23

Der Nachmittag neigte sich dem Abend zu. Ein leichter Regen fiel auf die Stadt Tyrsis, der den Staub auf den Straßen glitschig machte. Sturmwolken hingen tief über den Bäumen des Volksparks. Er war leer.

Dann zerstörten Fußtritte die Stille, ein Getrampel von Stiefeln, und sechs in Mäntel und Kapuzen gehüllte Föderationssoldaten traten aus dem Grau. Zwei Amseln, die sich auf einer Birke niedergelassen hatten, blickten unruhig um sich. Ein zwischen Abfall herumstreunender Hund schlich schnell davon. In einem noch trockenen Hauseingang versuchte ein elternloses Kind sich gegen die Kälte zu schützen und lugte vorsichtig aus seinem Unterschlupf hervor. Ansonsten regte sich nichts. Die Straßen waren verlassen, die Stadt hatte sich zur Ruhe begeben und in der feuchten, ungemütlichen Dunkelheit ihre Augen geschlossen.

Padishar Creel führte die kleine Gruppe über den Platz auf der Tyrsian-Allee in den Park hinein. Sie waren nicht voneinander zu unterschieden. Sie hatten den ganzen Weg vom Lagerhaus ohne Schwierigkeiten zurückgelegt und fast kein einziges lebendiges Wesen angetroffen. Alles verlief nach Plan.

Par Ohmsford beobachtete, wie die schwachen Umrisse des Wachhauses durch die Bäume sichtbar wurden. Er zog seine Schultern ein, um sich vor der Kälte des Regens zu schützen. Er wußte, daß er nahe daran war, die Gewalt über sich zu verlieren. Er hatte schon früher Angst gehabt – als Coll und er aus Varfleet geflohen waren, als sie unterhalb des Runnegebirges von der Waldfrau bedroht wurden, als Cogline ihnen erklärte, was sie zu tun hatten, als sie bei Nacht und Nebel mit Morgan den Regenbogensee überquerten, als sie in den Wäldern des Anar mit dem Riesen kämpften, als sie im Wolfsktaaggebirge dem Nager entflohen und als er von den Spinnengnomen und der Kindfrau, die in Wirklichkeit ein Schattenwesen war, gefangengenommen wurde. Er hatte Angst gehabt, als Allanon erschienen war. Aber seine Angst damals und seither war nichts im Vergleich mit dem, was er jetzt fühlte. Er verspürte Todesangst.

Er kämpfte mit der Trockenheit, die sich in seinem Hals bemerkbar machte, und versuchte sich einzureden, daß alles in Ordnung sei. Das Gefühl hatte ihn ganz plötzlich überfallen. Er hielt es für sinnlos, den anderen von dem, was er empfand, zu erzählen. Im Grunde genommen hätte er nichts sagen können, was von Bedeutung gewesen wäre – er hätte nur sagen können, daß er sich fürchtete, ja, daß er Todesängste ausstand. Und was, fragte er sich, fühlten die anderen?

Ein Windstoß schüttelte die tropfnassen Bäume und ließ die Tropfen auf ihn herunterprasseln. Er leckte sie von den Lippen ab und hieß die kühle Feuchtigkeit willkommen.

»Allanon!« Er flüsterte den Namen des Druiden wie ein Gebet. »Warum hilfst du mir nicht?« Aber ein Geist, das wußte er, konnte niemandem helfen. Hilfe boten nur die Lebenden.

Es blieb keine Zeit mehr zu denken, keine Zeit, sich ob der Entscheidungen, die nicht mehr zu ändern waren, zu quälen, und keine Zeit, die bereits getroffenen zu beklagen. Die Bäume lichteten sich, und sie standen vor dem Wachhaus. Die zwei diensttuenden Föderationssoldaten standen stramm, als sie sich näherten.

Padishar Creel zögerte niemals. Er ging schnurstracks auf sie zu, teilte ihnen Sinn und Zweck ihres Kommens mit, machte einen Witz über das Wetter und veranlaßte sie so, ihnen das Tor zu öffnen. Mit eng um sich gezogenen Umhängen eilte die kleine Gruppe ins Innere.

Die Männer der Nachtwache, sechs an der Zahl, saßen beim Kartenspiel um einen Holztisch herum und blickten bei ihrem Eintreten kaum auf. Der diensthabende Offizier war nirgendwo zu sehen.

Padishar Creel schielte über seine Schulter und forderte Morgan, Stasas und Drutt mit einem schwachen Kopfnicken auf, sich um den Tisch zu verteilen.

Als sie ihre Plätze einnahmen, blickte einer der Kartenspieler argwöhnisch auf. »Wer seid ihr?« wollte er wissen.

»Reinigungskommando«, antwortete Padishar Creel. Er trat hinter den Sprecher und beugte sich hinunter, um in seine Karten zu schauen. »Das ist ein schlechtes Blatt, mein Freund.«

»Verschwinde, du machst mich ja naß«, beschwerte sich der andere.

Padishar Creel schlug mit der Faust gegen seine Schläfe, und der Mann fiel um wie ein Stein. Ein zweiter folgte fast ebenso schnell. Die Wachen sprangen schreiend von ihren Plätzen auf, aber die Geächteten und Morgan streckten sie innerhalb von Sekunden nieder. Par und Coll begannen Seile und Tücher auszupacken.

