Schlösser

Kvothe atmete tief durch und nickte. »Lasst uns an dieser Stelle aufhören«, sagte er. »Zum ersten Mal im Leben hatte ich Geld in der Tasche. Und ich war von Freunden umgeben. Das ist doch ein guter Moment, um für heute Schluss zu machen.« Er rieb sich die Hände, wobei er unwillkürlich mit der rechten die linke massierte. »Wenn wir noch weiter fortfahren würden, würde es wieder düster.«

Der Chronist nahm den kleinen Stapel der vollständig beschriebenen Seiten, klopfte ihn mit der Unterkante auf dem Tisch gerade und legte dann die letzte, halb beschriebene Seite oben drauf. Er öffnete seine Ledermappe, nahm die grüne Stechpalmenkrone heraus und legte das Manuskript hinein. Dann schraubte er sein Tintenfass zu und begann seine Schreibfeder auseinanderzunehmen und zu reinigen.

Kvothe stand auf und streckte sich. Dann sammelte er die leeren Teller und Trinkgefäße ein und brachte sie in die Küche.

Bast saß einfach nur da und sah ausdruckslos vor sich hin. Er regte sich nicht. Er schien kaum zu atmen. Nachdem das einige Minuten so gegangen war, begann der Chronist ihm Blicke zuzuwerfen.

Kvothe kam in den Schankraum zurück und runzelte die Stirn. »Bast«, sagte er.

Bast blickte langsam zu dem Mann hinterm Tresen hinüber.

»Die Totenfeier für Shep ist immer noch im Gange«, sagte Kvothe. »Und heute Abend muss hier nicht groß saubergemacht werden. Wieso gehst du nicht noch mal hin? Sie werden sich freuen, dich zu sehen …«

Bast überlegte einen Moment lang und schüttelte dann den Kopf. »Nein, lieber nicht, Reshi«, sagte er mit tonloser Stimme. »Ich bin nicht in der Stimmung.« Dann erhob er sich von seinem Stuhl und ging quer durch den Raum zur Treppe, ohne die beiden dabei anzusehen. »Ich hau mich hin.«

Seine Schritte verklangen langsam in der Ferne, und dann hörte man, wie eine Tür geschlossen wurde.

Der Chronist sah ihm nach und wandte sich dann zu dem rothaarigen Mann hinterm Tresen um.

Kvothe sah ebenfalls zur Treppe hinüber, mit besorgtem Blick. »Er hat einfach nur einen harten Tag hinter sich«, sagte er, und es klang, als spreche er dabei ebenso zu sich selbst wie zu seinem Gast. »Morgen wird er wieder ganz der Alte sein.«

Kvothe trocknete sich die Hände ab und ging um den Tresen herum und zur Eingangstür. »Braucht Ihr noch irgend etwas, bevor Ihr zu Bett geht?«, fragte er.

Der Chronist schüttelte den Kopf und begann seine Schreibfeder wieder zusammenzusetzen.

Kvothe schloss die Wirtshaustür mit einem großen Messingschlüssel ab und wandte sich dann an den Chronisten. »Ich lasse den Schlüssel stecken«, sagte er. »Falls Ihr früh aufwacht und Lust habt, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen oder so. Ich schlafe seit einiger Zeit nicht mehr allzu viel.« Er legte sich eine Hand an die Wange, wo ein Bluterguss seinen Unterkiefer zu färben begann. »Aber heute Nacht mache ich vielleicht mal eine Ausnahme.«

Der Chronist nickte und schwang sich seine Ledermappe über die Schulter. Dann hob er mit spitzen Fingern seine Stechpalmenkrone auf und ging die Treppe hinauf.

Allein im Schankraum, kehrte Kvothe methodisch den Boden und ließ dabei keine Ecke aus. Er spülte das Geschirr, wischte die Tische und den Tresen ab und löschte die Lampen, bis auf eine einzige, so dass der Raum nun nur mehr schummrig beleuchtet und von huschenden Schatten erfüllt war.

Einen Moment lang betrachtete er noch all die Flaschen hinterm Tresen, dann machte er kehrt und stieg ebenfalls langsam die Treppe hinauf.

