Im schwarzen Schatten des Mondes

Fren und Josh hatten gute Arbeit geleistet. Das Zelt war in der Mitte so hoch, dass man stehen konnte, aber natürlich war es eng, wenn ich mit den beiden Mädchen drin war. Ich schob Ellie, das Mädchen mit den goldenen Locken, sanft zu dem aus einigen dicken Decken aufgeschichteten Lager. »Setz dich«, sagte ich freundlich.

Als sie nicht reagierte, fasste ich sie an den Schultern und drückte sie sanft hinunter. Sie ließ es zu, doch ihre blauen Augen starrten leer geradeaus. Ich suchte ihren Kopf nach Anzeichen von Verletzungen ab, fand aber keine. Offensichtlich stand sie unter Schock.

Ich durchwühlte meinen Reisesack, schüttete einige zu Pulver zermahlene Blätter in einen Becher, den ich auf Reisen mit mir führe, und gab etwas Wasser aus meinem Wasserschlauch dazu. Dann drückte ich den Becher Ellie in die Hände. Sie hielt ihn abwesend. »Trink«, forderte ich sie freundlich auf. Ich versuchte so zu klingen wie Felurian, wenn sie mich dazu hatte bringen wollen, ihr gedankenlos zu gehorchen.

Vielleicht war es mein Ton oder Ellie hatte einfach Durst, jedenfalls trank sie den Becher bis auf den letzten Tropfen aus. Doch sie blickte weiter abwesend in die Ferne.

Ich gab wieder einiges Pulver in den Becher, füllte ihn mit Wasser und hielt ihn dem schwarzhaarigen Mädchen hin.

Wir verharrten eine Weile so, ich mit ausgestrecktem Arm, sie mit bewegungslos herunterhängenden Armen. Endlich blinzelte sie ein paar Mal, als käme sie zu sich, und sah mich an. »Was hast du ihr gegeben?«, fragte sie.

»Zerdrücktes Velia«, antwortete ich freundlich, »ein Gegengift. Der Eintopf war vergiftet.«

Ich entnahm ihrem Blick, dass sie mir nicht glaubte. »Ich habe keinen Eintopf gegessen.«

»Das Bier war auch vergiftet. Ich habe es dich trinken sehen.«

»Sehr gut«, sagte sie. »Ich will sterben.«

Ich seufzte tief. »Du wirst daran nicht sterben, es wird dir nur speiübel werden. Du wirst dich übergeben und ein oder zwei Tage lang Muskelkrämpfe haben und dich schwach fühlen.« Ich hob den Becher und hielt ihn ihr erneut hin.

»Was geht es dich an, wenn sie mich töten?«, fragte sie tonlos. »Wenn sie es jetzt nicht tun, dann tun sie es später. Lieber sterbe ich gleich …« Sie biss die Zähne zusammen, ohne den Satz zu Ende zu führen.

»Sie haben dir kein Gift gegeben. Ich habe ihnen welches gegeben, und ihr habt zufällig etwas davon abbekommen. Tut mir leid, aber das hier hilft euch über das Schlimmste hinweg.«

Sie betrachtete mich einen kurzen Augenblick lang unschlüssig, doch dann wurde ihr Blick wieder hart. Sie starrte den Becher an und dann mich. »Wenn es harmlos ist, trink es selber.«

»Das geht nicht«, erklärte ich. »Ich würde einschlafen, aber ich habe heute Abend noch einiges zu erledigen.«

Krins Blick wanderte zu dem Lager, das auf dem Boden des Zelts aus Fellen aufgeschichtet war.

Ich lächelte mein sanftestes, traurigstes Lächeln. »Nicht das, was du denkst.«

Sie machte immer noch keine Anstalten, den Becher zu trinken. So standen wir eine lange Weile da. Aus dem Wald hörte ich gedämpft, wie jemand sich übergab. Ich seufzte und senkte den Arm mit dem Becher. Mein Blick fiel auf das Bett. Ellie hatte sich bereits darauf zusammengerollt und war eingeschlafen. Ihr Gesicht sah fast friedlich aus.

Ich holte tief Luft und hob den Blick wieder. »Du hast keinen Grund, mir zu vertrauen«, sagte ich. »Nicht nach dem, was euch passiert ist. Aber ich hoffe, dass sich das ändert.« Wieder hielt ich ihr den Becher hin.

