4

Als Par am nächsten Morgen erwachte, beschloß er, Coll nichts von seinem Traum zu erzählen. Zum einen wußte er nicht, was er hätte sagen sollen. Er war nicht sicher, ob der Traum aus unbewußten Tiefen gekommen oder aber seinem Wunschdenken entsprungen war – und selbst dann hätte er nicht gewußt, ob es sich um einen wahren Traum handelte. Zum anderen hätte er Coll nur wieder darin bestärkt, wie töricht er, Par, doch war, wenn er weiterhin über etwas nachdachte, das er offensichtlich doch nicht tun wollte. Aber wollte er es wirklich nicht? Wenn er ehrlich war, wußte er, daß sie sich darüber streiten würden, ob es ratsam gewesen wäre, sich in das Gebiet der Drachenzähne zu wagen, um dort das Hadeshorn und einen Druiden, der bereits seit dreihundert Jahren tot war, zu suchen. Es war besser, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen.

Sie aßen ihr kaltes Frühstück, das aus wilden Beeren und Quellwasser bestand, und waren zufrieden, daß sie wenigstens so viel hatten. Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war bedeckt. Aus Nordwesten erhob sich ein ziemlich starker Wind, dessen Kraft Äste umbog und Blätter wild durch die Luft fliegen ließ. Sie packten ihre Sachen zusammen, bestiegen das Boot und stießen es vom Ufer ab.

Der Mermidon war stark angeschwollen, und das Boot, das sie nach Süden brachte, wurde auf dem Wasser hin- und hergeworfen. Allerlei Treibgut schwamm auf dem Wasser, und sie hielten ihre Ruder fest in den Händen, um alle großen Stücke, die das Boot hätten beschädigen können, von ihm abzuhalten. Die in Nebel und tiefhängende Wolken gehüllten Felswände des Runnegebirges erhoben sich drohend auf der anderen Seite. Es war kalt, und die Brüder spürten, wie ihre Hände und Füße vor Kälte schnell steif wurden.

Wann immer es möglich war, gingen sie an Land und ruhten sich aus, doch auch das half nur wenig. Sie hatten nichts zu essen und, da sie keine Zeit damit zubringen wollten, ein Feuer zu machen, auch keine Möglichkeit, sich aufzuwärmen. Schon am frühen Nachmittag regnete es wieder. Der Regen ließ die Luft noch kälter werden, der Wind verstärkte sich, und es wurde immer gefährlicher, die Reise auf dem Fluß fortzusetzen. Als sie eine kleine Bucht sichteten, die durch mehrere alte Kiefern geschützt war, zogen sie das Boot unverzüglich an Land und errichteten ein Lager.

Nachdem sie ein Feuer gemacht hatten, aßen sie den Fisch, den Coll gefangen hatte. Der Wind, der in den Schluchten der Berge heulte, das Wasser, das gegen die Ufer schlug, sowie die Kälte und Unbequemlichkeit ihres Lagers ließen sie nur unruhig schlafen. In dieser Nacht träumte Par überhaupt nicht.

Der Morgen brachte endlich den lang ersehnten Wetterumschwung. Der Sturm wandte sich nach Osten, der Himmel wurde klar, und helles, warmes Sonnenlicht erfüllte den Tag. Während ihr Boot sie nach Süden trug, trockneten sie ihre Kleider, und als die Mittagssonne auf sie herabschien, streiften sie ihre Kleider und Schuhe ab.

»Alles wird besser nach einem erfrischenden Gewitter, wie man so schön sagt«, erklärte Coll zufrieden. »Du wirst sehen, Par, von jetzt an haben wir gutes Wetter. Nur noch drei Tage, und wir sind zu Hause.«

Par lächelte und schwieg.

Der Tag verging, und der Duft der Bäume und Blumen erfüllte wieder die Luft.

Sie segelten an der Südwache vorbei; der schwarze Granitstein ragte schweigend und rätselhaft aus dem Fels am Rande des Flusses in den Himmel hinein. Selbst aus der großen Entfernung wirkte der Turm bedrohlich. Es war so dunkel, daß er scheinbar alles Licht in sich aufsog. Alle möglichen Gerüchte rankten sich um die Südwache. Manche behaupteten, der Turm sei lebendig und ernähre sich von der Erde unter ihm. Andere behaupteten sogar, er bewege sich. Fast alle waren sich darin einig, daß er auf unerklärliche Weise ständig zu wachsen schien. Er machte einen verlassenen Eindruck. So war es schon immer gewesen. Man sagte, daß eine Eliteeinheit von Föderationssoldaten dort Dienst tat, aber noch keiner hatte sie zu Gesicht bekommen. Auch gut, dachte Par, als sie unbehelligt vorbeitrieben.

