In dieser Nacht fanden Par und Coll Ohmsford nur wenig Schlaf. Noch lange, nachdem der alte Mann sie verlassen hatte, saßen sie wach. Sie redeten und stritten, sie machten sich Sorgen, ohne es voreinander zuzugeben, und hielten gleichzeitig Ausschau nach den versprochenen Dingen, den Schattenwesen und sonstigen Wesen, von denen sie verfolgt wurden. Und selbst danach, als alles gesagt war und sie sich müde in ihre Decken wickelten, war ihr Schlaf unruhig. Sie warfen sich hin und her und schreckten immer wieder aus dem Schlaf auf.
Als der Tag anbrach, krochen sie unter ihren warmen Decken hervor und wuschen sich im kalten Wasser des Sees. Es dauerte nicht lange, bevor sie wieder anfingen zu reden und zu streiten. So ging es weiter, während sie frühstückten, was insofern ganz gut war, als sie wieder einmal nur wenig zu essen hatten und über ihrem Gespräch ihre knurrenden Mägen vergaßen. Das Gespräch, das mehr und mehr in einen Streit ausartete, drehte sich um den alten Mann, der behauptete, Cogline zu sein, und um die Träume, die vielleicht geschickt und vielleicht auch nicht geschickt waren, von Allanon oder nicht. Jeder legte seinen Standpunkt dar, wodurch sich eine Kluft zwischen ihnen auftat, die nur schwer zu überwinden war. Bereits eine Stunde nach Tagesanbruch hatten sie einander gründlich satt.
»Du kannst nicht bestreiten, daß immerhin die Möglichkeit besteht, daß der alte Mann wirklich Cogline ist«, sagte Par zum hundertsten Mal, als sie die Zeltplane zum Boot trugen, um sie dort zu verstauen.
Coll zuckte die Achseln. »Ich bestreite gar nichts.«
»Und wenn er wirklich Cogline ist, dann kannst du nicht abstreiten, daß alles, was er uns erzählt hat, ebenfalls wahr ist.«
»Auch das streite ich nicht ab.«
»Und was ist mit der Waldfrau? Was war sie denn, wenn sie kein Schattenwesen war? Es gibt keine andere Möglichkeit! Das heißt, daß, egal wie man es sieht, wenigstens ein Teil dessen, was der Alte uns erzählt hat, der Wahrheit entspricht.«
»Jetzt mach’s aber halblang.« Coll ließ die Plane zu Bo-den gleiten und stemmte die Hände in die Hüften. »Es ist immer das Gleiche mit dir, wenn wir streiten. Du machst diese lächerlichen Gedankensprünge und tust so, als wäre alles, was du sagst, vollkommen logisch. Wie kommst du zu dem Schluß, daß, falls die Frau ein Schattenwesen war, der alte Mann die Wahrheit gesagt hat?«
»Nun, weil…«
»Dabei stelle ich deine Behauptung, daß sie ein Schattenwesen war, noch nicht einmal in Frage«, unterbrach ihn Coll. »Obwohl wir nicht die leiseste Ahnung haben, was ein Schattenwesen ist, obwohl sie genauso gut etwas vollkommen anderes hätte sein können.«
»Etwas anderes? Was soll sie denn…«
»Eine Freundin des alten Mannes zum Beispiel. Ein Köder beispielsweise, um seine Geschichte glaubwürdig zu machen.«
Par war außer sich vor Wut. »Das ist doch lächerlich! Aus welchem Grund hätte er das tun sollen?«
Coll spitzte nachdenklich den Mund. »Um dich zu überreden, mit ihm zum Hadeshorn zu gehen, das ist doch klar. Um dich nach Callahorn zurückzubringen. Denk einmal darüber nach. Vielleicht interessiert sich der Alte auch für die Magie – genauso wie die Föderation.«
Ungläubig schüttelte Par den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Du willst es nicht glauben, weil du nicht als erster drauf gekommen bist«, erklärte Coll anzüglich, bevor er die Zeltplane wieder aufhob. »Wenn du dir einmal etwas in den Kopf gesetzt hast, dann muß es auch so sein. Aber ich sage dir, diesmal solltest du deine Entscheidung nicht überstürzen. Es gibt noch andere Möglichkeiten, die bedacht werden wollen, und ich hab’ dir erst eine aufgezeigt.«
Schweigend erreichten sie das Flußufer und verstauten die Plane am Boden des Bootes. Obwohl die Sonne gerade erst aufging, war der beginnende Tag bereits warm. Kein Lüftchen wehte über die spiegelglatte Oberfläche des Regenbogensees, und die Luft war erfüllt von dem Duft von wilden Blumen und Gras.
