Er machte seinen Rundgang bei den Schläfern.
Sky und Norquinco befanden sich tief in einem der Bahntunnel entlang der Schiffssäule und gingen mit klirrenden Schritten über die metallenen Laufstege. Gelegentlich ratterte eine Kette von Frachtbehältern mit Material für die kleine Gruppe von Technikern, die am anderen Ende des Schiffes Tag und Nacht wie fromme Messdiener die Triebwerke studierten, in der einen oder anderen Richtung über die Schienen. Soeben kam ihnen wieder ein solcher Zug mit blinkenden, orangefarbenen Warnlichtern entgegengepoltert. Er füllte den Tunnel fast vollständig aus. Sky und Norquinco traten in eine Nische und warteten, bis er vorüber war. Dabei bemerkte Sky, dass Norquinco etwas in seine Hemdtasche steckte, ein Stück Papier mit einer Reihe von teilweise ausgestrichenen Zahlen.
»Mach voran«, drängte er. »Ich wollte Knoten Drei erreichen, bevor die nächste Ladung kommt.«
»Kein Problem«, sagte Norquinco. »Der nächste Zug ist erst in… siebzehn Minuten fällig.«
Sky sah ihn erstaunt an. »Das weißt du?«
»Natürlich. Es gibt einen Fahrplan, Sky.«
»Natürlich; das ist mir bekannt. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, wieso ihn ein Mensch, der bei Verstand ist, auswendig lernen sollte.«
Schweigend gingen sie weiter zum nächsten Knoten. In dieser Entfernung von den Wohnbereichen war das Schiff ungewöhnlich ruhig, selbst die Luftpumpen oder die anderen lärmenden Lebenserhaltungssysteme waren hier kaum zu hören. Die Schläfer mussten zwar ständig cybernetisch überwacht werden, entzogen aber dem Schiffsnetz nur sehr wenig Energie. Die Kühlsysteme für die Momios brauchten keine Schwerarbeit zu leisten, denn man hatte die Schläfer bewusst ganz nahe am Weltraum platziert; sie schlummerten nur wenige Meter von der Eiseskälte des interstellaren Vakuums entfernt. Sky trug einen Thermoanzug, und der Atem gefror ihm vor dem Mund zu einer weißen Wolke. Immer wieder zog er sich die Kapuze über den Kopf, bis ihm wieder warm war. Norquinco dagegen nahm die Kapuze niemals ab.
Sky war mit Norquinco schon seit längerem nicht mehr zusammengekommen. Seit Balcazars Tod hatten sie kaum ein Wort miteinander gesprochen. Sky war vollauf beschäftigt gewesen, auf der Karriereleiter immer höher zu klettern. Vom Leiter der Sicherheitswache war er zuerst an die dritte und dann an die zweite Stelle der Schiffshierarchie aufgerückt. Nun stand nur noch Ramirez zwischen ihm und der unumschränkten Herrschaft über die Santiago. Constanza bereitete ihm natürlich nach wie vor Schwierigkeiten, obwohl er sie auf einen unwichtigen Posten in der Sicherheitswache abgeschoben hatte — aber er würde nicht dulden, dass sie seine Pläne störte. Der Captain war nach dem Führungswechsel in einer extrem angreifbaren Position. Die Schiffe befanden sich im Kalten Krieg; die politische Situation an Bord war von einem krankhaften Misstrauen geprägt, das jede Fehleinschätzung gnadenlos bestrafte. Ein geschickt inszenierter Skandal würde genügen, um Ramirez aus dem Amt zu hieven; ein Mord hätte allmählich etwas zu viel Aufsehen erregt. Sky hatte sich bereits etwas ausgedacht, einen Skandal, der nicht nur Ramirez beseitigte, sondern auch geeignet war, seine eigenen Pläne zu decken.
Sie erreichten den Knoten und stiegen zu einem der sechs Kälteschlafmodule an diesem Punkt der Säule hinab. Jedes Modul enthielt zehn Kojen, und das Betreten einer Koje war mit so großen Umständen verbunden, dass man an einem einzigen Tag immer nur einen kleinen Bruchteil aller Momios besuchen konnte. Dennoch hatte Sky im Zuge seines Aufstiegs zum Stellvertreter des Captains darauf geachtet, den Schläfern nie all zu lange fern zu bleiben.
Dabei war es von Jahr zu Jahr einfacher geworden, sie alle aufzusuchen und sich über ihren Zustand zu informieren. Hin und wieder fiel nämlich eine von den Kälteschlafkojen aus, und damit war sichergestellt, dass der betreffende Schläfer niemals reanimiert werden konnte. Sky hatte über die Toten peinlich genau Buch geführt und alle Häufungen vermerkt, die darauf hinweisen konnten, dass ein Lebenserhaltungssystem verrückt spielte. Aber im Großen und Ganzen waren die Todesfälle nach dem Zufallsprinzip entlang der Säule verteilt. Mehr konnte man nicht erwarten von den uralten, in hohem Maße störanfälligen Systemen, die sich beim Start der Flottille noch im Versuchsstadium befunden hatten. Den Funksprüchen von zu Hause war zu entnehmen, dass man dort in der Kryo-Technik große Fortschritte gemacht und Verbesserungen eingeführt hatte, die diese Kälteschlaftanks etwa so rückständig erscheinen ließen wie einen ägyptischen Sarkophag. Aber davon konnte man innerhalb der Flottille nicht profitieren. Die vorhandenen Kojen aufrüsten zu wollen, wäre viel zu riskant gewesen.
Sky und Norquinco krochen durch den Verbindungsgang, bis sie das erste Kälteschlafmodul erreichten, und betraten eine der zehn im Kreis angeordneten Kojen. Sobald die Kammer ihre Gegenwart spürte, strömte Luft ein, die Lichter flammten auf und die Statusanzeigen erwachten zum Leben, aber es blieb eisig kalt.
»Der hier ist tot, Sky…«
»Ich weiß.« Norquinco hatte noch nicht viele Schläfer besucht; dies war das erste Mal, dass Sky es für nötig erachtete, ihn mitzunehmen. »Die Koje hatte ich schon bei einer früheren Inspektionstour als Ausfall notiert.«
Die Warnlichter des Tanks blinkten, was das Zeug hielt, aber vergeblich. Der Glasdeckel blieb hermetisch verschlossen, und Sky musste schon genau hinsehen, um sicher sein zu können, dass der Schläfer wirklich tot war und er sich nicht von fälschlich aufleuchtenden Anzeigen täuschen ließ.
Aber die mumifizierte Gestalt unter dem Glas ließ keine Zweifel offen. Er warf einen Blick auf das Namensschild, verglich es mit seiner Liste und stellte zufrieden fest, dass sein erstes Urteil richtig gewesen war.
Sky verließ den Raum, und Norquinco folgte ihm zum nächsten Schläfer.
Die gleiche Geschichte. Auch hier ein toter Passagier, der einer ähnlichen Panne zum Opfer gefallen war. Ihn auftauen zu wollen, verbot sich von selbst. Wahrscheinlich fände sich im Körper dieser Frau keine einzige heile Zelle mehr.
»Was für ein Jammer!«, seufzte Norquinco.