Bast betrat sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Er bewegte sich leise durch die Dunkelheit und blieb vor dem Kamin stehen. Vom Feuer dieses Morgens waren nur noch Asche und ein paar glühende Kohlenbrocken übrig. Bast klappte die Brennholzkiste auf, doch außer Sägemehl und Holzsplittern war nichts darin.

Das schwache Licht vom Fenster her glitzerte auf seinen dunklen Augen und ließ die Umrisse seines Gesichts erkennen, während er dort bewegungslos stand, als überlegte er, was er jetzt tun sollte. Dann klappte er den Deckel der Kiste wieder zu, hüllte sich in eine Decke und hockte sich auf ein kleines Sofa, das vor dem fast erloschenen Kamin stand.

Dort saß er eine ganze Weile und blickte in die Dunkelheit.

Draußen vor seinem Fenster raschelte es leise, dann war es wieder still. Dann erklang ein leises Scharren. Bast sah hinüber und bemerkte draußen in der Nacht eine dunkle Gestalt, die sich bewegte.

Bast glitt lautlos vom Sofa und stellte sich vor den Kamin. Den Blick weiterhin auf das Fenster gerichtet, suchten seine Hände vorsichtig den Kaminsims ab.

Erneut wurde am Fenster gescharrt, diesmal lauter. Basts Blick schoss vom Fenster zum Sims, und mit beiden Händen hob er etwas auf. Etwas Metallisches schimmerte schwach im schummrigen Mondschein, und er kauerte sich hin, sein ganzer Körper angespannt wie eine Sprungfeder.

Einen ganzen Moment lang geschah weiter nichts. Kein Laut, keine Regung, weder draußen vor dem Fenster noch in dem dunklen Zimmer.

Tap-tap-tap-tap-tap. Es war ganz leise, aber in dem stillen Raum deutlich zu hören. Nach kurzer Pause erklang das Geräusch erneut, ein nachdrückliches Pochen an der Fensterscheibe: Tap-tap-tap-tap-tap-tap-tap.

Bast seufzte. Er erhob sich aus der Hocke, ging hinüber, legte den Riegel um und öffnete das Fenster.

»Mein Fenster hat kein Schloss«, beklagte sich der Chronist. Wieso hat Euers eins?«

»Aus naheliegenden Gründen«, erwiderte Bast.

»Darf ich reinkommen?«

Bast antwortete mit einem Achselzucken und ging zum Kamin zurück, und der Chronist stieg unterdessen unbeholfen zum Fenster herein. Bast riss ein Streichholz an und setzte damit eine auf einem Tisch stehende Lampe in Betrieb. Dann legte er vorsichtig zwei lange Messer auf den Kaminsims zurück. Eins war schlank und scharf wie ein Grashalm, das andere spitz und elegant wie ein Dorn.

Der Chronist sah sich um, während das Licht der Lampe allmählich den Raum erfüllte. Das Zimmer war groß, die Wände holzgetäfelt, der Boden mit dicken Teppichen bedeckt. Vor dem Kamin standen einander zwei kleine Sofas gegenüber, und eine Zimmerecke wurde von einem großen Himmelbett mit dunkelgrünen Vorhängen beherrscht.

Es gab auch ein Regal voller kleiner Bilder, Schmuckgegenstände und Krimskrams. Haarlocken mit Schleifen dran. Selbstgeschnitzte Holzpfeifen. Getrocknete Blumen. Ringe aus Horn, Leder und geflochtenem Gras. Eine selbstgezogene Kerze mit eingegossenem Laub.

Offensichtlich erst kürzlich hinzugekommen waren die Stechpalmenzweige, die hier und da den Raum schmückten. Eine lange Girlande daraus zog sich am Kopfende des Betts entlang, und eine weitere schlängelte sich um den Kaminsims und wand sich dabei auch um die Griffe zweier Beile mit blattförmiger Schneide, die dort hingen.

Bast setzte sich vor den erkalteten Kamin und legte sich eine Flickendecke wie einen Schal um die Schultern. Es war eine wilde Mischung aus nicht zueinander passenden Stoffen. Die Farben waren verblasst, bis auf ein knallrotes Herz, das mittendrauf genäht war.

»Wir müssen reden«, sagte der Chronist leise.