»Schleift sie in die Schlafquartiere und fesselt und knebelt sie«, flüsterte Padishar Creel. »Sorgt dafür, daß sie nicht fliehen können.«

Sie vernahmen ein kurzes Klopfen an der Tür. Padishar Creel wartete, bis die Wachen weggeschafft waren, und öffnete dann das Guckloch. »Alles in Ordnung«, versicherte er den Wachtposten, die geglaubt hatten, ein Geräusch zu hören.

Nachdem die Männer der Nachtwache sicher in den Schlafquartieren untergebracht waren, schloß Padishar Creel die Tür und verriegelte sie. Er zögerte, bevor er befahl, die Eingangstüren ebenfalls zu verriegeln. »Es hat keinen Sinn, ein Risiko einzugehen«, erklärte er. Sie konnten niemanden zurücklassen, der dafür sorgte, daß sie nicht gestört wurden.

Die mitgebrachten Öllampen beleuchteten ihren Weg, als sie in der Dunkelheit die Treppe zu den Gewölben des Wachhauses hinabstiegen. Im unteren Stockwerk fanden sie den wachhabenden Offizier schlafend vor – einen neuen Mann, nicht denjenigen, der auf sie gewartet hatte, als sie versuchten, in die Schlucht hinabzusteigen. Diesem erging es nicht besser als den anderen. Sie überwältigten ihn mühelos und fesselten und knebelten ihn, bevor sie ihn in seinem Zimmer einschlossen.

»Laßt die Lampen hier«, befahl Padishar Creel.

Sie gingen an den Räumen des wachhabenden Offiziers vorbei zum Ende des Korridors. Dort stießen sie auf eine eisenbeschlagene Tür, die doppelt so groß war wie der Größte von ihnen, der lange Drutt. Ein riesiger Türgriff, verziert mit dem Wolfskopfabzeichen der Sucher, ragte ihnen entgegen. Padishar Creel faßte mit beiden Händen zu und drückte die Klinke nach unten. Das Schloß gab nach, und die Tür sprang auf. Dunkelheit und der Gestank von Verfall schlugen ihnen entgegen.

»Bleibt dicht beisammen«, flüsterte Padishar Creel über seine Schulter und trat in das Dunkel hinein.

Coll streckte die Hand aus und drückte Pars Schulter, bevor er dem anderen folgte.

Sie befanden sich inmitten eines Waldes aus Baumstämmen, Gestrüpp und undurchdringlichem Nebel. Das dichte, herabhängende Laubwerk der Bäume über ihnen nahm ihnen auch das letzte verbleibende Tageslicht. Schlamm blubberte in kleinen Pfützen überall, wo sie hintraten. Fliegende Kreaturen bahnten sich in zickzackförmigen Bewegungen ihren Weg durch den Dschungel – ob Vögel oder weniger angenehme Kreaturen, konnten sie nicht ausmachen. Gerüche überfielen sie, doch gleichzeitig noch Schlimmeres, etwas noch Ekelhafteres. Geräusche drangen aus dem Schlamm an ihre Ohren, unkenntlich, bedrohlich. Die Schlucht schien wie eine endlose Düsternis.

Padishar Creel bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Drutt ging als erster, dann Coll, Par, Morgan und Stasas. Vorsichtig bahnten sie ihren Weg am Rand der Schlucht entlang und hielten sich in Richtung der Trümmer der alten Sendic-Brücke. Par und Coll trugen Greifhaken und Seile, die anderen gezogene Waffen. Par blickte nach hinten und sah, wie das Schwert von Leah schwach in Morgans Hand funkelte und der Regen auf das glänzende Metall tröpfelte.

Der Boden unter ihren Füßen war weich und nachgiebig, hielt jedoch ihrem Gewicht stand, als sie sich stetig der Düsternis näherten. Die Schlucht glich einem riesigen, wartenden Schlund, aus dem der Geruch von bereits Gegessenem drang und dessen Atem der Nebel war, der sie umhüllte. Allerlei Dinge wanden und schlängelten sich durch die stehenden Tümpel, rannen an verfaulenden Baumstümpfen herunter und huschten gleich Quecksilber durch das Gestrüpp. Die Stille war betäubend. Nur der Regen, der stetig niederging, war zu hören, als er im Schlamm versickerte.

Es schien Par, als wären sie schon sehr lang gegangen. Die Minuten dehnten sich endlos. Wie weit konnte es wohl noch bis zur verfallenen Brücke sein? fragte er sich. Mit Sicherheit hätten sie bereits dort sein müssen. Er fühlte sich in der Schlucht gefangen, die von der Wand zur Linken, den Bäumen und dem Nebel zur Rechten und der Dunkelheit und dem Regen über ihnen und um sie herum begrenzt wurde. Die schwarzen Umhänge seiner Gefährten ließen sie wie Trauernde bei einem Begräbnis erscheinen, wie Leichenträger.

Dann blieb Padishar Creel stehen und lauschte. Par hatte es ebenfalls gehört – ein Zischen, das aus dem tiefen Schlamm an sein Ohr drang, als ob Dampf aus einem Kessel entwiche. Die anderen reckten die Hälse und sahen sich um. Das Zischen verstummte, und wieder wurde die Stille nur durch ihr Atmen und den Regen durchbrochen.