»Ich weiß nicht«, gab Sky zurück. »Vielleicht haben die Todesfälle auch ihr Gutes. Ich hatte einen bestimmten Grund, dich mitzunehmen, Norquinco. Hör mir genau zu und versprich mir, dass nichts, was ich dir jetzt sage, diesen Raum jemals verlässt. Verstanden?«
»Ich hatte mich schon gefragt, warum du dich mit mir treffen wolltest, Sky. Wir hatten doch seit Jahren keinen Kontakt mehr.«
Sky nickte. »Ja, und inzwischen hat sich manches verändert. Aber ich habe dich nicht aus den Augen verloren. Ich habe verfolgt, wie du dir einen Platz gesucht hast, wo deine Fähigkeiten gebraucht werden, und ich weiß, dass du deine Sache gut machst. Das gilt auch für Gomez — aber mit ihm habe ich schon gesprochen.«
»Was soll das alles, Sky?«
»Es geht im Grunde um zwei Dinge. Zum Wichtigsten komme ich gleich. Aber vorher möchte ich dir eine technische Frage stellen. Was weißt du über diese Module?«
»Nur so viel wie nötig, nicht mehr und nicht weniger. An der Säule befinden sich sechsundneunzig davon, und jedes enthält zehn Schläfer.«
»Richtig. Und viele von diesen Schläfern sind mittlerweile tot.«
»Ich kann dir nicht folgen, Sky.«
»Sie sind tote Masse. Nicht nur die Schläfer, sondern auch die schweren Maschinen, die für die Lebenserhaltung nicht mehr gebraucht werden. Alles zusammen macht einen beachtlichen Bruchteil der Gesamtmasse des Schiffes aus.«
»Ich kann dir noch immer nicht folgen.«
Sky seufzte. Warum sahen die anderen die Lage niemals so klar wie er selbst? »Wir brauchen diese Masse nicht mehr. Im Moment belastet sie uns nicht, aber sobald wir abbremsen müssen, wird sie uns daran hindern, so stark zu verlangsamen, wie uns lieb wäre. Muss ich noch deutlicher werden? Dank dieser zusätzlichen Masse müssen wir mit dem Abbremsen früher beginnen als eigentlich nötig, wenn wir um 61 Cygni-A in den Orbit gehen wollen. Könnten wir andererseits jetzt die Module abwerfen, die wir nicht brauchen, dann könnten wir die Bremsphase verstärken und verkürzen. Damit hätten wir einen Vorsprung vor den übrigen Schiffen. Wir könnten den Planeten Monate vor allen anderen erreichen. Hätten Zeit, uns die besten Landeplätze auszusuchen und Siedlungen auf der Oberfläche zu gründen.«
Norquinco überlegte. »Das ist nicht so einfach, Sky. Man hat nämlich… hm… Sicherungen eingebaut. Die Module können erst abgenommen werden, wenn wir den Orbit um Journey’s End erreichen.«
»Das ist mir vollkommen klar. Deshalb wende ich mich ja an dich.«
»Aha. Ich… verstehe.«
»Es handelt sich um elektronische Sicherungen. Das heißt, wenn man sich genügend Zeit nimmt, lassen sie sich umgehen. Dir stehen dafür noch Jahre zur Verfügung — ich möchte die Module erst im allerletzten Moment abwerfen, bevor wir den Bremsvorgang einleiten.«
»Warum so lange warten?«
»Du begreifst es immer noch nicht, wie? Wir befinden uns im Kalten Krieg, Norquinco. Wir dürfen den Überraschungsvorteil nicht verspielen.« Er sah seinen alten Freund scharf an. Sollte er zu der Ansicht kommen, Norquinco sei nicht vertrauenswürdig, dann müsste er ihn bald töten. Aber er baute darauf, dass Norquinco einer so faszinierenden Aufgabe nicht widerstehen könnte.
»Ja«, sagte der endlich. »Ich meine, theoretisch könnte ich die Sicherungen knacken. Es wäre schwierig — ungeheuer schwierig —, aber ich könnte es schaffen. Und es würde Jahre dauern. Vielleicht ein volles Jahrzehnt. Um die Sache geheim zu halten, müsste man die Programmierung im Schutz der sechsmonatlichen Funktionsprüfungen durchführen. Das ist die einzige Gelegenheit, zumindest einen Blick auf die Funktionen in der Tiefenstruktur zu werfen oder gar darauf zuzugreifen.« Sky sah, dass Norquinco in Gedanken bereits weit voraus war. »Und ich bin nicht einmal in dem Trupp, der die Revision durchführt.«
»Warum nicht? An deiner Intelligenz kann es doch wohl nicht liegen?«
»Sie sagen, ich wäre nicht ›teamfähig‹. Aber wenn alle so wären wie ich, würden die Prüfungen nicht halb so lange dauern wie jetzt.«
»Ich kann mir vorstellen, dass die anderen mit deiner Arbeitsmoral ihre Schwierigkeiten haben«, sagte Sky. »Das ist das Los aller Genies, Norquinco. Sie werden nur selten gewürdigt.«
Norquinco nickte. Er war so töricht, sich einzubilden, ihre Beziehung hätte endlich die unscharfe Grenze zwischen einer Zweckgemeinschaft und wahrer Freundschaft überschritten. »Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande, ich weiß. Du hast Recht, Sky.«
»Ich weiß«, sagte Sky. »Ich habe immer Recht.«
Er klappte seine Computertafel auf und blätterte die Daten durch, bis er die Graphik für die Schläferbelegung fand. Sie war in Neonfarben gehalten und sah aus wie eine exotische Kaktusart: eine dornige Pflanze mit vielen Ästen. Die Lebenden waren als rote Symbole eingezeichnet; die toten als schwarze. Sky hatte schon seit Jahren Lebende und Tote voneinander getrennt, nun waren etliche Kälteschlafmodule nur noch mit toten Momios belegt. Das war nicht so einfach gewesen, denn die Lebenden mussten noch in gefrorenem Zustand transportiert werden. Man koppelte die Kojen ab, hielt sie mit Reserveenergie kühl und beförderte sie mit der Bahn von einem Teil der Säule zum anderen. Manchmal hatte man hinterher noch einen toten Momio mehr.
All das war Teil eines großen Plans. Und mit Norquincos Hilfe würde Sky bereit sein, wenn die Zeit gekommen war.
Aber er hatte noch ein weiteres Anliegen, über das er mit Norquinco sprechen wollte.
»Du erwähntest zwei Dinge, Sky.«
»Ganz recht. Erinnerst du dich an früher, Norquinco? Als wir noch ganz jung waren, bevor mein Vater starb? Du hattest dich mit Gomez über das ›sechste Schiff‹ unterhalten, wie wir es nannten, aber du hattest einen anderen Namen dafür.«
Norquinco sah ihn misstrauisch an, als wittere er eine Falle. »Du meinst die… hm… die Caleuche?«
Sky nickte. »Genau die. Hilf mir mal auf die Sprünge — was steckte gleich noch hinter dem Namen?«
Norquinco schmückte den Mythos sehr viel weiter aus, als Sky es in Erinnerung hatte, fast als hätte er auf eigene Faust Nachforschungen angestellt.