Bast zuckte nur die Achseln, den Blick teilnahmslos auf den Kamin gerichtet.

Der Chronist kam einen Schritt näher. »Ich muss Euch etwas fragen …«

»Ihr müsst nicht flüstern«, sagte Bast, ohne hochzusehen. »Wir sind hier am andere Ende des Hauses. Ich habe manchmal Besuch. Das hat ihn früher hin und wieder nicht schlafen lassen, und deshalb bin ich auf diese Seite des Hauses gezogen. Zwischen seinem und meinem Zimmer befinden sich sechs dicke Wände.«

Der Chronist ließ sich Bast gegenüber auf der Kante des anderen Sofas nieder. »Ich muss Euch ein paar Fragen stellen, über einige Dinge, die Ihr heute Abend gesagt habt. Über den Cthaeh.«

»Wir sollten nicht über den Cthaeh sprechen«, erwiderte Bast in bleiernem Tonfall. »Das wäre ungesund.«

»Dann über die Sithe«, sagte der Chronist. »Ihr habt gesagt, wenn sie von dieser Geschichte wüssten, würden sie alle daran Beteiligten töten. Ist das wahr?«

Bast nickte, den Blick immer noch auf den Kamin gerichtet. »Sie würden dieses Haus niederbrennen und anschließend den Erdboden, auf dem es steht, versalzen.«

Der Chronist senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, warum Ihr Euch so vor dem Cthaeh fürchtet«, sagte er.

»Nun«, erwiderte Bast, »es deutet ja auch sonst vieles darauf hin, dass Ihr nicht allzu klug seid.«

Der Chronist runzelte die Stirn und wartete geduldig.

Bast seufzte und löste schließlich den Blick vom Kamin. »Denkt doch mal nach. Der Cthaeh weiß alles, was man jemals tun wird. Alles, was man jemals sagen wird …«

»Das macht ihn fraglos zu einem irritierenden Gesprächspartner«, sagte der Chronist. »Aber …«

Da wurde Bast mit einem Mal wütend. »Dyen vehat. Enfeun vehat tyloren tes!«, spie er. Er bebte und ballte die Fäuste.

Der Chronist erbleichte angesichts der Gehässigkeit in Basts Ton, wich aber nicht zurück. »Ihr seid nicht wütend auf mich«, sagte er ganz ruhig und sah Bast in die Augen. »Ihr seid nur wütend, und ich bin gerade zur Stelle.«

Bast funkelte ihn an, sagte aber nichts.

Der Chronist beugte sich vor. »Ich will doch nur helfen. Das wisst Ihr, nicht wahr?«

Bast nickte mürrisch.

»Aber dazu muss ich verstehen, was hier vor sich geht.«

Bast zuckte die Achseln. Sein kurzer Wutanfall war verraucht und die vorherige Teilnahmslosigkeit zurückgekehrt.

»Kvothe scheint Euch das mit dem Cthaeh zu glauben«, sagte der Chronist.

»Er kennt das innere Getriebe der Welt«, sagte Bast. »Und was er noch nicht versteht, eignet er sich im Handumdrehen an.« Er nestelte am Saum der Decke herum. »Und er vertraut mir.«

»Aber kommt Euch das nicht an den Haaren herbeigezogen vor? Der Cthaeh gibt einem Jungen eine Blume, eins führt zum anderen, und mit einem Mal herrscht Krieg.« Der Chronist machte eine wegwerfende Geste. »So geht es doch nicht zu in der Welt. Das ist doch alles reiner Zufall.«

»Es ist kein Zufall«, sagte Bast und seufzte. »Ein Blinder muss sich durch einen vollgestellten Raum hindurchkämpfen. Ihr nicht. Ihr benutzt Eure Augen und wählt den leichtesten Weg. Für Euch ist das eine Kleinigkeit. Der Cthaeh kann in die Zukunft sehen. Er sieht die gesamte Zukunft. Wir hingegen tasten uns mühsam voran. Er nicht. Er schaut einfach nur hin und wählt den verheerendsten Pfad. Ein kleiner Stein kann eine Lawine auslösen, ein einziges Husten eine Seuche.«

