54

Der Krieg der Götter begann eine Stunde nach Mitternacht und dauerte bis zum Sonnenaufgang. Und obwohl er den Tod über Tausende von Menschen brachte und vielleicht sogar den Untergang dieser Welt einläutete, war es der mit Abstand phantastischste – und schönste! – Anblick, den sie jemals im Leben gesehen hatte.

Es begann mit einem Hauch von Violett und Orange, der sich über die westliche Hälfte des Nachthimmels ausbreitete wie leuchtender Blütenstaub, den eine Armee von Elfen über den Himmel gestreut hatte, und es folgte eine wahre Orgie von Farben, die alles Vorstellbare übertrafen; Farben und Lichter, wie sie noch keines Menschen Auge auf dieser Welt erblickt hatte. Und es wurde heller und heller, je weiter die Nacht fortschritt. Es war, als hätte der Himmel Feuer gefangen, ein kaltes, tausendfarbenes Feuer, das die Welt in ein Kaleidoskop niemals gesehener Schatten und Bewegungen verwandelte.

Sie waren auf den Turm hinaufgestiegen, um das Schauspiel zu bewundern. Wer hier auf den Mauern keinen Platz mehr gefunden hatte, der stand unten auf dem Hof und hatte das Gesicht dem Himmel zugewandt.

»Was ist das?« flüsterte Kara, die neben Elder stand. In ihrer Stimme klang Ehrfurcht durch.

»Sie kämpfen«, sagte Elder. »Ihr Schiff und unser Schiff.«

»Sie... kämpfen?«

Elder nickte. »Was du siehst, ist die Energie, die von den Schutzschilden reflektiert wird.«

Kara schauderte innerlich. Wie konnte etwas so Entsetzliches nur so schön sein? »Aber es ist so... so groß«, murmelte sie. »Die Schiffe sind sehr groß«, bestätigte Elder. »Aber keine Angst. Das PACK-Schiff ist mehr als eine Million Meilen entfernt. Niemandem hier wird etwas geschehen.«

»Und wenn sie... gewinnen?« fragte Kara. Sie sah Elder an. »Ich meine, wenn sie euer Schiff vernichten? Werden sie uns dann nicht alle töten?«

»Keine Angst«, sagte Elder lachend. »Ich bin sicher, daß der Angriff sie völlig überrascht hat. Der Bordcomputer hat die Schutzschilde hochgefahren und ein automatisches Defensivprogramm eingeleitet, aber das wird ihnen nicht mehr viel nutzen. Sie hätten eine Woche gebraucht, um die Besatzung aus den Tiefschlafkammern zu holen und das Schiff wirklich gefechtsklar zu machen. Nein.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »In ein paar Stunden ist der ganze Spuk vorbei.«

»Hoffen wir, daß hier nicht auch alles vorbei ist«, sagte Aires. »Wenn dein Freund Thorn nicht zufällig blind ist, dann weiß er so gut wie du, was das da oben zu bedeuten hat. Er könnte auf gewisse Rachegedanken kommen.« Sie wandte sich um und warf einen nervösen Blick in den Hof hinab. »Das geht alles nicht schnell genug.« Hinter den Klippen im Osten erhob sich ein weiterer Schwarm gewaltiger Schatten und glitt in die Nacht über dem Schlund hinaus.

Elder runzelte die Stirn. »Du hetzt deine Leute völlig umsonst herum, Aires. Thorn würde es nicht wagen, den Hort anzugreifen, nur um sich zu rächen. Er weiß, daß er dann ebenfalls sterben würde. Und alle seine Männer mit ihm. Außerdem wollte er es tun, so bliebe von hier bis Schelfheim kein Stein mehr auf dem anderen. Ihre Flucht wäre sinnlos.«

Aires schüttelte den Kopf. »Es bleibt dabei: Der Hort wird evakuiert.«

Elder seufzte. Dann jedoch machte er eine einladende Geste zu Aires und Kara, ihm zu folgen, und drehte sich herum. »Vielleicht habt ihr nicht einmal so unrecht«, sagte er. »Ich werde zur Sicherheit mit ihm sprechen. Verzweifelte Menschen tun manchmal verzweifelte Dinge. Und ich an seiner Stelle wäre verzweifelt, wenn man mir gerade einen ganzen Planeten weggenommen hätte. Kommt mit.«

Sie verließen den Turm und das Gebäude und gingen zu der Libelle, die neben dem Tor abgestellt war. Elder setzte sich in den Sessel des Piloten, beugte sich vor und berührte ein paar Tasten auf dem Instrumentenpult. Einige Sekunden vergingen, dann leuchtete inmitten des Instrumentenwirrwarrs ein handgroßer, rechteckiger Bildschirm auf. Thorns Gesicht erschien farbig und tief auf dem winzigen Monitor.

Offensichtlich konnte er Elder ebenso deutlich sehen, denn sein Gesicht verfinsterte sich vor Zorn. Allerdings wirkte er überhaupt nicht überrascht. Er hatte wohl mit Elders Anruf gerechnet.