Coll drehte sich um. »Weißt du, ich habe nichts dagegen, daß du eine feste Meinung hast. Es ist bloß, daß du immer davon ausgehst, daß ich deine Meinung teile. Wenn es nach dir ginge, müßte ich einfach immer nachgeben. Aber das habe ich keinesfalls vor. Wenn du dich auf den Weg zum Hadeshorn und den Drachenzähnen begeben willst, dann tu’s. Aber hör auf, so zu tun, als müsse ich vor Freude über die Möglichkeit, mich dir anzuschließen, in die Luft springen.«
Par antwortete nicht sofort. Er dachte statt dessen über ihre gemeinsame Jugendzeit nach. Par war zwei Jahre älter, und obwohl er Coll körperlich unterlegen war, war er schon immer der Anführer gewesen. Schließlich besaß er die Zauberkraft, und dadurch hatte er immer eine Sonderstellung eingenommen. Coll war immer der Ausgeglichenere der beiden gewesen – nicht so leicht in Wut zu versetzen, umsichtig, besonnen und der geborene Friedensstifter in allen Streitigkeiten. Außerdem mochte ihn jeder. Er brachte seine Zeit damit zu, sich um andere zu kümmern, Wogen zu glätten und verletzten Stolz wieder aufzurichten. Par dagegen hatte für solche Dinge weder Zeit noch Geduld gehabt, er war vielmehr damit beschäftigt gewesen, neue Herausforderungen anzunehmen, neue Ideen zu entwickeln. Er verfügte über hellseherische Fähigkeiten, aber die Empfindsamkeit Colls blieb ihm versagt. Er sah die Möglichkeiten des Lebens klar voraus, aber Coll war derjenige, der um die Opfer, die das Leben forderte, wußte.
In der Vergangenheit hatte jeder oftmals für die Fehler und Sünden des anderen geradegestanden. Aber Par hatte immer die Magie, auf die er sich verlassen konnte, so daß es ihm keine große Mühe bereitet hatte, für Coll einzutreten. Für Coll war die Sache dagegen anders. Ihn hatte es oft große Mühe gekostet zu helfen. Aber Par war sein Bruder, den er liebte, und er beklagte sich nie. Wenn Par an jene Tage zurückdachte, war er manchmal beschämt darüber, wieviel er von seinem Bruder im Lauf der Zeit freiwillig angenommen hatte.
Er schob die Erinnerungen beiseite. Coll schaute ihn an und wartete auf seine Antwort. Par rutschte ungeduldighin und her und dachte darüber nach, welche Art von Antwort angebracht war. Dann sagte er einfach: »Schon gut. Was schlägst du vor, was wir tun sollen?«
»Meine Güte, ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen«, antwortete Coll. »Ich weiß nur, daß es viele unbeantwortete Fragen gibt, und ich glaube nicht, daß wir uns für irgend etwas entscheiden sollten, solange wir nicht wenigstens einige Antworten kennen.«
Par nickte gelassen. »Du meinst wohl, nicht vor dem neuen Mond.«
»Bis dahin sind es noch mehr als drei Wochen, wie du wohl weißt.«
Pars Augen verengten sich. »Das ist nicht so viel Zeit, wie du meinst. Wie sollen wir denn in dieser kurzen Zeit alle Fragen beantworten?«
Coll sah ihn mit großen Augen an. »Weißt du, daß du unmöglich bist?« Er drehte sich um und ging vom Ufer zu ihrem Lagerplatz zurück, wo sich immer noch Decken und Kochgeräte befanden, und fing an, sie zum Boot hinunterzutragen. Er würdigte Par keines Blickes.
Par stand schweigend da und beobachtete seinen Bruder. Er mußte daran denken, wie Coll ihn während eines Ausflugs aus den Stromschnellen des Rappahalladran gezogen und somit vor dem Ertrinken bewahrt hatte. Er war im Fluß untergegangen, und Coll war gezwungen gewesen, nach ihm zu tauchen. Weil er von Fieberanfällen geschüttelt wurde, hatte ihn Coll anschließend nach Hause getragen. Es schien, als hätte Coll sich schon immer um ihn gekümmert. Plötzlich fragte er sich, warum dem so war, da doch er derjenige war, der über Zauberkräfte verfügte.
Coll hatte das Boot beladen, und Par ging auf ihn zu. »Es tut mir leid«, sagte er.
Coll schaute ihn einen Augenblick ernst an, dann ging ein Grinsen über sein Gesicht. »Nein, das ist nicht wahr.
Das sagst du nur so.«
Par mußte ebenfalls grinsen. »Nein, das tu’ ich nicht.«
»Das tust du doch. Du willst mir nur Sand in die Augen streuen, damit du, wenn wir draußen auf dem See sind und ich keine Möglichkeit habe, meine eigenen Wege zu gehen, wieder mit deinen verflixten Reden anfangen kannst.« Coll lachte jetzt lauthals los.
Par versuchte möglichst gekränkt auszusehen. »Also gut, du hast recht. Es tut mir nicht leid.«
»Ich wußte es!« Coll triumphierte.
