Egoisten und Halsabschneider
Nach vierzehn Stunden Schlaf war ich wieder munter wie ein Fisch im Wasser. Meine Gefährten staunten nicht schlecht. Schließlich hatten sie mich bewusstlos aufgefunden. Ich war völlig kalt gewesen und über und über mit Blut verschmiert. Sie hatten mich ausgezogen, mir Arme und Beine massiert und mich in Decken gewickelt und in das einzige noch vorhandene Zelt der Banditen gebracht. Die anderen fünf waren entweder verbrannt oder unter Ästen begraben worden, als ein gewaltiger, grellweißer Blitz die Eiche, die in der Mitte des Lagers stand, gespalten hatte.
Am folgenden Tag war es bewölkt, aber zum Glück regnete es nicht. Zuerst versorgten wir unsere Wunden. Hespe war von einem Pfeil ins Bein getroffen worden, als sie zusammen mit Dedan von dem Wachposten überrascht worden war. Dedan hatte eine tiefe Schnittwunde auf der Schulter und konnte noch von Glück sagen, denn er hatte den Posten praktisch mit bloßen Händen angegriffen. Auf meine Fragen sagte er nur, er habe keine Zeit gehabt, sein Schwert zu ziehen.
Marten hatte über einer Augenbraue eine tiefrote Beule, vielleicht von meinem Fußtritt oder weil ich ihn über den Boden geschleift hatte. Sie schmerzte, wenn man sie berührte, doch er meinte, er habe sich bei Wirtshausschlägereien schon oft Schlimmeres eingehandelt.
Mir ging es, nachdem ich mich vom Binderfrost erholt hatte, wieder gut. Meine Gefährten waren wie gesagt über die plötzliche Genesung des Todgeweihten sichtlich überrascht und ich entschied mich, sie nicht aufzuklären. Ein kleines Geheimnis konnte meinem Ruf nicht schaden.
Ich verband die Wunde auf meiner Schulter, an der mich der Pfeil gestreift hatte, und versorgte einige Prellungen und Kratzer, an deren Ursache ich mich nicht erinnern konnte. Der lange Schnitt im Arm, den ich mir selber zugefügt hatte, ging nicht tief, ich brauchte ihn deshalb nicht zu nähen.
Tempi war unverletzt. Sein Gesicht ließ wie immer keine Regung erkennen.
Unsere zweite Aufgabe bestand darin, uns um die Toten zu kümmern. Während ich bewusstlos gewesen war, hatten die anderen die verbrannten Leichen am Rand der Lichtung zusammengetragen. Zu den Toten gehörten:
Der Wachposten, den Dedan getötet hatte.
Die beiden Posten, die Tempi im Wald überrascht hatten.
Drei Banditen, die den Einschlag des Blitzes überlebt und zu fliehen versucht hatten. Marten hatte einen von ihnen getötet, Tempi die anderen beiden.
Siebzehn Banditen, die durch den Blitz erschlagen, verbrannt oder sonstwie zu Tode gekommen waren. Acht davon waren schon vorher tot oder tödlich verwundet gewesen.
Wir fanden Fußspuren eines weiteren Postens, der den Kampf vom nordöstlichen Abschnitt der Anhöhe beobachtet hatte. Sie waren allerdings schon einen Tag alt, und keiner von uns verspürte die geringste Lust, den Mann zu verfolgen. Dedan gab außerdem zu bedenken, er könnte uns lebend nützlicher sein, wenn er anderen, die ebenfalls ein Leben als Bandit in Betracht zogen, vom schrecklichen Ende seiner Kameraden berichtete. Darin stimmten wir ausnahmsweise einmal überein.
Die Leiche des Anführers fanden wir nicht unter den Toten. Das große Zelt, in dem er verschwunden war, lag unter einem dicken Ast der gespaltenen Eiche begraben. Da wir genug anderes zu tun hatten, suchten wir nicht weiter nach seinen Überresten.
Statt dreiundzwanzig Gräber oder ein Massengrab für dreiundzwanzig Leichen auszuheben, errichteten wir einen Scheiterhaufen und zündeten ihn an, solange der Wald noch vom Regen nass war. Ich sorgte mit meiner Magie dafür, dass das Feuer lichterloh brannte.
