Die Verschlagenheit des Barbaren

Die Tage vergingen schnell wie immer, wenn sie gut angefüllt sind. Ich hatte weiter Unterricht bei Vashet und tat alles, um ein gelehriger, aufmerksamer Schüler zu sein.

Auch unsere amourösen Abenteuer gingen in regelmäßigen Abständen weiter. Ich ergriff nie selbst die Initiative, aber Vashet spürte, wenn ich wieder einmal über Gebühr abgelenkt war, und zog mich dann rasch in die Büsche. »Damit du wieder klar denken kannst, du armer Barbar«, pflegte sie zu sagen.

Davor und danach war mir stets etwas beklommen zumute, doch während einer solchen Begegnung war ich keineswegs ängstlich. Auch Vashet schien daran Gefallen zu finden.

Davon abgesehen schien sie herzlich wenig an dem interessiert, was ich von Felurian gelernt hatte. Vom Efeuspiel wollte sie nichts wissen. Die Tausend Hände gefielen ihr zwar, doch hatte sie nicht die Geduld dazu, so dass wir gewöhnlich nicht über fünfundsiebzig Hände hinauskamen. Danach zog Vashet sich meist sofort wieder an, kaum dass wir zu Atem gekommen waren, und erinnerte mich daran, dass ich, wenn ich ständig vergaß, die Ferse nach außen zu drehen, nie fester zuschlagen konnte als ein Sechsjähriger.

Doch war ich nicht die ganze Zeit mit Vashet zusammen. Wenn sie zu tun hatte, musste ich den Ketan üben, über Lethani nachdenken oder den anderen Schülern bei ihren Übungskämpfen zusehen.

An einigen wenigen Nachmittagen schickte sie mich auch zu selbständigen Erkundungen los. Ich ging dann durch das Dorf und stellte fest, dass Haert viel größer war, als ich anfangs geglaubt hatte. Der Unterschied war, dass Häuser und Läden sich nicht an einer Stelle zusammendrängten, sondern über mehrere Quadratmeilen steiniger Landschaft verstreut lagen.

Die Bäder entdeckte ich schon früh. Anders ausgedrückt, Vashet hatte mich hingeschickt, um meinen barbarisch stinkenden Körper zu waschen.

Sie waren ein Wunder. Über einer natürlichen heißen Quelle oder einem raffinierten System von Rohrleitungen hatte man ein ausgedehntes steinernes Gebäude errichtet. Einige große Räume waren mit Wasser gefüllt, einige kleinere mit Dampf. Es gab Räume mit tiefen Becken, in denen man ganz untertauchen konnte, und Räume mit großen Wannen aus Messing, in denen man sich wusch. In einem Raum befand sich sogar ein großes Becken zum Schwimmen.

In den Bädern verkehrten Adem verschiedensten Alters und beiderlei Geschlechts in verschiedenen Stadien der Nacktheit. Das überraschte mich zwar weniger, als es noch vor einem Monat der Fall gewesen wäre, trotzdem musste ich mich erst mit einiger Mühe daran gewöhnen.

Anfangs musste ich mich zusammenreißen, dass ich nicht ständig die Brüste der nackten Frauen anstarrte. Nachdem dieser Reiz etwas abgeklungen war, erging es mir ähnlich mit den Narben auf den Körpern der Söldner. Man konnte einen Söldner leicht an ihnen erkennen, auch wenn er seine roten Kleider ausgezogen hatte.

Statt ständig aufpassen zu müssen, dass ich niemanden ungebührlich anstarrte, ging ich lieber frühmorgens oder spätabends baden, wenn es leer war. Man konnte die Bäder zu jeder Tages- und Nachtzeit nutzen. Die Tür besaß kein Schloss und sie hatten durchgehend geöffnet. Seife, Kerzen und Handtücher lagen dort immer bereit. Unterhalten wurden die Bäder laut Vashet von der Schule.

Die Schmiede fand ich, indem ich den Hammerschlägen folgte. Der Mann, der dort arbeitete, plauderte bereitwillig mit mir, zeigte mir seine Werkzeuge und sagte mir, wie sie auf Ademisch hießen.

