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Par Ohmsford stand in der hinteren Tür des Bierhauses und starrte auf die dunkle schmale Straße zwischen den angrenzenden Häusern hinaus, die sich irgendwann in den flackernden Lichtern von Varfleet verlief. Das Bierhaus war ein langgestrecktes baufälliges altes Gebäude mit verwitterten Bretterwänden und Dachschindeln und sah im wahrsten Sinne des Wortes aus, als hätte es irgendwann einmal jemandem als Stall gedient. Im oberen Stockwerk über dem Schankraum und den hinteren Lagerräumen befanden sich die Schlafzimmer. Das Gebäude selbst stand auf einem Hügel am westlichen Rand der Stadt am Ende einer Reihe von Häusern, die alle zusammen in Hufeisenform angeordnet waren.

Par atmete tief die Nachtluft ein und genoß den Duft, den sie verströmte. Gerüche der Stadt, Gerüche des Lebens, Fleisch- und Gemüseeintöpfe mit den verschiedensten Gewürzen, stark riechende Schnäpse und herbe Biere, wohlriechende Düfte, Lederwerk, glühendes Eisen, das über glimmenden Kohlen geschmiedet wurde, der Schweiß von Tieren und Menschen, die auf engem Raum zusammen waren, der Geruch von Stein und Holz und Staub, der sich vermischte und gelegentlich einzeln wahrzunehmen war – er kannte sie alle. Am unteren Ende der Gasse, hinter den mit Brettern vernagelten und beschmierten Rückseiten der Läden, fiel der Hügel zur Mitte der Stadt hin ab. Die Stadt, die bei Tage nichts weiter war als eine häßliche und farblose Ansammlung von Gebäuden, ein Labyrinth von steinernen Mauern und Straßen, hölzernen Verschlagen und teergeschwärzten Dächern, zeigte bei Nacht ein anderes Gesicht. Die Gebäude verloren in der Dunkelheit ihre Umrisse. Tausende von Lichtern erhellten die Stadt und erstreckten sich wie ein riesiger Schwarm von Leuchtkäfern, so weit das Auge reichte. Sie übersäten die unsichtbare Landschaft und flackerten in der Finsternis, während sie auf ihrem Weg nach Süden goldene Spuren auf der flüssigen Haut des Mermidon hinterließen. Dann war Varfleet wunderschön, aus dem Aschenputtel war wie durch Zauberhand eine Prinzessin geworden.

Par freute sich an dem Gedanken, daß die Stadt von einem Zauber umgeben war. Er liebte die Stadt sowieso, liebte sie, wie sie sich vor ihm erstreckte, liebte die Menschen und Dinge, die miteinander verschmolzen, liebte das pulsierende Leben. All das ließ sich in keiner Weise mit Shady Vale, dem von Wald umgebenen Dorf, in dem er aufgewachsen war, vergleichen. Die Reinheit der Bäume und Flüsse, die Einsamkeit, das Gefühl der Sorglosigkeit, von der das Leben im Tal erfüllt war, gab es hier nicht. Die Stadt wußte nichts von jenem Leben und hätte sich auch nicht das Geringste daraus gemacht. Par machte sich darüber jedoch keine Sorgen. Er liebte die Stadt bedingungslos. Und schließlich gab es keine Anzeichen dafür, daß er sich zwischen den beiden entscheiden mußte. Es gab keinen Grund, warum er sich nicht an beiden erfreuen sollte.

Coll war natürlich anderer Meinung. Coll sah die Dinge ganz anders. In seinen Augen war Varfleet nichts weiter als eine gesetzlose Stadt am Rande der Föderationsherrschaft, ein Räubernest, ein Ort, an dem jeder nach seinen eigenen Gesetzen lebte. Für ihn gab es in ganz Callahorn, um nicht zu sagen im ganzen Südland, keinen schrecklicheren Ort als diesen. Coll haßte die Stadt.

Aus der Dunkelheit hinter ihm drangen Stimmen und der Klang klirrender Gläser, die Geräusche des Bierhauses, die durch eine offene Tür kurz zu hören waren, um dann, als die Tür wieder geschlossen wurde, zu verstummen. Par drehte sich um. Sein Bruder bewegte sich vorsichtig den Gang hinunter, sein Gesicht war in der Dunkelheit kaum auszumachen.

»Es ist fast Zeit«, sagte Coll, als er seinen Bruder erreichte.

Par nickte. Er wirkte klein und schmächtig im Vergleich mit Coll, einem großen, starken jungen Mann mit derben Zügen und gelblichen Haaren. Keiner, der sie nicht kannte, hätte sie für Brüder gehalten. Coll war ein typischer Mann aus dem Tal, gebräunt und derb, mit riesigen Händen und Füßen. Die Füße waren immer wieder Anlaß für Witze. Par verglich sie gern mit Entenfüßen. Er selbst war schmächtig und hellhäutig, seine Züge erinnerten, angefangen von seinen spitzen Ohren und Brauen bis hin zu seinen hohen, schmalen Backenknochen, unmißverständlich an einen Elfen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der es in der Familie beinahe kein Elfenblut mehr gab, und zwar deshalb, weil die Ohmsfords generationenlang immer im Tal gelebt hatten. Dann aber, vor vier Generationen (das wußte er von seinem Vater), war sein Ururgroßvater in das Westland zu den Elfen zurückgekehrt, hatte ein Elfenmädchen geheiratet, und die beiden hatten einen Sohn und eine Tochter bekommen. Der Sohn hatte wiederum ein Elfenmädchen geheiratet, und dann waren die beiden, die Pars Urgroßeltern sein sollten, aus unerfindlichen Gründen ins Tal zurückgekehrt und brachten auf diese Weise neues Elfenblut in die Ohmsford-Familie. Sogar damals war das unterschiedliche Erbe in vielen Familienmitgliedern nicht zu erkennen; Coll und seine Eltern Jaralan und Mirianna waren die besten Beweise dafür. In Par dagegen hatte sich das Elfenblut vom ersten Tag an gezeigt.