Padishar Creels breites Schwert schimmerte, als er sie erneut weiterwinkte. Er führte sie jetzt schneller voran, als spüre er die heraufziehende Gefahr und die Notwendigkeit, das schnelle Vorankommen über die Vorsicht zu stellen. Riesige Baumstämme, die wie stumme Wächter schienen, tauchten vor ihnen auf, um sogleich wieder in die Finsternis einzutauchen.

Par spürte plötzlich, daß irgend etwas sie beobachtete. Seine Nackenhaare sträubten sich bei dem Gefühl der auf sie gerichteten Blicke, und er sah sich eilig um. Keine Bewegung war im Nebel auszumachen; nichts war zu sehen.

»Was ist los?« flüsterte ihm Coll ins Ohr, aber er brachte nur ein Kopfschütteln zustande.

Ganz unvermittelt erblickten sie die Steinbrocken der zerfallenen Sendic-Brücke, die wie riesige Zähne aus dem dichten Wald aufragten. Padishar Creel drängte vorwärts, die anderen folgten ihm. Sie drangen tiefer in den Wald ein. Die Schlucht schien sie mit ihrem Nebel und ihrer Dunkelheit zu verschlingen. Teile der Brücke lagen verstreut auf dem Waldboden; moosbedeckt und zerfallen, wirkten sie gespenstisch im schwachen Licht.

Par atmete tief ein. Die Legenden berichteten, daß das Schwert von Shannara mit der Klinge nach unten in einen Block aus rotem Marmor eingepflanzt und dieser im Schutz der Sendic-Brücke in einem Kuppelbau aufgestellt worden sei.

Es mußte da sein, irgendwo in der Nähe.

Er zögerte. Würde es ihm überhaupt gelingen, den Kuppelbau zu betreten?

Er ließ seinen Blick durch den Nebel schweifen. Was würde geschehen, wenn es unter den Trümmern der Brücke begraben lag? Wie sollten sie dorthin gelangen?

Die Felswände erhoben sich drohend im dichten Nebel. Er sah den westlichen Flügel des zerfallenen Palastes der Könige von Callahorn als einen dunklen Schatten zwischen den Bäumen. Er spürte, wie es ihm den Hals zuschnürte. Sie befanden sich fast an der anderen Wand der Schlucht. Wo sollten sie noch suchen?

Ich werde diesen Ort nicht ohne das Schwert von Shannara verlassen, schwor er sich stumm. Das Feuer seines Entschlusses brannte in ihm, als wolle es das Versprechen besiegeln.

Dann vernahmen sie wieder das Zischen, diesmal viel näher. Es schien, als käme es aus mehreren Richtungen gleichzeitig. Padishar Creel verlangsamte seinen Schritt, blieb stehen und drehte sich vorsichtig um. Mit Drutt und Stasas zu seiner Linken und Rechten trat er schützend vor die Talbewohner und den Hochländer und bewegte sich dann vorsichtig weiter.

Das Zischen wurde lauter. Doch es war kein Zischen mehr, sondern ein lautes Atmen.

Außer sich vor Schreck blickte sich Par in der Dunkelheit um. Irgend etwas kam ihnen entgegen, das gleiche Etwas, das Ciba Blue vernichtet hatte und all jene vor ihm, die in die Schlucht hinabgestiegen und nie wieder herausgekommen waren. Die Gewißheit erschreckte ihn zu Tode. Und trotzdem hielt er nicht wirklich nach ihrem Verfolger Ausschau. Es war der Kuppelbau, in dem sich das Schwert von Shannara befand, den er suchte. Er suchte mit der Kraft der Verzweiflung. Plötzlich sah er ihn im Geiste vor sich, so klar, als hielte ihm jemand ein Bild vor Augen.

Etwas Eigenartiges schien mit ihm zu geschehen.

Er spürte eine plötzliche Anspannung in seinem Körper, die scheinbar mit der Magie des Wunschliedes zusammenhing. Er spürte ein Ziehen und Zerren, das an Fesseln rüttelte, die er weder sah noch verstand. Er spürte einen Druck in sich, den er noch nie zuvor verspürt hatte.

Coll sah ihn an und wurde blaß. »Par?« flüsterte er ängstlich und schüttelte ihn.

Rote Lichtstrahlen tauchten aus dem Nebel um sie herum auf und brannten wie winzige Feuer in der Feuchtigkeit. Sie bewegten sich und kamen näher. Gesichter tauchten auf, kaum mehr menschlich, das Fleisch verfault und zerfressen, die Züge entstellt und abstoßend. Körper watschelten aus der Finsternis, unglaublich mißgestaltet. Die meisten gingen gebeugt; einige krochen auf allen vieren.

Sie umringten die kleine Gruppe in wenigen Sekunden. Es waren Wesen aus einem ekelerregenden Alptraum. Dunkle, körperlose Gespenster traten aus ihren Körpern heraus und wieder hinein, aus Mündern und Augen, aus den Poren der Haut und den Spitzen der Haare. Schattenwesen.

Der Druck, der auf Par Ohmsford lastete, wurde unerträglich. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Er sah seine Träume lebendig werden, die dunkle Welt der Schattenwesen. Es war, als erfülle sich Allanons Versprechen hier und jetzt.