Doch als er fertig war — er hatte auch von einem Delphin berichtet, der das Gespensterschiff begleiten sollte —, sagte er: »In Wirklichkeit gibt es das alles nicht, Sky. Es war nur eine von den Geschichten, die wir uns gern erzählten.«
»Nein. Früher dachte ich das auch, aber diese Geschichte beruht auf Tatsachen.« Sky beobachtete Norquinco aufmerksam, um zu sehen, wie er auf diese Eröffnung reagierte. »Das hat mir mein Vater gesagt. Die Sicherheitswache wusste schon immer von der Existenz des sechsten Schiffes. Auch sonst ist noch so einiges darüber bekannt. Es befindet sich etwa eine halbe Lichtsekunde hinter uns, ist ebenso groß wie die Santiago und hat auch die gleiche Form. Es ist ein Schiff der Flottille, Norquinco.«
»Warum hast du so lange gewartet, um mir das zu erzählen, Sky?«
»Weil ich bisher mit der Information nichts anfangen konnte. Aber jetzt ist das anders. Ich möchte eine kleine Expedition ausrüsten, Norquinco — um zur Caleuche zu fliegen. Aber das muss streng geheim bleiben. Das Schiff hat einen ungeheuren strategischen Wert. Es muss Vorräte an Bord haben. Bauteile. Maschinen. Medikamente. Alles Dinge, auf die wir seit Jahrzehnten verzichten müssen. Aber vor allem hat es Antimaterie und wahrscheinlich ein funktionsfähiges Antriebssystem. Deshalb möchte ich Gomez mitnehmen. Aber dich brauche ich auch. Ich rechne nicht damit, dass an Bord noch jemand lebt, aber wir müssen ins Innere gelangen; die Systeme Warmlaufen lassen und die Sicherungen ausschalten.«
Norquinco sah ihn staunend an. »Das kann ich machen, Sky.«
»Gut. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Sie würden sich auf den Weg zu dem Gespensterschiff machen, fuhr Sky fort, sobald er ein Shuttle an sich bringen könne, ohne dass jemand etwas von seiner wahren Absicht ahne — schon das erfordere sorgfältige Planung. Außerdem würden sie mehrere Tage abwesend sein, und in dieser Zeit dürfe sie niemand vermissen. Aber der Aufwand würde sich vermutlich lohnen. Das Schiff liege hinter ihnen wie ein fetter Köder, es lade sie förmlich dazu ein, seine Schätze zu plündern. Und er, Sky, wisse als Einziger mit Sicherheit, dass es überhaupt existiere.
»Weißt du«, murmelte Clown, der wieder bei ihm war, »eine solche Chance nicht zu nützen, wäre geradezu ein Verbrechen.«
Als Sky von mir abließ — in Realzeit hatte die Episode wie üblich nur einen Augenblick gedauert —, griff ich in die Tasche und tastete nach meiner Waffe. Die phallische Bedeutung dieser Geste entging mir nicht, doch ich zuckte nur die Achseln und tat das einzig Sinnvolle: ich ging auf das Licht zu, auf den Eingang in die Zone des Baldachins, in der man mich abgesetzt hatte.
Ich betrat eine Art Markthalle und bemühte mich, mein Selbstbewusstsein dadurch zu heben, dass ich eine möglichst forsche, großspurige Haltung einnahm. Hier ging es nicht weniger lebhaft zu als im Escher-Turm, obwohl es schon weit nach Mitternacht war. Aber die Architektur war für mich vollkommen neu. Das Gebäude, in dem Waverly mich präpariert hatte, und die geometrischen Formationen, die in Zebras Räumlichkeiten so etwas wie wohnliche Atmosphäre vermitteln sollten, hatten mir einen ersten Vorgeschmack gegeben. Doch hier hatte man das kurvilineare Nebeneinander unversöhnlicher Topologien, darmähnlicher Rohre und teigig-weicher Wände und Decken so auf die Spitze getrieben, dass es mir die Sinne verwirrte.
Eine Stunde lang schlenderte ich umher, studierte die Gesichter, setzte mich gelegentlich an einen der (offenbar allgegenwärtigen) Karpfenteiche und ließ mir die jüngsten Ereignisse durch den Kopf gehen. Ich gab die Hoffnung nicht auf, dass sich die vielen Teile irgendwann zu einem Bild zusammenfügen würden, das mir zeigte, was hier tatsächlich vorging, und welche Rolle ich dabei spielte. Aber ich fand nur halbgare, lückenhafte Muster, bei denen einzelne Teile fehlten und störende Asymmetrien den Gesamteindruck verdarben. Vielleicht hätte ein intelligenterer Mensch als ich andere Zusammenhänge entdeckt, aber ich war zu müde, um nach kunstvoll verschleierten Verbindungen zu suchen. Ich sah nur die oberste Schicht. Man hatte mich hierher geschickt, um einen Mann zu töten, und bevor ich überhaupt richtig angefangen hatte, nach ihm zu suchen, hatte er plötzlich gegen alle Wahrscheinlichkeit nur wenige Meter entfernt vor mir gestanden. Eigentlich hätte ich mich darüber freuen müssen, auch wenn ich es versäumt hatte, die Gelegenheit zu nützen. Stattdessen war mir die ganze Sache so unheimlich, als hätte ich in einer Pokerpartie gleich beim Ausgeben vier Asse bekommen.
Ein solcher Glückstreffer konnte nur der Vorbote einer Pechsträhne sein.
Ich griff in meine Tasche und betastete das Bündel mit den restlichen Geldscheinen. Es war in dieser Nacht merklich dünner geworden — die Kleider und die Beratung des Meistermischers waren nicht billig gewesen —, aber noch saß ich nicht ganz auf dem Trockenen. Ich ging zu dem Sims zurück, wo Chanterelle mich abgesetzt hatte, und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Ich wusste nur, dass ich noch einmal mit Zebra sprechen musste.
Gerade als ich mich anschickte, die Halle zu verlassen, tauchte, von Haustieren, Servomaten und Kameradrohnen umschwärmt wie eine mittelalterliche Heiligenprozession von ihren Cherubim und Seraphim, eine Horde aufgeputzter Aristokraten aus dem Dunkeln auf. Zwei prunkvolle Bronze-Palankine, nicht größer als Kindersärge, folgten dem Zug, in einigem Abstand dahinter kam ein schlichteres Modell: ein scharfkantiger grauer Kasten mit einem vergitterten Fensterchen an der Vorderseite. Dieser Palankin hatte keine Manipulatoren, schleppte sich mit heulenden Motoren dahin und hinterließ eine Ölspur.
Ich entwickelte einen rudimentären Plan. Ich würde mich unter die Nachtschwärmer mischen und mich erkundigen, ob einer von ihnen Zebra kannte. Wenn ja, würde ich einen Weg finden, zu ihr zu gelangen, auch wenn ich dazu jemanden aus der Gruppe unter Androhung von Gewalt zwingen müsste, mich in seiner Gondel mitzunehmen.
Der Zug hielt an, und ein Mann mit einem runden Mondgesicht zog ein Kästchen mit Traumfeuer-Ampullen aus der Tasche. Er achtete darauf, dass unbeteiligte Passanten nicht sahen, was er in den Händen hielt, versuchte aber nicht, das Feuer vor dem Rest der Gruppe zu verbergen.
Ich drückte mich in die Schatten und war froh, dass mich bisher niemand bemerkt hatte.
Die anderen Nachtschwärmer scharten sich um den Mann, Hochzeitswaffen und einfache Injektionsspritzen blitzten auf. Männer wie Frauen klappten sich den Kragen herunter und stießen sich die Stahlkanülen in die Haut. Die beiden kleineren Palankine blieben bei der Gruppe, aber der schlichte graue umkreiste sie, und ich sah, wie sich der eine oder andere nervös nach ihm umdrehte, während er drauf wartete, sich einen Schuss zu setzen.
