufen war. Henry Carmichael und Stu Redman arbeiteten beide in der Rechnerfirma, aber selten länger als dreißig Stunden die Woche. Victor Palfrey war Rentner und rauchte stinkende selbstgedrehte Zigaretten, weil er sich keine anderen leisten konnte.
»Ich will euch mal was sagen«, fing Hap an, stützte die Hände auf die Knie und beugte sich vor. »Wir Amerikaner müssen einfach sagen, scheiß auf die Inflation. Scheiß auf die Staatsverschuldung. Wir haben die Druckerpresse, und wir haben das Papier. Wir drucken einfach fünfzig Millionen Tausenddollarscheine und bringen sie in Umlauf.«
Palfrey, der bis 1984 Maschinenmeister gewesen war, hatte als einziger der Anwesenden so viel Selbstachtung, daß er Hap darauf aufmerksam machte, wenn dieser besonders dummes Zeug von sich gab. Er drehte sich gerade eine seiner stinkenden Zigaretten und sagte: »Das hilft uns überhaupt nichts. Wenn wir das tun, wird es genauso sein wie in Richmond in den letzten zwei Jahren des Bürgerkriegs. Wenn du dir damals Lebkuchen kaufen wolltest und dem Bäcker einen Dollar der Konföderierten gegeben hast, hat der den Schein auf den Lebkuchen gelegt und ein Stück von genau der Größe abgeschnitten. Geld ist nur Papier, wißt ihr.«
»Ich kenne ein paar Leute, die anderer Meinung sind«, sagte Hap giftig. Er nahm einen schmierigen roten Plastikschnellhefter vom Schreibtisch. »Diesen Leuten schulde ich Geld, und sie kriegen langsam ziemlich kalte Füße.«
Stuart Redman, vielleicht der schweigsamste Mann in Arnette, sass mit einer Dose Pabst in der Hand auf einem der gesprungenen Woolco-Plastik-Stühle und blickte durch das große Fenster der Tankstelle auf die 93 hinaus. Stu wußte, was es heißt, arm zu sein. Er war hier in dieser Stadt arm aufgewachsen, als Sohn eines Zahnarztes, der starb, als Stu sieben war, und neben Stu eine Frau und zwei weitere Kinder hinterließ.
Seine Mutter hatte beim Redball Truck Stop außerhalb von Arnette Arbeit gefunden - Stu hätte den Laden von seinem Platz aus sehen können, wenn dieser nicht 1979 abgebrannt wäre. Die vier hatten immer genug zu essen gehabt, mehr aber auch nicht. Mit neun Jahren hatte Stu angefangen zu arbeiten, zuerst für Rog Tucker, den Inhaber des Red Ball, hatte nach der Schule für fünfunddreißig Cents die Stunde geholfen, Lastwagen zu entladen, später dann in der Nachbarstadt Braintree auf dem Schlachthof, wo er ein falsches Alter angab, damit er zwanzig Stunden pro Woche zum Mindestlohn Knochenarbeit leisten durfte.
Als er jetzt Hap und Vic Palfrey über Geld und dessen Eigenschaft, auf geheimnisvolle Weise zusammenzuschrumpfen, reden hörte, dachte er daran, wie seine Hände anfangs geblutet hatten, als er die Handwagen mit Häuten und Innereien ziehen mußte. Er hatte versucht, es vor seiner Mutter zu verbergen, aber sie hatte es schon in der ersten Woche gemerkt. Sie hatte geweint, und seine Mutter war keine Frau gewesen, die so schnell weinte. Aber sie hatte ihn nicht gebeten, den Job aufzugeben. Sie war Realistin.
Seine Schweigsamkeit rührte zum Teil daher, daß er nie Freunde, geschweige denn Zeit für sie gehabt hatte. Da war die Schule, und da war die Arbeit. Dev, sein jüngerer Bruder, war in dem Jahr, als Stu im Schlachthof angefangen hatte, an Lungenentzündung gestorben, und darüber war Stu nie ganz hinweggekommen. Schuldgefühle, vermutete er. Er hatte Dev von allen am liebsten gemocht... aber sein Tod hatte auch bedeutet, daß ein Maul weniger zu füttern war.