Er schrie, und der schrille Schrei ließ seine Gefährten erschauern. Der Schrei artikulierte sich in Worten. Er sang, und das Wunschlied zerriß die Luft gleich einer Flamme; die Magie brachte Licht in die Dunkelheit. Die Schattenwesen fuhren zurück, ihre Gesichter gleich schauerlichen Fratzen in der unerwarteten Helligkeit, die Wunden ihrer Körper gleich leuchtend roten Malen. Par versteifte sich, als er von einer Macht des Wunschliedes durchströmt wurde, wie er sie nicht für möglich gehalten hätte. Er war sich seiner Vision bewußt, der Vision des Schwertes von Shannara.

Das Licht der Magie, das zu Anfang nur eine Illusion gewesen war, wurde plötzlich Wirklichkeit. Es wurde heller, es durchbohrte die Dunkelheit auf eine Art, die Par seltsamerweise bekannt vorkam, es leuchtete strahlend, als es die Düsternis durchdrang. Es wand und drehte sich wie ein gefesselten Wesen, das zu entkommen sucht, schlängelte sich um die Trümmer der zerstörten Sendic-Brücke, sprang über Baumstämme, brannte sich durch das Gestrüpp hin zu einer alleinstehenden Steinkammer, die ungefähr hundert Meter von seinem Standort inmitten von Buschwerk und Geäst verborgen lag.

Er spürte, wie eine Woge der Erregung ihn durchströmte.

Da.

Das Wort zischte durch die weiße Stille seines Geistes, unberührt von Magie und Chaos. Er sah den verwitterten schwarzen Stein, und das Licht seiner Magie brannte sich in seine rauhe Oberfläche, durchstreifte seine Spalten und Ritze, erkannte die verschnörkelten eingemeißelten Worte: »Hier liegt Herz und Seele der Nationen, ihr Recht, freie Menschen zu sein, ihr Wunsch, in Frieden zu leben, ihr Mut…«

Plötzlich verließ ihn seine Kraft, noch bevor er zu Ende lesen konnte, und die Magie flackerte noch einmal auf, bevor sie sich ebenso schnell, wie sie gekommen war, wieder auflöste. Mit einem Aufschrei taumelte er nach hinten, und Coll fing ihn auf. Par hörte ihn nicht. Er hörte überhaupt nichts, außer dem seltsamen Klingeln, dem letzten Überbleibsel des Wunschliedes, Fragmente einer Magie, die er, wie er jetzt erkannte, noch nicht einmal begonnen hatte zu begreifen.

In seinem Geist verweilte die Vision, ein flimmerndes Bild in seinen Gedanken – das war alles, was von dem blieb, was die Magie nur wenige Minuten zuvor im Nebel und in der Dunkelheit enthüllt hatte.

Die verwitterte Steinkuppel. Die vertrauten verschnörkelten Worte. Das Schwert von Shannara.

Dann hörte das Klingeln auf, die Vision verblaßte, und er befand sich wieder in der Schlucht, all seiner Kräfte beraubt. Die Schattenwesen kamen näher, humpelten aus allen Richtungen auf sie zu, drängten sie mit dem Rücken gegen die Trümmer der Brücke. Padishar Creel, groß und furchteinflößend, trat einen Schritt vor, um es mit dem am nächsten stehenden Schattenwesen, einem riesigen bärenhaften Ding mit Krallen, aufzunehmen. Es faßte nach ihm, und er hieb mit seinem breiten Schwert darauf ein, einmal, zweimal, ein drittes Mal, mit so schnell aufeinanderfolgenden Hieben, daß Par ihnen kaum folgen konnte. Mit hängenden Gliedmaßen sackte die Kreatur zusammen, doch sie fiel nicht zu Boden. Sie schien kaum zu begreifen, was mit ihr geschehen war; ihre Augen waren starr, ihre Gesichtszüge in Pein verzerrt.

Par beobachtete das Schattenwesen. Seine Gliedmaßen fügten sich in der gleichen Weise zusammen wie die des Riesen, mit dem sie im Anar gekämpft hatten. »Padishar, das Schwert…«, begann er, aber der Anführer der Geächteten schrie ihnen bereits zu, sich auf dem gleichen Weg, wie sie gekommen waren, wieder zurückzuziehen.

»Nein!« schrie Par verzweifelt auf. Es wollte ihm nicht gelingen, die Sicherheit, die er spürte, in Worte zu fassen. Sie mußten zu dem Schwert gelangen. Er raffte sich auf, versuchte sich dem Griff Colls zu entwinden, doch sein Bruder ließ ihn nicht los, sondern schleifte ihn hinter den anderen her.

Mit der ihnen eigenen Eile griffen die Schattenwesen an. Stasas ging zu Boden und wurde von seinen Gefährten weggezerrt. Seine Kehle wurde durchschnitten, und dann fuhr etwas Dunkles in seinen Körper, während er in den letzten Zügen lag. Dieses Etwas ließ ihn hochschnellen, wirbelte ihn herum, so daß er ihnen gegenüberstand, und machte ihn zu einem weiteren Angreifer. Mit den Schwertern wild um sich schlagend, zog sich der Rest der Gruppe weiter zurück. Ciba Blue erschien, oder zumindest das, was von ihm übrig geblieben war. Mit übermenschlichen Kräften gebot er Drutts Schwert Einhalt, ergriff seine Arme und schlang sich wie eine Klette um seinen ehemaligen Gefährten. Der Geächtete schrie vor Schmerzen, als zuerst ein Arm und dann der andere aus seinem Körper gerissen wurde. Danach war es sein Kopf. Er blieb zurück, dort, wo Ciba Blues Überreste ihn gleich einem Blutegel aussaugten.