»Aber du liegst falsch, was den Grund meiner Entschuldigung betrifft. Ich habe lediglich versucht, die Schuldgefühle loszuwerden, die ich als älterer Bruder immer gehabt habe.«
»Mach dir nichts draus!« Coll hielt sich den Bauch. »Du warst schon immer ein schrecklicher älterer Bruder.«
Par schubste ihn, und Coll schubste zurück, und einen Augenblick waren all ihre Meinungsverschiedenheiten vergessen. Sie lachten und warfen einen letzten Blick auf den Lagerplatz, bevor sie ihr Boot vom Ufer abstießen, um, als sie tieferes Wasser erreichten, hineinzuklettern. Coll nahm wortlos die Paddel in die Hand und begann zu rudern.
Sie ruderten am Ufer entlang in westlicher Richtung, und während sie die wärmende Sonne auf ihrer Haut genossen, lauschten sie dem Vogelgezwitscher, das aus dem Schilf und den Bäumen zu ihnen herüberdrang. Sie saßen eine Zeitlang schweigend nebeneinander, glücklich über die neugewonnene Nähe zwischen ihnen und sorgsam darauf bedacht, einen neuen Streit zu vermeiden.
Dennoch ertappte sich Par dabei, wie er sich in Gedanken mit der Sache beschäftigte, und er war sicher, daß es Coll ebenso erging. In einem Punkt mußte er seinem Bruder recht geben – es gab viele unbeantwortete Fragen. Als er sich die Ereignisse des vergangenen Abends noch einmal durch den Kopf gehen ließ, wünschte er, er hätte dem alten Mann mehr Fragen gestellt. Wußte der alte Mann beispielsweise, wer der Fremde war, der sie in Varfleet gerettet hatte? Der alte Mann wußte jedenfalls, daß sie in Schwierigkeiten geraten waren, und mußte demzufolge auch wissen, wie sie entkommen waren. Es war ihm gelungen, sie aufzuspüren, zuerst in Varfleet, dann auf dem Mermidon, und er hatte die Waldfrau verscheucht, und zwar scheinbar ohne große Mühe. Er verfügte über irgendeine Kraft, vielleicht über die Magie der Druiden, vielleicht über die Wissenschaft der alten Welt, aber er hatte weder ihren Namen noch ihre Wirkung preisgegeben. Und in welcher Beziehung stand er zu Allanon? Oder hatte er nur eine Behauptung aufgestellt, die jeder Grundlage entbehrte? Und warum hatte er so schnell aufgegeben, als Par erklärte, er müsse es sich noch überlegen, ob er Allanon am Hades-horn treffen wolle? Hätte er nicht vielmehr versuchen müssen, Par zu diesem Treffen zu überreden?
Die Frage jedoch, die Par am meisten beunruhigte, konnte er unmöglich mit Coll besprechen, denn sie betraf Coll selbst. Aus seinen Träumen wußte Par, daß er gebraucht wurde, genauso wie seine Base Wren und sein Onkel Walker Boh. Der alte Mann hatte bestätigt, daß Par, Wren und Walker Boh gerufen waren.
Warum hatte niemand von Coll gesprochen?
Diese Frage konnte er beim besten Willen nicht beantworten. Zuerst hatte er vermutet, daß es damit zusammenhing, daß er über die Zauberkraft verfügte und Coll nicht, daß der Ruf in irgendeiner Weise mit dem Wunschlied zu tun hatte. Aber warum wurde dann Wren gebraucht? Auch Wren besaß keine Zauberkraft. Mit Walker Boh war es natürlich etwas anderes, denn es gab viele Gerüchte, die besagten, daß er etwas über Magie wußte, das die anderen nicht wußten. Aber nicht Wren. Und auch nicht Coll. Trotzdem war Wren ausdrücklich genannt worden und Coll nicht.
Diese eine Frage trug mehr als alle anderen zu seiner Unentschlossenheit bei. Er wollte den Grund der Träume erfahren; falls der alte Mann die Wahrheit über Allanon gesprochen hatte, wollte er wissen, was der Druide zu sagen hatte. Er wollte jedoch nichts damit zu tun haben, wenn er sich deswegen von Coll trennen mußte. Coll war ihm mehr als ein Bruder; er war sein bester Freund, sein engster Vertrauter und Gefährte, im Grunde genommen sein anderes Selbst. Par hatte nicht die Absicht, sich auf eine Sache einzulassen, bei der nicht beide willkommen waren.
Andererseits hatte der alte Mann Coll nicht verboten mitzukommen. Auch die Träume hatten dies nicht getan. Weder der alte Mann noch die Träume hatten davon abgeraten. Sie hatten ihn schlichtweg unbeachtet gelassen.
Aber warum?
Der Morgen verstrich nur langsam, und plötzlich kam Wind auf. Die Brüder benutzten ihre Zeltplane und eines der Ruder als Segel und Mast, und schon bald segelten sie über das schäumende Wasser des Regenbogensees. Mehr als einmal wären sie fast gekentert, wären sie nicht jedesmal, wenn der Wind sich plötzlich drehte, in Alarmbereitschaft gewesen, und hätten sie nicht jedesmal mit ihrem ganzen Gewicht dagegengehalten, wenn das Boot umzukippen drohte. Sie nahmen Kurs nach Südwest, und bereits am frühen Nachmittag erreichten sie die Mündung des Rappahalladran.