Auf der High School hatte er angefangen, Football zu spielen, und darin hatte seine Mutter ihn bestärkt, obwohl er nicht mehr so viele Stunden arbeiten konnte. »Du spielst«, sagte sie. »Wenn es eine Fahrkarte hier heraus gibt, dann ist es Football, Stuart. Du spielst. Denk an Eddie Warfield.« Eddie Warfield war eine hiesige Berühmtheit. Er stammte aus einer noch ärmeren Familie als Stu, hatte sich als Quarterback der Mannschaft der High School mit Ruhm bekleckert, war mit einem Sportstipendium an die Texas A&M gegangen und hatte dann zehn Jahre für die Green Bay Packers gespielt, meistens als Ersatzquarterback, aber bei manch merkwürdigem Spiel auch als Starter. Heute besaß Eddie eine Imbißkette im Westen und Südwesten und war in Arnette ein bleibender Mythos geworden. Wenn man in Arnette »Erfolg« sagte, meinte man Eddie Warfield.
Stu war kein Quarterback, und er war kein Eddie Warfield. Aber in seinem ersten Jahr an der High School hoffte auch er auf ein kleines Sportstipendium ... und dann gab es Studienprogramme, und der pädagogische Berater der Schule hatte ihn auf Darlehen der Nationalen Schulbehörde hingewiesen.
Dann war seine Mutter krank geworden und konnte nicht mehr arbeiten. Krebs. Zwei Monate, bevor er die High School abschloß, starb sie, und Stu mußte für seinen Bruder Bryce sorgen. Er verzichtete auf das Sportstipendium und arbeitete in der Taschenrechnerfirma. Bryce lebte jetzt in Minnesota und arbeitete als Systemanalytiker bei IBM. Er schrieb nicht oft, und das letzte Mal hatte Stu ihn gesehen, als seine, Stu's Frau, gestorben war - an derselben Krankheit wie seine Mutter. Er dachte, Bryce mochte seine eigene Schuld zu tragen haben... und Bryce mochte sich sehr wohl der Tatsache schämen, daß sein Bruder jetzt als erfolgloser Mann in einer sterbenden Stadt in Texas lebte, wo er tagsüber seine Stunden in der Taschenrechnerfirma absaß und abends bei Hap oder im Indian Head sein Lone Star Bier trank.
Seine Ehe war noch die beste Zeit gewesen, aber die hatte nur achtzehn Monate gedauert. Der Schoß seiner jungen Frau hatte nur eine einzige dunkle und bösartige Frucht getragen. Das war vor drei Jahren gewesen. Seitdem hatte er daran gedacht, aus Arnette wegzuziehen und sich etwas Besseres zu suchen, aber die Kleinstadtträgheit hielt ihn hier fest - der leise Sirenengesang vertrauter Örtlichkeit und vertrauter Gesichter. Er war in Arnette beliebt, und Vic Palfrey hatte ihm einmal das größte Kompliment gemacht, indem er ihn eine »gute alte Haut« nannte.
Während Vic und Hap weiter diskutierten, war der Horizont noch hell, aber das Land lag schon im Schatten. Auf der 93 fuhren heutzutage nicht mehr viele Autos, und das war einer der Gründe, warum Hap so viele unbezahlte Rechnungen hatte. Aber jetzt sah Stu ein Auto kommen.
Es war noch eine Viertelmeile entfernt, und das letzte Tageslicht warf einen matten Glanz auf das bißchen Chrom, das der Wagen noch hatte. Stu hatte gute Augen und identifizierte ihn als alten Chevrolet, wahrscheinlich Baujahr '75. Ein Chevy ohne Licht, der höchstens fünfzehn Meilen fuhr und über die ganze Breite der Straße schlingerte. Bisher hatte ihn außer Stu keiner gesehen.
»Nehmen wir mal an, du mußt eine Hypothek auf deine Tankstelle abzahlen«, sagte Vic, »sagen wir, fünfzig Dollar im Monat.«
»Ist aber 'ne Stange mehr.«
»Ja, aber nehmen wir mal an, es sind fünfzig. Und nehmen wir an, die Bundesbehörde druckt dir eine ganze Wagenladung Geld. Dann würden die Leute von der Bank daherkommen und hundertfünfzig verlangen. Du wärst genauso arm dran wie vorher.«
»Stimmt«, fügte Henry Carmichael hinzu. Hap sah ihn erbost an. Er wußte zufällig, daß Hank es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, Colaflaschen aus dem Automaten zu holen, ohne zu bezahlen; zudem wußte Hank, daß Hap das wußte, und wenn Hank schon für eine Seite Partei ergreifen wollte, dann gefälligst für ihn.