Bedrängt von allen Seiten, war Padishar Creel jetzt ganz allein. Nur seiner Schnelligkeit und seiner Stärke hatte er es zu verdanken, daß er noch am Leben war. Auf der einen Seite täuschte er einen Angriff vor, um auf der anderen Hiebe auszuteilen, und wich zugleich den Fingern aus, die nach ihm griffen. Angesichts der Überzahl der Schattenwesen blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als zurückzuweichen.

Schließlich war es Morgan Leah, der ihm das Leben rettete. Der Hochländer vergaß einen Augenblick seine Rolle als Beschützer von Par und Coll und eilte dem Anführer der Geächteten zu Hilfe. Sein rotes Haar flog wild durch die Luft, als er sich auf die Schattenwesen stürzte. Das Schwert von Leah fuhr in großem Bogen nach unten, und Funken stoben in die Luft, als es auftraf. Zauberkraft durchströmte die Klinge, ergoß sich in die dunklen Wesen und verbrannte sie zu Asche. Zwei lösten sich auf, dann drei, dann noch mehr. Padishar Creel kämpfte unerbittlich an seiner Seite, und schließlich gelang es ihnen gemeinsam, eine Bresche durch die sie umgebenden Augen zu schlagen, während sie Par und Coll aus Leibeskräften zuschrien, ihnen zu folgen. Die Talbewohner torkelten hinter ihnen her, wobei sie versuchten, den Schattenwesen auszuweichen, denen es gelungen war, sich hinter sie zu drängen. Par verlor alle Hoffnung, das Schwert doch noch zu erringen. Zwei von ihnen waren bereits tot, und auch die übrigen mußten ihr Leben lassen, wenn es ihnen nicht gelang, sich augenblicklich aus dem Staub zu machen.

Sie taumelten dem Abhang der Schlucht zu und versuchten gleichzeitig die Schattenwesen abzuwehren, wobei die Zauberkraft des Schwertes von Leah die Bestien in Schach hielt. Sie schienen überall zu sein, so, als wäre die Schlucht ein Nest, in dem sie sich vermehrten. Ebenso wie die Waldfrau und der Riese schienen auch ihnen herkömmliche Waffen nichts anhaben zu können. Nur Morgan konnte sie vernichten; er besaß eine Zauberkraft, der sie nicht widerstehen konnten.

Ihr Rückzug ging quälend langsam vonstatten. Morgan wurde müde, und in dem Maße, in dem seine eigene Stärke schwand, schwand auch die Macht des Schwertes von Leah. Sie rannten, wenn sie konnten, aber immer häufiger stellten sich ihnen die Schattenwesen in den Weg. Par versuchte vergeblich die Magie des Wunschliedes zu beschwören, doch sie war durch nichts zu erwecken. Er versuchte nicht daran zu denken, was dies bedeuten konnte, sondern mühte sich immer noch ab, das zu verstehen, was passiert war, zu begreifen, wie die Magie zum Leben erwacht war. Wie hatte es nur geschehen können, daß er die Gewalt darüber verloren hatte?

Irgendwie erreichten sie die Wand der Schlucht und blieben erschöpft stehen. Aus dem Park über ihnen ertönten Schreie, und Fackeln flackerten. Ihr Kampf mit den Schattenwesen hatte die Föderationswache alarmiert.

»Die Greifhaken!« keuchte Padishar Creel.

Par hatte seine verloren, doch die Colls hingen immer noch über seiner Schulter. Der Talbewohner trat zurück, wickelte das Seil ab und schwang das schwere Eisen hoch in die Luft. Es flog außer Sichtweite und hakte sich fest. Coll prüfte die Haltbarkeit und stellte fest, daß das Seil seinem Gewicht standhielt.

Padishar Creel wandte sich an Par. »Zieh dich hoch«, befahl er mit rauher Stimme. Sein Atem ging stoßweise. »Auch du, Coll. Zieht euch hoch, bis ihr oben seid, und versteckt euch dann im Park. Damson wird euch finden und euch zum Zeigefinger führen.«

»Damson«, wiederholte Par benommen.

»Vergiß deinen Verdacht und meinen auch«, flüsterte der Anführer der Geächteten schroff. Eine Spur von Traurigkeit lag in seinen harten Augen. »Vertrau ihr, mein Junge – sie ist mein besseres Selbst!«

Die Schattenwesen drangen noch einmal aus der Dunkelheit hervor; ihr Atem war ein langsames Zischen in der Nachtluft. Morgan hatte die Wand bereits verlassen, um sich ihnen entgegenzustellen. »Mach, daß du hier wegkommst, Par«, rief er über seine Schulter.

»Zieh dich hoch!« schnauzte Padishar Creel. »Jetzt!«

»Aber du…«, setzte Par an.

