Natürlich ging sie an diesem Abend nicht mehr zu Elder. Hätte sie es getan, dann ganz bestimmt nicht, um mit ihm zu schlafen, sondern um ein Experiment ganz anderer Art durchzuführen, zum Beispiel, wie tief sie einen Dolch in seinen Rücken stoßen konnte, bis die auf Widerstand traf. Dafür kamen Donay und Aires an diesem Abend noch einmal zu ihr, und sie redeten bis tief in die Nacht hinein. Was am Ende dabei herauskam, das überzeugte so recht keinen von ihnen, denn es war allenfalls die Idee einer Idee – aber besser als gar nichts.
Sie begann gleich am nächsten Morgen damit, ihren Plan in die Tat umzusetzen, indem sie zweierlei Dinge tat: Sie beauftragte Silvy und zwei freiwillige Begleiter, mit ihren Drachen noch einmal in den Schlund hinauszufliegen, um eine Probe der Traumbestie zu holen, die ihnen in ihrer ersten Nacht im Dschungel fast zum Verhängnis geworden wäre. Und sie erschien mit einem Eimer voller eiskaltem Wasser in Elders Zimmer.
Ihre Schritte oder das Geräusch der Tür mußten ihn geweckt haben, aber er tat ihr den Gefallen und spielte mit – zumindest bis sie den Eimer hob und ihn schwungvoll in seine Richtung entleerte. Im allerletzten Moment rollte er sich zur Seite, fiel vom Bett und sprang in dem Augenblick auf die Füße, in dem das Wasser sein Kopfkissen und die Decke durchnäßte. »He!« sagte er empört.
Kara lachte. »Ich wußte, daß ein Eimer Wasser ein todsicheres Mittel ist, dich wachzubekommen. Badet ihr dort, wo du herkommst, nicht?«
»Nicht im Bett«, antwortete Elder. Er wirkte ein wenig verwirrt.
Kara ließ den Eimer sinken und lächelte verlegen. »Ich...«
»Ja?« Er legte den Kopf schräg und sah sie fragend an.
»Wegen gestern abend«, sagte Kara linkisch. »Ich meine, es... tut mir leid, wenn ich ein bißchen... ach verdammt, ich bin nicht gut darin, mich zu entschuldigen.«
»Geschenkt«, sagte Elder. »Wir waren alle ein bißchen nervös. Ich hoffe, ich habe Cord nicht zu hart vor den Kopf gestoßen. Ich wollte ihm nicht weh tun.«
»Cord ist ein Krieger«, sagte Kara. »Er ist daran gewöhnt, daß man ihm weh tut.«
»Das wollte ich nicht«, sagte Elder. »Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, keine andere Wahl mehr zu haben.«
»Um was zu verhindern?« fragte Kara. Plötzlich war sie ganz nahe daran, ihm die Wahrheit zu sagen. Sie kam sich vor wie eine Verräterin, denn gleichgültig, was sie Aires und Cord und Donay gegenüber behauptet hatte, zwischen Elder und ihr hatte es mehr gegeben als nur eine rein körperliche Anziehung. »Ich will ganz ehrlich zu dir sein, Elder«, begann sie. »Die anderen glauben dir deine Sorge um unser Wohl nicht ganz.«
»Die anderen? Und du?« Elder versuchte sie an sich zu ziehen, aber Kara wich zurück.