»Nicht unbedingt«, sagte Hap gewichtig aus den Tiefen seiner Schulbildung, die immerhin bis zur neunten Klasse gediehen war. Dann fuhr er mit der Erklärung fort.
Stu, der nur wußte, daß sie in einer verflixten Klemme steckten, drehte Haps Stimme zu einem sinnlosen Murmeln herunter und beobachtete, wie der Chevy schlingernd und bockend die Straße heraufkam. So, wie er fuhr, glaubte Stu nicht, daß er noch weit kommen würde. Er schlingerte über den weißen Mittelstreifen, und die Reifen wirbelten am linken Straßenrand Staub auf. Jetzt schwenkte er wieder nach rechts, blieb kurz auf der richtigen Spur und wäre danach fast in den Straßengraben gekippt. Als hätte der Fahrer das hellerleuchtete Schild der Texaco-Tankstelle plötzlich wie ein Richtfeuer erblickt, kam der Wagen dann wie ein Geschoß, dessen Schub fast verbraucht ist, auf die asphaltierte Fläche zu. Jetzt konnte Stu das unregelmäßige Tuckern des Motors, das konstante Gurgeln und Heulen eines defekten Vergasers und das Klappern loser Ventile hören. Der Wagen verfehlte die Einfahrt und holperte über den Bordstein. Das Licht der Neonröhren über den Zapfsäulen spiegelte sich in der verdreckten Windschutzscheibe, so daß schwer zu erkennen war, was drinnen vor sich ging, aber Stu sah undeutlich die Gestalt des Fahrers, der mit jeder Unebenheit herumgeschleudert wurde. Es sah aus, als würde das Auto seine fünfzehn Meilen pro Stunde gnadenlos beibehalten.
»Ich sage, mit mehr Geld im Umlauf wäre man...«
»Schalt lieber deine Zapfsäulen ab, Hap«, sagte Stu leise.
»Die Zapfsäulen? Was?«
Norm Bruett hatte sich umgedreht und sah zum Fenster hinaus.
»Allmächtiger«, sagte er.
Stu sprang von seinem Stuhl auf, beugte sich über Tommy Wannamaker und Hank Carmichael hinweg und drückte alle acht Schalter auf einmal aus, vier mit jeder Hand. Deshalb war er der einzige, der nicht sah, wie der Chevy die Zapfsäulen auf der oberen Insel rammte und wegrasierte.
Er pflügte so langsam in sie hinein, daß es unerbittlich und irgendwie grandios wirkte. Tommy Wannamaker schwor am nächsten Tag im Indian Head, daß die Bremslichter nicht ein einziges Mal aufgeleuchtet hatten. Der Chevy fuhr die ganze Zeit sein 15-MeilenTempo. Der Unterboden rutschte kreischend über die Betoninsel, und als die Reifen hochprallten, sahen alle außer Stu, wie der Kopf des Fahrers schlaff nach vorn gegen die Windschutzscheibe kippte, die sternförmig zersplitterte.
Der Chevy sprang wie ein alter, getretener Hund und pflügte die Zapfsäule für Super weg. Sie knickte um, rollte einmal um die Achse und vergoß ein paar Tropfen Benzin. Das Ventil, das sich ausgehakt hatte, blitzte unter den Neonröhren.
Sie sahen alle die Funken, die der über den Beton scheppernde Auspuff schlug, und Hap, der in Mexiko einmal eine Tankstellenexplosion gesehen hatte, schützte instinktiv die Augen vor dem Feuerball, den er erwartete. Statt dessen drehte sich das Heck des Chevy und rutschte von der Insel in Richtung Tankstellengebäude. Der Bug traf die Bleifrei-Säule, die mit einem hohen Knall umkippte.
Wie absichtlich beendete der Chevrolet seine Drehung um 360 Grad und prallte wieder gegen die Insel, diesmal volle Breitseite. Das Heck rutschte auf die Insel und schmetterte die Zapfsäule für Normalbenzin um. So kam der Chevy zum Stillstand, sein rostiger Auspuff schleifte hinter ihm her. Er hatte alle drei Zapfsäulen auf der am Highway gelegenen Insel zerstört. Der Motor spuckte noch ein paar Sekunden, dann erstarb er. Die Stille war geradezu beängstigend laut.