Es gab allerdings noch eine Leiche: den Posten, den Marten erschossen und den ich für meine Zwecke benützt hatte. Während meine Gefährten eifrig Holz für den Scheiterhaufen sammelten, ging ich über die Südseite des Hügelkamms zurück und fand auch bald die Stelle, an der Tempi ihn versteckt und mit Zweigen zugedeckt hatte.
Ich betrachtete die Leiche lange und trug sie dann weiter nach Süden. Unter einer Weide fand ich einen geeigneten ruhigen Platz. Darüber errichtete ich einen Haufen aus Steinen. Nach all dem kroch ich ins Gebüsch und übergab mich leise, aber heftig.
Der Blitz? Das ist schwer zu erklären. Ein Gewitter über uns. Eine Art galvanischer Bindung mit Hilfe zweier einander ähnlicher Pfeile. Der Versuch, den Baum stärker zu erden als einen Blitzableiter. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich mir Ort und Zeit des Einschlags als Verdienst anrechnen darf. Jedenfalls erzählt man sich seither, ich hätte den Blitz gerufen und er sei gekommen.
Den Berichten der anderen zufolge schlug der Blitz nicht einmal, sondern mehrmals in rascher Folge ein. Dedan beschrieb ihn als »Säule aus weißem Feuer« und sagte, der Boden habe heftig gebebt und ihn umgerissen.
Wie auch immer, jedenfalls blieb von der mächtigen Eiche nur ein verkohlter Stumpf in Höhe eines Grausteins übrig. Überall lagen Trümmer des Baums. Auch einige kleinere Bäume und Büsche hatten Feuer gefangen, das jedoch vom Regen gelöscht worden war. Die meisten der langen Bretter, mit denen die Banditen ihr Lager befestigt hatten, waren in tausend Splitter zerborsten oder zu Kohle verbrannt. Vom Fuß des Baums aus durchzogen tiefe Furchen die Erde. Die Lichtung sah aus, als habe ein Wahnsinniger sie umgepflügt oder ein riesiges Tier sie mit seinen Klauen verwüstet.
Trotzdem blieben wir nach unserem Sieg drei Tage lang im Lager der Banditen. Der Bach versorgte uns mit Wasser, außerdem konnten wir, was vom Proviant der Banditen noch übrig war, gut brauchen. Wir konnten auch einiges Segeltuch und Holz aus den Trümmern retten, so dass jeder in den Genuss eines Zelts oder wenigstens Schutzdachs kam.
Nachdem wir unseren Auftrag ausgeführt hatten, lösten sich auch die Spannungen innerhalb unserer Gruppe. Es hörte auf zu regnen, und wir konnten nach Herzenslust Feuer machen, ohne fürchten zu müssen, von den Banditen entdeckt zu werden. Martens Husten besserte sich, Dedan und Hespe zankten sich nicht mehr, und Dedan hatte nur noch vergleichsweise selten etwas an mir auszusetzen.
Trotz unserer Erleichterung, dass alles vorbei war, blieben einige Schatten. Abends wurden keine Geschichten mehr erzählt, und Marten mied mich, so gut es ging. Ich konnte es ihm angesichts dessen, was er gesehen hatte, nicht verdenken.
Nicht zuletzt deshalb vernichtete ich bei der ersten Gelegenheit die Wachspuppen, die ich angefertigt hatte. Ich brauchte sie nicht mehr, und meine Gefährten sollten sie auf keinen Fall in meinem Reisesack finden.
Tempi schwieg darüber, was ich mit der Leiche des Banditen gemacht hatte, und schien es mir auch nicht übel zu nehmen. Erst im Rückblick wird mir klar, wie wenig ich den Adem in Wirklichkeit verstanden habe. Damals merkte ich nur, dass er mir nicht mehr so oft beim Üben des Ketan half und stattdessen mehr unsere Sprache lernte und mit mir über Lethani sprach, das mir allerdings nach wie vor in vielem rätselhaft blieb.