»Ich bin... nicht sicher«, sagte sie zögernd. »Ich glaube nicht, daß ich noch ganz unvoreingenommen bin.«
»Aber wenigstens ehrlich.« Elder seufzte. »Und was wollen sie tun?«
Kara antwortete nicht gleich. Sie durfte Elder nicht unterschätzen. Er war ein intelligenter Mann und ein guter Beobachter. »Ich glaube, du würdest es einen faulen Kompromiß nennen«, sagte sie. »Cord nennt es Vorsicht. Wir bereiten uns darauf vor, sie abzuwehren und gegebenenfalls selbst anzugreifen. Aber wir werden es nicht tun. Nicht, solange uns noch eine andere Wahl bleibt.«
»Angreifen? Aber wen denn? Und womit?«
»Wir sind nicht ganz so wehrlos, wie du glaubst«, sagte Kara. »Und wir zählen auf deine Hilfe.«
»Meine Hilfe?«
»Warum nicht. Es ist ein faires Geschäft, oder nicht? Wir werden dich unterstützen. Wir versuchen, dieses Schiff zu finden, und wir werden dir helfen, hineinzugelangen. Im Gegenzug erwarten wir nicht mehr, als daß du uns alles über ihre Bewaffnung erzählst und wie wir sie überwinden oder uns zumindest vor ihnen schützen können. Diese Schallwaffe macht Cord große Angst. Und mir auch.«
»Haltet euch die Ohren zu«, riet ihr Elder. Er lächelte, als er sah, daß sein Spott sie nur verärgerte. »Es tut mir leid, Kara aber das ist der einzige Rat, den ich euch geben kann. Ich bin Scout, kein Waffeningenieur. Davon abgesehen gibt es gegen die meisten dieser Waffen keine Gegenwehr. Nicht hier. Nicht mit euren Mitteln. Und ich bin nicht einmal sicher, ob ich es euch verraten würde – selbst wenn ich es könnte.«
Es war diese unerwartete Ehrlichkeit, die Kara schwankend machte. Wenn er sie wirklich belogen hatte, warum versuchte er dann nicht mit allen Mitteln, ihr Vertrauen zu gewinnen? Noch dazu mit einer Lüge, die so wenig zu überprüfen gewesen wäre?
»Du verlangst, daß wir das Schicksal unserer Welt in die Hände eines einzigen Mannes legen?« fragte sie. »Du weißt genau, daß wir das nicht können. Selbst wenn sie alle dir trauen würden – sie könnten es trotzdem nicht.«
Elder seufzte. »Ja«, sagte er. »Das sehe ich ein. Ein schönes Dilemma, nicht?« Er lachte. Kara verstand nicht, warum. »Ist das eure offizielle Antwort?«
»Ich fürchte, ja«, sagte Kara. »Es ist die Entscheidung des Rates. Und ich kann und will sie nicht ändern.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte Elder. »Denn ihr werdet alle sterben. Ich weiß nicht, ob sie auch die Leute in Schelfheim und all den anderen Städten töten werden, aber euch werden sie auf keinen Fall verschonen. Du hast gesehen, wie rachsüchtig sie sind.«
Kara machte eine Bewegung, als wolle sie zur Tür gehen, und blieb noch einmal stehen. »Laß uns ein paar Schritte gehen«, bat sie. »Vielleicht kann ich dich wenigstens überzeugen, noch eine Weile bei uns zu bleiben.«
»Ich fürchte, das geht nicht«, antwortete Elder, trat aber gehorsam neben ihr auf den Gang hinaus und hob grüßend die Hand, als er Hrhon entdeckte, der neben der Tür Wache gestanden hatte.
»Warum nicht?« fragte Kara. »Solange du nicht weißt, wo dieses Schiff ist, bist du hier bei uns besser aufgehoben als an jedem anderen Ort.«
»Das mag sein. Aber ich werde es auch nicht herausfinden, wenn ich hier herumsitze.«
»Was willst du tun? In den Schlund hinunterklettern und auf gut Glück mit der Suche beginnen?«
»Ich habe schon noch die eine oder andere Möglichkeit«, antwortete Elder geheimnisvoll.
»Ja?« Kara versuchte vergeblich, sein rätselhaftes Lächeln zu durchdringen, dann sagte sie mit übertrieben gespieltem Groll:
»Ich verstehe. Es hätte keinen Sinn, uns Barbaren etwas so Kompliziertes erklären zu wollen.«
»Stimmt«, antwortete Elder fröhlich. »Nur daß ich es etwas diplomatischer ausgedrückt hätte. Allerdings halte ich euch nicht für Barbaren. Ich bin schon auf einer Menge anderer Planeten gewesen, und einige davon hätten dich wirklich erstaunt. Aber ich habe niemals ein Volk wie eures getroffen.«
»So?«
Elder nickte überzeugt. »Ihr seid das Erstaunlichste, was mir je untergekommen ist. Ich gebe zu, daß ich euch im ersten Moment wirklich für Barbaren hielt. Aber das stimmt nicht. Eure Kultur ist... faszinierend. Die Leute von PACK müssen noch dümmer sein, als ich immer angenommen habe, daß sie das in all der Zeit nicht erkannt haben.«
Kara sah ihn fragend an, und Elder fuhr mit einer weit ausholenden Geste fort: »Sie könnten zehnmal mehr Geld als mit dem Verkauf dieses Planeten verdienen, wenn sie versuchen würden, mit euch ins Geschäft zu kommen.«
»Was?« fragte Kara verwirrt. »Du willst mich auf den Arm nehmen.«
»Ganz bestimmt nicht«, antwortete Elder. »Eure Kultur ist nicht halb so primitiv, wie es auf den ersten Blick scheint. In Wirklichkeit unterscheidet sie sich nicht so sehr von der Kultur der meisten Kolonien, die wir errichten. Was hier entstehen wird, wenn ihr...« Er brach betroffen ab. »Entschuldige.«
»Sprich weiter«, sagte Kara.