»Zum Teufel nochmal!« platzte der andere heraus. »Ich sorge zusammen mit dem Hochländer dafür, daß ihr fliehen könnt! Laß dir diese Gelegenheit nicht entgehen!« Unsanft packte er Par bei den Schultern. »Was auch mit uns anderen geschieht, wichtig ist, daß du lebst! Nur die Shannara-Magie kann diesen Kampf eines Tages gewinnen, und du bist derjenige, der über sie gebieten wird. Los jetzt!«

Jetzt war es Coll, der handelte, indem er Par halb schob und halb zum Seil hochhob. An den Knoten im Seil konnte er sich leicht festhalten. Er begann sich hochzuziehen, während sich seine Augen mit Tränen der Enttäuschung füllten. Coll folgte ihm und drängte ihn weiter; sein Gesicht war unter der Schweißschicht angespannt.

Par hielt nur einmal an, um nach unten zu sehen. Schattenwesen umringten Padishar Creel und Morgan Leah.

Er wandte den Blick wieder ab. Während er gegen seine Wut ankämpfte, kletterte er weiter in die Dunkelheit. Morgan Leah wandte sich nicht um, als das Kratzen der Stiefel an der Schluchtwand langsam verklang; seine Augen blieben auf die sie umkreisenden Schattenwesen geheftet. Er war sich darüber im klaren, daß Padishar Creel zu seiner Linken stand. Die Schattenwesen kamen ihnen nicht mehr näher; wachsam verharrten sie am Rand der dichten Nebelwand. Sie hatten erfahren, wozu Morgans Schwert in der Lage war, und waren vorsichtiger geworden.

Geistlose Wesen, dachte der Hochländer bitter. Man hätte annehmen können, daß ich ein besseres Ende nehmen würde! Er täuschte einen Angriff auf das nächststehende Schattenwesen vor, und sie wichen zurück.

Seine Müdigkeit zerrte an ihm gleich schweren Ketten. Er wußte, daß die Magie dafür verantwortlich war. Ihre Kraft, eine Art inneres Feuer, das von seinem Schwert ausging, hatte ihn durchströmt, doch was zunächst wie ein aufpeitschender Sturm gewesen war, hatte sich mit der Zeit in eine verzehrende Flut verwandelt. Doch da war noch etwas. Sein Körper war auf tückische Weise an die Magie gebunden, die ihn auf eine Art süchtig machte, die er sich nicht erklären konnte. Er fürchtete sich plötzlich davor, daß er vielleicht nicht in der Lage sein würde, von ihr zu lassen, bis er zu schwach war, um etwas anderes zu tun. Oder zu tot.

Er hörte nichts mehr von Par und Coll. Padishar Creel beugte sich zu ihm herüber. »Vorwärts, Hochländer!« sagte er leise.

Sie schlichen zunächst langsam fort und dann, als die Schattenwesen ihnen nicht sofort folgten, etwas schneller. Bald danach rannten sie; in Wirklichkeit jedoch stolperten sie, denn zu mehr fehlte ihnen die Kraft. Nebel umfing sie, graue Schwaden in der Nacht. Die Bäume glitzerten im Dunst des niedergehenden Regens und schienen sich zu bewegen. Morgan hatte das Gefühl, in einen gefühllosen Halbschlaf einzutauchen.

Noch einmal griffen die Schattenwesen sie auf ihrer Flucht an, und jedesmal wurden sie mit der Magie des Schwertes von Leah zurückgeschlagen. Bizarre Körper überschlugen sich gleich langsam rollenden Felsbrocken und verwandelten sich zu Asche. Feuer brannten in der Nacht, schnell und lodernd, und Morgan hatte das Gefühl, daß bei jedem Aufleuchten ein Teil seines Selbsts verlorenging.

Er begann sich zu fragen, ob er sich, so merkwürdig dies auch schien, selbst zerstörte.

Über ihnen klangen die immer lauter werdenden Schreie wie trügerische Retter in der Not. Dort oben gab es keine Freunde, das wußte Morgan. Er stolperte und mußte all seine Kraft zusammennehmen, um wieder auf die Beine zu kommen.

Und dann kam endlich das Wachhaus in Sicht, ein verschwommener riesiger Turm, der aus den Bäumen und dem Nebel herausragte.

Morgan spürte undeutlich, daß irgend etwas nicht stimmte.

»Durch die Tür!« schrie Padishar Creel aufgeregt, während er ihn so heftig stieß, daß er beinahe fiel.

Gemeinsam rannten sie auf die Tür zu – oder zumindest in die Richtung, wo sie die Tür vermuteten, denn aus unerklärlichem Grund war sie nicht dort. Morgan spürte, wie Angst seinen Magen umdrehte.

Irgend jemand oder irgend etwas hatte ihre Flucht vereitelt!

Padishar Creel befand sich nur einen Schritt hinter ihm, als er die Wand des Wachhauses und die riesige Tür, durch die sie in die Schlucht gekommen waren, erreichte. Obwohl sie mit der Kraft der Verzweiflung an der Tür rüttelten, gab sie nicht nach. Morgans Finger tasteten den Rahmen ab und fanden zu seinem Entsetzen überall kleine Muster, die sie zuvor übersehen hatten, Runenzeichen, die blaß im grauen Nebel leuchteten und ihre Flucht zweifellos unmöglicher machten, als es jedes Schloß und jeder Schlüssel jemals vermocht hätten.