»Wenn man aber weiß, dass der Cthaeh einen lenken will«, sagte der Chronist, »verhält man sich halt einfach anders. Er gibt einem die Blume, und man verkauft sie einfach an irgendwen.«

Bast schüttelte den Kopf. »Der Cthaeh würde davon erfahren. Man kann bei einem Wesen, das in die Zukunft sehen kann, nie vorhersagen, was es tun wird. Sagen wir mal, man verkauft die Blume an einen Prinzen. Der nutzt die Blume dazu, seine Verlobte zu heilen. Ein Jahr später erwischt sie ihn in flagranti mit ihrer Kammerzofe und hängt sich entehrt auf, und ihr Vater bläst zum Angriff, um Vergeltung zu üben.« Bast breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände. »Auch in diesem Fall habt Ihr einen Bürgerkrieg.«

»Aber der junge Mann, der die Blume verkauft hat, wäre in Sicherheit.«

»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte Bast grimmig. »Wahrscheinlich geht er von dem Geld erst mal auf eine ordentliche Zechtour, holt sich die Syph, stößt eine Lampe um und brennt damit versehentlich die halbe Stadt nieder.«

»Ihr denkt Euch das doch bloß aus, um Euer Argument zu untermauern«, sagte der Chronist. »Ihr beweist damit gar nichts.«

»Wieso müsste ich Euch irgendwas beweisen?«, fragte Bast. »Weshalb sollte es mich überhaupt interessieren, was Ihr denkt? Erfreut Euch doch Eurer Beschränktheit und Ignoranz. Ich erweise Euch einen Gefallen, indem ich Euch nicht die Wahrheit sage.«

»Und was für eine Wahrheit wäre das?«, fragte der Chronist unverhohlen gereizt.

Bast seufzte erschöpft und sah den Chronisten an, sein Gesichtsausdruck aller Hoffnung bar. »Ich würde lieber gegen Haliax höchstpersönlich kämpfen«, sagte er, »lieber gegen die gesamten Chandrian antreten, als auch nur zehn Worte mit dem Cthaeh zu wechseln.«

Das gab dem Chronisten zu denken. »Aber die würden Euch töten«, sagte er und ließ es ein klein wenig wie eine Frage klingen.

»Ja«, sagte Bast. »Dennoch.«

Der Chronist starrte den dunkelhaarigen Mann an, der ihm, in eine Flickendecke gehüllt, gegenübersaß. »Irgendwelche Geschichten haben Euch gelehrt, den Cthaeh zu fürchten«, sagte er, und sein Widerwille war nicht zu überhören. »Und diese Furcht macht Euch dumm.«

Bast zuckte die Achseln und wandte den leeren Blick wieder dem erloschenen Feuer zu. »Ihr langweilt mich, Menschlein.«

Der Chronist stand auf, trat einen Schritt vor und versetzte Bast eine schallende Ohrfeige.

Basts Kopf flog zur Seite, und einen Moment lang schien er zu schockiert, um sich zu regen. Dann sprang er blitzartig auf, und die Decke flog ihm von den Schultern. Er packte den Chronisten bei der Kehle, mit gebleckten Zähnen, und seine Augen leuchteten tiefblau.

Der Chronist sah ihm unverwandt in die Augen. »Der Cthaeh hat all das in Gang gesetzt«, sagte er ganz ruhig. »Er wusste, dass Ihr mich angreifen würdet, und schreckliche Dinge werden daraus folgen.«

Basts wütende Miene erstarrte, und er bekam große Augen. Dann wich die Anspannung aus seinen Schultern, und er gab den Hals des Chronisten frei und ließ sich wieder aufs Sofa sinken.

Der Chronist holte aus und ohrfeigte ihn erneut, noch schallender als zuvor.

Bast bleckte wieder die Zähne und hielt dann inne. Sein Blick schoss zu dem Chronisten hinüber, dann wieder fort.

»Der Cthaeh weiß, dass Ihr ihn fürchtet«, sagte der Chronist. »Und er weiß auch, dass ich dieses Wissen gegen Euch einsetzen würde. Er manipuliert Euch immer noch. Wenn Ihr mich jetzt nicht angreift, werden schreckliche Dinge daraus folgen.«

Bast erstarrte, wie gelähmt, halb sitzend, halb stehend.