Bedauerlicherweise war es jedoch nicht unbedingt wünschenswert, auf diese Weise erkannt zu werden. In Varfleet verbarg Par seine Merkmale, indem er seine Brauen zupfte, sein Haar lang trug, um seine Ohren zu verdecken, und seinem Gesicht mit Tönungscreme ein dunkleres Aussehen verlieh. Es blieb ihm keine andere Wahl. In diesen Tagen wäre es unklug gewesen, die Aufmerksamkeit auf sein Elfenerbe zu lenken.

»Sie hat sich heute abend ganz besonders hübsch zurechtgemacht, meinst du nicht auch?« sagte Coll, während sein Blick zu der Stadt hinschweifte. »Schwarzer Samt und Glitzer, und jedes Härchen an seinem Platz. Kluges Mädchen, diese Stadt. Und selbst den Himmel hat sie zum Freund.«

Par lächelte. Mein Bruder, der Dichter. Es war eine klare Nacht, die kleine Mondsichel und die Sterne erhellten den Himmel mit ihrem Glanz. »Schon möglich, daß du sie mit der Zeit mögen würdest, wenn du ihr nur eine kleine Chance geben wolltest.«

»Ich?« schnaubte Coll. »Sehr unwahrscheinlich. Ich bin hier, weil du hier bist. Ich würde keine Minute länger bleiben, wenn ich nicht müßte.«

»Wenn du wolltest, könntest du gehen.«

Coll sträubte sich. »Laß uns nicht wieder davon anfangen, Par. Wir haben das doch schon so oft durchgesprochen. Du warst derjenige, der in die Städte im Norden kommen wollte. Mir hat die Idee schon damals nicht gefallen, und sie gefällt mir jetzt keinen Deut besser. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß wir, du und ich, uns entschieden haben, die Sache gemeinsam durchzustehen. Ich wäre ein schöner Bruder, wenn ich dich hier zurückließe und jetzt zum Tal zurückkehrte! Außerdem glaube ich nicht, daß du ohne mich hier zurechtkämst.«

»Schon gut, schon gut, ich wollte ja nur…«, warf Par ein.

»… versuchen, dir einen kleinen Spaß auf meine Kosten zu erlauben!« beendete Coll erregt. »Du hast das in letzter Zeit mehr als einmal versucht. Es scheint dir zu gefallen.«

»Das stimmt nicht.«

Coll ging nicht darauf ein, sondern starrte in die Dunkelheit hinaus.

»Ich würde mir nie erlauben, jemanden mit Entenfüßen auf den Arm zu nehmen.«

Coll mußte wider Willen grinsen. »Das sind ja schöne Worte aus dem Mund eines kleinen Burschen mit spitzen Ohren. Du solltest dankbar sein, daß ich mich entschlossen habe, zu bleiben und mich um dich zu kümmern!«

Par stieß ihn an, und beide mußten lachen. Dann wurden sie ganz still und lauschten auf Geräusche, die aus dem Bierhaus und den dahinterliegenden Straßen zu ihnen drangen. Par seufzte. Die warme, schläfrige Sommernacht ließ die kalten, ungemütlichen Tage der vergangenen Wochen wie einen Traum erscheinen. In solchen Nächten verflogen die Sorgen, und Träume erwachten zu neuem Leben.

»Es geht das Gerücht um, daß Sucher in der Stadt sind«, teilte Coll ihm plötzlich mit und machte damit seiner zu friedenen Stimmung ein Ende.

»Das ist doch nichts Neues«, antwortete er.

»An Gerüchten ist oft was Wahres. Man sagt, daß sie sich alle, die etwas mit Zauberei zu tun haben, schnappen und die Bierhäuser schließen wollen.« Coll schaute ihn eindringlich an. »Sucher, Par. Nicht einfache Soldaten. Sucher.«

Par wußte Bescheid. Sucher – so nannte man die Geheimpolizei der Föderation, die Vollzugsbeamten des gesetzgebenden Koalitionsrates. Er war im Bilde.