»Himmel, Arsch«, sagte Tommy Wannamaker atemlos. »Ob sie hochgeht, Hap?«
»Wenn, dann war' sie schon weg«, sagte Hap und stand auf. Mit der Schulter stieß er gegen den Kartenständer und verstreute Texas, New Mexico und Arizona in alle Himmelsrichtungen. Hap empfand verhaltene Freude. Seine Zapfsäulen waren versichert, die Versicherung bezahlt. Mary hatte immer ganz besonders auf die Versicherung geachtet.
»Der Kerl muß sternhagelvoll sein«, sagte Norm.
»Ich hab' seine Bremslichter gesehen«, sagte Tommy mit vor Aufregung schriller Stimme. »Die haben kein einziges Mal aufgeleuchtet. Schockschwerenot! Wenn er sechzig gefahren wäre, wären wir jetzt alle tot!«
Sie liefen aus dem Büro, Hap zuerst, Stu bildete die Nachhut. Hap, Tommy und Norm waren gleichzeitig am Wagen. Sie rochen Benzin und hörten das langsame, uhrwerkähnliche Ticken des abkühlenden Chevymotors. Hap machte die Fahrertür auf, und der Mann hinter dem Steuer quoll heraus wie ein alter Wäschesack.
»Gott verdammt!« rief, schrie Norm Bruett fast. Er wandte sich ab, hielt sich den stattlichen Bauch und übergab sich. Nicht wegen des Mannes, der herausgefallen war (den hatte Hap geschickt aufgefangen, bevor er den Boden erreichte), sondern wegen des Geruchs, der aus dem Wagen drang, ein widerlicher Gestank von Blut, Exkrementen, Erbrochenem und menschlicher Verwesung. Ein gespenstischer, durchdringender Geruch von Krankheit und Tod. Einen Augenblick später drehte sich Hap um und zerrte den Fahrer an den Achselhöhlen heraus. Tommy packte hastig die baumelnden Füße, dann trug er ihn zusammen mit Hap ins Büro. Ihre Gesichter waren im Schein der Neonröhren käsig und von Ekel erfüllt. Hap hatte das Geld von der Versicherung vergessen.
Die ändern blickten ins Wageninnere, dann wandte Hank sich ab und hielt eine Hand vor den Mund, den kleinen Finger abgespreizt wie ein Mann, der ein Weinglas hält und einen Trinkspruch ausbringt. Er stapfte zur Nordseite des Tankstellengrundstücks und ließ sein Abendessen hochkommen.
Vic und Stu sahen eine Weile in den Wagen, blickten einander an und wieder hinein. Auf der Beifahrerseite saß eine junge Frau, das Kleid über die Schenkel hochgeschoben. An ihr lehnte ein Junge oder Mädchen von etwa drei Jahren. Sie waren beide tot. Ihre Hälse waren schlauchartig angeschwollen, die Haut dort purpurschwarz, wie bei einem Blut erguß. Auch unter ihren Augen war die Haut aufgedunsen. Vic sagte später, sie hätten ausgesehen wie Baseballspieler, die sich Ruß unter die Augen schmieren, damit sie nicht so stark geblendet werden. Ihre Augen quollen blind aus den Höhlen. Die Frau hielt die Hand des Kindes. Dicker Schleim war aus ihren Nasen geflossen und angetrocknet. Fliegen summten um sie herum, ließen sich auf dem Schleim nieder und krochen ihnen in die offenen Münder und wieder heraus. Stu war im Krieg gewesen, aber er hatte noch nie etwas so schrecklich Erbarmenswertes gesehen. Er mußte immer wieder die verschränkten Hände ansehen.
Er und Vic wandten sich ab und sahen einander ausdruckslos an. Dann gingen sie zur Tankstelle. Sie konnten Hap sehen, der aufgeregt in den Münzapparat sprach. Norm folgte ihnen zur Tankstelle und sah sich hin und wieder über die Schulter nach dem Wrack um. Die Fahrertür des Chevy stand zu Tränen rührend offen. Am Rückspiegel baumelte ein Paar Babyschuhe.
Hank stand an der Tür und wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch den Mund ab. »Mein Gott, Stu«, sagte er unglücklich, und Stu nickte.
Hap legte den Hörer auf. Der Fahrer des Chevy lag auf dem Fußboden. »Der Krankenwagen ist in zehn Minuten da. Glaubt ihr, daß sie...« Er deutete mit dem Daumen auf den Chevy.