Sie erwiderte meinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, dann nahm sie den Becher und trank ihn auf einen Zug leer. Sie hustete ein paar Mal und setzte sich. Mit Augen, die so hart waren wie Marmor, starrte sie die Zeltwand an. Ich setzte mich in einigem Abstand ebenfalls.

Eine Viertelstunde später schlief sie. Ich deckte die beiden mit einer Decke zu und betrachtete ihre Gesichter. Sie waren im Schlaf noch schöner als zuvor. Ich strich eine Haarsträhne von Krins Wange zurück. Zu meiner Überraschung schlug sie die Augen auf und starrte mich an, nicht mit dem steinernen Blick von eben, sondern mit den schwarzen Augen einer jungen Denna.

Ich erstarrte mitten in der Handbewegung. Wir sahen einander kurz an, dann schloss Krin die Augen wieder. Ich könnte nicht sagen, ob sie wegen des verabreichten Mittels oder von allein einschlief.

Ich ließ mich am Zelteingang nieder und legte mir das Schwert über die Knie. In mir brannte der Zorn wie ein Feuer, und der Anblick der beiden schlafenden Mädchen war wie der Wind, der die Flammen anfachte. Ich biss die Zähne zusammen und zwang mich daran zu denken, was hier passiert war, bis die Hitze des Feuers in mir mich ganz erfüllte. Dazu atmete ich tief ein und aus und machte mich bereit für das, was da kommen würde.

Ich wartete drei Stunden und lauschte auf die Geräusche des Lagers. Gedämpfte Gesprächsfetzen drangen an mein Ohr, Sätze, deren Worte ich nicht verstand. Sie wurden leiser, mischten sich mit Flüchen und dann den Geräuschen von Menschen, die sich übergaben. Ich atmete ganz langsam und tief ein und aus, wie Vashet es mir gezeigt hatte, entspannte mich körperlich und zählte, wie oft ich ausatmete.

Dann öffnete ich die Augen, blickte zu den Sternen empor und befand, dass der richtige Zeitpunkt gekommen sei. Langsam erhob ich mich und streckte mich ausgiebig. Am Himmel stand scharf umrissen eine Mondsichel, die alles hell erleuchtete.

Vorsichtig näherte ich mich dem Lagerfeuer, das in sich zusammengefallen war. Die Kohlen glommen noch und erleuchteten den Raum zwischen den beiden Wagen, aber nicht mehr. Der hünenhafte Otto war an einem der Räder zusammengesunken und ich roch Erbrochenes. »Bist du das, Kvothe?«, murmelte er undeutlich.

»Ja.« Ich ging langsam weiter auf ihn zu.

»Anne hat das Fleisch nicht lange genug gekocht, diese Schlampe«, jammerte er. »Ich schwöre bei Gott, dass mir noch nie so übel war.« Er blickte zu mir auf. »Und dir fehlt nichts?«

Mein Schwert sauste durch die Luft, fing kurz das Mondlicht ein und schnitt durch seine Kehle. Otto richtete sich taumelnd auf ein Knie auf und kippte zur Seite. Die Hände, mit denen er sich an den Hals fasste, verfärbten sich schwarz. Ich ließ ihn blutend im Mondschein liegen. Er konnte nicht mehr schreien, war aber noch nicht tot, sondern lag im Sterben.

Ich warf ein Stück sprödes Eisen ins Feuer und näherte mich den Zelten der anderen.

Als ich um den Wagen bog, erschreckte mich Laren. Er sah mich mit gezogenem Schwert um die Ecke biegen und machte einen überraschten Laut. Allerdings war er so vom Gift benebelt, dass er kaum die Hände heben konnte, als ich ihm das Schwert in die Brust bohrte. Mit einem erstickten Schrei fiel er nach hinten um und blieb zuckend auf dem Boden liegen.

Die anderen hatten aufgrund des Giftes nur unruhig gedöst. Auf Larens Schrei hin stolperten sie aus Wagen und Zelten und sahen sich mit wirren Blicken um. Aus dem offenen hinteren Teil des Wagens neben mir sprangen zwei schemenhafte Gestalten, bei denen es sich um Josh und Fren handeln musste. Ich traf den einen ins Auge, worauf er zu Boden ging, und schlitzte dem anderen den Bauch auf.