Am späten Nachmittag erreichten sie die Flußmündung, dort, wo sich der Fluß in den Regenbogensee ergoß. Der See breitete sich vor ihnen aus, ein riesiges, silbrig schimmerndes blaues Gewässer, das durch die Sonne, die sich dem Horizont zuneigte, am westlichen Rand golden gefärbt war. Der Regenbogen, der dem See seinen Namen gegeben hatte, spannte sich jetzt im grellen Sonnenlicht blaß von einem Ende zum anderen, das Blau und Lila fast unsichtbar, das Rot und Gelb verwaschen. Kraniche schwangen sich lautlos durch die Lüfte, ihre anmutigen Leiber zeichneten sich am Himmel ab.

Die Ohmsfords zogen ihr Boot ans Ufer und machten es im Schutz einiger schattiger Bäume fest. Sie schlugen ihr Lager auf. Coll fischte, während Par sich auf den Weg machte, um das Holz für das abendliche Lagerfeuer zu sammeln.

Par durchstreifte das Ufer eine Zeitlang in östlicher Richtung. Nach kurzer Zeit wandte er sich dem Wald zu und begann, trockenes Holz aufzulesen. Er hatte erst wenige Schritte zurückgelegt, als er die Feuchtigkeit um sich herum spürte und den modrigen Geruch wahrnahm. Er bemerkte, daß viele Bäume morsch waren; Blätter waren welk und braun, Äste abgebrochen, Rinden abgebröckelt. Auch der Waldboden sah ungesund aus. Er kratzte mit seinem Schuh und sah sich neugierig um. Es schien, als ob es kein Leben mehr in diesem Wald gäbe, keine kleinen Tiere, die über den Boden huschten, keine Vögel, die von den Bäumen zwitscherten. Der Wald war unbelebt.

Gerade als er beschloß, seine Suche nach Feuerholz einzustellen und zum Flußufer zurückzukehren, fiel sein Blick auf das Haus. Es war eher eine Hütte, und bei genauerer Betrachtung nicht einmal das. Sie war überwuchert von Unkraut, Reben und Buschwerk. Fensterläden lagen auf dem Boden, und das Dach war eingedrückt. Die Fensterscheiben waren zerbrochen, und die Eingangstür stand offen. Die Hütte stand am Rand einer kleinen Bucht; dem abgestandenen Wasser entströmte ein ekelhafter Geruch.

Par hätte die Hütte für unbewohnt gehalten, hätte er nicht die winzigen Rauchschwaden bemerkt, die aus dem verfallenen Schornstein stiegen. Er fragte sich, wie ein Mensch in einer solchen Umgebung hausen konnte, ob die Hütte wirklich bewohnt oder der Rauch lediglich das letzte Zeichen möglicher Bewohner war. Des weiteren fragte er sich, ob der Bewohner der Hütte möglicherweise Hilfe brauchte.

Fast wollte er hingehen, aber die Hütte und ihre Umgebung waren so abschreckend, daß er es schließlich doch nicht über sich brachte. Statt dessen rief er seine Frage, ob jemand zu Hause sei, laut hinaus. Er wartete einen Augenblick, dann rief er nochmals. Als er keine Antwort erhielt, wandte er sich fast dankbar ab und setzte seinen Weg fort.

Als er zurückkehrte, wartete Coll bereits mit dem Fisch, so daß sie eilig ein Feuer anzündeten und ihre Mahlzeit zubereiteten. Beide waren des Fisches schon überdrüssig, aber er war besser als nichts, und außerdem waren sie hungriger, als sie geahnt hatten. Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, saßen sie nebeneinander und beobachteten, wie die Sonne unterging und der See sich wieder silbrig verfärbte. Am dunkler werdenden Himmel zogen Sterne auf, und die Geräusche der Nacht erwachten aus der Stille der Dunkelheit. Die Schatten der Bäume des Waldes vereinigten sich zu dunklen Flecken, die das Tageslicht vollends verdrängten.

Par dachte gerade darüber nach, wie er Coll beibringen sollte, daß er es für besser hielt, nicht nach Hause zurückzukehren, als die Waldfrau vor ihnen auftauchte.

Sie trat aus dem Dunkel der Bäume hervor, gebückt im fahlen Licht des Feuers. Sie war in Lumpen gekleidet, und es hatte den Anschein, als wären sie in grauer Vorzeit um sie geschlungen und dort vergessen worden. Ihr Kopf war kahl, und ihr Gesicht war bedeckt mit langen, dichten, farblosen Haarbüscheln. Ihr Alter war unbestimmbar, dachte Par; sie war so runzlig, daß man es beim besten Willen nicht erraten konnte.

Sie kroch vorsichtig aus dem Wald hervor, blieb vor dem Feuer stehen und stützte sich schwer auf ihren Gehstock. Einer ihrer knochigen Arme zeigte in Richtung Par. »Hast du mich gerufen?« fragte sie mit einer Stimme, die wie morsches Holz knarrte.

Unwillkürlich mußte Par sie anstarren. Sie sah aus wie etwas, das der Erde entsprungen war, wie etwas, das kein Recht hatte, zu leben und die Erde zu betreten. Sie war über und über mit Schmutz und Unkraut behangen, das sich scheinbar auf ihr niedergelassen und Wurzeln geschlagen hatte.