Am zweiten Tag holten wir die Sachen aus unserem alten Lager. Ich war erleichtert, meine Laute wieder zu haben, und doppelt froh, dass Dennas wunderbarer Kasten trotz des endlosen Regens dicht gehalten hatte.
Und da wir ja nicht mehr leise sein mussten, spielte ich. Einen ganzen Tag lang tat ich kaum etwas anderes. Ich hatte seit fast einem Monat keine Musik mehr gemacht und darunter mehr gelitten, als ihr euch vorstellen könnt.
Anfangs hatte ich den Eindruck gehabt, dass Tempi sich nichts aus Musik machte. Ich hatte ihn einmal aus einem mir unklaren Grund durch meinen Gesang beleidigt, und er verließ regelmäßig das Lager, wenn ich meine Laute herausnahm. Doch dann bemerkte ich, dass er mir beim Spielen zusah, wenn auch aus sicherer Entfernung und meist hinter Büschen versteckt. Auf ihn aufmerksam geworden, stellte ich fest, dass er mir jedes Mal beim Spielen zuhörte. Er stand bewegungslos wie ein Stein und hatte die Augen aufgerissen wie eine Eule.
Am dritten Tag erklärte Hespe, sie könne mit ihrem Bein wieder gehen. Wir mussten also überlegen, was wir mitnehmen und was wir im Lager lassen wollten.
Die Entscheidung war leichter als erwartet. Die meiste Habe der Banditen war durch den Blitz, den umstürzenden Baum und das Unwetter zerstört worden. Doch die Ruinen des Lagers bargen auch noch manchen wertvollen Gegenstand.
Das Zelt des Anführers hatten wir bisher nicht durchsuchen können, weil es unter einem dicken Ast der Eiche begraben war. Der Ast war mit über zwei Fuß Durchmesser dicker als so mancher Baum. Am dritten Tag hatten wir ihn endlich so weit zerkleinert, dass wir ihn von dem zerstörten Zelt herunterrollen konnten.
Ich wollte mir unbedingt die Leiche des Anführers genauer ansehen, denn etwas an ihm war mir vom ersten Augenblick an vage bekannt vorgekommen und ließ mir seitdem keine Ruhe. Meine Neugier hatte aber auch noch einen praktischeren Grund: Sein Kettenhemd war mindestens ein Dutzend Talente wert.
Doch er blieb spurlos verschwunden, was uns vor ein großes Rätsel stellte. Marten hatte nur eine Spur gefunden, die vom Lager wegführte, die des geflohenen Wachpostens. Wo aber war der Anführer?
Ich war verwirrt und ärgerte mich zugleich, denn ich hatte sein Gesicht sehen wollen. Dedan und Hespe glaubten, er sei in dem auf den Blitzschlag folgenden Chaos entkommen und vielleicht durch den Bach gewatet, um keine Spuren zu hinterlassen.
Marten machte dagegen, als wir die Leiche nicht fanden, einen beklommenen Eindruck. Er murmelte etwas von Dämonen und hielt sich von dem zerstörten Zelt so weit wie möglich fern. Ich führte das auf seinen Aberglauben zurück, muss aber zugeben, dass das Verschwinden der Leiche mir selbst auch nicht geheuer war.
In dem zerstörten Zelt fanden wir einen Tisch, ein Feldbett, einen Schreibtisch und zwei Stühle, alles zerbrochen und zu nichts mehr zu gebrauchen. Die Schublade des Schreibtisches enthielt einige Papiere. Ich hätte viel darum gegeben, sie lesen zu können, doch die Nässe hatte ihnen zu sehr zugesetzt und die Tinte war verlaufen. Außerdem fanden wir eine Kassette aus einem schweren, harten Holz, die nur wenig kleiner war als ein Brotlaib. Der Deckel trug das Familienwappen Alverons, und sie war fest verschlossen.
Sowohl Hespe als auch Marten gaben zu, eine gewisse Erfahrung mit dem Knacken von Schlössern zu haben, und da ich neugierig auf den Inhalt der Kassette war, ließ ich sie gewähren, solange sie das Schloss nicht beschädigten. Sie versuchten es beide, doch vergeblich.