Er konnte hören, wie die Schattenwesen sich hinter ihm zusammenrotteten. Er wirbelte herum, hieb wie wahnsinnig auf sie ein und zwang sie so zur Umkehr. Padishar Creel hämmerte gegen das unsichtbare Schloß; er hatte noch nicht begriffen, daß es nicht Eisen, sondern Magie war, die ihnen den Zugang verwehrte.

Aus Morgans hagerem Gesicht sprach nichts als Zorn, als er sich umdrehte. »Bleib weg, Padishar!« schrie er. Er ging auf die Tür los, als wäre sie ein Schattenwesen, schwang das Schwert von Leah, dessen Klinge einem leuchtenden silbernen Pfeil glich, hoch in die Luft. Die Waffe fuhr wie ein Hammer hinunter – einmal, zweimal und noch einmal. Die in die eiserne Tür eingehauenen Runenzeichen nahmen jetzt eine garstige dunkelgrüne Farbe an. Funken flogen bei jedem Hieb, ein Feuerregen der Auflehnung. Wie von Sinnen heulte Morgan auf, denn die Zauberkraft des Schwertes beraubte ihn seiner letzten Kräfte.

Dann wurde alles um ihn herum in weißes Feuer getaucht, und er versank in Dunkelheit. Par zog sich aus der düsteren Schwärze zum Rand der Schlucht hoch und kletterte über die stählernen Spitzen. Schürf- und Schnittwunden brannten auf der Haut seiner Arme und Beine. Schweiß trübte seinen Blick, und sein Atem ging stoßweise. Einen Augenblick war er wie blind; die Nacht um ihn herum wurde nur durch vereinzelte Lichtstrahlen erhellt.

Er begriff, daß die Lichtstrahlen von den Fackeln ausgingen, die am Eingang des Wachhauses brannten. Gleichzeitig vernahm er Schreie und das Hämmern auf Holz. Die Wachen, und wer sonst herbeigerufen worden war, versuchten die verriegelte Tür aufzubrechen.

Coll war jetzt ebenfalls über die Mauer gestiegen und ließ sich keuchend auf die durchweichte Erde fallen. In seinen Augen funkelte etwas, das Par nicht deuten konnte.

»Kannst du gehen?« flüsterte Coll besorgt.

Par nickte, ohne zu wissen, ob er tatsächlich gehen konnte. Mit schmerzenden Gliedern rappelten sie sich langsam hoch. Sie stolperten von der Mauer in die Schatten der Bäume hinein, blieben dann in der Finsternis stehen, um zu sehen, ob man sie entdeckt hatte, und lauschten dem allgemeinen Durcheinander, das das Wachhaus umgab.

Coll rief: »Wir müssen hier weg, Par.« Dieser sah ihn anklagend an. »Ich weiß! Aber wir können ihnen nicht mehr helfen. Wenigstens jetzt nicht. Wir müssen uns um uns selbst kümmern.« Hilflos schüttelte er den Kopf. »Bitte!«

Par klammerte sich einen Augenblick an Coll fest und legte den Kopf auf seine Schulter, bevor sie vorwärts stolperten. Sie kamen nur langsam voran, hielten sich immer im Schatten und waren sorgsam darauf bedacht, dem Weg, der zum Wachhaus führte, nicht zu nahe zu kommen. Es hatte, ohne daß sie es bemerkt hatten, aufgehört zu regnen, doch Windstöße ließen das Wasser, das sich auf den Blättern der großen Bäume gesammelt hatte, in plötzlichen Güssen auf sie niedergehen. Pars Gedanken drehten sich um die Erinnerung daran, was mit ihnen geschehen war, flüsterten ihm erneut die Warnung zu, die er schon zuvor vernommen hatte, foppten ihn mit selbstzufriedener, nutzloser Heiterkeit. Warum hatte er sie nicht beachtet? Warum war er so stur gewesen?

Die Lichter der Tyrsian-Allee drangen durch die vor ihnen liegende Dunkelheit, und wenige Augenblicke später stolperten sie zum Rand der Straße. Menschen hatten sich dort versammelt, undeutliche Gestalten in der Nacht, gesichtslose Schatten als stumme Zeugen des stattfindenden Chaos. Die meisten befanden sich in der Nähe des Parkeingangs und sahen die zwei zerlumpten Gestalten nicht, die aus dem Park heraustraten. Diejenigen, die ihrer gewahr wurden, sahen schnell weg, als sie die Föderationsuniformen erkannten.

»Wohin gehen wir jetzt?« flüsterte Par, der sich, um nicht umzufallen, an Coll anlehnte. Er war kaum mehr fähig, sich aufrecht zu halten.

Coll schüttelte stumm den Kopf und zog seinen Bruder in Richtung Straße weg von den Lichtern. Sie hatten kaum das Kopfsteinpflaster erreicht, als sich eine schlanke Gestalt aus den Schatten etwa fünfzehn Meter vor ihnen löste und geradewegs auf sie zukam. Damson, dachte Par. Er flüsterte Coll ihren Namen ins Ohr, und sie verlangsamten erwartungsvoll ihre Schritte, während sie auf sie zueilte.

»Geht weiter«, sagte sie leise, während sie sich Pars freien Arm um die Schulter legte, um Coll zu entlasten. »Wo sind die anderen?«

Pars Augen richteten sich auf Damson Rhee. Langsam schüttelte er den Kopf und bemerkte den niedergeschlagenen Ausdruck auf ihrem Gesicht.