Coll und er waren vor zwei Wochen in Varfleet eingetroffen. Sie hatten die Vertrautheit und den Schutz ihres Elternhauses verlassen und waren zunächst ins Grenzland von Callahorn gekommen. Sie hatten sich auf den Weg gemacht, weil Par es so beschlossen hatte, weil er die Zeit für gekommen hielt, ihre Geschichten anderswo zu erzählen, und weil er glaubte, daß es notwendig war, dafür zu sorgen, daß auch andere, außerhalb des Tals, davon erfuhren. Sie wählten Varfleet, weil Varfleet eine offene Stadt ohne Föderationsherrschaft war, ein Paradies für Gesetzlose und Flüchtlinge, aber auch für neue Ideen, ein Ort, wo die Menschen immer noch offen waren, ein Ort, wo Zauber immer noch geduldet, wo sogar damit kokettiert wurde. Er besaß den Zauber, und mit Colls Hilfe war er in der Lage, die anderen daran teilhaben zu lassen. Es gab bereits genügend andere, die mit Zauberei experimentierten, aber sein Zauber war von anderer Art. Sein Zauber war echt.

Sie stießen bereits am Tag ihrer Ankunft auf das Bierhaus, eines der größten und bekanntesten der Stadt. Par überredete den Besitzer schon beim ersten Gespräch dazu, sie anzustellen. Schließlich konnte er mit Hilfe des Wunschlieds jeden dazu bringen, so gut wie alles zu tun.

»Echter Zauber.« Dabei bewegte er die Lippen, ohne daß ein Laut aus seinem Mund drang.

Viel echter Zauber war in den Vier Ländern nicht übriggeblieben, wenigstens nicht außerhalb der abgeschiedenen Gebiete, wohin die Föderation ihre Herrschaft noch nicht ausgedehnt hatte. Das Wunschlied war alles, was den Ohmsfords geblieben war. Seit zehn Generationen war es von einer zur anderen weitergegeben worden, wobei freilich nicht alle Mitglieder der Familie mit dieser Gabe gesegnet waren, die ihre Träger scheinbar ganz nach Lust und Laune bestimmte und erwählte. Coll beherrschte das Wunschlied nicht. Auch seine Eltern nicht. In der Tat hatte niemand in der Familie diese Gabe besessen, seit seine Urgroßeltern aus dem Westland zurückgekehrt waren. Er dagegen beherrschte das Wunschlied seit dem Tag seiner Geburt, den gleichen Zauber, den es seit dreihundert Jahren gab, seit den Tagen seines Vorfahren Jair. Die Geschichten und Legenden hatten davon berichtet. Wünsche und singe. Er war in der Lage, seinen Zuhörern Bilder vor Augen zu führen, die so lebendig waren, daß sie wirklich erschienen. Er konnte das Nichts in Materie verwandeln.

Und genau das hatte ihn nach Varfleet getrieben. Seit drei Jahrhunderten waren die Geschichten vom Elfenhaus von Shannara von einer Generation zur nächsten weitergegeben worden. In Wirklichkeit jedoch hatte alles schon viel früher angefangen, als die Geschichten sich noch nicht um die Zauberkraft drehten, weil noch niemand davon wußte, sondern um die alte Welt vor ihrer Zerstörung durch die Großen Kriege; die Geschichtenerzähler waren die wenigen, die die furchtbare Katastrophe überlebt hatten. Jair war der erste, der das Wunschlied gebrauchte, um den Bildern, die er durch seine Worte heraufbeschwor, mehr Eindringlichkeit zu verleihen und sie im Geiste seiner Zuhörer lebendig werden zu lassen. Die Geschichten berichteten von vergangenen Tagen: vom Elfenhaus von Shannara, von den Druiden und ihrer Burg Paranor, von Elfen und Zwergen und von der Magie, die ihr Leben beherrschte. Es wurden Geschichten erzählt von Shea Ohms-ford und seinem Bruder Flick und ihrer Suche nach dem Schwert von Shannara, von Wil Ohmsford und der schönen Elfentochter Amberle und ihrem Kampf gegen die Dämonenhorden, von Jair Ohmsford und seiner Schwester Brin und ihrer Reise in die Festung Graumark, ihrem und ihrer Reise in die Festung Graumark, ihrem Zusammentreffen mit den Mordgeistern und dem Ildatch, von den Druiden Allanon und Bremen, vom Elfenkönig Eventine Elessedil, von Kriegern wie Balinor Buckhannah und Stee Jans und von vielen anderen Helden. Diejenigen, die das Wunschlied beherrschten, machten sich seine Zauberkräfte zunutze. Die anderen verließen sich lediglich auf Worte. Ohmsfords wurden geboren und starben, und viele von ihnen trugen die Geschichten in ferne Länder. Doch seit drei Generationen hatte keiner aus der Familie die Geschichten außerhalb des Tals erzählt. Niemand wollte das Risiko auf sich nehmen, entdeckt zu werden.