Dort brachten sie das Boot in einer kleinen Bucht an Land, bedeckten es mit Schilfgras und Zweigen und machten sich mit Decken und Kochgerät auf den Weg flußaufwärts in Richtung Dulnwald. Es schien ihnen jedoch schon bald vorteilhafter, weil zeitsparender, den Fluß zu verlassen und landeinwärts in das Hochland von Leah vorzudringen. Sie hatten seit dem Vorabend nicht mehr über ihr Reiseziel gesprochen, obwohl sie stillschweigend übereingekommen waren, das Thema später zu erörtern. Sie hatten es natürlich nicht erörtert. Keiner von beiden hatte das Thema zur Sprache gebracht, weder Coll, weil sie in die Richtung gingen, in die er sowieso gehen wollte, noch Par, denn Coll hatte recht, wenn er sagte, daß eine Reise zurück nach Callahorn wohl überlegt sein wolle.
Merkwürdigerweise hatten sie, obwohl sie seit dem frühen Morgen weder über die Träume noch den alten Mann gesprochen hatten, unabhängig voneinander begonnen, ihre jeweiligen Standpunkte zu überdenken und sich einander anzunähern – insgeheim räumten sie ein, daß der andere vielleicht doch nicht so unrecht hatte.
Als sie schließlich wieder anfingen, die Angelegenheit zu besprechen, konnten sie dies ohne Streit tun. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Eine hügelige Landschaft breitete sich vor ihnen aus, ein Teppich aus Gras und wilden Blumen, mit breitblättrigen Bäumen und Buschwerk. Der Nebel, der das Hochland das ganze Jahr über einhüllte, hatte sich vor dem hellen Sonnenlicht zurückgezogen und hing jetzt gleich einzelnen Wattebäuschen an den Spitzen der Bergkämme und Felsen.
»Ich glaube, die Waldfrau hat sich wirklich vor dem alten Mann gefürchtet«, sagte Par, als sie auf dem Weg zu einem kleinen Eschenhain eine lange, steile Böschung erklommen. »Ich glaube nicht, daß ihre Angst vorgetäuscht war. Keiner kann so gut schauspielern.«
Coll nickte. »Ich glaube, da hast recht. Damit, daß ich angedeutet habe, daß die beiden zusammenarbeiten, wollte ich dich nur zum Nachdenken zwingen. Doch die Frage, ob der Alte uns wirklich alles gesagt hat, geht mir einfach nicht aus dem Sinn. Das, was mir aus den Geschichten über Allanon am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist, daß er im Umgang mit den Ohmsfords immer ausgesprochen vorsichtig und zurückhaltend war.«
»Er hat ihnen nie alles gesagt, das stimmt.«
»Also könnte es sein, daß der alte Mann ihm ähnlich ist.«
Nachdem sie die Anhöhe erreicht hatten, ließen sie ihre zusammengerollten Decken zu Boden sinken und begaben sich in den Schatten der Eschen, um von dort aus ihren Blick über das Hochland schweifen zu lassen. Der Schweiß rann ihnen aus allen Poren und ließ ihre Hemden an ihren Rücken kleben.
»Wir werden’s heute nicht mehr bis nach Hause schaffen«, sagte Par, während er sich im Schatten der Bäume niederließ.
»Es sieht nicht danach aus, das stimmt«, pflichtete Coll ihm bei, der jetzt alle viere von sich gestreckt hatte.
»Ich habe nachgedacht.«
»Das kann nie schaden.«
»Ich habe darüber nachgedacht, wo wir die Nacht verbringen können. Es wäre nicht schlecht, zur Abwechslung mal wieder in einem Bett zu schlafen.«
Coll lachte. »Dagegen hätte ich bestimmt nichts einzuwenden.
Hast du eine Ahnung, wo wir hier mitten im Niemandsland ein Bett finden sollen?«
Par drehte sich langsam um und sah ihn an. »Ich habe tatsächlich eine Idee. Morgans Jagdhütte ist nur einige Meilen von hier entfernt. Ich wette, wir könnten sie für eine Nacht ausleihen.«
Coll blickte gedankenvoll drein. »Ja, ich wette, das könnten wir.«
Morgan Leah war der älteste Sohn einer Familie, deren Vorfahren einst Könige von Leah waren. Die Monarchie war jedoch vor fast zweihundert Jahren, als die Föderation sich nach Norden ausgedehnt und das Hochland verschlungen hatte, abgeschafft worden. Seit dieser Zeit gab es in Leah keine Könige mehr, und die Familie hatte in all den Jahren danach von der Landwirtschaft und dem Handwerk gelebt. Das gegenwärtige Familienoberhaupt, Kyle Leah, lebte als Landbesitzer im Süden der Stadt und züchtete Rinder. Morgan, sein ältester Sohn und gleichzeitig Par und Colls bester Freund, hatte dagegen nichts als Unsinn im Kopf.