»Ich meine, falls es uns nicht gelingt, sie aufzuhalten, dann wird hier für die nächsten fünfhundert oder auch tausend Jahre eine Kolonie entstehen, die unter weit schlechteren Bedingungen lebt als ihr.«
»Bei all eurer Technik?«
»Unsere heißgeliebte Technik hat ein paar kleine Nachteile«, antwortete er. »Einer ist, daß sie teuer ist. Maschinen müssen gewartet und repariert werden. Man braucht Spezialisten und vor allem Rohstoffe. Was tut ihr, wenn ihr einen Stollen graben wollt?«
»Wir haben einen Gräber«, antwortete Kara. »Was denn sonst?«
»Du meinst einen dieser riesigen Käfer. Wesen, die Steine und Sand fressen?« Er beantwortete seine eigene Frage mit einem Kopfnicken. »Das ist es, was ich meine, Kara. Ihr habt gelernt, die Natur dazu zu bringen, all die Dinge zu tun, für die wir Maschinen brauchen.«
»Wir mußten es«, sagte Kara. »Nach dem Zehnten Krieg war nichts mehr da, woraus man Maschinen hätte bauen können.«
»Und später waren da Jandhis Drachentöchter, die jeden umbrachten, der auch nur ein Wasserrad gebaut hat, ich weiß«, fügte Elder hinzu. »Ihr mußtet lernen, euch lebende Maschinen zu bauen. Weißt du, daß wir genau das seit Zehntausenden von Jahren versuchen? Und daß es uns bisher nicht gelungen ist?«
»Das kann ich nicht glauben«, erwiderte Kara impulsiv. Für sie war es völlig selbstverständlich, daß man ein Geschöpf in Auftrag gab, je nachdem, welche Arbeit man zu erledigen hatte.
»Natürlich verstehen wir uns auf Genmanipulation«, antwortete Elder. »Aber das ist ein aufwendiger Prozeß, der oft Jahrzehnte in Anspruch nimmt und nicht immer funktioniert.« Er schüttelte den Kopf. »Nimm diesen Donay als Beispiel. Einmal habe ich mich bei ihm aus Spaß beschwert, daß meine Kleider immer so unordentlich gestopft würden. Drei Tage später brachte er mir eine Spinne, die die Löcher in meinem Umhang so sauber zuwob, daß man nicht einmal mehr sah, daß er überhaupt beschädigt worden war. Leider prinzipiell in der falschen Farbe«, fügte er säuerlich hinzu. »Nach einer Woche sah ich aus wie ein Clown.«
»Ich wette, das hat er mit Absicht getan«, sagte Kara.
»Sicher«, bestätigte Elder. »Verstehst du? Das ist es, was ich meine. Er hat dieses Tier gemacht – in drei Tagen! Und es ist ihm so leichtgefallen, daß er sogar noch einen seiner Scherze eingebaut hat. Unsere Labors würden für so etwas Monate brauchen, wenn nicht Jahre! Und Donay ist nicht der einzige, der so etwas kann! Eure Begabung ist einmalig in der Galaxis. Vielleicht im ganzen Universum! Allein deshalb muß diese Welt gerettet werden.«
Sie hatten den Hof erreicht; plötzlich öffnete sich auf der anderen Seite des Platzes eine Tür, und Donay trat ins Freie. Kara wußte, daß er Aires gebeten hatte, ihm in einem der leerstehenden Gebäude ein kleines Labor einzurichten. Elder hob den Arm und winkte, und als Donay sich daraufhin auf sie zubewegte, sah Kara, daß er vermutlich die ganze Nacht gearbeitet hatte. Er bewegte sich schleppend und mit hängenden Schultern, und unter seinen Augen lagen dunkle Ringe.