Denn das Risiko war groß. Die Ausübung jedweder Zauberei war in den Vier Ländern durch Gesetz verboten – oder zumindest dort, wo die Föderation herrschte, was praktisch das Gleiche war. Seit hundert Jahren war es so. Während der ganzen Zeit hatte kein einziger Ohmsford das Tal verlassen. Par war der erste. Er war es leid gewesen, denselben wenigen Zuhörern immer und immer wieder die gleichen Geschichten zu erzählen. Es war notwendig, daß auch andere die Geschichten zu hören bekamen, daß sie die Wahrheit erfuhren über die Druiden und ihre Zauberkräfte, über den Kampf, der der Zeit, in der sie jetzt lebten, vorausgegangen war. Die Berufung, die er spürte, war stärker als die Angst vor Entdeckung. Er traf seine Entscheidung trotz der Einwände seiner Eltern und Colls. Schließlich entschied sich Coll, mit ihm zu gehen – so wie er es schon immer getan hatte, wenn er das Gefühl gehabt hatte, daß Par seine Hilfe brauchte. Varfleet sollte ihre erste Station werden, eine Stadt, in der Zauberei bis zu einem gewissen Grad immer noch ausgeübt wurde, ein offenes Geheimnis sozusagen, das ein Eingreifen der Föderation geradezu herausforderte. Doch die Zauberei, die man in Varfleet antraf, war nicht wert, daß man viel Aufhebens davon machte. Callahorn stand unter der Schutzherrschaft der Föderation, und Varfleet war so weit entfernt, daß man es fast zu den freien Gebieten zählen konnte. Es waren noch keine Truppen dort stationiert. Die Föderation hatte es bisher nicht für nötig befunden, sich damit eingehender zu beschäftigen.

Aber Sucher? Par schüttelte den Kopf. Sucher standen auf einem ganz anderen Blatt. Sucher tauchten nur dort auf, wo von Seiten der Föderation die ernsthafte Absicht be-stand, der Ausübung von Zauberei Einhalt zu gebieten. Keiner wollte auch nur das Geringste mit ihnen zu tun haben.

»Für uns wird es hier allmählich gefährlich«, sagte Coll, als hätte er Pars Gedanken gelesen. »Man wird uns entdecken.«

Par schüttelte den Kopf. »Wir sind nur zwei von Hunderten, die sich in dieser Kunst üben«, antwortete er. »Nur zwei in einer riesengroßen Stadt.«

Coll heftete seinen Blick auf ihn. »Zwei von Hunderten, da hast du recht. Aber die einzigen mit echter Zauberei.«

Par gab seinen Blick zurück. Ihre Auftritte im Bierhaus brachten ihnen viel Geld ein, mehr als sie jemals zuvor zu Gesicht bekommen hatten. Sie brauchten das Geld, um die Steuern zu bezahlen, die von der Föderation erhoben wurden. Sie brauchten es für ihre Familie und das Tal. Es paßte Par gar nicht, daß er aufgrund eines Gerüchtes darauf verzichten sollte.

Sein Mund verhärtete sich. Es paßte ihm noch weniger, wenn er daran dachte, daß dann die Geschichten ins Tal zurückkehren und dort im Verborgenen bleiben würden und daß diejenigen, die ihrer bedurften, sie nie zu hören bekommen sollten. Das hätte bedeutet, daß das Ausmaß der Unterdrückung von Gedanken und Gebräuchen, die die Vier Länder wie ein Schraubstock umklammerte, noch größer werden würde.

»Wir müssen gehen«, sagte Coll und unterbrach ihn in seinen Gedanken.

Par spürte einen Anflug von Zorn in sich aufsteigen, erkannte jedoch, daß sein Bruder nicht die Stadt meinte, die sie verlassen sollten, sondern daß sie auf die Bühne gehen sollten. Die Zuschauermenge würde sie bereits erwarten. Er spürte, wie sein Zorn einem Gefühl von Traurigkeit wich.

»Ich wünschte, wir lebten in einer anderen Zeit«, sagte er leise. Er hielt inne, während er beobachtete, wie Coll plötzlich angespannt wirkte. »Ich wünschte, es gäbe wieder Elfen und Druiden. Und Helden. Ach, gäbe es doch wieder Helden – wenigstens einen.« Er hielt inne, weil er plötzlich an etwas anderes denken mußte.

Coll löste sich vom Türpfosten, legte seine große Hand auf die Schulter seines Bruders, drehte ihn herum und schob ihn den dunklen Gang hinunter. »Wenn du weiterhin davon singst, wer weiß? Vielleicht wird es dann möglich.«

Par ließ es zu, daß er geführt wurde wie ein kleines Kind. Er dachte bereits nicht mehr an Helden oder Elfen oder Druiden, nicht einmal an Sucher. Er dachte an die Träume.

Sie erzählten die Geschichte der Elfen am Halysjoch, wie Eventine Elessedil und die Elfen und Stee Jans und die Freitruppen die Rampen gegen den Ansturm der Dämonenhorden verteidigten. Die Geschichte war eine von Pars Lieblingsgeschichten, die erste aus der Reihe der großen Elfenschlachten im schrecklichen Westlandkrieg. Sie standen auf einer niedrigen Bühne an einem Ende des Schankraums. Par stand vorne und Coll einen Schritt hinter ihm auf der Seite. Der Raum voll Leibern mit erwartungsvollen Augen war nur schwach beleuchtet. Coll war der Erzähler, während Par dazu sang, um die entsprechenden Bilder entstehen zu lassen, Bilder, die durch den Zauber seiner Stimme lebendig wurden. In hundert oder noch mehr Menschen weckte er die Gefühle von Angst, Wut und Entschlossenheit, die die Verteidiger des Jochs erfüllt hatten. Durch ihn spürten sie die ungestüme Raserei der Dämonen und hörten ihr Kampfgeschrei. Sie standen den Dämonen von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Er zog sie in seinen Bann und hielt sie gefangen. Sie sa-hen, wie Eventine verwundet wurde und wie sein Sohn Andor die Herrschaft über die Elfen antrat. Sie beobachteten, wie der Druide Allanon im Grunde genommen der Kraft der Dämonen allein gegenüberstand und sie vernichtete. Sie erlebten Leben und Tod so hautnah, daß es fast beängstigend war.

