Briefe

Da mir bis zu meiner Verabredung mit dem Maer fast fünf Stunden blieben, hatte ich endlich Zeit für einen Besuch in der Unterstadt. Über dem Pferdelift wölbte sich ein herzzerreißend klarer und blauer Himmel. Mit diesem Bild vor Augen machte ich mich auf den Weg zu den VIER KERZEN.

Im Schankraum herrschte kaum Betrieb, der Wirt bemerkte mich deshalb auf dem Weg zur Hintertreppe gleich. »Halt!«, rief er in gebrochenem Aturisch. »Zahlen! Zimmer nur für zahlende Gäste!«

Da ich keine Szene machen wollte, trat ich an den Schanktresen. Der Wirt, ein magerer, schmierig wirkender Mann, sprach mit einem starken Lenatti-Akzent. Ich lächelte ihn an. »Ich will nur eine Freundin besuchen. Sie wohnt in Zimmer drei und hat langes, schwarzes Haar.« Ich zeigte mit einer Handbewegung an, wie lang. »Wohnt sie noch hier?«

»Ah«, sagte er mit einem vielsagenden Blick. »Das Mädchen. Heißt Dinay?«

Ich nickte, da ich ja wusste, dass Denna ihren Namen so oft wechselte wie andere Frauen die Frisur.

Der schmierige Mann nickte wieder. »Ja. Schöne, dunkle Augen? Ist für länger verreist.«

Mir sank das Herz, obwohl ich gewusst hatte, dass ich kaum hoffen durfte, Denna nach so langer Zeit noch hier anzutreffen. »Weißt du, wohin sie gegangen ist?«

Der Wirt lachte meckernd auf. »Nein. Du und all die anderen Wölfe schnüffeln ihr ständig hinterher. Ich hätte viel Geld damit verdienen können, mein Wissen an euch zu verkaufen. Aber nein, ich weiß es nicht.«

»Vielleicht hat sie eine Nachricht für mich hinterlassen?«, fragte ich ohne wirkliche Hoffnung. In meinem Quartier in Alverons Burg hatte ich keinen Brief und auch keine sonstige Nachricht vorgefunden. »Ich sollte sie hier besuchen.«

»Ach wirklich?«, fragte der Wirt spöttisch. Dann schien ihm etwas einzufallen. »Ich glaube, ich habe Zettel gesehen. Vielleicht. Kann nicht gut lesen. Du würdest ihn gerne sehen?« Er lächelte.

Ich nickte und mein Herz tat einen kleinen Sprung.

»Sie ist abgereist, ohne Geld im Zimmer zu lassen«, sagte der Wirt. »Siebzehneinhalb Pennys.«

Ich zog einen Silberrund aus der Tasche und zeigte ihn dem Wirt. Der Wirt wollte ihn nehmen, aber ich legte ihn auf den Tresen und hielt ihn mit zwei Fingern fest.

Der Wirt eilte in ein Hinterzimmer und blieb eine ganze Weile verschwunden. Endlich kehrte er zurück. In der Hand hielt er ein zusammengefaltetes Blatt Papier. »Habe gefunden«, rief er triumphierend und hielt das Papier hoch. »Keine Verwendung für Papier hier außer Feuermachen.«

Ich betrachtete das Papierpäckchen und schöpfte wieder Hoffnung. Es war genauso in sich zusammengefaltet wie der Brief, den ich dem Kessler für sie gegeben hatte. Wenn Denna die Faltweise von mir übernommen hatte, musste sie meinen Brief gelesen und mir diese Nachricht hinterlassen haben. Hoffentlich schrieb sie, wohin sie verreist war und wie ich sie finden konnte. Ich schob dem Wirt die Münze zu und nahm den Brief. Draußen eilte ich in den Schatten eines zurückgesetzten Torbogens. Mehr Schutz und Ruhe bot die belebte Straße nicht. Ich riss den Bogen sorgfältig auf, entfaltete ihn und trat näher ans Licht. Dann las ich.

Liebe Denna,

ich musste die Stadt im Auftrag meines Gönners verlassen. Ich werde einige Zeit weg sein, vielleicht mehrere Spannen. Die Bitte kam ganz plötzlich und ich konnte nicht ablehnen, sonst hätte ich Dich vor meiner Abreise unbedingt noch einmal sehen wollen.

Ich bedaure vieles von dem, was ich bei unserem letzten Gespräch gesagt habe, und wünschte, ich könnte mich persönlich dafür entschuldigen.

Ich werde mich gleich nach meiner Rückkehr bei Dir melden.