Der graue Palankin gehörte nicht dazu.
Kaum hatte ich diesen Schluss gezogen, als die Kiste anhielt. Die vordere Wand schwang seufzend und mit qualmenden Angeln auf, und ein Mensch stolperte heraus. Jemand in der Gruppe schrie auf und zeigte auf ihn, und sofort wich der ganze Schwarm zurück; sogar die Miniatur-Palankine suchten das Weite.
Der Mann bot einen grauenvollen Anblick.
Sein nackter Körper war der Länge nach zweigeteilt. Die eine Hälfte war ganz normal; gnadenlos jung und schön wie alle anderen in der Gruppe, der er sich genähert hatte. Aber die andere Hälfte war von metallisch glitzernden Wucherungen durchsetzt und bewegungsunfähig. Zahllose vielfach verzweigte silbergraue Fäden bohrten sich durch das Fleisch, und verschlangen sich zehn, zwanzig, dreißig Zentimeter darüber zu einer wirren, grauen Masse. Bei jedem schlurfenden Schritt lösten sich mit kaum vernehmlichem Klirren winzige Teilchen ab und fielen wie Samenkörner zu Boden.
Der Mann wollte sprechen, doch aus seinem schiefen Mund kam nur ein entsetzliches Wimmern.
»Verbrennt ihn!«, rief jemand aus der Gruppe. »Um Gottes willen, verbrennt ihn doch!«
»Die Seuchenbrigade ist bereits unterwegs«, sagte eine andere Stimme.
Der Mann mit dem Mondgesicht trat etwas näher an das Seuchenopfer heran und schwenkte eine fast leere Ampulle.
»Ist es das, was du willst?«
Der Kranke stammelte etwas und stolperte noch näher heran. Er hatte es wohl gewagt, seine Implantate zu behalten, ohne sich wirksam vor der Seuche zu schützen, dachte ich. Vielleicht hatte er einen billigen Palankin gewählt, der nicht so hermetisch dicht war wie ein teureres Modell. Vielleicht hatte er sich auch erst in das Gefährt zurückgezogen, nachdem er sich bereits angesteckt hatte, in der Hoffnung, die Seuche würde sich langsamer ausbreiten, wenn er keinen neuen Sporen mehr ausgesetzt wäre.
»Hier. Nimm das und lass uns in Frieden. Mach schnell. Die Seuchenbrigade wird bald hier sein.«
Der Mann mit dem Mondgesicht warf dem Kranken die — Ampulle zu; der machte einen Satz und wollte sie auffangen, aber es gelang ihm nicht. Die Ampulle fiel zu Boden und zerbrach, das restliche Feuer lief aus.
Dennoch ließ sich der Kranke vornüber fallen und schlug so auf, dass er die kleine scharlachrote Pfütze fast mit dem Gesicht berührte. Beim Sturz wirbelte er eine graue Wolke von Bruchstücken auf. Ein Wimmern drang aus seinem Mund, aber ich konnte nicht erkennen, ob es Lust oder Schmerz ausdrückte, und dann scharrte er sich mit der heilen Hand ein paar Tropfen Feuer in den Mund. Die Gruppe beobachtete die Szene wie gebannt. Man hielt Abstand, aber die Kameras zeichneten alles auf. Inzwischen hatte das Spektakel weitere Schaulustige angelockt, und alle betrachteten den Mann, als wären seine Zuckungen, sein Gewimmer nur eine besonders bizarre Performance.
»Ein ausnehmend schwerer Fall«, bemerkte jemand. »Ein solches Maß an Asymmetrie habe ich noch nie erlebt. Ob wir wohl genügend Abstand halten?«
»Das werden wir früher oder später schon merken.«
Der Mann wälzte sich immer noch auf dem Boden, als durch die Halle die Seuchenbrigade anrückte. Sie konnte nicht von sehr weit her gekommen sein. Ein Kommandotrupp von Technikern in Schutzkleidung schob eine plumpe Maschine vor sich her, die aussah wie ein übergroßer Palankin. Vorne war sie offen, auf allen Seiten prangten Biohazard-Symbole. Der Kranke wühlte weiter in der Feuer-Pfütze, ohne sich darum zu kümmern, und er hörte auch nicht auf, als das brummende Ungetüm über ihn gefahren und die Vorderseite von oben mit einer Schiebetür verschlossen wurde. Die Techniker arbeiteten rasch und verständigten sich mit präzisen Handzeichen und geflüsterten Kommandos. Das Stampfen und Brummen der Maschine war ohrenbetäubend. Die Nachtschwärmer sahen wortlos zu; das Traumfeuer und die Instrumente, mit denen sie es sich verabreicht hatten, waren verschwunden. Wenig später schoben die Techniker ihre Maschine zurück. Darunter war der Boden blitzblank. Ein Mann fegte den ganzen Bereich mit einem Gerät, das wie eine Mischung aus Besen und Minensucher aussah. Nach ein paar Schwüngen hob er den Daumen und folgte seinen Kollegen, die hinter der immer noch brummenden Maschine in die Halle zurückkehrten.
Die Nachtschwärmer blieben noch, aber nach dem Zwischenfall war ihnen offenbar die Lust auf weitere Unternehmungen vergangen. Wenig später waren sie alle in zwei Privatgondeln verschwunden, ohne dass ich Gelegenheit gefunden hätte, mich anzuhängen.
Dafür sah ich da, wo das Mondgesicht gestanden hatte, etwas auf dem Boden liegen. Zunächst dachte ich, es wäre eine von den Traumfeuer-Ampullen, doch als ich näher trat — noch hatte niemand anderer es gesehen — erkannte ich, dass es ein Empirikum war. Es musste ihm wohl herausgefallen sein, als er das Kästchen mit dem Traumfeuer wieder in die Tasche schob.
Ich kniete nieder und hob es auf. Ein schmaler, schwarzer Zylinder ohne jede Markierung mit Ausnahme einer kleinen silbernen Made am oberen Ende.
Bei Vadim hatte ich neben seinem Vorrat an Traumfeuer eine ganze Reihe ähnlich aussehender Empirika gefunden.
»Tanner Mirabel?«
Nur eine Spur von Neugier schwang in den Worten mit.
Ich sah mich um. Die Stimme war von hinten gekommen. Der Sprecher trug einen schwarzen Mantel, der gerade so viele Zugeständnisse an die Baldachin-Mode machte wie unbedingt nötig. Sein Gesicht war grau, und er schaute so ernst drein wie ein Leichenbestatter, der einen schlechten Tag hatte. Seine soldatisch stramme Haltung setzte sich bis in die deutlich hervortretenden Nackenmuskeln hinein fort.
Ein Mann, mit dem nicht zu spaßen war, wer er auch sein mochte.
Seit er meine volle Aufmerksamkeit gewonnen hatte, sprach er leise und bewegte kaum die Lippen. »Ich arbeite für einen professionellen Sicherheitsdienst« sagte er. »Wenn ich mit meiner Neurotoxin-Waffe auf Sie schieße, sind Sie in weniger als drei Sekunden tot. Sie macht keinen Lärm und fällt überhaupt nicht auf. Sie hätten nicht einmal Zeit, in meine Richtung zu schauen.«
»Genug der Artigkeiten«, sagte ich.