Als Coll und er ihren Vortrag beendeten, herrschte atemlose Stille im Raum, bevor ein lautes Zuprosten mit Biergläsern anhob und Hochrufe und Schreie der Erleichterung den Raum erfüllten. Par war schweißgebadet und erkannte zum ersten Mal, wie sehr er sich durch seine Erzählung verausgabte. Als sie die Bühne verließen, um sich in die kurze Pause zu begeben, die ihnen zwischen ihren Auftritten gewährt wurde, schien er jedoch auf seltsame Weise abwesend; er konnte nicht aufhören, an seine Träume zu denken.

Coll holte sich aus einem der offenen Lagerräume ein Glas Bier, und Par ging ein kurzes Stück den Gang hinunter, bevor er bei der Kellertür auf ein aufgerichtetes leeres Faß stieß. Plötzlich sank er erschöpft in sich zusammen.

Seit einem Monat hatte er immer wieder die gleichen Träume, und er konnte sich den Grund immer noch nicht erklären.

Er träumte sie mit einer Regelmäßigkeit, die äußerst beunruhigend war. Den Anfang bildete immer eine schwarzgekleidete Gestalt, die aus einem See aufstieg, eine Gestalt, die sehr wohl Allanon sein konnte, ein See, der sehr wohl das Hadeshorn sein konnte. Die Bilder in seinen Träumen waren verschwommen, die Visionen waren von unerklärlichem Inhalt, aufgrund dessen sie nur schwer zu deuten waren. Jedesmal sprach die Gestalt zu ihm, und jedesmal mit den gleichen Worten. »Komm zu mir; du wirst gebraucht. Die Vier Länder befinden sich in größter Gefahr; die Zauberkraft ist fast verloren. Komm jetzt, Kind von Shannara.«

Die Träume waren damit nicht zu Ende, obwohl der Rest jedesmal anders war. Manchmal sah er Bilder einer Welt, die wie ein furchtbarer Alptraum erschien. Dann wieder waren es Bilder von magischen Zeichen – das Schwert von Shannara und die Elfensteine. Manchmal galt der Ruf ebenso Wren, der kleinen Wren, und manchmal seinem Onkel Walker Boh. Auch sie sollten kommen, denn auch sie wurden gebraucht.

Nach dem ersten Traum hatte er entschieden, daß die Träume nur ein Nebenprodukt seiner fortwährenden Beschäftigung mit dem Wunschlied sein konnten. Er sang die alten Geschichten vom Dämonen-Lord und den Schädelträgern, von Dämonen und Mordgeistern, von Allanon und einer Welt, die vom Unheil bedroht war, und es war nur natürlich, daß ein Teil dieser Geschichten und die heraufbeschworenen Bilder sich in seinen Träumen widerspiegelten. Er hatte versucht, die Wirkung dadurch zu schwächen, daß er das Wunschlied nur bei fröhlichen Geschichten einsetzte, aber auch das hatte nicht geholfen. Er träumte die Träume auch weiterhin. Er hatte es unterlassen, Coll davon zu erzählen, denn dieser hätte sie nur als einen weiteren Grund angeführt, warum er der Zauberkraft des Wunschlieds entsagen und ins Tal zurückkehren sollte.

Und dann, vor drei Nächten, hatten die Träume so plötzlich aufgehört, wie sie begonnen hatten. Jetzt war er neugierig. Er fragte sich, ob er vielleicht ihren Ursprung falsch gedeutet hatte. Er zog die Möglichkeit in Betracht, daß der Anlaß vielleicht nicht in ihm selbst zu suchen war, sondern sie vielmehr geschickt wurden.

Aber wer hätte sie schicken können?

Allanon? Wirklich Allanon, der seit dreihundert Jahren tot war?

Jemand anderes? Etwas anderes? Etwas, das seine eigenen Ziele verfolgte und es alles andere als gut mit ihm meinte?

Er erschauerte, verbannte jedoch die Gedanken aus seinem Kopf und ging schnell den Gang wieder hinauf, um nach Coll zu sehen.

Zu ihrem zweiten Auftritt waren noch mehr Menschen gekommen, von denen einige nur stehend Platz fanden. Das Bierhaus war groß; der vordere Schankraum war mehr als dreißig Meter lang und nach oben zu den Dachbalken hin offen, an denen Fischnetze gespannt und Öllampen befestigt waren, offensichtlich, um eine intime Atmosphäre zu verbreiten. Mehr Nähe hätte Par kaum ertragen können, so nah waren ihm die Kunden des Bierhauses, als sie dichtgedrängt um die Bühne herumstanden und sich einige sogar mit ihren Getränken darauf niederließen. Diese Zuschauermenge war anders als die erste, doch er wußte beim besten Willen keinen Grund dafür. Diese Menschen wirkten einfach anders, so, als wäre etwas Fremdes unter ihnen. Coll schien es auch zu spüren. Er warf Par vielsagende Blicke zu, als sie sich auf ihren Auftritt vorbereiteten, und in seinen dunklen Augen lag ein Unbehagen.