»Hört Ihr mir zu?«, fragte der Chronist. »Werdet Ihr endlich wach?«

Bast blickte verwirrt und verwundert zu dem Chronisten hinüber. Seine Wange lief rot an. Er nickte und ließ sich langsam wieder auf das Sofa sinken.

Der Chronist holte erneut aus. »Was werdet Ihr tun, wenn ich Euch noch einmal schlage?«

»Euch grün und blau prügeln«, erwiderte Bast ganz ernst.

Der Chronist nickte und nahm ebenfalls wieder Platz. »Also gut. Gehen wir einmal des Argumentes wegen davon aus, dass der Cthaeh tatsächlich die Zukunft kennt. Das bedeutet, dass er viele Dinge lenken kann.« Er hob einen Zeigefinger. »Aber nicht alles. Das Obst, das Ihr heute gegessen habt, hat doch köstlich geschmeckt, oder?«

Bast nickte zögernd.

»Wenn der Cthaeh tatsächlich so böse wäre, wie Ihr behauptet, würde er Euch auf jede nur erdenkliche Weise schaden. Aber das kann er nicht. Er konnte Euch nicht daran hindern, Euren Reshi heute Morgen zum Lachen zu bringen. Er konnte Euch nicht daran hindern, den Sonnenschein auf Eurem Gesicht zu genießen oder die rosigen Wangen von Bauerntöchtern zu küssen, nicht wahr?«

Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf Basts Gesicht. »Ich habe weit mehr geküsst als nur die Wangen«, sagte er.

»Genau das«, erwiderte der Chronist, »will ich damit sagen. Er kann nicht alles vergällen, was wir tun.«

Bast blickte nachdenklich und seufzte dann. »In gewisser Hinsicht habt Ihr recht. Aber nur ein Idiot bleibt in einem brennenden Haus sitzen und denkt, dass alles in Ordnung wäre, weil ihm das Obst ja noch so gut schmeckt.«

Der Chronist sah sich ostentativ im Zimmer um. »Also für mich sieht es nicht so aus, als würde das Wirtshaus in Flammen stehen.«

Bast sah ihn ungläubig an. »Die ganze Welt steht in Flammen«, sagte er. »Macht doch mal die Augen auf.«

Der Chronist runzelte die Stirn. »Selbst wenn man alles andere außer acht lässt«, sagte er und ließ sich nicht beirren. »Felurian hat ihn gehen lassen. Sie wusste, dass er mit dem Cthaeh gesprochen hatte, und hätte ihn ja wohl kaum auf die Welt losgelassen, wenn sie nicht irgend ein Mittel hätte, ihn gegen dessen Einfluss zu feien.«

Bei diesem Gedanken leuchteten Basts Augen auf, jedoch nur kurz. Er schüttelte den Kopf. »Ihr sucht nach Tiefe in einem flachen Bach«, sagte er.

»Wie bitte? Ich kann Euch nicht folgen«, erwiderte der Chronist. »Welchen Grund sollte sie denn haben, ihn gehen zu lassen, wenn er tatsächlich so gefährlich wäre?«

»Grund?«, sagte Bast, und finstere Belustigung färbte seine Stimme. »Von wegen Grund. Mit irgendwelchen Gründen hat das nichts zu tun. Sie hat ihn gehen lassen, weil es ihrem Stolz gefiel. Sie wollte, dass er in die Welt der Sterblichen hinauszieht und dort Loblieder auf sie singt. Geschichten über sie erzählt. Sich nach ihr sehnt. Darum hat sie ihn gehen lassen.« Er seufzte. »Wie gesagt: Die Meinigen sind nicht gerade für ihre klugen Entscheidungen bekannt.«

»Das mag sein«, erwiderte der Chronist. »Aber vielleicht hat sie auch einfach nur eingesehen, dass es sinnlos wäre, vorhersagen zu wollen, was der Cthaeh tun wird.« Er machte eine lässige Geste. »Wenn ohnehin alles, was man macht, das Falsche ist, kann man ja letztlich machen, was man will.«

Bast saß einen ganzen Moment lang schweigend da. Dann nickte er, erst leicht, dann nachdrücklicher. »Ihr habt recht«, sagte er. »Wenn ohnehin alles ein schreckliches Ende nehmen wird, sollte ich tun, was ich tun will.«

Bast ließ den Blick durchs Zimmer schweifen und stand plötzlich auf. Nach kurzer Suche fand er einen dicken Umhang, der zerknautscht auf dem Boden lag. Er schüttelte ihn aus, warf ihn sich um die Schultern und eilte zum Fenster. Dort hielt er noch einmal inne, ging zum Sofa zurück und zog zwischen den Polstern eine Flasche Wein hervor.