Die Jagdhütte gehörte der ganzen Familie, aber Morgan war derjenige, der sie am meisten nutzte. Als die Brüder Ohmsford das Hochland zum letzten Mal besucht hatten, waren sie eine Woche Morgans Gäste gewesen. Sie hatten im Freien kampiert, waren auf der Jagd gewesen und hatten gefischt, aber die meiste Zeit hatten sie damit zugebracht, Morgan zuzuhören, wenn er davon berichtete, wie er sich ständig bemühte, den Mitgliedern der Föderationsregierung in Leah das Leben schwer zu machen. Morgan Leah war der hellste Kopf und der schnellste Mann im ganzen Südland, und er hegte eine beharrliche Abneigung gegen die Truppen, die sein Land besetzt hielten. Leah war im Gegensatz zu Shady Vale, der Heimat der Ohmsfords, eine große Stadt, die der Bewachung bedurfte. Nachdem die Föderation die Monarchie abgeschafft hatte, ernannte sie einen Gouverneur und stationierte ein Regiment Soldaten in der Stadt, um auf diese Weise für Recht und Ordnung zu sorgen. Morgan betrachtete diesen Umstand als persönliche Herausforderung. Er ergriff jede Gelegenheit, die sich ergab oder auch nicht ergab, um die Beamten, die jetzt in aller Bequemlichkeit, aber ohne rechtmäßigen Anspruch im Haus seiner Vorfahren residierten, zu schikanieren. Es war jedesmal ein ungleicher Wettkampf. Morgan war der geborene Unruhestifter und viel zu klug, als daß die Beamten der Föderation ihn jemals für die Quelle des Übels hätten halten können, ganz zu schweigen davon, daß sie die Quelle zum Versiegen hätten bringen können.
Die Brüder luden sich ihr Gepäck auf den Rücken und machten sich noch einmal auf den Weg. Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu, aber die Luft stand still, und die Hitze wurde sogar noch drückender. In dieser Höhe war die Erde im Hochsommer so trocken, daß das Gras, dessen grüne Halme sich in bräunlich graue Schuppen verwandelt hatten, unter ihren Schritten knisterte. Kleine Staubwölkchen stiegen zu ihren Füßen auf, und ihr Mund wurde immer trockener.
Die Sonne war fast untergegangen, als sie die Jagdhütte sichteten, ein Gebäude aus Stein und Holz, das mit Blick nach Westen inmitten eines kleinen Kiefernwäldchens auf einer kleinen Anhöhe stand. Müde und verschwitzt ließen sie ihr Gepäck an der Eingangstür fallen und machten sich schnurstracks auf den Weg zu den Quellen, die einige hundert Meter hinter dem Haus inmitten von Bäumen versteckt lagen. Als sie sie erreichten, streiften sie unverzüglich ihre Kleider ab und spürten nur noch das Bedürfnis, sich in dem Wasser zu baden.
Aus diesem Grund sahen sie auch das Schlammwesen erst, als es fast vor ihnen stand.
Es kroch aus den Büschen zu ihrer Seite hervor, ein in eine Schlammkruste eingehülltes Wesen, das kaum menschliche Züge trug und ein wildes Brüllen ausstieß, das die Stille um sie herum erzittern ließ.
»Ah! Zwei leckere Talbewohner!« schnarrte das Wesen, dessen Stimme plötzlich ganz vertraut klang.
»Zum Teufel, Morgan!« rief Par. »Du hast mich fast zu Tode erschreckt, verdammt noch mal!«
Coll sagte mit ruhiger Stimme: »Und ich habe geglaubt, du hättest nur die Absicht, die Föderation aus Leah zu vertreiben und nicht deine Freunde.«
Morgan Leah, der in seinem Schlammkokon vor ihnen stand, bog sich vor Lachen. »Es tut mir leid, wirklich. Aber kein Mensch hätte einer solchen Gelegenheit widerstehen können. Ich bin sicher, ihr versteht das!«
Par blickte Morgan an. »Was um alles in der Welt machst du denn da?«
»Oh, du meinst den Schlamm? Gut für die Haut!« Morgan trottete zu den Quellen und stieg vorsichtig in das Wasser. »Ungefähr eine Meile von hier habe ich vor einigen Tagen zufällig Schlammbäder entdeckt. Hatte keine Ahnung, daß es hier so etwas gibt. Ich kann euch sagen, daß es an einem heißen Tag nichts Besseres gegen die Hitze gibt als Schlamm auf der Haut. Besser sogar noch als die Quellen. Ich habe mich also auf Schweineart darin gesuhlt und kam dann zurück, um mich abzuwaschen. Da hörte ich euch kommen und beschloß, euch auf echte Hochlandart willkommen zu heißen.«
Er tauchte im Wasser unter, als er wieder an der Oberfläche erschien, war aus dem Schlammungeheuer ein gutgewachsener, kräftiger junger Mann geworden, dessen Haut die Sonne eine schokoladenfarbene Bräune verliehen hatte, dessen rötliche Haare bis zur Schulter reichten und dessen klare graue Augen ihnen aus einem zugleich klugen und aufrichtigen Gesicht entgegenblickten. »Na, was meint ihr?« rief er aus und grinste.