Ein großer, in einen dunklen Umhang gehüllter Mann mit schwarzem Bart bahnte sich seinen Weg durch die Menge zur Bühne und drängte sich zwischen zwei andere Männer. Die beiden schauten auf, als hätten sie die Absicht, eine Bemerkung zu machen, doch ein Blick auf das Gesicht des anderen belehrte sie offensichtlich eines Besseren. Par beobachtete die Szene einen Augenblick und schaute dann weg. Er hatte ein ungutes Gefühl.

Coll beugte sich vor, als die Menge in einem gleichmäßigen Rhythmus zu klatschen anfing. Die Menschen wurden ungeduldig. »Par, mir gefällt das nicht. Ich habe das Gefühl, daß…«

Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Der Besitzer des Bierhauses kam auf sie zu und forderte sie unmißverständlich auf anzufangen, bevor die Menge außer sich geriet und gewalttätig wurde. Coll drehte sich wortlos um. Die Lichter wurden schwächer, und Par fing an zu singen. Er sang die Geschichte von Allanon und dem Kampf mit den Jachyra. Col begann zu sprechen, beschrieb den Schauplatz und die Ereignisse, erzählte denen, die zusammengekommen waren, was für ein Tag es war, wie die Schlucht aussah, in die der Druide mit Brin Ohmsford und Rone Leah kam, erzählte, wie es um sie herum plötzlich totenstill war. Par ließ die entsprechenden Bilder vor ihren Augen entstehen, er rief in ihnen ein Gefühl der Angst und Erwartung hervor und wehrte sich vergebens gegen die in ihm aufsteigenden gleichen Gefühle.

Ganz hinten im Raum stellten sich Männer vor Türen und Fenster, warfen ebenso plötzlich ihre Mäntel ab und standen schwarzgekleidet im Raum. Waffen blitzten auf. Sie trugen eine Art weißer Abzeichen auf Ärmeln und Brust. Par blickte angestrengt, seine Elfensinne aufs äußerste geschärft.

Ein Wolfskopf.

Die schwarzgekleideten Männer waren Sucher.

Par verstummte, die Bilder verblaßten und verloren ihre Wirkung. Ein Geraune ging durch die Menge. Coll hörte auf zu erzählen. Plötzlich herrschte überall Aufruhr. Irgend jemand befand sich im Dunkeln hinter ihnen.

Coll stellte sich schützend neben Par.

Dann wurde es wieder hell im Raum, und eine Abteilung der schwarzgewandeten Sucher drang durch die Menge. Protestschreie erhoben sich, doch die Männer, die gemurrt hatten, machten schnell den Weg frei. Der Besitzer des Bierhauses, der dazwischenzutreten suchte, wurde beiseite geschoben.

Die Abteilung der Sucher kam vor der Bühne zum Stehen. Eine andere versperrte die Ausgänge. Die Männer waren von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, ihre Gesichter bis auf ihren Mund verdeckt, ihre Wolfskopfabzeichen geradezu leuchtend.

Sie waren bewaffnet mit kurzen Schwertern, Dolchen und Knüppeln und hielten alle Waffen griffbereit. Par und Coll hatten es mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen zu tun; es waren große und kleine Männer, aufrechte und gebeugte, aber alle machten aufgrund ihres Aussehens und des Ausdrucks ihrer Augen einen verwegenen und wilden Eindruck.

Ihr Anführer war ein Riese mit einem massigen Körper und enorm langen Armen. Der Teil seines Gesichts, der von der Maske nicht verdeckt wurde, war zerfurcht und sein Kinn von einem ungepflegten, rötlichen Halbbart bedeckt. Sein linker Arm steckte bis zum Ellbogen in einem Handschuh. »Eure Namen?« fragte er. Er sprach leise, beinahe flüsternd.

Par zögerte. »Was wirft man uns vor?«

»Heißt ihr Ohmsford?« Sein Gegenüber betrachtete ihn eindringlich.

Par nickte. »Ja. Aber wir haben nicht…«

»Ihr steht unter Arrest, weil ihr gegen das oberste Gesetz der Föderation verstoßen habt«, verkündete die leise Stimme. Ein Murmeln ging durch die Reihen der Anwesenden. »Ihr habt Zauberei getrieben, obwohl…«

»Sie haben nur Geschichten erzählt«, rief ein Mann aus einiger Entfernung. Einer der Sucher ließ augenblicklich seinen Knüppel auf ihn niedersausen, und der Mann stürzte wie ein Sack zu Boden.

»Ihr habt Zauberei getrieben und damit die Föderationsgesetze verletzt und die Öffentlichkeit gefährdet.« Der Sprecher bedachte den auf dem Boden liegenden Mann mit keinem einzigen Blick. »Man wird euch…«

Er konnte den Satz nicht zu Ende führen. Plötzlich krachte von der Mitte der Decke eine Öllampe auf den Boden des überfüllten Bierhauses; das Öl ging augenblicklich in Flammen auf. Männer sprangen schreiend zur Seite. Der Sprecher und seine Kumpane drehten sich staunend um. Im gleichen Augenblick machte der große, bärtige Mann, der sich am Rande der Bühne niedergelassen hatte, einen Satz, hechtete über mehrere verwunderte Anwesende hinweg, prallte auf den Haufen von Suchern und schleuderte sie zu Boden. Der große Mann sprang vor Par und Coll auf die Bühne, warf seinen schäbigen Umhang ab und stand als grüngewandeter, bewaffneter Jäger vor ihnen.