Mit der Zeit wurde ich auch auf die geschnitzten oder bemalten Holzschilder über den Ladentüren aufmerksam. Sie zeigten, was drinnen verkauft wurde: Brot, Kräuter, Fassdauben … Auf keinem Schild standen Worte, was mir nur recht sein konnte, da ich keine Ahnung hatte, wie ich Ademisch lesen sollte.

Ich besuchte auch eine Apotheke, in der ich allerdings nicht willkommen war, und einen Schneider, der mich dafür um so herzlicher empfing. Von einem Teil des Geldes, das ich aus der Kassette des Maer entwendet hatte, kaufte ich zwei neue Kleidergarnituren, da meine alten Kleider bereits ziemlich abgenutzt waren. Ich kaufte Hemden und Hosen in gedeckten Farben, wie sie in Haert üblich waren, und hoffte, damit unter den Adem weniger aufzufallen.

Außerdem betrachtete ich stundenlang den Schwertbaum. Anfangs tat ich es noch unter Vashets Anleitung, doch schon bald suchte ich ihn allein auf, wenn ich eine freie Stunde hatte. Seine hypnotisierenden Bewegungen beruhigten und trösteten mich. Zuweilen schienen die Äste sich wie Schreibgriffel zu bewegen und den Namen des Windes in die Luft zu schreiben.

Vashet suchte mir eine Übungspartnerin, wie sie es versprochen hatte.

»Sie heißt Celean«, sagte sie beim Frühstück. »Ihr werdet euch heute Mittag am Schwertbaum kennenlernen. Nutze den Vormittag, um dich so darauf vorzubereiten, wie du es für angemessen hältst.«

Endlich bekam ich die Chance, mich zu beweisen, die Chance, mich in einem wirklichen Wettkampf mit einem Gegner zu messen, der ungefähr so gut war wie ich.

Ich war natürlich schon ein wenig vor der Zeit am Schwertbaum. Als ich die beiden anderen kommen sah, hielt ich die kleine Gestalt an Vashets Seite in einem Moment der Panik für Penthe, die Frau, die Shehyn besiegt hatte.

Dann erkannte ich meinen Irrtum. Die Gestalt neben Vashet war zwar auch klein, hatte aber, wie der Wind, der ihr die Kleider an den Leib drückte, zeigte, einen geraden, mageren Körper ohne die Kurven Penthes. Außerdem trug sie statt des Söldnerrots eine leuchtend maisgelbe Bluse.

Ich spürte einen Stich der Enttäuschung, obwohl ich wusste, dass ich dazu keinen Grund hatte. Vashet hatte gesagt, sie habe eine gleichwertige Partnerin für mich gefunden, und das konnte natürlich niemand sein, der das Rot des Söldners trug.

Die beiden kamen näher und meine Vorfreude fiel gänzlich in sich zusammen.

Neben Vashet ging ein kleines Mädchen, das noch nicht einmal vierzehn war, sondern das ich auf höchstens zehn schätzte. Es war spindeldürr und so klein, dass es mir kaum bis zum Brustbein reichte. Aus einem mageren Gesicht sahen mich zwei große, graue Augen an.

Ich hätte heulen mögen vor Demütigung und tat es nur deshalb nicht, weil Vashet es, wie ich wusste, schrecklich unhöflich gefunden hätte.

»Celean, das ist Kvothe«, stellte Vashet mich auf Ademisch vor.

Das kleine Mädchen maß mich mit einem abschätzenden Blick von Kopf bis Fuß und trat dann unbewusst einen halben Schritt näher. Das war ein Kompliment. Ich wirkte einigermaßen bedrohlich auf sie, und sie wollte so nahe an mich herantreten, dass sie notfalls zuschlagen konnte. Der Abstand war geringer als bei einem Erwachsenen, weil sie kürzere Arme hatte.

Ich begrüßte sie mit einer höflichen Gebärde.

Celean erwiderte den Gruß. Ich mochte es mir einbilden, aber der Winkel ihrer Hände schien einen höflichen Gruß von Gleich zu Gleich anzudeuten.