Nachdem Marten zwanzig Minuten an dem Schloss herumgefummelt hatte, warf er die Hände in die Luft. »Ich krieg es nicht hin, wie es geht.« Er streckte sich und stützte die Hände ins Kreuz.
»Dann werde ich mal mein Glück versuchen«, sagte ich. Ich hatte eigentlich gehofft, einer der beiden könnte die Kassette öffnen. Schlösser zu knacken gehört nicht zu den Fähigkeiten, derer sich ein Arkanist rühmen sollte. Es passte auch nicht zu dem Ruf, den ich mir aufzubauen hoffte.
»Im Ernst?« Hespe zog die Augenbrauen hoch. »Du bist ja wirklich ein kleiner Taborlin.«
Ich dachte an die Geschichte, die Marten einige Tage zuvor erzählt hatte. »Natürlich«, lachte ich. Dann rief ich mit meiner besten Taborlin-der-Große-Stimme »Edro!« und schlug mit der Hand auf die Kassette.
Der Deckel sprang auf.
Ich war genauso überrascht wie die anderen, verbarg es aber besser. Offenbar hatte Marten oder Hespe das Schloss bereits geknackt, aber der Deckel klemmte. Wahrscheinlich war das Holz in der tagelangen Feuchtigkeit aufgequollen und hatte sich erst auf meinen Schlag hin gelöst.
Aber das wussten die anderen nicht. Sie starrten mich an, als hätte ich die Kassette soeben vor ihren Augen in Gold verwandelt. Sogar Tempi hatte die Augenbrauen hochgezogen.
»Guter Trick, Taborlin«, sagte Hespe, offenbar unsicher, ob ich mir einen Scherz mit ihnen erlaubte.
Ich entschied mich, nichts zu sagen, und steckte meine behelfsmäßigen Dietriche wieder zurück in eine Tasche meines Mantels. Wenn ich ein Arkanist werden wollte, dann am besten gleich ein berühmter.
Mit großer Geste hob ich den Deckel und blickte hinein. Als Erstes sah ich einen dicken, zusammengefalteten Bogen Papier. Ich nahm ihn heraus.
»Was ist das?«, fragte Dedan.
Ich hielt ihn hoch, damit alle ihn sehen konnten. Es handelte sich um eine sorgfältig gezeichnete Karte der Gegend, auf der nicht nur der genaue Verlauf der Straße, sondern auch Bauernhöfe und Flüsse verzeichnet waren. Im Westen waren die Dörfer Crosson und Fenhill und das Wirtshaus ZUM GÜLDENEN PENNY eingetragen und namentlich beschriftet.
»Und was ist das?«, fragte Dedan und zeigte mit seinem dicken Finger auf ein unbeschriftetes Kreuz tief im Wald südlich der Straße.
»Ich glaube, das ist das Lager«, antwortete Marten. »Direkt an diesem Bach.«
Ich nickte. »Wenn das stimmt, liegt Crosson näher, als ich dachte. Wenn wir von hier geradewegs nach Südosten gehen, sparen wir uns mehr als einen Tagesmarsch.« Ich sah Marten an. »Einverstanden?«
»Lass mich die Karte sehen.« Ich gab sie ihm und er studierte sie aufmerksam. »Sieht so aus«, nickte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir so tief im Süden sind. Auf dem direkten Weg sparen wir uns mindestens zwei Dutzend Meilen.«
»Das wäre mir sehr recht«, warf Hespe ein und rieb ihr verbundenes Bein. »Oder will einer der Herren mich tragen?«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Kassette zu. Sie war mit kleinen, fest in Stoff eingewickelten Päckchen gefüllt. Ich nahm eines heraus. Etwas glänzte golden.
Die anderen murmelten ehrfürchtig. Ich überprüfte die restlichen Päckchen. Auch sie enthielten Münzen, alle aus Gold. Die Kassette enthielt grob geschätzt gut zweihundert Royals. Ich hatte noch nie eine solche Münze in der Hand gehabt, wusste aber, dass eine einzige achtzig Bits wert war, fast so viel, wie der Maer mir für die ganze Unternehmung mitgegeben hatte. Kein Wunder, dass er den Banditen unbedingt das Handwerk hatte legen wollen.