Dein Kvothe

Um die achte Stunde begab ich mich in die Gemächer des Maer. Caesura ließ ich diesmal zurück. Ich kam mir ohne Schwert merkwürdig nackt vor. Es ist seltsam, wie schnell man eine solche Gewohnheit annimmt.

Stapes führte mich in das Wohnzimmer des Maer und Alveron schickte den Kammerdiener zu Meluan mit der Anfrage, ob sie uns Gesellschaft leisten wolle. Ich überlegte müßig, was wohl geschehen würde, wenn sie ablehnte. Ob der Maer dann auch zur Strafe drei Tage lang nicht mit ihr sprach?

Alveron setzte sich auf ein Sofa und sah mich forschend an. »Mir sind Gerüchte über deine jüngste Unternehmung zu Ohren gekommen«, sagte er. »Einige klingen so abwegig, dass ich sie eher nicht glaube. Vielleicht erzählst du mir, was wirklich passiert ist.«

Ich überlegte kurz, wie er so schnell von meinem Abenteuer bei Levinshir erfahren haben konnte, doch dann begriff ich, dass er nur Näheres über die Verfolgung der Banditen im Eld wissen wollte. Ich tat einen stummen Seufzer der Erleichterung. »Ich gehe davon aus, dass Dedan Euch aufgesucht hat?«, fragte ich.

Alveron nickte.

»Es tut mir leid, dass ich ihn an meiner Stelle schicken musste, Euer Gnaden. Er ist nicht besonders diskret.«

Alveron zuckte mit den Schultern. »Er hat keinen Schaden angerichtet. Als er kam, bestand keine Notwendigkeit zur Geheimhaltung mehr.«

»Er hat meinen Brief also übergeben?«

»Ach ja, den Brief.« Alveron zog ihn aus einer Schublade. »Ich hielt ihn für einen etwas merkwürdigen Scherz.«

»Euer Gnaden?«

Er starrte mich ungeniert an und senkte den Blick dann auf den Brief. »Siebenundzwanzig Männer«, las er vor. »Ihrem Tun und Aussehen nach zu schließen erfahrene Söldner … ein gut eingerichtetes, zum Teil befestigtes Lager.« Er hob den Kopf. »Du kannst nicht erwarten, dass ich das glaube. Zu fünft konntet ihr unmöglich gegen so viele bestehen.«

»Wir haben sie überrascht, Euer Gnaden«, sagte ich bescheiden, aber auch mit einem gewissen Stolz.

Der Maer verzog das Gesicht. »Bitte, ich will dir deinen provinziellen Humor nicht verbieten, aber das ist doch äußerst geschmacklos. Sag mir einfach die Wahrheit und fertig.«

»Aber das habe ich bereits. Hätte ich gewusst, dass Ihr Beweise braucht, hätte ich Dedan einen Beutel voll Daumen mitgegeben. Ich brauchte eine Stunde, um ihn von diesem Vorhaben abzubringen.«

Der Maer war wider Erwarten keineswegs überzeugt. »Vielleicht hättet ihr ihn gewähren lassen sollen«, meinte er.

Ich fand unser Gespräch überhaupt nicht mehr lustig. »Wenn ich Euch anlügen wollte, Euer Gnaden, würde ich mir eine überzeugendere Geschichte einfallen lassen«, gab ich zu bedenken. »Und wenn Ihr Beweise wollt, schickt einfach jemanden hin. Wir haben die Leichen verbrannt, aber die Schädel müssten noch da sein. Den Ort des Lagers kann ich Euch auf der Karte zeigen.«

Der Maer versuchte es anders. »Und was hat es mit diesem Anführer auf sich? Dem es angeblich nichts ausmachte, ins Bein geschossen zu werden? Der in sein Zelt ging und verschwand?«

»Es war tatsächlich so, Euer Gnaden.«

Alveron sah mich lange an und seufzte schließlich. »Dann glaube ich dir«, sagte er. »Aber es ist trotzdem seltsam und unerfreulich«, murmelte er wie zu sich selbst.

»So ist es, Euer Gnaden.«

Er musterte mich seltsam prüfend. »Was für einen Reim machst du dir darauf?«

Bevor ich antworten konnte, war aus den vorderen Zimmern die Stimme einer Frau zu hören. Alverons Miene hellte sich auf und er setzte sich aufrechter hin. Ich verbarg mein Lächeln hinter vorgehaltener Hand.

»Das ist Meluan«, sagte Alveron. »Wenn ich nicht irre, bringt sie die Frage mit, von der ich heute Nachmittag gesprochen habe.« Er lächelte verschmitzt. »Ich glaube, du wirst deine Freude daran haben, sie ist wirklich sehr schwierig.«

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