Siebenundzwanzigstes Kapitel



Sie gingen schweigend über die mondfarbenen Bürgersteige nach Hause, Mr. Halloway zwischen den beiden Jungen. Als sie am Ziel waren, seufzte Wills Vater.

"Jim, es hat keinen Sinn, deine Mutter zu dieser Stunde aufzuregen. Wenn du mir versprichst, daß du ihr alles morgen beim Frühstück erzählst, laß ich dich laufen.

Kommst du ins Haus, ohne sie aufzuwecken?"

"Klar. Sehen Sie mal, was wir da haben."


"Wir?"


Jim nickte und führte die beiden an die Seite des Hauses. Dann fummelte er zwischen dichtem Moos und Laub nach den eisernen Sprossen, die sie sich zu einer versteckten Geheimleiter hinauf in Jims Zimmer zusammengebastelt hatten. Mr. Halloway lachte. Es klang beinahe schmerzhaft, und eine seltsame, wilde Traurigkeit schüttelte ihn.

"Wie lange geht das schon so? Nein, sagt mir nichts.


Ich hab's in eurem Alter auch getan." Er blickte die Efeuranken hinauf zu Jims Zimmerfenster. "Macht Spaß, spät noch draußen zu sein, frei wie ein Vogel."

Er faßte sich wieder.


"Aber ihr bleibt doch wohl nicht zu lange..."


"In dieser Woche ist's wirklich das erste Mal nach Mitternacht geworden."

Dad überlegte eine Weile. "Wenn's euch erlaubt wird, so ist vermutlich alles verdorben, wie? Euch kommt's darauf an, euch in den Sommernächten hinauszuschleichen zum See, auf den Friedhof, zur Eisenbahn, zu den Pfirsichpflanzungen..."

"Gott, Mr. Halloway, haben Sie auch..."


"Ja. Aber laßt die Frauen nichts davon wissen, daß ich es euch gesagt habe. Rauf mit dir!" Er deutete nach oben.

"Und laß dich einen Monat lang nachts nicht wieder erwischen!"

"Ja, Sir."


Jim schwang sich wie ein Affe zu den Sternen empor, verschwand durch sein Fenster, zog es zu und ließ die Jalousie herab.

Dad blickte zu den verborgenen Sprossen hinauf, die aus dem Sternenschimmer herunterführten in die vogelfreie Welt der Bürgersteige, die zum Wettrennen einluden, zu den hohen Hürden dunkler Büsche, dem pfahlumgebenen Friedhof mit seinen Mauern und Steinen...

"Weißt du, Will, was mir am schlimmsten ist? Daß ich nicht mehr so laufen kann wie ihr."

"Ja, Sir", sagte sein Sohn.


"Damit wir uns verstehen", sagte Dad. "Morgen wirst du dich noch einmal bei Miss Foley entschuldigen. Such den Rasen ab. Vielleicht haben wir bei Taschenlampe und Streichhölzern etwas von – von dem Diebesgut übersehn. Dann meldest du dich beim Polizeichef. Du hast Glück gehabt, weil du von selbst gekommen bist. Und weil Miss Foley nicht auf einer Anzeige besteht."

"Ja, Sir."


Sie gingen hinüber an die Seite des eigenen Hauses.


Dad suchte mit seinen Händen zwischen den Efeuranken.

"Hier auch?"


Seine Finger stießen an eine Sprosse, die Will zwischen die Ranken genagelt hatte.

"Ja, hier auch."


Während sie unter dem Efeu standen, zog Dad den Tabaksbeutel heraus, stopfte seine Pfeife und zündete sie an. Unter dem Laub führten die eisernen Stifte hinauf ins warme Zimmer, ins Bett. Dann sagte er: "Ich kenn euch doch, Ihr seht nicht aus, als ob ihr schuldig wärt. Ihr habt nichts gestohlen."

"Nein."


"Warum habt ihr's dann gesagt – bei der Polizei?"


"Weil Miss Foley – oder weiß Gott wer – will, daß wir schuldig sind. Wenn sie das sagt, dann sind wir schuldig. Hast du gesehen, wie überrascht sie war, als wir durchs Fenster kamen? Sie hat nicht geglaubt, daß wir's zugeben würden. Aber wir haben gestanden. Wir haben schon genug Feinde, ohne daß die Polizei uns auf den Fersen ist. Ich hab mir gesagt, wenn wir reinen Tisch machen, dann werden sie uns nicht so hart hernehmen. So war's dann auch. Ja, aber gleichzeitig hat auch Miss Foley erreicht, was sie erreichen wollte. Wir sind jetzt Kriminelle. Niemand wird uns mehr ein Wort glauben."

"Ich schon."


"Wirklich?" Will durchforschte die Schatten auf dem Gesicht seines Vaters, sah die weiße Haut, die Augen, das Haar.

"Dad, gestern nacht, um drei Uhr morgens..."


"Drei Uhr morgens..."


Er sah, wie Dad zurückzuckte wie vor einem kalten Windstoß, als könnte er alles riechen, wissen, sich aber nicht bewegen, nicht die Hand ausstrecken und Wills Arm tätscheln.

Und er wußte, sagen konnte er es auch nicht. Vielleicht morgen. Irgendwann. Wenn die Sonne wieder aufging, dann waren die Zelte vielleicht verschwunden und mit ihnen die Monstren. Sie ließen sie allein und wußten, daß sie Angst genug hatten, nichts zu unternehmen, nichts zu sagen, den Mund zu halten. Vielleicht blies der Wind alles fort. Vielleicht – vielleicht...

"Ja, Will?" murmelte der Vater gepreßt, die Pfeife in der Hand. "Weiter!"

Nein, dachte Will. Wenn schon Jim und ich unter die Menschenfresser fallen, dann zumindest nicht noch jemand. Wer davon weiß, dem passiert auch etwas. Also darf es sonst niemand erfahren. Niemand.

Laut sagte er: "In ein paar Tagen, da sag ich dir alles, Dad. Ich schwör's dir. Bei Moms Ehre."

"Bei Moms Ehre", sagte Dad nach einer Weile. "Ja, das genügt mir."

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