»Warst du es?« wiederholte sie eindringlich.

Ihm wurde langsam klar, worauf sie anspielte. »An der Hütte? Ja, das war ich.«

Die Waldfrau lächelte, ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, ihr Mund war fast zahnlos. »Du hättest hereinkommen sollen, anstatt draußen stehenzubleiben«, sagte sie. »Die Tür war offen.«

»Ich wollte nicht…«

»Ich lasse sie immer offen, damit keiner ohne einen Willkommensgruß vorbeigeht. Auch das Feuer lasse ich immer brennen.«

»Ich habe den Rauch gesehen, aber…«

»Du hast doch Holz gesammelt, stimmt’s? Ihr kommt aus Callahorn?« Ihre Augen wanderten in die Richtung, in der das Boot festgemacht war. »Seid lang unterwegs gewesen, stimmt’s?« Ihr Blick richtete sich wieder auf die Brüder. »Seid vielleicht auf der Flucht?«

Par wurde mit einemmal ganz starr. Er und Coll warfen sich einen kurzen Blick zu.

Die Frau kam näher, und während sie einen Fuß vor den anderen setzte, tastete sie die Erde vor sich mit ihrem Gehstock ab. »Viele verschlägt es hierher. Kommen alle aus dem geächteten Land und sind auf der Suche nach diesem oder jenem.« Sie hielt inne. »Ihr vielleicht auch? O ja, viele möchten mit solchen wie euch nichts zu tun haben, aber ich gehöre nicht zu denen. Nein, ich bestimmt nicht!«

»Wir sind nicht auf der Flucht«, erklärte Coll plötzlich.

»Nein? Seid ihr deshalb so gut ausgerüstet?« Sie fuchtelte mit ihrem Stock in der Luft herum. »Wie heißt ihr?«

»Was willst du?« fragte Par hastig. Er fühlte sich von Minute zu Minute unwohler.

Die Waldfrau trat noch einen Schritt näher. Irgend etwas stimmte nicht mit ihr, etwas, das Par vorher nicht bemerkt hatte. Sie schien keinen festen Körper zu besitzen, sondern wie durch Rauch oder erhitzte Luft hindurch zu flimmern. Auch ihre Bewegungen waren unnatürlich, und das nicht nur aufgrund ihres Alters. Es schien, als baumelten ihre Gelenke an einem unsichtbaren Faden, wie Marionetten, die auf Jahrmärkten gezeigt werden.

Der Geruch des sumpfigen Wassers und der zerfallenen Hütte haftete der Waldfrau selbst hier an. Sie schnupperte in der Luft. »Was rieche ich da?« Ihre Augen fixierten Par. »Riecht es hier nicht nach Magie?«

Par lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wer immer diese Frau sein mochte, mit ihr wollten sie nichts zu tun haben.

»Magie! Ja. Rein und klar und stark wie das Leben!« Die Zunge der Waldfrau fuhr lüstern über ihre Lippen. »Und so süß wie Blut!«

Nun konnte sich Coll nicht länger zurückhalten. »Es wäre besser, wenn du dich auf den Weg dorthin machen würdest, wo du hergekommen bist«, schrie er sie an, ohne daß er versucht hätte, seinen Abscheu zu verbergen. »Du hast hier nichts zu suchen. Mach, daß du fortkommst!«

Doch die Waldfrau bewegte sich nicht von der Stelle. Ihr Gesicht verzog sich zu einer wilden Grimasse, und ihre Augen waren plötzlich so rot wie die brennenden Holzscheite. »Komm her zu mir, komm her!« zischte sie. »Komm her, mein Kleiner!« Sie zeigte auf Par. »Komm!« Sie streckte eine Hand aus.

Par und Coll traten vorsichtig einen Schritt zurück, weg vom Feuer.

Die Frau machte mehrere Schritte auf sie zu, am Feuer vorbei, und drängte sie weiter in die Dunkelheit hinein. »Mein Süßer!« murmelte sie leise vor sich hin. »Laß mich dich schmecken, Kleiner!«

Die Brüder waren nicht mehr gewillt, sich noch weiter vom Licht zu entfernen. Die Waldfrau bemerkte den entschlossenen Ausdruck in ihren Augen, und ihr Lächeln wurde boshaft. Sie kam weiter auf sie zu.

Während sie Par im Auge behielt, der versuchte, sie zu packen und ihre Arme festzuhalten, machte Coll einen Satz auf sie zu. Aber sie war viel schneller als er. Ihr Stock, der auf ihn niedersauste, traf ihn mit einer solchen Wucht an der Schläfe, daß er ohnmächtig zu Boden sank. Mit einem Heulen, das an ein tollwütiges Tier erinnerte, war sie augenblicklich über ihm.

Par stimmte das Wunschlied an, mit Hilfe dessen er eine Reihe von schrecklichen Bildern zu ihr aussandte. Überrascht wich sie zurück, versuchte jedoch, die Bilder mit ihren Händen und ihrem Stock abzuwehren. Par nutzte die Gelegenheit, sich zu Coll umzudrehen und ihm auf die Beine zu helfen. Hastig zog er seinen Bruder von seiner Angreiferin weg, die ihre Krallen jetzt in die leere Luft streckte.