»Großartig«, erwiderte Par.
»Aber, aber! Nicht jeder Trick ist weltbewegend. Doch das erinnert mich an etwas.« Morgan beugte sich fragend vor. Sein Gesichtsausdruck deutete wie so oft an, daß er sich über irgend etwas insgeheim amüsierte. »Solltet ihr beide nicht eigentlich oben in Callahorn die Eingeborenen unterhalten? Habt ihr mir das nicht als Letztes erzählt? Was macht ihr hier?«
»Was machst du hier?« gab Coll zurück.
»Ich? Ach, nur ein kleines Mißverständnis im Zusammenhang mit dem Gouverneur – ich fürchte jedoch, eigentlich im Zusammenhang mit seiner Frau. Natürlich verdächtigen sie nicht mich – das tun sie ja nie. Trotzdem schien mir ein kleiner Urlaub angebracht.« Morgan grinste jetzt über das ganze Gesicht. »Aber jetzt mal los, ich habe zuerst gefragt. Was ist los?«
Er ließ nicht locker, und da es zwischen den Dreien noch nie Geheimnisse gegeben hatte, erzählte Par, nicht ohne auf Colls Hilfe zurückzugreifen, was sie seit der Nacht in Varfleet, als ihnen Felsen-Dall und die Sucher der Föderation auf den Leib gerückt waren, durchgemacht hatten. Er erzählte ihm von den Träumen, die möglicherweise Allanon geschickt hatte, von ihrer Begegnung mit der schrecklichen Waldfrau, die möglicherweise ein Schattenwesen war, und von dem alten Mann, der sie gerettet hatte und möglicherweise Cogline war.
»Eure Geschichte ist voll von ›möglicherweise‹«, bemerkte der Hochländer, als sie ihre Erzählung beendet hatten. »Seid ihr sicher, daß ihr das alles nicht nur erfunden habt?«
»Ich wünschte, es wäre so«, antwortete Coll wehmütig.
»Wie dem auch sei«, erklärte Par, »wir hielten es für eine gute Idee, hier zu übernachten und uns morgen auf den Weg ins Tal zu machen.«
Morgan schüttelte den Kopf. »Ich würde das an eurer Stelle lieber bleiben lassen.«
Par und Coll warfen einander fragende Blicke zu.
»Wenn die Föderation so sehr hinter euch her war, daß sie Felsen-Dall sogar bis nach Varfleet geschickt hat«, fuhr Morgan fort, der ihren Blick erwiderte, »haltet ihr es dann nicht für wahrscheinlich, daß sie ihn auch nach Shady Vale schicken?«
Erst nach langem Schweigen sagte Par schließlich: »Ich gebe zu, daran habe ich noch gar nicht gedacht.«
Morgan stieg aus dem Wasser und begann sich abzutrocknen. »Ich weiß, mein Junge, Denken war noch nie deine Stärke. Bloß gut, daß du mich zum Freund hast. Kommt, laßt uns zur Hütte hinaufgehen, und ich mache euch etwas zu essen – zur Abwechslung mal was anderes als Fisch –, und dann können wir die Sache bereden.«
Sie trockneten sich ab, wuschen ihre Kleider und kehrten zur Hütte zurück, wo sich Morgan sogleich anschickte, das Abendessen zuzubereiten. Er kochte einen wunderbaren Eintopf aus Fleisch, Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln und stellte ihn mit warmem Brot und kaltem Bier auf den Tisch vor dem Haus. Sie saßen auf einer Bank unter den Kiefern und aßen und tranken, bis fast alles verzehrt war. Die hereinbrechende Nacht brachte endlich eine kühle Brise aus den Bergen. Zum Nachtisch hatten sie Birnen und Käse, und während sie zufrieden mit sich und der Welt aßen, verfärbte sich der Himmel zuerst rot, dann lila, bis es schließlich dunkel wurde und Sterne am Himmel aufzogen.
»Ich liebe das Hochland«, sagte Morgan, nachdem sie lange schweigend auf den Steinstufen der Hütte nebeneinandergesessen hatten. »Ich glaube, ich könnte die Stadt genauso lieben lernen, aber nicht, solange die Föderation dort herrscht. Manchmal denke ich darüber nach, wie es wohl gewesen wäre, in der alten Welt zu leben, damals, als sie noch uns gehört hat. Das ist natürlich schon lange her – sechs Generationen. Heute weiß niemand mehr, wie es damals war. Mein Vater weigert sich, überhaupt darüber zu sprechen. Aber hier, dieses Land, das gehört noch immer uns. Die Föderation hat es noch nicht geschafft, es uns wegzunehmen. Es ist einfach zu groß. Vielleicht hänge ich deshalb so an diesem Land – weil es das einzige ist, was meiner Familie geblieben ist.«
»Außer dem Schwert«, erinnerte ihn Par.