»Sie begreifen also, dass ich ein Profi bin wie Sie«, sagte der Mann und nickte zum Nachdruck. »Auch ich wurde dazu ausgebildet, so effizient wie möglich Menschen zu töten. Ich hoffe, das gibt uns eine gemeinsame Basis, sodass wir vernünftig miteinander reden können.«
»Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie wollen.«
»Wer ich bin, braucht Sie nicht zu kümmern. Selbst wenn ich es Ihnen sagen wollte, müsste ich lügen, und was hätten Sie dann davon?«
»Zugegeben.«
»Gut. Sie können mich also Pransky nennen. Die zweite Frage ist leichter zu beantworten. Ich soll Sie zu jemandem begleiten, der Sie gern sprechen möchte.«
»Und wenn ich keine Begleitung wünschet«
»Sie haben die Wahl.« Er sprach immer noch so leise und ruhig wie ein junger Mönch, der sein Brevier las. »Aber dann sollten Sie mit einer Dosis Tetrodotoxin rechnen, die stark genug ist, um zwanzig Menschen zu töten. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass die biochemische Zusammensetzung Ihrer Membranen nicht mit der von anderen Menschen — oder höheren Wirbeltieren — zu vergleichen ist.« Er lächelte und ließ dabei blendend weiße Zähne aufblitzen. »Aber das werden Sie leider selbst beurteilen müssen.«
»Wahrscheinlich würde ich ein solches Risiko nicht eingehen wollen.«
»Sehr vernünftig.«
Pransky winkte mich mit der flachen Hand an dem nierenförmigen Karpfenteich vorbei, der so etwas wie ein Zentrum in diesem Teil des Gebäudes darstellte.
»Bevor Sie zu dreist werden«, sagte ich, ohne mich von der Stelle zu rühren, »sollten Sie vielleicht wissen, dass auch ich bewaffnet bin.«
»Das ist mir bekannt«, sagte er. »Wenn Sie wollen, kann ich Ihre Waffe sogar spezifizieren. Und ich kann Ihnen auch sagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine von Ihren Eiskugeln mich tötet, bevor ich Ihnen das Gift injiziere, und ich glaube nicht, dass Sie von Ihren Chancen sehr beeindruckt wären. Weiterhin möchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich zwar Ihre Waffe derzeit in Ihrer rechten Tasche befindet, nicht aber ihre Hand, was die Wirksamkeit Ihrer Drohung doch sehr verringert. Wollen wir gehen?«
Ich setzte mich in Marsch. »Sie arbeiten für Reivich, nicht wahr?«
Zum ersten Mal verriet mir etwas in seinem Gesicht, dass er die Lage nicht völlig unter Kontrolle hatte. »Den Namen habe ich noch nie gehört«, sagte er ärgerlich. Ich gestattete mir ein Lächeln. Es war kein großer Sieg, aber es war besser als nichts. Es war natürlich möglich, dass Pransky mir etwas vormachte. Aber das hätte er sicher überzeugender tun können. Ich hatte ihn überrumpelt.
In der Halle erwartete mich ein leerer silberner Palankin. Pransky wartete, bis wir unbeobachtet waren, dann ließ er die Tür aufschwingen. Eine rote Plüschbank wurde sichtbar.
»Sie werden nie erraten, was ich jetzt von Ihnen möchte«, sagte Pransky.
Ich stieg ein und ließ mich auf die Sitzbank sinken. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, betätigte ich probeweise einige der Schalter im Innern, aber nichts geschah. Dann setzte sich der Palankin unheimlich lautlos in Bewegung. Durch das grüne Fensterchen sah ich die Halle an mir vorübergleiten. Pransky ging ein Stück vor mir.
Und dann wurde ich auf einmal sehr müde.
Zebra empfing mich mit einem langen, kühlen Blick, als begutachtete sie ein neues Gewehr. Ihr Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Alle Theorien, die ich aufgestellt hatte, basierten darauf, dass sie bei unserem ersten Wiedersehen sehr erfreut oder sehr böse auf mich wäre.
Stattdessen schien sie nur besorgt.
»Verdammt, was fällt dir eigentlich ein?«, sagte ich. »Wenn die Frage erlaubt ist.«
Sie stand breitbeinig vor mir und schüttelte langsam den Kopf. »Du hast wirklich Nerven. Wie kannst du nach allem, was du mir angetan hast, so mit mir reden?«
»Ich denke, im Moment sind wir quitt.«
»Wo haben Sie ihn gefunden, und was hat er getrieben?«, wandte sie sich an Pransky.
»Er ist nur rumgestanden«, sagte der Mann. »Und hat sich verdächtig gemacht.«
»Ich wollte zu dir«, sagte ich zu Zebra.
Pransky deutete auf einen der außerordentlich funktionalen Stühle, das einzige Mobiliar in diesem Raum. »Nehmen Sie Platz, Mirabel. Wir lassen Sie hier nicht so schnell wieder weg.«
»Es wundert mich, dass du es so eilig hattest, mich wiederzusehen«, sagte Zebra. »Beim letzten Mal hast du dich ja nicht sehr lange aufgehalten.«
Mein Blick wanderte zu Pransky. Was spielte er für eine Rolle, und wie viel mochte er wissen?
»Ich hatte dir eine Nachricht hinterlassen«, sagte ich kläglich. »Und später habe ich dich angerufen und mich entschuldigt.«
»Und dass du dabei auch in Erfahrung bringen wolltest, wo die nächste Jagd stattfand, war reiner Zufall?«
Ich zuckte die Achseln und versuchte zugleich auszuloten, ob die Unbequemlichkeit des steifen, unnachgiebigen Stuhls irgendwelche Grenzen kannte. »Wen hätte ich denn sonst fragen sollen?«
»Du bist ein Stück Dreck, Mirabel. Ich weiß wirklich nicht, warum ich mich so sehr um dich bemühe. Du bist es überhaupt nicht wert.«
Zebra sah immer noch aus wie Zebra, so lange man sich nicht auf die Details konzentrierte. Die hellen und die dunklen Hautpartien waren einander so weit angeglichen, dass nur noch schwache Striche zu erkennen waren, die wie graue Schilfhalme die Konturen ihres Gesichts betonten und bei einer bestimmten Beleuchtung vollends verschwanden. Aus dem steifen schwarzen Haar war ein blonder Pagenkopf mit einem stumpf geschnittenen Pony geworden. Ihre Kleidung war dezent, sie trug einen Mantel von ähnlichem Schnitt wie der meine, der ihr bis über die Stiefel mit den Pfennigabsätzen fiel und wie eine schwarze Schleppe hinter ihr über den Boden schleifte. Ich vermisste nur die groben Flicken, die Vadims Originalmantel zierten.
»Ich habe nie behauptet, sehr viel wert zu sein«, sagte ich. »Aber ich finde doch, ich habe eine Erklärung verdient. Können wir festhalten, dass wir beide uns heute Abend begegnet wären, hätte sich nicht ein ziemlich großes Monstrum von Fisch mit Namen Methusalem zwischen uns gedrängt?«
»Ich stand hinter dir«, sagte Zebra. »Wenn du etwas von mir gesehen hast, dann war es mein Spiegelbild. Es ist nicht meine Schuld, dass du dich nicht umgedreht hast.«
»Du hättest etwas sagen können.«
»Dein Mitteilungsbedürfnis war auch nicht gerade grenzenlos, Tanner.«
»Na schön; können wir von vorne anfangen?« Ich bat nicht nur Zebra, sondern auch Pransky mit einem Blick ums Wort. »Ich sage, wie ich mir die Sache denke, und dann sehen wir weiter?«
»Das klingt sehr vernünftig«, sagte der kleine Sicherheitsexperte.