Die Waldfrau hielt plötzlich inne und schien sich nicht mehr gegen die Bilder zu wehren. Das Lächeln, mit dem sie sich jetzt zu Par umdrehte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Um ihr Angst zu machen, schickte Par ihr das Bild eines Dämons, doch diesmal griff die Frau nach dem Bild, öffnete den Mund, sog die Luft um sich herum tief ein, und das Bild löste sich in nichts auf. Die Frau leckte ihre Lippen und winselte.

Nun schickte Par ihr einen bewaffneten Krieger. Die Waldfrau verschlang ihn gierig. Sie kam wieder näher, ließ sich jetzt durch die Bilder nicht mehr aufhalten, schien sie sogar freudig zu erwarten. Es hatte den Anschein, als warte sie nur darauf, sie zu verschlingen. Par versuchte Coll zu stützen, doch sein Bruder sank immer noch benommen in seinen Armen zusammen. »Coll, wach auf!« flehte er leise.

»Komm, mein Süßer«, wiederholte die Waldfrau leise. Sie winkte und kam näher. »Komm, gib mir meine Nahrung.«

Wie aus heiterem Himmel loderte plötzlich das Feuer hoch auf und tauchte die Waldlichtung in helles Tageslicht. Die Waldfrau wich vor der Helligkeit zurück, und ihr jäher Schrei endete in einem wütenden Knurren. Par blinzelte und durchbohrte mit seinem Blick das strahlende Licht.

Ein weißhaariger, graugewandeter alter Mann, dessen braune Haut an ausgetrocknetes Holz erinnerte, trat zwischen den Bäumen hervor. Wie ein lebendig gewordener Geist tauchte er vor ihnen aus der Dunkelheit auf. Ein grimmiges Lächeln umspielte seinen Mund, und seine Augen strahlten einen unnatürlichen Glanz aus. Par drehte sich vorsichtig um, eine Hand an seinem Messer, das in seinem Gürtel steckte. Jetzt sind sie schon zu zweit, dachte er verzweifelt, und wieder schüttelte er Coll in dem verzweifelten Versuch, ihn aufzuwecken.

Aber der alte Mann schenkte ihm keine Beachtung. Seine Aufmerksamkeit galt der Waldfrau. »Ich kenne dich«, sagte er leise. »Du machst niemandem mehr Angst. Begib dich fort von hier, oder du wirst es mit mir aufnehmen müssen.«

Die Waldfrau zischte wie eine Schlange und kauerte sich wie zum Sprung bereit zusammen. Aber etwas im Gesicht des alten Mannes ließ sie innehalten.

»Geh zurück in die Dunkelheit«, flüsterte der alte Mann.

Die Waldfrau zischte ein letztes Mal, bevor sie sich umdrehte und ohne einen weiteren Laut zwischen den Bäumen verschwand. Ihr Geruch hing noch einen Augenblick in der Luft, und dann war auch er verschwunden.

Wieder senkte sich die Nacht mit ihren vertrauten Geräuschen über sie, und alles war wie zuvor.

Der alte Mann trat näher an das Licht heran. »Bah. Eines der kleinen Nachtgespenster hat sich wohl hierher verirrt«, murmelte er voll Ekel. Er blickte spöttisch auf Par. »Bist du in Ordnung, junger Ohmsford? Und der da? Heißt er nicht Coll? Er hat eben ziemlich viel einstecken müssen.«

Par ließ Coll auf den Boden gleiten und nickte. »Ja. Könntest du mir das Tuch und etwas Wasser reichen?«

Der alte Mann tat, wie geheißen, und Par betupfte Colls Schläfe, die sich blau zu verfärben begann. Coll wimmerte, setzte sich auf und vergrub seinen Kopf zwischen den Knien, in der Hoffnung, daß das Pochen dadurch aufhöre.

Par schaute auf. Es dämmerte ihm plötzlich, daß der alte Mann Colls Namen gewußt hatte. »Woher weißt du, wer wir sind?« fragte er vorsichtig.

Der alte Mann hielt seinem Blick stand. »Nun, ich weiß, wer ihr seid, weil ich euch gesucht habe. Aber ich bin keinesfalls euer Feind, wenn du das meinst.«

Par schüttelte den Kopf. »Nicht eigentlich, nachdem du uns auf diese Weise geholfen hast. Wir danken dir.«

»Euer Dank ist unnötig.«

Par nickte wieder. »Diese Frau, oder was sie war – es schien, als hätte sie Angst vor dir gehabt.« Er formulierte keine Frage, sondern stellte eine Tatsache fest.

