Torheit

Das Frühjahrstrimester ging weiter seinen Gang. Anders als ich erwartet hatte, trat Denna in Imre nicht öffentlich auf. Vielmehr reiste sie nach ein paar Tagen in Richtung Norden weiter, nach Anilin.

Diesmal kam sie jedoch vorher eigens ins ANKER’S, um sich von mir zu verabschieden. Ich fühlte mich geschmeichelt, und der Gedanke drängte sich mir auf, dass es ein Zeichen dafür war, dass unser Verhältnis doch nicht gänzlich vergiftet sei.

Gegen Trimesterende wurde der Rektor schwer krank. Ich kannte Herma zwar nicht allzu gut, mochte ihn aber sehr. Er war mir nicht nur ein erstaunlich umgänglicher Lehrer, als ich Yllisch-Unterricht bei ihm hatte, sondern war auch schon damals, als ich frisch an die Universität gekommen war, sehr freundlich zu mir gewesen. Ich machte mir aber keine großen Sorgen um ihn. Arwyl und das Personal der Mediho konnten schließlich wahre Wunderdinge vollbringen und scheiterten bisher lediglich daran, Tote wiederaufzuerwecken.

Doch etliche Tage vergingen, ohne dass Neuigkeiten aus der Mediho drangen. Gerüchteweise hieß es, er sei zu schwach, um das Bett zu verlassen, und werde von Fieberschüben geschüttelt, die seinem mächtigen Arkanistenhirn zuzusetzen drohten.

Als klar wurde, dass er für absehbare Zeit nicht in der Lage sein würde, seinen Dienstpflichten als Rektor wieder nachzukommen, versammelten sich die Meister, um darüber zu befinden, wer an seine Stelle treten sollte. Womöglich gar auf Dauer, sollte sich sein Zustand nicht bessern.

Um es kurz zu machen: Hemme wurde zum Rektor ernannt. Nachdem sich das Entsetzen über diese Nachricht gelegt hatte, lagen die Gründe auf der Hand. Kilvin, Arwyl und Lorren waren zu beschäftigt, um sich weitere Pflichten aufzuhalsen. Gleiches galt in geringerem Maße auch für Mandrag und Dal. Blieben nur noch Elodin, Brandeur und Hemme.

Elodin wollte nicht und wurde allgemein auch als zu unberechenbar für diesen Posten angesehen. Und Brandeur hängte sein Mäntelchen ohnehin stets nach Hemmes Wind.

Also ließ sich Hemme auf dem Stuhl des Rektors nieder. Das ging mir zwar fürchterlich gegen den Strich, hatte aber auf mein alltägliches Leben so gut wie keine Auswirkungen. Ich achtete von nun an lediglich sehr darauf, nicht einmal gegen die kleinsten Regeln der Universität zu verstoßen, da ich wusste, dass Hemmes Votum zu meinen Ungunsten, sollte man mich nun auf die Hörner nehmen, doppelt zählen würde.

Als dann die nächsten Zulassungsprüfungen nahten, war Meister Herma immer noch geschwächt und fieberkrank. Mit ziemlichem Bauchgrimmen sah ich meiner ersten Prüfung unter Hemmes Vorsitz entgegen.

Die Befragungen absolvierte ich mit der gleichen geschickten List, die ich schon in den vorigen beiden Trimestern angewandt hatte: Ich zögerte bei einigen Antworten und beging ein paar Fehler, und anschließend hatte man mir jeweils Studiengebühren von zwanzig Talenten oder so aufgebrummt. Es war genug, um ein bisschen Geld damit zu verdienen, aber nicht genug, um mich allzu sehr zu blamieren.

Hemme stellte mir wie stets irreführende Fragen, aber das war ja nichts Neues mehr für mich. Der einzige Unterschied schien darin zu bestehen, dass Hemme nun ständig lächelte. Und es war kein freundliches Lächeln.

Anschließend berieten sich die Meister wie üblich leise. Dann verlas Hemme die Höhe meiner Studiengebühren: Fünfzig Talente. Der Rektor hatte offenbar einen größeren Einfluss auf diese Dinge, als mir bis dahin bewusst gewesen war.

Ich biss mir auf die Lippen, um nicht laut loszulachen, und setzte dann eine niedergeschlagene Miene auf, als ich ins Untergeschoss des Hollows zum Büro des Quästors ging. Riems Augen leuchteten auf, als er den Zettel mit dem Betrag erblickte. Er verschwand in seinem Hinterzimmer und kam kurz darauf mit einem Umschlag aus dickem Papier wieder.

Ich bedankte mich bei ihm und ging zurück auf mein Zimmer im ANKER’S, und den ganzen Weg über behielt ich meine missmutige Miene bei. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, riss ich den Umschlag auf und kippte mir den Inhalt in die Hand: zwei glänzende Goldmark, jeweils zehn Talente wert.

Da erst lachte ich. Ich lachte, bis mir die Tränen kamen und ich Seitenstechen bekam. Dann zog ich meine besten Kleider an und versammelte meine Freunde um mich: Wilem und Simmon, Fela und Mola. Ich schickte einen Boten nach Imre und lud auch Devi und Threpe ein. Darauf mietete ich einen Vierspänner, und gemeinsam fuhren wir über den Fluss.

Wir hielten vor dem EOLIAN. Denna war nicht da, aber ich sammelte stattdessen Deoch ein, und weiter ging es zum KING’S ARMS, ein Etablissement von der Art, wie es sich kein rechtschaffener Student jemals leisten konnte. Der Portier musterte uns bunten Haufen mit verächtlichem Blick, als wollte er uns abweisen, doch dann setzte Threpe sein schönstes Oberschichts-Stirnrunzeln auf und geleitete uns hinein.

Es begann ein Abend der lukullischen Ausschweifungen, wie ich sie seither nur selten wieder erlebt habe. Wir aßen und tranken, und ich zahlte mit großem Vergnügen alles. Wasser kam uns lediglich in den Handwaschschalen auf den Tisch. Unsere Kelche enthielten ausschließlich alte vintische Weine, dunklen Scutten, kühlen Metheglin und süßen Obstbrand, und jeder unserer Trinksprüche schloss mit einem Lob auf Hemmes Torheit.

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