Ich holte tief Atem. Ich stand im Begriff, mich so weit vorzuwagen wie noch nie seit meiner Ankunft. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. »Ihr arbeitet für Reivich«, sagte ich. »Alle beide.«
Pransky sah Zebra an. »Den Namen hat er schon einmal erwähnt. Ich weiß nicht, wen er meint.«
»Schon gut«, sagte Zebra. »Ich weiß es.«
Ich nickte tief erleichtert. Es war paradox, aber ich hatte vermutlich resigniert. Dass Zebra für den Mann arbeitete, den ich ermorden sollte, konnte wahrhaftig kein Trost für mich sein — schon gar nicht jetzt, da ich in ihrer Gewalt war. Doch zugleich spürte ich eine morbide Freude darüber, wenigstens ein Rätsel gelöst zu haben.
»Reivich muss sich sofort nach seiner Ankunft mit dir in Verbindung gesetzt haben«, sagte ich. »Du arbeitest — freiberuflich? Vielleicht auch als Sicherheitsexpertin, so wie Pransky? Das würde passen. Du konntest mit Waffen umgehen, und als Waverlys Leute mich verfolgten, warst du ihnen immer einen Schritt voraus. Deine Geschichte, du wolltest die Jagd sabotieren, war lediglich Tarnung. Wer weiß, vielleicht spielst du das Große Spiel selbst jede Nacht mit den besten Jägern aus dem Baldachin. So. Wie hört sich das bisher an?«
»Faszinierend«, sagte Zebra. »Bitte sprich weiter.«
»Du wurdest von Reivich beauftragt, mich ausfindig zu machen. Er hatte bereits den Verdacht, dass jemand von Sky’s Edge hinter ihm her war, es ging also nur darum, das Ohr an den Boden zu legen und zu lauschen. Der Musiker gehörte auch dazu — er war der Strohmann, der mich beschattete, nachdem ich das Habitat der Eisbettler verlassen hatte.«
»Wer ist der Musiker?«, fragte Pransky. »Zuerst Reivich und jetzt der Musiker. Gibt es diese Leute eigentlich wirklich?«
»Halten Sie den Mund«, befahl Zebra. »Und lassen Sie Tanner weiterreden.«
»Der Musiker war gut«, sagte ich. »Aber ich weiß nicht, ob ich ihm genügend Material geliefert habe; ob er zweifelsfrei sagen konnte, dass ich kein harmloser Einwanderer war, sondern wirklich der Mann, den er suchte.« Ich sah Zebra fragend an, aber sie ging nicht darauf ein, und so fuhr ich fort. »Vielleicht konnte der Musiker Reivich nur melden, ich sei noch im Rennen. Deshalb blieb ich weiter unter Beobachtung. Du hattest irgendwelche Verbindungen zu den Jägern — vielleicht sogar zu einer Gruppe von echten Saboteuren, wer weiß? Und durch Waverly hast du erfahren, dass man mich als Opfer angeworben hatte.«
»Was redet er da?«, fragte Pransky.
»Leider die Wahrheit«, sagte Zebra und bedachte den Sicherheitsexperten, der wahrscheinlich ihr Untergebener, ihr Ersatzmann oder ihr Mädchen für alles war, mit einem strafenden Blick. »Wenigstens, so weit es die Jagd angeht. Tanner hatte sich in die falsche Gegend des Mulch verirrt und wurde gefangen. Er hat sich wacker geschlagen, aber wenn ich nicht rechtzeitig gekommen wäre, hätte er womöglich nicht überlebt.«
»Zebra musste mich retten«, sagte ich. »Aber sie hat es nicht aus Edelmut getan. Sie brauchte Informationen. Wäre ich umgekommen, dann hätte niemand mehr mit Sicherheit feststellen können, ob ich wirklich der Killer gewesen war, der Reivich töten sollte. Das hätte Reivich in eine unangenehme Lage gebracht; er hätte für den Rest seines Lebens keine ruhige Stunde mehr gehabt, hätte stets befürchten müssen, dass ihm der echte Killer dicht auf den Fersen war. So etwas bereitet einem schlaflose Nächte. So war es doch, nicht wahr, Zebra?«
»Könnte sein«, sagte sie. »Wenn ich mich deinen Wahnvorstellungen anschließen würde.«
»Warum hättest du mich denn sonst gerettet, wenn du mich nicht am Leben erhalten wolltest, um herauszufinden, ob ich wirklich euer Mann war?«
»Ich hatte dir meine Gründe bereits genannt. Ich hasse die Jagd und wollte dir helfen.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Tut mir Leid, Tanner. Ich würde dir gerne helfen, an deiner paranoiden Konstruktion weiter zu bauen, aber hier ist die Grenze. Ich bin das, was ich dir sagte, und ich habe dich über meine Motive nicht belogen. Und so sehr ich Pransky auch schätze, möchte ich dich doch bitten, auch in seiner Gegenwart Bemerkungen über die Saboteure auf ein unerlässliches Minimum zu beschränken.«
»Aber du hast mir — ihm — doch eben gestanden, du wüsstest, wer Reivich ist.«
»Ich weiß es jetzt. Damals wusste ich es noch nicht. Wollen wir weitermachen? Vielleicht solltest du dir auch meine Version anhören?«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Zebra holte tief Atem und betrachtete interessiert die teigige Deckenfläche, dann kehrte ihr Blick zu mir zurück. Ich hatte das Gefühl, das sie alles, was sie jetzt sagen wollte, sorgsam einstudiert hatte.