Vashet schien es nicht zu bemerken oder sagte jedenfalls nichts dazu. »Ich wünsche, dass ihr beide gegeneinander kämpft.«

Celean musterte mich erneut. Ihr schmales Gesicht ließ, wie es für die Adem typisch war, keine Regung erkennen. Der Wind zerrte an ihren Haaren und ich bemerkte einen erst halb verheilten Schnitt, der von der Augenbraue zum Haaransatz verlief.

»Warum?«, fragte Celean ruhig. Sie klang nicht ängstlich, sondern mehr so, als sehe sie nicht den geringsten Grund, warum sie gegen mich kämpfen sollte.

»Weil ihr einiges voneinander lernen könnt«, antwortete Vashet. »Und weil ich es sage.«

Sie machte eine Geste. Aufgepasst. »Celeans Ketan ist außergewöhnlich gut. Sie hat jahrelange Erfahrung und kann sich mühelos gegen zwei Mädchen ihrer Größe behaupten.«

Vashet klopfte Celean zweimal auf die Schulter. Vorsicht. »Kvothe dagegen kennt den Ketan noch nicht lange und muss noch viel lernen. Aber er ist viel stärker und größer als du und hat längere Arme. Und er besitzt die Verschlagenheit des Barbaren.«

Ich sah Vashet an, weil ich nicht wusste, ob sie sich über mich lustig machte.

»Außerdem«, fuhr Vashet an Celean gewandt fort, »wirst du als Erwachsene wahrscheinlich so groß wie deine Mutter sein, du solltest dich also beizeiten im Kampf gegen Größere üben.« Aufgepasst. »Und noch eins: Er spricht unsere Sprache noch nicht lange, und du wirst dich darüber nicht lustig machen.«

Celean nickte. Es fiel mir auf, dass Vashet ihr nicht verboten hatte, sich aus anderen Gründen über mich lustig zu machen.

Vashet richtete sich auf. »Und keine absichtlichen Verletzungen«, sagte sie streng. Sie hob die Hand und zählte an den Fingern die Regeln ab, die sie mir für den waffenlosen Kampf beigebracht hatte. »Ihr dürft fest zuschlagen, aber nicht in böser Absicht. Passt auf Kopf und Hals auf, die Augen sind sowieso tabu. Jeder ist für die Sicherheit des anderen verantwortlich. Versucht nicht weiterzukämpfen, wenn einer sich klar ergibt. Verständigt euch durch Handzeichen und beendet den Kampf.«

»Das weiß ich doch alles«, sagte Celean. Ärger.

»Man kann es nicht oft genug wiederholen«, erwiderte Vashet. Strenger Tadel. »Einen Kampf zu verlieren ist entschuldbar, die Beherrschung zu verlieren nicht. Aus diesem Grund habe ich dich ausgewählt und nicht einen kleinen Jungen. Habe ich falsch gewählt?«

Celean blickte zu Boden. Entschuldigung und beschämte Zustimmung.

»Gegenseitige Verletzungen aus Achtlosigkeit widersprechen ebenfalls dem Lethani«, schloss Vashet an uns beide gewandt.

Ich konnte zwar auch nicht verstehen, inwiefern es dem Lethani entsprach, wenn ich ein zehnjähriges Mädchen verprügelte, hielt aber lieber den Mund.

Vashet ließ uns allein und ging zu einer vierzig Schritte entfernten Steinbank, auf der bereits eine Frau in roten Söldnerkleidern saß. Celean sah ihr nach und machte eine komplizierte Geste in ihre Richtung, die ich nicht kannte.

Dann wandte sie sich mir zu und musterte mich erneut. »Du bist der erste Barbar, gegen den ich kämpfe«, sagte sie nach einer langen Pause. »Sind bei euch alle rot?« Sie hob die Hand an ihre Haare, um zu verdeutlichen, was sie meinte.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nur wenige.«

Sie zögerte, dann streckte sie die Hand aus. »Darf ich sie berühren?«

Ich musste fast lächeln, konnte mich aber gerade noch beherrschen. Gehorsam senkte ich den Kopf und beugte mich ein wenig nach vorn, damit sie an meinen Kopf kam.