»Ja, sie sind tot.« Vic nickte. Sein runzeliges Gesicht war gelblichweiß, und er verstreute beim Versuch, sich eine seiner stinkenden Zigaretten zu drehen, Tabak über den ganzen Fußboden.
»Das sind die beiden totesten Leute, die ich je gesehen habe.« Er sah Stu an, und Stu nickte und steckte die Hände in die Taschen. Er hatte Schmetterlinge im Bauch.
Der Mann auf dem Fußboden stöhnte dumpf durch die Kehle, und sie sahen alle zu ihm hinunter. Nach einem Augenblick, als deutlich wurde, daß der Mann sprach oder sich zumindest angestrengt bemühte zu sprechen, kniete sich Hap neben ihn. Immerhin war es seine Tankstelle.
Der Mann hatte dieselben Symptome wie die Frau und das Kind im Auto. Aus seiner Nase lief Schleim, und sein Atem hatte einen eigentümlich unterseeischen Klang, ein Gurgeln irgendwo aus der Brust. Die Haut unter den Augen war aufgedunsen, zwar noch nicht schwarz, aber purpurn. Sein Hals war unnatürlich dick, die Haut wurde wie eine Säule hochgedrückt, so daß er ein Dreifachkinn bekommen hatte. Er hatte hohes Fieber; neben ihm zu kauern war, als würde man neben einem offenen Grill stehen, in dem gute Holzkohle glühte.
»Der Hund«, murmelte er. »Haben Sie ihn rausgelassen?«
»Mister«, sagte Hap und schüttelte ihn sanft. »Ich hab' den Krankenwagen gerufen. Bald wird es Ihnen bessergehen.«
»Alarmstufe rot«, ächzte der Mann auf dem Fußboden und fing an zu husten, eine Kette rasselnder Explosionen, die in langen, zähen Fäden aus dickem Schleim aus seinem Mund spritzten. Hap lehnte sich zurück und verzog verzweifelt das Gesicht.
»Dreht ihn lieber auf die Seite«, sagte Vic. »Sonst erstickt er noch daran.«
Aber bevor sie das tun konnten, verflachte der Husten schon wieder zu keuchendem, unregelmäßigem Atmen. Der Fremde blinzelte angestrengt und sah die um ihn versammelten Männer an.
»Wo... sind wir hier?«
»Arnette«, sagte Hap. »Bill Hapscombs Texaco-Tankstelle. Sie haben ein paar von meinen Zapfsäulen umgemäht.« Dann fügte er hastig hinzu: »Macht aber nichts. Sind versichert.«
Der Mann auf dem Fußboden versuchte, sich aufzurichten, aber er konnte es nicht. Er mußte sich damit begnügen, Hap die Hand auf den Arm zu legen.
»Meine Frau... meine kleine Tochter...«
»Denen geht es gut«, sagte Hap mit einem albernen, hündischen Grinsen.
»Sieht aus, als wäre ich ziemlich krank«, sagte der Mann. Sein Atem hörte sich an wie ein belegtes, leises Brüllen. »Die beiden sind auch krank. Seit wir vor zwei Tagen aufgebrochen sind. Salt Lake City...«
Er machte langsam blinzelnd die Augen zu. » Krank... sind wohl doch nicht schnell genug weggekommen...«
Aus der Ferne hörten sie die Sirene der Freiwilligen Ambulanz von Arnette, die langsam lauter wurde.
»Mann«, sagte Tommy Wannamaker. »O Mann.«
Der Kranke schlug blinzelnd die Augen wieder auf, und jetzt lag ein Ausdruck größter Besorgnis darin. Er versuchte noch einmal, sich aufzurichten. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Er packte Hap.
»Ist mit Sally und Baby LaVon alles in Ordnung?« wollte er wissen. Speichel flog ihm von den Lippen, und Hap spürte die brennende Hitze, die von dem Mann ausging. Der Mann war krank, halb verrückt und stank. Hap fühlte sich an den Geruch erinnert, den alte Hundedecken manchmal annehmen.