»Ich habe dich vor Waverlys Jägerrotte gerettet«, sagte Zebra. »Und mach dir nicht vor, du wärst da auch alleine lebend herausgekommen, Tanner. Du bist gut — das sieht man —, aber so gut ist niemand.«
»Vielleicht kennst du mich nur noch nicht gut genug.«
»Ich weiß nicht, ob ich dich noch besser kennen lernen möchte. Darf ich fortfahren?«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Du hast mich bestohlen. Du hast nicht nur Kleider und Geld genommen, sondern eine Waffe, von der du eigentlich gar nicht hättest wissen dürfen, wie sie funktioniert. Von der Gondel will ich gar nicht sprechen. Du hättest bei mir bleiben können, bis das Implantat zu senden aufhörte, aber aus irgendeinem Grund glaubtest du, auf dich allein gestellt besser zu fahren.«
Ich zuckte die Achseln. »Immerhin bin ich noch am Leben.«
»Bis auf Weiteres«, räumte Zebra ein. »Aber Waverly ist tot, und er war einer unserer wenigen Verbündeten im Zentrum der Bewegung. Ich weiß, dass du ihn getötet hast, Tanner — deine Spur war so heiß, als hättest du bei jedem Schritt Plutonium verstreut.« Sie schlenderte durch den Raum, ihre Pfennigabsätze klickten im Takt wie zwei Metronome. »Das war sehr bedauerlich.«
»Waverly ist mir einfach in die Schusslinie gelaufen. Es ist nicht so, als hätte der dreckige Sadist auf meiner Wunschliste gestanden.«
»Warum hast du nicht abgewartet?«
»Ich hatte etwas zu erledigen.«
»Reivich, richtig? Wahrscheinlich möchtest du für dein Leben gern wissen, woher ich den Namen kenne und woher ich weiß, was er für dich bedeutet.«
»Ich dachte, das willst du mir gerade erzählen.«
»Nachdem du meine Gondel zu Schrott gefahren hattest«, sagte Zebra, »bist du im Grand Central Terminal aufgetaucht. Von dort hast du mich angerufen.«
»Weiter.«
»Ich war neugierig, Tanner. Ich hatte inzwischen von Waverlys Tod erfahren und wusste nicht, was ich davon halten sollte. Eigentlich hättest du der Tote sein müssen — trotz des Gewehrs, das du mir gestohlen hattest. Und so fragte ich mich, wen ich da bei mir aufgenommen hatte. Ich musste es herausfinden.« Sie blieb stehen. Das Klicken der Absätze verstummte. »Es war nicht weiter schwierig. Du interessiertest dich so lebhaft dafür, wo das Große Spiel in dieser Nacht stattfinden sollte. Also sagte ich es dir. Falls du dort aufkreuzen solltest, wollte ich ebenfalls da sein.«
Ich dachte zurück. Mir schien, als wären seither Hunderte von Stunden vergangen, tatsächlich hatte das Gespräch jedoch erst am Abend jener langen Nacht stattgefunden, die für mich noch immer nicht zu Ende war. »Du warst da, als ich Chanterelle entführte?«
»Damit hatte ich nicht gerechnet.«
»Natürlich nicht — wie solltest du auch?«, sagte ich. »Und was ist nun mit Reivich? Wie kommt er ins Spiel?«
»Über eine gemeinsame Bekannte mit Namen Dominika.« Zebra lächelte. Sie genoss es, mich überrascht zu haben.
»Du warst bei Dominika?«
»Es erschien mir logisch. Ich beauftragte Pransky, dir in den Escher-Turm zu folgen, während ich auf den Basar ging und mit der alten Frau sprach. Ich wusste, dass du das Implantat hattest entfernen lassen. Und da du an diesem Tag auf dem Basar gewesen warst, wusste Dominika mit Sicherheit, wer die Operation durchgeführt hatte, falls sie es nicht selbst gewesen war. Was natürlich der Fall war und die Sache enorm vereinfacht hat.«
»Gibt es eigentlich jemanden in Chasm City, den sie nicht betrogen hat?«
»Irgendwo vielleicht schon, aber das ist nur eine sehr theoretische Möglichkeit. Eigentlich ist Dominika ein ziemlich krasses Beispiel für das zentrale Paradigma unserer Stadt, und das lautet, es gibt nichts und niemanden, der nicht käuflich wäre, vorausgesetzt, der Preis stimmt.«
»Was hat sie dir erzählt?«
»Nur, dass du ein sehr interessanter Mann bist, Tanner, und dass es dir sehr am Herzen lag, einen Herrn namens Argent Reivich ausfindig zu machen. Einen Mann, der erst wenige Tage zuvor im Escher-Turm eingetroffen war. Was für ein Zufall, besonders, da Pransky dich zufällig genau in diesen Teil des Baldachins verfolgt hatte!«
Jetzt hielt der drahtige kleine Sicherheitsexperte die Zeit für gekommen, den Faden aufzunehmen. »Ich beschattete Sie fast die ganze Nacht hindurch, Tanner. Sie wurden mit Chanterelle Sammartini allmählich richtig warm, nicht wahr? Wer hätte das gedacht — ausgerechnet mit ihr?« Er schüttelte den Kopf, als hätte ich damit gegen ein fundamentales Naturgesetz verstoßen. »Sie sind herumspaziert wie alte Freunde. Ich habe Sie sogar bei den Palankin-Rennen gesehen.«
»Wie entsetzlich romantisch«, säuselte Zebra, aber Pransky ließ sich nicht unterbrechen.
»Ich habe Taryn angerufen und mich mit ihr verabredet«, sagte er. »Dann folgten wir Ihnen beiden — natürlich in diskretem Abstand. Zuerst gingen sie in eine Boutique und kamen als neuer Mensch heraus — zumindest waren Sie nicht mehr der Alte. Dann besuchten Sie den Meistermischer. Der erwies sich als ziemlich harte Nuss. Er hat mir nicht verraten, was Sie von ihm wollten, und dabei bin ich doch so schrecklich neugierig.«
»Nur eine Kontrolluntersuchung«, sagte ich.
»Mag sein.« Pransky faltete seine schmalen, langfingrigen Hände und ließ geräuschvoll die Knöchel knacken. »Vielleicht spielt es wirklich keine Rolle. Jedenfalls ist mir nicht ganz klar, wie es zu den folgenden Geschehnissen passt.«
»Nämlich?«, fragte ich interessiert.
Zebra brachte ihren Partner mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen. »Du hättest beinahe jemanden getötet«, sagte sie. »Ich habe es genau gesehen, Tanner. Ich wollte gerade auf dich zugehen und dich fragen, was du da machst, da hattest du plötzlich eine Pistole in der Hand. Ich konnte dein Gesicht nicht sehen, aber ich war dir lange genug gefolgt, um sicher zu sein, dass du es warst. Dann bist du mit der Pistole losmarschiert, so ruhig und selbstverständlich, als hätte — man dir das schon an der Wiege gesungen.« Sie hielt inne.
»Und dann hast du die Waffe wieder eingesteckt, und niemand hatte dich so aufmerksam beobachtet, dass er etwas gemerkt hätte. Du hast dich umgeschaut, aber wen du zuvor auch gesehen hattest, er war ganz offensichtlich verschwunden — falls er jemals da gewesen war. Es war Reivich, nicht wahr?«
»Sag du es mir, wenn du schon alles weißt.«
»Ich glaube, du bist hierher gekommen, um ihn zu töten«, sagte Zebra. »Den Grund dafür kenne ich nicht. Die Reivichs sind eine alte Baldachin-Familie, aber sie haben weniger Feinde als manche andere. Trotzdem passt alles zusammen. Es würde erklären, warum du so dringend in den Baldachin wolltest, dass du sogar einem Jagdtrupp in die Hände gelaufen bist. Und warum du dich so sehr gesträubt hast, im Schutz meines trauten Heims zu bleiben. Du hattest Angst, Reivichs Fährte zu verlieren. Nun gib schon zu, dass ich Recht habe, Tanner.«
»Hätte es denn einen Sinn, wenn ich leugnen würde?«
»Kaum, aber du kannst es gerne probieren.« Sie hatte Recht. Vor ein paar Stunden hatte ich Chanterelle mein Herz ausgeschüttet, nun beichtete ich Zebra. Aber es wurde kein so intimes Gespräch, vielleicht deshalb, weil Pransky dabei war und sich kein Wort entgehen ließ. Oder weil ich den Verdacht hatte, die beiden wüssten in Wirklichkeit mehr über mich, als sie zugaben, und ich erzählte ihnen kaum etwas Neues. Ich sagte ihnen, Reivich stamme von meiner Heimatwelt und sei an sich kein schlechter Mensch, aber er habe aus Torheit oder Schwäche ein schweres Verbrechen begangen und müsse dafür nicht weniger streng bestraft werden, als wenn er als tobender, gemeingefährlicher Irrer geboren worden wäre.