Der alte Mann hob die Schultern. »Vielleicht.«

»Kennst du sie?«

»Ich habe von ihr gehört.«

Par zögerte, nicht sicher, ob er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen sollte oder nicht. »Warum hast du uns gesucht?«

»Tja, weißt du, das ist leider eine ziemlich lange Geschichte«, antwortete der alte Mann in einem Ton, der darauf schließen ließ, daß die Anstrengung, eine solche Geschichte zu erzählen, seine Kräfte bei weitem übersteigen würde. »Könnten wir uns vielleicht hinsetzen, während wir darüber sprechen? Die Wärme des Feuers würde meinen alten Knochen gut tun. Ihr habt nicht zufällig einen Schluck Bier übrig? Nein? Schade. Ich nehme an, daß ihr, so wie man euch aus Varfleet hinausbefördert hat, keine Möglichkeit gehabt habt, solche Köstlichkeiten mitzunehmen. Man kann schon von Glück sagen, daß ihr unter diesen Umständen mit heiler Haut davongekommen seid.« Er kam gemächlich näher, ließ sich sachte im Gras nieder, kreuzte die Beine und brachte seine grauen Gewänder sorgfältig in Ordnung. »Ich habe mir gedacht, daß ich euch dort treffen würde. Aber dann kam die Sache mit der Föderation dazwischen, und ihr wart plötzlich auf dem Weg nach Süden, bevor ich euch aufhalten konnte.« Er nahm sich einen Becher, den er in den Wassereimer tauchte, um dann in großen Schlucken zu trinken.

Coll hatte sich in der Zwischenzeit aufgesetzt und hörte zu, während er immer noch das feuchte Tuch gegen seine Schläfe preßte. Par setzte sich neben ihn.

Der alte Mann trank den Becher leer und wischte sich den Mund an seinem Ärmel ab. »Allanon hat mich geschickt«, erklärte er beiläufig.

»Allanon«, wiederholte Par.

»Allanon ist seit dreihundert Jahren tot«, platzte Coll heraus.

Der alte Mann nickte. »Da hast du recht. Ich muß mich verbessern: Es war in Wirklichkeit Allanons Geist, sein Schatten – aber nichtsdestoweniger Allanon.«

»Allanons Schatten?« Coll nahm das Tuch von seiner Schläfe, vergessen war die Verletzung. Er bemühte sich gar nicht, seinen Unglauben zu verbergen.

Der alte Mann rieb sich sein bärtiges Kinn. »Nun, mein Junge, du wirst dich etwas gedulden müssen. Vieles von dem, was ich euch sagen werde, werdet ihr vielleicht nicht glauben wollen, aber ihr müßt mir glauben, wenn ich sage, daß dies alles sehr wichtig ist.« Er rieb sich die Hände, die er zum Feuer hin ausstreckte. »Es wäre das Beste, wenn ihr mich als Boten sehen könntet. Betrachtet mich einfach als einen Boten Allanons. Par, warum hast du die Träume mißachtet?«

Par erschrak. »Du weißt also davon?«

»Die Träume sind dir von Allanon geschickt worden, sie sollten dich zu ihm bringen. Verstehst du das nicht? Es war seine Stimme, die du gehört, und sein Schatten, den du gesehen hast. Er ruft dich zum Hadeshorn – dich, deine Base Wren und…«

»Wren?« unterbrach ihn Coll ungläubig.

Der alte Mann schien ärgerlich. »Genau das habe ich doch gesagt, oder nicht? Muß ich wirklich alles zweimal sagen? Eure Base Wren Ohmsford. Und Walker Boh ebenfalls.«

»Onkel Walker«, sagte Par leise. »Ich erinnere mich.«

Coll warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu, dann schüttelte er ungläubig den Kopf. »Das ist doch lächerlich. Keiner von uns weiß, wo sich die beiden aufhalten!« gab er bissig zurück. »Wren lebt irgendwo im Westland bei den Fahrenden. Sie hat nicht mal ein Dach über dem Kopf! Und Walker Boh hat seit zehn Jahren kein Mensch mehr gesehen. Er könnte genauso gut tot sein.«

»Er könnte, aber er ist es nicht«, sagte der alte Mann gereizt. Er warf Coll einen vielsagenden Blick zu, bevor er sich wieder Par zuwandte. »Ihr sollt euch alle drei am Hadeshorn einfinden, und zwar dann, wenn der Mondzyklus beendet ist. In der ersten Nacht des neuen Mondes wird Allanon dort zu euch sprechen.«

Par spürte, wie ihn ein Schauer durchlief. »Über Magie?«

Coll berührte die Schulter seines Bruders. »Vielleicht über Schattenwesen?« äffte er ihn nach.

Der alte Mann beugte sich plötzlich vor, sein Gesicht hatte sich verhärtet. »Worüber es ihm beliebt. Ja, über Magie. Und über Schattenwesen. Über Wesen wie das, das dich wie ein kleines Kind zu Boden geworfen hat. Aber am meisten, junger Coll, darüber!«

Er warf eine Prise schwarzes Pulver ins Feuer, so unerwartet, daß Par und Coll mit einem Satz zurücksprangen. Die Flammen schlugen hoch auf.