Celean fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Anschließend rieb sie einige Haare zwischen Daumen und Zeigefinger. »Sie sind weich.« Sie lachte leise. »Obwohl sie wie Metall aussehen.«

Sie ließ die Haare los und trat wieder zurück, wie es die Höflichkeit gebot. Mit einer Geste bedankte sie sich höflich, dann hob sie die Hände. »Bist du bereit?«

Unsicher nickte ich und hob ebenfalls die Hände.

Ich war nicht bereit. Noch ehe ich reagieren konnte, kam Celean blitzschnell auf mich zu und schlug mit der Faust nach meiner Leistengegend. Ich duckte mich instinktiv und sie traf mich stattdessen in den Bauch.

Zum Glück hatte ich inzwischen gelernt, einen solchen Faustschlag entgegenzunehmen, und meine Bauchdecke bestand nach einmonatigem Üben nur noch aus Muskeln. Trotzdem war mir, als hätte jemand einen Stein auf mich geworfen. Bis zum Abendessen würde sich dort ein großer Bluterguss zeigen.

Ich zog die Beine an und trat mit dem Fuß nach ihr, nur um zu sehen, wie schreckhaft sie war. Vielleicht wich sie ja vor mir zurück und ich konnte mich wieder fangen und dann Gebrauch von der längeren Reichweite meiner Arme machen.

Wie sich herausstellte, war Celean überhaupt nicht schreckhaft und wich keinen Handbreit zurück. Stattdessen sprang sie gewandt neben mein Bein und schlug mich mitten auf den dicken Muskel direkt über dem Knie.

Ich geriet ins Taumeln, sobald mein Fuß den Boden wieder berührte, und verlor das Gleichgewicht. Celean stand so dicht vor mir, dass sie auf mich hätte hinaufklettern können, wenn sie gewollt hätte. Sie legte die Hände aneinander, stemmte die Füße in den Boden und schlug mich mit einem Weizendrescher. Ich fiel unter der Wucht des Schlages auf den Rücken.

Das weiche Gras milderte meinen Aufprall. Ich rollte über den Boden von Celean weg und sprang auf. Celean rannte mir nach und vollführte einen Schleuderblitz. Sie war schnell, aber ich hatte die längeren Beine und konnte ihr ausweichen oder ihre Schläge abwehren. Sie täuschte einen Tritt vor und ich fiel darauf herein, was ihr die Gelegenheit verschaffte, mich noch einmal auf dieselbe Stelle über dem Knie zu schlagen.

Es tat weh, aber diesmal geriet ich nicht ins Stolpern, sondern wich rasch mit einem Schritt zur Seite aus. Celean folgte mir unerbittlich, in ihrem Übereifer gab sie sich allerdings eine Blöße.

Doch trotz meines Sturzes und der Prellungen, die sie mir zugefügt hatte, konnte ich mich nicht überwinden, ein so kleines Mädchen zu schlagen. Bei Tempi oder Vashet hätte ich keine Bedenken gehabt, aber Celean wirkte so zerbrechlich, dass ich Angst hatte, sie zu verletzen. Hatte Vashet nicht gesagt, wir seien für die Sicherheit des anderen verantwortlich?

Also packte ich sie stattdessen mit einem Steigeisen. Mit der linken Hand griff ich daneben, aber mit den langen, starken Fingern meiner rechten Hand bekam ich sie an ihrem schmalen Handgelenk zu fassen. Ich hatte sie noch nicht so, dass sie aufgeben musste, aber es ging jetzt nur noch darum, wer stärker war, deshalb musste ich notwendigerweise gewinnen. Am Handgelenk hielt ich sie schon, jetzt brauchte ich sie nur noch an der Schulter zu packen, dann hielt ich sie mit dem Schlafenden Bären und …

Celean vollführte einen Löwenbrecher, allerdings nicht die mir bekannte Version. Sie verwendete dazu beide Hände und schlug damit so rasch zu und drehte sie, dass meine Hand brannte und leer war, bevor ich wusste, wie mir geschah. Anschließend packte sie mich am Handgelenk, zog daran und versetzte mir zugleich in einer fließenden Bewegung einen Tritt gegen das Bein. Ich schwankte und knickte ein, und im nächsten Augenblick lag ich flach auf dem Boden.