»Elder. Ich habe mich schon gefragt, wann du dich meldest.«

»Oh, bitte, entschuldige«, sagte Elder spöttisch. »Ich wollte dich nicht warten lassen. Aber ich hoffe, dir ist nicht allzu langweilig geworden. Immerhin habe ich mir alle Mühe gegeben, dir ein wenig Unterhaltung zu bieten. Gefällt dir das Feuerwerk?«

Thorns Augen wurden schmal. »Was willst du, Elder? Dich über mich lustig machen? Du hast gewonnen. Was willst du mehr?«

»Im Moment reicht mir dieses Eingeständnis schon«, antwortete Elder. »Ich hoffe, du meinst auch, was du sagst. Ich halte dich für einen klugen Mann, Thorn. Solltest du aber im Moment rein zufällig die Finger auf irgendwelchen Knöpfen haben, dann ziehe sie lieber schnell wieder zurück. Ehe du am Ende noch etwas übereilst.«

»Du bringst mich in Verwirrung«, sagte Thorn. »Was hätte ich schon zu verlieren?«

»Dein Leben«, antwortete Elder. »Und das all deiner Männer. Die Hybrid-Laser meines Schiffes sind auf deine Drohne gerichtet.«

»Welche Überraschung«, sagte Thorn. »Und was soll ich jetzt tun? Auf Händen und Knien zu dir und deinen Mutantenfreunden gekrochen kommen?«

»Es reicht, wenn du gar nichts tust«, antwortete Elder. »Sobald diese unangenehme Sache im Orbit erledigt ist, kommen wir zu euch. Ich garantiere jedem deiner Männer, den ich bei Sonnenaufgang an Bord der Drohne antreffe, freies Geleit.«

»Wie überaus großmütig«, knurrte Thorn. Man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, die Ruhe zu bewahren. »Aber ich schätze, die Alternative dazu, dein Angebot anzunehmen, wäre ziemlich unerfreulich.«

»Überaus unerfreulich«, bestätigte Elder.

Thorn starrte ihn an, dann erschien plötzlich ein neuer Ausdruck auf seinem Gesicht. Er legte den Kopf schräg. »Steht da Kara hinter dir?«

Elder nickte und trat wortlos ein Stück zur Seite.

Thorns Augen verengten sich vor Haß. »Kara, ich nehme an, du hast das alles gewußt, während du zwei Tage lang wie ein Marktweib mit mir gefeilscht hast?«

»Selbstverständlich«, antwortete Kara.

»Mein Kompliment«, sagte Thorn. »Bisher ist es noch niemandem gelungen, mich so hereinzulegen.«

»Vielleicht warst du doch nicht in der Lage, dir soviel Großmut leisten zu können, wie du dachtest«, sagte Kara. »Das nächste Mal solltest du vorsichtiger sein.«

»Das nächste Mal?« Thorn lachte bitter. »Es wird kein nächstes Mal geben, Kara. Einem Mann, der nicht nur sein Schiff, sondern einen ganzen Planeten verliert, gibt man bei uns keine zweite Chance.« Er lächelte gequält und blickte Elder an. »Kannst du dir vorstellen, daß es in deiner Company noch einen Job für einen arbeitslosen Expeditionsleiter gibt?«

Elder lachte leise. »Wir reden darüber«, sagte er. »Bei Sonnenaufgang.« Er lachte noch einmal, schaltete ab und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung aus der Kanzel des Helikopters heraus. Noch immer lachend, wandte er sich an Aires. »Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden«, sagte er. »Er wird euch nicht angreifen. Du kannst deinen Leuten die Mühe sparen.«

Aires schien immer noch nicht restlos überzeugt zu sein, aber dann drehte sie sich doch mit einem Ruck zu Hrhon um, der ihnen gefolgt war, und machte eine knappe Handbewegung. »Geh hinunter«, sagte sie. »Die Drachen, die noch nicht abgeflogen sind, sollen hierbleiben.«

Der Waga watschelte davon, und auch Elder wandte sich zum Gehen, hielt aber inne, als er sah, daß Kara sich nicht von der Stelle rührte, sondern mit leerem Blick den erloschenen Bildschirm anstarrte. »Was hast du?« fragte er.

Kara blickte ihn müde an. Und so leer wie ihr Blick war auch ihre Stimme, als sie schließlich antwortete. »Ich überlege nur, wie verrückt das Schicksal doch manchmal ist, Elder. Ich habe geschworen, dieses Land und seine Menschen zu schützen, und sei es unter Einsatz meines Lebens. Und jetzt ist der einzige Weg, dieses Versprechen einzuhalten, mit einem Mann zusammenzuarbeiten, von dem ich immer noch nicht sicher bin, ob er mein Freund ist oder nicht.«

Ein Hauch von Trauer erschien in Elders Augen und ließ sie noch dunkler erscheinen. »Es tut mir leid, wenn du das so siehst«, sagte er. »Aber ich kann dich beinahe verstehen.«

»Ja«, sagte Kara. Dann richtete sie sich mit einer heftigen Bewegung auf und zwang ein Lächeln auf ihre Züge. »Es wird Zeit«, sagte sie. »Wenn wir bis Sonnenaufgang am Landeplatz deines Schiffes sein wollen, sollten wir allmählich aufbrechen.«

Загрузка...