»Hoch lebe die Freiheit!« rief er in das allgemeine Durcheinander.

Danach schien alles gleichzeitig zu geschehen. Das Netz, das zur Zierde an der Decke hing, lockerte sich, fiel wie dieÖllampe zu Boden, und plötzlich waren alle Anwesenden darin gefangen. Diejenigen, die in der Falle saßen, stießen Schreie und Flüche aus. An den Türen stürzten sich grüngekleidete Männer auf die verdutzten Sucher und schlugensie zu Boden. Öllampen wurden zertrümmert, und Dunkelheit senkte sich über den Raum.

Der große Mann bewegte sich mit einer Geschwindigkeit an Par und Coll vorbei, die sie nicht für möglich gehalten hätten. Er traf den ersten der Sucher, der den Hintereingang versperrte, mit einem Fußtritt, so daß der Kopf des Mannes nach hinten flog. Dann blitzten ein kurzes Schwert und ein Dolch, und die anderen beiden sanken ebenfalls zu Boden.

»Hierher, schnell!« rief er Par und Coll zu.

Sie folgten seinem Ruf sofort. Eine dunkle Gestalt krallte sich an ihnen fest, als sie vorbeigingen, aber Coll schüttelte den Mann ab. Er griff hinter sich, um sich zu vergewissern, daß sein Bruder dicht bei ihm war; seine große Hand legte sich schwer auf Pars zarte Schulter. Par schrie gequält auf. Coll dachte meist nicht daran, wie stark er war.

Sie verließen die Bühne und erreichten den hinteren Gang, wobei der große Fremde ihnen immer einige Schritte voraus war. Irgend jemand versuchte sie aufzuhalten, aber der Fremde schritt über ihn hinweg. Das Getöse, das aus dem Raum hinter ihnen drang, war ohrenbetäubend, und Flammen züngelten überall, leckten gierig am Boden und an den Wänden. Der Fremde führte sie schnell den Gang hinunter und durch die Hintertür in eine Seitengasse. Dort wurden sie von zwei weiteren grüngekleideten Männern erwartet. Wortlos umringten sie die Brüder und drängten sie vom Bierhaus weg. Par warf einen Blick zurück. Die Flammen schlugen bereits aus den Fenstern und bahnten sich ihren Weg hinauf zum Dach.

Sie eilten die Seitenstraße hinunter, vorbei an verwunderten Gesichtern und weit aufgerissenen Augen, bogen in einen Durchgang ein, von dem Par geschworen hätte, daß er ihn noch nie gesehen hatte, obwohl er die Gegend genau kannte, gingen durch zahllose Türen und Zimmer und standen schließlich auf einer vollkommen anderen Straße. Keiner sprach. Der Fremde bedeutete seinen Gefährten, Ausschau zu halten, und zog Par und Coll in einen dunklen Hauseingang.

Vom Laufen waren sie alle außer Atem. Der Fremde blickte abwechselnd von einem zum anderen. »Man sagt, etwas Bewegung sei gut für die Verdauung. Was meint ihr? Seid ihr in Ordnung?«

Die Brüder nickten. »Wer bist du?« fragte Par.

»Junge, ich gehöre sozusagen zur Familie. Erkennst du mich nicht? Ich glaube nicht. Warum solltest du auch? Schließlich haben wir beide uns nie kennengelernt. Aber die Lieder sollten dich daran erinnern.« Er ballte die linke Hand zur Faust und zielte dann auf Pars Nase. »Erinnerst du dich jetzt?«

Verwirrt blickte Par zu Coll, aber sein Bruder schien genauso verwirrt zu sein wie er. »Ich glaube nicht…«, setzte er an.

»Ja, ja, es spielt jetzt keine Rolle. Alles zu seiner Zeit.« Er rückte näher. »In dieser Gegend bist du nicht mehr sicher, mein Junge. Ganz sicher nicht in Varfleet und höchstwahrscheinlich nicht in ganz Callahorn. Vielleicht nirgendwo. Weißt du, wer dieser Mann dort war? Der Häßliche mit der Flüsterstimme?«

Par versuchte den massigen Sprecher mit der leisen Stimme einzuordnen. Es gelang ihm nicht. Er schüttelte langsam den Kopf.

»Felsen-Dall«, sagte der Fremde, der jetzt sehr ernst schien. »Erster Sucher, der oberste Säuberer höchstpersönlich. Sitzt im Koalitionsrat, wenn er nicht gerade Ungeziefer zerquetscht. Aber an dir hat er ein besonderes Interesse, wenn er bis nach Varfleet gekommen ist, um dich festzunehmen. Das gehört nicht zur normalen Ungeziefervertilgung. Er ist auf der Jagd nach einem größeren Tier. Er glaubt, daß du gefährlich bist, mein Junge – sehr gefährlich sogar, denn sonst hätte er sich nicht auf den weiten Weg gemacht. Bloß gut, daß ich dich gesucht habe. Ja, das habe ich wirklich. Habe gehört, daß Felsen-Dall hinter dir her war, und wollte verhindern, daß er dich kriegt. Aber denk dran, daß er nicht aufgeben wird. Du bist ihm einmal entwischt, doch das wird ihn in seinem Vorhaben nur bestärken. Er wird auch weiterhin hinter dir her sein.«