»Trägst du dieses schäbige alte Ding immer noch mit dir herum?« fragte Coll. »Ich würde mir wünschen, daß du es eines Tages durch ein neues und besseres ersetzest.«
Morgan warf ihm einen Blick zu. »Erinnert ihr euch an die Geschichten, in denen es heißt, daß das Schwert von Leah einst Zauberkräfte besaß?«
»Allanon selbst soll ihm die Zauberkräfte verliehen haben«, bestätigte Par.
»Ja, zu Rone Leahs Zeit.« Morgan runzelte die Stirn. »Manchmal glaube ich, daß es immer noch Zauberkräfte besitzt. Natürlich nicht so wie damals, als es selbst den Mordgeistern widerstehen konnte, aber auf andere Weise. Die Scheide ist in all den Jahren mindestens ein halbes dutzendmal ersetzt worden, der Griff wenigstens ein- oder zweimal, und auch jetzt wär’s schon wieder nötig. Aber die Klinge – ja, die Klinge! Sie ist immer noch so scharf und zuverlässig wie eh und je, es ist fast so, als könne ihr das Alter nichts anhaben. Ist das nicht auch Zauberkraft?«
Die Brüder nickten ernst. »Mitunter verändert sich die Zauberkraft«, sagte Par. »Sie wächst und entwickelt sich. Vielleicht ist das auch mit dem Schwert von Leah passiert.« Als er das sagte, dachte er an den alten Mann und fragte sich, ob dieser wohl recht gehabt hatte mit seiner Behauptung, daß er nichts von Magie verstehe.
»Wißt ihr, die Wahrheit ist, daß keiner das Schwert haben will.« Morgan seufzte. »Es scheint, als ob niemand etwas aus der alten Zeit haben möchte. Ich glaube, die Erinnerung ist zu schmerzlich. Mein Vater hat kein einziges Wort gesagt, als ich das Schwert haben wollte. Er hat es mir einfach gegeben.«
Coll gab dem anderen einen freundschaftlichen Schubs. »Ich glaube, dein Vater sollte etwas vorsichtiger damit sein, wem er seine Waffen gibt.«
Morgan machte ein gekränktes Gesicht. »Wurde etwa ich gebeten, mich der Bewegung anzuschließen?« fragte er. Sie lachten. »Aber Spaß beiseite. Du hast erzählt, daß der Fremde dir einen Ring gegeben hat. Hast du was dagegen, wenn ich ihn mir anschaue?«
Par holte den Ring mit dem Falkenzeichen aus seiner Tasche und reichte ihn Morgan.
Morgan nahm ihn und betrachtete ihn von allen Seiten, zuckte dann die Achseln und reichte ihn zurück. »Er kommt mir nicht bekannt vor. Aber das hat nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Ich habe gehört, daß es in der Bewegung Banden von Geächteten gibt, die, um die Föderation hinters Licht zu führen, ihre Erkennungszeichen regelmäßig ändern.« Er nahm einen großen Schluck aus seinem Bierglas und lehnte sich wieder zurück. »Manchmal glaube ich, ich sollte nach Norden gehen und mich ihnen anschließen – und aufhören, hier Spielchen zu spielen mit diesen Narren, die mein Land regieren und dabei nicht einmal die Geschichte kennen.« Traurig schüttelte er den Kopf und sah einen Augenblick sehr alt aus. »Aber jetzt zu euch. Ihr könnt nicht zurückgehen, solange ihr nicht wißt, ob es wirklich ungefährlich ist. Ich schlage deshalb vor, daß ihr hier wartet und mich vorausgehen laßt. Ich werde feststellen, ob die Föderation nicht bereits dort ist. Ist das ein faires Angebot?«
»Mehr als fair«, sagte Par sogleich. »Danke, Morgan.
Aber du mußt versprechen, vorsichtig zu sein.«
»Vorsichtig? Wegen dieser Narren? Ha!« Der Hochländer grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich könnte ihnen gegenübertreten und gleichzeitig in alle Gesichter spuken, und sie würden trotzdem noch Tage brauchen, um dahinterzukommen! Vor denen muß ich mich nicht fürchten!«
Par lachte nicht. »Vielleicht nicht in Leah. Aber möglicherweise sind die Sucher schon in Shady Vale.«
Morgan machte jetzt ein ernstes Gesicht. »Da magst du recht haben. Ich werde vorsichtig sein.«
Alle drei erhoben sich. Coll fragte: »Was hast du denn nun eigentlich mit der Frau des Gouverneurs gemacht?«
Morgan hob die Schultern. »Ach das? Irgend jemand hat mir erzählt, daß sie die Hochlandluft nicht mag, daß ihr davon übel wird. Ich habe ihr ein Parfüm geschickt, um ihre Nase zu erfreuen. Es befand sich in einem kleinen wunderschönen Glasfläschchen. Ich wollte sie überraschen und habe dafür gesorgt, daß es in ihr Bett gelegt wurde. Bedauerlicherweise ist es zerbrochen, als sie sich daraufgelegt hat.« Er zwinkerte. »Ich bin untröstlich, aber ich habe das Parfüm irgendwie mit Skunköl verwechselt.«
Die drei sahen einander in der Dunkelheit an und grins-ten wie Honigkuchenpferde.