»Denen geht es gut«, beharrte Hap ein wenig panisch. »Legen Sie... legen Sie sich wieder hin, und beruhigen Sie sich, okay?«
Der Mann legte sich wieder zurück. Sein Atem klang jetzt rauher. Hap und Hank rollten ihn auf die Seite, worauf sich seine Atmung ein wenig zu normalisieren schien. »Bis gestern abend fühlte ich mich ganz gut«, sagte er. »Husten, aber sonst nichts. Die Nacht bin ich dann damit aufgewacht. Ich bin nicht schnell genug weggekommen. Was ist mit Baby LaVon... ?«
Der Rest war so undeutlich, daß es keiner verstehen konnte. Die Sirene des Krankenwagens kam immer näher. Stu trat ans Fenster, um Ausschau zu halten. Die anderen blieben im Kreis um den Mann auf dem Fußboden stehen.
»Kannst du dir vorstellen, was ihm fehlt, Vic?« fragte Hap. Vic schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
»Vielleicht haben sie irgendwas gegessen«, sagte Norm Bruett. »Der Wagen hat ein kalifornisches Kennzeichen. Sie haben unterwegs wahrscheinlich immer nur in Autobahnraststätten gegessen. Vielleicht einen vergifteten Hamburger. So was kommt vor.«
Der Krankenwagen fuhr aufs Gelände, wich dem schrottreifen Chevy aus und blieb zwischen ihm und der Tür stehen. Das rote Warnlicht warf irre tanzende Kreise. Inzwischen war es völlig dunkel.
»Gib mir die Hand, ich zieh dich da unten raus«, rief der Mann auf dem Fußboden plötzlich und verstummte.
»Lebensmittelvergiftung«, sagte Vic. »Ja, das könnte sein. Ich hoffe es, denn sonst...«
»Sonst was?« fragte Hank.
»Sonst könnte es was Ansteckendes sein.« Vic sah die anderen besorgt an. »1958 habe ich in der Nähe von Nogales Cholerafälle gesehen, und das sah so ähnlich aus.«
Drei Männer rollten eine Bahre herein. »Hap«, sagte einer von ihnen.
»Du hast Glück gehabt, daß du mit deinem runzligen Arsch nicht ins Jenseits geflogen bist. Der da, hm?«
Sie traten zur Seite, um die Männer durchzulassen - Billy Verecker, Monty Sullivan, Carlos Ortega, alles Männer, die sie kannten.
»Im Auto sind noch zwei«, sagte Hap und zog Monty beiseite. »Eine Frau und ein kleines Mädchen. Beide tot.«
»Ach du Scheiße! Bist du sicher?«
»Ja. Der Mann weiß es noch nicht. Bringt ihr ihn nach Braintree?«
»Wahrscheinlich.« Monty sah ihn bestürzt an. »Was soll ich mit den beiden im Auto anfangen? Ich weiß nicht, was ich machen soll, Hap.«
»Stu kann die State Patrol anrufen. Macht es dir was aus, wenn ich mit euch fahre?«
»Nein, verdammt!«
Sie legten den Mann auf die Bahre, und als sie ihn hinausrollten, ging Hap zu Stu hinüber. »Ich fahr' mit dem Burschen nach Braintree. Rufst du die State Patrol an?«
»Klar.«
»Und Mary auch. Ruf an und sag ihr, Was passiert ist.«
»Okay.«
Hap ging nach draußen und stieg in den Krankenwagen. Billy Verecker schlug hinter ihm die Tür zu und rief die beiden anderen. Sie hatten entsetzt und fasziniert zugleich in das Wrack des Chevy gestarrt.
Augenblicke später fuhr der Krankenwagen mit heulender Sirene davon, und das Rotlicht warf pulsierende blutige Schatten auf den Asphalt der Tankstelle. Stu ging zum Telefon und warf eine Münze ein.
Der Mann aus dem Chevy starb zwanzig Meilen vom Krankenhaus entfernt. Er holte noch einmal gurgelnd Luft, atmete aus, atmete noch ganz kurz ein und war still.
Hap nahm dem Mann di e Brieftasche aus der Hosentasche und sah hinein. Der Mann hatte siebzehn Dollar in bar. Ein kalifornischer Führerschein wies ihn als Charles D. Campion aus. Außerdem fand Hap einen Armeeausweis und ein in Plastik eingeschweißtes Foto von der Frau des Mannes und seiner kleinen Tochter. Hap wollte das Bild nicht ansehen.
Er stopfte die Börse wieder in die Taschen des Toten und sagte Carlos, daß er die Sirene abschalten könne. Es war zehn nach neun.