Der Chronist guckte verdutzt. »Was habt Ihr vor? Geht Ihr noch einmal auf die Totenfeier?«

Bast blieb auf dem Weg zum Fenster kurz stehen und wirkte fast erstaunt, den Chronisten immer noch dort sitzen zu sehen. »Ich habe etwas zu erledigen«, sagte er und klemmte sich die Flasche unter den Arm. Dann öffnete er das Fenster und schwang einen Fuß hinaus. »Wartet nicht auf mich.«

Kvothe betrat entschlossenen Schritts sein Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.

Er kehrte die kalte Asche aus dem Kamin und schichtete an ihrer Stelle frisches Brennholz auf, das er mit einem roten Schwefelholz in Brand setzte. Er holte sich eine zweite Decke und breitete sie über sein schmales Bett. Mit leichtem Stirnrunzeln hob er einen Papierknäuel auf, der zu Boden gefallen war, und legte ihn auf den Schreibtisch zurück, neben zwei weitere zusammengeknüllte Blätter.

Anschließend ging er mit mürrischen Bewegungen zum Fußende seines Betts. Er atmete tief durch, wischte sich die Hände an der Hose ab und kniete sich vor die dunkle Holztruhe, die dort stand. Er legte beide Hände auf den gewölbten Deckel und schloss die Augen, als horche er auf etwas. Seine Schulter bewegten sich, während er an dem Deckel zog.

Nichts geschah. Kvothe schlug die Augen wieder auf. Er kniff den Mund zusammen. Seine Hände bewegten sich erneut, zogen fester, strengten sich einen ganzen Moment lang an und gaben es dann auf.

Mit ausdrucksloser Miene erhob sich Kvothe und ging zum Fenster, das auf den Wald hinterm Haus hinausging. Er öffnete es, beugte sich hinaus und griff mit beiden Händen nach etwas. Als er sich wieder zurück beugte, hielt er ein schlankes Holzkistchen in der Hand.

Er strich eine Schicht Staub und Spinnweben fort und öffnete das Kistchen. Darin lagen ein Schlüssel aus dunklem Eisen und ein Schlüssel aus blankem Kupfer. Kvothe kniete sich wieder vor die Truhe und schob den Kupferschlüssel in das Eisenschloss. Langsam und präzise drehte er ihn: nach links, dann nach rechts und dann wieder nach links, wobei er ganz genau auf das leise Klicken eines Mechanismus lauschte.

Dann nahm er den Eisenschlüssel und steckte ihn in das Kupferschloss. Diesen Schlüssel drehte er nicht. Vielmehr schob er ihn tief in das Schloss hinein, zog ihn halb wieder heraus und schob ihn wieder ganz hinein, ehe er ihn mit einer flinken Bewegung aus dem Schloss herauszog.

Nachdem er die Schlüssel in das Kistchen zurückgelegt hatte, legte er die Hände wieder auf den Deckel der Truhe, an den gleichen Stellen wie zuvor. »Öffne dich«, murmelte er. »Öffne dich, verdammt noch mal. Edro.«

Er zog, und seine Schultern und sein Rücken spannten sich an.

Doch der Deckel der Truhe rührte sich nicht. Kvothe seufzte und beugte sich vor, bis seine Stirn an dem kühlen, dunklen Holz ruhte. Er atmete tief aus und ließ die Schultern hängen und sah nun klein und angeschlagen aus, entsetzlich müde und älter, als er war.

Seinem Gesicht war jedoch weder Erstaunen noch Kummer anzusehen. Er wirkte nur vollkommen resigniert. Es war der Gesichtsausdruck eines Mannes, der nun schließlich eine schlechte Nachricht erhalten hat, von der ihm schon eine ganze Weile schwante.

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