Diesmal landete ich nicht weich, sondern mit einem unsanften Plumps. Ich war nicht völlig betäubt, aber das half mir auch nicht mehr, denn Celean streckte einfach die Hand aus und klopfte mir zweimal an den Kopf zum Zeichen dafür, dass sie mich, wenn sie gewollt hätte, ganz leicht hätte bewusstlos schlagen können.

Ich rollte auf die Seite und setzte mich auf. Meine Glieder taten mir weh und ich fühlte mich auch in meinem Stolz verletzt, allerdings nur leicht. In der mit Tempi und Vashet verbrachten Zeit hatte ich gelernt, Können zu bewundern, und Celean beherrschte den Ketan wirklich ausgezeichnet.

»Ich kenne diese Ausführung des Löwenbrechers gar nicht«, sagte ich.

Celean grinste, nur ganz leicht, aber doch so, dass ich ihre weißen Zähne sehen konnte. In einer Welt regloser Mienen war mir, als gehe die Sonne hinter einer Wolke auf. »Die habe ich selbst erfunden«, sagte sie und machte die Handbewegung für sehr stolz. »Für einen normalen Löwenbrecher gegen meine Mutter oder jemanden, der so groß ist wie du, reicht meine Kraft nicht.«

»Zeigst du ihn mir?«, fragte ich.

Celean zögerte, nickte dann, trat auf mich zu und streckte die Hand aus. »Halt mich am Handgelenk fest.«

Ich nahm ihr Handgelenk und hielt es fest, aber nicht so, dass es ihr wehtat.

Dann führte sie den Griff wieder aus wie einen Zaubertrick. Blitzschnell machte sie mit den Händen verschiedene Bewegungen, und zuletzt stand ich wieder mit einer brennenden, leeren Hand da.

Ich streckte den Arm erneut aus. Belustigt. »Ich habe die langsamen Augen eines Barbaren. Kannst du mir den Griff noch einmal zeigen, damit ich ihn lerne?«

Celean trat zurück, zuckte mit den Schultern und bekundete mit einer Geste ihr Desinteresse. »Bin ich deine Lehrerin? Warum sollte ich einem Barbaren, der mich nicht einmal im Kampf schlagen kann, etwas von mir geben?« Sie hob trotzig das Kinn, wandte den Blick ab und betrachtete den Schwertbaum mit seinen kreiselnden Blättern. Doch kehrte ihr Blick gleich wieder verschmitzt zu mir zurück.

Ich musste lachen, stand auf und hob wieder die Hände.

Celean lachte auch und wandte sich wieder zu mir. »Dann los!«

Diesmal war ich bereit und wusste, zu was Celean in der Lage war. Sie war keineswegs zart wie eine Blume, sondern schnell, furchtlos und kampflustig.

Unter Ausnutzung meiner langen Arme und Beine griff ich sie an. Ich schlug mit der Tanzenden Jungfrau zu, doch sie wich mit einem Sprung aus. Nein, sie glitt förmlich von mir weg, ohne je das Gleichgewicht zu verlieren, und schob die Füße geschmeidig durch das hohe Gras.

Dann drehte sie sich plötzlich um und erwischte mich zwischen zwei Schritten. Sie täuschte einen Schlag auf meine Lenden vor und brachte mich mit einem Drehenden Mühlstein fast aus dem Gleichgewicht. Ich stolperte, konnte mich aber gerade noch auf den Beinen halten.

Ich versuchte das Gleichgewicht zu bewahren, aber sie stieß wieder mit einem Drehenden Mühlstein gegen mich und dann noch einmal und noch einmal. Jedes Mal schob sie mich zwar nur wenige Zentimeter nach hinten, doch kam ich aus dem Rückwärtsstolpern nicht mehr heraus, bis sie mir zuletzt auch noch ein Bein stellte und ich ausgestreckt auf dem Rücken landete.

Ich berührte noch nicht den Boden, da hatte sie mich schon am Handgelenk gepackt. Im nächsten Augenblick hielt sie meinen Arm mit einem »Efeu auf der Eiche« umklammert. Sie drückte mein Gesicht ins Gras und übte zugleich einen unangenehmen Druck auf mein Handgelenk und meine Schulter aus.