Er hielt inne und beobachtete die Wirkung seiner Worte. Par starrte ihn mit offenem Mund an. Der Fremde fuhr fort: »Dieser Zauber, dein Singen, das ist echter Zauber, stimmt’s? Ich hab’ genug von der anderen Sorte gesehen, um das beurteilen zu können. Du könntest diesen Zauber für einen guten Zweck verwenden, mein Junge, vorausgesetzt natürlich, daß du das willst. In diesen Bierhäusern und Hinterhöfen vergeudest du ihn nur.«

»Was meinst du damit?« fragte Coll, in dem plötzlich ein Verdacht aufstieg.

Der Fremde lächelte freundlich. »Die Bewegung braucht solchen Zauber«, sagte er leise.

Coll schnaubte. »Du bist ein Geächteter!«

Der Fremde machte eine kurze Verbeugung. »Ja, mein Junge, und ich bin stolz darauf. Wichtiger ist jedoch, daß ich als freier Mann geboren wurde und mich keinen Föderationsgesetzen unterordne.« Er kam näher. »Du selbst willst dich doch auch nicht unterordnen, stimmt’s? Gib es zu.«

»Kaum«, antwortete Coll abwehrend. »Die Frage ist jedoch, ob die Geächteten so viel besser sind.«

»Harte Worte, mein Junge!« rief der andere aus. »Bloß gut, daß ich nicht so leicht zu verletzen bin.« Er lächelte verschmitzt.

»Was willst du von mir?« unterbrach ihn Par schnell, dessen Verstand langsam wieder funktionierte. Er hatte an Felsen-Dall gedacht. Er kannte seinen Ruf, und die Aussicht, von ihm gejagt zu werden, flößte ihm Angst ein. »Du willst, daß wir uns mit euch zusammentun, nicht wahr?«

Der Fremde nickte. »Ich glaube, ihr würdet bald sehen, daß es sich lohnt.«

Aber Par schüttelte den Kopf. Daß sie die Hilfe des Fremden angenommen hatten, um den Klauen der Sucher zu entkommen, war eine Sache. Aber die Bewegung, der sie beitreten sollten, war etwas ganz anderes. Das wollte wohl überlegt sein. »Ich glaube, wir müssen das Angebot für heute ablehnen«, sagte er ruhig. »Vorausgesetzt natürlich, wir können uns frei entscheiden.«

»Natürlich könnt ihr euch frei entscheiden!«

»Dann müssen wir leider nein sagen. Aber wir danken dir für das Angebot und ganz besonders für deine Hilfe da drin.«

Der Fremde, wieder voller Ernst, ließ seinen Blick kurz auf ihm ruhen. »Das habe ich gern getan, glaub mir. Ich wünsche dir nur das Beste, Par Ohmsford. Hier, ich hab’ etwas für dich.« Er zog einen Ring vom Finger, der in Silber gefaßt war und das Zeichen eines Falken trug. »Meine Freunde kennen den Ring. Wenn du Hilfe brauchst – oder falls du deine Meinung ändern solltest –, geh damit zur Kiltan-Schmiede am Nordrand der Stadt und frag nach dem Bogenschützen. Kannst du dir das merken?«

Par zögerte, nahm jedoch den Ring und nickte. »Aber warum…?«

»Weil uns viel verbindet, mein Junge«, sagte der andere leise, der eine solche Frage erwartet hatte. Er streckte eine Hand aus und legte sie auf seine Schulter. Er sah dabei auch Coll an. »Die Vergangenheit verbindet uns, und damit ein Band, das so stark ist, daß es von mir fordert, für euch da zu sein, wann immer ich kann. Mehr noch, es fordert, daß wir gemeinsam gegen die Gefahren, die diesem Land drohen, kämpfen. Vergeßt das nicht. Eines Tages, da bin ich sicher, wird es so weit sein – wenn es uns gelingt, so lange am Leben zu bleiben.«

Er lächelte die Brüder an. Sie erwiderten seinen Blick schweigend. Der Fremde zog seine Hand zurück. »Es wird Zeit, daß wir gehen. Und zwar möglichst schnell. Die Straßen verlaufen alle zum Fluß hin. Ihr könnt von hier aus hingehen, wohin ihr wollt. Aber nehmt euch in Acht. Und seid auf der Hut. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.«

»Ich weiß«, sagte Par und streckte seine Hand aus. »Willst du uns wirklich nicht deinen Namen nennen?«

Der Fremde zögerte. »Ein andermal«, sagte er. Er schüttelte Par und dann Coll kräftig die Hand, bevor er seine Gefährten durch einen Pfiff zu sich rief. Er winkte einmal, und schon war er wie ein Schatten verschwunden.

Par starrte sekundenlang auf den Ring und richtete dann seinen Blick fragend auf Coll. Irgendwo ganz in der Nähe hörten sie lauter werdende Rufe. »Ich glaube, die Frage wird warten müssen«, sagte Coll. Par steckte den Ring in seine Tasche. Leise verschwanden sie in der Nacht.

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