Ein Bild tauchte aus der Dunkelheit auf, wurde größer und größer. Es war ein Bild der Vier Länder. Die Länder waren öd und leer, verwüstet und bar allen Lebens. Dunkelheit und raucherfüllte Luft hingen über ihnen. In den Flüssen schwamm Treibgut, das Wasser war vergiftet. Bäume lagen umgeknickt am Boden, tot. Nur Buschwerk wucherte überall. Menschen krochen umher wie Tiere, und die Tiere flohen bei ihrem Anblick. Schatten mit seltsamen roten Augen durchstreiften das Land, berührten jene Menschen, die am Boden dahinkrochen, und machten sich an ihnen zu schaffen, bis sie ihre Konturen verloren hatten und unkenntlich wurden.

Der Anblick war ein Alptraum, der Par und Coll Ohmsford mit einem solchen Entsetzen erfaßte, daß sie glaubten, selbst am Ort des Geschehens zu sein und daß die Schreie, die aus den Kehlen der gequälten Menschen drangen, ihre eigenen seien.

Dann verblaßte das Bild, und sie saßen wieder am Feuer. Der alte Mann beobachtete sie mit Adleraugen.

»Das war ein Teil meines Traums«, flüsterte Par.

»Das war die Zukunft«, erwiderte der alte Mann.

»Oder ein Trick«, murmelte Coll, den seine Furcht gelähmt hatte.

Der durchbohrende Blick des alten Mannes war auf sie gerichtet. »Die Zukunft ist so lange ein sich ständig verändernder Irrgarten von Möglichkeiten, bis sie zur Gegenwart wird. Die Zukunft, die ich euch heute abend vor Augen geführt habe, ist noch nicht festgelegt. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß die Zukunft genau so aussehen wird, wächst mit jedem Tag, der vergeht, an dem nichts unternommen wird, um das Übel abzuwenden. Wenn ihr sie verändern wollt, tut, wie ich euch geheißen habe. Geht zu Allanon! Hört auf das, was er euch sagt!«

Coll antwortete nichts, aus seinen Augen sprach noch immer Zweifel.

»Sag uns, wer du bist«, sagte Par leise.

Der alte Mann drehte sich zu ihm um, ließ seinen Blick kurz auf ihm ruhen, wandte sich dann von ihm ab und starrte in die Dunkelheit hinaus, so als ob es dort Welten gäbe, die nur er zu sehen vermochte. Schließlich sah er sie wieder an und nickte. »Nun gut, ich habe einen Namen, den ihr beide schnell genug wiedererkennen solltet. Ich heiße Cogline.«

Einen Augenblick schwiegen Par und Coll. Dann fingen sie gleichzeitig an zu sprechen.

»Cogline, der gleiche Cogline, der im Ostland gelebt hat mit…?«

»Meinst du den gleichen Mann, der Kimber Boh…?«

Er unterbrach sie ungeduldig. »Ja, ja. Wie viele Coglines kann es denn schon geben!« Er runzelte die Stirn, als er den Ausdruck auf ihren Gesichtern bemerkte. »Ihr glaubt mir wohl nicht, was?«

Par atmete tief ein. »Cogline war schon zu Zeiten Brin Ohmsfords ein alter Mann. Das war vor dreihundert Jahren.«

Ganz unerwartet lachte der andere. »Ein alter Mann! Was weißt du schon von alten Männern, Par Ohmsford? Tatsache ist, daß du keinen blassen Schimmer hast!« Er lachte und schüttelte dann den Kopf. »Hör zu. Allanon hat fünfhundert Jahre gelebt, bevor er starb! Das stellst du doch nicht in Frage, oder? Ich glaube nicht, da du ja die Geschichte so bereitwillig erzählst! Was ist also so erstaunlich daran, daß ich seit dreihundert Jahren lebe?« Er hielt inne, und der Ausdruck in seinen Augen war überraschenderweise schelmisch. »Meine Güte, was hättest du erst gesagt, wenn ich dir erzählt hätte, daß ich tatsächlich schon sehr viel länger lebe?« Mit einer Handbewegung tat er die Ant-wort ab. »Nein, laß nur, bemüh dich nicht. Beantworte mir statt dessen folgende Frage. Was weißt du über mich? Über den Cogline aus deinen Geschichten? Sag’s mir.«

Verwirrt schüttelte Par den Kopf. »Daß er ein Einsiedler war und mit seiner Enkelin Kimber Boh im Wildewald gelebt hat.