»Donay!« sagte Elder aufgeräumt. »Wir reden gerade über dich.«
»So?« Donay warf Kara einen verstohlenen Blick zu. Außer Cord und Aires war er der einzige, der in ihren Plan eingeweiht war. Und Hrhon, natürlich. Sie antwortete mit einem angedeuteten Kopfschütteln. Nein, noch nicht. »Ich hoffe doch, nur Gutes.«
»Du siehst nicht aus, als könntest du noch ein paar schlechte Nachrichten gebrauchen«, sagte Elder. »Woran arbeitest du?«
Donay druckste einen Moment herum, bis Kara sagte: »Erzähl es ihm. Ich habe ihm gesagt, wie wir uns entschieden haben.«
»Ich versuche, ein paar Überraschungen für deine Freunde zu entwickeln, Elder«, sagte er.
»Habt ihr deshalb heute morgen die Drachen in den Schlund geschickt?« fragte Elder.
Donays Überraschung war so wenig geschauspielert wie die Karas. »Wie... kommst du darauf?« fragte Kara unsicher. »Es ist ein Routineflug. Eine Patrouille, mehr nicht.«
»In den Schlund, den ihr ansonsten fürchtet wie sonst nichts auf der Welt.« Elder sah sie strafend an. »Du enttäuschst mich, Kara. Hältst du mich für so dumm? Ihr hofft, dort etwas zu finden, was Donay zu einer Waffe umbauen kann.«
»Du hast mir vor einer Minute bestätigt, wie gut er ist.«
»Dazu aber ist er nicht gut genug«, antwortete Elder. Seine Augen wurden schmal. »Erinnerst du dich an den Krater, in dem ihr das Helikopterwrack gefunden habt?«
»Warum?«
»Du solltest gelegentlich einmal einen Blick auf die Karte werfen«, riet ihr Elder. »Dann würdest du feststellen, daß dort nicht immer ein Krater war. Dort lebte etwas, was wirklich unangenehm war. Etwas, das selbst Donay Alpträume bescheren würde. Ich weiß nicht genau, was es war – aber es hat sie nicht lange aufgehalten.«
»Vielen Dank für den Tip«, sagte Donay fröhlich. »Ich werde jemanden hinschicken. Vielleicht findet sich noch ein Rest, mit dem ich etwas anfangen kann.«
Elder seufzte, aber er hatte auch Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. »Ihr seid wirklich unverbesserlich.«
Kara hob die Hand und massierte sich den Nacken, und das war das Zeichen, auf das Cord hinter seinem Fenster auf der anderen Seite des Hofes gewartet hatte. Eine Tür flog auf, und der grauhaarige Krieger trat auf den Hof hinaus; er stolperte hinter den beiden riesigen Hunden her, die er an zwei kurzen Ketten hielt. Die Tiere begannen immer wütender an ihren Ketten zu zerren und kläfften, was das Zeug hielt.
»Gehen wir besser ins Haus«, schlug Kara vor. Sie runzelte in gespieltem Ärger die Stirn. »Dieser Narr Cord! Angella hat ihm mindestens zehnmal verboten, mit seinen Tieren in den Hof zu kommen. Irgendwann einmal wird ein Unglück geschehen.«
Sie gingen zurück und die Treppe hinauf. Cord zerrte heftig an den Ketten, und einer der beiden Hunde beruhigte sich tatsächlich. Der andere gebärdete sich dafür immer wilder. »Was sind das für Tiere?« fragte Elder.
Kara betete, daß er ihrem Gesicht nichts von der Erleichterung ansah, die sie spürte. Sie hatte gehofft, daß Elder noch nie einen Suchhund gesehen hatte. Ihr ganzer Plan stand und fiel mit dieser Annahme. »Kampfhunde«, sagte sie. »Cord ist ganz vernarrt in diese Bestien.«
»Sie sehen gefährlich aus«, bemerkte Elder nervös.
»Das sind sie auch«, bestätigte Kara. »Ich schätze, wenn sie so richtig in Fahrt sind, könnten sie selbst einem Waga gefährlich werden.« Hrhon schenkte ihr einen beleidigten Blick, und Kara beeilte sich, ihre Worte ein wenig abzuschwächen. »Jedenfalls würden sie ihm einige Schwierigkeiten machen.«
»Die scheint dein Freund da auch zu haben«, sagte Elder und deutete auf Cord, dem es sichtlich Mühe bereitete, das tobende Tier im Zaum zu halten.
»Du hast recht«, sagte Kara besorgt. »Laß uns ins Haus gehen. Cord wird schon mit ihnen fertig. Sie beruhigen sich, sobald sie dich und Donay nicht mehr sehen. Sie sind auf Fremde abgerichtet«, fügte sie mit einem fast verlegenen Lächeln hinzu. Im gleichen Moment erscholl hinter ihnen ein Schrei, und als Kara herumfuhr, sah sie, wie Cord stürzte und eine der Ketten losließ. Mit einem schrillen Heulen raste der Hund los – direkt auf sie zu!