Hinter ihnen, tief im Park, loderte ein riesiges Feuer gen Himmel. Laute des Entsetzens entrangen sich denen, die auf der Straße versammelt waren. Die darauf folgende Stille war betäubend.

»Seht euch nicht um«, flüsterte Damson Rhee kurz.

Die Talbewohner brauchten sich nicht umzusehen. Morgan Leah lag, alle viere von sich gestreckt, auf der verbrannten Erde der Schlucht; Rauch drang aus seinen Kleidern und füllte seinen Mund und seine Nase mit einem beißenden Gestank. Irgendwie lebte er noch, das spürte er – gerade noch. Irgend etwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Er fühlte sich zerbrochen, als wäre unter seiner Haut alles zu Brei gemahlen worden und hätte ihn als leere Hülle zurückgelassen. Er spürte einen Schmerz, wenngleich es kein körperlicher Schmerz war. Es war viel schlimmer, eine Pein, die nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist zugrunde richtete.

»Hochländer!«

Padishar Creels rauhe Stimme drang durch seinen Schmerz und ließ ihn die Augen öffnen. Flammen wanden sich ganz in seiner Nähe am Boden entlang.

»Steh auf – schnell!« Padishar Creel stellte ihn auf die Beine, und er hörte sich selbst schreien. Ein Wirrwarr von Bäumen und Steinen bewegte sich verschwommen in Nebel und Dunkelheit, um schließlich Gestalt anzunehmen.

Dann sah er, daß er immer noch das Heft des Schwertes von Leah umklammert hielt, dessen Klinge jedoch zertrümmert war.

Morgan begann zu zittern. Er konnte nicht mehr aufhören. »Was habe ich getan?« flüsterte er.

»Du hast uns das Leben gerettet, mein Freund!« sagte Padishar Creel und schleppte ihn vorwärts. Licht strömte aus einem riesigen Loch in der Wand des Wachhauses. Die Tür, die ihnen den Zutritt versperrt hatte, war verschwunden. Padishar Creels Stimme klang heiser. »Deine Waffe hat es fertiggebracht. Deine Magie. Hat die Tür in Rauch aufgelöst! Das ist unsere Chance, das heißt, wenn wir schnell genug sind. Beeil dich jetzt! Stütz dich auf mich. Noch eine Minute…« Er schubste Morgan durch die Öffnung.

Nur verschwommen nahm Morgan den Korridor wahr, durch den sie hindurchstolperten, und die Treppe, die sie hinaufstiegen. Der Schmerz erfüllte auch weiterhin seinen Körper, so daß er, sobald er versuchte zu sprechen, nur unzusammenhängende Sätze formulieren konnte. Es gelang ihm nicht, den Blick von dem zerbrochenen Schwert abzuwenden. Sein Schwert – seine Magie – er selbst.

Schreie und heftiges Getrampel ließen ihn zusammenfahren. »Vorsicht jetzt«, warnte Padishar Creel; die Stimme des Anführers der Geächteten war ein einziges Dröhnen in Morgans Ohren, das von weit her zu ihm zu dringen schien.

Sie erreichten den Wachraum mit seinen Waffen und Geräten. Von außen wurde wie wild an die Eingangstüre gehämmert. Ihre eisernen Beschläge drohten zu brechen.

»Leg dich hin«, befahl Padishar Creel, der ihn an die eine Wand des Raumes lehnte. »Wenn sie reinkommen, sagst du gar nichts, du bleibst ganz ruhig. Komm, gib mir das.« Er streckte die Hand aus und löste Morgans kraftlose Finger, die das zerbrochene Schwert von Leah umklammerten. »Zurück in die Scheide damit, mein Junge! Wir werden uns später um die Reparatur kümmern.« Er steckte das Schwert in die Scheide zurück, tätschelte Morgans Wange und machte sich dann daran, die Tür zu öffnen.

Schwarzuniformierte Föderationssoldaten strömten schreiend in den Raum und füllten ihn mit einem erdrückenden Lärm. Padishar Creel schrie und brüllte zurück, während er sie die Treppe hinunter zu den Schlafquartieren führte. Morgan beobachtete das Geschehen, ohne irgend etwas zu verstehen oder auch nur verstehen zu wollen. Die Gleichgültigkeit, die er empfand, wurde nur durch das Gefühl des Verlustes übertroffen. Es war, als hätte sein Leben keinen Sinn und Zweck mehr, als ob ihm beides so gänzlich abhanden gekommen wäre wie die Klinge des Schwertes von Leah.

Keine Magie mehr, dachte er immer wieder. Ich habe sie verloren. Ich habe alles verloren.

Dann kam Padishar Creel zurück und führte ihn durch das Durcheinander des Wachhauses zur Eingangstür. Allerlei Gestalten drängten sich an ihnen vorbei, doch niemand hielt sie auf. »Eine schöne Bescherung, die wir mit unserer Nachtarbeit angerichtet haben«, murmelte Padishar Creel vor sich hin. »Ich hoffe nur, daß sie keine weiteren Folgen hat.« Geschwind zog er Morgan aus dem Lichtkreis des Wachhauses und in den schützenden Schatten des Parks.

Wenige Augenblicke später waren sie nicht mehr zu sehen.

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