Ich überschlug im Kopf einige Zahlen, rechnete den Inhalt der Kassette in eine mir vertrautere Währung um und kam auf über fünfhundert Silbertalente. Davon konnte man ein ganzes Wirtshaus kaufen oder einen Bauernhof mitsamt Vieh und allem Drum und Dran. Oder einen niederen Adelstitel, eine Stellung bei Hof oder ein Offizierspatent.
Ich sah, dass auch die anderen ihre Berechnungen anstellten. »Wie wär’s, wenn wir einen kleinen Teil davon unter uns verteilten?«, fragte Dedan, wenn auch nicht allzu hoffnungsvoll.
Ich zögerte und griff dann in die Kassette. »Wärt ihr mit einem Royal für jeden einverstanden?«
Die anderen schwiegen, während ich ein Päckchen auswickelte. Dedan sah mich ungläubig an. »Meinst du das im Ernst?«
Ich überreichte ihm eine Goldmünze. »Ich denke, weniger ehrliche Menschen würden das ganze Geld unterschlagen oder einfach damit verschwinden. Ein Royal ist eine angemessene Belohnung für unsere Ehrlichkeit.« Ich warf Marten und Hespe je eine Münze zu.
»Außerdem«, fügte ich hinzu und gab auch Tempi eine, »lautete mein Auftrag, die Banditen zu finden, nicht ein befestigtes Lager zu stürmen.« Ich hielt meinen Royal hoch. »Das ist unser zusätzlicher Lohn für Dienste, zu denen wir nicht verpflichtet waren.« Ich steckte die Münze in die Tasche und klopfte darauf. »Alveron braucht davon nicht zu erfahren.«
Dedan lachte und schlug mir auf den Rücken. »Du bist doch nicht so viel anders als wir.«
Ich lachte ebenfalls und drückte den Deckel der Kassette wieder zu. Das Schloss rastete mit einem Klicken ein.
Meine Großzügigkeit hatte noch zwei weitere Gründe, die ich allerdings verschwieg. Zum einen erkaufte ich mir damit die Loyalität meiner Gefährten. Denn natürlich mussten sie auf den Gedanken kommen, dass sie die Kassette ganz leicht klauen und damit verschwinden konnten. Auch ich hatte das kurz überlegt. Mit fünfhundert Talenten konnte ich zehn Jahre lang an der Universität studieren und hatte noch einiges übrig.
Jetzt dagegen waren sie um einiges Geld reicher und hatten trotzdem das Gefühl, ehrlich gehandelt zu haben. Die Goldmünze in ihrer Tasche würde sie von dem Gold ablenken, das ich bei mir trug. Dennoch nahm ich mir vor die verschlossene Kassette nachts unter mein Kopfkissen zu schieben.
Zweitens konnte auch ich das Geld gut gebrauchen. Den Royal, den ich ganz offen eingesteckt, und auch drei weitere Royals, die ich beim Verteilen des Geldes heimlich für mich abgezweigt hatte. Wie gesagt, Alveron würde den Unterschied nicht bemerken und mit vier Royals konnte ich an der Universität die Studiengebühren für ein ganzes Trimester bezahlen.
Ich steckte die Kassette des Maer zuunterst in meinen Reisesack. Dann überlegten wir, was wir von der Ausrüstung der Banditen mitnehmen wollten.
Die Zelte ließen wir aus demselben Grund zurück, aus dem wir keine eigenen mitgebracht hatten: Sie waren zu sperrig zum Tragen. Dagegen packten wir so viel Proviant ein, wie wir befördern konnten. Je mehr wir hatten, desto weniger mussten wir unterwegs kaufen.
Ich beschloss, auch ein Schwert mitzunehmen. Zwar hätte ich mir nie eins gekauft, da ich nicht damit umgehen konnte, aber wenn es eins umsonst gab …
Tempi beriet mich bei der Auswahl aus dem Arsenal der Banditen. Zunächst engten wir die Wahl auf zwei Schwerter ein. Dann fragte er unvermittelt: »Du kannst nicht mit einem Schwert umgehen?« Mit einem Handzeichen bedeutete er mir, dass ihm die Frage ein wenig unangenehm war.