»Ins Haus!« schrie Kara. »Schnell!«
Ihre Aufforderung wäre gar nicht mehr nötig gewesen, denn Elder und auch Donay hatten sich bereits herumgedreht und versuchten, beide gleichzeitig durch die Tür zu stürmen. Zu Karas heimlicher Freude stellte sich zumindest Donay dabei so ungeschickt an, daß sie sich gegenseitig behinderten. Kara folgte ihnen dichtauf, wobei sie einen raschen Blick über die Schulter zurückwarf. Was sie sah, spornte sie zu noch größerer Eile an: Der Hund raste mit gewaltigen Sätzen auf sie zu, und der Anblick erfüllte für einen Moment selbst sie mit Schrecken. Cord hatte ihr versichert, daß das Tier sie nicht angreifen würde. Aber der Anblick der langen, gebleckten Reißzähne und der gewaltigen Muskeln unter der glatten Haut ließen ihr Herz einen erschrockenen Sprung machen. Sie warf sich durch die Tür, prallte gegen Elder und klammerte sich instinktiv an ihm fest. Hinter ihr kam Hrhon herein, drehte sich unter der Tür herum und hob die Fäuste vor die Brust.
»Hrhon!« schrie Kara. »Die Tür!«
Falls Hrhon ihre Worte überhaupt hörte, dann war es zu spät, um darauf zu reagieren. Der Hund heulte schrill auf, stieß sich am Fuß der Treppe ab und flog wie ein lebendes Geschoß auf den Waga zu.
Er hatte nur ein Viertel von Hrhons Gewicht, aber die Kraft, die in seinem Sprung lag, war ungeheuerlich. Der Waga taumelte und ruderte hilflos mit den Armen, ehe er mit einem überraschten Keuchen nach hinten fiel. Der Hund blieb nur einen Wimpernschlag benommen liegen, ehe er wieder hochsprang – und sich mit gefletschten Zähnen auf Kara warf! Kara erstarrte vor Schrecken. Sie hatte vorgehabt, Elder irgendwie zwischen sich und den Hund zu bringen, aber sie begriff plötzlich, daß sie dazu viel zu langsam war. Die gewaltigen Fänge öffneten sich...
... und plötzlich fühlte sich Kara gepackt und zur Seite gerissen. Sie fiel auf die Knie, und im gleichen Augenblick hörte sie ein schreckliches, schnappendes Geräusch, gefolgt von Elders keuchendem Schmerzensschrei.
Hrhon und sie kamen fast im gleichen Moment wieder auf die Füße und eilten zu ihm. Elder lag auf dem Rücken, hatte den linken Arm schürzend vor Gesicht und Kehle gerissen und schlug mit der anderen Faust immer wieder auf den Hund ein, der sich in seinen rechten Oberschenkel verbissen hatte. Seine Fänge waren mühelos durch das Leder der Hose gedrungen. Blut lief an Elders Bein herab und hatte die Schnauze des Hundes rot gefärbt. Elder schrie vor Schmerzen.
Nicht einmal zu zweit gelang es ihnen auf Anhieb, das Tier von Elder wegzuzerren. Kara schloß die Hände um die Kette des Hundes und zog mit aller Kraft daran, während Hrhons gewaltige Pranken den Brustkorb des Tieres umspannten und es von seinem Opfer wegzureißen versuchte. »Hrhon!« schrie Kara. »Tu etwas!«
Hrhon versuchte, die Kiefer des Hundes auseinanderzuzwingen und mußte zu seiner Verblüffung feststellen, daß nicht einmal seine gewaltigen Körperkräfte das vermochten. Elder brüllte mittlerweile wie am Spieß – und Kara registrierte voller Schrecken, daß seine Bewegungen merklich an Kraft verloren hatten. Die Blutlache, in der er lag, war größer geworden. Verdammt, sie wollten ihn nicht umbringen!
Auch Hrhon mußte erkannt haben, daß aus dem Spiel unvermittelt tödlicher Ernst zu werden drohte, denn er ließ von seinen fruchtlosen Bemühungen ab, die Kiefer des Hundes zu öffnen, ballte die Faust und versetzte dem Tier einen Hieb zwischen die Ohren, der den Hund wie einen gefällten Baum zur Seite kippen ließ. Und auch Elder verlor in dem Moment das Bewußtsein.