Als ich fertig war — Zebra und Pransky hatten mich ausgequetscht wie eine Zitrone und meine Geschichte bis ins letzte Detail nachgeprüft, als wüssten sie, dass irgendwo ein Widerspruch stecken müsste —, hatte ich noch eine letzte Frage. »Warum hast du mich hierher bringen lassen, Zebra?« Sie stemmte die Hände in die Hüften, sodass die Ellbogen unter dem schwarzen Mantel zu sehen waren. »Was glaubst du?«
»Vermutlich warst du neugierig. Aber das reicht nicht aus.«
»Du bist in Gefahr, Tanner. Ich tue dir nur einen Gefallen.«
»In Gefahr bin ich seit meiner Ankunft. Das ist nichts Neues für mich.«
»Wir reden von einer echten Gefahr«, sagte Pransky. »Sie stecken schon zu tief drin. Sie haben zu viel Aufmerksamkeit erregt.«
»Er hat Recht«, sagte Zebra. »Dominika war die Schwachstelle. Sie könnte inzwischen die halbe Stadt alarmiert haben. Reivich wusste höchstwahrscheinlich, dass du hier bist, und er weiß wohl auch, dass er dir heute Nacht nur knapp entronnen ist.«
»Das begreife ich nicht«, sagte ich. »Wenn er bereits gewarnt war, warum, zum Teufel, musste er sich dann förmlich zur Zielscheibe machen? Wenn ich nur eine Winzigkeit schneller gewesen wäre, hätte ich ihn erwischt.«
»Vielleicht ist er Ihnen nur zufällig über den Weg gelaufen«, meinte Pransky.
Zebra sah ihn verächtlich an. »In einer Stadt dieser Größe? Nein; Tanner hat Recht. Das Treffen kam zustande, weil Reivich es so eingerichtet hatte. Und da ist noch etwas. Sieh mich an, Tanner. Fällt dir etwas auf?«
»Du hast dein Aussehen verändert.«
»Richtig. Und das ist nicht weiter schwierig, glaube mir. Auch Reivich hätte das tun können — nichts Drastisches; nur so viel, um in der Öffentlichkeit nicht sofort erkannt zu werden. Ein paar Stunden unter dem Messer hätten genügt. Selbst ein halbwegs fähiger Blutverschneider hätte das hinbekommen.«
»Dann verstehe ich überhaupt nichts mehr«, sagte ich. »Es ist, als wollte er mich verspotten. Als hätte er gewollt, dass ich ihn töte.«
»Vielleicht war es so«, sagte Zebra.
Es hatte Augenblicke gegeben, da hatte ich geglaubt, ich würde diesen Raum nie wieder verlassen; Pransky und Zebra hätten mich nur hierher gebracht, um mich zu töten.
Pransky war eindeutig ein Profi, und auch Zebra war der Tod dank ihrer Verbindung zur Sabotagebewegung nicht fremd.
Aber sie ließen mich am Leben.
Wir fuhren mit einer Gondel in Zebras Wohnung. Pransky hatte anderswo zu tun. »Wer ist er?«, fragte ich, als wir allein waren. »Bezahlst du ihn dafür, dass er dir hilft?«
»Er ist Privatdetektiv«, sagte Zebra und ließ ihren Mantel, ein Häufchen schwarzen Stoffs, zu Boden fallen. »Das ist zurzeit ein blühendes Geschäft. Im Baldachin gibt es Konkurrenzkämpfe — Fehden, stille Kriege, manchmal zwischen den Familien, manchmal auch innerhalb eines Clans.«
»Du dachtest, er könnte dir helfen, mich aufzuspüren.«
»Und ich hatte mich nicht geirrt.«
»Ich weiß noch immer nicht, warum, Zebra.« Wieder sah ich aus dem Fenster in den Abgrund hinab. Er kam mir vor wie ein Vulkan, an dessen Rand eine verdammte Stadt ihren Untergang erwartete. »Es sei denn, du hättest irgendwie Verwendung für mich — aber das wäre leider verfehlt. Ich denke nicht daran, mich in irgendwelche Machtspielchen innerhalb des Baldachins hineinziehen zu lassen. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier.«
»Um einen offenbar unschuldigen Menschen zu töten.«
»Das Universum ist grausam. Darf ich mich setzen?« Ich nahm Platz, bevor sie geantwortet hatte. Einer der beweglichen Sessel hatte sich beflissen unter mein Gesäß geschoben. »Im Grunde meines Herzens bin ich immer noch Soldat, und solche Fragen zu stellen ist nicht meine Aufgabe. Wenn ich erst damit anfange, beeinträchtigt das meine Leistung.«
Zebra verstaute ihren eckigen, schlaksigen Körper in den schwellenden Polstern des Sessels gegenüber und zog die Knie bis zum Kinn hoch.
»Jemand ist hinter dir her, Tanner. Deshalb musste ich dich finden. Du bist in Gefahr. Du musst die Stadt verlassen.«
»Das kommt nicht unerwartet. Reivich hat sicher so viele Helfer angeheuert, wie er nur kriegen konnte.«
»Hier aus der Stadt?«
Eine merkwürdige Frage. »Ich denke schon. Man würde doch niemanden anheuern, der sich in der Stadt nicht auskennt.«
»Wer immer hinter dir her ist, stammt nicht von hier, Tanner.«
Ich erstarrte und veranlasste damit das Sesselinnere, eine Vibrationsmassage einzuleiten. »Was weißt du?«
»Nicht allzu viel. Aber Dominika sagte, jemand hätte nach dir gefragt. Ein Mann und eine Frau. Sie benahmen sich, als wären sie noch nie hier gewesen. Wie Fremdweltler. Und es lag ihnen sehr am Herzen, dich zu finden.«
»Ein Mann hatte bereits vorher nach mir gesucht«, sagte ich. Ich dachte an Quirrenbach. »Er gab sich als Fremdweltler aus und folgte mir aus dem Orbit hierher. Bei Dominika habe ich ihn abgeschüttelt. Möglicherweise hat er sich Verstärkung geholt und ist zurückgekommen.« Vielleicht mit Vadim. Aber man musste schon blind sein, um Vadim für eine Frau zu halten.
»Ist er gefährlich?«
»Wer von Lügen lebt, ist immer gefährlich.«
Zebra ließ sich von einem der an Deckenschienen laufenden Servomaten ein Tablett mit Karaffen verschiedener Größe und Farbe bringen und schenkte mir einen Becher Wein ein. Damit spülte ich den widerlichen Geschmack der Stadt hinunter und dämpfte den Lärm in meinem Kopf.
»Ich bin sehr müde«, sagte ich. »Vor einem Tag hast du mir Asyl angeboten, Zebra. Kann ich das Angebot jetzt annehmen, nur bis es hell wird?«
Sie sah mich über den Rand ihres Glases hinweg an. Es war bereits hell, aber sie verstand, was ich meinte. »Glaubst du wirklich, ich würde dieses Angebot nach allem, was du getan hast, noch aufrecht erhalten?«
»Ich bin Optimist«, sagte ich resigniert und hoffte, dass es überzeugend klang.
Dann trank ich noch einen Schluck Wein und spürte allmählich das ganze Ausmaß meiner Erschöpfung.