In dieser Nacht schliefen die Brüder Ohmsford in der Behaglichkeit und Wärme richtiger Betten tief und fest. Sie hätten mühelos bis Mittag schlafen können, aber Morgan weckte sie bei Tagesanbruch, als er sich auf den Weg nach Shady Vale machte. Bevor er ging, zeigte er ihnen das Schwert von Leah; der Griff und die Scheide waren arg mitgenommen, aber die Klinge blitzte und sah so neu aus, wie der Hochländer es beschrieben hatte. Er lächelte voller Zufriedenheit, als er den Ausdruck ihrer Gesichter bemerkte. Er hängte sich die Waffe um die Schulter, steckte ein langes Messer in einen seiner Stiefel, ein Jagdmesser an seinen Gürtel und warf sich einen Bogen aus Eschenholz über den Rücken. Er zwinkerte ihnen zu. »Es kann nicht schaden, ein paar Vorkehrungen zu treffen.«
Sie begleiteten ihn zur Tür hinaus und ein Stückchen des Weges nach Westen, wo er sich von ihnen verabschiedete. Sie selbst kämpften immer noch mit dem Schlaf und konnten ihr Gähnen kaum unterdrücken.
»Legt euch einfach wieder aufs Ohr«, riet Morgan. »Schlaft, solang wie ihr mögt. Entspannt euch und macht euch keine Sorgen. In ein paar Tagen bin ich zurück.« Er winkte ihnen zum Abschied zu, wobei sich seine große, kräftige Gestalt, die wie immer Selbstvertrauen und Zuversicht ausstrahlte, gegen den noch dunklen Himmel abzeichnete.
»Sei vorsichtig«, rief Par ihm nach.
Morgan lachte. »Seid nur ihr vorsichtig!«
Die Brüder befolgten den Rat des Hochländers und leg-ten sich wieder aufs Ohr. Nachdem sie bis zum Nachmittag geschlafen hatten, brachten sie den Rest des Tages damit zu zu faulenzen. Am nächsten Tag dagegen standen sie früh auf, badeten in den Quellen, durchstreiften die Gegend vergeblich auf der Suche nach den Schlammbädern, säuberten die Jagdhütte und nahmen ein Abendessen zu sich, das aus Wildfleisch und Reis bestand. Sie unterhielten sich lange über den alten Mann und die Träume, über die Magie und die Sucher und ihre Pläne für die Zukunft. Sie stritten sich nicht, kamen aber auch zu keiner Entscheidung.
Der dritte Tag brachte Wolken, und als der Abend hereinbrach, regnete es. Sie saßen vor dem Feuer, das im großen steinernen Herd vor ihnen brannte, und übten sich lange Zeit im Geschichtenerzählen, wobei sie sich besonders mit den unbekannteren Sagen beschäftigten und versuchten, die Bilder aus Pars Liedern und die Worte aus Colls Geschichten in Übereinstimmung zu bringen.
Am vierten Tag kam Morgan zurück. Es war bereits Spätnachmittag, als die Brüder vor dem Feuer saßen, plötzlich die Tür aufging und er vor ihnen stand. Es hatte den ganzen Tag über nicht aufgehört zu regnen, und der Hochländer war völlig durchnäßt. Das Wasser tropfte auf den Boden, als er seinen Rucksack und seine Waffen ablegte und die Tür hinter sich zuzog. »Schlechte Neuigkeiten«, sagte er sofort. Sein rostfarbenes Haar klebte an seinem Kopf, und das Regenwasser glitzerte auf seinen wie gemeißelten Backenknochen.
Par und Coll erhoben sich langsam von ihrer Arbeit.
»Ihr könnt auf keinen Fall ins Vale zurückkehren«, sagte Morgan ruhig. »Die Föderationssoldaten sind überall. Ich konnte nicht mit Sicherheit feststellen, ob auch Sucher dort sind, aber es würde mich nicht im geringsten überraschen. Das Dorf steht ›unter dem Schutz der Föderation – das ist ihre Bezeichnung für gewaltsame Besetzung. Zweifellos warten sie auf euch. Ich habe nicht viele Fragen gebraucht, um das herauszufinden; es ist kein Geheimnis. Eure Eltern stehen unter Hausarrest. Ich glaube, es geht ihnen gut, aber ich konnte es nicht wagen, sie aufzusuchen. Das hätte zu viele Fragen nach sich gezogen.« Er holte tief Luft. »Irgend jemand will euch ernsthaft an den Kragen, meine Freunde.«
Par und Coll sahen einander an und versuchten gar nicht ihre Angst zu verbergen. »Was sollen wir jetzt machen?« fragte Par leise.
»Ich habe auf dem ganzen Weg darüber nachgedacht«, antwortete Morgan. Er streckte die Hand aus und legte sie auf Pars Schulter. »Wenn ich jetzt sage ›wir‹, dann meine ich ›wir‹, weil ich das Gefühl habe, daß ich jetzt zu euch gehöre.« Sein Griff wurde stärker. »Wir gehen nach Osten und suchen Walker Boh.«