Größe
Nach und nach fühlte ich mich fast schon ein wenig heimisch in Haert. Mein Ademisch verbesserte sich und ich konnte mit anderen Adem Nettigkeiten austauschen und fühlte mich weniger einsam. Vashet aß gelegentlich mit mir, so dass ich mir nicht mehr wie ein Ausgestoßener vorkam.
Wir hatten an diesem Morgen mit dem Schwert gearbeitet, eine sehr angenehme Art, den Tag zu beginnen. Vashet war immer noch damit beschäftigt, mir zu zeigen, wie das Schwert im Ketan verwendet wird, und wir kämpften nur selten damit. Im Anschluss daran arbeiteten wir an meinem Ademisch und dann wieder mit dem Schwert.
Nach dem Mittagessen übten wir den Kampf ohne Waffen. Ich bildete mir ein, dass ich zumindest darin gute Fortschritte machte. Nach einer halben Stunde atmete Vashet schneller und war ein wenig ins Schwitzen geraten. Natürlich bedeutete ich für sie deshalb noch lange keine Herausforderung, aber wenigstens musste sie jetzt eine gewisse Anstrengung einsetzen, um ihren Vorsprung zu halten, während sie meine Angriffe bisher mit einer geradezu demütigenden Leichtigkeit abgewehrt hatte.
Wir kämpften also miteinander, und ich stellte fest, dass Vashet … wie soll ich das diskret sagen? Sie roch einfach wunderbar. Nicht nach einem Parfüm oder Blumen oder so etwas, nein, sie roch nach sauberem Schweiß, geöltem Metall und zerdrücktem Gras, auf das ich sie kurz zuvor geworfen hatte. Ich mochte diesen Geruch. Vashet …
Ich kann das nicht diskret ausdrücken. Was ich sagen will: sie roch nach körperlicher Liebe. Nicht als hätte sie gerade geliebt, sondern als bestehe sie daraus. Als sie vor mich trat und mich packte und ich sie roch und den Druck ihres Körpers an meinem spürte, war mir kurz, als lege jemand in meinem Kopf einen Schalter um. Von da an beherrschte mich nur noch der Wunsch, sie zu küssen, in die weiche Haut ihres Halses zu beißen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und den Schweiß von ihr abzulecken …
Natürlich tat ich nichts dergleichen. Doch in diesem Augenblick hätte ich nichts lieber getan. Im Nachhinein ist mir das peinlich, aber ich will mich nicht verteidigen. Es genüge der Hinweis, dass ich in der Blüte meiner Jugend stand und gesund und kräftig war. Und Vashet mochte wohl zehn Jahre älter sein, sie war aber eine sehr anziehende Frau.
Dazu kam, dass ich von den liebenden Armen Felurians direkt in die freudig ausgebreiteten Arme Losines gefallen war. Daran hatte sich der anstrengende Marsch mit Tempi nach Haert angeschlossen. Drei Spannen lang war ich im Wechsel erschöpft, ängstlich, verwirrt und in Panik gewesen.
Doch jetzt hatte sich das geändert. Vashet war eine gute Lehrerin und sorgte dafür, dass ich genügend Pausen zu meiner Erholung bekam. Mein Vertrauen in meine Fähigkeiten war gewachsen und ich fühlte mich in ihrer Gegenwart zunehmend wohl.
Angesichts all dessen kann es nicht wundernehmen, dass ich so reagierte, wie ich es tat.
Damals jedoch erschrak ich und war verlegen, wie es ein junger Mann in einem solchen Fall eben ist. Ich trat von Vashet zurück, wurde rot und suchte nach einer Entschuldigung. Ich wollte meine deutlich sichtbare Erregung verbergen und machte Vashet damit nur noch mehr darauf aufmerksam.
Sie blickte auf das hinab, was ich mit den Händen vergeblich vor ihr zu verbergen suchte. »Tja, ich betrachte das als Kompliment und nicht als eine merkwürdige neue Angriffstechnik.«
Wenn man vor Scham sterben könnte, ich wäre in diesem Augenblick gestorben.
»Willst du dich selbst darum kümmern?«, fragte Vashet, als sei es die normalste Sache der Welt. »Oder ist dir eine Partnerin lieber?«
»Wie bitte?«, stammelte ich entgeistert.
»Na komm.« Sie zeigte auf meine Hände. »Selbst wenn du noch an etwas anderes denken könntest, wäre doch deine Konzentration gestört.« Sie ließ ein tiefes, kehliges Lachen hören. »Du musst dich darum kümmern, bevor wir mit dem Unterricht fortfahren. Ich kann es dir überlassen, oder wir suchen uns eine weiche Unterlage und sehen, wer den anderen zwei von drei Mal auf den Rücken legen kann.«
Sie klang so beiläufig, dass ich überzeugt war, sie falsch zu verstehen. Doch dann lachte sie wissend und ich begriff, dass ich sie ganz genau verstanden hatte.
»Da wo ich herkomme«, stotterte ich, »würden Lehrer und Schüler nie …« Ich überlegte krampfhaft, wie ich die Situation mit höflichen Worten entschärfen konnte.