Daß meine Vorfahrin Brin Ohmsford und ihr Gefährte Rone Leah ihn gefunden haben, als sie…«

»Ja, ja, aber was weißt du über ihn? Denk doch darüber nach, wie du mich jetzt kennengelernt hast.«

Par hob die Schultern. »Daß er Pulver benutzte, das explodierte. Daß er sich mit den alten Wissenschaften beschäftigte.« Er erinnerte sich jetzt an die Einzelheiten aus den Geschichten über Cogline, und während sie ihm durch den Sinn gingen, mußte er zugeben, daß die Behauptungen des alten Mannes vielleicht doch nicht so weit hergeholt waren. »Er verfügte über die verschiedensten Zauberkräfte, über all die, die die Druiden gehabt hatten. Du meine Güte! Wenn du Cogline bist, mußt du immer noch über die Zauberkräfte verfügen. Stimmt’s? Ist deine Magie der meinen ähnlich?«

Coll blickte plötzlich sorgenvoll drein. »Par!«

»Wie deine?« fragte der alte Mann schnell. »Magie wie im Wunschlied? Nie und nimmer! Keinesfalls so unberechenbar wie die! Daran hat die Magie der Druiden und Elfen schon immer gekrankt – daß sie so unberechenbar war! Die Zauberkraft, über die ich verfüge, basiert auf Wissenschaften und wurde in jahrelanger Praxis erprobt. Sie wirkt nicht aus eigenem Antrieb; sie entwickelt sich nicht wie lebendige Materie!« Mit einem grimmigen Lächeln auf seinem alten Gesicht hielt er inne. »Aber andererseits muß ich zugeben, daß meine Zauberkraft nicht singen kann.«

»Bist du wirklich Cogline?« fragte Par leise, wobei seine Stimme sein Staunen verriet.

»Ja«, flüsterte der alte Mann. »Ja, Par.« Er drehte sich geschwind zu Coll um, der im Begriff war, ihn zu unterbrechen, und legte einen schmalen, knochigen Finger auf seine Lippen. »Pst, junger Ohmsford, ich weiß, daß du mir immer noch nicht glaubst, und dein Bruder auch nicht, aber hört mir einen Augenblick zu. Ihr seid Kinder aus dem Elfenhaus von Shannara. Es waren ihrer nicht viele, und immer wurden hohe Erwartungen an sie gestellt. Ich glaube, man wird euch das Gleiche abverlangen. Vielleicht sogar noch mehr. Es ist mir nicht gestattet, in die Zukunft zu schauen. Wie ich euch schon sagte, bin ich nur ein Bote, und nicht einmal ein besonders guter. Ein unfreiwilliger Bote, um die Wahrheit zu sagen. Aber ich bin der einzige, der Allanon geblieben ist.«

»Aber warum gerade du?« warf Par ein, und sein schmales Gesicht hatte jetzt einen sorgenvollen Ausdruck.

Der alte Mann zögerte. Es herrschte eine Totenstille, als er zu sprechen begann. »Weil ich irgendwann einmal ein Druide war, aber das ist so lange her, daß ich mich kaum noch daran erinnere. Ich studierte die Gesetze der Magie und die Gesetze der alten Wissenschaften und entschied mich für die letzteren. Ich habe damit jeglichen Anspruch auf die ersteren aufgegeben. Allanon kannte mich, oder besser gesagt, er hatte von mir gehört, und erinnerte sich an mich. Nein, wartet. Ich habe ein bißchen übertrieben, als ich sagte, ich sei ein Druide gewesen. Das stimmt nicht, denn ich war lediglich ein Schüler. Aber Allanon hat sich trotzdem an mich erinnert. Als er mich aufsuchte, sprach er zu mir von Druide zu Druide, obwohl ich zugeben muß, daß er nicht viel gesagt hat. Er hat niemanden außer mir, der das, was getan werden muß, tun könnte, das heißt, dich und die anderen aufzusuchen und sie von der Richtigkeit der Träume zu überzeugen. Ihr habt die Träume inzwischen alle geträumt – Wren und Walker Boh und du. Ihr habt alle erfahren, welche Gefahren die Zukunft in sich birgt. Aber keiner hat reagiert. Deshalb hat er mich geschickt.«

Mit einem Blinzeln versuchte er die Erinnerung zu verscheuchen. »Ich war einst ein Druide, und ich übe die Magie der Druiden auch heute noch aus. Keiner hat davon gewußt. Weder meine Enkelin Kimber noch eure Vorfahren, überhaupt niemand. Wißt ihr, ich habe viele verschiedene Leben gelebt. Der Cogline, der Brin Ohmsford zum Maelmord begleitet hat, war Cogline der Einsiedler, ein halber Wahnsinniger und ein halber Krüppel, der immer seine magischen Pulver mit sich herumtrug, in die allerhand seltsames Zeug gemischt war. Das war ich damals; das war der Mensch, zu dem ich mich entwickelt hatte. Ich habe danach jahrelang gebraucht, noch lange nach dem Tod von Kimber, bis ich wieder in der Lage war, wieder wie ich selbst zu handeln und zu sprechen.«

Er seufzte. »Der Druidenschlaf hat mich am Leben erhalten. Ich kannte das Geheimnis; ich hatte es mir angeeignet, bevor ich die Druiden verließ. Es gab oftmals Zeiten, in denen ich keinen Gebrauch davon machen wollte, sondern bereit war, mich dem Tod auszuliefern, anstatt mich ans Leben zu klammern. Aber irgend etwas hat mich davon abgehalten, und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte es sehr wohl Allanon gewesen sein, der aus seinem Grab heraus dafür gesorgt hat, daß die Druiden nach seinem Tod wenigstens einen Sprecher hatten.«

Er bemerkte den fragenden Ausdruck in Pars Augen, kannte die Frage, noch bevor sie gestellt wurde, und schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nein, nicht ich. Ich bin nicht der Sprecher, den er braucht! Mir bleibt kaum genügend Zeit, um die Botschaft, die er mir aufgetragen hat, weiterzugeben. Allanon weiß das. Er würde mich nicht fragen, ob ich ein Leben führen will, das ich einst verschmäht habe. Er wird einen anderen fragen.«

»Mich?« fragte Par sofort.