Als die anderen sahen, was geschah, begannen sie laut zu schreien und torkelnd in Richtung Wald zu fliehen. Einige fielen unterwegs hin. Tim dagegen, ein mächtiger Schatten, stürzte sich auf mich. Das gewaltige Schwert, das er den ganzen Abend über geschärft hatte, blitzte silbern im Mondlicht auf.

Doch ich war bereit. Ich nahm rasch ein zweites Stück Schwerteisen in die Hand und murmelte eine Bindung. Im selben Augenblick, in dem Tim zuschlagen wollte, zerbrach ich das Eisen mit den Fingern. Tims Schwert zersprang mit dem Scheppern einer kaputten Glocke in tausend Splitter. Die Splitter fielen ins nächtlich-schwarze Gras.

Doch Tim war erfahrener und stärker als ich und seine Arme hatten eine längere Reichweite. Trotz des Giftes schlug er sich mit seinem Schwertstumpf wacker. Es dauerte eine Weile, bis ich seine Abwehr mit einem Flüchtigen Liebhaber durchbrechen konnte und ihm die Hand abhackte.

Er fiel auf die Knie, heulte rasselnd auf und umklammerte den Stumpf. Ich rammte ihm mein Schwert von oben in die Brust und eilte in Richtung der Bäume. Der Kampf hatte bisher nicht lange gedauert, aber jede Sekunde zählte, denn die übrigen zerstreuten sich bereits im Wald.

Ich rannte in die Richtung, in die ich sie hatte taumeln sehen. In meiner Achtlosigkeit übersah ich Alleg, der im Schatten eines Baumes lauerte und sich auf mich stürzte. Er hatte zwar kein Schwert, sondern nur ein Messer, das im Mondlicht aufblitzte, doch ein Messer reicht vollkommen aus, einen Menschen zu töten. Wir rollten über den Boden und er stach mich in den Bauch. Ich prallte mit dem Kopf seitlich gegen eine Wurzel und schmeckte Blut.

Doch rappelte ich mich noch vor ihm auf und durchtrennte ihm eine Kniesehne. Dann bohrte ich ihm das Schwert in den Bauch, ließ ihn auf dem Boden liegen und fluchen und setzte den anderen nach. Mit der freien Hand hielt ich mir den Bauch. Ich wusste, dass die Schmerzen bald einsetzen würden und ich dann womöglich nicht mehr lange zu leben hatte.

Es wurde eine lange Nacht, und ich will euch nicht mit weiteren Einzelheiten belästigen. Ich spürte die anderen im Wald auf. Anne hatte sich auf der Flucht das Bein gebrochen, Tim legte trotz der abgeschlagenen Hand und der Brustwunde noch fast eine halbe Meile zurück. Sie schrien, stießen Verwünschungen aus und flehten um Gnade, während ich sie durch den Wald verfolgte, doch nichts, was sie sagten, konnte mich besänftigen.

Es war eine schreckliche Nacht, aber ich fand sie alle. Ehre oder Ruhm konnte ich mir dabei nicht verdienen, aber ich sorgte für eine Art blutiger Gerechtigkeit. Anschließend schaffte ich die Leichen ins Lager.

Ich kehrte zu meinem Zelt zurück, als am Himmel weit im Osten ein vertrautes Blau heraufdämmerte. Eine Handbreit unter meinem Bauchnabel spürte ich heftig stechende Schmerzen, und aus dem unangenehmen Ziehen bei jeder Bewegung schloss ich, dass mein Hemd sich mit dem getrockneten Blut der Wunde verklebt hatte. Ich verdrängte die Schmerzen, so gut es ging, denn ich wusste, dass ich im Moment sowieso nichts dagegen tun konnte. Dazu zitterten meine Hände viel zu sehr und es war noch zu dunkel, um etwas zu sehen. Ich musste warten, bis es hell wurde, erst dann konnte ich beurteilen, wie schwer ich verletzt war.

Ich versuchte nicht an das zu denken, was ich durch meine Arbeit in der Mediho wusste. Tiefe Bauchwunden führen unweigerlich zu einem langen Siechtum und dann zum Tod. Ein geschickter Arzt hätte mit den entsprechenden Instrumenten zwar einiges ausrichten können, aber ich war meilenweit von jeder Zivilisation entfernt. Genauso gut konnte ich mir ein Stück vom Mond wünschen.

Ich wischte mein Schwert ab, setzte mich in das nasse Gras vor dem Zelt und dachte nach.

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