Die Vorstellung, jemand könne nicht mit einem Schwert umgehen, war für ihn offenbar nicht nur peinlich, sondern ähnlich abwegig wie der Gedanke, jemand könne nicht mit Messer und Gabel essen. »Nein«, antwortete ich zögernd. »Aber ich hatte gehofft, du könntest es mir zeigen.«
Tempi erstarrte. Wenn ich ihn nicht besser gekannt hätte, hätte ich es als Weigerung verstanden. Aber seine Bewegungslosigkeit bedeutete nur, dass er nachdachte.
Pausen sind in Gesprächen auf Ademisch von entscheidender Bedeutung, deshalb wartete ich geduldig. Stumm standen wir nebeneinander, erst eine, dann zwei Minuten, dann fünf, dann zehn … Zuletzt musste ich mich zwingen, weiter nur dazustehen. Vielleicht bedeutete Tempis Schweigen in diesem Fall doch eine höfliche Ablehnung.
Ich hielt mich ja für so schrecklich klug. Ich kannte Tempi jetzt seit fast einem Monat und hatte rund tausend Wörter und fünfzig Handzeichen des Ademischen gelernt. Außerdem wusste ich, dass die Adem nichts Anstößiges an Nacktheit oder gegenseitigen Berührungen fanden, und drang ganz langsam in die Geheimnisse des Lethani ein.
Oh ja, ich hielt mich für sehr schlau. Hätte ich wirklich etwas über die Adem gewusst, ich hätte nie gewagt, eine solche Bitte an Tempi zu richten.
»Bringst du mir dafür das bei?« Er zeigte auf meinen Lautenkasten, der an einem Baum lehnte.
Die Frage traf mich unvorbereitet. Ich hatte noch nie jemanden im Lautenspiel unterrichtet. Vielleicht wusste Tempi das ja und gab mir dadurch zu verstehen, dass es ihm mit dem Schwertunterricht ähnlich ging. Ich wusste, dass er gerne versteckte Andeutungen machte.
Aber was er wollte, war nur recht und billig. Ich nickte. »Versuchen kann ich es.«
Tempi nickte ebenfalls und zeigte auf eins der beiden Schwerter, die wir in die engere Wahl gezogen hatten. »Nimm das. Aber kämpfe nicht damit.« Er wandte sich ab und ging. Damals schrieb ich das seinem wortkargen Wesen zu.
Wir durchsuchten das Lager den ganzen Tag lang nach brauchbaren Dingen. Marten sammelte mehrere Pfeile ein und alle Bogensehnen, die er finden konnte. Außerdem nahm er noch vier vom Blitz nicht beschädigte Langbögen mit, nachdem er uns zuvor gefragt hatte, ob wir sie wollten. Sie waren sperrig, doch hoffte er sie in Crosson für gutes Geld zu verkaufen.
Dedan wählte ein Paar Stiefel und eine gepanzerte Weste, die ansehnlicher war als die, die er trug, außerdem ein Kartenspiel und einen Satz elfenbeinerne Würfel.
Hespe nahm sich eine Panflöte und ein Dutzend Messer, die sie zuunterst in ihrem Bündel verstaute und später verkaufen wollte.
Sogar Tempi fand etwas nach seinem Geschmack: einen Schleifstein, ein Salzfässchen aus Messing und leinene Hosen, mit denen er gleich zum Bach ging, um sie in dem vertrauten Blutrot zu färben.
Ich selber nahm weniger als die anderen. Ein kleines Messer als Ersatz für das abgebrochene und ein Rasiermesser mit einem Griff aus Horn. Ich brauchte mich zwar nicht oft zu rasieren, hatte es mir am Hof des Maer aber angewöhnt. Natürlich hätte ich wie Hespe weitere Messer einstecken können, aber mein Reisesack war aufgrund der Kassette des Maer auch so schon unangenehm schwer.
Man mag es makaber finden, wie wir das Lager plünderten, aber das ist nun mal der Lauf der Welt. Aus Räubern werden Beraubte, und die Zeit macht uns alle zu Egoisten und Halsabschneidern.