Kara beugte sich hastig über ihn und überzeugte sich davon, daß er noch lebte, dann wandte sie sich Hrhon zu und half ihm, die Kiefer des bewußtlosen Hundes behutsam zu öffnen. Selbst jetzt fiel es ihnen schwer, was Kara einigermaßen verwunderte. Sie hatte nie gehört, daß sich Suchhunde derart in ihre Opfer verbeißen. Hatte das Tier etwas in Elder gesehen, was es so rasend gemacht hatte?
Irgend jemand trat neben sie, und dann vernahm sie Cords Stimme. »Lebt er noch?«
Kara sah mit einem Ruck auf. Ihre Augen sprühten vor Zorn, der nicht gespielt war. »Wen meinst du?« schnappte sie. »Elder oder deinen verdammten Köter?« Sie fing einen warnenden Blick Donays auf; gleichzeitig spürte sie, wie sich der Körper neben ihr zu bewegen begann. Elder wachte auf.
»Wenn du Elder meinst«, fuhr sie erregt und mit nur noch mühsam beherrschter Stimme fort, »dann lautet die Antwort ja. Aber das ist ganz bestimmt nicht dein Verdienst!«
»Kara, es tut mir leid...«
»Wie oft hat Angella dir verboten, diese verdammten Viecher mit in die Festung zu bringen’? « Kara stand auf und warf einen raschen Blick in Elders Gesicht. Seine Augen waren trüb vor Schwäche und Qual. Die Wunde in seinem Bein blutete noch immer, obwohl Donay mittlerweile einen Streifen aus seinem Mantel gerissen hatte und versuchte, damit die Blutung zu stillen. »Dieses Monster hätte ihn um ein Haar umgebracht! Ich verlange, daß du es tötest! Und den anderen Hund auch!«
Cord starrte sie völlig entgeistert an, und erst da wurde Kara klar, wie bitter ernst ihr diese Worte waren. Obwohl es ihre Idee gewesen war, haßte sie den Hund in diesem Augenblick so sehr, daß sie sich beherrschen mußte, um nicht ihr Messer zu ziehen und ihm auf der Stelle die Kehle durchzuschneiden. »Aber...« versuchte Cord zu entgegnen.
»Bring ihn weg!« unterbrach ihn Kara schreiend. »Und geh mir aus den Augen! Bevor ich mich vergesse, Cord!«
Der Krieger starrte sie noch einen Atemzug lang zutiefst verwirrt an, dann bückte er sich, hob den reglosen Hund ächzend auf die Arme und wankte mit seiner Last aus dem Haus.
Kara beugte sich wieder zu Elder hinab. Sein Gesicht war grau, und er stöhnte leise. Aber ein rascher Blick zeigte Kara, daß es Donay mittlerweile gelungen war, die Blutung zu stoppen. In diesem Moment eilten Aires und zwei weitere Krieger die Treppe herab, angelockt durch Elders Schreie – und die Tatsache, daß Aires gewußt hatte, was passieren würde. Trotzdem zuckte sie erschrocken zusammen, als sie die gewaltige Blutlache erblickte. »Was ist passiert?«
»Einer von Cords Hunden hat durchgedreht!« antwortete Kara zornig. »Das Mistvieh hat ihm fast das Bein abgerissen! Hilf ihm!« Kara machte sich schwere Vorwürfe. Sie hatte ihm nicht solche Schmerzen zufügen wollen! Sie wandte sich an Elder, der die Augen aufschlug. »Alles in Ordnung?«
Elder biß die Zähne zusammen. »Das ist die mit Abstand dämlichste Frage, die ich seit zehn Jahren gehört habe.«
»Ja, es ist alles in Ordnung«, sagte Aires stirnrunzelnd. Sie gab den beiden Männern, die in ihrer Begleitung gekommen waren, einen Wink. »Bringt ihn in mein Zimmer. Aber seid vorsichtig.« Die Männer gingen wirklich so behutsam zu Werk, wie sie konnten. Trotzdem keuchte Elder vor Schmerz, als sie ihn hochhoben. Kara begleitete sie nur bis zur Treppe, dann verließ sie das Haus, um Cord nachzueilen. Sie mußte sich davon überzeugen, daß der Hund noch am Leben war.
Und daß man den Drachen gesattelt hatte, der ihn und Cord nach Schelfheim bringen sollte.