Der alte Mann schwieg. »Vielleicht. Warum fragst du ihn nicht selbst?«

Keiner sprach ein Wort, als sie in der Dunkelheit um das Feuer herum kauerten. Die Schreie der Nachtvögel hallten schwach über das Wasser des Regenbogensees; es schien Par, als sei dieser gespenstische Klang irgendwie Ausdruck seiner eigenen Unsicherheit. »Ich möchte ihn fragen«, sagte er schließlich. »Ich glaube sogar, daß ich ihn fragen muß.«

Der alte Mann spitzte den Mund. »Dann mußt du es tun.«

Coll machte Anstalten, etwas zu sagen, besann sich aber dann eines Besseren. »Die ganze Angelegenheit will wohl bedacht sein«, sagte er schließlich.

»Dafür bleibt wenig Zeit«, brummte der alte Mann.

»Dann sollten wir die Zeit, die uns bleibt, nicht unnütz vergeuden«, erwiderte Coll sachlich.

Par schaute seinen Bruder einen Augenblick an, dann nickte er. »Coll hat recht. Ich muß darüber nachdenken.«

Der Alte zuckte die Schultern, gab auf diese Weise zu erkennen, daß er seine Aufgabe erledigt hatte, und erhob sich. »Ich habe dir die Nachricht, die mir aufgetragen wurde, überbracht. Deshalb werde ich mich jetzt wieder auf den Weg machen. Ich muß noch andere aufsuchen.«

Überrascht erhoben sich Par und Coll ebenfalls.

»Du verläßt uns jetzt, heute nacht noch?« fragte Par rasch. Irgendwie hatte er damit gerechnet, daß der alte Mann bei ihnen bleiben werde, um weiterhin zu versuchen, ihn vom Sinn der Träume zu überzeugen.

»Ich halte es für das Beste. Je eher ich meine Reise fortsetze, desto früher wird sie beendet sein. Ich habe dir ja gesagt, daß ich dich zuerst aufgesucht habe.«

»Aber wie willst du Wren und Walker finden?« wollte Coll wissen.

»Auf die gleiche Weise, wie ich euch gefunden habe.« Der alte Mann schnippte mit den Fingern, und ein silbriges Licht blitzte vor ihren Augen auf. Er grinste, was seinem Gesicht einen geisterhaften Ausdruck verlieh. »Magie!« Er streckte seine knochige Hand aus.

Par ergriff sie zuerst und stellte fest, daß der alte Mann seine Hand mit eisernem Griff festhielt. Coll erging es ebenso. Sie warfen einander Blicke zu.

»Ich möchte euch zum Abschied noch einen Rat geben«, sagte der alte Mann unvermittelt. »Ihr erzählt diese Geschichten, diese Sagen von Druiden, von Magie und von euren Vorfahren, und betet einfach herunter, was war und was jetzt vergangen ist. Das ist alles gut und schön, aber es wäre schade, wenn ihr darüber vergessen würdet, daß letztendlich nur das zählt, was hier und jetzt geschieht. Die Magie hat viele Zwecke, aber ihr gebraucht sie nur auf eine einzige Art. Ihr müßt herausfinden, was ihr sonst noch damit anfangen könnt. Und das könnt ihr erst dann, wenn ihr sie versteht. Ich habe den Verdacht, daß ihr sie überhaupt nicht versteht.«

Er musterte sie kurz, bevor er sich umdrehte und in die Dunkelheit hineinstapfte. »Vergeßt nicht, die erste Nacht des neuen Mondes!« Als seine Gestalt nur noch ein Schatten war, blieb er plötzlich stehen und schaute zurück. »Noch etwas, woran ihr denken solltet!« Seine Stimme hatte mit einemmal einen schneidenden Ton. »Die Schattenwesen sind nicht bloß Gerüchte und Ammenmärchen. Sie sind so wirklich wie ihr und ich. Möglicherweise habt ihr bis heute nicht daran geglaubt, aber jetzt solltet ihr es besser wissen. Sie werden auf euch warten, wo ihr auch hingeht. Diese Frau, sie war auch eine von ihnen. Sie hat herumgeschnüffelt, weil sie gespürt hat, daß ihr die Zauberkraft besitzt. Und die anderen werden das Gleiche tun.«

Er setzte sich wieder in Bewegung. »Alle möglichen Dinge werden hinter euch her sein«, ermahnte er sie leise. Keiner von beiden verstand, was er weiter vor sich hin murmelte, als er langsam in der Dunkelheit verschwand.

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