Ich überlegte, ob ich mich wehren sollte, aber nur ganz kurz. Zwar war ich stärker als sie, aber Griffe wie »Efeu auf der Eiche« oder Schlafender Bär bezweckten ausschließlich, Druck auf empfindliche Körperteile auszuüben. Und dafür brauchte man nicht besonders viel Kraft.

»Ich ergebe mich«, sagte ich deshalb. Auf Ademisch sagt sich das ganz leicht: Veh, eine Silbe, die man auch dann noch aussprechen kann, wenn man außer Atem oder erschöpft ist oder Schmerzen hat. Ich hatte sie in letzter Zeit oft gesagt.

Celean ließ mich los, trat einen Schritt zurück und sah zu, wie ich mich aufsetzte.

»Du bist wirklich nicht besonders gut«, sagte sie mit kränkender Offenheit.

»Ich bin es nicht gewöhnt, kleine Mädchen zu schlagen«, erwiderte ich.

»Woher auch?« Sie lachte. »Um sich an etwas zu gewöhnen, muss man es immer wieder tun. Du hast wahrscheinlich überhaupt noch nie eine Frau geschlagen.«

Sie hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie, ließ mir aufhelfen und hoffte, dass das Ganze nicht zu peinlich aussah. »Was ich damit meine ist, dass es sich dort, wo ich herkomme, nicht gehört, gegen Frauen zu kämpfen.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Celean. »Dürfen die Männer nicht gemeinsam mit den Frauen kämpfen?«

»Bei uns kämpfen die Frauen in der Regel überhaupt nicht«, erklärte ich.

Celean drehte die Hand um und öffnete und schloss sie abwesend, als sei ihr Handteller schmutzig und als wollte sie den Schmutz abreiben. In der Gebärdensprache bedeutete diese Bewegung Erstaunen, eine Art verwirrtes Stirnrunzeln. »Wie können sie dann ihren Ketan verbessern, wenn sie nicht üben?«

»Dort, wo ich herkomme, gibt es für Frauen keinen Ketan.«

Celean kniff die Augen zusammen. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Du meinst wohl, sie haben einen geheimen Ketan«, sagte sie. Sie verwendete das aturische Wort für »geheim«. Ihr Gesicht blieb vollkommen unbewegt, aber sie war am ganzen Körper gespannt vor Erregung. »Einen Ketan, den nur sie kennen und den die Männer nicht sehen dürfen.«

Sie zeigte auf die Bank, auf der unsere Lehrer saßen, ohne uns zu beachten. »Vashet hat auch so etwas. Ich habe sie schon oft gefragt, ob sie ihn mir nicht zeigen will, aber sie weigert sich.«

»Vashet kennt noch einen anderen Ketan?«, fragte ich.

Celean nickte. »Bevor sie zu uns kam, hatte sie Unterricht im Weg der Freude.« Sie sah mit entschlossenem Gesicht zu Vashet hinüber, als wollte sie ihr allein durch Willenskraft ihr Geheimnis entreißen. »Eines Tages gehe ich auch dorthin und lerne diesen Ketan. Ich gehe überallhin und lerne alle Ketans, die es gibt, auch die geheime Lehre vom Band und der Kette und vom bewegten Becken und die Wege der Freude, der Leidenschaft und der Beherrschung, alle.«

So, wie sie es sagte, klang es nicht nach einem kindlichen Tagtraum, als wollte sie unbedingt einmal einen ganzen Kuchen essen. Es klang auch nicht angeberisch, als spreche sie von einem Plan, den sie sich ganz allein ausgedacht hatte und für sehr schlau hielt.

Nein, sie sagte es mit einer ruhigen Bestimmtheit, als erkläre sie lediglich, wer sie sei, und nicht mir, sondern sich selbst.