Vashet verdrehte verzweifelt die Augen, was auf dem Gesicht einer Adem höchst ungewöhnlich aussah. »Kämpfen sie auch nicht miteinander? Reden sie nicht miteinander? Essen sie nicht miteinander?«
»Schon«, ächzte ich, »aber das jetzt …«
Vashet seufzte. »Du darfst eines nicht vergessen, Kvothe. Du kommst aus einem barbarischen Land und bist mit vielen törichten Sitten und Gebräuchen aufgewachsen. Das gilt vor allem für die sonderbaren Gepflogenheiten, wenn ihr miteinander schlaft.«
»Vashet, ich …«
Sie unterbrach mich mit einer unwilligen Handbewegung. »Was du jetzt sagen willst, habe ich ganz sicher schon von meinem Dichterkönig gehört. Aber ein Tag hat nur soundsoviele Stunden. Ich frage dich also: verlangt es dich nach Sex?«
Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Es abzustreiten wäre sinnlos gewesen.
»Willst du Sex mit mir haben?«
Ich hatte ihren Geruch noch in der Nase und wollte in diesem Augenblick nichts lieber. »Ja.«
»Und du bist gesund?«, fragte sie ernst.
Ich nickte, zu durcheinander, um über diese unverblümte Frage auch noch zu staunen.
»Also gut. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es unweit von hier eine mit Moos gepolsterte windgeschützte Stelle.« Vashet stieg zur Kuppe eines Hügels hinauf. Im Gehen öffnete sie die Schnalle des Riemens, mit dem ihr Schwert auf dem Rücken befestigt war. »Komm.«
Ihre Erinnerung hatte sie nicht getrogen. Unter den Ästen zweier Bäume versteckt lag am Fuß eines Steilhangs ein mit weichem Moos gepolsterter Platz, der durch einige Büsche vor dem Wind geschützt war.
Es stellte sich rasch heraus, dass Vashet kein müßiges nachmittägliches Schäferstündchen im Sinn hatte. Nicht dass sie keinerlei Gefühl gezeigt hätte, damit täte ich ihr Unrecht. Sie lächelte und lachte beim kleinsten Anlass, aber sie war in keiner Weise verspielt oder kokett.
Sie zog sich ohne jede Zeremonie und ohne sich zu zieren aus und ich sah einige Narben und einen gestählten, mageren, von Muskelsträngen durchzogenen Körper. Was nicht heißt, dass Vashet nicht auch weiche Rundungen gehabt hätte. Dann verspottete sie mich, weil ich sie anstarrte, als hätte ich noch nie eine nackte Frau gesehen, während ich doch in Wahrheit nur noch keine Frau gesehen hatte, die am hellichten Tag splitternackt in der Sonne stand.
Dann zog ich mich für ihren Geschmack zu langsam aus und sie lachte und machte sich über meine Schüchternheit lustig. Sie trat zu mir, riss mir die Kleider vom Leib, wie man ein Hühnchen rupft, und küsste mich auf den Mund, während sie sich zugleich mit ihrem ganzen warmen Körper an mich drückte.
»Ich habe noch nie eine Frau geküsst, die so groß ist wie ich«, murmelte ich während einer Verschnaufpause. »Es fühlt sich anders an.«
»Du kannst dich mit allen Problemen an mich als deine Lehrerin wenden«, sagte sie. »Hier deine nächste Lektion: im Liegen sind alle Frauen gleich groß. Dasselbe gilt natürlich nicht für Männer. Zu vieles hängt von ihrer Stimmung ab und davon, was die Natur ihnen mitgegeben hat.«
Sie nahm meine Hand und zog mich auf das weiche Moos hinunter. »So«, sagte sie, »jetzt bist du größer als ich. Zufrieden?«
Oh ja.
Ich hatte erwartet, dass unser Verhältnis nach unserer Rückkehr aus den Büschen angespannt sein würde, doch nichts dergleichen war der Fall. Vashet flirtete nicht plötzlich mit mir, und ich hätte auch gar nicht gewusst, wie ich darauf reagieren sollte. Genauso wenig fühlte sie sich verpflichtet, mich mit besonderer Nachsicht zu behandeln. Das merkte ich, als sie mich zum fünften Mal in einem Moment der Unachtsamkeit unsanft packte und zu Boden warf.
Insgesamt verhielt sie sich, als sei nichts Ungewöhnliches passiert. Was bedeuten konnte, dass entweder tatsächlich nichts Ungewöhnliches passiert war oder aber etwas sehr Ungewöhnliches, das sie jedoch geflissentlich ignorierte.
Was bedeutete, dass alles zum Besten stand oder aber eine Katastrophe drohte.
Später, als ich allein zu Abend aß, überlegte ich, was ich über die Adem alles wusste. Nacktheit war für sie kein Tabu, körperlicher Kontakt nichts besonders Intimes. Vashet war sowohl vor wie während und nach unserem Zusammensein völlig unbefangen gewesen.
Ich dachte an das nackte Pärchen, dem ich einige Tage zuvor zufällig begegnet war. Die beiden hatten sich erschreckt, waren aber nicht verlegen gewesen.
Die geschlechtliche Liebe besaß hier offenbar einen anderen Stellenwert. Genauere Unterschiede kannte ich allerdings nicht. Anders ausgedrückt, ich hatte keine Ahnung, wie ich mich richtig verhalten sollte. Was wiederum bedeutete, dass ich etwas sehr Gefährliches tat: Ich ging, oder besser gesagt rannte gleichsam mit verbundenen Augen durch die Gegend.
Wenn ich sonst Fragen zu den Adem hatte, stellte ich sie Vashet. Sie war mein Prüfstein. Doch durfte ich sie auf keinen Fall durch falsche Fragen kränken. Nur ihr guter Wille stand zwischen mir und dem Verlust meiner Finger.
Als ich mit dem Essen fertig war, hatte ich beschlossen, mich einfach Vashets Führung zu überlassen. Schließlich war sie meine Lehrerin.