Sie sah mich wieder an. »Ich werde auch dein Land besuchen.« Feste Überzeugung. »Und ich werde den barbarischen Ketan lernen, den eure Frauen vor euch geheim halten.«

»Du wirst enttäuscht sein«, entgegnete ich. »Ich habe mich vorhin nicht falsch ausgedrückt. Ich kenne das Wort für ›geheim‹. Aber ich wollte sagen, dass dort, wo ich herkomme, nur wenige Frauen kämpfen.«

Celean drehte wieder verwirrt die Hand um und ich merkte daran, dass ich mich deutlicher ausdrücken musste. »Dort, wo ich herkomme, nehmen viele Frauen ihr ganzes Leben lang kein Schwert in die Hand. Die meisten wissen auch gar nicht, wie sie einander mit der Faust oder Handkante schlagen könnten. Sie wissen nichts, was auch nur im Geringsten mit Ketan zu tun hätte. Sie kämpfen überhaupt nicht.« Zur Betonung der letzten beiden Worte machte ich die Geste für entschiedene Verneinung.

Jetzt schien Celean mich endlich zu verstehen. Ich hatte schon erwartet, dass sie ein entsetztes Gesicht machen würde, aber sie stand nur mit verständnisloser Miene und reglos herunterhängenden Händen da, als wisse sie nicht, was sie denken sollte. Es war, als hätte ich gesagt, dass die Frauen in meiner Heimat keine Köpfe hätten.

»Sie kämpfen nicht?«, fragte sie misstrauisch. »Nicht gegen die Männer und nicht gegeneinander? Gegen überhaupt niemanden?«

Ich nickte.

Eine sehr lange Pause entstand. Celean hatte die Stirn gerunzelt, und ich konnte förmlich sehen, wie sie versuchte, sich das vorzustellen. Sie machte die Gebärden für Verwirrung und Ratlosigkeit. »Was tun sie dann?«, fragte sie schließlich.

Ich dachte an die Frauen, die ich kannte, an Mola, Fela und Devi. »Vieles«, antwortete ich. Da mir die entsprechenden Worte fehlten, musste ich sie umschreiben. »Sie machen Bilder aus Steinen, sie kaufen und verkaufen Geld, und sie schreiben Dinge in Bücher.«

Meine Aufzählung schien Celean zu beruhigen. Sie war offenbar erleichtert zu hören, dass die ausländischen Frauen, die nichts vom Ketan wussten, deshalb nicht wie Tote herumlagen.

»Sie heilen Kranke und verbinden Wunden. Sie spielen …« Fast hätte ich gesagt, sie spielen Harfe und singen Lieder, aber ich besann mich rechtzeitig. »Sie spielen Spiele, pflanzen Weizen an und backen Brot.«

Celean überlegte lange. »Aber ich würde lieber all das tun und kämpfen«, sagte sie entschieden.

»Einige Frauen tun das auch, aber für die meisten gilt es als Verstoß gegen das Lethani.« Ich sagte nur deshalb »Verstoß gegen das Lethani«, weil mir die ademischen Wörter für »angemessenes Benehmen« fehlten.

Celean machte die Handbewegung für Vorwurf und scharfen Tadel. Zu meiner Überraschung kränkte mich die Zurechtweisung durch dieses Mädchen in seinem leuchtend gelben Hemd viel mehr als je ein Tadel Tempis oder Vashets. »Lethani ist überall gleich«, sagte sie fest. »Es ist nicht wie der Wind, der überall anders weht.«

»Lethani ist wie das Wasser«, erwiderte ich, ohne nachzudenken. »Es ändert sich selbst nicht, passt sich aber in seiner Gestalt seiner Umgebung an. Es ist Fluss und Regen zugleich.«

Celean durchbohrte mich mit ihrem Blick. Als Adem machte sie kein wütendes Gesicht, aber ihr Blick hatte dieselbe Wirkung. »Wie kannst du dir anmaßen zu sagen, was Lethani ist?«

»Wie kannst du es?«

Celean starrte mich einen Moment lang an und ich meinte zwischen ihren hellen Augenbrauen ganz schwach eine senkrechte Falte zu erkennen. Dann lachte sie kurz und hob die Hände. »Ich bin Celean«, rief sie. »Meine Mutter gehört dem dritten Stein an. Ich bin eine geborene Adem, und ich werde dich zu Boden werfen.«

Das tat sie dann auch.

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